Pierre Loti: Die Islandfischer

 

 

Pierre Loti

Die Islandfischer

 

 

 

Pierre Loti: Die Islandfischer

 

Übersetzt von Carmen Sylva

 

Neuausgabe.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.

 

ISBN 978-3-7437-1847-0

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-7437-1811-1 (Broschiert)

ISBN 978-3-7437-1812-8 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Pêcheur d’Islande. Erstdruck: 1886. Hier in der Übersetzung von Carmen Sylva, Bonn, Verlag von Emil Strauß, 1890.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

 

 

 

 

 

Wenn es mir gelungen sein sollte, anderer Herzen durch dieses kleine Epos zu erquicken, wie es in seiner biblischen Größe und erschütternden Wahrhaftigkeit das meine erhoben hat, wenn in einigen Deutschen das rohe Wort: Erbfeind durch das schöne Wort: Bruderland verdrängt wird, so war meine Arbeit leicht und reine Freude.

Carmen Sylva.

 

Erster Teil

1.

Es saßen ihrer Fünf, von gewaltiger Schulterbreite, trinkend aufgestützt, in einem dunkeln Raume, der nach Salzlauge und See roch. Der Verschlag, der für ihre Gestalten zu niedrig war, spitzte sich an dem einen Ende zu, wie das Innere einer großen ausgenommenen Möwe. Er schwankte leise mit einförmigem Stöhnen, langsam wie im Schlafe. – Draußen musste wohl Meer und Nacht sein; aber drinnen konnte man es nicht wissen: eine einzige Öffnung, in die Decke geschnitten, war durch einen Holzdeckel geschlossen, und nur eine alte Hängelampe beleuchtete sie mit zitterndem Lichte.

In einem Ofen war Feuer; die nassen Kleider trockneten daran, indem sie einen Dunst verbreiteten, der sich mit dem Rauch der Tonpfeifen vermischte. Der schwerfällige Tisch nahm die ganze Wohnung ein, deren Form er so genau folgte, dass eben Raum genug blieb, sich hineinzuschieben, um sich auf schmale Truhen zu setzen, welche in die Eichenwände verklammert waren. Mächtige Balken zogen sich über sie hin, nahe genug, um fast ihre Köpfe zu berühren, und hinter ihren Rücken öffneten sich Kojen, welche in die Dicke der Wandung eingeschnitten schienen, wie Nischen in einem Totengewölbe. –

Alles Holzwerk war grob und ungehobelt, mit Feuchtigkeit und Salz gesättigt, abgenutzt und poliert durch das Reiben ihrer Hände.

Sie hatten aus ihren Näpfen Wein und Apfelwein getrunken, und nun strahlte die Lebensfreude auf ihren Gesichtern, welche offen und treuherzig waren. Sie blieben noch um den Tisch sitzen und plauderten auf bretonisch über Frauen und Heiraten.

Auf dem Getäfel im Hintergrunde nahm eine heilige Jungfrau von Steingut, die auf ein Brettchen festgemacht war, den Ehrenplatz ein.

Sie war schon etwas hoch in Jahren, die Patronin dieser Seeleute, noch mit naiver Kunst bemalt; aber die Leute aus Steingut erhalten sich viel länger als die wirklichen Menschen. Darum erschien auch ihr rot und blaues Gewand wie ein sehr frisches kleines Ding mitten unter all' dem dunkeln Grau dieses armen Holzhauses. Sie hatte wohl mehr als ein heißes Gebet in banger Stunde vernommen; man hatte ihr zu Füßen zwei Sträuße von künstlichen Blumen angenagelt und einen Rosenkranz. –

Die fünf Männer waren gleich gekleidet: eine dicke gestrickte Jacke von blauer Wolle umschloss den Oberkörper und verschwand unter dem Hosengürtel: auf dem Kopf eine Art Helm von geteerter Leinwand, den man Südwester nennt, von dem Südwestwind, der in unserer Hemisphäre den Regen bringt. Sie waren von verschiedenem Alter. Der Kapitän mochte 40 Jahre zählen, drei andere 25 bis 30. Der Letzte, den sie Sylvester oder Lürlü nannten, war nur 17 Jahre alt: doch war er schon ein Mann an Gestalt und Kraft. Ein schwarzer, sehr feiner und sehr krauser Bart bedeckte seine Wangen. Nur die Kinderaugen hatte er behalten: graublau, außerordentlich sanft und ganz unschuldig. Des engen Raumes halber dicht an einander gedrängt, schienen sie ein wahres Wohlbehagen zu empfinden, in ihre düstere Höhle hineingeduckt zu sein.

... Draußen musste wohl See und Nacht sein: die öde Unendlichkeit der schwarzen und tiefen Gewässer. Eine kupferne Uhr, die an der Wand hing, zeigte auf Elf, sicherlich elf Uhr Abends, und auf der Holzdecke hörte man das Tröpfeln des Regens. –

Sie verhandelten die Heiratsangelegenheiten sehr lustig mit einander – aber ohne ein ungeziemendes Wort.

