Sarah J. Maas
Das Reich der sieben Höfe
Dornen und Rosen
Roman
Aus dem amerikanischen Englisch
von Alexandra Ernst
dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
Sarah J. Maas wuchs in Manhattan auf und lebt seit einiger Zeit mit ihrer Familie in Pennsylvania. Bereits mit sechzehn schrieb sie den ersten Entwurf zu ihrer Erfolgsserie ›Throne of Glass‹. Ihre zweite Serie, ›Das Reich der sieben Höfe‹, hat eine ebenso große internationale Fangemeinde. Die Büche der gefeierten Fantasy-Autorin sind weltweit erfolgreich und wurden mittlerweile in 36 Sprachen übersetzt. Auch in Deutschland stürmt sie regelmäßig die Bestsellerlisten.
Alexandra Ernst hat Literaturwissenschaft studiert und ist seit 1993 in der Kinder- und Jugendbuchliteratur aktiv. Zwei Jahre arbeitete sie als Presse- und Werbeleiterin in einem Verlag und ist derzeit als Journalistin, Übersetzerin, Gutachterin und Buchkritikerin tätig. Sie lebt mir ihrer Familie in der Nähe von Mainz.
Ein legendäres Reich. Ein Fluch. Und eine Liebe, die über Leben und Tod entscheidet.
Als die junge Jägerin Feyre im Wald einen Wolf tötet, erscheint eine Furcht einflößende Kreatur und verlangt Wiedergutmachung. Feyre wird in das Reich der Fae verschleppt und entdeckt, dass ihr Entführer ein Prinz der Fae ist. Bald merkt Feyre, dass sich ihre Gefühle Tamlin gegenüber ändern. Aus kaltem Hass wird Leidenschaft, und keine Warnung, die sie je über die trügerisch schönen Fae gehört hat, kann das ändern. Doch ein grausamer Schatten liegt über dem Reich. Feyre muss einen Weg finden, um ihn aufzuhalten. Oder ihre Welt ist für immer verloren …
Ungekürzte Ausgabe
© 2020 dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
© 2015 Sarah J. Maas
Titel der englischen Originalausgabe: ›A Court of Thorns and Roses‹,
2015 erschienen bei Bloomsbury Publishing Plc
This translation published by arrangement with Bloomsbury USA
© der deutschsprachigen Ausgabe:
2017 dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München
Umschlaggestaltung: Carolin Liepins
© der Landkarte: Kelly de Groot
Lektorat: Britta Mümmler
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eBook-Herstellung im Verlag (01)
eBook ISBN 978-3-423-43128-6
ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-71849-3
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ISBN (epub) 9783423431286
Für Josh –
Du würdest für mich unter den Berg gehen.
Ich liebe dich.
Der Wald war ein Irrgarten aus Schnee und Eis.
Schon seit einer Stunde starrte ich auf den Rand des Dickichts, aber so wie es aussah, hockte ich völlig umsonst versteckt in der Astgabel eines Baums. Der böige Wind legte Schneeverwehungen über meine Spuren, verdeckte aber auch die Fährten möglicher Beutetiere.
Ich hatte mich heute weiter von zu Hause entfernt, als ich es sonst wagte. Das lag am Hunger. Im Winter war es hart, da zogen die Tiere sich tief in die Wälder zurück, wohin ich ihnen nicht gefahrlos folgen konnte. Mir waren nur die Nachzügler geblieben, die ich erlegte, einen nach dem anderen, in der Hoffnung, uns auf diese Weise bis zum Frühjahr durchzubringen. Eine vergebliche Hoffnung.
Mit steif gefrorenen Fingern wischte ich mir die Schneeflocken von den Augen, die sich in meinen Wimpern verfangen hatten. In dieser Gegend hier hatten die Bäume noch Rinde, ein Zeichen dafür, dass es noch Wild gab. Wenn die Stämme kahl gefressen waren, würden die Tiere nach Norden weiterziehen, durch das Gebiet der Wölfe, vielleicht bis nach Prythian, dem Land der Fae, das kein Sterblicher freiwillig betreten würde – keiner jedenfalls, der nicht den Tod suchte.
Der Gedanke jagte mir einen Schauer über den Rücken. Ich schob ihn beiseite und konzentrierte mich wieder ganz auf meine Umgebung, auf die Aufgabe, die vor mir lag. Nahrung finden, die nächste Woche überleben, den nächsten Tag, die nächste Stunde – mehr konnte ich nicht tun. Aber bei diesem Schneetreiben musste ich schon enormes Glück haben, um irgendetwas aufzuspüren, erst recht von hier oben im Baum aus. Man konnte kaum fünfzehn Fuß weit sehen. Ich unterdrückte ein Stöhnen, weil mir vor Kälte jeder Knochen wehtat, als ich Pfeil und Bogen sinken ließ und dann langsam vom Baum herunterkletterte.
Der eisverkrustete Schnee knirschte unter meinen verschlissenen Stiefeln – und ich knirschte mit den Zähnen. Schlechte Sicht, unnötiger Lärm – es sah ganz danach aus, als würde ich heute mit leeren Händen nach Hause kommen. Wieder einmal.
Mir blieben nur noch wenige Stunden Tageslicht. Wenn ich nicht bald umkehrte, musste ich den Heimweg im Dunkeln antreten, und die Warnungen der Jäger hallten mir noch in den Ohren: Riesige Wölfe schlichen durch den Wald. Es schien eine ganze Meute zu sein. Nicht zu vergessen die Gerüchte, dass in der Gegend seltsame Wesen gesehen worden waren: groß gewachsen, unheimlich. Und äußerst gefährlich.
Alles, nur keine Fae. Um diese Gnade hatten die Jäger unsere geschwächten, ohnmächtigen Götter angefleht und ich hatte heimlich mit ihnen gebetet. In den acht Jahren, die wir in dem Dorf lebten, zwei Tagesreisen von der unüberwindlichen Mauer ins Land Prythian entfernt, waren wir von Angriffen verschont geblieben. Manchmal erzählten uns fahrende Händler Geschichten von Grenzstädten, die dem Erdboden gleichgemacht und deren Bewohner bis auf den letzten ausgerottet worden waren. Diese Berichte, die man früher nur selten zu hören bekommen hatte und die von den Dorfältesten als bloße Schauermärchen abgetan worden waren, machten in jüngster Zeit an jedem Markttag die Runde.
Ich ging ein großes Risiko ein, so tief im Wald, aber gestern hatten wir das letzte Stück Brot gegessen und am Tag zuvor das letzte Pökelfleisch. Wenn ich allerdings so darüber nachdachte, verbrachte ich doch lieber noch eine weitere Nacht mit knurrendem Magen, als den Hunger eines Wolfs zu stillen. Oder eines Fae.
Nicht, dass an mir viel dran wäre. Zu dieser Jahreszeit war ich so hager wie eine Sehne und konnte meine Rippen zählen. Während ich so geschickt und geräuschlos wie möglich zwischen den Bäumen hindurchschlich, hielt ich mir den leeren, schmerzenden Bauch. Ich wusste, mit welchem Gesicht mich meine beiden älteren Schwestern empfangen würden, wenn meine Jagd auch diesmal glücklos verlief.
