Impressum
Ulisses Spiele
Band US25722
Titelbild: Dagmara Matuszak
Aventurien-Karte: Daniel Jödemann
Redaktion: Nikolai Hoch
Lektorat: Frauke Forster
Korrektorat: Claudia Waller
Umschlaggestaltung und Illustrationen:
Nadine Schäkel, Patrick Soeder
Layout und Satz: Nadine Hoffmann, Michael Mingers
Administration: Carsten Moos, Sven Paff, Marlies Plötz
Marketing: Jens Ballerstädt, Philipp Jerulank, Derya Öcalan, Sebastian Wyrwall Verlag: Zoe Adamietz, Mirko Bader, Steffen Brand, Kai Großkordt, Johannes Kaub, Arne Frederic Kunz, Matthias Lück, Thomas Michalski, Jasmin Neitzel, Markus Plötz, Maik Schmidt, Ulrich-Alexander Schmidt, Alexander Spohr
Verlag USA: Bill Bridges, Timothy Brown, Darrell Hayhurst,
Ross Watson Vertrieb: Luca Giuliano, Jan Hulverscheidt,
Stefanie Peuser, Sven Schlimgen, Thomas Schwertfeger,
Saskia Steltner, Stefan Tannert
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Daniel Jödemann
Blutsbande
Das Blut der Castesier V
Ein Roman in der Welt von
Das Schwarze Auge©
Originalausgabe
Mit Dank an
Mareike Aurora und Thomas Ritzinger
Was bisher geschah
»Verstricke dich in deinen letzten Momenten nicht in Lügen! Er existiert nicht, habe ich recht?«
»Oh doch, das tut er. Er schaut auf diese Stadt herab und schiebt die Mächtigen Bosparans umher wie Spielfiguren. Du bist ebenfalls eine davon, schon seitdem du die Metropole betreten hast. Und es erfüllt mich mit einem gewissen Bedauern, dass sein Angesicht eines nicht zu fernen Tages das Letzte sein wird, was du jemals erblicken wirst.«
»Warum sollte er mich aus dem Weg schaffen wollen?«
»Weil du ihm einmal zu oft das Geschäft verdorben hast. Weil du einen Schritt zu weit gehst, wenn du einen Vicarius der Fünf Banden Bosparans verschwinden lässt. Der Procurator denkt wie ein meisterhafter, ungemein pragmatischer Stratege. Ein Feldherr, der Kohorten ohne mit der Wimper zu zucken in den sicheren Tod schickt. Ein Handelsherr, der bedenkenlos seine Konkurrenten ruiniert. Ihn beschäftigen nur Gewinn und Verlust, allein die Abrechnung zählt. Überwiegt der Verlust, verliert er bei den Wettgeschäften, verliert er einen Mittelsmann, dann trachtet er danach, das wieder auszugleichen. Es gibt immer noch einen Ausweg aus deiner Misere: Finde ihn zuerst, ehe er deiner habhaft wird! Ich sammle seit zwei Jahren alles über ihn, was es nur herauszufinden gibt. Alle Fakten. Alle Gerüchte. Alle Verbindungen und Mittelsmänner. Alles, was ich über die Praefecten der übrigen Banden Bosparans herausgefunden habe. Binnen dreier Monate hätte ich die Spinne im Zentrum des Netzes gefunden und beseitigt. Ich hätte die Porta Sacra aufgespürt und den Platz des Procurators eingenommen.«
— Tacitus Puninius und Valerius Castesius,
am 4. Tag ohne Namen im Jahre XVII Yarum
Band I: Blutnacht
Nur kurze Zeit nachdem Yarum-Horas den Thron des Bosparanischen Reiches errungen hatte, ordnet er den Tod mehrerer einflussreicher Comites an, dem auch die Familie der Castesier zum Opfer fällt. Drei Kinder entkommen in der Blutnacht dem Massaker: Livia, die unter dem Namen Lucia Arponia von einer Comes als ihre Erbin großgezogen wird, Valerius, der auf der Straße aufwächst, und seine Zwillingsschwester Sabella, die von dem Magier und Nekromanten Andronicus aufgefunden und ausgebildet wird.
Vierzehn Jahre später tritt Lucia Arponia in die Legion ein und schließt sich dem Feldzug von Cassus Bosparanius an, einem Sohn des Horas, der seine Truppen nach Süden führt, um sich mit Eroberungen als Erbe für den Adlerthron zu empfehlen. Dank Cassus steigt Lucia zur Centuria auf und lässt sich zudem auf eine Affäre mit Tribun Flavius Aedinius ein. Sie ernennt den Veteranen Rufus Pulcher zu ihrem Stellvertreter.
Valerius schlägt sich in Puninum mit Diebstählen und Einbrüchen durch und arbeitet für den Nandurios-Priester Tacitus, der ihm bisweilen Aufträge vermittelt. Zwei Banden strecken in dieser Zeit ihre Hand nach Puninum aus: Die tulamidischen Mussadin unter ihrem Anführer Abu’Keshal, und die Fünf Banden Bosparans, die von dem rätselhaften Procurator kontrolliert werden. Valerius beginnt zu dieser Zeit eine Liebschaft mit der abenteuerlustigen Patriziertochter Ariana Lusia.