Nein, es waren Pläne für sie, die noch Junggesellen waren, oder komische Geschichten, die bei Hochzeiten daheim passiert waren. Manchmal warfen sie wohl mit einem herzlichen Lachen eine etwas offene Anspielung auf Liebesfreuden hin. Aber die Liebe, wie sie Männer von diesem Schlage verstehen, ist immer gesund, und in ihrer Derbheit bleibt sie beinahe keusch.

Aber Sylvester beunruhigte sich wegen einem, der Yann hieß und der immer nicht kam.

Wo blieb er denn, der Yann? Immer noch bei der Arbeit da oben? Warum kam er nicht herunter, sich seinen Anteil am Feste zu nehmen?

»Doch bald Mitternacht!« sagte der Kapitän, und indem er aufstand, hob er mit dem Kopfe den Holzdeckel, um Yann zu rufen. Da fiel ein höchst seltsames Licht von oben hinein.

»Yann, Yann, he, Mann!«

Der Mann gab mit rauher Stimme Antwort von draußen. –

Der bleiche Schein, der durch den für einen Augenblick gehobenen Deckel hereinfiel, glich sehr dem Tageslicht. »Bald Mitternacht!« Doch war es wirklich wie mattes Sonnenlicht, wie ein Schein von Tagesgrauen, von sehr weit her durch geheimnisvolle Spiegel zurückgestrahlt.

Wie die Öffnung sich schloss, kam die Nacht zurück; die kleine Hängelampe leuchtete wieder gelb, und man hörte den Mann mit dicken Holzschuhen die Leiter heruntersteigen. Als er eintrat, musste er sich ducken wie ein großer Bar; denn er war fast ein Riese. Zuerst schnitt er ein Gesicht und hielt sich die Nase zu wegen des herben Salzgeruchs.

Er ragte etwas zu sehr über die gewöhnlichen Körperverhältnisse der Menschen hinaus, besonders durch die Breite seiner Schultern, die so gerade waren wie ein Balken: von vorn gesehen, traten seine Schultermuskeln unter der blauen Wollenjacke wie zwei Kugeln über den Armen hervor. Er hatte große, braune, sehr bewegliche Augen und etwas Wildes und Hehres im Ausdruck. Sylvester warf die Arme um diesen Yann und zog ihn zärtlich an sich, wie Kinder es tun; er war mit seiner Schwester verlobt und behandelte ihn wie einen großen Bruder. Der andere ließ sich die Zärtlichkeit gefallen, wie ein zahmer Löwe, und antwortete mit gutmütigem Lächeln, das die weißen Zähne sehen ließ.

Die Zähne hatten bei ihm mehr Platz gehabt als bei andern Menschen; sie standen ein wenig auseinander und schienen ganz klein. Sein blonder Schnurrbart war ziemlich kurz, obgleich er ihn niemals schnitt; er war fest gedreht, um in zwei symmetrischen Röllchen, über schön geschwungenen Lippen, sich an den beiden Enden über den tiefen Mundwinkeln zu kräuseln. Der übrige Bart war glatt geschoren, und seine frischen roten Wangen hatten ihren Flaum behalten, wie bei Früchten, die noch keiner berührt hat.

Als Yann sich gesetzt, füllte man die Gläser von Neuem und rief den Schiffsjungen, um die Pfeifen frisch zu füllen und sie anzuzünden.

Dies Anzünden war eine Gelegenheit für ihn, ein klein wenig zu rauchen. Er war ein kleiner derber Bube, mit rundem Gesicht, so ein bisschen Vetter von all' diesen Seeleuten, die mehr oder weniger unter einander verwandt waren. Wenn seine ziemlich harte Arbeit getan war, dann war er das verwöhnte Kind an Bord. Yann ließ ihn aus seinem Glase trinken, und dann schickte man ihn schlafen.

Hernach nahm man das große Heiratsgespräch wieder auf.

»Und du, Yann«, fragte Sylvester, »wann halten wir deine Hochzeit?«

»Schämst du Dich nicht«, sagte der Kapitän, »solch' ein großer Mensch wie du, schon 27 Jahre alt und noch nicht verheiratet! Was müssen die Mädchen denken, wenn sie dich sehen!«

Yann antwortete, mit einer für die Frauen sehr verächtlichen Gebärde die riesigen Achseln zuckend:

»Meine Hochzeiten halte ich für eine Nacht, manchmal für eine Stunde, je nachdem.«

Er hatte gerade seine fünf Jahre Staatsdienst beendet, dieser Yann. Dort hatte er, als Kanonier von der Flotte, Französisch gelernt und die skeptischen Reden. Er fing dann an, ihnen seine letzte Hochzeit zu erzählen, die, wie es schien, 14 Tage gewährt hatte.

