Julius Rodenberg: Walisische Kindermärchen
Neuausgabe.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.
Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:
Christopher Williams, Ceridwen, Datum unbekannt
ISBN 978-3-7437-1519-6
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-7437-1493-9 (Broschiert)
ISBN 978-3-7437-1494-6 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
Die Kindermärchen sind ein Intermezzo aus: »Ein Herbst in Wales. Land und Leute, Märchen und Lieder«
Der Text dieser Ausgabe folgt:
Rodenberg, Julius: Ein Herbst in Wales. Land und Leute, Märchen und Lieder. Hannover: Rümpler, 1857.
Dieses Buch folgt in Rechtschreibung und Zeichensetzung obiger Textgrundlage.
Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.
Kommt herbei in luft'gen Schaaren, kommt herbei!
Aus dem Berg, der See gefahren, kommt herbei!
Seht, der feuchte Wind spielt lose
Mit den Mänteln, mit den Haaren, kommt herbei!
Seht, der Mond strahlt voll im Himmel,
Widerstrahlt im Meer, dem klaren, kommt herbei!
Und der Klee blüht auf den Wiesen,
Die so lieb Euch immer waren, kommt herbei!
Kommt herbei, ihr lichten Wesen,
Um Euch froh im Tanz zu paaren, kommt herbei!
Laßt mich Eure Lieder hören.
Die bezaubernd wunderbaren, kommt herbei!
Zauberreich, du sollst erstehen!
Sehnsuchtstraum aus Kinderjahren – kommt herbei!
Daß ichs sagen kann und singen,
Was ihr hold mich ließt gewahren, kommt herbei!
Daß ich mag in goldnen Märchen
Eure Schönheit offenbaren, kommt herbei!
All' ihr Feen, Elfen, Geister –
Kommt herbei in luft'gen Schaaren, kommt herbei!
In uralten Zeiten lebte eine Frau, die zwanzig Kinder hatte. Da kam eines Tages der Heiland in ihre Wohnung; und die Frau, welche sich schämte daß sie so viele Kinder habe, versteckte die Hälfte derselben. Als nun der Heiland wieder gegangen war, da suchte sie die zehn Kinder, aber sie konnte sie nicht wiederfinden. Die Verstecke waren leer, die Kinder fort und kamen niemals wieder. Denn zur Strafe dafür, daß sie das verbarg, was Gott ihr geschenkt hatte, ward sie desselben beraubt; und von diesen verlorenen Kindern stammen die Feen ab.
Andre jedoch sagen, die Feen seien die Seelen der alten Druiden, welche – zu gut für die Hölle und doch zu sündenhaft für den Himmel, – bis zum jüngsten Gericht unter den Menschen wandeln sollen. Dann aber sind sie erlöst und werden in eine höhere Ordnung des Seins aufgenommen.
Die Feen heißen in Wales tylwyth têg, die schöne Familie, dynon bach têg, das kleine Feenvolk, bendyth eu mammau, die gesegneten Mütter, ellylon, die Elfen.[97]
Bald tragen sie sich weiß mit wehenden Federn, bald in Scharlach, und tanzen wild durcheinander. In Nordwales tanzen sie in blauen Röckchen und immer im Kreiß, in Cardiganshire tragen sie grüne Kleider, erscheinen aber immer nur im Monat Mai. –
Die Feen reden eine Sprache, welche der griechischen nicht unähnlich ist. Wenn sie Waßer verlangen, so rufen sie: »Udor udorum«, bring Waßer! – Wenn sie Salz haben wollen, so sagen sie: »Halgein udorum!« bring Salz![98]
In einigen Theilen von Pembroke- und Caermarthenshire gibt es Feeninseln, deren Bewohnerinnen die Märkte von Milford Haven und Laugharne besuchten und sich für Silberpfennige von dort mitnahmen, was sie nöthig hatten. Zuweilen waren sie sichtbar, zuweilen unsichtbar. Die Inseln sah man in einiger Entfernung vom Lande. Sie hatten auch unterirdische Gänge von den Inseln zu den Städten.
