Buchcover

Frederick Marryat

M. Violet’s Reisen und Abenteuer

Californien, Sonora und dem Westen von Texas

Neu aus dem Englischen
von
Dr. Carl Kolb

Saga

Vorwort.

Es ist unnöthig, dem Leser mitzutheilen, in welcher Weise ich mit dem Manne bekannt wurde, aus dessen Notizen und Bemerkungen ich das vorliegende Werk zusammengetragen habe. Ueber die Richtigkeit und Glaubwürdigkeit dessen, was mein Berichterstatter behauptet, unterhalte ich keinen Zweifel, da ich ihn während der ganzen Zeit, die ich auf gegenwärtige Schrift verwendete, zur Seite hatte und mir somit Gelegenheit gegeben war, Erläuterungen einzuholen und Verbesserungen vorzunehmen.

Wir besitzen viele Werke über die Indianerstämme im Norden von Amerika, ihre frühere Geschichte und ihre gegenwärtigen Verhältnisse; die Stämme des Westens sind aber nur sehr unvollkommen bekannt. Letztere bestehen hauptsächlich aus den Pawnees, Schwarzfüssen, Krähen, Comanches, Apaches, Arrapahoes, Wakoes und Shoshones, von denen nur die drei ersteren bis jetzt besondere Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben. Die Comanches wurden zwar von Mr. Catlin besucht, über ihre Sitten oder ihre Geschichte ist jedoch wenig bekannt. Auch über die Apaches und Arrapahoes fehlen Beschreibungen, obschon man mit ihnen bereits in Berührung gekommen ist, während man dagegen von Wakoes gar nichts weiss und die Shoshonen bloss von Ross Cox und Mr. Catlin als ein mächtiger Stamm bezeichnet werden, ohne dass jedoch diese Berichterstatter aus eigener Einsichtnahme sprechen könnten.

Die Pawnees, Schwarzfüsse und Krähen gehören zu der Algonquin-Raçe, während die übrigen Stämme, welche man füglich die Beduinen der grossen westlichen Wüsten nennen kann, unserer Erzählung zufolge ursprünglich von den Shoshones oder — wie sie gewöhnlich genannt werden — Schlangenindianern abstammen.

Diese Schrift enthält, wie man finden wird, viele werthvolle Belehrungen, nicht bloss über die Indianerstämme, sondern auch über Californien, das westliche Texas und die wüsten Prärien im mittleren Amerika, deren Gebiete und Bewohner wir bisher gleich wenig kannten.

Wenn der Leser einen romanhaften Anflug in dieser Erzählung entdeckt, so darf er dies nicht mir zur Last legen. Die vorkommenden Abenteuer sind allerdings romantisch und müssen es schon ihrer Natur nach seyn; indess habe ich den Ton derselben sogar noch gemildert.

Einige Schilderungen, die Naturgeschichte dieser Gegenden betreffend, könnten auffallend erscheinen, aber in unbekannten Ländern muss man sich darauf gefasst machen, auch unbekannten Geschöpfen zu begegnen. Ich kann nur sagen, dass die betreffenden Berichte der strengsten Prüfung unterworfen wurden und dass ich sie nicht nur deshalb, sondern auch um der Achtbarkeit des Mannes willen, der mir die Details lieferte, für vollkommen richtig halte.

Die Ansichten und Bemerkungen, auf welche der Leser gelegentlich treffen wird, rühren gleichfalls nicht von mir her. Ich habe das Werk bloss geschrieben und es für passend erachtet, dieses kurze Vorwort beizufügen, damit man ermessen möge, in wie weit ich für den Inhalt verantwortlich bin oder nicht.

Erstes Kapitel.

Die Revolution von 1830, welche Carl den Zehnten des französischen Thrones beraubte und so viele andere grosse plötzliche Veränderungen herbeiführte, wurde für Viele verderblich, namentlich aber für manche alte Familien, welche dem Hofe zugethan waren und den verbannten Monarchen in seinem Unglücke nicht verlassen wollten. Unter den Wenigen, welchen es gestattet war, Carl des Zehnten Geschick persönlich zu theilen, befand sich mein Vater, ein edler Burgunder, der schon in einer früheren Verbannungsperiode der königlichen Familie von seiner unwandelbaren Treue und Anhänglichkeit an die legitimen Eigenthümer der Krone von Frankreich Beweise abgelegt hatte.

Als der unglückliche König in dem alten Residenzschlosse von Holyrood eine Zuflucht gefunden hatte, sagte mein Vater der Heimath für immer Lebewohl, schloss sich mit mir, seinem einzigen, erst neunjährigen Sohne, dem Gefolge des Monarchen an und liess sich in Edinburg nieder.

Wir weilten nicht lange in Schottland. Carl der Zehnte entschloss sich, seinen Aufenthalt in Prag zu nehmen. Mein Vater reiste voraus, um die nöthigen Vorkehrungen zu treffen, und sobald sich sein Gebieter in der alten Königsstadt niedergelassen hatte, suchte er seinen Schmerz auf Reisen zu vergessen. Trotz meiner Jugend war ich sein Begleiter. Im Laufe von drei Jahren besuchten wir Italien, Sicilien, Griechenland, die Türkei, Aegypten und das heilige Land, worauf wir nach Italien zurückkehrten und ich als zwölfjähriger Knabe dem Erziehungsinstitute der Propaganda zu Rom übergeben wurde.

Für einen Verbannten, der mit glühender Liebe an seinem Vaterlande hängt, gibt es keine Ruhe. Von dem theuren Frankreich ausgeschlossen, konnte mein Vater nirgends einen Ort finden, der ihn seinen Kummer vergessen liess, und er blieb so rastlos und unglücklich, als nur je.