Schließlich kauerte ich mich in ein Dickicht aus schneebeladenen Brombeerranken. Durch die Dornenzweige hatte ich einen recht guten Blick auf eine Lichtung und den kleinen Bach, der sie durchquerte. Ein paar Löcher im Eis ließen vermuten, dass er noch immer als Wasserstelle diente. Hoffentlich hatte ich hier mehr Erfolg. Hoffentlich.
Seufzend stieß ich meinen Bogen aufrecht in den Schnee und lehnte die Stirn an das raue gewölbte Holz. Wir würden keine Woche mehr ohne Essen überleben. Und es gab schon zu viele Familien, die um Almosen bettelten, als dass ich auf die Gnade der wohlhabenderen Dorfbewohner hoffen konnte. Ich hatte am eigenen Leib erfahren, wie weit es mit ihrer Mildtätigkeit her war.
Ich machte es mir ein wenig bequemer und begann, langsamer zu atmen. Angestrengt lauschte ich über das Heulen des Windes hinweg auf die Geräusche des Waldes. Es schneite und schneite. Die Flocken tanzten und wirbelten wie funkelnde Gischt und das Weiß überzog die bräunlich graue Welt mit einer frischen sauberen Decke. Und trotz meines Hungers, trotz meiner tauben Glieder beruhigten sich meine aufgewühlten und trüben Gedanken beim Anblick des schneebedeckten Waldes.
Früher hatte ich ganz selbstverständlich bewundert, wie schön sich das frische grüne Gras von der dunklen gepflügten Erde abhob oder wie anmutig eine Amethystbrosche im Faltenwurf smaragdgrüner Seide ruhte. Früher waren meine Gedanken und Träume von Licht und Farben und Formen erfüllt gewesen. Und manchmal stellte ich mir sogar vor, wie es sein würde, wenn meine Schwestern verheiratet waren und es nur noch Vater und mich gab, wenn genug Essen da war, um satt zu werden, genug Geld, um Farben zu kaufen, und genug Zeit, um eine Leinwand, Papier oder die Wände der Hütte mit diesen Farben und Formen zu schmücken.
Aber das war ein Traum, der sich nicht so schnell erfüllen würde, wenn überhaupt. Mir blieben nur Augenblicke wie dieser, wenn ich das Glitzern des blassen Winterlichts auf dem Schnee bestaunte. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich mir das letzte Mal die Zeit genommen hatte, etwas Schönes oder Interessantes zu genießen.
Verstohlene Stunden mit Isaac Hale in einer verfallenen Scheune zählten nicht. Diese Stunden waren von Hunger getrieben, von Leere, waren manchmal grausam, aber niemals schön.
Der heulende Wind schwächte sich zu einem leichten Säuseln ab. Der Schnee fiel jetzt träge, in dicken, großen Batzen, die sich in den tiefen Fluren und hohen Baumwipfeln gleichermaßen niederließen. Betörend, diese eisige, sanfte Schönheit des Schnees. Der Gedanke, ins Dorf zurückzukehren, zu den Straßen aus hart gefrorenem Schlamm, in die überhitzte Enge unserer Hütte, war mir zuwider.
Jenseits der Lichtung raschelte es im Gebüsch. Instinktiv legte ich den Pfeil an die Sehne. Ich spähte durch die Dornen und hielt den Atem an.
Weniger als dreißig Schritte entfernt stand eine kleine Hirschkuh, noch nicht völlig abgemagert, aber hungrig genug, um auf einer Lichtung Rinde von den Bäumen zu knabbern.
Eine Hirschkuh wie diese konnte meine Familie eine Woche oder noch länger ernähren.
Mir lief das Wasser im Mund zusammen. So leise, wie der Wind durch junges Laub fährt, nahm ich meine Beute ins Visier.
Sie war ganz arglos und ahnte nichts von dem Tod, der auf sie lauerte. Unbekümmert riss sie weiter Rindenstreifen ab und kaute langsam.
Die Hälfte des Fleischs konnte ich trocknen, den Rest konnten wir sofort essen – gesotten, gebraten … Die Haut würde ich verkaufen oder vielleicht Kleidung daraus machen. Ich brauchte neue Stiefel, Elain allerdings auch einen neuen Mantel, und Nesta fehlte sowieso immer genau das, was die anderen hatten.
Meine Finger zitterten. So viel Nahrung, so ein Segen. Ich holte tief Luft und visierte noch einmal mein Ziel an.
Da sah ich es.
Aus dem Gebüsch mir gegenüber starrten zwei goldgelbe Augen auf die Lichtung.
Der Wald wurde still. Der Wind erstarb. Sogar der Schnee versiegte.
Wir Sterblichen hatten uns von unseren Göttern abgewendet, aber wenn ich mich noch an ihre Namen erinnern könnte, hätte ich zu ihnen gebetet. Zu allen gleichzeitig. Denn dort im Gebüsch lauerte ein Wolf. Er hatte es auf die arglose Hirschkuh abgesehen.
Er war riesig, etwa so groß wie ein Pony. Mein Mund wurde staubtrocken. Es war einer jener gewaltigen Wölfe, von denen die Jäger erzählt hatten.
Einen solchen Wolf hatte ich noch nie gesehen. Trotz seiner Größe verhielt er sich geräuschlos. Die Hirschkuh ahnte nichts. Wenn er aus Prythian kam, wenn er irgendeine Art Fae war, dann drohten mir noch ganz andere Gefahren als die, gefressen zu werden. Wenn er ein Fae war, dann sollte ich mich umdrehen und weglaufen, so schnell ich konnte.
Aber vielleicht … vielleicht würde ich der Welt einen Gefallen tun – meinem Dorf, mir selbst –, wenn ich ihn tötete, solange ich noch Gelegenheit dazu hatte, solange ich noch unbemerkt war. Ihm einen Pfeil ins Auge zu schießen wäre eine Kleinigkeit.
Andererseits … trotz seiner Größe sah er aus wie ein Wolf, bewegte sich wie ein Wolf. Ein Tier, versicherte ich mir. Nur ein Tier.
Ich hatte ein Jagdmesser und drei Pfeile dabei. Zwei davon waren ganz gewöhnliche Pfeile, einfach und wirkungsvoll – und vollkommen nutzlos bei einem Wolf dieser Größe. Aber den dritten Pfeil, den längsten und schwersten, hatte ich einem fahrenden Händler abgekauft, in einem Sommer, in dem wir genug Kupfermünzen hatten, um uns ein wenig Luxus leisten zu können. Der Pfeil war aus dem Holz der Eberesche, mit einer Spitze aus Eisen.
Jeder wusste, dass die Fae Eisen hassten. Aber es war das Eschenholz, das die sie unsterblich machenden Selbstheilungskräfte lange genug außer Kraft setzte, damit ein Mensch ihnen den Todesstoß versetzen konnte. So jedenfalls hieß es in den Legenden. Der einzige Anhaltspunkt für die Wirksamkeit des Eschenholzes war seine Seltenheit. Ich hatte Zeichnungen dieses Baums gesehen, aber noch nie einen mit eigenen Augen. Die High Fae hatten sie vor langer Zeit verbrannt. Nur vereinzelte Bäume waren noch übrig geblieben, allesamt klein und schwächlich, vor dem Zugriff der meisten Menschen verborgen hinter den hohen Mauern, welche die Gärten der Edelleute umgaben. Noch wochenlang nachdem ich den Pfeil gekauft hatte, fragte ich mich, ob dieses Stück Holz seinen hohen Preis wert war. Drei Jahre lang hatte der Pfeil nun unbenutzt in meinem Köcher gesteckt.