Es war in Nantes, mit einer Sängerin. Einen Abend, vom Meer heimkommend, war er etwas angeheitert in ein Orpheum eingetreten. An der Türe saß eine Frau, die ungeheure Blumensträuße für einen Louisd'or verkaufte. Er hatte einen gekauft, ohne recht zu wissen, was damit anzufangen, und gleich beim Eintreten hatte er ihn mit mächtigem Schwung derjenigen direkt ins Gesicht geschleudert, die gerade auf der Bühne sang, – halb als derbe Liebeserklärung, halb als Hohn auf die gemalte Puppe, die ihm gar zu rosig vorkam. Die Sängerin war jählings hingestürzt und hatte ihn dann drei Wochen angebetet. »Als ich abreiste«, sagte er, »schenkte sie mir sogar diese goldene Uhr.«

Und damit man sie betrachten könnte, warf er sie auf den Tisch, wie ein verächtliches Spielzeug. Die Sache hatte er mit derben Ausdrücken in seiner eigenen Bildersprache erzählt. Doch diese banale Geschichte aus der zivilisierten Welt stimmte schlecht zu diesen urwüchsigen Menschen, zu dem großen Schweigen der See, die man rings umher ahnte, zu diesem Mitternachtslichte, das von droben hereingeschienen und das Gefühl des sterbenden Nordpolsommers gegeben.

Yanns Art tat Sylvester weh und wunderte ihn. Er war noch ein reines Kind, in der Ehrfurcht vor den heiligen Sakramenten erzogen von einer alten Großmutter, der Witwe eines Fischers aus dem Dorfe Ploubazlanec. Als er noch ganz klein war, ging er täglich mit ihr, auf seiner Mutter Grab kniend den Rosenkranz zu beten. Von dem Kirchhof auf der Klippe sah man von Weitem die grauen Wasser der manche, in denen sein Vater einst bei einem Schiffbruche verschwunden war.

Da sie arm waren, seine Großmutter und er, musste er schon früh zum Fischen hinausfahren, und seine Jugend hatte sich auf hoher See abgespielt.

Jeden Abend sagte er noch sein Gebet, und seine Augen hatten ihre fromme Reinheit bewahrt. Er war auch schön, und nach Yann der Schönstgebaute an Bord. Seine sehr weiche Stimme und seine kindliche Redeweise bildeten einen Gegensatz mit seiner hohen Gestalt und seinem schwarzen Barte; da er sehr schnell gewachsen war, machte es ihn fast verlegen, auf einmal so breit und so groß geworden zu sein. Er gedachte sich bald mit Yanns Schwester zu verheiraten, aber noch nie hatte er eines Mädchens Herausforderungen beachtet.

Sie hatten nur drei Lagerstätten an Bord – je eine für zwei, darin schliefen sie abwechselnd, sich in die Nacht teilend.

Als sie ihr Fest – zu Ehren von Mariä, der Schiffspatronin, Himmelfahrt – beendet hatten, war es über Mitternacht. Drei von ihnen glitten in ihre kleinen, schwarzen, Totenkammern ähnlichen Nischen hinein; die drei andern stiegen aufs Verdeck, die unterbrochene große Arbeit des Fischfangs wieder aufzunehmen: es waren Yann, Sylvester und einer aus ihrer Gegend, Willem genannt.

Draußen war es Tag, ewiger Tag. Aber es war ein bleiches, bleiches Licht, keinem andern ähnlich; es schlich über alles hin wie der Widerschein einer toten Sonne. Um sie her begann gleich eine ungeheure, farblose Leere, und außer den Brettern ihr Schiffes schien alles durchsichtig, ungreifbar, wesenlos.

Das Auge konnte kaum das erfassen, was das Meer sein musste: Zuerst sah es aus wie ein zitternder Spiegel, der aber kein Bild wiederzugeben hatte; fernerhin schien es eine dunstige Ebene – und dann nichts mehr; es hatte weder Horizont noch Umrisse.

Die feuchte Frische der Luft war schneidender, durchdringender als wirkliche Kälte, und beim Atmen hatte man starken Salzgeschmack. Alles war still, und es regnete nicht mehr; droben schienen formlose und farblose Wolken das unbegreifliche, verborgene Licht zu enthalten; man sah hell und fühlte doch Nacht, und alle diese bleichen Dinge hatten keine nennbare Farbenschattirung.

Die drei Männer, die dort standen, lebten seit ihrer Kindheit in diesen kalten Meeren, inmitten ihrer phantastischen Formengebilde, die unbestimmt und unbegrenzt sind wie Visionen.

All' diese wechselnde Unendlichkeit waren sie gewohnt um ihr schmales Bretterhaus spielen zu sehen, und ihre Augen waren damit vertraut wie diejenigen der großen Vögel der Weite.