Kurz nach meiner Aufnahme in die Propaganda traf er mit einem alten Jugendfreunde zusammen, den er seit einer Reihe von Jahren nicht mehr gesehen hatte: einst waren beide froh und glücklich gewesen, auf ihrem gegenwärtigen Geschicke lasteten jedoch in gleicher Weise Leiden und Ruhelosigkeit. Dieser Freund war der italienische Fürst Seravalle, den ein nicht minder bitterer Kelch zu Theil geworden. Als Jüngling hatte er tief den moralischen und physischen Zerfall seines Vaterlandes gefühlt und einen Streich zu führen versucht, um es wieder zu seinem früheren Glanze zu erheben. Er trat an die Spitze einer Verschwörung, verwandte einen grossen Theil seiner Reichthümer auf die Verfolgung seines Zieles, wurde von seinen Bundesbrüdern verrathen und fand ein vieljähriges Gefängniss in dem Schlosse San Angelo.

Wie lange seine Gefangenschaft währte, weiss ich nicht anzugeben; wahrscheinlich war sie aber von sehr langer Dauer, denn wenn er in späteren Zeiten hin und wieder von seinem früheren Leben sprach, so bezog er alle Ereignisse auf die Jahre „während welcher er in seinem Kerker oder in dem Hofgefängnisse des Capitols sass,“ auf dem viele seiner Vorfahren ganzen Nationen Gesetze vorgeschrieben hatten.

Endlich wurde der Fürst wieder in Freiheit gesetzt, aber die Gefangenschaft hatte keine Aenderung in seinen Gesinnungen oder Gefühlen hervorgebracht. Seine Liebe zum Vaterlande und der Wunsch einer Wiedergeburt desselben waren noch so kräftig, als je; er trat daher bald an die Spitze der Carbonaris, einer Verbindung, welche in späteren Jahren durch die Beharrlichkeit und die Leiden eines Maroncelli, eines Silvio Pellico und vieler Anderer berühmt geworden ist.

Er wurde abermals entdeckt und festgenommen, diesmal aber nicht dem Gefängnisse überantwortet. Die Regierung fühlte sich zu schwach, und die bekannten freisinnigen Ansichten des Fürsten hatten ihn bei den Trasteverini oder den Bewohnern der nördlich von der Tiber gelegenen Gegenden so beliebt gemacht, dass schon aus Politik weder Gefängnissstrafe noch Todesurtheil erkannt werden konnte. Soviel ich mich erinnere, wurde er auf zehn Jahre verbannt.

Während dieses langen Exils wandelte der Fürst Seravalle über verschiedene Theile des Erdballs und kam endlich nach Mexico. Er verweilte in Verakruz und reiste dann in’s Innere, um die Trümmer der alten Städte in der westlichen Welt zu untersuchen. Von dem Durste nach Wissen und der Liebe zu Abenteuern getrieben, erreichte er endlich die Westküste von Amerika, zog durch Californien und traf endlich auf die Shoshonen oder Schlangenindianer, deren grosses Gebiet sich von dem stillen Weltmeere an bis fast an den Fuss der Rocky Mountains erstreckt. Die Lebensweise und der angeborene Adel dieser Indianerstämme gefielen ihm so sehr, dass er geraume Zeit unter ihnen verweilte und sich zuletzt entschloss, nach Ablauf seiner Verbannung zwar wieder in die Heimath zurückzukehren, ohne sich jedoch in jenem undankbaren Lande niederlassen zu wollen; denn er hatte bloss die Absicht, sein Vermögen zu holen und es zu Nutz und Frommen den Shoshonen zu verwenden. Vielleicht veranlasste den Fürsten Seravalle noch ein anderes gewaltigeres Gefühl, wieder zu den Indianern zurückzukehren, unter denen er so lange gelebt hatte — ich meine den Zauber, welcher ein naturgemässes Leben besonders dann dem Manne der Civilisation bietet, wenn er entdeckt hat, wie hohl und herzlos wir durch die sogenannte Bildung werden.

Kein einziger Indianer, der an einer Schule und unter den üppigen Freuden einer Stadt erzogen wurde, hat je gewünscht, unter den Blassgesichtern seine bleibende Wohnstätte zu nehmen, während im Gegentheile viele Tausende von Weissen, von der höchsten bis zu der niedersten Civilisationsstufe, das Leben unter den Wilden lieb gewannen, unter ihnen weilten und in ihrem Kreise starben, obgleich sie vielleicht hätten Schätze sammeln und wieder in ihre Heimath zurückkehren können.

Dies mag sonderbar erscheinen, ist aber dennoch wahr. Jeder einsichtsvolle Reisende, der einige Wochen in den Wigwams gutmüthiger Indianer zubrachte, wird zugeben, dass er sich sogar während dieses kurzen Aufenthaltes ungemein angezogen fühlte. Wie mag es erst denen ergehen, die Jahre lang unter den Indianern gelebt haben?

Kurz nachdem der Fürst in Italien angelangt war, um seine wohlwollenden Absichten zur Ausführung zu bringen, erneuerte er mit meinem Vater die alte Freundschaft — eine Freundschaft, in früher Jugend geschlossen und so kräftig, dass sie nicht einmal durch ihre entgegengesetzten politischen Ansichten geschwächt werden konnte. Der Fürst befand sich damals zu Leghorn; er hatte ein Schiff gekauft und es mit Ackerbaugeräthen und unterschiedlichen Werkzeugen für häusliche Künste beladen; desgleichen nahm er einige alte Kanonen, eine grosse Anzahl Lütticher Karabiner, Schiesspulver und so weiter, Materialien für Erbauung eines guten Hauses und einige Artikel zur Zierde an Bord. Um diesen ausserordentlichen Aufwand zu bestreiten, hatte er alle seine grossen Besitzungen veräussert. Ausserdem warb er noch Maurer, Schmiede und Zimmerleute an und nahm auch einige seiner früheren Pächter mit sich, die sich gut auf die Kultur des Oelbaumes und des Weines verstanden.