Jetzt zog ich ihn mit einer flinken, wohlüberlegten Bewegung heraus. Ich musste unter allen Umständen verhindern, dass der Wolf mich bemerkte. Der Pfeil war lang und so schwer, dass er auch einem so mächtigen Tier Schaden zufügen, ja es vielleicht sogar töten konnte, wenn ich gut zielte.
Wenn ich den Wolf niederstreckte, würde die Hirschkuh fliehen. Wenn ich die Hirschkuh tötete, würde sich der Wolf entweder auf mich oder auf den Kadaver stürzen und so das kostbare Fleisch und die Haut unbrauchbar machen.
Meine Brust wurde so eng, dass es schmerzte. Und in diesem Augenblick schrumpfte mein Leben zu einer einzigen Frage zusammen: War der Wolf allein?
Ich packte meinen Bogen fester und spannte die Sehne. Ich war eine recht gute Schützin, aber einem Wolf hatte ich noch nie gegenübergestanden. Zum Glück, wie ich bisher immer gedacht hatte. Doch jetzt … jetzt hatte ich keine Ahnung, wohin ich schießen musste oder wie schnell ein Wolf reagierte. Ich konnte es mir nicht leisten, ihn zu verfehlen. Ich hatte nur diesen einen Eschenpfeil.
Und wenn tatsächlich das Herz eines Fae unter diesem Pelz schlug, umso besser. Nach allem, was sie uns angetan hatten. Ich würde nicht zulassen, dass dieser Dämon heute Nacht unser Dorf heimsuchte, um zu töten, zu verstümmeln, zu zerstören. Sollte er doch sterben, hier und jetzt. Mit Freuden würde ich ihm sein Ende bereiten.
Der Wolf schlich näher, und ein Zweig brach knackend unter seinen Pfoten, von denen jede einzelne größer war als meine Hand. Die Hirschkuh erstarrte. Sie blickte sich um und spitzte die Ohren. Aber der Wolf hatte den Wind vor der Nase und sie konnte ihn weder sehen noch hören.
Er senkte den Kopf und sein riesiger silbergrauer Leib, der so wunderbar mit dem Schnee und den Schatten verschmolz, kauerte sich nieder. Die Hirschkuh starrte immer noch in die falsche Richtung.
Meine Blicke wanderten zwischen der Hirschkuh und dem Wolf hin und her. Er war allein, so viel war sicher. Ein tröstlicher Gedanke. Aber falls der Wolf die Hirschkuh vertrieb, hatte ich einen riesengroßen, hungrigen Wolf am Hals – möglicherweise ein Fae –, der sich der nächstbesten Nahrungsquelle zuwenden würde. Und falls er sie tötete …
Wenn ich versagte, war nicht nur mein Leben verloren. Aber in den letzten acht Jahren, in denen ich im Wald auf die Jagd gehen musste, hatte mein Leben ausschließlich aus Risiken und Gefahren bestanden und meistens hatte ich meine Lage richtig eingeschätzt. Meistens.
Wie ein Blitz aus Grau, Weiß und Schwarz, so schoss der Wolf aus dem Gebüsch. Seine gelben Reißzähne glänzten. Er war sogar noch größer, als ich gedacht hatte, ein Wunderwerk aus Muskelmasse, Schnelligkeit und Kraft. Die Hirschkuh hatte keine Chance.
Ich feuerte den Eschenpfeil ab, ehe er sie zerfleischen konnte.
Der Pfeil bohrte sich in seine Seite, und ich hätte schwören können, dass der Boden unter seinen Pfoten erbebte. Er heulte auf vor Schmerz und ließ vom Hals der Hirschkuh ab, während sein Blut in den Schnee spritzte. Rubinrot auf Weiß.
Er wirbelte zu mir herum, die goldgelben Augen weit aufgerissen, die Nackenhaare gesträubt. Sein dumpfes Grollen hallte in meiner leeren Magengrube wider, als ich aus meiner Deckung hervorsprang. Schnee stob rings um mich auf und ich legte einen zweiten Pfeil an die Sehne.
Aber der Wolf … schaute mich nur an. Sein Leib war blutbesudelt, mein Pfeil stach grotesk aus seiner Seite hervor. Es fing wieder an zu schneien. Er schaute … mit einem Ausdruck von Erkenntnis und Überraschung, der mich den zweiten Pfeil abfeuern ließ. Nur für den Fall, dass seine Klugheit die eines unsterblichen Wesens war.
Er versuchte nicht einmal, dem Pfeil auszuweichen, der sich geradewegs in sein Auge bohrte.
Farbe und Finsternis wirbelten vor meinen Augen, mischten sich mit dem Schnee.
Der Wolf brach zusammen.
Seine Beine zuckten und ein dumpfes Heulen schnitt durch den Wind. Unmöglich. Er sollte tot sein, nicht im Sterben liegen. Der Pfeil war so tief in sein Auge eingedrungen, dass nur noch die Gänsefedern am hinteren Schaft herausragten.
Ob Wolf oder Fae, spielte jetzt keine Rolle mehr: In seinem Leib steckte der Pfeil aus Eschenholz. Trotzdem zitterten mir die Hände, als ich mir den Schnee abklopfte und vorsichtig näher ging. Ich hielt Abstand. Für alle Fälle. Blut pulsierte aus den Wunden, die ich ihm beigebracht hatte, und färbte den Schnee scharlachrot.
Seine Pfoten schlugen kraftlos im Schnee, seine Atmung ließ bereits nach. Hatte er große Schmerzen oder war dieses Wimmern nur der Versuch, den Tod abzuwehren? Ich war mir nicht sicher, ob ich es wissen wollte.
Die Schneeflocken umtanzten uns. Ich starrte ihn an, bis dieser Leib aus aschegrauem, onyxschwarzem und elfenbeinfarbenem Fell sich nicht länger hob und senkte. Ein Wolf – letztlich doch nur ein Wolf, nicht mehr und nicht weniger, trotz seiner Größe.
Die Enge in meiner Brust löste sich, und ich stieß einen so tiefen Seufzer aus, dass sich vor meinem Mund in der Kälte eine Atemwolke bildete. Der Eschenpfeil hatte sich als tödlich erwiesen. Wen oder was er erlegt hatte, war im Grunde genommen egal.
Eine rasche Begutachtung der Hirschkuh ließ mich zu dem Schluss kommen, dass ich nur eins der beiden Tiere tragen konnte, und selbst das nur mit Mühe. Aber es war eine Schande, den Wolf liegen zu lassen.
Ich verschwendete kostbare Minuten – Minuten, in denen alle möglichen Raubtiere das frische Blut wittern konnten –, um den Wolf zu häuten und meine Pfeile zu säubern, so gut ich konnte.
