Arno Holz: Die Blechschmiede

 

 

Arno Holz

Die Blechschmiede

 

 

 

Arno Holz: Die Blechschmiede

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Gemälde von Erich Büttner, 1916

 

ISBN 978-3-7437-1396-3

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-7437-1335-2 (Broschiert)

ISBN 978-3-7437-1336-9 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Erstdruck: Leipzig, Insel-Verlag, 1902 mit der Widmung: »Seinen Freunden Rolf Martens, Robert Reß und Georg Stolzenberg - der Herr Mitte Dreißig«.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

Prolog

Seit der alte Papa Wieland

seine liederlichen Musen

abenteuerlich ersuchte,

ihm den Hippogryph zu satteln,

hat schon mancher deutsche Dichter

diesen Trick ihm nachgeäfft.

 

In das süße blaue Wunder

unsrer Jungfrau Poesie

stippte altklug Mutter Prosa

die didaktisch lange Nase,

und die Töchter des Olympiers

degradiert nun frech zu Jockeys

jeder Schlingel, dem erbärmlich

auf der schlecht geleimten Leyer

nur ein dünnes Därmchen schnurrt.

 

Leider bin ich auch blos Mensch.

Dumpf in meine Wiegenlieder

brandete von fern die Ostsee,

und wir Deutschen sind entweder

Dichter, oder Philosophen.

 

Ich bin Dichter. Versefex.

 

Versefex und degradier drum

jene schlanken Marmorschönen

mit dem weltverliebten Herzen

heute selbst zum Stallknechtsdienst.

 

He, Euterpe, raus den Schinder!

Wiehernd bäumt er sich ins Licht.

 

Zieh, Urania, erst mal, bitte,

dort den Strohhalm aus dem Schwanz.

 

Klio und Kalliope,

putzt ihm spiegelblank die Hufe,

knüpft ihm Blumen in die Mähne,

hängt ihm Rauschgold an die Flügel,

mutig blähn sich seine Nüstern,

wohlig zuckt sein Seidenfell.

 

Schlottert hier nicht noch ein Riemen?

 

Mensch, Melpomene, du stellst dich

ja noch dümmer, als du bist!

 

Fester, Erato, den Sattel,

oder denkst du dir, ich wollte,

rhythmisch über Wolken stolpernd,

einen Kopfsprung inscenieren?

 

Kind, Thalia, willst du wohl?

Händchen weg, das Luder beißt!

 

Recht so, Polyhymnia,

reich ihm den krystallnen Eimer,

roten, funkelnden Falerner

zulpt der alte Schwede gern.

 

Hm; die Bügel federn gut.

 

Auch die Peitsche zieht brillant.

 

So. Und jetzt, Terpsichore,

heb dein Tunicachen, tanz

ihm eins rittlings vor dem Hintern,

unterm Schlage seiner Schwingen

stäuben Blüten aus den Wipfeln,

und verdutzt vom Kirchturm kräht schon

hinter uns der goldne Gockel.

 

CHOR.

Denn die Wolken, die Wolken sind ewig schön,

ob sie nun über Äppel- oder über Birnbäume gehn!

 

Vorhang

 

Eine weiße Seidendraperie mit gelben Japandrachen. Sie teilt sich und die Bühne stellt die Zirbeldrüse des Dichters dar. Eine Unmasse Hirnsand. Im Vordergrund links eine birmanische Pagode, rechts ein griechischer Tempel, im Hintergrund eine Kathedrale. Die Kathedrale ein Ausschank von Aschinger, der Tempel ein Warenhaus von Wertheim, die Pagode eine Filiale vom Berliner Lokalanzeiger. In der Ferne unterscheidet man deutlich das Altertum, das Mittelalter und die Neuzeit. Apollonius Golgatha, auf einem Postament in der Mitte. Glockenrock à la Thomas Theodor Heine, aus seinen Rockschößen die »Blätter für die Kunst«, als Pegasus ein Schaukelpferd. Das Postament ein parischer Marmorblock mit einem Sims aus purpurnen Eselsohren. Rundherum, außer verschiedenen Zeitgenossen, mehrere Herren aus gewesenen Jahrhunderten: Hiob, Dafnis, Pickelhering u. s. w. Auf den Stufen des Unterbaus, die gedankenschwere Hirnterrine in die Linke gestützt, der Herr Mitte Dreißig; das ganze Individuum um seinen Kneifer konzentriert.

