
Lukian: Totengespräche
Übersetzt von Christoph Martin Wieland
Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.
Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:
Giovanni Battista Tiepolo, Merkur und Aeneas, 1757
ISBN 978-3-7437-1217-1
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-7437-1179-2 (Broschiert)
ISBN 978-3-7437-1180-8 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
Entstanden um 166/167. Der Text folgt der Übersetzung von Christoph Martin Wieland.
Der Text dieser Ausgabe folgt:
Lukian: Werke in drei Bänden. Aus dem Griechischen übersetzt von Christoph Martin Wieland. Herausgegeben von Jürgen Werner und Herbert Greiner-Mai. 2. Auflage. Berlin, Weimar: Aufbau-Verlag, 1981.
Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.
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Diogenes und Pollux.
DIOGENES. Mein lieber Pollux, wenn du in die Oberwelt hinaufsteigst – und morgen, denke ich, trifft dich die Reihe, wieder lebendig zu werden –, so hätte ich dir einen Auftrag an Menippus, den Hund, mitzugeben, den du entweder im Kraneon zu Korinth oder zu Athen im Lyceon finden wirst, wo er sich über die Zänkereien der Philosophen lustig macht. Sag ihm, Diogenes befehle ihm, wenn er die Torheiten, die auf der Erde vorgehen, genug belacht habe, hierher zu kommen, wo er viel mehr zu lachen finden werde. Denn dort sei er doch öfters unentschlossen, ob er lachen oder weinen wolle, und es falle ihm doch oft ein: wer weiß, wie es nach diesem Leben geht? Hier aber werde er mit vollständiger Kenntnis der Sache lachen und gar nicht wieder aufhören können (wie jetzt bei mir der Fall ist), sonderlich wenn er sehen werde, was für eine armselige Figur die Reichen, die Satrapen und die Könige hier machen, wie man sie nur noch an ihrem Geheul unterscheiden könne, und wie wehmütig und niederträchtig sie sich gebärden, wenn sie sich ihres Zustandes da oben erinnern. Sag ihm das, Pollux; und er möchte nicht vergessen, seine Taschen mit Wolfsbohnen anzufüllen, und wenn er etwa im Herabkommen ein Hekatesmahl oder ein Reinigungsei auf einem Scheidewege finde, soll er es gleichfalls zu sich stecken.
POLLUX. Ich will nicht ermangeln, Diogenes. Aber, damit ich ihn nicht etwa verfehle, wie sieht er aus?
DIOGENES. Alt, kahlköpfig, trägt einen abgeschabten Mantel, der gegen alle Winde Öffnungen in Menge hat und mit Lappen von allen möglichen Farben geflickt ist; er lacht unaufhörlich, und meistens sind die Windbeutel, die Philosophen, der Gegenstand seines Spottes.[362]
POLLUX. Mittelst dieser Beschreibung werd ich ihn leicht finden.
DIOGENES. Dürft ich dich auch noch mit einem kleinen Auftrag an die besagten Philosophen selbst beschweren?
POLLUX. Herzlich gerne, sage nur!
DIOGENES. Um es kurz zusammenzufassen: leg es ihnen recht nahe, daß sie doch endlich einmal aufhören sollen, die Zeit mit Possen zu verderben, sich über die Universalia zu zanken, einander Hörner aufzupflanzen, Krokodile zu machen und junge Leute auf dergleichen läppische Spitzfindigkeiten einen Wert legen zu lehren.
POLLUX. Aber sie werden sagen, ich sei ein ungelehrter Dummkopf, daß ich mir herausnehme, ihre Weisheit zu hofmeistern.
DIOGENES. So sage du ihnen in meinem Namen, sie sollen – an den Galgen gehen!
POLLUX. Ich will alles getreulich ausrichten, Diogenes.
DIOGENES. Auch an die Reichen, liebes Polluxchen, hätte ich dir noch ein paar Worte aufzugeben. Sag ihnen in meinem Namen: Ihr Narren, wofür hütet ihr euer Gold? Was plagt ihr euch mit Ausrechnung eurer Zinsen, und wozu häuft ihr Tausende auf Tausende an, da ihr doch in kurzem mit einem einzigen Obolus im Munde ins Reich der Toten wandern müßt?