Er war fast ganz zum Aufbruche vorbereitet, als er im Herbst 1833 mit meinem Vater zusammentraf, ihm seine Erlebnisse und künftigen Plane mittheilte und ihn fragte, ob er ihn nicht begleiten wolle. Mein Vater, den als blasé au fond die ganze Welt anwiderte, kam dem Fürsten auf mehr als halbem Wege entgegen.

Unsere Güter in Frankreich waren zur Zeit der Revolution unter grossen Opfern veräussert worden, und so bestand meines Vaters gegenwärtige Habe nur aus Geld und Juwelen. Er beschloss, Alles zu wagen und sich mit dem Fürsten in jenem fernen Lande niederzulassen. Die Ladung, wie auch die Theilnehmer an der Expedition erhielten demnach eine entsprechende Erweiterung.

Der Fürst hatte bereits zwei Priester vermocht, ihn in der Eigenschaft von Missionären zu begleiten. Mein Vater, dem meine Erziehung sehr am Herzen lag, versah sich mit einer grossen Bibliothek und zahlte dem Prior eines Dominikanerklosters eine grosse Summe, dass er einem weiteren würdigen Ordensmanne, der sich gut für die Leitung meiner Erziehung eignete, mitzugehen erlaubte. Zwei von den drei Religiösen, welche an unserer Expedition Theil nahmen, hatten bereits grosse Reisen gemacht und das Zeichen des Kreuzes östlich vom Ganges im Reiche der Birmanen und in Thibet aufgepflanzt.

Um alle Schwierigkeiten zu umgehen, die vielleicht von der Regierung erhoben worden wären, hatte sich Fürst Seravalle der Vorsicht bedient, das Ziel seiner Reise als Guatemala zu bezeichnen, und die Bewohner von Leghorn glaubten seiner Angabe. Guatemala und Acapulco lagen jedoch weit südlich, als wir an dem Orte unserer Bestimmung anlangten.

Endlich war Alles vorbereitet. Mein Vater berief mich von der Propaganda ab — man schiffte zuletzt noch die Rebstöcke und so weiter ein und die Esmeralda trat ihre langweilige, keineswegs sichere Fahrt an.

Zweites Kapitel.

Ich war damals noch nicht dreizehn Jahre alt; aber trotz meiner Jugend hatte ich doch schon viele Reisen gemacht und jene Kenntnisse erworben, die man durch das Auge erlangt — vielleicht die beste Erziehung in den früheren Lebensperioden. Ich übergehe die Einförmigkeit einer Reise, bei der man fast eine Ewigkeit nichts als Himmel und Wasser sieht; sie ging glücklich von statten, denn ich kann mich nicht erinnern, dass wir je in irgend einer bedeutenden Gefahr geschwebt hätten.

Nach fünf Monaten erreichten wir die Küste und gelangten mit einiger Schwierigkeit in die Mündung eines Flusses, der in die Mündung der Trinity-Bay fällt, 41° nördlicher Breite und 124° 28′ Länge.

Wir ankerten ungefähr vier Meilen über der Mündung. Der Fluss liegt dort in der Mitte der Shoshonen-Küste und die Eingebornen besuchen ihn an jener Stelle bei ihren jährlichen Fischerstreifzügen. Zum Gedächtniss unserer Landung erhielt er von den Indianern den Namen: „Nu elejé sha wako“ oder Wegweiser der Fremden.

Die Landungsstelle bildete mehrere Wochen den Schauplatz einer seltsamen Rührigkeit. Der Fürst Seravalle war während seines früheren Aufenthalts als Krieger und Häuptling unter die Shoshonen aufgenommen worden, und jetzt kamen die Indianer schaarenweise aus dem Innern, um den Blassgesichts-Häuptling zu bewillkommnen, der seine rothen Kinder nicht vergessen hatte. Sie halfen uns das Schiff ausladen, versahen uns mit allen Arten von Wild und hatten unter Anweisung des Zimmermanns bald ein grosses Magazin erbaut, in welchem wir unsere Güter und Werkzeuge gegen die Einwirkungen des Wetters schützen konnten.

Sobald wir unsere Ladung untergebracht hatten, machten sich der Fürst und mein Vater, von den Häuptlingen und Aeltesten des Stammes begleitet, auf den Weg, um einen Ort für die Ansiedelung auszuwählen. Während ihrer Abwesenheit wurde ich der Obhut einer Häuptlings-Squaw anvertraut, deren drei hübsche Kinder meine Spielgefährten waren. Nach drei Wochen kehrte die Spähpartie wieder zurück; sie hatte an den westlichen Ufern des Buona-Ventura-Flusses einen Platz ausgelesen, der an dem Fusse eines hohen, kreisförmigen Gebirges lag, wo die verhärtete Lava und der verwitterte Schwefel, der das Gestein bedeckte, auf frühere vulkanische Ausbrüche hindeutete. Längs des Flusses standen hohe, als Bauholz taugliche Bäume, und ganz in der Nähe befanden sich ungeheure Kalksteinbrüche, während die kleineren Ströme einen Thon lieferten, aus welchem sich treffliche Ziegel fertigen liessen.

Die Spanier hatten schon früher diesen Ort besucht und dem Gebirge den Namen „St. Salvador“ gegeben; unsere Niederlassung erhielt jedoch ihre Benennung nach dem indianischen Namen des Fürsten und hiess „Nanawa ashta jueri ê,“ oder Wohnung des grossen Kriegers. Da unser Landungsplatz zur Zeit des Fischens von den Indianern häufig besucht wird, so beschloss man, auch hier ein viereckiges Fort, ein Magazin und ein Bootshaus zu errichten. Sechs oder sieben Monate war Alles in grosser Thätigkeit, als mit einemmal ein Umstand sich ereignete, der unsere Anstrengungen entmuthigte.