Die Feen kommen meist nur am frühen Morgen oder spät am Abend, aber niemals ohne daß ihre Ankunft durch Musik angezeigt würde. In den meisten Gegenden ist Freitag der Feentag. Er unterscheidet sich darum auch im Wetter immer von den andren Tagen. Sind die andren Tage alle schön, so regnet es am Freitag, und ist das Wetter sonst schlecht, so scheint am Freitag die Sonne. Auch pflegen[98] die Feen alle Freitag Nacht die Ziegenbärte auszukämmen, um sie für den Sonntag schmuck zu machen.[99]
Die faulen und schmutzigen Personen plagen und necken sie so lange, bis sie sich gebeßert haben, den fleißigen und reinlichen geben sie Geld, und zwar finden die Begünstigten an jedem Tage ein Stück an demselben Platze, so lange sie von ihrem Glücke schweigen. So fand ein reinliches Mädchen in Breconshire an jedem Morgen, wenn sie aufstand, einen Sixpence in ihrem Schuh. – Dagegen geben die Feen den Bauern oft auch Bröde, die am andern Morgen – Poggenstühle sind! Oder sie stehlen ihnen Kinder, und laßen Wechselbälge zurück. Und wer einmal bei den Feen gewesen ist, der kann nicht mehr rückwärts sehen, wie andre Leute. Eine Frau erzählte, ihr eigener Sohn, da er noch ein Junge gewesen wäre, hätte so traurig ausgesehn, daß alle Menschen gedacht und auch gesagt hätten: der müße von den Feen vertauscht worden sein! –
Diese Ringe im Walde oder auf den Wiesen gehören den Feen und bezeichnen den ihnen heiligen Boden und wer in dieselben eintritt, kann nicht wieder heraus. Sie sind aber nicht alle von derselben Größe und Gestalt. Einige enthalten sieben Ellen kahlen Bodens mit einem Grasflecken von ungefähr einem Fuß in der Mitte. Andre, von verschiedener Größe, werden von Gras eingefaßt, welches grüner ist, als[99] das in der Mitte. Die Thiere wollen von diesem Gras nicht freßen1. Doch giebt es auch Leute, welche behaupten, grade dieses Gras verschlängen die Schaafe am gierigsten.
Wenn sich in einem Felde eine derartige Stelle findet, die – obwohl mehrmals gepflügt und gedüngt, doch Nichts tragen will, so ist das ein Zeichen, daß sich in der Familie, welcher das Feld gehört, in der Kürze ein Todesfall oder irgend ein andres Unglück ereignen wird. Solch einen Flecken im Felde nennt man: Grwn.[100]
Fußnoten
1 ... you demi-puppets, that
By moonshine do the green sour ringlets make,
Whereof the ewe not bites.
Shakespeare, the Tempest. V, I.
So wie ihren König und ihre Königin haben die Feen auch ihre Kämpfe und Schlachten. Besonders wird von einer derselben, die zwischen Merthyr Tydvil und Aberdar Statt gefunden haben soll, noch viel erzählt. Da ward auf Kornpfeifen zum Angriff geblasen und wie die Reihen daherrückten, glitzerte ein Wald von Stecknadeln in der Sonne. Fähnlein von Band flatterten in allen Regenbogenfarben durch die Luft. Hinterdrein über die Wiesen kam der Feind, gleichfalls in tausend Farben schimmernd. Die eine Partei suchte die andre von einer kleinen Erhöhung des Wegs zurückzudrängen und als dieß zuletzt gelang, da herrschte die größte Verwirrung. Schwarze und[100] weiße Pferdchen rannten durcheinander, einige von den Reitern kämpften in größter Hitze gegen einander, die andren versuchten es, die Reihen zu durchbrechen. Dabei wurden Nadelspeere, so zahlreich als die Bäume im Wald, geschwungen; dann schien es, als ob sie mit Schwertern föchten, darauf war wieder Nichts zu sehn, als dann und wann das Aufblitzen einer Federmeßerklinge. Endlich, nachdem der eine Theil gesiegt hatte, trieb er den andren vor sich her – Ross und Reiter verschwanden in einem hellen Nebel und keine Spur von Allem blieb zurück.[101]
Die Klopfgeister sind eine sehr gutmüthige und glückbringende Art von Wesen, deren Geschäft es ist, den Bergleuten auf eine wunderliche Weise reiche Adern von Erzen oder andere unterirdische Schätze auszuweisen. Sie führen dieselben nämlich an den Ort, wo die Schätze liegen, und stoßen sie mit den Hinteren darauf, damit sie sich die Stelle merken. Diese Klopfgeister werden höchlich verehrt, besonders in den Gegenden wo Bergwerke sind, in Caernarvonshire etc. und man hält sie für den Feen nahe verwandt.
Die Poltergeister dagegen sind böse Geschöpfe, welche die Menschen ohne Grund necken und ärgern und ihnen Staub ins Essen und auf die Kleider werfen.