Sabella folgt nach Jahren in der Provinz ihrem Meister Andronicus an die Akademie von Puninum. Obwohl sie das nötige Alter erreicht hat, weigert sich ihr Lehrmeister, sie zur Prüfung zuzulassen und aus seinen Diensten zu entlassen. Eines Nachts führt Andronicus eine Beschwörung durch, bei der eine mysteriöse körperlose Dämonin – der Geflügelte Schatten – auf Sabella aufmerksam wird.
Band II: Schwarze Schwingen
Eines Nachts wird Cassus von Wudu aus dem Feldlager entführt. Flavius, der das Geheimnis ihrer Herkunft kennt, erpresst Lucia und befiehlt ihr, den Sohn des Horas zu retten.
Lucia, Rufus und ihre Legionäre verfolgen die Entführer bis zum Dorf der Wudu. Diese wollen Cassus ihrem finsteren Todesgott opfern, Cassus’ Leibmagierin vermag den Strategus allerdings zu retten. Dabei erscheint die Dämonin mit den Schwarzen Schwingen, der Geflügelte Schatten, den Andronicus in diese Welt rief.
Lucia, Rufus und Cassus gelingt die Flucht ins Feldlager. Dort lässt Flavius sie verhaften, um die Vorgänge zu vertuschen. Lucia bemerkt Veränderungen an Cassus und ahnt, dass die Dämonin ihn immer noch beeinflusst.
Flavius will Lucia und Rufus aus dem Weg schaffen, doch den beiden gelingt die Flucht. Dabei opfert sich Rufus für Lucia. Kurz darauf wird die dem Tode nahe Lucia von Sklavenjägern aufgefunden.
Valerius findet derweil eines Nachts Ariana von den Mussadin ermordet auf – vorgeblich als Rache dafür, dass sich Arianas Vater mit den Fünf Banden Bosparans einließ. Valerius brennt auf Vergeltung. Dank Tacitus wird er zu Abu’Keshal vorgelassen und tötet die Anführerin der Mussadin. Dabei erkennt Valerius, dass Umbra vor vierzehn Jahren bei der Flucht aus Bosparan ums Leben kam und seitdem nur noch in seiner Vorstellung existiert. Er kommt ebenfalls dahinter, dass Tacitus von Beginn an für den Procurator gearbeitet und Valerius manipuliert hat, um Abu’Keshal auszuschalten. Er ließ auch Ariana ermorden.
Valerius folgt Tacitus nach Bosparan. Unterwegs wird ihm bewusst, dass ihm nicht nur Umbra erscheint: Er sieht auch die verstorbene Ariana und ein kleines Mädchen mit dunklen Haaren.
Sabella erkennt, dass Andronicus den Geflügelten Schatten, die geheimnisvolle Dämonin, wiederholt beschworen hat und Sabella die Erinnerungen an diese Beschwörungen nahm. Sie kann einige dieser Erinnerungen wiederherstellen und entsinnt sich so auch wieder, dass sie einst einen Zwillingsbruder hatte.
Sabella entschließt sich, ihren Lehrmeister zu töten. Andronicus offenbart ihr dabei, dass Sabella schon als Kind eine dunkle Seite in sich trug. Sabella reist nach Bosparan, um dort endlich ihre Prüfung zur Magierin abzulegen.
Band III: Stadt der hundert Türme
Lucia wird von dem Lanisto Darius Macrinus erworben, dem Besitzer eines Ludus, einer Gladiatorenschule. Sie soll dort für Auftritte in der Arena von Belenas ausgebildet werden. Darius’ Ludus hat jedoch schon bessere Zeiten gesehen, zudem fehlt dem Lanisto ein Erbe, der in seine Fußstapfen tritt.
Lucia bewährt sich in einem ersten Kampf, legt den Eid der Gladiatoren ab und erhält den Arenanamen Furia. Zugleich beginnt Lucia, Gefühle für die Lustsklavin Calera zu entwickeln. Lucia macht sich durch ihren raschen Aufstieg bei den übrigen Gladiatoren und beim Primus des Ludus, dem Hjaldinger Rekker, unbeliebt.
Auch dank der Erfolge von Lucia geht es mit dem Ludus wieder aufwärts. Darius vermählt sich nun mit Felicita Semesia, der Tochter des einstigen Feldherren Rhesus Semesius Magnus, und bringt die Patriziertochter nach Belenas.
Valerius spürt Tacitus in Bosparan, der Stadt der hundert Türme auf, stellt aber fest, dass er ohne Unterstützung nicht weiterkommt, da Tacitus ständig von Leibwächtern umgeben ist. Er gerät an Rufus, der überlebt hat, aber zu spät in Bosparan eingetroffen ist, um Lucias Familie zu retten. Rufus erklärt sich bereit, Valerius zu unterstützen. Er verhindert ein Attentat der Mussadin auf Valerius, die darauf aus sind, Rache für den Tod Abu’Keshals zu nehmen.