Obgleich es im ganzen Lande von Vieh wimmelt und einzelne Stämme, deren ich später erwähnen werde, grosse Heerden besitzen, so wissen die Shoshonen doch durchaus nichts von Viehzucht, deren sie auch recht wohl entrathen können, da ihr ausgebreitetes Gebiet alte Arten von Wild in grosser Menge birgt. Dies war jedoch dem Fürsten nicht genehm, da er einen Ehrgeiz darin suchte, unter dem Stamme Ackerbau und häuslichere Gewohnheiten einzuführen. Er schickte deshalb die Esmeralda ab, um von Monterey oder Santa Barbara Vieh beizuschaffen. Von dem Schiff wurde jedoch nichts mehr gehört. Die Mexikaner gaben an, sie hätten das Wrack eines Schiffes in der Nähe von Cap Mendocino bemerkt, was uns natürlich auf die Vermuthung brachte, dass die Trümmer unserer verunglückten Brigg angehörten.

Ihre Mannschaft war also gleichfalls zu Grunde gegangen, und wir empfanden den Verlust schwer. Sie hatte aus dem Kapitän, seinem Sohn und zwölf Matrosen bestanden; zugleich hatte man auch fünf Personen, die zu unserem Haushalt gehörten, mitgeschickt, um verschiedene Aufträge zu besorgen. Diese waren Giuseppe Polidori, der jüngste unserer Missionäre, einer unserer Büchsenmacher, ein Maurer und zwei italienische Bauern. So traurig übrigens auch diese Schickung war, war sie doch nicht im Stande, die Thätigkeit der Zurückgebliebenen zu mindern. Die Felder wurden gelichtet, Gärten angelegt, und mit der Zeit verwischte sich die Erinnerung an das schmerzliche Ereigniss in der Aussicht einer glücklichen Zukunft.

Sobald wir uns völlig eingerichtet hatten, wurde das Werk meiner Erziehung nach einem neuen Plane wieder aufgenommen, der übrigens viele Aehnlichkeit mit der Erziehungsmethode der Militärschulen in Frankreich hatte, sofern alle meine Freistunden auf Leibesübungen verwendet wurden. Den beiden trefflichen Missionären habe ich viel zu danken, und ich verbrachte mit ihnen manche angenehme Stunde.

Wir waren im Besitze einer sehr grossen und auserlesenen Bibliothek, und unter ihrer Leitung wurde ich bald mit den Künsten und Wissenschaften der civilisirten Welt vertraut. Ich studirte die allgemeine Geschichte, erhielt Unterricht im Lateinischen und Griechischen, und lernte auch bald mehrere neue Sprachen. Meine Lehrer behandelten mit mir vorzugsweise die Geschichte der alten Völker Asiens, um mich in den Stand zu setzen, ihre Theorien zu verstehen und ihren Lieblingsuntersuchungen über den Ursprung der grossen Ruinen im westlichen und mittleren Amerika folgen zu können, wobei meine geringen Kenntnisse, welche ich in der Propaganda vom Arabischen und der Sanscrit-Sprache gewonnen hatte, mit jedem Tage erweitert wurden..

Soviel über die Studien, die ich unter der Anleitung der guten Väter betrieb; der übrige Theil meiner Erziehung war ganz indianisch. Ich wurde der Obhut eines gefeierten alten Kriegers übergeben, der mich den Bogen, den Tomahawk und die Büchse brauchen, den Lasso werfen, das wildeste Pferd lenken und das unbändigste Fohlen zähmen lehrte. Hin und wieder erhielt ich auch Erlaubniss, die Eingebornen auf ihren Jagd- und Fischereiausflügen zu begleiten.

In dieser Weise fuhr ich mehr als drei Jahre lang fort, mich mit Kenntnissen der verschiedensten Art zu bereichern. In der Zwischenzeit erweiterte sich die Colonie allmählig, und es schien alle Aussicht vorhanden zu seyn, die wilden Shoshonen zu einem civilisirteren Leben heranzubilden.

Doch der Mensch denkt, Gott lenkt. Ein weiterer schwerer Schlag betraf den Fürsten, der alle seine Hoffnungen vernichtete. Nach dem Verlust des Schiffes hatten wir ausser den Missionären und uns selbst nur noch acht Weisse in der Colonie, und der Fürst beschloss, sieben davon auszuschicken, um den Einkauf des sehnlich erwünschten Viehes zu besorgen, indem er nur den alten Diener meines Vaters zurück behielt.

Sie traten ihre Sendung an, kehrten aber nicht wieder zurück. Wahrscheinlich wurden sie von Apaches-Indianern erschlagen, obgleich auch der Fall denkbar ist, dass sie uns, der bisherigen einfachen und gleichförmigen Lebensweise müde, verliessen, um sich in den entlegenen Städten Mexiko’s niederzulassen.

Diese zweite Katastrophe drückte schwer auf den Geist des guten alten Fürsten. Alle seine schönen Hoffnungen waren zu Grabe getragen und die Bilder, die er sich für den Abend seines Lebens ausgemalt hatte, für immer zernichtet. Er hatte seinen Stolz darein gesetzt, seine indianischen Freunde von ihrer wilden Lebensweise abzubringen, und dieses Ziel liess sich nur durch Handel und Ackerbau erringen.