 

DER HERR MITTE DREISSIG.

O Haupt voll Blut und Wunden,

o deutsche Poesie,

wie hat man dir geschunden

dein Tüpferl auf dem i!

 

Durch Mond und Sterngeflimmer

welteinwärts glänzt ein Steg –

das Maultier sucht noch immer

im Nebel seinen Weg!

APOLLONIUS GOLGATHA.

Andre singen andre Lieder.

Mein Gefieder

flieht den Tag und sein Gefunkel,

feuerfarben suchts das Dunkel.

 

Andre lieben andre Leiber.

Meine Weiber

schmachten, schimmernd wie Narzissen,

schwül aus schwarzen Finsternissen.

 

Andre haben andre Hirne.

Meine Birne

liegt im Streit mit meinem Nabel,

sozusagen: Kain und Abel!

CHOR DER JÜNGLINGE, rechts; rote Glacees, umgekrämpelte Hosen, Monokles, Schnabelschuhe; aus der Lokalanzeigerpagode.

Wir sind keine Sittenprediger und lieben nur die Schönheit. Mehr als das schwarze Leder der Bücher behagt uns die weiße Haut, die über die quellende Brust des Weibes gespannt liegt, oder ein blondes Bein, das seiden aus einem geschlitzten Sternkleid schimmert!

CHOR DER JUNGFRAUEN, links; aus dem Wertheimtempel.

Unsere Haare zum Fest sind köstlich aufgebunden, Purpurbänder schlingen sich durch unsre Zehen, wir suchen die zuckende Schönheit des Moments!

BEIDE.

Wir haben an denselben Brüsten getrunken, unsre Augen haben sich an denselben Zieraten geweidet, wir tragen dieselben Wunden und Geschwüre!

APOLLONIUS GOLGATHA.

Schrill aus blutenden Karbunkeln

unerhörte Blumen funkeln.

die blauen Blumen meiner Brust,

die um die verschütteten Brunnen gewußt!

DER HERR MITTE DREISSIG.

Gackre, gackre, dumme Gosch!

Grün wird mir und blau!

Aufgeblasen wie ein Frosch!

Eitel wie ein Pfau!

IMPRESARIO, Ziegenbart, Zeigestock.

Dichter mit assyrischen Bärten, die steifen Locken wunderlich verschnörkelt, präraphaelitisch bleiche Maler, matte und wie Lilien fällige Komtessen, nach den Paradiesen unbekannter Schönheit lüstern, und zwischen den scheuen und wie verschmachtenden Farben ihrer weiten und welken Gewänder glänzt silenisch und wüst der Schädel des Verlaine!

DER HERR MITTE DREISSIG.

Man ist kein Schnorch wie früh'r der Schniller,

man ißt bei Dreßel und bei Hiller;

man ist besorgt ach, um sein Rühmchen –

jede Zeile ein Gänseblümchen!

APOLLONIUS GOLGATHA.

Gehüllt in meines Liedes blauen Mantel

zertritt mein Fuß die giftige Tarantel.

Was speist du hier dein belferndes Geschwehle?

Wo kommt es her? Mit nichten aus der Seele!

DAFNIS, EIN SCHÄFFER.

Wie sie sich kniffen, wie sie sich knuffen,

wie mihr für Freuden die Ädergen buffen!

In Rom, Korinth, Athen

kann man nichts Schönres sehn.

Auff, nuhn laßt die Stimmlein schallen,

ihr gelehrten Nachtigallen!

AUTOR.

Von Tromsö bis Malta.

Hic Rhodus, hic salta!

CHOR DER GREISE, in langem Zuge aus der Aschingerkathedrale. Goldne Brillen, weiße Westen, Bierbäuche; Harfen.