Das Schiff schaukelte leise, immer mit demselben Klageton, einförmig wie ein bretonisches Lied, das ein schlafender Mensch im Traume singt.

Yann und Sylvester hatten sehr rasch ihre Köder und Leinen bereit, während der andere ein Salzfass öffnete und, sein großes Messer wetzend, sich hinter sie setzte, um zu warten.

Es währte nicht lange. Kaum hatten sie ihre Leinen in das stille, kalte Wasser geworfen, als sie sie mit schweren Fischen herauszogen, die glänzend grau waren, wie Stahl. Und wieder und immer wieder ließen sich die beweglichen Stockfische fangen. Er ging rasch und unaufhörlich, dieser schweigsame Fischfang. Der andere schnitt sie auf mit seinem großen Messer, schlug sie flach, salzte sie ein, zählte, und die Fische, die bei der Heimkehr ihr Vermögen machen sollten, türmten sich hinter ihnen auf, triefend und frisch.

Eintönig gingen die Stunden hin, und in den großen, leeren Weiten draußen änderte sich langsam das Licht; es schien jetzt wirklicher zu werden. Was vorher ein bleiches Halbdunkel war, wie ein hyperboreischer Sommerabend, wurde jetzt ohne den Übergang zur Nacht, etwas wie ein Morgenrot, das alle Meeresspiegel in unbestimmten rosenroten Streifen wiedergaben.

»Gewiss solltest du heiraten, Yann«, sagte plötzlich Sylvester, diesmal mit großem Ernst, indem er ins Wasser blickte. (Er schien sehr wohl eine in der Bretagne zu kennen, die sich in die braunen Augen seines großen Bruders verguckt hatte. Aber er berührte nur schüchtern diesen ernsten Gegenstand.)

»Ich? O ja, einen dieser Tage, da halt' ich Hochzeit« – und er lächelte, dieser Yann, immer geringschätzig, indem er die lebhaften Augen rollte – »aber mit keinem der Mädchen daheim; nein, ich, ich heirate die See, und ich lade Euch ein, so viele Ihr hier seid, zum Tanz, den ich geben werde ...«

Sie fischten weiter, denn man durfte mit Plaudern die Zeit nicht verlieren. Man befand sich inmitten eines ungeheuren wandernden Fischvolkes, das seit zwei Tagen unablässig vorbeizog. –

Sie hatten alle die vorige Nacht durchgemacht und hatten in dreißig Stunden mehr als tausend sehr große Stockfische gefangen. Auch waren ihre kräftigen Arme müde, und sie schliefen beständig ein. Ihr Körper machte allein und setzte von selbst die Bewegungen des Fischfangs fort, während der Geist auf Augenblicke in vollem Schlafe schwebte. Aber die Luft der Weiten, die sie einatmeten, war jungfräulich wie am ersten Schöpfungstage, und so belebend, dass sie trotz der Müdigkeit die Brust weit und die Wangen frisch machte.

Das Morgenlicht, das wirkliche Licht war endlich gekommen; wie zur Zeit der Erschaffung der Welt hatte es sich von den Finsternissen geschieden, welche sich am Horizont geschichtet hatten und dort in schweren Massen liegen blieben; jetzt, da man so deutlich sah, merkte man erst, dass man aus der Nacht herauskam, und dass das vorherige Licht unbestimmt und seltsam war wie im Traum.

In dem sehr bedeckten, sehr dichten Himmel waren hie und da Risse, wie Öffnungen in einem Gewölbe, durch welche breite rosigsilberne Strahlen herabfielen. Die tieferen Wolkenschichten bildeten ein dichtes Schattengelände, rings um die Wasser sich lagernd, und die Fernen mit Unsicherheit und Dunkelheit füllend. Sie gaben das Gefühl eines geschlossenen Raumes, einer Grenze; sie waren wie Vorhänge vor die Unendlichkeit gezogen, wie Schleier, die zu gewaltige Geheimnisse verbergen sollten, welche der Menschen Gedanken verwirrt hätten.

Um das winzige Brettergehäuse, welches Yann und Sylvester trug, hatte an diesem Morgen die wechselnde Welt draußen sich in ungeheure Andacht gehüllt; sie hatte sich zu einem Heiligtum aufgebaut, und die Lichtgarben, die in Streifen durch dies Tempelgewölbe einfielen, verlängerten sich in Spiegelungen auf dem unbeweglichen Wasser, wie auf einem Marmorboden. Dann, allmählich, erhellte sich sehr ferne ein neues Wahngebilde: eine Art rosiger Ausschnitt von großer Höhe, – ein Vorgebirge des düsteren Island ...