Die Felder um die Ansiedlung herum waren nun bereits seit vier Jahren unter Anleitung der Weissen von den Weibern und jungen Indianern bebaut worden. Die Beschäftigung sagte ihnen zwar durchaus nicht zu, aber der Fürst gab die Hoffnung nicht auf, dass die Shoshonen, mit der Zeit durch das gute Beispiel belehrt, die Vortheile des Feldbaues einsehen und veranlasst werden dürften, das Land für sich selbst urbar zu machen.

Vor unserer Ankunft war der Winter für denjenigen Theil der Indianer, welcher nicht mit nach den Jagdgründen ziehen konnte, von grossen Entbehrungen begleitet gewesen, während es jetzt Mais, Kartoffeln und andere Vegetabilien in Fülle gab — wenigstens für die Umwohner der Ansiedelung. Sobald wir aber alle unsere weissen Ackerbauer und Werkleute verloren hatten, mussten wir die Entdeckung machen, dass die Indianer sich vor der Arbeit scheuten.

Alle unsere Bemühungen waren also nutzlos, denn ihre Vortheile zeigten sich noch nicht augenfällig genug, und die versuchte Umwandlung hatte zu kurz gedauert, so dass die guten, aber auch stolzen und trägen Shoshonen das Grabscheit wieder verliessen und in ihre alte Gleichgültigkeit zurückversanken.

Aergerlich über diesen Wechsel, beschlossen der Fürst und mein Vater, einen Aufruf an die ganze Nation ergehen zu lassen, ob man sie nicht vielleicht überzeugen könne, wie weit glücklicher sie seyn würden, wenn sie für ihren Unterhalt auch den Boden bebauten. Es wurde ein grosses Fest gegeben und das Calumet geraucht, worauf sich der Fürst erhob und die Indianer nach ihrer eigenen Weise anredete. Da ich kurze Zeit zuvor als Häuptling und Krieger anerkannt worden war, wohnte ich natürlich gleichfalls der Versammlung bei. Der Fürst sprach:

„Wollt ihr nicht die mächtigste Nation des Westens werden? Ihr wollt es. Wenn nun dies der Fall ist, so müsst ihr die Erde, eure Mutter, um ihren Beistand anflehen. Es ist wahr, dass eure Prairieen von Wild wimmeln, aber die Weiber und Kinder können euch nicht folgen auf dem Jagdpfade.

„Müssen nicht die Krähen, die Bonnaxes, die Flachköpfe und die Umbiquas den Winter über hungern? Sie haben keine Büffel in ihrem Lande und nur wenige Hirsche. Was haben sie zu essen? Ein paar magere Pferde, vielleicht einen Bären und das stinkende Fleisch der Fischotter oder Biber, welche sie in der geeigneten Jahreszeit mit Schlingen fangen.

„Würden sie sich nicht überglücklich schätzen, ihr Pelzwerk gegen den Mais, den Tabak und die guten getrockneten Fische der Shoshonen auszutauschen? Jetzt verkaufen sie ihre Felle an die Yankees, aber die Yankees bringen ihnen keine Nahrungsmittel. Die Flachköpfe nehmen das Feuerwasser und die Decken von Händlern, aber sie thun es nur deshalb, weil sie nichts Anderes bekommen können und ihre Felle verderben würden, wenn sie dieselben für sich behielten.

„Würden sie nicht lieber mit euch tauschen, da ihr ihnen viel näher seyd? Ihr würdet ihnen gute Nahrung geben, damit sie mit ihren Kindern den Winter über leben und während des langen Schnees, während der traurigen Monate der Dunkelheit ihre Weiber und Greise erhalten könnten.

„Wenn nun die Shoshonen für die Pelze Mais und Tabak geben könnten, so würden sie reich werden; sie erhielten die besten Sättel von Mexiko, die besten Büchsen von den Yankees, die besten Tomahawks und Decken von den Kanadiern. Wer könnte dann den Shoshonen widerstehen? Wenn sie jagen wollten, würden hunderte von den übrigeu Eingeborenen den Waldpfad für sie lichten oder mit ihren Händen das Gras ausraufen zu einem Weg in der Prairie. Ich habe gesprochen.“

Alle Indianer erkannten an, dass seine Rede gut sey und voll Weisheit; aber sie waren zu stolz, um zu arbeiten. Ein alter Häuptling antwortete daher für den ganzen Stamm:

„Nanawa Ashta ist ein grosser Häuptling; er ist tapfer! der Manitou spricht sanft zu seinen Ohren und lehrt ihn das Geheimniss, welches das Herz eines Kriegers gross oder klein macht. Aber Nanawa hat ein blasses Gesicht — sein Blut ist fremdes Blut, obgleich sein Herz stets ist bei seinen rothen Freunden. Doch nur der weisse Manitou spricht mit ihm, und wie vermöchte der weisse Manitou die Natur der Indianer zu kennen? Er hat sie nicht geschaffen, ruft sie nicht zu sich, gibt ihnen nichts, lässt sie arm und elend, und behält Alles für die Blassgesichter.

„Es ist auch ganz Recht, dass er so handelt. Der Panther wird nicht säugen das Junge der Hirschkuh, noch wird der Falke sitzen auf den Eiern der Taube. Es ist Leben, es ist Ordnung, es ist Natur. Jeder hat für die Seinigen zu sorgen, für weiter nicht. Mais ist gut, Tabak ist gut, er erfreut das Herz der alten Männer, wenn sie betrübt sind. Tabak ist das Geschenk der Häuptlinge an die Häuptlinge. Das Calumet spricht von Krieg und Tod; es spricht aber auch von Frieden und Freundschaft. Der Manitou machte den Tabak ausdrücklich für den Menschen — er ist gut.

