Georg Heym: Atalanta oder die Angst

 

 

Georg Heym

Atalanta oder die Angst

 

 

 

Georg Heym: Atalanta oder die Angst

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.

 

ISBN 978-3-7437-1377-2

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-7437-1345-1 (Broschiert)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Entstanden 1910–1911. Erstdruck eines Auszugs in der »Aktion«, Jhrg. 1911, Heft 5. Vollständiger Erstdruck in »G. Heym: Dichtungen und Schriften«, 2. Band, Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 1962.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Georg Heym: Dichtungen und Schriften. Gesamtausgabe, herausgegeben von Karl Ludwig Schneider, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1962.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

 

 

 

 

Dramatis personae

 

 

Bartolomeo Rucellai.

 

Atalanta Rucellai.

 

Sigismondo Baffi.[366]

 

 

 

 

 

Szene: Nacht, ein wenig erhelltes Zimmer. Ein Kruzifixus mit einer Lampe. Ein hohes Fenster links, davor eine hohe Tür. In der Wand rechts eine verborgene Tür. Ein Vorhang durch die ganze Breite des Zimmers, dahinter das unsichtbare Brautbett. Manchmal hört man abgerissene Musik. Atalanta, Bartolomeo kommen durch die Tür links.

 

BARTOLOMEO.

Daß du nun mir gehörst. Wie könnt ich kaum

Des Mahles Ziel erwarten. – Komm zu mir.

Was schaust du in die Nacht?

ATALANTA.

Ach laß mich, laß mich.

BARTOLOMEO.

Du wurdest mein Gemahl. Wie?

ATALANTA.

Laß das Wort.

Den Namen, der vom Totenschlaf mich jagt,

Darin ich mich mit Mühe eingelullt.

Ich will nichts hören. Kaum gewann ich Ruhe,

Da ich mit Leichenfarbe mich umzog,

Und Ohr und Mund und Auge, alle Tore,

Die in des Herzens Labyrinthe ziehn,

Vernagelt hab von innen und verbaut.

BARTOLOMEO.

Was hast du? Ich versteh dich nicht.

Hier ist die Hochzeitskammer, siehst du nicht?

ATALANTA.

So kommt die Stunde doch, ich kann's nicht wehren.

BARTOLOMEO.

Wie?

ATALANTA.

Verstellt Euch nur.[367]

BARTOLOMEO.

Wie? meine Gattin?

ATALANTA.

Da ist das Wort, des Todes grauser Pförtner.

Wie hab ich's oft mir in das Ohr gesagt,

Das Blut zu bändigen vor diesem Ton.

Klingt es nicht sanfter als des Henkers Ruf?

Laßt mich. Ich will so bald nicht in die Nacht

Heruntergehen von den Sonnenküsten

Des weiten Lebens. Ist in Charons Boot

Für einen Schatten doch noch immer Raum.

Ich kann das Heute nicht so schnell vertauschen

Mit ungewissem Morgen, nicht das Licht

Mit wesenloser Totenreiche Mond,

Wie Gaukler dünne Bälle in der Luft.

BARTOLOMEO.

Wie?

ATALANTA.

Ein wenig wartet noch, nur wenig Tage,

Minuten, Stunden. Was ist eine Stunde,

Wenn man den Tod an ihrem Ende sieht,

Die Sense auf der Knochenschulter wippen.

Vielleicht ist nur im Tode einzig Ruhe,

Doch ist das Sterben ewig fürchterlich.

Wie hab ich's mir so schön gedacht zu ruhn,

So sanft zu ruhn in weißer Fackel Schein,

Im Katafalke in der bleichen Tracht.

Nun seh ich nur die Würmer und den Tod,

Das meilenlange Nichts, das Nichtmehrsein,

Die ganze Ewigkeit, den schwarzen Trichter,

Der grundlos aufgähnt, drin man ewig ruht.

Stumm, taub, blind. In seinem Fache jeder[368]

Wie in der Lade Frucht, die dörren soll

Mit einem Täfelchen: Hier ruht in Gott

– Warum nicht in der Hölle – die und der.

Indes des Lebens tolles Tanzen dröhnt,

Von oben auf der Särge bleiernes Dach,

Daß weit sein froher Laut im kalten Reich

Der Toten widerhallt. Du möchtest hoch.

Dich aus der Erde graben, stemmst dich an.

Umsonst, du kannst nicht hoch. Du liegst

Im Maul des Todes, der dich langsam kaut,

Und niemals wieder auswirft.

BARTOLOMEO.

Wüßte ich,

Was dich bedrückt. Du machst mir Angst.

ATALANTA.

Wie grausam.

Verstell dich nur. Du hörst, ich will nicht sterben.

Ich will nicht sterben.

BARTOLOMEO.

Sterben? Atalanta?

ATALANTA.

Laßt den Namen fort.

 

Sie löscht mit dem Finger wie irrsinnig den Namen von seinen Lippen.

 

Da liegt die Spur wohl noch von Dirnenküssen.

Doch gilt das alles gleich. Geht nur zu ihnen.

Geht. Sie erfreun Euch schon, auch ohne Mord.

BARTOLOMEO.

Was hast du, Atalanta, Gott, was hast du?

ATALANTA.

Verstell dich nur. Ich schaue doch hindurch.

Ich habe wohl gelernt, durch Masken schauen.[369]

Ich bin nicht blind. Muß ich auch bald herunter,

Wo alles blind wird. – Oder – nehmt mich gleich.

Die Angst zerreißt mir meine Adern sonst.

Ich trage sie nicht mehr. Komm schnell herab, Tod, komm,

Du kleines Vögelchen, komm, komm, komm, komm.

BARTOLOMEO.

So komm. Wenn du mich drängst. Ist das der Wahnsinn?

Ich hoffte, anders das Bett mit dir zu schaun.

ATALANTA.

Im Bette wollt Ihr mich erdrosseln?