Hugo von Hofmannsthal: Die Frau im Fenster / Der Tod des Tizian / Der Tor und der Tod. Drei Dramen
Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.
Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:
Friedrich Nerly, Fenster eines venezianischen Palastes, Mitte 19. Jahrhundert
ISBN 978-3-7437-1213-3
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-7437-1201-0 (Broschiert)
ISBN 978-3-7437-1202-7 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
Die Frau im Fenster
Entstanden 1897. Erstdruck in: »Pan«, 4. Jahrgang, 2. Heft, Berlin, 15.11.1898. Uraufführung unter dem Titel »Madonna Dianora« am 15.05.1898, Deutsches Theater, Berlin.
Der Tod des Tizian
Entstanden 1892. Erstdruck: Berlin (Verlag der Insel bei Schuster und Loeffler) 1901. Uraufgeführt als Totenfeier für Arnold Böcklin im Künstlerhaus München am 14.2.1901.
Der Tor und der Tod
Entstanden März/April 1893. Erstdruck in: Moderner Musenalmanach auf das Jahr 1894 (München), 2. Jg., 1894. Uraufführung am 13.11.1898 in München (Theater am Gärtnerplatz).
Der Text dieser Ausgabe folgt:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 1: Gedichte, Dramen, Band 2–5: Dramen, Herausgegeben von Bernd Schoeller in Beratung mit Rudolf Hirsch, Frankfurt a.M.: S. Fischer, 1979.
Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.
La demente: »Conosci la storia di Madonna Dianora?«
Il medico: »Vagamente. Non ricordo più« ...
Sogno d'un mattino di primavera
Es treten vor den noch herabgelassenen Vorhang der Dichter und sein Freund: Der Dichter trägt gleich den Personen seines Trauerspiels die florentinische Kleidung des fünfzehnten Jahrhunderts, völlig schwarz mit Degen und Dolch, in der Hand hält er den Hut aus schwarzem Tuch mit Pelz verbrämt; sein Freund ist sehr jung, hoch gewachsen und mit hellem Haar, er trägt die venezianische Kleidung der gleichen Zeit, als einzige Waffe einen kleinen vergoldeten Dolch rückwärts über der Hüfte, am Kopf eine kleine smaragdgrüne Haube mit einer weißen Straußenfeder; sie gehen langsam längs des Vorhanges, schließlich mag sich auch der Dichter auf einer kleinen im Proszenium vergessenen Bank niederlassen, sein Freund zuhörend vor ihm stehenbleiben. Ihr Abgang ist, ehe der Vorhang aufgeht, in die vorderste Kulisse.
DER DICHTER.
Nein, im Bandello steht sie nicht, sie steht
Woanders, wenn du einmal zu mir kommst,
Zeig ich dir, wo sie steht, die ganz kleine
Geschichte von Madonna Dianora.
Sie ist nicht lang, sie wird auch hier nicht lang:
Geschrieben hab ich grad drei Tage dran,
Drei Tage, dreimal vierundzwanzig Stunden.
Bin ich nicht wie ein Böttcher, der sich rühmt,
Wie schnell er fertig war mit seinem Faß?
Allein ich lieb es, wenn sich einer freut,
Weil er sein Handwerk kann; was heißt denn Kunst?
Auf ein Geheimes ist das ganze Dasein
Gestellt und in geheimen Grotten steht
Ein Tisch gedeckt, der einzige, an dem
Nie ein Gemeiner saß: da sitzen alle
Die Überwinder: neben Herakles
Sitzt einer in der Kutte, der mit Händen
Von Wachs und doch von Stahl in tausend Nächten[327]
Den Thron erschuf, in dessen Rückenlehne
Aus buntem Holz die herrlichsten Geschichten
Zu leben scheinen, wenn ein Licht darauf fällt.
Und neben diesem Zaubrer wieder sitzt
Ein längst verstorbner Bursch aus einem Dorf:
Er war der schönste und der gütigste;
Die Furche, die er zog mit seinem Pflug,
War die geradeste, denn mit der Härte
Des unbewußten königlichen Willens
Lag seine Hand am Sterz des schweren Pfluges.