Valerius etabliert sich unter dem Namen Hedonius Mundanus im Bosparaner Buchmachergeschäft, um Tacitus Konkurrenz zu machen. Er erwirbt ein Lupanar als Fassade für sein Unternehmen und richtet sein Augenmerk auf Tacitus’ skrupellose Vollstreckerin Amara, die auch schon Ariana tötete.
Sabella wird am Oktogon, der Magierakademie von Bosparan, vorstellig und weckt das Interesse von Magistra Arcavia Lucerna, der Lehrmeisterin für Nekromantie. Sabella begegnet auch Glaciana, der Cancellaria des Bosparanischen Reiches, Vorsteherin der Magiergilde und Leiterin der Akademie.
Um Sabellas Loyalität zu testen, lässt Arcavia sie in den Katakomben von Bosparan in eine Falle laufen. Dort wird sich Sabella erneut des Dunklen Verlangens bewusst, das in ihr lauert und ihr Drang zu morden wird stärker.
Arcavia plant, Glaciana ihre Ämter abzunehmen und für die Nekromanten des Oktogons die Macht in der Gilde an sich zu reißen. Sabella stimmt widerwillig zu, sie zu unterstützen, um ihre Examinatio nicht aufs Spiel zu setzen.
Sie teilt schließlich einen verstörenden Traum mit Valerius und ahnt, dass ihr Bruder noch lebt. In dem Traum sieht sie auch das kleine Mädchen, das Valerius erscheint und in dem dieser bereits seine vermeintlich verstorbene Schwester erkannt hat.
Band IV: Dunkles Verlangen
Lucia erkennt, dass Darius für den Procurator in Bosparan arbeitet und sich mit gefährlichen Leuten eingelassen hat. Weil sie Darius das Leben rettet, erringt sie den Respekt ihres Dominus und sogar den von Rekker. Lucia lässt sich aber auch auf eine Affäre mit Felicita ein, der Gemahlin ihres Dominus, und entwickelt Gefühle für sie. Felicita ist bestrebt, die verhasste Provinz wieder hinter sich zu lassen und verspricht Lucia, sie bei ihrem Aufstieg zu unterstützen.
Eines Tages erfährt Lucia zu ihrem Schrecken, dass sich Flavius wieder in Belenas aufhält. Calera erklärt sich bereit, ihn auszuhorchen. Auf einer Feier erlebt Lucia heimlich mit, wie Felicita ihren einstigen Verlobten Flavius verführt, nachdem Lucia ihrer Geliebten rät, sich nicht von ihm unterkriegen zu lassen.
Derweil steigt sie in der Arena von Belenas unter dem Gladiatorennamen Furia weiter auf und entwickelt sich zum Liebling der Massen. Lucia erfährt, dass Calera von einem Freier misshandelt wurde und ihr Ende in den Minen fand.
Schließlich sind Lucia und Rekker gezwungen, in der Arena gegeneinander um den Titel des Primus von Belenas zu kämpfen. Während des Kampfes stellt sie fest, dass dieser manipuliert und Rekker vergiftet wurde. Der Hjaldinger stirbt in der Arena und Furia wird zur neuen Prima. Danach kündigt Darius an, dass der Ludus nach Bosparan umziehen wird. Lucia befürchtet nun, dass Felicita bei all dem ihre Hände im Spiel hat.
Sabella macht Valerius ausfindig und erkennt, dass ihr Bruder tatsächlich noch lebt. Sie verzichtet jedoch darauf, ihn von der Verfolgung durch die Mussadin zu bewahren, gibt stattdessen dem Dunklen Verlangen in sich nach und tötet einen weiteren Attentäter. Sie hadert zusehends mit ihrer dunklen Seite, die sie zum Morden antreibt.
Obwohl Sabella ahnt, dass Glaciana sie durchschaut hat, beschließt sie, in Bosparan zu bleiben, da sie ansonsten nie wieder die Gelegenheit erhalten würde, die Examinatio zur Magierin abzulegen.
Nachdem sie die Prüfung erfolgreich bestanden hat, wird sie von Glaciana konfrontiert: Die Cancellaria hat erkannt, dass Sabella von Andronicus – Glacianas einstigem Lehrmeister – ausgebildet wurde und glaubt, dass Sabellas Zauberkünste ihr noch nützlich sein werden. Zudem weiß sie um Sabellas wahre Herkunft.
Valerius und Rufus erfahren, dass zwei Menschen das Massaker an den Arponiern überlebt haben. Dank Blossius, einem Vicarius der Bande der Haldurier, spüren sie die beiden Überlebenden auf: Lucius und seine Amme Rumina, die schon Lucia aufzog und einst den Castesiern diente.
Valerius verfolgt weiter seinen Racheplan und baut dabei Schritt für Schritt eine eigene Bande auf, mit der er den etablierten Fünf Banden von Bosparan Konkurrenz zu machen beginnt. Es wird ein weiteres Attentat durch die Mussadin auf Valerius verübt. Die Attentäterin – Yasemin, die Tochter Abu’Keshals – wird von ihm gefangen genommen.