Neben den Elfen, Feen, Klopf- und Poltergeistern treibt auch der kleine Puck sein Wesen in Wales.[101] Er heißt hier Pwcca. In Brecon ist ein Puck-Thal, Cwm Pwcca, wo er früher hauptsächlich gewirthschaftet hat, die Leute narrte, auf Irrwege führte, ihnen aber niemals ein Leides that, da er wol lustige Späße liebt, aber dabei doch sehr gutmüthig ist2. Obwohl nun die Eisengießerei, welche in diesem Thale angelegt ist, ihn daraus verscheucht hat, so kommt er doch noch zuweilen dahin zurück, da er den Schabernack nicht laßen kann.[102]
Fußnoten
2 Dieß Cwm Pwcca hat Shakespeare die Scenerie zu den Feenscenen in seinem »Sommernachtstraum« geliefert. Es erhellt aus seinem Briefwechsel, daß er sich von einem seiner edlen Freunde, der in Wales Besitzungen hatte, eine genaue Beschreibung dieses Puck-Thales geben ließ.
Sie heißt hier Andras oder Malen, die Hexe. Andre Namen für sie sind: y Fall, die Falsche oder Böse, Mam y Drwg, die Mutter des Teufels, y Wrach, die Vettel. Man sagt von ihr, sie habe ein Zauberpferd, auf dessen Rücken Hexen durch die Luft gebracht würden; daher wol das walisische Sprüchwort kommt: »was auf dem Rücken von Malens Pferd sitzt, wird bald unter seinen Wanst getreten sein.« Der Name »Andras« deutet darauf, daß sie die alte heidnische Gottheit der Briten »Andrasta«, welcher Menschenopfer dargebracht wurden, sei. Von Jemandem, der sich bös geberdet, sagt man noch heute: »du bist wol von der Andras beseßen!« –
Vor vielen hundert Jahren lebte ein Priester, Namens Elidurus, welchem folgende Geschichte begegnet ist. Als er noch ein Knabe und ungefähr 12 Jahre alt war, da ward es ihm einst zu lästig von seinen Lehrern immer zum Lernen angehalten zu werden. Denn wenn auch der weise Salomon sagt, daß die Frucht des Studirens süß sei, so fühlte Elidurus doch jetzt nur die Bitterkeit seiner Wurzel –, und kurz – eines Tages lief er, um der Zucht und den Schlägen seines Lehrers zu entgehn, fort und versteckte sich unter dem hohlen Ufer eines Flußes. Nachdem er daselbst zwei Tage gehungert hatte, erschienen ihm zwei Männer, klein wie die Zwerge, und sagten ihm: »wenn Du mit uns gehen willst, so wollen wir Dich in ein Land voll Lust und Freude bringen!« Er willigte gleich ein, stand auf und folgte seinen Führern auf einem Pfad, der zuerst unterirdisch und finster war, endlich aber in ein gar wunderherrliches Land mit schönen Strömen und Wiesen, Wäldern und Ebnen führte. Aber das Land war dunkel und nicht von dem vollen Licht der Sonne beschienen. Die Tage[103] waren alle trüb, und die Nächte äußerst finster, kein Mond und kein Stern war zu sehn. Der Knabe ward vor den König geführt und ihm in Gegenwart des ganzen Hofes vorgestellt. Darauf, nachdem er längere Zeit mit ihm geredet und ihn hinreichend erforscht hatte, übergab er ihn seinem Sohne, der auch noch ein Knabe war. Diese Leute waren alle von der kleinsten Statur, aber sehr lieblich und ebenmäßig gebaut. Sie hatten schönes und glänzendes Haar, welches ihnen, wie das der Frauen, reich über die Schulter fiel. Sie aßen weder Fleisch noch Fisch, sondern lebten nur von Milchspeisen, welche in den Schüßeln mit Saffran angerichtet wurden. Sie bedienten sich niemals eines Eides; denn Nichts war ihnen so sehr verhaßt als Lügen. So oft sie aus der Oberwelt heimkehrten, tadelten sie die Eitelkeit, Untreue und Unbeständigkeit der Menschen. Sie hatten keinen Gottesdienst; das Einzige, was sie liebten und heilig hielten, war die Wahrheit.
Der Knabe kehrte oft an die Oberwelt zurück; zuweilen auf dem Weg, den er zuerst gegangen war, zuweilen auf einem andren. Das erste Mal führten ihn Einige, um ihn zurecht zu weisen; später gieng er allein. Sein Geheimnis vertraute er nur seiner Mutter an, der er auch von den Sitten, der Natur und Beschaffenheit des Volkes erzählte.
Da diese ihn nun einstens bat, ihr etwas Gold, an welchem das unterirdische Reich Ueberfluß hatte, mitzubringen, so stahl er bei einem Spiele mit dem Sohne des Königs den goldnen Ball, mit welchem[104][105]