Playing by her Rules
Playing it cool
Playing the Game
Ryder Davis lebt seinen Traum. Er ist auf dem Höhepunkt seiner Rugby-Karriere angekommen und die Frauen liegen ihm zu Füßen. Das Letzte, was er braucht, ist eine Deutsche Dogge namens Tiny …
Auch Hundeflüstererin Juliet Morgan ist kurz davor, ihren Traum zu leben. In zwei Monaten wird sie endlich nach Italien ziehen und diesmal wird sie niemand aufhalten. Auch nicht ein Rugby-Superstar mit einem schlecht erzogenen Köter.
Doch als Ryder bei einem Besuch im Tierheim Juliet kennenlernt, sprühen vom ersten Moment an die Funken. Sie stürzen sich kopfüber in eine heiße Affäre. Keiner von ihnen möchte, dass es mehr wird. Aber irgendwann fühlt sich »für den Moment« wie »für immer« an, und Juliet gerät in Panik. Ryder weiß, dass er sie gehen lassen muss. Aber das Spiel ist erst vorbei, wenn abgepfiffen wird, und in der Liebe und beim Rugby ist alles erlaubt.
Die USA-Today-Bestsellerautorin Amy Andrews lebt mit ihrer Jugendliebe und zwei erwachsenen Kindern am Rande Brisbanes, Australien. Sie hat bereits über sechzig Bücher veröffentlicht, die in mehr als zwölf Sprachen übersetzt worden sind. Früher hat sie als Krankenschwester gearbeitet, doch mittlerweile widmet sie sich vollkommen ihrer großen Leidenschaft: den Büchern.
AMY ANDREWS
PLAYING
with
FOREVER
Aus dem Englischen von
Michaela Link
Deutsche Erstausgabe
»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG
Für die Originalausgabe:
Copyright © 2017 by Amy Andrews. First published in the United States under the title PLAYING WITH FOREVER: A Sydney Smoke Rugby Novel. This translation published by arrangement with Entangled Publishing, LLC through RightsMix LLC. All rights reserved.
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Lisa Vo Dieu
Covergestaltung: Christin Wilhelm, www.grafic4u.de
unter Verwendung von Motiven © Shutterstock: Halay Alex | Mike McDonald | Miloje
eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7325-9037-7
www.be-ebooks.de
www.lesejury.de
Für alle Mamas, die ihren Babys erlauben, zu Cowboys heranzuwachsen – jede Einzelne von euch sei gesegnet!
Auch wenn Ryder Davis durch und durch ein Junge vom Land war, kostete er die Vorteile des Lebens in der Stadt voll aus. Zum Beispiel sah man zu Hause keine Frauen, die in winzig kleinen Bikinis herumliefen. Hier, in seiner Wohnung mit Blick auf Sydneys Coogee Beach, hatte er die Qual der Wahl.
Es gab keine bessere Methode, sich von einer grausamen Trainingseinheit zu erholen, als auf der Terrasse ein Bier zu kippen und die Aussicht zu genießen.
An einem Montagnachmittag um zwei Uhr befanden sich noch nicht besonders viele Menschen auf dem Strandabschnitt mit dem goldenen Sand. In zwei Stunden, wenn die Schule aus war, würde es aber lebhafter zugehen, denn die ruhigen Surfbedingungen waren familienfreundlicher als am schickeren Bondi. Wenn er seine rechte Achillessehne lange genug gekühlt hatte, würde er nach unten gehen und kurz in die Wellen springen.
Obwohl es zwei Jahre her war, dass das verdammte Ding gerissen war, neigte es immer noch dazu, sich zu entzünden. Nach einem Jahrzehnt Rugby auf Spitzenniveau kannte er seinen Körper gut genug, um zu wissen, dass es nichts Ernstes war. Er wusste, dass mit der Behandlung – Ruhe und Eis – rechtzeitig zum morgigen Training alles in Ordnung sein würde. Allerdings hätte er definitiv darauf verzichten können.
Das Kreischen der Möwen und Gelächter wehten mit einer leichten Brise vom Strand zu ihm herüber. Er zog seinen schwarzen Cowboyhut tiefer in die Stirn und atmete Salz und Sonne ein.
Es war nicht das Outback, aber der Pazifische Ozean vor seiner Haustür und der weite Himmel über ihm, der ihn an sein Zuhause erinnerte, reichten ihm völlig aus. Das Leben war schön. Verdammt schön. Er war ein Glückspilz.