Schließlich lässt Valerius die Falle für Tacitus zuschnappen. Bevor er den Sacerdos Yasemin und damit den Mussadin ausliefert, beteuert Tacitus, dass der Procurator, der mysteriöse Herrscher der Fünf Banden Bosparans und damit der ganzen Unterwelt der Capitale, wirklich existiert.
Rufus bricht mit Valerius, da er mit dessen Methoden nicht einverstanden ist, und verlässt ihn. Valerius dagegen richtet sein Augenmerk nun auf den Mann, der Tacitus seine Anweisungen gab und Bosparan in Atem hält: den Procurator.
Kapitel 1
Valerius ließ seinen Blick durch den von Kerzen erhellten Raum in Tacitus’ Taverne am Eisenmarkt wandern. Er saß hinter dem Schreibtisch auf Tacitus’ Stuhl, in genau jener Schreibstube, in welcher der Sacerdos noch vor zwei Tagen gearbeitet hatte. Er starrte auf die Tischplatte. Sicherlich hatte der einstige Vicarius der Micatio hier Listen durchgesehen und beurteilt, welche Buchmacher ihm nicht genug Gold einbrachten. Hier hatte er gesessen und Amara den Befehl gegeben, Herma und Adventus zu töten.
»Das mag sein«, unterbrach Umbra seinen Gedankengang, »aber es gibt nun Wichtigeres.«
Valerius schaute auf. Der junge Tulamide lehnte mit vor der Brust verschränkten Armen an der Wand. Sorge lag in seinem ebenmäßigen dunklen Gesicht. Jedes Jahr näherte sich Valerius mehr dem Alter des vor fünfzehn Jahren verstorbenen Hauslehrers an. Nicht mehr lange und er hatte ihn eingeholt.
»Ich wünschte, Rufus wäre hier«, raunte Valerius bitter. »Wir brauchen ihn.«
»Er ist keine zwei Tage fort«, wiegelte Umbra ab. »Er wird sich betrinken, seinen Rausch ausschlafen und dann wieder zurückkehren. Konzentriere dich! Denk nach!«
Valerius seufzte und schaute sich um. Entgegen dem Bild, das die meisten Menschen von einem einflussreichen Vicarius der Micatio haben dürften, schrie alles in dem kleinen Raum nach Bescheidenheit und Zurückhaltung: zwei Bücherregale, eine Liege, ein einfacher Schrein des Nandus mit einer Einhornstatue, vor der eine Kerze brannte. Selbst der Schreibtisch war schlicht und verfügte nicht über Geheimfächer oder andere Verstecke. Sorgfältig gestapelte Pergamente lagen neben perfekt aneinandergereihten Tintenfässchen. Es gab einen Becher für Federkiele, Kistchen für Siegelwachs und Löschsand, eine bronzene Öllampe in Form eines Einhorns und eine mit Asche gefüllte Feuerschale, um Papiere darin zu verbrennen. Daneben stand sogar ein Radikator, ein feinmechanisches kleines Wunderwerk, mit dessen fünf Schaltern sich Zahlen einstellen ließen und das zuverlässig selbst komplizierteste Rechnungen durchführte.
Hier hatte Tacitus lange Monate gesessen, Einnahmen gezählt, über all die Informationen, Nachforschungen und Gerüchte über den Procurator nachgegrübelt und war ihm, wenn man seinen Worten Glauben schenken konnte, bereits sehr nahegekommen. Wenn irgendwo in Bosparan Hinweise auf die Fünf Banden zu finden waren, ihre Praefecten und den Procurator, dann hier.
Die wenigen Schriftstücke, die Tacitus aufgehoben und nicht verbrannt hatte, hatte Valerius als erstes studiert und war enttäuscht worden: Bestandslisten für Wein und Lebensmittel, ein offizieller Bescheid von Curatora Viviana Volentia, die Tacitus die Genehmigung erteilt hatte, seine Taverne auszubauen, sowie lange Listen mit Einnahmen, die zwar nur mit Kürzeln gekennzeichnet waren, bei denen es sich aber eindeutig um eine Aufstellung eingetriebener Schutzgelder handelte.
Durch die schmalen Fenster drangen die Geräusche der Feierlichkeiten auf dem Eisenmarkt gedämpft zu ihm durch. Ein neues Jahr war angebrochen, das Jahr Yarum XVIII, und ganz Bosparan feierte die Sommersonnenwende des ersten Brajanos.
Bruttia trat ein, sie musterte eine kleine Amphore in ihren Händen. »Von Lucretia Melegara, ein hervorragender Tropfen, sehr hochpreisig. Es stehen noch ein paar mehr davon im Lager der Taverne. Stört es dich, wenn wir die mit einpacken?«
Valerius schüttelte gedankenverloren den Kopf.
»Die Familie ist soweit. Willst du mit ihnen reden?«
Valerius nickte. »Nur mit Gabinia und nur kurz. Bring sie herein, ich spreche hier mit ihr.« Besser, er schaute nicht in die Augen von Tacitus’ Kindern. Sie verstanden nicht, was vor sich ging. Besser, er ermöglichte es ihrer Mutter, ihnen später eine Geschichte zu erzählen, die sie für richtig hielt.