Immerhin wurden meine Hände dabei wieder warm. Ich wickelte die Hirschkuh in das Wolfsfell und wuchtete mir den Kadaver auf die Schultern. Ich war etliche Meilen von unserer Hütte entfernt, und so würde die Hirschkuh nicht ausbluten – denn eine Blutspur, die jedes mit Klauen und Zähnen bewaffnete Tier auf meine Fährte setzte, brauchte ich nun wirklich nicht.
Unter dem Gewicht der Hirschkuh ächzend, packte ich das Tier an den Beinen und warf einen letzten Blick auf den dampfenden, abgehäuteten Kadaver des Wolfs. Sein unversehrtes goldgelbes Auge starrte in den schneeschweren Himmel, und einen Augenblick lang wünschte ich mir, ich könnte Mitleid mit dieser toten Kreatur haben.
Aber das hier war die Wildnis. Und es war Winter.
Die Sonne war schon untergegangen, als ich mit zitternden Knien aus dem Wald stapfte. Meine Hände, mit denen ich die Beine der Hirschkuh umklammerte, waren längst schon wieder taub und steif gefroren. Nicht einmal die Last des Kadavers konnte die aufkommende Kälte abwehren. Dunkle Blautöne in allen Schattierungen legten sich über die Welt, durchbrochen nur von den butterfarbenen Lichtstrahlen, die zwischen den geschlossenen Läden unserer verfallenen Hütte hindurchsickerten. Es war, als würde ich durch ein zum Leben erwachtes Gemälde marschieren, durch einen Moment der Stille, verzaubert dadurch, wie atemberaubend schnell sich all die Blautöne in tiefe Dunkelheit verwandelten.
Während ich mich, nur noch angetrieben von dem alles überwältigenden Hunger, Schritt für Schritt voranschleppte, flatterten mir die Stimmen meiner Schwestern entgegen. Ich musste die Worte nicht verstehen. Ich wusste auch so, dass sie über irgendeinen jungen Mann redeten oder über die Bänder, die sie auf dem Markt gesehen hatten, während sie doch eigentlich hätten Holz hacken müssen. Trotzdem konnte ich mir ein Lächeln nicht verkneifen.
Am Türrahmen trat ich mir den Schnee von den Stiefeln. Eis löste sich von den grauen Steinen, aus denen die Hütte gebaut war, und legte die Einkerbungen rings um die Schwelle frei. Mein Vater hatte einst einen vorbeiziehenden Scharlatan überredet, diesen Schutzzauber gegen die Fae anzubringen, im Tausch gegen eine seiner Holzschnitzarbeiten. Es gab so wenig, was unser Vater für uns tun konnte, dass ich es nicht über mich brachte, ihm zu sagen, dass diese Markierungen uns nicht schützen würden. Sie waren vermutlich sogar eine Fälschung. Menschen besaßen weder Magie noch jene überlegene Kraft und Schnelligkeit der Fae oder High Fae. Der Mann, der von sich behauptete, von den High Fae abzustammen, hatte einfach ein paar Wirbel, Kreise und Runen um Tür und Fenster geritzt, ein paar alberne Sprüche gemurmelt und war seiner Wege gegangen.
Ich stieß die Tür auf. Der eiskalte Türgriff stach mir in die Hand wie eine Wespe. Hitze und Licht schlugen mir entgegen.
»Feyre!«, rief Elain aus. Ich blinzelte in der Helligkeit des Feuers und sah meine zweitälteste Schwester vor mir. Sie war in eine Decke gehüllt, aber ihr Haar – von demselben Goldbraun wie meins und das meiner ältesten Schwester – lag in vollkommenen Locken um ihren Kopf. Acht Jahre Armut hatten Elains Bedürfnis nach Schönheit und Liebreiz nicht auslöschen können. »Wo hast du das her?« Der gierige Unterton verlieh ihrer Stimme etwas Scharfes. Kein Wort über das Blut an meinen Kleidern. Gelegentlich fragte ich mich, ob meine Familie es überhaupt bemerken würde, wenn ich eines Tages nicht mehr aus dem Wald zurückkehrte. Vermutlich erst dann, wenn der Hunger wieder an ihnen zu nagen begann. Aber schließlich war ich es, der meine Mutter auf dem Totenlager ein Versprechen abgenommen hatte, und nicht sie.
Ich zwang mich zur Ruhe und ließ die Hirschkuh von meinen Schultern gleiten. Mit einem dumpfen Schlag polterte sie auf den Holztisch und brachte das Geschirr am anderen Ende zum Klappern.
»Was meinst du wohl, wo ich das herhabe?« Meine Stimme war rau. Ich schälte das Wolfsfell von der Hirschkuh, und nachdem ich meine Stiefel ausgezogen und neben der Tür abgestellt hatte, drehte ich mich zu Elain um.
Ihre braunen Augen – die Augen meines Vaters – klebten an der Hirschkuh. »Brauchst du lange, um sie auszuweiden?« Du, nicht wir. Ich, nicht die anderen. Ich hatte noch nie erlebt, dass sie sich die Hände mit Blut und Eingeweiden schmutzig gemacht hätten. Mein Geschick, das uns am Leben hielt, hatte ich von anderen gelernt.
Mein Vater und Nesta saßen am Kamin und wärmten sich die Hände. Nesta ignorierte ihn, wie immer. Elain starrte weiter den Kadaver an und legte sich die Hand auf den Bauch, der vermutlich von dem gleichen nagenden Hungergefühl heimgesucht wurde wie mein eigener. Es war nicht so, dass Elain grausam war. Nicht so wie Nesta, die schon mit einem spöttischen Ausdruck im Gesicht geboren worden war. Elain gelang es nur manchmal nicht, die wahre Natur der Dinge zu erfassen. Es war keine Kaltherzigkeit, die sie davon abhielt, mir ihre Hilfe anzubieten. Es kam ihr nur einfach nicht in den Sinn, dass sie tatsächlich in der Lage war, sich mit ihrer Hände Arbeit nützlich zu machen. Ich hatte nie herausfinden können, ob sie nicht begriff, dass wir arm waren, oder ob sie sich nur weigerte, dieser Wahrheit ins Gesicht zu blicken. Trotzdem kaufte ich ihr Samen für ihren Blumengarten, wann immer ich es mir leisten konnte.
Und im Gegenzug hatte sie mir in demselben Sommer, in dem ich genug Geld für den Eschenpfeil gehabt hatte, drei kleine Dosen mit Farbe gekauft – Gelb, Rot und Blau. Es war das einzige Geschenk, das sie mir je gemacht hatte, und überall in unserer Hütte waren die Spuren ihrer Gabe zu sehen, auch wenn die Farbe mittlerweile verblasst oder abgeblättert war: zarte Ranken und Blumen an den Fenstern, Türen und Möbelrändern, winzige Flammenzungen rings um den Kamin. Jede freie Minute jenes Sommers voller Überfluss hatte ich damit zugebracht, unsere Hütte in Farbe zu tauchen. Manchmal hatte ich die Malereien in Schubladen versteckt, hinter fadenscheinigen Vorhängen, unter Tischen und Stühlen.
So einen sorglosen Sommer hatten wir seitdem nicht mehr erlebt.