„Aber Mais und Tabak müssen von der Erde genommen werden; man muss sie bewachen viele Monde, und sie pflegen wie Kinder. Dies ist eine Arbeit, die nur für Weiber und Sklaven passt. Die Shoshonen sind Krieger und frei. Wollten sie in der Erde graben, so würde ihr Gesicht schwach werden, und ihre Feinde würden sagen, sie seyen Maulwürfe und Dächse.

„Wünscht der gerechte Nanawa, dass die Shoshonen verachtet werden von den Krähen oder den Reitern im Süden? Nein! er hat gefochten für sie, ehe er hinging, um zu sehen, ob die Gebeine seiner Bäter wohlbehalten seyen; und gab er ihnen nicht nach seiner Rückkehr Büchsen und Pulver, lange Netze, um den Salm zu fangen, und Eisen in Menge, um ihre Pfeile für die Büffel ebenso fruchtbar zu machen, als für die Umbiquas?

„Nanawa spricht gut, denn er liebt seine Kinder; aber der Geist, der zu ihm flüstert, ist ein Blassgesichtsgeist, der nicht zu sehen vermag unter die Haut eines rothen Kriegers, denn sie ist zu zäh: auch nicht in sein Blut, denn es ist zu dunkel.

„Und doch ist der Tabak gut, desgleichen auch der Mais. Die Jäger der Flachköpfe und der durchbohrten Nasen würden im Winter kommen und darum betteln. Ihre Felle würden die Hütten der Shoshonen erwärmen und mein Volk würde reich werden und mächtig; sie könnten sich zu Herren machen über das ganze Land, von dem Salzwasser bis zu dem grossen Gebirge, und die Hirsche kämen, um ihre Hände zu lecken, und die wilden Pferde würden weiden um ihre Wigwams. Dies ist die Weise, wie die Blassgesichter reich und stark werden; sie pflanzen Mais, Tabak und süsse Melonen; sie haben Bäume, die Feigen und Pfirsiche tragen; sie mästen Schweine und Ziegen und zahme Büffel. Sie sind ein grosses Volk.

„Ein Rothhautkrieger ist nichts als ein Krieger; er ist stark, aber arm; er ist kein Murmelthier, kein Dachs oder ein Präriehund; er kann nicht den Boden aufgraben; er ist ein Krieger und weiter nichts. Ich habe gesprochen.“

Natürlich stand der Ton, in welchem diese Rede gehalten war, zu sehr im Einklange mit den Vorstellungen der Indianer, um nicht mit Bewunderung aufgenommen zu werden. Der alte Mann setzte sich nieder, worauf sich ein Anderer erhob, um gleichfalls zu sprechen:

„Der grosse Häuptling hat gesprochen; sein Haar ist weiss wie der Flaum des Schwans; seiner Winter sind viele gewesen; er ist weise. Warum sollte ich nach ihm sprechen, da seine Worte wahr sind? Der Manitou hat meine Ohren und meine Augen berührt, als er redete (und er redete wie ein Krieger); ich hörte sein Kriegsgeschrei. Ich sah die Umbiquas in die Sümpfe eilen und wie schwarze Schlangen sich unter das Gebüsch verkriechen. Ich erspähte dreissig Skalps an seinem Gürtel; seine Beinkleider und Moccassins waren genäht mit dem Haar der Wallah Wallahs.1)

„Ich sollte nicht sprechen; ich bin noch jung und habe keine Weisheit; meine Worte sind wenig, ich sollte nicht sprechen. Aber in meinem Gesichte hörte ich einen Geist; er kam herauf mit den Lüften und drang in mein Inneres.

„Nanawa ist mein Vater, der Vater von uns Allen; er liebt uns, wir sind seine Kinder. Er hat einen grossen Krieger der Blassgesichter mit sich gebracht, der ein mächtiger Häuptling war in seinem Stamme; er hat uns einen jungen Häuptling gegeben, der ein grosser Jäger ist; in wenigen Jahren wird er ein grosser Krieger seyn und unsere Jünglinge in den Kriegspfad führen auf die Ebenen der Wachinangoes.2) Der Owato Wanisha3) ist ein Shoshone, obgleich seine Haut blässer ist, als die Blüthe der Magnolie.

„Nanawa hat uns auch zwei Makota Konayas4) gegeben, unsere Jünglinge Weisheit zu lehren; ihre Worte sind süss, sie sprechen zum Herzen; sie wissen Alles und machen die Menschen besser.

„Nanawa ist ein grosser Häuptling und sehr weise; was er sagt, ist recht — was er wünscht, muss geschehen, denn er ist unser Vater und gab uns Kraft, unsere Feinde zu bekämpfen.

„Er hat Recht: die Shoshonen müssen ihre Wohnungen gefüllt haben mit Mais und Tabak. Die Shoshonen müssen stets bleiben, was sie sind und was sie waren — ein grosses Volk. Doch der Häuptling von vielen Wintern hat es gesagt; die Igel und die Füchse mögen die Erde aufwühlen, aber die Augen der Shoshonen sind immer ihren Feinden zugekehrt in den Wäldern oder den Büffeln in den Ebenen.