Bruttia und Celonia führten Tacitus’ Gemahlin in den Raum. Valerius bemühte sich, ihrem Blick ruhig zu begegnen.
Gabinia war blass, ihr Haar nicht gerichtet und sie starrte ihn aus schreckgeweiteten Augen an. »Du bist es, habe ich recht? Ich kenne dich, aus Puninum.«
Valerius schwieg.
Gabinia trat näher. Ihre Stimme zitterte. »Wo ist mein Gemahl? Wo ist Tacitus? Keiner deiner Leute will meine Fragen beantworten.«
»Tacitus ist nicht mehr unter uns.« Besser, er sagte es geradeheraus und zerstreute ihre Hoffnungen. »Du wirst ihn nicht wiedersehen, Gabinia.«
»Was hat das zu bedeuten?« Ihr Blick wanderte von Valerius zu Bruttia, dann zu Celonia, die sie stumm anblickten. Ihre Stimme bebte. »Du kommst des Nachts in mein Haus, tötest die Wachen, erschreckst meine Kinder. Du befiehlst mir, zu packen, und behauptest, mein Gatte sei verstorben? Hast du ihn getötet?«
»Ich habe dich nicht gerufen, um deine Fragen zu beantworten. Ich ließ dich rufen, um dir die Gelegenheit zu geben, ein neues Leben anzufangen. Für dich und deine Kinder, Gabinia.«
»Ein neues Leben?«, wiederholte Gabinia ungläubig. »Hast du Tacitus getötet?«
»Er kam mir in die Quere und musste dafür zahlen. Aber das tut nichts zur Sache. Nimm deine beiden Söhne und verlasse Bosparan! Ich gestatte dir, genug Silber mitzunehmen, um dir und den Kindern fern von hier ein gutes Leben zu ermöglichen. Nimm eine Kutsche, einige deiner Sklaven, und schau nicht mehr zurück.« Der nächste Teil musste überzeugend sein. »Ich muss dich jedoch warnen: Wenn wir dich oder deine Söhne noch einmal in Bosparan erblicken, oder auch nur im Horasiat, dann zahlen deine Kinder den Preis dafür.«
»Preis?« Tränen rannen Gabinias Wangen herab. »Wovon redest du? Was ist mit Tacitus geschehen?«
Valerius fasste die aufgelöste Frau genau ins Auge. »Gerne möchte ich glauben, dass du rein gar nichts über die Geschäfte deines Mannes wusstest. Gerne möchte ich annehmen, dass dich die nächtlichen Besucher, die vielen Leibwachen, der überraschende Umzug nach Bosparan und all das Gold – mehr als eine Taverne jemals abwerfen könnte – nicht verwundert haben. Dass du niemals, nicht einmal in all den Jahren, versehentlich ein Gespräch mitgehört oder aus Neugierde einen herumliegenden Brief gelesen hast. Doch je länger du hier stehst, desto stärker zweifle ich daran, Gabinia. Desto eher komme ich zu der Auffassung, dass du möglicherweise doch nicht so naiv bist. Dass wir vielleicht doch ein Gespräch führen sollten, um herauszufinden, was du wirklich weißt.« Er stellte überrascht fest, wie überzeugend seine Drohungen klangen. Bruttia hob anerkennend die Brauen.
Tacitus’ Gemahlin zögerte. Dann senkte den Kopf. »Du wirst meine Söhne wirklich verschonen? Du gibst mir dein Wort?«
»Meine Leute werden euch aus der Stadt bringen. Danach solltest du nur noch nach vorne schauen. Erzieh deine Kinder zu guten Menschen. Erzähl ihnen, dass ihr Vater ein treusorgender Ehegatte war, der niemals gegen die Gesetze von Göttern und Horas verstoßen hat.«
Gabinia starrte ihn lange an. Dann nickte sie. Valerius gab Celonia einen Wink. Die ehemalige Gladiatorin fasste die aufgelöste Frau am Arm und führte sie hinaus.