Es läutete an seiner Tür, aber er ignorierte es. Es läutete noch einmal, und er seufzte. Es gab nur eine einzige Person, die zweimal klingelte – die alte Mrs Henderson von nebenan.
Für gewöhnlich bat sie um Hilfe, wenn sich ein Marmeladenglas nicht öffnen ließ, eine Glühbirne gewechselt werden musste oder ihre Katze (die langsam wissen sollte, dass sie dort allein nicht wieder runterkam) mal wieder auf dem Küchenschrank saß.
Er trank sein Bier aus, humpelte hinein und warf seinen Hut auf das Sofa. Er trug kein Hemd und brauchte eine Dusche, aber die alte Schachtel hatte nichts gegen ein wenig Augenschmaus einzuwenden. Das wusste er, weil sie es ihm gesagt hatte. Und warum sollte er sie enttäuschen?
Es war nicht Mrs Henderson.
Es war die Tochter des Trainers, Valerie King. Auch sie hatte nichts gegen ein wenig Augenschmaus einzuwenden und musterte ihn vollkommen unverfroren.
Aber sie war wie eine kleine Schwester für ihn. Ganz zu schweigen davon, dass Griff – sein Trainer – ihn wahrscheinlich ermorden und unter dem heiligen Rasen des Henley Stadions verscharren würde, wenn er wüsste, dass sie hier war.
»Ich bin ja so froh, dass du zu Hause bist.«
Normalerweise waren Vals auffälliges rotes Haar und das süße sommersprossige Gesicht das Erste, das ihm ins Gesicht stach, wenn er sie sah. Aber heute war es das, was neben ihr stand: die gewaltigste Deutsche Dogge, die er in seinem Leben gesehen hatte. Sie war weiß mit schwarzen Flecken – als hätte sich ein Dalmatiner mit einem Clydesdale gepaart –, und ihre aufgestellten Ohren reichten Val fast bis zu den Schultern. Ihr Blick verriet ihm, dass sie ein Problem hatte und dass er die Lösung war. Oh Mann, er hoffte, dass es nichts mit der übernatürlichen Kreatur an ihrer Seite zu tun hatte.
Er kniff die Augen zusammen. »Okay?«
Sie setzte eine Unschuldsmiene auf und blickte ihn mit großen Augen an, ließ es jedoch bleiben, als ihr klar wurde, dass es nicht funktionierte. »Macht dir deine Achillessehne wieder zu schaffen?« Sie deutete mit dem Kinn auf den Beutel gefrorener Erbsen, die er um seinen rechten Unterschenkel gebunden hatte.
»Kein Problem.« Er ging nicht auf das Ablenkungsmanöver ein. Er musste sie dazu bringen, die Karten offen auf den Tisch zu legen, wenn er nicht gleich drüber gezogen werden wollte. »Ich wusste gar nicht, dass du ein Haustier hast, Val?«
Ihr nervöses Lachen bestätigte seinen Verdacht. »Tiny gehört nicht mir.«
Ryder blinzelte. Tiny. Winzig. Da hatte jemand eindeutig Sinn für Humor bewiesen.
»Er gehört einer Kollegin. Sie ist für zwei Monate nach Übersee gegangen, und ich habe mich bereit erklärt, als Welpensitterin zu fungieren.«
Ryder blinzelte abermals und begutachtete das Tier. Die große rosa Zunge baumelte ihm aus dem Maul. »Welpe?«
»Ja, ich weiß.« Noch ein nervöses Lachen. »Sie hat vergessen zu erwähnen, dass Tiny ein ziemlich … großer Welpe ist.«
Ryder bezweifelte, dass Tiny jemals ein Welpe gewesen war. »Und der Grund, warum ihr beide auf meiner Türschwelle steht, ist?«
»Ich habe mich gefragt, … ich habe gehofft …«
»Nein«, unterbrach Ryder sie mit einem energischen Kopfschütteln. Wenn dies gestern passiert wäre – am 1. April –, hätte Ryder einen Streich vermutet. Dass seine Mitspieler ihn verarschen wollten. Aber es war kein Streich. »Auf gar keinen Fall.«
»Aber du magst Hunde.«
»Das da«, er zeigte auf das Tier, »ist kein Hund.« Tiny bewegte den Kopf von einer Seite zur anderen, als verstünde er jedes Wort. »Das da ist ein Pferd.«
»Du magst auch Pferde.«
»Ich lebe in einer Wohnung.«
»Bitte, Ryder.«
Er hasste es, wenn Frauen diesen Tonfall anstimmten. Er appellierte an seine gute Erziehung als Junge vom Land. Und sie wusste es.