»Feyre.« Die tiefe Stimme meines Vaters dröhnte mir vom Kamin entgegen. Sein dunkler Bart war ordentlich gestutzt, das Gesicht sauber und gepflegt, wie das meiner Schwestern. »Das Glück war dir heute aber hold, dass du uns so einen Festbraten mitbringst.«
Nesta, die neben ihm saß, ließ ein Schnauben vernehmen. Typisch. Jede Form von Anerkennung für mich, Elain oder die anderen Dorfbewohner hatte ihre Missbilligung zur Folge. Und jedes Wort unseres Vaters wurde von ihr der Lächerlichkeit preisgegeben.
Ich richtete mich auf, obwohl ich kaum mehr stehen konnte, stützte mich mit einer Hand auf dem Tisch ab und warf Nesta einen Blick zu. Von uns allen hatte Nesta der Verlust unseres Vermögens am härtesten getroffen. Seit dem Moment, als wir das Gutshaus hatten verlassen müssen, strafte sie unseren Vater mit Verachtung. Selbst nach jenem schrecklichen Tag noch, als uns einer seiner Gläubiger aufsuchte und uns in aller Deutlichkeit zeigte, wie ungehalten er über den Verlust seines investierten Geldes war.
Aber wenigstens schwelgte Nesta nicht, so wie unser Vater, in irgendwelchen sinnlosen Fantastereien, wir könnten unseren Reichtum eines Tages wiedererlangen. Nein, sie gab nur alles Geld aus, das ich nicht rechtzeitig vor ihr versteckte, und schenkte unserem verkrüppelten, humpelnden Vater kaum einen Blick. An manchen Tagen fiel es mir schwer zu entscheiden, wer von uns sich am meisten in Elend und Bitterkeit suhlte.
»Die Hälfte des Fleischs können wir in dieser Woche essen«, sagte ich und lenkte meinen Blick zu der Hirschkuh. Der Kadaver bedeckte den größten Teil unseres klapprigen Tischs, an dem wir unsere Mahlzeiten einnahmen, sie vorbereiteten und auch alle sonstigen Arbeiten verrichteten. »Die andere Hälfte können wir trocknen«, fuhr ich fort, wobei mir klar war, dass der größte Teil der Arbeit sowieso an mir hängen bleiben würde, ganz egal wie oft ich »wir« sagte. »Und morgen gehe ich auf den Markt und schaue mal, wie viel ich für die Häute bekommen kann«, setzte ich hinzu, mehr zu mir selbst als zu ihnen.
Mein Vater hatte sein verkrüppeltes Bein ausgestreckt, so nah ans Feuer wie möglich. Die Kälte, der Regen und jeder Temperaturwechsel verschlimmerten die Schmerzen in den bösen, verwachsenen Narben rund um sein Knie. An seinem Stuhl lehnte sein Gehstock – den Nesta manchmal aus reiner Bosheit außerhalb seiner Reichweite abstellte.
Er könnte Arbeit finden, wenn er sich nicht so sehr schämen würde, sagte Nesta immer, wenn ich ihr vorhielt, wie schlecht sie sich ihm gegenüber benahm. Sie hasste ihn auch wegen seiner Verletzung – weil er sich nicht gewehrt hatte, als der Gläubiger mit seinen Schlägern bei uns eingedrungen war und sie ihm das Knie zerschmettert hatten, wieder und wieder. Nesta und Elain waren ins Schlafzimmer geflohen und hatten die Tür verbarrikadiert. Ich war geblieben, hatte sie angefleht und geweint, bei jedem Schrei meines Vaters und bei jedem Knirschen seiner Knochen ein bisschen mehr. Ich hatte mich eingenässt, mich auf die Herdsteine erbrochen. Erst dann gingen die Männer. Wir haben sie nie wiedergesehen.
Der größte Teil unseres restlichen Geldes ging an den Heiler. Es dauerte sechs Monate, bis unser Vater ein paar Schritte gehen konnte, und ein volles Jahr, bis er wieder eine Meile zurücklegte. Die kläglichen Münzen, die er nach Hause brachte, wenn jemand so viel Mitleid mit ihm gehabt und eine seiner Schnitzereien gekauft hatte, reichten nicht zum Leben. Und vor fünf Jahren dann, als das Geld endgültig aufgebraucht war, als mein Vater immer noch keine Arbeit finden konnte – oder wollte –, hatte er meine Ankündigung, dass ich auf die Jagd gehen würde, ohne Protest hingenommen.
Er war nicht einmal von seinem Platz am Kamin aufgestanden, hatte keine Sekunde lang den Blick von seiner Schnitzarbeit gehoben, als ich die Hütte verließ und in diesen tödlich gefährlichen, unheimlichen Wald ging, vor dem sich sogar die erfahrensten Jäger fürchteten. Mittlerweile war er nicht mehr ganz so apathisch. Manchmal zeigte er sich mir gegenüber dankbar, manchmal humpelte er auch den weiten Weg ins Dorf, um seine Schnitzereien zu verkaufen. Aber nicht oft.
»Ich hätte zu gerne einen neuen Mantel«, sagte Elain seufzend. Im selben Moment stand Nesta auf und verkündete: »Ich brauche neue Stiefel.«
Ich blieb stumm, weil ich keine Lust hatte, mich in ihre Streitereien hineinziehen zu lassen, konnte mir aber einen Blick auf Nestas hübsche, glänzende Stiefel neben der Tür nicht verkneifen. Im Vergleich mit ihren fielen meine buchstäblich auseinander und wurden nur noch von den Schnürsenkeln zusammengehalten.
»Aber ich friere in meinem alten, fadenscheinigen Mantel«, protestierte Elain. »Ich hole mir noch den Tod.« Mit großen Augen blickte sie mich an. »Bitte, Feyre.« Sie zog die beiden Silben meines Namens – Fey-ruh – zu einem so erbärmlichen Wimmern auseinander, dass Nesta mit der Zunge schnalzte und sie anfuhr, sie solle den Mund halten.
Ich stellte meine Ohren auf Durchzug, als sie darüber zu streiten anfingen, wer das Geld bekäme, das die Häute einbringen würden. Mein Vater war an den Tisch getreten und begutachtete jetzt, mit einer Hand auf der Tischplatte abgestützt, die Hirschkuh. Ich verkrampfte mich, als er seine Aufmerksamkeit dem Wolfsfell zuwandte. Seine Finger, immer noch weich und zart wie die eines Edelmanns, fuhren über das Fell und über die blutige Unterseite.
Plötzlich fiel der Blick seiner dunklen Augen auf mich. »Feyre«, murmelte er und verzog den Mund zu einem schmalen Strich. »Wo hast du das her?«
»Wo ich auch die Hirschkuh herhabe«, erwiderte ich knapp. Meine Worte klangen kühl und scharf.
Sein Blick wanderte über den Bogen und den Köcher auf meinem Rücken zu dem Jagdmesser mit dem hölzernen Heft in meinem Gürtel. Seine Augen wurden feucht. »Feyre … das ist zu riskant …«
Mit einer Kopfbewegung wies ich auf das Wolfsfell und erwiderte gereizt: »Ich hatte keine andere Wahl.«
Aber eigentlich wollte ich damit sagen: Du verlässt ja kaum noch das Haus. Wenn ich nicht wäre, würden wir verhungern. Wenn ich nicht wäre, wären wir schon längst tot.