»War das wirklich klug?« Bruttia trat an den Schreibtisch heran. Die resolute ehemalige Offizierin mit dem militärisch kurzen rotbraunen Haar musterte ihn skeptisch. »Du sagst es selbst, Gabinia könnte mehr gewusst haben, als es den Anschein hat. Vielleicht verständigt sie sogar die Micatio. Vielleicht kehren eines Tages ihre Söhne nach Bosparan zurück, angetrieben vom Wunsch nach Vergeltung.«
Valerius schätzte das Urteil der besonnenen Veteranin und das nicht nur, weil er inzwischen auf Rufus’ Rat verzichten musste. Bruttia war auch nach dem Tod ihres Gatten, den Valerius selbst in Gefahr gebracht hatte, bei ihm geblieben. Er griff nach einem der Gänsekiele und wühlte damit in der Asche der kleinen Feuerschale. »Ich glaube Tacitus, dass er seine Familie liebte – oder liebt, wie auch immer. Er hat sie von all dem ferngehalten. Schon allein, weil Gabinia ihm wohl nicht mehr in die Augen geschaut hätte, wenn sie die volle Wahrheit erfahren hätte.«
Bruttia seufzte. »Sollen wir sie wirklich nur aus der Stadt hinausbegleiten?«
Er gab seine Suche auf. Es befand sich tatsächlich nur zur Unkenntlichkeit verbrannte Asche in der Schale. »Lass sie noch eine Weile verfolgen. Ich möchte sicher gehen, dass sie keine Dummheiten macht.«
»Was sollen wir mit Tacitus’ übrigen Sklaven anfangen? Willst du sie behalten oder freilassen?«
Valerius zuckte mit den Schultern. »Gehen wir kein Risiko ein. Wir wissen nicht, wie ergeben sie ihrem Dominus sind. Verkauf sie auf dem Sklavenmarkt. Aber nicht in Bosparan, sondern weit weg von hier. In Cuslicum oder Firdana.« Sein Blick fiel auf Umbra. »Doch es gibt nun wichtigere Dinge, die unsere Aufmerksamkeit erfordern. Was habt ihr gefunden?«
Die Veteranin rieb sich das Kinn. »Vor allem Gold. Eine ganze Menge davon. Schutzgelderpressung zahlt sich wohl aus. Ich frage mich aber, ob er seinem Praefecten gegenüber stets ehrlich war und wirklich alles abgeführt hat, was ihm zustand.«
»Was noch?«
»Schuldscheine, Listen, Dokumente.«
»Packt alles ein! Numicius soll es sich genauer anschauen.« Er grübelte. »Schuldscheine, sagst du? Wir könnten uns sicherlich die Dankbarkeit der ein oder anderen einflussreichen Person erkaufen, wenn wir ihnen diese Schulden abnehmen. Irgendwelche Hinweise auf den Procurator oder diese Porta Sacra, die Tacitus erwähnte?«
Bruttia schüttelte den Kopf. »Es sieht nicht danach aus.«
Valerius schaute sich erneut um. »Wenn es Anhaltspunkte gibt, dann hier. In diesem Raum hat er alles geplant, hier hat er gesessen und darüber gegrübelt, wie er den Procurator zur Strecke bringen kann.« Er nahm den Radikator auf und prüfte, ob unter der Rechenmaschine vielleicht ein Zettel lag oder ob darin ein verborgenes Fach zu finden war. »Untersucht jede Wand und jede Bodendiele auf Verstecke, aber rasch! Dann schafft alles zum Lupanar. Die Feierlichkeiten sind eine gute Ablenkung, wir sollten aber dennoch nicht länger als nötig hier verweilen, ehe die Micatio aufmerksam wird.«
Die Veteranin trat an eines der Regale und zog ein Buch heraus. »De bello Perricum«, las sie den Titel vor. »Niedergeschrieben von Rhesus Semesius Magnus. Ich hätte nicht gedacht, dass sich Tacitus für Schlachtberichte interessiert. Ich habe damals mit Rufus unter Rhesus gedient.« Sie zog ein weiteres Buch hervor.
»Rufus erwähnte es. Ihr habt lange Zeit zusammen gedient, nicht wahr?«
»Das haben wir.« Sie schob das Buch zurück. »Ich habe dennoch nichts von ihm gehört.«
Valerius rieb sich die Augen und unterdrückte ein Gähnen.
»Hält Marica dich wach?«, erkundigte sich Bruttia amüsiert.
Valerius zögerte. »Gibt es irgendjemanden, der noch nicht davon weiß?«
Sie schmunzelte. »Ich habe heute Morgen zwei neue Vollstrecker angeworben. Sie werden wohl erst beim Abendmahl davon erfahren.«
Er schüttelte missmutig den Kopf. »Dafür, dass ich ein Lupanar führe, wird Diskretion in meinen Räumen nicht gerade großgeschrieben.«
Die Veteranin lächelte. »Ich rate dir nicht davon ab, ihre Nähe zu suchen. Marica trägt ihr Herz am rechten Fleck und himmelt dich an. Es tut dir gut. Wir alle wollen schließlich nur dein Bestes.«
Er musste sich wohl daran gewöhnen. Doch Bruttia war nun, nachdem Rufus ihm den Rücken zugewandt hatte, seine wichtigste Beraterin. Valerius fasste noch einmal die Schreibtischplatte ins Auge. Ein weiteres Mal tastete er sie prüfend von unten ab. »Was rätst du mir also? Dass ich Marica freilassen und ehelichen soll?«
»Ich sage nur, dass Ariana es dir nicht übelnehmen würde. Du hast ihren Tod gerächt. Nimm es von einer Frau, die es wissen muss.«
»Gerächt? Noch nicht ganz«, widersprach Valerius bitter. »Es freut mich außerordentlich, dass Tacitus genau jetzt wohl in einer gut vernagelten Kiste steckt, auf einem Karren, irgendwo auf der Via Yaquiria zwischen Bosparan und Yol-Fassar. Unser Ziel ist aber erst dann erreicht, wenn wir den Procurator zur Rechenschaft gezogen haben.«
Bruttia wandte sich um. »Zuerst war es Amara, dann Tacitus, nun der Procurator. Was geschieht, wenn wir ihn aus dem Weg räumen? Auf wen hast du es dann abgesehen? Wem wirst du danach die Schuld für all das Elend zuschieben, das dir widerfahren ist? Mit wem willst du es dann aufnehmen?«
»Nicht nur mir ist Leid widerfahren«, fuhr Valerius auf. »Du kennst die Berichte und Erzählungen. Du weißt, was der Procurator zu verantworten hat. Und wenn ich ihn zur Strecke gebracht habe und sich dann herausstellen sollte, dass Tasfarilor selbst dem Procurator seine Befehle gab, dass der Gott für die Toten und das Leid selbst verantwortlich ist, dann brenne ich eben seinen Tempel nieder!«
»Schon gut, ich habe nichts gesagt.« Bruttia winkte ab, konnte die Sorge aber nicht aus ihrer Miene tilgen.
