August Klingemann: Faust. Ein Trauerspiel in fünf Acten
Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.
Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:
August Klingemann (Gemälde von Beese, um 1820)
ISBN 978-3-7437-0994-2
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-7437-0862-4 (Broschiert)
ISBN 978-3-7437-0863-1 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
Erstdruck: Leipzig und Altenburg (F. A. Brockhaus) 1815.
Der Text dieser Ausgabe folgt:
Klingemann, August: Faust. Ein Trauerspiel in fünf Acten. Leipzig und Altenburg: F. A. Brockhaus 1815 [Nachdruck Wildberg: Belser Wissenschaftlicher Dienst, 1996].
Dieses Buch folgt in Rechtschreibung und Zeichensetzung obiger Textgrundlage.
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»Kein Aberglaube hat herrschend und weit durch Zeiten und Völker verbreitet seyn können, ohne eine Grundlage in der menschlichen Natur zu haben: an diese wendet sich der Dichter, und ruft aus ihren verborgenen Tiefen hervor, was die Aufklärung gänzlich beseitigt zu haben meint, jenen Schauer vor dem Unbekannten, jene Ahnung einer nächtlichen Seite der Natur und Geisterwelt.«
A. W. Schlegel.
So viel auch die alte Legende von Faust schon bearbeitet worden ist, so mangelt es doch der Bühne bis jetzt immer noch an einem ächt dramatischen Faust, und Lessing scheint den Ton angegeben zu haben, den Gegenstand überhaupt so sehr in das Gebiet der Philosophie hinüberzuspielen, daß die mystischen Beziehungen bei den spätern Bearbeitern sich bis zum Allegorischen aufgelös't haben, und das geheimnißvolle Grauen, das durch die alte Legende waltet, in den neueren Darstellungen gänzlich verschwunden ist. Die Herrlichkeiten des Götheschen Faust sind anerkannt, aber Göthe's Gedicht hat nur dramatische Momente und ist nie für die Bühne bestimmt worden. – Wenn ich deßhalb mich an eine neue Bearbeitung dieses Gegenstandes gewagt habe, so geschah es aus dem oben angeführten Grunde, und weil ich versuchen wollte, die alte Legende ächt dramatisch auszuführen und jenes Gothische, Geheimnißvolle und Schauerliche in meine Darstellung zu übertragen, das vor der Aufklärung anderer Dichter dieses Stoffes daraus entflohen ist.
Doctor Johann Faust.
Käthe, sein Weib.
Diether Faust, sein blinder Vater.
Wagner, sein Famulus.
Helene.
Ein Fremder.
Erster Student.
Zweiter Student.
Dritter Student.
Erster Leichenträger.
Zweiter Leichenträger.
Erste Maske.
Zweite Maske.
Dritte Maske.
Anführer der Gerichtsdiener.
Ein Kellner. Leichenträger. Gerichtsdiener.
Masken. Erscheinungen.
Nach einer ernsten Symphonie hört man es langsam aus der Ferne eilf Uhr schlagen und darauf hebt sich der Vorhang. Die Bühne stellt Fausts Studirzimmer vor, an dessen Wänden mancherlei physicalische Apparate, auch Skelette u.s.w. umherstehen. Auf einem Tische rechter Hand liegen Buchdruckergeräthschaften, daneben ein altes kurzes Feuergewehr; auf einem andern linker Hand steht ein globus coelestis, und daneben liegt ein dickes Buch, um welches eine starke eiserne Kette gewunden, an der das Schloß aber offen ist. Es geht gegen die Nacht und die Bühne wird nur schwach durch eine Lampe beleuchtet, die Käthe auf dem Tische rechter Hand niedergesetzt hat.
Diether Faust, der von Käthe geführt eingetreten ist.
DIETHER.
Es weht hier eine dumpfe Kellerluft,
Und doppelt hallt der Fußtritt durchs Gewölbe!
KÄTHE.
Wohl ist's hier schauerlich und nicht geheuer,[1]
Denn Todtenbein steht ringsum an den Wänden,
Und überall giebt's solche Gegenstände
Vor deren Anblick man sich fürchten möchte!