»Feyre«, sagte er noch einmal und schloss die Augen.
Meine Schwestern waren verstummt, und als ich aufschaute, sah ich, wie Nesta die Nase rümpfte. Sie zupfte an meinem Mantel. »Du stinkst wie ein ganzer Schweinekoben. Versuch doch wenigstens mal, dich nicht ständig wie ein verblödeter Hinterwäldler zu benehmen.«
Ich ließ mir nicht anmerken, wie sehr mich ihre Bemerkung verletzte. Als unsere Familie in den Ruin getrieben wurde, war ich noch zu klein gewesen, um die Feinheiten der Umgangsformen zu lernen. Ich konnte auch kaum lesen und schreiben, und Nesta ließ keine Gelegenheit verstreichen, mir meine Unwissenheit unter die Nase zu reiben.
Sie trat einen Schritt zurück und fuhr mit einem Finger über ihren goldschimmernden Zopf. »Zieh diese ekelhaften Sachen aus.«
Ich verkniff mir die Bemerkungen, die ich ihr am liebsten an den Kopf geworfen hätte. Sie war drei Jahre älter als ich, aber sie sah viel jünger aus. Ihre glänzenden Wangen waren mit einem zarten rosigen Hauch überzogen. »Kannst du mal Holz aufs Feuer legen und Wasser heiß machen?« Aber noch während ich die Frage stellte, fiel mein Blick auf den Holzstapel. Es war nur noch ein Scheit übrig. »Ich dachte, du wolltest heute Holz hacken.«
Nesta kratzte an ihren langen, gepflegten Nägeln. »Ich hasse Holzhacken. Davon bekomme ich Splitter in den Händen.« Unter ihren dunklen Wimpern hervor schaute sie mich an. Von uns dreien sieht Nesta unserer Mutter am ähnlichsten. »Außerdem«, sagte sie, »kannst du das doch viel besser, Feyre. Du brauchst nur halb so lange wie ich. Und deine Hände eignen sich hervorragend dafür, sie sind doch schon ganz schwielig.«
Zorn stieg in mir auf. »Bitte«, sagte ich und kämpfte die Anspannung nieder. Ein Streit war das Letzte, was ich jetzt brauchte. »Bitte steh morgen früh auf und hack Holz.« Ich knöpfte mein Hemd auf. »Sonst müssen wir ein kaltes Frühstück essen.«
Sie runzelte die Stirn. »Ich werde nichts dergleichen tun!«
Aber ich ging schon auf das Zimmer zu, in dem wir Mädchen gemeinsam schliefen. Elain murmelte eine sanfte Bitte, auf die Nesta mit einem Zischen antwortete. Ich warf meinem Vater über die Schulter einen Blick zu und deutete auf die Hirschkuh. »Mach die Messer fertig«, sagte ich und bemühte mich gar nicht erst um einen bittenden oder auch nur freundlichen Ton. »Ich brauche nicht lange.« Ohne auf eine Antwort zu warten, schlug ich die Tür hinter mir zu.
Das Zimmer war gerade groß genug für eine wackelige Kommode und das riesige, schmiedeeiserne Bett, in dem wir schliefen. Es war das einzige Überbleibsel unseres einstigen Wohlstands und ein Hochzeitsgeschenk meines Vaters an meine Mutter. Es war das Bett, in dem wir geboren wurden und in dem meine Mutter starb. Und in all den Jahren, in denen ich unser Haus nun schon mit meinen Malereien verzierte, hatte ich dieses Möbelstück nicht angerührt.
Ich warf meine Überkleider auf die windschiefe Kommode und betrachtete stirnrunzelnd die Veilchen und Rosen, die ich um die Griffe von Elains Schublade gemalt hatte, die knisternden Flammen auf Nestas und den dunklen Nachthimmel – mit gelben Tupfern statt weißen als Sternen – auf meiner Schublade. Ich hatte den düsteren Raum damit verschönern wollen, aber meine Schwestern hatten die Malereien mit keinem Wort erwähnt. Ich weiß selbst nicht, warum ich gehofft hatte, dass sie es tun würden.
Ich stöhnte auf und musste mich beherrschen, um mich nicht einfach aufs Bett fallen zu lassen.
An diesem Abend gab es gebratenes Fleisch. Es war unvernünftig von mir, aber ich ließ zu, dass wir alle uns einen kleinen Nachschlag genehmigten. Danach erklärte ich das Mahl für beendet. Morgen würde ich die Reste des Fleischs zur Lagerung vorbereiten und dann die Häute säubern und zum Markt bringen. Ich kannte ein paar Händler, die daran interessiert sein könnten – obwohl keiner mir so viel zahlen würde, wie die Häute wert waren. Aber ich hatte weder die Zeit noch die Mittel, um in die nächste größere Stadt zu reisen und einen besseren Preis auszuhandeln.
Genießerisch leckte ich auch noch den letzten Rest Fett von den Zinken meiner Gabel ab. Meine Zunge glitt über das verbeulte Metall. Die Gabel gehörte zu dem schäbigen Besteck, das mein Vater klammheimlich aus den Dienstbotenquartieren zusammengerafft hatte, während die Gläubiger unser Haus plünderten. Kein Teil passte zum anderen, aber es war trotzdem besser, als mit den Fingern zu essen. Die Aussteuer meiner Mutter war damals schon längst zu Geld gemacht worden.
Meine Mutter. Hochfahrend und kalt im Umgang mit ihren Kindern, fröhlich und strahlend in Gesellschaft des Landadels, der sich regelmäßig auf unserem Gut einfand, meinem Vater treu ergeben. Er war der einzige Mensch, den sie liebte und respektierte. Aber sie liebte auch rauschende Feste, und zwar in einem solchen Ausmaß, dass sie sich kaum mit mir beschäftigte, wenn es nicht um die Frage ging, ob mein Geschick mit Zeichenstift und Pinsel mir einen guten Ehemann verschaffen könnte. Hätte sie unseren Ruin miterlebt, wäre sie daran zerbrochen, vermutlich noch stärker als mein Vater. Vielleicht war es ein gnädiges Geschick, dass sie vorher starb.
So hatten wir wenigstens mehr zu essen.
Sie hatte uns nichts hinterlassen außer diesem schmiedeeisernen Bett – und dem Schwur, den ich ihr leisten musste.
Jedes Mal, wenn ich den Horizont betrachtete oder mir überlegte, ob ich nicht einfach auf und davon marschieren sollte, ohne jemals zurückzublicken, hörte ich das Versprechen, das ich ihr vor elf Jahren gegeben hatte, als sie auf ihrem Sterbelager dahinsiechte. Bleibt zusammen und pass auf sie auf. Ich hatte es versprochen. Ich war zu jung gewesen, um sie zu fragen, warum sie nicht meine älteren Schwestern oder meinen Vater darum bat. Ich schwor es und dann starb sie, und in unserer elenden Menschenwelt – die nur durch den Vertrag geschützt wurde, den die High Fae vor fünf Jahrhunderten mit uns geschlossen hatten –, in unserer Welt, in der wir die Namen unserer Götter vergessen hatten, war ein Versprechen Gesetz. Ein Versprechen war kostbarer als Geld. Ein Versprechen war ein eisernes Band.