»Lass dich nicht beirren.« Ariana stand vor dem Tisch und schaute Valerius ernst aus braunen Augen an. Sie trug eine einfache Tunika, ihre dunklen Locken mit Bänden zurückgebunden, was ihr blasses, von Sommersprossen geziertes Gesicht schmaler erschienen ließ. Wie immer versetzte ihr Anblick ihm einen schmerzhaften Stich.
»Hör nicht auf sie«, fuhr die Erscheinung seiner toten Geliebten fort. »Lass dich nicht beirren und behalte dein Ziel im Auge! Über das, was danach kommt, kannst du dir Gedanken machen, wenn der Procurator in seinem eigenen Blute vor dir liegt.«
Umbra verdrehte die Augen. »Wenn er auf dich hört, meine Liebe, wird es Valerius sein, der sich in seinem eigenen Blut liegend auf dem Boden wiederfindet.«
Ariana schnaubte entrüstet.
Valerius seufzte und wies zum Schrein hinüber. »Wenn es so weit ist, wird Nandurios mir schon die Einsichten geben, die ich suche.«
Bruttia runzelte die Stirn. »Was sagst du?«
Valerius verharrte. »Nandurios«, wiederholte er noch einmal. »Gott des Wissens und der Erleuchtung.«
Er trat an den Schrein heran, ein niedriger Tisch, auf dem die hölzerne Statue eines Einhorns stand, das heilige Tier Nandurios’. Mit Sockel maß die Figur mehr als einen Fuß in der Höhe. Eine Kerze brannte davor und warf ihren flackernden Schein auf die Schnitzerei.
Valerius nahm die Statue auf. Sie war schwerer als erwartet. Er stellte sie auf dem Schreibtisch ab und drehte sie langsam. Die Figur bestand aus glatt poliertem und hellem, fast schon weißem Zedernholz, passend für ein Einhorn. Verschlungene rankenartige Schnitzereien zierten den Sockel. Er klopfte auf das Holz. Es klang massiv.
Ariana winkte ab. »Wirf sie gegen die Wand. Das ist nicht der Gott, dem du dich verschrieben hast.«
»Schau genauer hin!«, forderte Umbra ihn auf.
Die Spitze des Horns war abgebrochen, einen Fingerbreit nur. Es fiel kaum auf. »Vielleicht beim Transport nach Bosparan passiert«, murmelte Valerius. »Oder er bewegt sie öfter als man meint.«
Bruttia trat näher. »Hast du etwas gefunden?«
»Ich bin mir nicht sicher.« Valerius nahm die Statue auf und drehte sie um. Er klopfte die Unterseite des Sockels ab und spitzte die Ohren. »Hörst du das?«
Die Veteranin schüttelte den Kopf.
»Ah!« Er wies auf ein kleines Loch an der Seite des Sockels, das von den Ranken gut verborgen wurde.
»Ein Schlüsselloch?« Bruttia beugte sich vor. »Dann fehlt uns jetzt nur noch der Schlüssel.«
»Nicht nötig.« Er atmete tief durch, strich über den Sockel und schloss die Augen.
»Was tust du da?«
Valerius vermochte den Mechanismus bereits zu spüren, die winzigen Riegel und Rädchen durch den Sockel hindurch zu ertasten. Sie waren unglaublich filigran, empfindlicher als jedes andere Schloss, das ihm begegnet war. Geradezu unmöglich filigran – zumindest für menschliche Hände.
»Soll ich es aufbrechen?« Bruttia griff nach ihrem Dolch.
»Warte«, bat Valerius, ohne die Augen zu öffnen. Er tastete im Geiste an den winzigen Riegeln entlang. Irgendwo musste es einen Ansatzpunkt geben. Er ertastete eine kleine Kapsel, dann eine Feder. »Eine Falle«, murmelte er. »Säure oder etwas Vergleichbares.« Bestimmt zerstörte sie den Inhalt des Fachs, wenn er das Schloss nicht mit dem korrekten Schlüssel öffnete.