„Dennoch soll der Wille von Nanawa geschehen, aber nicht durch einen Shoshonen. Wir wollen ihm geben genug Weiber und Hunde; wir wollen ihm Sklaven bringen von den Umbiquas, den Cayusen und den Wallah Wallahs. Sie sollen den Mais und den Tabak pflegen, während wir jagen oder weitere Sklaven holen, sogar bis in den grossen Gebirgen, oder bei den Hunden des Südens, den Wachinangoes. Ich will die Cochenille5) schicken meinen jungen Kriegern; sie werden ihr Gesicht bemalen und mir folgen auf den Kriegspfad. Ich habe gesprochen!“

Ein solches Ende hatten die Hoffnungen, das wilde Volk, unter dem wir lebten, zum Ackerbau heranzubilden; es nahm mich übrigens nicht Wunder; denn so, wie sie waren, fühlten sie sich glücklich. Was hatten sie auch sonst noch nöthig ausser ihren reinlichen, kegelförmigen Hütten aus Fellen, ihrem guten, gemächlichen und hübschen Anzug, und ihren hübschen, tugendhaften und treuen Weibern? Hattten sie nicht ein unbegränztes Feld auf den Prairieen vor sich? Waren sie nicht die Herren über Millionen von Elendthieren und Büffeln? — Sie bedurften nichts, als Tabak. Und doch war es Schade, dass es uns nicht gelang, ihnen Geschmack an der Civilisation beizubringen. Sie waren von Natur Gentlemen — wie überhaupt fast alle Indianer, wenn sie nicht dem Trinken ergeben sind, hatten eine sehr gute Erziehung und trugen das unzweideutige Siegel des Adels auf ihrer Stirne.

Die Berathung wurde abgebrochen, da sowohl die christlichen als politischen Grundsätze des Fürsten Seravalle unmöglich dem Gedanken Raum geben konnten, die Sklaverei auszudehnen. Er beugte sich demüthig unter den Willen der Vorsehung und bemühte sich, durch andere Mittel das hohe Ziel zu erreichen, den Geist dieser reinen, edlen Wilden zu erleuchten.

Drittes Kapitel.

Diese zeitweilige Auflösung unserer landwirtschaftlichen Niederlassung fiel in’s Jahr 1838. Bis dahin hatte ich, die letzten paar Monate ausgenommen, meine Zeit ausschliesslich unter meine civilisirten und uncivilisirten Lehrer getheilt. Trotz meiner besseren Bildung war ich aber doch ein Indianer, nicht nur in meinem Anzuge, sondern auch in meinem Herzen.

Ich habe bereits erwähnt, dass ich bei der von dem Fürsten zusammenberufenen Berathung anwesend war, da ich bereits unter die Häuplinge gehörte, obgleich ich erst siebenzehn Jahre zählte. Meine Aufnahme wurde durch folgenden Fall veranlasst.

Als wir Kunde von der Ermordung oder dem Verschwinden der sieben Weissen erhielten, welche der Fürst zu Beischaffung von Vieh nach Monterey geschickt hatte, wurde ein Haufen abgesandt, um der Spur der Vermissten zu folgen und auszukundschaften, was aus ihnen geworden sey. Auf meine Bitte wurde der Befehl über diesen Streifzug mir anvertraut.

Wir setzten über die Buona-Ventura und verfolgten die Fährte unserer Weissen zweihundert Meilen weit aufwärts; nun aber verloren wir dieselbe und fanden mit einemmale unser nur aus fünfzehn Mann bestehendes Häuflein von ungefähr achtzig Krähen, unsern unversöhnlichen Feinden, umringt.

Durch List gelang es uns, nicht nur durchzubrechen, sondern auch sieben der Gegner zu überrumpeln. Meine Begleiter wollten sie auf der Stelle tödten, was ich aber nicht zugab; wir banden sie daher auf ihre eigenen Pferde fest und beeilten uns, so gut wir konnten, obschon die Krähen uns entdeckt hatten und Jagd auf uns machten. Wir hatten fünfzehn Tage zu reisen, bis wir wieder in der Heimath anlangten, und wurden von einem Feinde verfolgt, der uns an Zahl sieben- oder achtmal überlegen war. Durch listige Wendungen, bei denen ich nicht verweilen will, und die Güte unserer Pferde gelang es uns, ihnen zu entwischen und unsere Gefangenen wohlbehalten in die Ansiedelung zu bringen. Zum Kampfe war es nun allerdings nicht gekommen, aber Gewandtheit gilt gleichfalls als eine gute Eigenschaft. Ich wurde daher bei meiner Rückkehr unter die Häuptlinge aufgenommen und erhielt den indianischen Namen Owato Wanisha oder Geist des Bibers, durch den meine Schlauheit und Hurtigkeit angedeutet werden sollte. Damit jedoch der Rang eines Kriegerhäuptlings auf mich übertragen werden könne, war es durchaus nöthig, dass ich mich auf dem Schlachtfelde ausgezeichnet hatte.

Ehe ich in meiner Erzählung fortfahre, muss ich Einiges über meine Lehrer, die Missionäre, bemerken. Der Jüngste davon, Polidori, ging mit der Esmeralda zu Grunde, als er von Monterey Vieh holen wollte; die Anderen waren der Padre Marini und Padre Antonio — beide sehr talentvolle und gelehrte Männer. In den asiatischen Sprachen waren sie ungemein bewandert, und mit Entzücken folgte ich ihren Untersuchungen und den verschiedenen Theorien, welche sie in Betreff einer frühen Auswanderung der Indianer über das stille Weltmeer aufstellten.

Beide waren geborene Italiener. Sie hatten viele Jahre unter den westlich vom Ganges wohnenden Völkern zugebracht und waren in ihrem vorgerückten Lebensalter nach dem sonnigen Italien zurückgekommen, um in der Nähe des Ortes zu sterben, wo sie einst als Kinder spielten. Als sie jedoch mit dem Fürsten Seravalle zusammentrafen und von den wilden Stämmen hörten, unter denen er gelebt hatte, so hielten sie es für ihre Pflicht, denselben das Evangelium zu bringen und sie zu unterrichten.

So traten diese edlen Männer — alt, hinfällig und mit einem Fusse schon im Grabe — auf’s Neue der Mühesal und Gefahr entgegen, um unter den Indianern die Religien der Liebe und des Erbarmens zu verbreiten, deren Dienste sie sich geweiht hatten.