»Meine Mitbewohnerin ist ausgeflippt, und du hast immer gesagt, wie sehr du einen Hund vermisst, seit du die Farm verlassen hast. Es ist eine Win-Win-Situation.«
»Ich lebe in einer Wohnung«, wiederholte er. Zwar in einer ziemlich großen Wohnung, aber trotzdem … Tiny sah aus, als könne er mit einem einzigen Satz über den vierstöckigen Wohnblock hinwegspringen.
»Weißt du, es stimmt nicht, dass Doggen viel Platz brauchen, sie sind genauso zufrieden damit, drinnen zu bleiben.«
Er stemmte die Hände in die Hüften. »Ist das so?«
»Ich habe es gegoogelt.«
Ryder sagte nichts, sondern starrte sie nur an und wartete darauf, dass sie das Nie-im-Leben in seinem Gesicht las.
»Er ist absolut stubenrein«, fuhr sie hastig fort, »solange du ein paarmal am Tag mit ihm Gassi gehen kannst. Du weißt schon, vor und nach dem Training und vor dem Schlafengehen. Betrachte es als zusätzliche Fitnessübungen. Biiitte.«
»Hast du sonst niemanden, dem du ihn geben kannst?«
»Niemand will oder braucht einen Hund so sehr wie du. Und habe ich erwähnt, wie sehr Mädchen auf Männer mit Hunden stehen? Geh mit Tiny spazieren, und sie werden in Scharen kommen.«
»Val …« Ryder fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. »Ich spiele in einer der Top-Rugby-Mannschaften des Landes. Ich bin im Fernsehen. Und auf Plakaten. In Unterwäsche. Ich habe kein Problem mit Mädchen.«
Das war eine Untertreibung, aber er prahlte nicht gern.
»Klar, aber diese Mädchen sind die richtigen, nicht solche, die dich nur wegen deines Körpers wollen.«
Ryder stieß ein leises Lachen aus. »Pass auf, Val, ich mag diese Mädchen. Sie sind genau mein Typ.«
»Ryder.« Sie schnalzte mit der Zunge. »Du hast mir erzählt, dass deine Mutter Enkelkinder will.«
»Meine Mutter will auch, dass George Clooney auf der Farm einzieht, aber das wird niemals passieren.«
Sie runzelte kurz die Stirn. »Okay …« Ihre Miene hellte sich auf. »Wie wäre es damit? Wenn du ihn nur für ein paar Tage nimmst, bis ich jemand anderen finde? Bitte. Er ist wirklich sehr lieb und wohlerzogen. Sieh nur.« Sie drehte sich zu dem Tier und sagte: »Sitz, Tiny.«
Tiny setzte sich und sah Ryder an, als könne er kein Wässerchen trüben, während Val den Hund mit »Braver Junge« lobte und seinen großen bulligen Kopf streichelte.
»Bitte?«, flehte sie. »Für mich?«
Ryder seufzte und spürte, wie er schwach wurde. Er rieb sich die Stirn. »Gott verdammt noch mal, Val.«
»Ja.« Sie grinste und vollführte ein komisches kleines Tänzchen, dann warf sie sich ihm an die Brust. »Danke, danke!« Sie hauchte ihm ein schnelles Küsschen auf die Wange und drückte ihm die Leine in die Hand. »Ich gehe nur schnell seine Sachen holen.«
Tiny stand auf und schaute über seine Schulter zu Val hinüber, die zum Aufzug huschte. Dann drehte er sich wieder zu Ryder um und bellte.
»Sitz.«
Tiny blinzelte und blieb stehen.
»So wird es also sein, hm?«
Er bellte abermals.
»Ja«, seufzte Ryder. »Natürlich wird es so sein.«
Ryder brauchte zwei Stunden, um restlos zu begreifen, dass er in den neunten Kreis der Hölle eingetreten war. Oder vielmehr hineingezerrt worden war, während Tiny an der Leine zog und heftiger wütete als jeder Tornado am Meeresufer.
