Nikolaus Lenau: Don Juan

 

 

Nikolaus Lenau

Don Juan

Dramatische Szenen

 

 

 

Nikolaus Lenau: Don Juan. Dramatische Szenen

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Max Slevogt, Andrade als Don Juan, 1912

 

ISBN 978-3-7437-1315-4

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-7437-1234-8 (Broschiert)

ISBN 978-3-7437-1268-3 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Entstanden 1843/44. Erstdruck in Fortsetzungen in: Morgenblatt für gebildete Leser (Stuttgart), 5.4.-10.4.1851, dann in: Literarischer Nachlaß, Stuttgart und Tübingen (Cotta) 1851.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Auf der Grundlage der historisch-kritischen Ausgabe von Eduard Castle mit einem Nachwort herausgegeben von Walter Dietze, Band 1–2, Leipzig, Frankfurt a.M.: Insel, 1970.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

 

 

 

 

Don Juan und Don Diego, sein Bruder.

 

DON JUAN.

Willkommen, Bruder, in der Königsstadt!

So willst du auch, der Studien endlich satt,

Freilassend dein verhaltnes Jugendfeuer,

Hier suchen heitre Liebesabenteuer?

DIEGO.

Der Vater sandte mich, daß ich dich frage,

Wie du hier lebest deine Jugendtage,

Die flüchtigen, die nie zurück dir kehren,

Ob du sie nützest uns zu Ruhm und Ehren?

DON JUAN lachend.

Spion und Prediger?! ich will mich fügen;

Daß du die Reise nicht umsonst getan,

Magst du mir folgen als mein Feldkaplan

Auf meinen lustigen Erobrungszügen.

DIEGO.

Laß, Bruder, uns das erste Wiedersehen

In eitlen Possen nicht vorübergehen.

O Liebling meines Vaters, sei kein Tor!

Sprich ein erfreulich Wort; was hast du vor?

DON JUAN.

Den Zauberkreis, den unermeßlich weiten,

Von vielfach reizend schönen Weiblichkeiten

Möcht ich durchziehn im Sturme des Genusses,

Am Mund der Letzten sterben eines Kusses.

O Freund, durch alle Räume möcht ich fliegen,

Wo eine Schönheit blüht, hinknien vor jede

Und, wärs auch nur für Augenblicke, siegen.[893]

Ja, mit den Zeiten selbst leb ich in Fehde.

Wenn ich ein schönes Mädchenkind erblicke,

So muß ich grollen dem Geschicke,

Daß ich und sie nicht wurden Zeitgenossen;

Ich bin ein Greis, bis ihre Blüt erschlossen.

Und schau ich eine stattliche Matrone,

Von der noch jetzt entzückte Alte sagen:

»Einst war sie reizend, aller Schönheit Krone!«

So möcht ich wandeln in vergangnen Tagen.

Zusammenwerfen möcht ich Raum und Zeit,

Die Leidenschaft ist wild und überschwenglich;

Weil sie der Durst verzehrt nach Ewigkeit,

Drum seht ihr sie so flüchtig und vergänglich.

Zuweilen auch ist seltsam mir zu Mut,

Als wäre, was mir durch die Adern zieht,

Entfremdet einem höheren Gebiet,

Ein Geist verirrt, verschlagen in mein Blut;

Ein Ferge, der im Strom des Blutes treibt

Und nirgendwo an einer Stelle bleibt,

Der nie gewinnt den Frieden fester Landung,

Weil ihm entsank sein Ruder in die Brandung.

Hinwiederum verzaubert er mein Blut,

Daß jeder Tropfen pocht in trunkner Wut;

Es fühlt der Geist, der alles will umfassen,

Im einzlen sich verkerkert und verlassen; –

Er ist es, der mich ewig dürsten heißt

Und mich von Weib zu Weib verderblich reißt.

Die schönste Frau entzückt mich ohne Dauer,

Der Reize tiefster, bald erschöpfter Bronnen

Verweist den Durst hinweg nach neuen Wonnen,

Besitz erzeugt mir Leere, öde Trauer.

DIEGO.

Wohin verirrt der Flug sich deiner Sünden!

Kannst du auch nur ein edles Weib ergründen?[894]

Ein ewiges Gesetz, den Frevel richtend,

Gebeut: willst du dein Erdenlos bestehen,

Mußt du geschloßnen Auges und verzichtend

An manchem Paradies vorübergehen.

DON JUAN.

Ein anderes Gesetz mein ich zu spüren,

Es heißt mich meiner Manneskraft vertrauen

Und sprengen kühn des Edens feste Türen,

Den Cherub an der Pforte niederhauen.

DIEGO.

O Tor! dir droht die bitterste Verarmung;

Ein Bettler wirst du in den Abgrund schwanken;

Der Gott der Freuden ist ein Gott der Schranken,

Dies lehrt dich ja die Fessel der Umarmung.

DON JUAN.

Das war ad hominem; doch schief geboten;

Es trifft den Leib, die Seele trifft es nicht;

Auch Reinlichkeit ist eines Weisen Pflicht,

Du aber, Freund, philosophierst in Zoten.

DIEGO.

Das eben ist das Falsche und das Scheele,

Daß sich in einer lüderlichen Seele

Ihr höchstes Gut entadelt und entweiht,

Denn all ihr Tun ist schnöder Widerstreit.

DON JUAN.

Schont ich in dir den Bruder nicht, den treuen,

Die herbe Rede sollte dich gereuen.

DIEGO.

Wärst du vom Vater mir nicht anbefohlen,

Spräch ich vielleicht: mag ihn der Teufel holen![895]

DON JUAN.

Du mußt an meine Weise dich gewöhnen.

Ich fliehe Überdruß und Lustermattung,

Erhalte frisch im Dienste mich des Schönen,

Die einzle kränkend, schwärm ich für die Gattung.

Der Odem einer Frau, heut Frühlingsduft,

Drückt morgen mich vielleicht wie Kerkerluft.

Wenn wechselnd ich mit meiner Liebe wandre

Im weiten Kreis der schönen Frauen,

Ist meine Lieb an jeder eine andre,

Nicht aus Ruinen will ich Tempel bauen.

Ja! Leidenschaft ist immer nur die neue;

Sie läßt sich nicht von der zu jener bringen,

Sie kann nur sterben hier, dort neu entspringen,

Und kennt sie sich, so weiß sie nichts von Reue.

Wie jede Schönheit einzig in der Welt,

So ist es auch die Lieb, der sie gefällt.

Hinaus und fort nach immer neuen Siegen,

Solang der Jugend Feuerpulse fliegen!

DIEGO.