Yanns Hochzeit mit dem Meere! ... Sylvester dachte immer wieder daran, beim Fischen, ohne zu wagen, noch etwas zu sagen. Es hatte ihn betrübt, das Sakrament der Ehe vom großen Bruder so verspotten zu hören; und dann hatte es ihn noch besonders bange gemacht, denn er war abergläubisch. Er dachte schon so lange daran, an diese Hochzeit von Yann. Er hatte geträumt, sie würde mit Gaud Mevel sein – einer Blondine aus Paimpol –, und er dachte, er würde die Freude haben, vor seinem Abgang in den Flottendienst dieses Glück zu erleben, vor der fünfjährigen Verbannung mit unsicherer Heimkehr, deren unabwendbares Herannahen anfing, ihm das Herz zusammenzuschnüren ...

Vier Uhr Morgens. Die andern, die unten gelegen hatten, erschienen alle Drei zur Ablösung. Noch ein wenig verschlafen, mit voller Brust die kalte Luft einsaugend, stiegen sie herauf, indem sie noch an ihren hohen Stiefeln zogen, und schlossen die Augen, durch alle diese matten Lichtspiegelungen geblendet.

Jetzt frühstückten Yann und Sylvester rasch; sie zerbrachen den Schiffszwieback mit Holzhämmern und begannen ihn lautkrachend zu zerbeißen und lachten ob seiner Härte. Sie waren wieder ganz heiter geworden bei der Aussicht, zum Schlafen hinunterzugehen, in ihren Kojen recht warm zu liegen, und sich um die Lenden fassend, schritten sie zur Schiffsluke, indem sie sich zu einer alten Singweise wiegten. Bevor sie durch das Loch verschwanden, blieben sie stehen, um mit Türk, dem Schiffshunde, zu spielen, einem ganz jungen Neufundländer, der ungeheure, ungeschickte, kindliche Pfoten hatte. Sie neckten ihn mit der Hand, an der er herumbiss, wie ein Wolf, bis er ihnen weh tat. Da schleuderte ihn Yann, mit einem zornigen Zusammenziehen seiner wechselvollen Augen, durch einen zu heftigen Stoß zurück, so dass das Tier flach aufschlug und heulte. Er hatte ein gutes Herz, dieser Yann, aber er hatte eine etwas wilde Natur, und wenn sein physischer Mensch allein im Spiel war, dann glich eine sanfte Liebkosung von ihm oft brutaler Gewalttätigkeit.

 

2.

Ihr Schiff hieß die Marie, Kapitän Guermeur. Jedes Jahr fuhr es auf den großen gefährlichen Fischfang in die kalten Gegenden, wo der Sommer keine Nacht hat. Es war schon sehr alt, gerade so wie die tönerne Jungfrau, seine Patronin. Seine dicken Lenden mit eichenen Rippen waren rauh und rissig, von Feuchtigkeit und Fischwasser getränkt, aber noch fest und gesund strömten sie belebenden Teerduft aus. In der Ruhe sah das Schiff schwerfällig aus mit seinem massigen Geglieder. Aber wenn die volle Brise von Westen wehte, fand es seine Kraft und Leichtigkeit wieder, wie die Möwen, die der Wind weckt. Dann hatte es seine eigene Art, sich auf die Wogen zu heben und dahinzuschießen, leichter als viele von den Jungen, mit modern verfeinertem Zuschnitt.

Sie aber, die sechs Männer und der Schiffsjunge, waren richtige Isländer, eine tapfere Rasse von Seeleuten, die besonders in Paimpol und Tréguier verbreitet ist und die von Vater auf Sohn diesen Fischfang betreibt.

Sie hatten fast nie den Sommer in Frankreich gesehen. Am Ende jedes Winters erhielten sie mit andern Fischern im Hafen von Paimpol den Segen für die Fahrt. Für diesen Feiertag wurde ein Ruhealtar, immer derselbe, auf den Quai gebaut; es war die Nachahmung einer Felsengrotte, in deren Mitte, zwischen einer Trophäe von Ankern und Rudern und Netzen, sanft und unbewegt die heilige Jungfrau thronte, die Schutzheilige der Seeleute, die für sie aus der Kirche geholt war, und die von Geschlecht zu Geschlecht mit denselben leblosen Augen die Glücklichen anschaute, für die die Ausbeute reich sein würde – und die anderen auch, die nicht wiederkommen sollten. Das Allerheiligste, gefolgt von einer langsamen Prozession von Frauen und Müttern, Bräuten und Schwestern, umwandelte den ganzen Hafen, wo alle isländischen Schiffe im vollen Flaggenschmucke beim Vorüberziehen salutierten. Der Priester blieb vor jedem derselben stehen, sprach die Segensworte und machte das Zeichen des Kreuzes.

Dann fuhren sie alle zugleich hinaus wie eine Flotte und ließen die Gegend ohne Gatten, Liebhaber und Söhne. Indem sie sich entfernten, sangen die Schiffsmannschaften zusammen mit voller, klingender Stimme die Kirchenlieder an Maria, den Stern der Meere. Und jedes Jahr war die nämliche Abschiedsfeier, das nämliche Lebewohl.