Kleine Kinder sahen das gewaltige Tier herangaloppieren und rannten schreiend zu ihren Müttern. Tiny dachte, dass das ein Spiel war, raste vom Strand weg, um sie auf die Wiesen zu jagen, und bellte sie aufgeregt an – sie oder die unzähligen Möwen, die darauf lauerten, ein paar heiße Pommes frites zu ergattern.
Ryder hatte es für vernünftig erachtet, mit dem Tier einen Spaziergang zu machen. Damit Tiny die Gegend kennenlernte und die Stellen, an denen er pinkeln konnte. Aber er hatte nicht mit der gespaltenen Persönlichkeit des Hundes gerechnet. Der friedfertige, wohlerzogene Welpe von Val hatte sich schnell in eine wilde, boshafte Teufelsbrut mit einer Vorliebe für Zimmerpflanzen und das Annagen von Stuhlbeinen verwandelt.
»Tiny!« Ryder verfluchte Valerie zum hundertsten Mal, während Tiny erneut an der Leine zerrte und ihn hinter sich herzog. Sein Cowboyhut drohte, ihm vom Kopf zu fliegen.
Genauso abrupt und ebenfalls zum hundertsten Mal blieb Tiny stehen, um zu pinkeln. Der Hund hatte an jeden Busch, jeden Autoreifen und jeden Grashalm gepinkelt, ganz zu schweigen von jeder einzelnen der riesigen Norfolk-Kiefern, die das Ufer säumten. Wie ein verdammter Qualitätsprüfer hatte er Ryder um die mächtigen Baumstämme gezerrt, bis er genau die richtige Stelle gefunden hatte, um das Bein zu heben.
Er wusste, dass Hunde gern ihr Territorium markierten, aber das hier war der Wahnsinn. Zufrieden mit einem schnellen Spritzer lief er weiter, bevor Ryder auch nur die geringste Kontrolle ausüben konnte. Ein Kind, das auf einem Spielplatz einen rutschigen Abhang hinunterpurzelte, kreischte aufgeregt, und Tiny stellte die Ohren auf.
»O nein, das tust du nicht.«
Aber es war zu spät. Tiny zerrte ihn in Richtung Spielplatz und zu einer Gruppe von Kleinkindern. Sie schrien vor Angst, als sie Tiny auf sich zukommen sahen. Nicht dass Ryder ihnen das verübeln konnte. Tiny war nicht aggressiv, nur energiegeladen. Und schlecht erzogen.
Ryder wusste, dass der Hund mit den Kindern nur spielen wollte, vielleicht auch ihr Gesicht ablecken, aber für die Kleinen sah Tiny einfach furchteinflößend aus.
Es gelang Ryder, Tiny so weit zu zügeln, dass die Kleinkinder nicht reihenweise wie Kegel umfielen, und er entschuldigte sich überschwänglich bei den finster dreinblickenden Müttern, während der Hund ihn zu der spannenden Sache weiterschleppte.
Seine Achillessehne tat höllisch weh, seine Schulter war praktisch ausgerenkt, und Frauen musterten ihn finster. Frauen musterten Ryder Davis niemals finster.
Ryders Mangel an Kontrolle über Tiny war noch lächerlicher, wenn man bedachte, dass er inmitten von Hunden auf einer Viehfarm aufgewachsen war. Es waren gute Arbeitshunde, die den ganzen Tag umherliefen und bei harter Plackerei aufblühten. Er hatte ungefähr ein Dutzend selbst ausgebildet, seine Befehle zu befolgen, jedem Kommando durch eine Reihe scharfer, schneller Pfiffe zu gehorchen.
Tiny reagierte nicht auf Pfiffe.
Tiny war besessen.
Die Leute aus seiner Heimat würden sich mit Sicherheit vor Lachen in die Hosen pinkeln, wenn sie ihn jetzt sehen könnten. Sie würden spotten, dass ihn das Posen in Unterwäsche für Reklametafeln verweichlicht habe.
Wie es Ryder gelang, wieder mit dem Hund in die Wohnung zurückzukehren, wusste er nicht. Er war nur froh, die Spur der Zerstörung hinter sich zu lassen, bevor jemand die Cops rief. Oder bevor ihn ein zorniger Haufen Mütter mit Mistgabeln verfolgte.
