Hugo von Hofmannsthal: Ariadne auf Naxos. Oper in einem Aufzuge nebst einem Vorspiel
Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.
Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:
Jakob Jordaens, Bacchus und Ariadne, um 1645-50
ISBN 978-3-7437-1265-2
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-7437-1253-9 (Broschiert)
ISBN 978-3-7437-1254-6 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
Erstdruck in: Neue Freie Presse (Wien), 26.5.1912. Uraufführung am 4.10.1916 in Wien (Hof-Operntheater).
Der Text dieser Ausgabe folgt:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 1: Gedichte, Dramen, Band 2–5: Dramen, Herausgegeben von Bernd Schoeller in Beratung mit Rudolf Hirsch, Frankfurt a.M.: S. Fischer, 1979.
Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
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Der Haushofmeister.
Ein Musiklehrer.
Der Komponist.
Der Tenor (Bacchus).
Ein Offizier.
Ein Tanzmeister.
Ein Perückenmacher.
Ein Lakai.
Zerbinetta.
Primadonna (Ariadne).
Harlekin.
Scaramuccio.
Truffaldin.
Brighella.
Ariadne.
Bacchus.
Najade.
Dryade.
Echo.
Zerbinetta.
Harlekin.
Scaramuccio.
Truffaldin.
Brighella.
Ein tiefer, kaum möblierter und dürftig erleuchteter Raum im Hause eines großen Herrn. Links und rechts je zwei Türen. In der Mitte ein runder Tisch. Im Hintergrund sieht man Zurichtungen zu einem Haustheater. Tapezierer und Arbeiter haben einen Prospekt aufgerichtet, dessen Rückseite sichtbar ist. Zwischen diesem Teil der Bühne und dem vorderen Raum läuft ein offener Gang querüber.
Haushofmeister tritt auf.
MUSIKLEHRER ihm entgegen. Mein Herr Haushofmeister! Sie suche ich im ganzen Hause –
HAUSHOFMEISTER. Womit kann ich dienen? Muß allerdings bemerken, daß ich pressiert bin. Die Vorbereitungen zur heutigen großen Assemblée im Hause des reichsten Mannes von Wien – wie ich meinen gnädigen Herrn wohl betiteln darf –
MUSIKLEHRER. Ein Wort nur! Ich höre soeben, was ich allerdings nicht begreifen kann –
HAUSHOFMEISTER. Und das wäre?
MUSIKLEHRER. – und was mich in erklärliche Aufregung versetzt –
HAUSHOFMEISTER. In Kürze, wenn ich bitten darf!
MUSIKLEHRER. – daß bei der heutigen festlichen Veranstaltung hier im Palais – nach der Opera seria meines Schülers – kaum traue ich meinen Ohren – noch eine weitere, und zwar gleichfalls sozusagen musikalische Darbietung in Aussicht genommen ist – eine Art von Singspiel oder niedrige Posse in der italienischen Buffo-Manier! Das kann nicht geschehen!
HAUSHOFMEISTER. Kann nicht! Wieso?
MUSIKLEHRER. Darf nicht!
HAUSHOFMEISTER. Wie beliebt?
MUSIKLEHRER. Das wird der Komponist nie und nimmer gestatten!
HAUSHOFMEISTER. Wer wird? Ich höre: gestatten. Ich wüßte nicht, wer außer meinem gnädigen Herrn, in dessen Palais Sie sich befinden und Ihre Kunstfertigkeiten heute zu produzieren die Ehre haben, etwas zu gestatten – geschweige denn anzuordnen hätte!
MUSIKLEHRER. Es ist wider die Verabredung. Die Opera seria »Ariadne« wurde eigens für diese festliche Veranstaltung komponiert.
HAUSHOFMEISTER. Und das ausbedungene Honorar wird nebst einer munifizenten Gratifikation durch meine Hand in die Ihrige gelangen.
MUSIKLEHRER. Ich zweifle nicht an der Zahlungsfähigkeit eines steinreichen Mannes.
HAUSHOFMEISTER. Für den Sie samt Ihrem Eleven Ihre Notenarbeit zu liefern die Auszeichnung hatten. – Was dann steht noch zu Diensten?
MUSIKLEHRER. Diese Notenarbeit ist ein ernstes, bedeutendes Werk. Es kann uns nicht gleichgültig sein, in welchem Rahmen dieses dargestellt wird!
HAUSHOFMEISTER. Jedennoch bleibt es meinem gnädigen Herrn summo et unico loco überlassen, welche Arten von Spektakel er seinen hochansehnlichen Gästen nach Vorsetzung einer feierlichen Kollation zu bieten gesonnen ist.
MUSIKLEHRER. Zu diesen die Verdauung fördernden Genüssen rechnen Sie demnach die heroische Oper »Ariadne«?
HAUSHOFMEISTER. Zuvörderst diese, danach das für punkt neun Uhr anbefohlene Feuerwerk und zwischen beiden die eingeschobene Opera buffa. Womit ich die Ehre habe, mich zu empfehlen.
Geht ab.
MUSIKLEHRER. Wie soll ich das meinem Schüler beibringen? Ab nach der anderen Seite.
Ein junger Lakai führt einen Offizier herein, dem er voranleuchtet.
DER LAKAI. Hier finden Euer Gnaden die Mamsell Zerbinetta. Sie ist bei der Toilette. Ich werde anklopfen.
Horcht und klopft an die Tür rechts vorne.
DER OFFIZIER. Laß Er das sein und geh Er zum Teufel.
Stößt den Lakai heftig weg und tritt ein.
DER LAKAI taumelt, rettet den Leuchter auf einen Wandtisch rechts zwischen den beiden Türen und klaubt sich zusammen. Das ist die Sprache der Leidenschaft, verbunden mit einem unrichtigen Objekt.
KOMPONIST kommt eilig von rückwärts. Lieber Freund! Verschaffen Sie mir die Geigen. Richten Sie ihnen aus, daß sie sich hier versammeln sollen zu einer letzten kurzen Verständigungsprobe.
DER LAKAI. Die Geigen werden schwerlich kommen, erstens weils keine Füß nicht haben, und zweitens, weils in der Hand sind!
KOMPONIST naiv, belehrend, ohne sich verspottet zu glauben. Wenn ich sage: die Geigen, so meine ich die Spieler.
DER LAKAI gemein, von oben herab. Ach so! Die sind aber jetzt dort, wo ich auch hin sollt! und wo ich gleich sein werd – anstatt mich da mit Ihnen aufzuhalten.
KOMPONIST ganz naiv, zart. Wo ist das?
DER LAKAI gemein, plump. Bei der Tafel!
KOMPONIST aufgeregt. Jetzt? Eine Viertelstunde vor Anfang meiner Oper beim Essen?