POLLUX. Gut! es soll ihnen gesagt werden.
DIOGENES. Und den Schönen und Starken, dem Megillus von Korinth und dem Ringer Damoxenus sage, es gebe bei uns weder gelbes Haar, noch schwarze blitzende Augen, noch blühende Gesichtsfarbe, noch straffe Sehnen und breite Schultern mehr, sondern nichts als kahle Schädel, die einander der Schönheit halben nichts vorzuwerfen haben.
POLLUX. Auch diesen Auftrag will ich mich nicht verdrießen lassen.
DIOGENES. Und den Armen, unter denen so viele sich gar nicht darein finden können und immer über ihre Dürftigkeit wehklagen, sage, sie sollen dem Winseln und Heulen ein Ende machen, und erzähle ihnen, wie hier alle gleiches Standes sind, und sie würden sehen, daß die dortigen[363] Reichen bei uns hier keine Vorzüge haben. Und deine Lazedämonier schilt, wenn du willst, in meinem Namen aus, daß sie nicht mehr sind, was sie ehmals waren.
POLLUX. Nichts gegen die Lazedämonier, Diogenes, das leid ich nicht! Was du mir an die andern aufgetragen hast, das will ich ihnen hinterbringen.[364]
Menippus. Krösus, Midas und Sardanapalus, seine Ankläger. Pluto.
KRÖSUS. Pluto, wir dulden diesen hündischen Kerl, diesen Menippus, nicht länger neben uns; also entweder schaffe ihn fort, oder wir sind genötiget, uns um einen andern Aufenthalt umzusehen.
PLUTO. Was kann er euch denn Böses tun, da er ebenso tot ist als ihr?
KRÖSUS. Wenn wir Könige beisammensitzen und uns der Dinge da oben erinnern, Midas seines Goldes, Sardanapalus seiner Wollüste und ich meiner Schatzkammern, und es uns dann aufs Herz fällt und wir uns durch Jammern und Stöhnen leichter zu machen suchen: so kommt der Kerl und lacht uns zu allem unserm Elende noch aus und schimpft uns Sklaven und Taugenichtse; zuweilen stört er uns noch gar durch Singen in unsrer Wehklage – mit einem Worte, er ist uns beschwerlich.
PLUTO. Was muß ich da hören, Menippus?
MENIPPUS. Die lautere Wahrheit, Pluto: ich hasse sie als unedle, nichtswürdige Gesellen, die, nicht zufrieden, übel gelebt zu haben, es sogar nach ihrem Tode noch so forttreiben möchten und des wegen immer an das, was sie da oben gewesen sind, denken. Ich habe also meine Freude dran, wenn ich ihnen Verdruß machen kann.
PLUTO. Das solltest du aber nicht! Die armen Leute haben alle Ursache traurig zu sein: was sie zurücklassen mußten, sind keine Kleinigkeiten![364]
MENIPPUS. Wie, Pluto? faselst du auch, daß du ihr albernes Gewinsel noch gar billigest?
PLUTO. Das tue ich nicht; aber ich will keinen Aufruhr unter euch haben! Er geht ab.
MENIPPUS. Höret also, ihr Nichtswürdigsten unter allen Lydiern, Phrygiern und Assyrern, und laßt es euch gesagt sein, daß ich nicht von euch ablassen werde; geht wohin ihr wollt, ich werd euch folgen, um euch zu quälen, euch um die Ohren zu singen und euch auszulachen.
KRÖSUS. Ist das nicht ein unleidlicher Übermut?
MENIPPUS. Nein! Aber das war unleidlicher Übermut, da ihr euch auf den Knien verehren ließet und freigebornen Menschen schnöde begegnetet und an den Tod so wenig dachtet, als ob es ewig so fortgehen müßte. Nun, da ihr alles dessen beraubt seid, heult ihr –
KRÖSUS. O Götter! Wie vieler und großer Besitzungen!
MIDAS. Welcher Berge von Gold!
SARDANAPALUS. Welcher ausgesuchten Wollüste!