Die schaudernd ein Skelett betrachtet.
Hu, welch ein widrig Konterfai der Mensch,
Wenn seine Erdenschönheit Staub geworden,
Und wie er grinsend in das Leben schaut!
DIETHER.
Was ist es, meine Tochter?
KÄTHE.
Ein Gerippe!
Behüt uns Gott! – 'S ist doch so lieb das Leben,
Und süß und freundlich, selbst wenn Sorgen drücken!
Ich möcht' nicht gerne sterben, guter Vater;
Schaudernd.
Doch trägt schon jeder sein Gerippe in sich,
Und seinen Todtenschädel, bis es Zeit wird!
DIETHER.
Die Stund' ist eilf! – Mach dir nicht schwarze Träume!
Und führe mich zu Bette, Tochter Käthe;
Denn Faust kehrt heute nun auch nicht zurück.
KÄTHE.
Wenn gleich! Verweilt nur noch ein weniges;[2]
Denn ist der Faust auch selber nicht daheim,
So liegt doch hier so mancherlei Geräthschaft,
Die sein gehört und die er oft berührte,
Daß ich mich näher schon hier bei ihm wähne!
DIETHER.
Du treues Kind!
KÄTHE.
Ach könnt' ich's ihm nur sagen,
Wie sehr ich ihn so tief im Herzen liebe;
Doch liegt's zu tief und findet keine Worte,
Und drum kann ich's dem Faust auch nicht erklären;
Mit vieler Rede ist's mir nicht gegeben. –
Legt die Hand auf Fausts Studirstuhl.
Hier steht sein Stuhl, auf dem er einsam sitzend,
Ernst nachsinnt über tief geheimen Dingen!
DIETHER halb in sich hinein.
Gott geb' auch über guten!
KÄTHE.
Ei, mein Vater,
Die Kunst des Buchdrucks, die er ausgefunden,
Ich denke – ist ein gutes Ding zu nennen!
Denn, wie der Faust erzählt, wird nun in Zukunft
Durch die Erfindung manches wackre Wort,[3]
Das vormals eingeschlossen und verborgen,
Vervielfacht ausgehn in die weite Welt
Und tausend Herzen trösten und erquicken!
DIETHER wie vorher.
Auch manches Wort des Fluches!
KÄTHE schaudernd.
Weh', mein Vater!
Erschreck mich nicht! – Dein Faust ist brav und gut!
DIETHER.
Von Gott dem Herrn aus – ja! – Doch liegt in ihm
Viel Stolz und Hochmuth und ein wilder Sinn; –
Der zieht zum Bösen!
Er schlägt ein Kreuz.
Weiche von uns, Unhold!
KÄTHE erschreckend.
Herr Gott!
DIETHER.
Was giebt's?
KÄTHE.
Es war der Sturmwind draußen!
Er fuhr hernieder an den Fensterscheiben,
Sie klirrten! –
Wieder auf den Tisch blickend.
Drüben steht der Druckerkasten,[4]
Worin die neu erfundne Schrift! – O nein,
Das kann ja nimmer Böses seyn, mein Vater,
Ist's doch das heil'ge Bibelbuch, woran
Der Faust zuerst die neue Kunst verherrlicht,
Und das er jetzt gedruckt dem Kaiser vorlegt! –
O ja, fürwahr, das wird uns Segen bringen,
Und alle alte Sorgen schnell verscheuchen,
Die hier in diesen finstern Mauern nisten!
Faust selbst hat seine Hoffnung drauf gesetzt,
Denn immer drückender wird das Bedürfniß,
Und wie ich auch als treue Hausfrau walte,
So will's doch nicht mehr langen, nicht mehr reichen!
DIETHER unwillig.
Das ist's! Ein Feind der Ordnung wohnt in ihm!
KÄTHE.
Klag' ihn nicht immer an! – Die Wissenschaft
Hat viel hinweggenommen; – was noch übrig,
Ward für die neu erfundne Kunst geopfert;
Sie wird's belohnen, so vermeint der Faust!