Bei den Shoshonen waren jedoch ihre Bekehrungsversuche vergeblich, denn die Indianer haben einen ganz eigenen Charakter. Falls sie nicht leidend sind oder unterdrückt werden, mögen sie auf das nicht hören, was sie „die glatten Honigworte der Blassgesichtweisen“ nennen, und wenn es doch einmal geschieht, so fechten sie jedes Dogma, jeden Glaubenspunkt an und bleiben unüberzeugt. Die Missionäre beschränkten sich deshalb mit der Zeit darauf, Werke der Barmherzigkeit zu üben, indem sie durch ihre ärztlichen Kenntnisse den Kranken Beistand leisteten und durch moralische Lehren den ungestümen, bisweilen grausamen Charakter dieses wilden, ununterrichteten Volkes milderten.

Zu den Vortheilen, welche die Shoshonen unseren Missionären verdankten, gehörte auch die Einführung der Vaccination. Anfangs waren sie freilich sehr misstrauisch dagegen und leisteten sogar heftigen Widerstand; endlich gewann aber doch die Einsicht der Indianer die Oberhand, und ich glaube nicht, dass nach unserer Ansiedelung auch nur Ein Shoshone geboren wurde, ohne dass ihm die Kuhpocken eingeimpft worden wären. Die Padres Marini und Polidori unterwiesen die eingebornen Heilkünstler in dem Verfahren, das jetzt allenthalben geübt wird.

Ich kann hierorts die Geschichte der wackern Missionäre zu Ende bringen. Als ich einen Streifzug nach Monterey machte, dessen Einzelnheiten ich demnächst angeben werde, wurde ich von Padre Marini begleitet; denn da ihm sein Bekehrungsgeschäft unter den Shoshonen nicht glücken wollte, so glaubte er in den spanifchen Ansiedelungen von Californien nützlich werden zu können. Bald nach unserer Ankunft zu Monterey trennten wir uns, und ich habe seither nichts mehr von ihm gesehen oder gehört, obgleich ich noch Gelegenheit haben werde, aus Anlass unserer Reise nach dieser Stadt und unseres dortigen Aufenthalts von ihm zu sprechen.

Der Andere, Padre Antonio, starb in der Ansiedelung vor meinem Zuge nach Monterey, und die Indianer bewahren noch jetzt seine Kleidung, sein Messbuch und ein Cruzifix als die Reliquien eines edeln Mannes. Der arme Padre Antonio! Ich hätte wohl die Geschichte seines früheren Lebens kennen mögen. Auf seinen Zügen lag der Stempel einer tiefen Schwermuth; es mochte ihr wohl irgend ein herzbrechender Kummer zu Grunde liegen, den die Religion zwar zu mildern, aber nicht zu beseitigen im Stande war.

Nach seinem Tode nahm ich Einsicht von seinem Messbuch. Die weissen Blätter waren vorn und hinten mit frommen Betrachtungen beschrieben, enthielten aber ausserdem noch ein paar Worte, welche über eine gewisse Periode seines Lebens mehr sagten, als ganze Bände. Die ersten Worte lauteten: „Julia, obiit, A. D. 1799. Virgo purissima, Maris stella. Ora pro me.“ Auf dem folgenden Blatte stand: „Antonio de Campestrina, Convient. Dominicum. In Roma, A. D. 1800.“

Er war alfo nach dem Tode eines ihm theuren Wesens in’s Kloster gegangeu — vielleicht seine erste und einzige Liebe. Der arme Mann! wie oft habe ich nicht grosse Thränen über seine welken Wangen niederrinnen sehen! Doch er ist heimgegangen und sein Kummer ruht im Grabe. Auf der letzten Seite des Messbuches befanden sich ebenfalls zwei Linien von zitternder Hand — wahrscheinlich kurz vor seinem Tode geschrieben: „J, nunc anima anceps; sitque tibi Deus misericors.“

Trotz des bisherigen Fehlschlagens gab der Fürst Seravalle seine Plane dennoch nicht auf. Dem Rathe meines Vaters zufolge wollte man nun versuchen, einige Mexikaner und Canadier herbeizuziehen, damit sie dem Feldbau neuen Aufschwung gäben; denn ich darf hier wohl bemerken, dass sowohl der Fürst, als mein Vater, längst den Entschluss gefasst hatten, unter den Indianern zu leben und zu sterben.

Dieser Auftrag sollte durch mich zur Ausführung gebracht werden. Es stand mir ein langer Ausflug bevor, denn wenn es mir in Monterey nicht gelang, meinen Zweck zu erreichen, so sollte ich entweder mit einer Partie von Apaches-Indianern, die mit den Shoshonen stets im Frieden lebten, oder mit einer der mexikanischen Karavanen nach Santa Fé gehen.

In Santa Fé gab es stets eine grosse Anzahl von Franzosen oder Canadiern, die alljährlich im Auftrage der Pelzwerk-Kompagnien von Saint Louis herkamen, so dass wir einige Aussicht hatten, Leute für uns zu gewinnen. Wären meine Bemühungen jedoch fruchtlos, so sollte ich, da ich dann bereits zu weit gegangen sey, um allein zurückkehren zu können, mit den Pelzhändlern von Santa Fé auf dem Mississippi nach St. Louis ziehen, dort einige werthvolle Juwelen verkaufen, Leute zu Bildung einer starken Karavane miethen und auf der Astoria-Fährte unsere Ansiedelung wieder aufsuchen.

Da übrigens meine Abenteuer so zu sagen erst mit dem Antreten dieser Sendung beginnen, so will ich, ehe ich die Geschichte derselben gebe, den Leser einen Blick in die Geschichte und Ueberlieferungen der Shoshonen oder Schlangenindianer thun lassen, unter denen ich trotz meiner Jugend doch schon zu Rang und Würden gelangt war.