Und noch ein schwacher Schatten seiner Hoheit
Lebt fort in allen Dörfern des Geländes:
Wer König ist beim Reigenspiel der Kinder,
Dem alle nachtun müssen was er tut
Und folgen wenn er geht, den nennen sie,
Und wissen nicht warum, mit seinem Namen
Noch heute, und so lebt sein Schatten fort.
Und neben diesem sitzen große Könige
Und Heeresfürsten, die mit einer Faust
Den Völkern, die sich bäumten, in die schaum-
Bedeckten Zäume greifend und zu Boden
Die wilden Nüstern zwingend in den Sattel
Den eigenen goldumschienten Leib aufschwangen,
Und andre, Städtegründer, die, den Lauf
Der Flüsse hemmend, von getürmten Mauern
Mit ihrer Gärten Wipfeln nach dem Lauf
Der niedern Sterne langten, und mit Schilden,
Darauf die Sonne fiel, hoch über Länder
Und heilige Ströme hin, die Zeichen tauschten
Mit ihren Wächtern in den Felsenburgen,
Verächter dessen, was unmöglich schien.
Und zwischen diesen Fürsten ist der Stuhl
Gesetzt für einen, der dem großen Reigen
Der Erdendinge, wandelnd zwischen Weiden,
Zum Tanz aufspielte abends mit der Flöte,
Der Flügel trug von Sturm und dunkeln Flammen.
Und wieder ist ein Stuhl gesetzt für den,
Der ging und alle Stimmen in der Luft[328]
Verstand und doch sich nicht verführen ließ
Und Herrscher blieb im eigenen Gemüt
Und als den Preis des hingegebenen Lebens
Das schwerlose Gebild aus Worten schuf,
Unscheinbar wie ein Bündel feuchter Algen,
Doch angefüllt mit allem Spiegelbild
Des ungeheuern Daseins, und dahinter
Ein Namenloses, das aus diesem Spiegel
Hervor mit grenzenlosen Blicken schaut
Wie eines Gottes Augen aus der Maske.
Für jeden steht ein Stuhl und eine Schüssel,
Der stärker war als große dumpfe Kräfte:
Ja von Ballspielern, weiß ich auch, ist einer,
Der Zierlichste und Stärkste, aufgenommen,
Dem keiner je den Ball zurückgeschlagen,
Auch nicht ein Riese, und er spielte lächelnd
Als galt es Blumenköpfe abzuschlagen.
Doch hab ich einen Grund, nicht zu vergessen,
Daß ich dies kleine Ding in einem Fenster
In zweiundsiebzig Stunden Vers auf Vers
Zu Ende trieb mit heißgewordenem Griffel.
In einem fahlen Lichte siehst du Tage
Wie diese drei in der Erinnerung liegen
Dem Lichte gleich, in dem die Welt daliegt,
Wenn du vor Tag aufwachst, ein leichter Regen
Aus schlaffen Wolken fällt und deine Augen
Noch voller Nacht und Traum das offene Fenster
Und diese Bäume ohne Licht und Schatten
Zu sehn befremdet und geängstigt sind
Und doch sich lang nicht schließen können, so
Wie wenn sie keine Lider hätten. Wenn du
Zum zweiten Mal im hellen Tag erwachend
Aus allen Spiegeln grün und goldnen Glanz
Bewegter Blätter und den Lärm der Vögel
Entgegennimmst, dann ist es sonderbar,
Sich jener bleichen Stunde zu entsinnen:
So waren diese zweiundsiebzig Stunden,
Und wie der Taucher aus dem fahlen Licht[329]
Ans wirkliche, so tauchte ich empor
Und holte Atem und berührte mit
Entzückten Fingern einen frischen Quell,
Den Flaum auf jungen Pfirsichen, die Köpfe
Von meinen Hunden, die sich um mich drängten.
Und da ich die Erinnrung an die drei
Dem Leben fremden Tage nun nicht liebte,
Versank sie und die Wellen trugen mich
Du weißt wohin ... Es trugen wirklich mich
Die Wellen hin, denn weißt dus oder nicht:
Sie können von der unteren Terrasse
Mit Angeln fischen, aus den Zimmern selber,
Und steigst du aus den oberen Gemächern,
Trägt dich ein Hügel, Bergen angegliedert.