DIETHER finster.
Wer weiß!
KÄTHE hat das Feuergewehr ergriffen.
Ein zweites Werk von seinem Scharfsinn![5]
DIETHER.
Was ist's?
KÄTHE.
Das Feuerrohr für Berthold Schwarz!
Faust hat es für sein Pulver ihm erfunden;
Man kann damit aus weiter Ferne treffen.
DIETHER.
Ein Höllenwerk!
Er hat es ihr genommen.
Es brennt in meiner Hand!
Hinweg damit – schwer ist's, wie Vatermord!
Er wirft es auf den Boden.
KÄTHE die es wieder an seinen Ort legt.
O wehe, Vater! Wenn du es versehrt,
Wird Faust der Neugier seines Weibes zürnen!
DIETHER wild.
Versehrt, zerstört, für jetzt und alle Zeiten,
Die Welt, die Nachwelt würde mich noch segnen! –
Ausbrechend.
Nein, nein – das ist mir nimmer etwas Gutes!
Du armes Weib – komm her an meine Brust.
Er zieht sie zu sich.[6]
Dein Faust – das Wort erstirbt – doch meine
Ahnung. –
Heftig.
O Herre Gott!
KÄTHE zitternd.
Du ängstest mich, mein Vater!
DIETHER sehr bewegt.
Mein frommes Käthchen – hast erst heut gebeichtet –!
KÄTHE herzlich.
Man fehlt ja stets! –
DIETHER.
Und Er?! – Du armes Weib! –
O könnt' ich dich doch sehn! – – Nein blind ist besser!
Ich müßte sonst ja auch auf seiner Stirne
Den Unhold schauen – –
KÄTHE dichter an ihm.
Schütze mich, mein Vater!
DIETHER steigend.
Den Unhold –
KÄTHE.
Weh' der Sturm umtobt das Haus,[7]
Und heult und pfeift durchs dunkele Gewölbe;
Mich schaudert's so mit dir allein!
DIETHER der sich faßt.
Du zitterst
Wie eine Espe!
KÄTHE.
Deine Schreckensworte –
Was willst du damit –
DIETHER sie beruhigend.
Nimm es nicht so schwer,
Ich sprach in Vaterangst!
Zum Himmel.
Du dort bist mächtig,
Und dir hab' ich ja stets ihn anvertraut!
KÄTHE beklommen.
Mir wird's so bang' in diesen dumpfen Mauern,
Die Wände rücken eng auf mich zusammen,
Die Schädel grinsen mir aus hohlen Augen,
Und alles lebt und winkt und wird beweglich –!
Zu Diether schaudernd.
Und du bist blind, und siehst nicht, wie so heimlich
Sich alles an mich wendet und mir zuspricht!
Ihr Blick fällt auf eine kleine Phiole mit einer Signatur, die auf dem Tische steht.[8]
Sogar –
Sie ergreift es.
Gift! –
Schaudernd.
Gift ist dieses Fläschchens Aufschrift!
DIETHER.
Gift denn und Mord –! Es liegt gut bei einander!
KÄTHE innerlich ergriffen.
Herr Gott, wozu bedarf der Faust denn Gift?
Das kann durch Unvorsicht viel Unheil stiften;
Und wenn ich denke – –
Sie setzt schaudernd das Fläschchen wieder hin.
Fort aus meinen Händen!
Man sagt der Tod durch Gift sei fürchterlich. –
Ach hätten wir die Thür doch nicht geöffnet;
Mir wird so ängstlich in dem düstern Zimmer!
DIETHER.
Ich warnte dich; der Faust zürnt so darüber,
Wenn man in seine – schwarze Werkstatt tritt.
KÄTHE.
Das eben ist's; – ich sah den Schlüssel stecken,
Den er sonst immer sorgsam bei sich führt.
Da überlief mich's, wie im alten Mährchen[9]
Vom Ritter Blaubart, mit geheimer Neugier,
Daß ich die schwere Thüre öffnen mußte! –
Hast Recht, ich habe Sünde dran gethan,
Weil Faust es ungern sieht! –
DIETHER.