Ryder war noch nie im Leben so glücklich darüber gewesen, wieder bei seiner Wohnung zu sein. Er fischte den Schlüssel aus der Tasche und überlegte, was zur Hölle er mit einem außer Rand und Band geratenen Pferdehund machen sollte, als ihm einfiel, dass einige Häuserblocks entfernt ein Tierheim war.
Vielleicht bekam er dort Ratschläge oder eine Empfehlung für ein Heim für widerspenstige Hunde. Womöglich hatten sie auch ein paar verdammt gute Beruhigungspillen für Hunde auf Lager. Im Moment würde er alles nehmen.
Tiny rannte auf Ryders Drängen hin begeistert los, sehr zum Verdruss der Leute auf dem Gehsteig. Er galoppierte über das Pflaster wie ein betrunkenes Rennpferd und machte zu jedem einen Schlenker, der ihm in die Quere kam.
Dadurch liefen sie am Eingang des Tierheims vorbei, und es kostete einige Anstrengung, den Hund zur Umkehr zu bewegen. Noch schwieriger war es, ihn dazu zu bringen, sich von seinem Hintern zu erheben, nachdem er sich stur vor dem Eingang hingesetzt hatte und das Schild über seinem Kopf betrachtete – Tierrettungsstation Coogee –, als könne er das verdammte Ding lesen.
Unter dem Schild waren Dienstleistungen aufgelistet. Adoption, Gesundheitschecks, Mikrochippen, Gassi gehen, Striegeln, Kastrieren beziehungsweise Sterilisieren und, zu seiner großen Erleichterung, eine Hundeschule.
Perfekt.
Ryder zog an der Leine, aber der Hund krallte die Pfoten in den Boden und bewegte sich keinen Millimeter.
»Was?«, fragte Ryder genervt.
Tiny sah Ryder an, dann wieder das Schild, dann wieder Ryder. Jesus. Der Hund konnte partout nicht in einer geraden Linie gehen, aber er konnte lesen?
»Ich lasse dich nicht hier zurück.« Er zwang ein beruhigendes Lächeln auf sein Gesicht, aber der Hund wirkte nicht überzeugt. »Im Ernst. Ich werde mich nur nach der Hundeschule erkundigen.«
Ryder zog an der Leine. Tiny leistete Widerstand und starrte weiter mit trübseliger Miene das Schild an.
Er seufzte. »Ich werde dir nicht die Eier abhacken lassen, wenn es das ist, was dir Sorgen macht.«
Tiny blinzelte und bewegte sich nicht.
»Mann.« Ryder legte sich eine Faust aufs Herz. »Solidarität.«
Tiny, der damit anscheinend zufrieden war, erhob sich und sprang in das Tierheim. Ryder zerrte er hinter sich her. Sie kamen beide schlitternd vor dem Tresen zum Stehen, als Tinys Pfoten auf dem polierten Zementboden wegrutschten.
Im Innern des Gebäudes war es heiß, man hörte fernes Gebell und roch den Duft von nassem Hund. Hinter dem Tresen war niemand, aber irgendwo links von ihm erklang ein gehetztes »Ich bin gleich da«.
Ryder hielt Ausschau nach der Quelle der Stimme. Sie gehörte einer Frau, die vor einer Reihe von Waschbecken stand und sich einer flauschigen Promenadenmischung widmete. Die Vorderpfoten des Tieres lagen auf dem Rand des Waschbeckens und waren voller Seifenschaum. Der Hund kläffte sie an, und Ryder wartete angespannt auf irgendwelchen Macho-Bullshit von Tiny, aber der Riesenhund starrte den Minihund nur mit heraushängender Zunge an.
»Scht, Bessie.« Die Frau ließ Wasser aus dem ausziehbaren Duschkopf über ihre eingeseiften Arme strömen und schüttelte sie schnell. »Du bleibst hier, Fräuleinchen«, sagte sie zu dem Hund, bevor sie sich umdrehte, um sich um Ryder zu kümmern.
»Oh.« Sie sah ihn kurz mit großen blauen Augen an, während sie sich die Hände an einer Schürze abwischte.
Hatte sie ihn erkannt? Oder gefiel ihr einfach, was sie sah?
Der Gedanke verflog rasch, als Ryder ihr nasses dunkelblaues T-Shirt bemerkte, das von einem riesigen Pfotenabdruck genau in der Mitte ihres Oberkörpers beherrscht wurde. Und was für ein hübscher Oberkörper es war. Der nasse Stoff klebte an ihren großen Brüsten, die von dem V-Ausschnitt verlockend zur Schau gestellt wurden.