Es gab Zeiten, in denen ich sie hasste, weil sie mir diese Last auferlegt hatte. Vielleicht war ihr im Fieberwahn gar nicht bewusst gewesen, was sie von mir verlangte. Oder vielleicht hatte ihr der nahende Tod die Augen über die wahre Natur ihrer Töchter und ihres Ehemanns geöffnet.
Ich legte die Gabel auf den Tisch und schaute in die Flammen unseres mageren Feuers, die über die spärlichen Scheite tanzten. Dann streckte ich meine schmerzenden Beine unter dem Tisch aus.
Ich wandte mich meinen Schwestern zu. Wie üblich beklagte sich Nesta über die Dorfbewohner, die keine Manieren hatten, keine Umgangsformen und keine Ahnung, wie erbärmlich ihre Kleidung war, und die doch so taten, als gingen sie in Samt und Seide. Seit wir arm waren, ignorierten uns unsere früheren Freunde, und meine Schwestern mussten sich mit den Bauernsöhnen und -töchtern zufriedengeben, auf die sie allerdings hochnäsig herunterschauten.
Ich nippte an meiner Tasse mit heißem Wasser – selbst Tee konnten wir uns dieser Tage nicht leisten – und sie erzählte weiter.
»Nun, ich habe zu ihm gesagt: ›Wenn Ihr glaubt, dass Ihr mich so unverfroren fragen könnt, Sir, dann werde ich ebenso unverfroren ablehnen.‹ Und weißt du, was Tomas gesagt hat?« Nesta sprach zu Elain gewandt, die ihr atemlos lauschte. Mein Vater, offenbar im Nebel irgendeiner Erinnerung verloren, lächelte seiner liebsten Elain gütig zu. Sie war die Einzige von uns, die sich die Mühe machte, wirklich mit ihm zu sprechen.
»Tomas Mandray?«, mischte ich mich ein. »Der zweite Sohn des Holzfällers?«
Nestas blaugraue Augen verengten sich. »Ja«, sagte sie und wandte sich wieder Elain zu.
»Was will er?« Ich warf meinem Vater einen Blick zu. Keine Reaktion, kein Anzeichen von Unruhe oder Sorge, kein Anzeichen dafür, dass er überhaupt zuhörte.
»Er will sie heiraten«, sagte Elain verträumt. Ich blinzelte.
Nesta legte den Kopf schräg. Eine Geste, die ich schon oft bei Raubvögeln beobachtet hatte. Ich fragte mich manchmal, ob ihre Unnachgiebigkeit und Stärke uns nicht hätten helfen können, besser zu leben – oder vielleicht sogar wieder zu Wohlstand zu kommen –, wenn sie nicht so sehr mit ihrem sozialen Abstieg beschäftigt gewesen wäre. »Gibt es ein Problem, Feyre?« Sie spuckte mir meinen Namen wie eine Beleidigung vor die Füße, und meine Kiefer schmerzten, so fest biss ich die Zähne zusammen.
Mein Vater rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her, und obwohl ich wusste, wie sinnlos es war, ging ich auf ihre Kränkung ein. »Du kannst kein Holz für uns hacken, aber trotzdem willst du den Sohn eines Holzfällers heiraten?«
Nesta straffte die Schultern. »Ich dachte, du könntest uns gar nicht schnell genug aus dem Haus haben, mich und Elain, damit du genug Zeit hast, deine kostbaren Meisterwerke zu malen.« Sie warf einen verächtlichen Blick auf die Fingerhutranke, mit der ich die Tischkante verziert hatte – die Farben waren zu dunkel und zu blau und die hellen Flecken in den Blütenkelchen hatte ich gar nicht malen können. Aber ich hatte mein Bestes gegeben, auch wenn es mich fast umgebracht hatte, dass mir weiße Farbe fehlte und das Ergebnis so unzulänglich war.
Ich ignorierte den Seitenhieb, obwohl ich mein Werk am liebsten mit der Hand verdeckt hätte. »Glaub mir«, sagte ich zu ihr, »an dem Tag, an dem du heiratest, bringe ich dich mit Freuden eigenhändig zum Haus des Bräutigams. Aber Tomas wirst du nicht heiraten.«
Nestas Nasenflügel bebten. »Du kannst nichts dagegen tun. Clare Beddor hat mir heute Nachmittag erzählt, dass Tomas schon bald um meine Hand anhalten wird. Und dann werde ich nie wieder diesen Abfall essen müssen.« Und mit einem schmalen Lächeln setzte sie hinzu: »Wenigstens habe ich es nicht nötig, mich wie ein Tier im Heu mit Isaac Hale zu paaren.«
Mein Vater hüstelte verlegen und schaute zu seinem Bett neben dem Feuer. Er hatte noch nie gegen Nesta aufbegehrt, sei es aus Angst oder aus Schuldgefühlen, und ganz sicher würde er jetzt nicht damit anfangen, obwohl er von der Sache mit Isaac bis jetzt nichts gewusst hatte.
Ich legte meine Hände flach auf den Tisch und starrte sie an. Elain zog ihre dicht danebenliegende Hand weg, so als könnten der Schmutz und das Blut unter meinen Fingernägeln auf ihre porzellanfarbene Haut abfärben. »Tomas’ Familie ist nur wenig besser dran als wir«, sagte ich und gab mir Mühe, das Grollen aus meiner Stimme zu verbannen. »Für sie wärst du nur ein weiteres Maul, das sie stopfen müssten. Wenn er selbst das nicht weiß, seine Eltern wissen es ganz sicher.«
Aber Tomas wusste sehr wohl Bescheid. Wir waren einander schon im Wald begegnet. Ich hatte das verzweifelte Glänzen des Hungers in seinen Augen beim Anblick der erlegten Kaninchen an meinem Gürtel gesehen. Ich hatte noch nie einen Menschen getötet, aber an diesem Tag lag das Gewicht meines Jagdmessers schwer in meiner Hand. Seitdem ging ich ihm aus dem Weg.
»Wir können uns keine Mitgift leisten«, fuhr ich fort, und obwohl meine Stimme fest klang, wurde sie leise. »Für keine von euch.« Wenn Nesta gehen wollte, bitte schön. Von mir aus. Dann wäre ich jener herrlichen, friedlichen Zukunft ein Stück näher gekommen, in der mich nur ein leeres Haus erwartete, mit genug Essen und viel Zeit zum Malen. Aber wir hatten nichts, wirklich rein gar nichts, was einen Verehrer dazu hätte verleiten können, eine meiner Schwestern zum Traualtar zu führen.
»Wir lieben uns«, verkündete Nesta und Elain stimmte eifrig nickend zu. Ich hätte beinahe gelacht. Wann hatten sie aufgehört, ihren adeligen Jüngelchen nachzuweinen, und begonnen, den Bauern schöne Augen zu machen?
»Liebe füllt keine leeren Bäuche«, erwiderte ich und behielt meinen stoischen Blick bei.