So laß uns gehen!
Ich aber will in's Nachtgebet ihn schließen.
KÄTHE nimmt die Lampe.
Schon recht! – Hu! wie beim matten Lampenscheine
Sich's überall umher zu regen scheint!
Nach dem linken Tische schauend.
Hier linker Hand – da in der dunkeln Ecke,
Schau doch – was flammt da auf?
DIETHER sie erinnernd.
Ich soll es schauen?
KÄTHE.
Ich dachte nicht an deine blinden Augen!
Doch macht's mir Furcht, daß ich allein hier sehe.
Sie betrachtet den globus coelestis.
Welch wunderbare Kugel voller Kreise!
DIETHER der ihn betastet.
Das ist der Himmelsglobus, meine Tochter,
Und in den Kreisen laufen die Planeten,[10]
Die auf die Complexion der Menschen wirken!
Von früh her trieb der Faust Astrologie,
Und schaute frech die Zukunft aus den Sternen!
Ich hab' ihn oft verwarnt; denn solche Kunst
Ist schon Geschwisterkind mit Teufelswerken. –
Der Mensch soll knieen und die Augen schließen;
Will er dem Herrgott in's Geheimniß schauen,
So überspringt er toll die sichern Grenzen!
KÄTHE beleuchtet das Buch.
Welch schweres Buch, mit einer Kett' umwunden!
DIETHER er faßt danach und zieht die Hand schnell zurück.
Was sagst du, Käthe?
KÄTHE hat die Kette berührt, die rasselnd auf den Boden fällt.
Ha, das Schloß ist offen!
DIETHER aufschreckend.
Was rasselt da?
KÄTHE.
Die Kette fiel zu Boden!
DIETHER.
Die Kette?
KÄTHE.
Von dem Buche![11]
DIETHER hastig.
Oeffn' es nicht!
KÄTHE schlägt das Buch auf.
Ich kann's nicht lassen!
DIETHER schaudernd.
Hier ist's nicht geheuer!
Er will sie fort ziehen.
Du wirst versucht!
KÄTHE in das Buch mit hastigen Blicken schauend.
Ha, welche seltne Zeichen,
In Roth und Schwarz – es blendet fast die Augen –
Die Farben leben, brennen, glühen, flammen –
Die Zeichen winken –
Als Diether sie zurückziehen will.
nicht doch! – Laß mich schauen!
Sie blickt fortwährend in das Buch.
DIETHER stark, indem er ein Kreuz schlägt.
Im Namen Gottes!!
KÄTHE taumelt ermattet zurück.
Welcher Todesschwindel!
DIETHER heftig.
Das ist –[12]
Wagner mit einer Lampe. Die Vorigen.
WAGNER hereintretend.
Nehmt mich in Schutz, ihr guten Geister!
DIETHER.
Wer redet da?
WAGNER um sich blickend.
Gottlob, ihr seid's, Herr Diether!
Ich schaute Licht hier durch das Bogenfenster,
Drob furcht' ich mich in meiner Kammer drüben,
Dieweil's fast Mitternacht, und mir's bewußt war,
Daß Würden, unser Doctor, nicht daheim!
Doch da ich öfter schon zur selben Stunde
Hier Lichtschein in dem Zimmer wahrgenommen,
So faßt' ich mir ein Herz, schlug guten Muthes
Mein Kreuzlein vor der Thür, mich benedeiend,
Und schritt so, wohl gerüstet, kühn herein,
Nach Licht und Feuer sorgsam umzuschauen!
KÄTHE die sich allmählig erholt hat.
Jetzt wird die enge Brust mir wieder frei!
Zurückfahrend, als sie das noch offene Buch erblickt.
Was hab' ich angeschaut![13]
WAGNER schlägt es heftig zu.
Ihr guten Geister! –
Kehrt euren Blick hinweg von diesen Zeichen;
Das ist – auch mich trieb neulich solcher Vorwitz! –
O schlingt die Kette wieder fest darum –
Gebt her –
Er windet die Kette wieder um das Buch.