MENIPPUS. Bravo! Nur zu geheult! An mir soll es nicht fehlen, euch das goldene »Gnothi Seauton« fleißig und unermüdet entgegenzusingen; es tut eine treffliche Wirkung, wenn es von euren ewigen Achs und Ohs begleitet wird.[365]
Menippus, Amphilochus, Trophonius.
MENIPPUS. Ich möchte doch wohl wissen, Amphilochus und Trophonius, wie ihr beide, da ihr doch Tote seid wie wir andern, zu der Ehre kommt, Tempel auf der Oberwelt zu haben und für Propheten zu passieren, und wie die albernen Menschen sich einbilden können, ihr wäret Götter?
TROPHONIUS. Was können wir dafür, wenn die Narren aus Unverstand von toten Menschen solche Meinungen hegen?
MENIPPUS. Aber sie würden keine solche Meinungen hegen, wenn ihr nicht bei euern Lebzeiten solche Betrügereien gespielt und euch für Leute ausgegeben hättet, die das[365] Künftige vorhersähen und den Fragenden vorhersagen könnten.
TROPHONIUS. Amphilochus wird sich ohne Zweifel für seinen Anteil zu verantworten wissen. Ich, mein guter Menippus, bin ein Heros und weissage denen, die in meine Höhle hinabsteigen. Es scheint wohl, daß du nie zu Lebadia gewesen bist: denn du würdest sonst nicht so ungläubig sein.
MENIPPUS. Was du sagst! Wenn ich also nicht nach Lebadia gehe, mich mit einem leinenen Leibrock lächerlich ausstaffieren lasse und mit Honigkuchen in beiden Händen durch das enge Mundloch in die dortige Höhle hinabkrieche, so kann ich nicht wissen, daß du, wie du da vor mir stehst, so tot bist wie wir übrigen und nichts als deine Gaukeleien vor uns voraus hast? – Aber bei allem, was wahrsagt! was ist ein Heros für ein Ding? Denn bis jetzt hab ich es nicht ausfindig machen können.
TROPHONIUS. Aus einem Menschen und aus einem Gott zusammengesetzt.
MENIPPUS. Ha! ich verstehe! Es ist kein Mensch und ist auch kein Gott, aber es ist beides zugleich. Wo ist nun deine göttliche Hälfte hingekommen?
TROPHONIUS. Sie erteilt Orakel in Böotien.
MENIPPUS. Ich verstehe nicht allzuwohl, was du damit sagen willst: aber daß du über und über tot bist, das sehe ich sehr deutlich.[366]
Merkur und Charon.
MERKUR. Rechnen wir einmal zusammen, Fährmann, wenn du so gut sein willst, wieviel du mir schuldig bist, damit wir nicht wieder Streit darüber bekommen!
CHARON. Gut, wir wollen rechnen; es ist immer besser, wenn wir auseinander sind; wir haben gleich eine Sorge weniger.
MERKUR. Für einen Anker, den du bei mir bestellt hast, zwanzig Groschen.
CHARON. Das ist viel Geld![366]
MERKUR. Beim Pluto, ich habe zwanzig bare Groschen für ihn ausgelegt; und für einen neuen Ruderriemen sechzehn Pfenninge.
CHARON. Schreibe einundzwanzig Groschen vier Pfenninge.
MERKUR. Für eine Nadel, das Segel zu flicken, drei Groschen vier Pfenninge.
CHARON. Schreibe sie dazu.
MERKUR. Für Wachs, die Ritzen im Kahn zu stopfen, item für Nägel und für einen Strick, den du gebraucht hast, die Segelstange am Maste zu befestigen, Summa zwei Groschen vier Pfenninge.
CHARON. Schön! Da hast du einmal wohlfeil eingekauft.
MERKUR. Das wäre es also, wenn wir nichts vergessen haben; und wann versprichst du denn zu bezahlen?
CHARON. Jetzt, lieber Merkur, ist es unmöglich: sobald uns aber eine Pest oder ein Krieg die Toten haufenweise zuschicken wird, dann läßt sich schon eher durch einen kleinen Rechnungsfehler am Fahrgeld etwas auf die Seite bringen.
MERKUR. Also bleibt mir nun nichts übrig, als mich hinzusetzen und den armen Sterblichen das Ärgste an den Hals zu wünschen.