Danach fing das Leben auf hoher See wieder an, die Einsamkeit mit drei oder vier rauhen Gesellen, auf wandelnden Brettern, inmitten der kalten Gewässer des hyperboreischen Meeres.

Bis jetzt war man noch immer heimgekehrt; Maria, der Stern der Meere, hatte das Schiff beschützt, das ihren Namen trug. Ende August war der Zeitpunkt seiner Rückkehr; aber die Maria folgte der Sitte vieler Isländer, die Paimpol nur berührten, um dann in den Gascognischen Meerbusen zu fahren, wo man seinen Fang gut verkauft, und dann nach den Sandinseln mit ihren Salzsümpfen, wo man das Salz kauft für die nächste Fahrt.

In diesen südlichen Häfen, die die Sonne noch erwärmt, verbreiten sich während einiger Tage die kräftigen Schiffsmannschaften, freudengierig berauscht durch diesen Fetzen Sommer, die sanftere Luft, das Land und die Frauen.

Und mit den ersten Herbstnebeln geht es dann heim an den häuslichen Herd, nach Paimpol, oder in die zerstreuten Hütten des Goëlo, um sich eine Zeit mit der Familie, der Liebe, Heiraten und Geburten zu beschäftigen. Fast immer findet man kleine Neugeborene, die den Winter vorher entstanden, die auf die Paten warten, um das Sakrament der Taufe zu empfangen. Viel Kinder braucht diese Rasse von Fischern, die Island verschlingt.

 

3.

An einem schönen Sonntagabend im Juni jenes Jahres saßen in Paimpol zwei Frauen, eifrig beschäftigt, einen Brief zu schreiben. Das geschah vor einem breiten, offenen Fenster, dessen Fensterbrett von altem, massivem Granit eine Reihe von Blumentöpfen trug. Auf den Tisch gebeugt, schienen beide jung; die eine hatte eine ungeheuer große Haube, nach der Mode von ehedem, die andere ein ganz kleines Häubchen, nach der neuen Form, die die Paimpolesinnen angenommen: – zwei Liebende, hätte man glauben sollen, die zusammen eine Liebesbotschaft an irgend einen schönen Isländer abfassten.

Diejenige, die diktierte – die mit der großen Haube – hob jetzt den Kopf, ihre Gedanken zu suchen, und siehe da! sie war alt, sehr alt, trotz ihrer jugendlichen Erscheinung, vom Rücken gesehen, unter ihrem kleinen braunen Tuche. Aber ganz uralt: eine gute Großmutter von wenigstens 70 Jahren. Doch wahrlich noch immer hübsch, noch frisch, mit ganz roten Bäckchen, wie manche alte Leute die Gabe haben, sie zu behalten. Ihr Kopfputz, der auf Stirn und Scheitel ganz niedrig war, schien aus zwei oder drei weiten Musselindüten zu bestehen, welche eine aus der anderen herausfielen, bis in den Nacken. Ihr ehrwürdiges Gesicht war schön von all' der Weiße eingerahmt, die in der Faltung etwas Nonnenhaftes hatte. Ihre sanften Augen waren voll herzhafter Ehrlichkeit. Sie hatte keine Spur von Zähnen mehr, rein gar nichts, und wenn sie lachte, erschien statt ihrer das runde rote Zahnfleisch, das ganz jung aussah. Trotz ihres Kinns, das, wie sie immer sagte, zur Spitze eines Holzschuhes geworden, war ihr Profil durch die Jahre nicht verdorben; man konnte noch erraten, dass es regelmäßig und edel gewesen, wie das einer Kirchenheiligen.

Sie sah zum Fenster hinaus und suchte, was sie wohl noch erzählen könne, um ihren Enkel zu belustigen. Wahrhaftig, es gab in der ganzen Gegend von Paimpol nicht eine zweite gute Alte wie sie, die so drollige Sachen über den einen oder den anderen sagen, oder auch über gar nichts sagen konnte. In diesem Briefe standen bereits drei oder vier unbezahlbare Geschichten, – aber ohne die geringste Bosheit, denn sie hatte nichts Böses in der Seele.

Die andere, wie sie sah, dass keine Einfälle mehr kamen, hatte angefangen, sorgfältig die Adresse zu schreiben: An Herrn Moan, Sylvester, an Bord der Marie, Kapitän Guermeur, im Isländischen Meer, über Reykjavik.