Ryder liebte Busen fast so sehr, wie er Rugby liebte. Große Busen, kleine Busen und alle Größen und Formen dazwischen.
Ihr Gesicht war gerötet, und Dutzende Strähnen ihres langen, von der Sonne gebleichten Haares hatten sich aus einer Art hochgestecktem Pferdeschwanz gelöst. Sie klebten ihr im Gesicht, an der Stirn und am Hals, und sie hatte einen Klecks Seifenschaum an der Wange. Sie wischte sich mit dem Handrücken die Strähnen und die Seifenbläschen weg und kam auf ihn zu.
Ihre Schürze hing ihr halb über die gebräunten Beine, aber Ryder konnte genug von ihnen sehen, um zu wissen, dass er mehr sehen wollte. Tinys Schwanz wedelte über den Boden, als stimme er ihm zu. Zum ersten Mal, seit er das lächerliche Tier zu Gesicht bekommen hatte, entspannte sich Ryder.
Danke, Universum.
»Kann ich Ihnen helfen?«
»Ich hoffe es.« Er schenkte ihr sein berühmtes Landjungenlächeln und schaute auf ihr Namensschild, das über der Wölbung ihrer linken Brust prangte. »Juliet.«
Juliet Morgan.
Aus der Nähe betrachtet war sie noch zauberhafter. Ein schwarzer Ring um das Lapislazuliblau ihrer Iris brachte die dunklen Wimpern vorteilhaft zur Geltung. Sie hatte eine niedliche Stupsnase, und ihr Mund war perfekt geschwungen. Sie war der Prototyp des Mädchens von nebenan. Von der Sonne gebräunt, strahlend und gesund. Sein Blick flackerte zu ihrer linken Hand. Keine Ringe. Tatsächlich trug sie überhaupt keine Ringe.
»Die Freundin einer Freundin hat mir für zwei Monate diesen großen Köter aufgehalst, und er hat ein paar … Benimmprobleme, die ich auf der Stelle in den Griff kriegen muss.«
»Wirklich?« Ihr Blick wanderte zu Tiny, der mit dem Schwanz wedelte und vollkommen engelsgleich wirkte. Ryder hätte schwören können, dass der verdammte Köter lächelte. »Sieh dich nur an, du zauberhafter Junge«, gurrte sie, öffnete eine Luke am Tresen, hob sie hoch und duckte sich hindurch, um sich auf der anderen Seite zu ihnen zu gesellen.
Tiny wedelte noch heftiger mit dem Schwanz, als Juliet auf ihn zukam, eine Hand zu einer freundlichen Begrüßung ausgestreckt. Tiny, dessen Kopf bis zu ihren Brüsten ragte, nutzte die Situation voll aus und stupste ihr mitten ins Dekolleté, während die Frau die Hände an beiden Seiten seines Gesichtes entlanggleiten ließ und zärtliche Laute von sich gab. »Du bist entzückend, nicht wahr?«
Tiny leckte, leckte ihr Dekolleté ab und grinste dann verschlagen in Ryders Richtung. Wenn der Hund Augenbrauen gehabt hätte, hätte er eine davon jetzt arrogant hochgezogen. Das verdammte Tier war geschickter als er.
»Sind Sie sich sicher?« Sie beugte sich vor, um Tiny zwischen die Augen zu küssen und seine Schnauze noch tiefer in den wohlgepolsterten Himmel zwischen ihren Brüsten zu schieben. »Er kommt mir sehr friedfertig vor.«
Tiny schauderte wohlig und wirbelte seinen Schwanz über den Boden.
»Glauben Sie mir. Er ist der Teufel.«
»Oh, das kann ich mir nicht vorstellen«, sagte sie zu Tiny, ihre Stimme hell und neckend, ihre Lippen zu einem niedlichen kleinen Schmollmund verzogen. »Sehen Sie sich nur an, wie süß und wohlerzogen er ist. Braver Junge.« Sie küsste ihn abermals. »Braver Junge.«
Ryder wäre auch süß und wohlerzogen gewesen, wenn Juliet ihn einen braven Jungen genannt und seinen Kopf zwischen ihren Brüsten gewiegt hätte. Zur Hölle, er würde sich auf den Rücken rollen und sich tot stellen, wenn sie wollte.