Dort gingen mir die schönen Tage hin
Und nahmen einer aus des andren Händen
Den leichten Weinkrug und den Ball zum Spielen.
Bis einer kam, der ließ die Arme sinken
Und wollte nicht den Krug und nicht den Ball,
Und schmiegte seinen Leib in ein Gemach,
Die Wange lehnend an die kühlste Säule
Und horchend wie das Wasser aus dem Becken
Herunter fällt und über Efeu sprüht.
Denn es war heiß. Wir hatten ein Gespräch,
Aus dem von dunkeln und von hellen Flammen
Ein schwankes Licht auf viele Dinge fiel,
Indes der heiße Wind am Vorhang spielend
Den grellen Tag bald herhielt, bald versenkte.
Und unter diesem schattenhaften Treiben
Las ich mein Stück, sie wolltens, ihnen vor,
Und mit den bunten Schatten dieser Toten
Belud ich noch die schwere schwüle Luft.
Und als ich fertig war und meine Blätter
Zusammennahm, empfand ich gegen dies
Wie einen dumpfen Zorn und sah es an,
Wie der Ermüdete die Schlucht ansieht,
Die ihm zuviel von seiner Kraft genommen
Und nichts dafür gegeben: denn sie war[330]
Gestein und Schatten von Gestein, sonst nichts,
Darin er klomm, und wußte nichts vom Leben.
Dann gingen, nur ein Zufall, alle andern
Aus diesem Zimmer, irgendwas zu holen,
Vielmehr hinunter nach dem See, ich weiß nicht,
Genug, ich blieb allein und lehnte mich
In meinem Stuhl zurück und unbequem,
Allein den Nacken doch an kühlen Stein
Gelehnt und grüne Blätter nah der Stirn,
Schlief ich auf einmal ein und träumte gleich.
Dies war der Traum: Ich lag ganz angekleidet
Auf einem Bett in einer schlechten Hütte.
Es blitzte draußen und ein großer Sturm
War in den Bergen und auf einem Wasser.
Ein Degen und ein Dolch lag neben mir,
Ich lag nicht lang, da schlug es an die Tür,
Wie mit der Faust, ich öffnete, ein Mann
Stand vor der Tür, ein alter Mann, doch stark,
Ganz ohne Bart mit kurzem grauem Haar;
Ich kannte ihn und konnte mich nur nicht
Besinnen, wo ich ihn gesehn und wer
Es war. Allein das kümmerte mich nicht.
Und auch die Landschaft,
Die jeden Augenblick einen Blitz auswarf,
Mir völlig fremd und wild mit einem Bergsee,
Beängstigte mich nicht. Der alte Mann
Befahl mir, wie ein Bauer seinem Knecht:
Hol deinen Dolch und Degen, und ich ging.
Und als ich wiederkam, da hatte er
Im Arm, gewickelt in ein braunes Tuch,
Den Leib von einer Frau, die fester schlief
Als eine Tote und mir herrlich schien.
Nun ging der Mann mit seiner Last voran
Und ich dicht hinter ihm herab zum See,
Durch einen steilen Hohlweg voll Gerölle.
Bald kamen wir ans Wasser, stampfend hing
Dort eine schwere Plätte in dem Dunkel,
Ich wußte, solche Plätten haben sie[331]
Hier in der Gegend, die gebrochenen Steine
Aus dem Gebirg herabzuführen, weil
Der See sich dann als Fluß hinab ergießt.
Ich sah beim Blitz, woran die Plätte hing:
Zwei Knechte hielten mit entblößten Armen
Mit aller Kraft die wilden nackten Wurzeln
Der großen Ufertannen fest, die Plätte
Ging auf und nieder, doch ich konnte hören
Am Niederstampfen, daß sie furchtbar schwer war.
Der Alte stieg hinein, dann ich, er ließ
Die Schlafende zu Boden gleiten, schob
Das Tuch ihr untern Kopf, ergriff die Wurzeln
Und schwang sich auf und stieß mit seinem Fuß