Dann hob auch sie den Kopf, um zu fragen:

»Ist's fertig, Großmutter Moan?«

Und sie war sehr jung, diese andere, entzückend jung, ein zwanzigjähriges Gesichtchen. Sehr blond – was eine Seltenheit ist in dieser Ecke der Bretagne, wo der Schlag braun ist; sehr blond mit flachsgrauen Augen und beinahe schwarzen Wimpern. Ihre Brauen, die blond waren wie ihre Haare, hatten in der Mitte eine dunklere, rötliche Linie, wie mit dem Pinsel gezogen, die einen Ausdruck von Kraft und Willen gaben. Ihr etwas kurzes Profil war sehr edel; die Nase setzte die Stirnlinie ganz gerade fort, wie bei den griechischen Gesichtern. Ein tiefes Grübchen unter der Unterlippe zeichnete deren Rand in reizvoller Schärfe, – und von Zeit zu Zeit, wenn ein Gedanke sie sehr beschäftigte, biss sie diese Lippe mit den weißen Oberzähnen, so dass unter der feinen Haut kleine rötere Linien entstanden. In ihrer ganzen schlanken Gestalt war etwas Stolzes, auch ein wenig Ernstes, eine Erbschaft von den kühnen Islandschiffern, ihren Ahnen. Ihre Augen hatten zugleich einen Ausdruck von Sanftmut und von Eigensinn.

Ihr Kopfputz, wie eine Muschel geformt, legte sich tief auf der Stirne wie eine Binde an und hob sich dann stark auf beiden Seiten, dichte Haarflechten freilassend, die über den Ohren in Schnecken gerollt waren, – eine Tracht, die aus sehr alter Zeit herstammt und die den Paimpoleser Frauen ein altertümliches Ansehen gibt.

Man merkte wohl, dass sie anders erzogen war, als die arme Alte, der sie den Namen »Großmutter« gab, die aber in Wirklichkeit nur eine entfernte Großtante war und viel Unglück gehabt hatte.

Sie war die Tochter des Herrn Mevel, eines alten Isländers, der, ein ganz klein wenig Pirat, durch verwegene Unternehmungen zur See reich geworden war. Das schöne Zimmer, in welchem eben der Brief geschrieben wurde, war das ihre: da war ein ganz neues städtisches Bett mit Musselinvorhängen und Spitzen darum; auf den dicken Mauern bedeckte eine helle Tapete die Unebenheiten des Granit. An der Decke verhüllte eine Schicht Kalk die ungeheuren Balken, die das Alter des Gebäudes verrieten. Es war ein echtes behäbiges Bürgerhaus, dessen Fenster auf den alten Platz von Paimpol hinaussahen, wo der Markt und die Prozessionen, »Pardon« genannt, gehalten werden.

»Ist's fertig, Großmutter Yvonne? Habt Ihr ihm nichts mehr zu sagen?«

»Nein, mein Töchterchen, füge nur, bitte, einen Guten Tag von mir an den Sohn Gaos hinzu.« –

Der Sohn Gaos! ... mit anderen Worten Yann ... Sehr rot war das schöne stolze Mädchen geworden, während sie den Namen schrieb. Sowie dies mit eiliger Schrift unten an der Seite angefügt war, stand sie mit abgewandtem Kopfe auf, als wollte sie draußen auf dem Platz etwas sehr Interessantes sehen. Stehend erschien sie etwas groß; ihr Körper war, wie der einer eleganten Dame, in eine anschließende Taille ohne Falte hineingegossen. Trotz ihrem Kopfputz sah sie aus wie ein Fräulein. Selbst ihre Hände, ohne diese außerordentliche verkümmerte Kleinheit zu haben, welche die Sitte zur Schönheit gestempelt hat, waren fein und weich, da sie niemals grobe Arbeit getan.

Freilich war sie wohl einst die kleine Gaud gewesen, die barfuß im Wasser umherlief, mutterlos, fast verlassen in der Fischzeit, die ihr Vater in Island zubrachte; hübsch, rosig, ungekämmt, eigenwillig, trotzig, kräftig emporwachsend unter dem gewaltigen herben Wehen von der manche her. Zu jener Zeit wurde sie im Sommer von der Großmutter Moan aufgenommen, die ihr Sylvester zu hüten gab, während ihrer schweren Tagesarbeit bei den Leuten von Paimpol. Wie ein kleines Mütterchen vergötterte sie diesen anderen, ganz Kleinen, der ihr anvertraut war und vor dem sie doch kaum achtzehn Monate voraus hatte; er war so braun, wie sie blond; er war so folgsam und zärtlich, wie sie lebendig und launenhaft.

Sie gedachte dieses ihres Lebensanfangs wie ein verständiges Mädchen, das weder Reichtum noch Stadtleben berauscht hatten! Er stellte sich ihr dar wie ein ferner Traum von wilder Freiheit, wie die Erinnerung einer unbestimmten, geheimnisvollen Lebensperiode, wo der Strand breiter war und die Klippen sicherlich riesenhafter ...