»Du bist Wachs in meinen Händen, nicht wahr, Großer?«
Ryder fragte sich, wie bescheuert es auf einer Skala von eins bis zehn war, von einer Frau angetörnt zu werden, die sich mit einem Hund in Babysprache unterhielt. »Er verstellt sich.«
Genauso war Tiny bei Valerie gewesen. Tiny flirtete offensichtlich gern. Ein kompletter Bluthund!
»O nein.« Ihr gespieltes Luftschnappen galt Tiny. »Ist das wahr?«
Tiny jaulte und zitterte und schaffte es irgendwie, zutiefst beleidigt auszusehen, dass man seine Integrität infrage stellte.
»Das denke ich nicht.« Sie zupfte an seinen Ohren, bevor sie wieder aufstand und sagte: »Platz.«
Tiny ließ sich anmutig zu Boden sinken, die Vorderbeine von sich gestreckt, den Kopf schräg gelegt, die Augen aufgestellt, als lebe er nur dafür, ihre Wünsche zu erfüllen. Ryder verdrehte die Augen.
Sie hob den Blick und zog eine Braue hoch. »Nun … Hundeschulkurse können auch für unerfahrene Halter hilfreich sein.« Juliet ließ keinen Zweifel daran, wen sie für das Problemkind in der Beziehung hielt. »Wie alt ist er?«
»Knapp über zwölf Monate, wie es scheint.«
»Oh, er ist ein Welpe!«
Sie kraulte Tiny mit dem Fuß direkt hinter seinem Ohr, und er ließ sich komplett auf den Beton fallen, während sein Hinterbein vor Wonne zuckte.
»Oh, das magst du, nicht wahr, Großer?« Juliet kraulte ihn noch intensiver. Sein Hinterbein kreiste, als sie seinen Bauch erreichte. Ryders Bein gab vor Mitgefühl beinahe nach.
Schließlich richtete Juliet die Aufmerksamkeit wieder auf Ryder. »Was Sie brauchen, ist eine Welpenvorschule.«
Was Ryder brauchte, war eine kalte Dusche. »Ich habe eigentlich mehr an so etwas wie einen Exorzisten gedacht?«
Sie lachte kraftvoll und vollmundig, und für einen verrückten Moment schien sich der Boden unter Ryders Füßen zu bewegen. »Nun, lassen Sie uns mit den Grundlagen anfangen, bevor wir es mit einer der dunklen Künste versuchen, hm? Sie haben Glück, morgen Abend fängt in dem leinenfreien Park auf der Landzunge ein neuer Kurs an.«
Dienstags ging er zum Dollywood-Abend im Cock and Bull. Jede Woche. Es gab Karaoke, ebenso wie einen mechanischen Bullen, beides Dinge, zu denen er immer Lust hatte. Und eine Travestieshow.
Eine Menge Leute aus seiner Heimatstadt hätten das vielleicht nicht gutgeheißen, aber das war Ryder scheißegal. Es war immer ein toller Abend, und er hatte keine Probleme, einer der wenigen Heteromänner in einem Club voller Frauen zu sein, die größtenteils auch hetero waren. Aber er brauchte nicht lange darüber nachzudenken, es sausen zu lassen.
Juliet hob den Fuß, marschierte zurück hinter die Theke und schloss die Klappe hinter sich. Tiny hob den Kopf, manövrierte sich unbeholfen in eine sitzende Position und richtete einen anklagenden Blick auf Ryder, als hätte er Tiny von seinem Dealer getrennt.
»Ich brauche noch ein paar Informationen«, sagte sie zu Ryder. Und nachdem er ihr die Angaben machte, tippte sie sie in den Computer ein.
Er fand es herrlich, dass sie wirklich nicht zu wissen schien, wer er war. Er war in der Vergangenheit mit Frauen ausgegangen, die sich mehr für das Spiel und seinen Status interessierten und dafür, jemand Berühmten herumzukriegen, als für das, was er zu bieten hatte.
Er machte ihnen keinen Vorwurf daraus. Zur Hölle, er hatte mehr als willig mitgemacht, diese Fantasien zu erfüllen. Aber ab und zu war es schön, mit einer Frau auszugehen, die über das Rugby-Trikot hinaus sah. Und er hatte definitiv vor, sich mit Juliet zu verabreden.