Nesta sprang von der Bank auf, als hätte ich sie geschlagen. »Du bist doch bloß eifersüchtig. Ich habe gehört, dass Isaac irgend so ein Mädchen aus Greenfield heiraten wird, das eine anständige Mitgift mitbringt.«
Das hatte ich auch gehört. Isaac hatte sich bei unserem letzten Treffen darüber aufgeregt. »Eifersüchtig?«, sagte ich langsam und hob in Gedanken ein tiefes Loch aus, in dem ich meine Wut begrub. »Wir haben nichts, was wir ihnen bieten könnten – keine Mitgift, nicht mal ein armseliges Huhn. Tomas mag dich heiraten wollen, aber letztendlich wärst du nur eine Last für ihn.«
»Was weißt du denn schon?«, knurrte Nesta. »Du bist doch bloß ein halbwildes Tier, das Tag und Nacht andere ankläfft. Mach nur weiter so, Feyre, dann wird sich eines Tages – eines Tages, hörst du? – niemand mehr an dich erinnern oder überhaupt dafür interessieren, dass es dich jemals gab.« Mit Elain im Schlepptau, die ihr mitfühlend beipflichtete, zog sie ab. Als sie die Tür zu dem Zimmer zuschlug, in dem wir alle drei schliefen, klirrte das Geschirr.
Diese Worte hatte ich früher schon zu hören bekommen, und ich wusste, dass sie sie nur deshalb wiederholte, weil ich beim ersten Mal zusammengezuckt war. Sie brannten immer noch.
Ich nahm einen langen Schluck aus meiner angeschlagenen Tasse. Der Holzstuhl, auf dem mein Vater saß, ächzte, als er das Gewicht verlagerte. Ich trank noch einen Schluck und sagte: »Du solltest ihr ins Gewissen reden.«
Er betrachtete ein Brandmal auf dem Tisch. »Was soll ich sagen? Wenn es Liebe ist …«
»Es kann unmöglich Liebe sein, jedenfalls nicht von ihm aus. Nicht bei der Armut, in der sie leben. Ich habe gesehen, wie er sich im Dorf benimmt. Oh ja, es gibt schon etwas, das er von ihr will, aber die Ehe ist es nicht.«
»Wir brauchen Hoffnung genauso nötig wie Brot und Fleisch«, wies er mich zurecht. In seinen Augen stand eine seltene Klarheit. »Wir brauchen Hoffnung, damit wir weitermachen können. Also lass ihr die Hoffnung, Feyre. Lass sie von einem besseren Leben träumen. Von einer besseren Welt.«
Ich stand vom Tisch auf, die Hände zu Fäusten geballt. Am liebsten wäre ich irgendwo allein gewesen, aber in einer Hütte mit nur zwei Zimmern ist das schlecht möglich. Ich starrte auf die falschen Farben des Fingerhuts am Tischrand. Die äußeren Blüten waren abgeplatzt und verblasst, der untere Teil des Stiels gänzlich abgerieben. In ein paar Jahren würde die Malerei nicht mehr vorhanden sein. Keiner würde ahnen, dass sie jemals da gewesen war. Dass ich da gewesen war.
Der Blick, mit dem ich meinen Vater bedachte, war hart. »So etwas gibt es nicht.«
Der zertrampelte Schnee auf der Straße zum Dorf war schwarz und braun gesprenkelt, wo sich die Abdrücke von Wagen und Pferdehufen bis zur Erde durchgedrückt hatten. Elain und Nesta verzogen das Gesicht und versuchten, die besonders schlammigen Stellen zu umgehen. Ich wusste genau, warum sie mitkamen. Sie hatten nur einen Blick auf die Häute geworfen, die ich in meinen Beutel gestopft hatte, und gleich nach ihren Mänteln gegriffen.
Ich redete nicht mit ihnen, weil auch sie seit gestern Abend kein Wort mit mir gesprochen hatten. Aber Nesta war im Morgengrauen aufgestanden und hatte Holz gehackt, vermutlich, weil ich heute die Häute auf dem Markt verkaufen und dann Geld in der Tasche haben würde. Die beiden trotteten hinter mir über die einsame Straße, die sich durch schneebedeckte Felder bis in unser ärmliches Dorf wand.
Die Steinhäuser waren schmucklos und grau und wirkten in der Ödnis des Winters noch trostloser. Aber es war Markttag, und auf dem kleinen Platz mitten im Dorf hatten sich die Händler versammelt, die sich nicht scheuten, an einem eiskalten Morgen aus dem Haus zu gehen.
Ein paar Häuser weiter kam uns der Duft von Gesottenem entgegen, von Gewürzen, die lockend an meiner Erinnerung zupften. Elain hinter mir seufzte schwer. Gewürze, Salz und Zucker waren Kostbarkeiten, die in unserem Dorf nur selten in Erscheinung traten. Wir konnten uns nichts davon leisten.
Wenn ich heute einen guten Preis für die Häute bekam, könnte ich uns vielleicht eine Köstlichkeit kaufen. Ich wollte mich umdrehen und meinen Schwestern diesen Vorschlag unterbreiten, aber in diesem Moment bogen wir um eine Ecke, und die beiden wären beinahe in mich hineingelaufen, weil ich abrupt stehen blieb.
»Möge euch das unsterbliche Licht leuchten, Schwestern«, sprach eine junge Frau in einem hellen Gewand, die uns in den Weg getreten war.
Nesta und Elain schnaubten, ich seufzte. Na großartig. Das war genau das, was mir zu meinem Glück noch gefehlt hatte. Die Kinder der Gesegneten waren in der Stadt, noch dazu an einem Markttag, wo sie sich wie Kletten an die Leute heften und sie nicht mehr in Frieden lassen würden. Die Dorfältesten duldeten sie normalerweise nur ein paar Stunden lang. Aber die bloße Anwesenheit dieser närrischen Fanatiker, die immer noch den High Fae huldigten, machte alle nervös. Mich besonders. Vor langer Zeit hatten wir die High Fae unsere Herren genannt – nicht unsere Götter. Und sie waren keine gnädigen Herren gewesen.
Die junge Frau streckte eine mondweiße Hand zur Begrüßung aus. An ihrem Handgelenk klimperte ein Armband mit silbernen Glöckchen. Das Silber war echt. »Schenkt mir einen Augenblick, damit ich euch das Wort der Gesegneten verkünden kann.«
»Nein«, fauchte Nesta, die Hand missachtend, und zog Elain mit sich. »Das werden wir nicht tun.«
Das offene, dunkle Haar der jungen Frau schimmerte im Morgenlicht und ihr sauberes, reines Gesicht erstrahlte in einem hübschen Lächeln. Hinter ihr lungerten fünf weitere Apostel herum, junge Männer und Frauen mit langen, ungebändigten Haaren, die ihre Blicke über das Marktgeschehen gleiten ließen, auf der Suche nach der Dorfjugend, die sie mit ihren Ideen vereinnahmen konnten. »Es dauert nur eine Minute«, sagte die Frau und trat Nesta wieder in den Weg.
Nestas Haltung war beeindruckend, wirklich und wahrhaftig beeindruckend. Sie richtete sich auf und schaute der jungen Frau von oben herab ins Gesicht, wie eine Königin ohne Thron. »Verbreite deinen blindgläubigen Unsinn irgendwo anders. Hier wirst du keine Gefolgsleute finden.«