Um die Fliederzeit,

wenn der Kukuk schreit,

wird das Herz uns immer wieder jung.

Uns zur Seite geht,

wenn der Lenzwind weht,

leisen Schrittes die Erinnerung!

DIE GRÜNEN.

Dann setzten sie ins Gras sich nieder

und quäkten ihre alten Lieder.

Die Liebe ist der Liebe Preis

und auf dem Dache sitzt ein Greis!

ERSTER GREIS, Verfasser von »Veilchen und Meerrettich«.

O, daß ich dein auf ewig bliebe,

du meiner Seele Harmonie,

denn du, nur du bist meine Liebe,

du hocherhabne Poesie!

Mein krankes Herz fühlt sich genesen,

wenn mich dein Flügelschlag umkreist;

denn was ich fühle, ist dein Wesen,

und was ich denke, ist dein Geist!

ZWEITER GREIS, Verfasser von »Edelrost und Grünspan«.

Ob du, ein Blitz aus düstrer Wolke,

als Schicksal durch die Lande rast,

ob du als Freiheit dich dem Volke,

als Liebe dich dem Herzen nahst.

in dieser Welt geweihtem Ringe

von allen Wundern gleicht dir keins;

du bist die Mutter aller Dinge,

du bist die Seele allen Seins!

DIE GRÜNEN.

Lirum, larum, Löffelstiel,

alte Männer dichten viel.

Dichten viel und dichten sehr,

lang, lang ists her!

DRITTER GREIS, Verfasser von »Vom Tintenfaß ins Weltall, oder Plomben für den kranken Zahn der Zeit«.

Wieder lag ich still im Nachen,

abendluftumweht,

hörte, wie die Fischlein sprachen

sacht ihr Nachtgebet.

 

Schaute, wie die Blümlein schlossen

ihre Äugelein,

ach, und meine Thränen flossen

unaufhaltsam drein!

 

Und als süß dann durch die Eiche

noch das Mondlicht quoll,

schwammen Mummeln auf dem Teiche,

bleich und stimmungsvoll.

 

Sag, was giebt es Angenehmres,

als im Teich ein Bad?

Giebt es manchmal was Bequemres,

als ein Mummelblatt?

DER HERR MITTE DREISSIG.

Festgeleimt durch sein Gestänklein,

hockt das auf dem Dichterbänklein.

Hinter Bergen

von Latwergen,

die Pupillen

schützen Brillen.

Und so knickt das seine Läuschen,

Habakuk im Wetterhäuschen!

CHOR.

Jene süßliche Welt blonder Empfindsamkeit,

deren Doppelsymbol Lehnstuhl und Ofenbank,

wo die Jünglinge seufzten

und empfanden wie Hagedorn!

 

Ach, schon hieß Papa Gleim Deutschlands Anakreon,

und die Sprache, die einst Luther aus Holz geschnitzt,

lernte zierlich zu tänzeln

wie ein fränkisches Menuett!

 

Fashionable war nun Dörfchen und Abendstern,

Tau und Rosengebüsch, Bächlein und Nachtigall,

und die zärtliche Flöte

schluchzte nächtlich den Vollmond an!

 

Lang ists her, schon manches Jährchen,

Vieles ist seitdem geschehn –

müssen noch immer um eure Pärchen

mondversilberte Pappeln wehn?

APOLLONIUS GOLGATHA.

Märchenselig wob ein Baum

pfauenfarbne Schwingen,

leise Glocken ließ mein Traum

über mir erklingen.

 

Meiner Liebe schwarze Qual

schlief vergessen,

lieblich stand das ganze Thal

voll Cypressen.

 

Und des Friedens weiße Täubchen,

keusch im Bogen,

zitternd ein demantnes Stäubchen,

kam geflogen.

 

Zart und zierlich wie aus Glas

klang sein Stimmlein.

sieh dies Blümlein, sieh dies Gras,

sieh dies Immlein!

 

Und dazwischen, blau und seiden,

sang der Bach.

Willst du nicht das Lämmlein weiden?

Weinend ward ich wach!