Sie rasselte die Daten des Kurses herunter – sechs Wochen lang ein Abend die Wochen. Ryder war bereit, zuzustimmen, auch wenn er Tiny nur vorübergehend hatte, vor allem als sie ihm erzählte, dass sie selbst den Kurs leitete.
Der kleine Hund in der Wanne hinter ihr jaulte, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Ryder konnte es ihm nicht verübeln.
»Okay, ich muss mich wieder um Bessie kümmern.« Sie spießte den Stift, den sie benutzt hatte, durch ihren verrutschten, halb zerzausten Dutt am Hinterkopf und überreichte ihm einen Flyer mit der Ortsangabe und anderen Details.
Ryder nahm ihn entgegen und begriff mit Verspätung, dass er wieder nach draußen gehen musste, zusammen mit einem außer Rand und Band geratenen Hund, der die Gesellschaft von Frauen bevorzugte.
»Kopf hoch.« Ihr Grinsen unterbrach seine Beklemmung. »Es könnte schlimmer sein.«
Ryder war sich nicht sicher, wie um alles in der Welt es noch schlimmer sein könnte. »Ach ja? Wie denn?«
»Er hätte eine dieser Deutschen Doggen sein können, die sabbern.«
Ryder sah Tiny an, dem ein dünner Speichelfaden aus dem Mundwinkel hing und auf den Boden tropfte. Wunderbar.
»Ich sehe Sie dann morgen Abend?«
Ryder lächelte. »Wir werden da sein.«
Sie erwiderte sein Lächeln mit einem Funkeln in den Augen, das entschieden nicht zu dem Mädchen von nebenan passte.
Der Dienstag konnte nicht schnell genug kommen.
Juliet starrte dem hochgewachsenen Cowboy mit den tiefbraunen Augen nach. Seit sieben Monaten hatte sie den Männern abgeschworen, fest entschlossen, sich nicht von ihrem Ziel abbringen zu lassen. In zwei Monaten würde sie nach Italien reisen. Ihre Flugtickets waren gebucht, und diesmal würde sie nichts aufhalten.
Definitiv kein Mann.
Aber sieben Monate waren eine lange Zeit für jemanden, der Sex so sehr mochte wie Juliet. Wegen der Krankheit ihrer Mutter war sie vielleicht eine Spätzünderin gewesen, aber sie hatte schnell aufgeholt und war definitiv überfällig für eine kleine Orgie.
Sie schüttelte den Kopf, um eine Flut unangemessener fleischlicher Gedanken zu stoppen. Hör auf damit. Männer wie Ryder Davis – Gott, sein bloßer Name machte sie geil – besuchten keine Hundeschule. Sie hatte genug Kurse geleitet, seit sie im Tierheim angefangen hatte, um zu wissen, dass die einzigen Männer, die die Welpenschule besuchten, entweder abgehetzte Väter waren oder verheiratete Männer mittleren Alters. Oder sie waren schwul. Ryder mochte im Moment verzweifelt sein, aber mit ihren fünfundzwanzig Jahren wusste sie mittlerweile, dass was Männer sagten und was sie taten, oft zwei sehr verschiedene Dinge waren. Diese Lektion hatte sie auf die harte Tour gelernt.
Klar, er schien sich für sie zu interessieren. Aber sie hätte ihr One-Way-Ticket nach Rom darauf verwettet, dass »interessiert« Ryder Davis’ dauerhafter Gemütszustand war. Er würde nicht auftauchen. Er würde wahrscheinlich ein besseres Angebot bekommen und beschließen, dass ein widerspenstiger Hund ein kleiner Preis für ein hübsches Gesicht war. Es war nicht so, als fehlte es in dem Viertel an ledigen sonnengebleichten Blondinen. Oder dass sie während ihres selbst auferlegten Zölibats Männer mit Stöcken abgewehrt hatte.
Er würde nicht auftauchen.
Sie musste sich die Möglichkeit auf der Stelle aus dem Kopf schlagen. Sie hatte immer unglaubliches Pech gehabt, warum also sollte sich daran jetzt etwas ändern. Aber eine kleine Stimme ließ nicht locker. Was, wenn er doch auftauchte?
Vielleicht war es ein Zeichen des Universums? Und sie hatte absolut keine Lust, es sich mit dem Universum zu verderben …