Als sie fünf oder sechs Jahre alt war, noch sehr früh in ihrem Leben, war ihr Vater zu Geld gekommen, und er hatte angefangen, Schiffsladungen zu kaufen und zu verkaufen; da hatte er sie nach Saint Brieux gebracht und später nach Paris. – So war aus der kleinen Gaud Mademoiselle Marguerite geworden, groß, ernst, mit dem tiefen Blick. Noch immer viel sich selbst überlassen, nur in einer anderen Weise, als auf dem Meerstrand der Bretagne, hatte sie ihre eigenwillige Kindernatur bewahrt. Was sie von den Dingen dieser Welt wusste, war ihr ganz durch Zufall offenbart worden, ohne Einsicht; aber eine angeborene, fast übermäßige Würde war ihr zum Schutz geworden. Manchmal konnte ihr Wesen fast herausfordernd sein; dann sagte sie den Leuten zu offen Dinge ins Gesicht, die sie überraschten, und ihr schöner, heller Blick senkte sich nicht immer vor dem der jungen Männer, war dabei aber so ehrbar und so gleichgültig, dass diese sich unmöglich täuschen konnten; sie mussten es gleich gewahr werden, dass sie es mit einem braven Mädchen zu tun hatten, deren Herz so frisch war, wie ihr Gesicht. In den großen Städten hatte sich ihre Kleidung weit mehr geändert, als sie selber. Obgleich sie die Haube behalten, die die Bretoninnen nicht leicht aufgeben, hatte sie schnell gelernt, sich anders anzuziehen. Des Fischerkindes freie Figur, während sie die ganze Fülle der schönen Linien gewonnen, die im Seewind gekeimt, war nach unten hin feiner geworden in dem langen Schnürleib der Stadtfräulein.

Jedes Jahr kam sie mit ihrem Vater in die Bretagne zurück, aber nur im Sommer, wie die Badegäste, – dann fand sie für einige Tage ihre alten Erinnerungen wieder und ihren Namen Gaud (die bretonische Abkürzung von Marguerite), auch wurde sie neugierig, diese Isländer zu sehen, von denen man so viel sprach und die nie da waren, und von denen jedes Jahr wieder einige mehr beim Appell fehlten; allenthalben hörte sie von dem Island sprechen, das ihr wie ein ferner Abgrund vorkam – und wo nun der war, den sie liebte ...

Und dann war sie eines schönen Tages ganz heimgebracht worden, in die Fischergegend, durch eine Laune ihres Vaters, der dort sein Dasein vollenden und als Bürger an dem großen Platz von Paimpol wohnen wollte.

Die gute alte, arme, saubere Großmutter ging dankend davon, sobald der Brief wieder durchgelesen und zugemacht war. Sie wohnte ziemlich weit, am Anfang der Gemeinde von Ploubazlanec, einem Küstendörfchen, noch in derselben Hütte, in der sie geboren war, in der sie ihre Söhne und Enkel erzogen hatte.

Die Stadt durchwandernd beantwortete sie manchen Guten Abend: sie war eine der Alten im Lande, noch ein Überrest einer mutigen, hochgeachteten Familie.

Durch wahre Wunder von Ordnung und Pflege gelang es ihr, einigermaßen gut angezogen zu erscheinen, in ihren armen, geflickten Kleidern, die kaum noch zusammenhielten. Immer dasselbe braune Tuch von Paimpol, das ihren Staat ausmachte, auf das seit über sechzig Jahren die Musselindüten ihrer großen Hauben herabfielen, ihr eigenes Hochzeitstuch, das dereinst blau gewesen, zur Hochzeit ihres Sohnes Pierre gefärbt worden und seit jener Zeit, da es für Sonntags geschont wurde, noch ganz stattlich aussah. Sie hielt sich noch immer ganz aufrecht beim Gehen, gar nicht wie die alten Weibchen, und man konnte wirklich nicht umhin, trotz dem etwas emporstrebenden Kinn, sie mit ihren guten Augen und ihrem feinen Profil noch sehr hübsch zu finden. Sie war hoch geachtet, das konnte man gleich an der Art sehen, wie die Leute ihr den Guten Abend boten.

Auf dem Wege kam sie an ihrem »Liebhaber« vorbei, ein alter Verehrer von ehedem, der seines Zeichens Schreiner war; er war achtzigjährig und saß jetzt fast immer an seiner Türe, während die Jungen, seine Söhne, in der Werkstatt hobelten. – Man behauptete, er habe sich nie darüber trösten können, dass sie ihn nicht gewollt, weder in erster, noch in zweiter Ehe; mit den Jahren war das in einen komischen Groll umgeschlagen, halb freundschaftlich, halb boshaft, und jedesmal rief er sie an:

»He, Schönheit, wann wird's denn, dass man Euch Maß nehmen muss?«

Sie dankte und sagte Nein, sie sei noch nicht entschlossen, jenes Gewand anzulegen. In seinem etwas schwerfälligen Scherz meinte der Alte nämlich ein gewisses Kleidungsstück aus tannenen Brettern, das letzte von allen Erdenanzügen ...

»Nun, wann's Euch dann beliebt; aber geniert Euch nicht, meine Schöne, Ihr wisst ...«