Das Schloss wurde auf seine Anwesenheit aufmerksam. Die Mechanik entglitt ihm, entzog sich ihm, so als wäre sie mit Eigenleben erfüllt. »Grolmenarbeit. Verflucht.« Beinahe konnte er das Schloss leise lachen hören.
Grolmische Erzeugnisse waren selten, kostspielig und begehrt seitdem die Menschen vor Jahrzehnten die Angehörigen dieses Volks verfolgt und vertrieben hatten. »Nicht so schnell«, presste er hervor. Eine Schweißperle rann über seine Stirn. Er tastete weiter. »Da bist du.« Der Riegel, den er gesucht hatte. Behutsam übte er mit unsichtbaren Fingern Druck auf ihn aus. Ein feines Klicken belohnte ihn. Er lächelte und schlug die Augen auf.
Bruttia blickte ihn besorgt an. »Du bist blass, was ist geschehen?«
Valerius kämpfte gegen den Schwindel an. Der pochende Schmerz hinter seinen Schläfen ließ ihn unwillkürlich aufstöhnen.
»Valerius?« Umbra musterte ihn besorgt.
»Er verkraftet es schon«, beruhigte Ariana ihn.
Schwer atmend ließ er sich auf Tacitus’ Stuhl nieder. Noch nie zuvor hatte ihn ein Schloss so erschöpft, ihn so viel Kraft gekostet. »Es geht mir gut.« Er wandte sich dem Sockel zu. Mit zitternden Fingern schob er die Abdeckung des Geheimfachs zur Seite. Zusammengefaltete Papiere kamen zum Vorschein.
Bruttias Augen weiteten sich. »Wie hast du das vollbracht?«
»Nenn es eine Gabe.« Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und atmete tief durch, dann nahm er die Papiere an sich. »Offenbar hatte Tacitus doch nicht alles im Kopf.«
Er entfaltete im Kerzenschein die Dokumente. Tacitus’ feine Handschrift kam zum Vorschein. Mit wachsender Verwirrung überflog er die dicht beschriebenen Seiten. Er war es gewohnt, dass er Buchstaben und Worte zunächst zähmen musste – sie entzogen sich ihm und was für andere problemlos lesbar war, erschien ihm wie zahllose Ameisen, die über das Pergament krochen. Doch dies war anders. »Vermagst du es zu lesen?«
Bruttia schüttelte den Kopf. »Es ergibt keinen Sinn. Ist es verschlüsselt?«
Valerius nickte enttäuscht. »In dem Fall fehlt uns doch ein weiterer Schlüssel.« Noch immer legte Tacitus ihm Steine in den Weg und piesackte ihn mit Hürden, die er überspringen musste. Er blätterte durch die Seiten und stieß auf eine Abfolge ihm vertrauter Symbole:
»Was hat es damit auf sich?«, erkundigte sich Bruttia.
»Das Zeichen des Procurators, der Fünf Banden«, murmelte er. »Der Rest ist verschlüsselt. Gut, dass im Lupanar ein Sacerdos der Heschint auf uns wartet.«
»Numicius wird seine Freude daran haben.«
Celonia betrat den Raum. »Wir haben alles eingepackt, Bruttia. Die Familie ist abreisebereit.«
»Ich kümmere mich um Gabinia und die Kinder.« Bruttia verließ den Raum.
Valerius gab Celonia einen Wink. »Die Bücher und Schriftrollen hier nehmen wir ebenfalls mit.« Er wies auf die Rechenmaschine und seufzte. »Pack sie für Numicius ein, er wird sie brauchen, um all das Gold zu zählen. Bei Einbruch der Nacht kehren wir nach Calceus zurück. In kleinen Gruppen, um den Blaumänteln nicht aufzufallen. Eine Karawane aus Karren und Menschen schreit nur danach, angehalten zu werden. Achtet darauf, dass nichts darauf hinweist, wer hier am Werk war. Es wird sicher nicht lange dauern, bis ein Abgesandter der Micatio nach Tacitus’ Verbleib forscht.«
Er faltete die Papiere wieder zusammen und steckte sie ein. Hoffentlich brachten sie ihn auf die Spur des Procurators, bevor ihr scheinbar allmächtiger Gegner zu seinem Gegenschlag ausholte.
Valerius nickte Umbra zu. »Nun habe ich genug Gold beisammen, um einen Schrein einzurichten und Feqz für seine Unterstützung zu danken.«
»Du wirst sie in Zukunft noch bitter benötigen«, gab der Sklave zu Bedenken.
»Davon bin ich überzeugt.« Ehe er sich abwandte, kam Valerius noch etwas in den Sinn. Er hatte Tacitus bezwungen, es wurde Zeit für den nächsten Schritt. Er zog die falsche Silbermünze mit dem Abbild des Bender-Horas hervor, das Erkennungszeichen des Procurators, und platzierte sie behutsam in der Mitte der Schreibtischplatte. Feqz würde es so wollen.
Umbra hob die Augenbrauen. »Als Warnung?«
Ariana schüttelte den Kopf. Sie grinste. »Als Herausforderung.«
Valerius lächelte grimmig.