DER HERR MITTE DREISSIG.

Privatim sei stupide,

doch bist dus auch im Liede

und quälst du mir mein Ohr,

vergleich ich dein Gesinge

dem Messer ohne Klinge,

das seinen Griff verlor!

APOLLONIUS GOLGATHA.

Die hohe Harfe ist mein Amt,

ich singe, weil ich leide;

die Nachtigall schluchzt schwarzen Sammt,

der Flieger aus Kanarien gelbe Seide.

PLATSCHNEESE, ein Herr mit ausgefranzten Hosen und Ballonmütze.

Aujust, hast wol n kleenen Pick?

Ziehrt sich wie ne Zicke am Strick!

Macht hier Stoob un nich zu knapp –

stoß dir man keene Zierraten ab!

APOLLONIUS GOLGATHA.

In die süße Himmelsschüssel

Taucht das Untier seinen Rüssel!

Zurück, zurück zu deiner Hölle Kesseln,

trägbeinger Molch, von unsern sammtnen Sesseln!

DER HERR MITTE DREISSIG.

Noch niemals fühlte sich das wohl

bei Pökelkamm und Sauerkohl.

Das lutscht nur Nürenberger Leckerl,

o Jeckerl!

APOLLONIUS GOLGATHA.

Johlend über meine Diamanten

taumeln trunkne Korybanten!

Euch tönte nie, beglänzt vom heilgen Graal,

das bunte Lied vom singenden Opal!

PLATSCHNEESE.

Immer durch denselben Schemel

dreht und druxt det seinen Drehmel.

Jott, wenn ick schon sowat seh –

dhut Ihn denn det janich weh?

APOLLONIUS GOLGATHA.

Fahl um meiner Seele Säulen

scheucht die Schwermut ihre Eulen.

Fern versprühend blaue Wetter,

schwere, schwarze Lorbeerblätter!

 

Aus meinen Reimen stöhnt ihr Ach

die dumpfe Sucht am lichten Silberbach,

aus meinen Liedern schluchzt ein Weh,

süß wie Oboen, grün wie Aloe!

ALLE.

Die Gedanken,

die da stanken

aus den Blanken

eines Kranken!

DER HERR MITTE DREISSIG.

Auf Reime sind wir wie versessen,

was sich nicht reimt, wird hier gefressen.

O lieblich parfümierte Musen,

o Schnürkorsett, o Gummibusen!

 

Die einen Biester sind lahm und hinken,

die andern nach Lack und Firnis stinken;

kokett behangen den Popo

mit bunten Lappen aus dem Rokoko!

GROSSSTADT-LYRIKER, in Frack und weißer Binde vor die Souffliermuschel.

Hurrah Sylvester! Heut giebts Krapfen

und roten Punsch statt grünen Thee!

Von allen Dächern hängt in Zapfen

gefroren der Dezemberschnee.

 

Die Großstadt, eine Weltkokette,

streut Reif als Puder sich ins Haar –

in pelzverbrämter Toilette

erwartet sie das neue Jahr.

 

Schau, in den Straßen, welch ein Treiben!

Laternen blitzen durch die Nacht,

und hinter gasdurchhellten Scheiben

winkt Schehresadens Märchenpracht.

 

Aus Glas und Stein gebaute Hallen,

ein nie erschautes Paradies,

bunt vollgepfropft mit Warenballen

aus Peking, Kairo und Paris!

 

Das ist ein Funkeln und ein Blitzen,

hier Pfefferkuchen, Marzipan,

hier Goldbrokat und Brüssler Spitzen,

und dort gar Sèvreporzellan!

 

Verwehte Südfruchtdüfte fächeln

die Leute, die vorübergehn,

und gnädig, mit gelauntem Lächeln,

bleibt oft der Reichtum davor stehn ....

 

Ein Budoir ists, schwer verhangen

mit Goldbrokat und Musselin;

wie ein Gewühl von blauen Schlangen,

aufzischt das Feuer im Kamin.

 

Der Teppich träumt in seiner Weise

von einem türkischen Bazar,

und auf dem Theetisch brodelt leise