Richard Wagner: Lohengrin. Romantische Oper in drei Aufzügen
Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.
Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:
Michael Neher, Lohengrins Abreise mit dem Schwan, 1835
ISBN 978-3-7437-0835-8
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-7437-0791-7 (Broschiert)
ISBN 978-3-7437-0792-4 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
Komponiert von Richard Wagner. Uraufführung am 28.08.1850, Großherzogliches Hofheater, Weimar.
Der Text dieser Ausgabe folgt:
Richard Wagner: Die Musikdramen. Mit einem Vorwort von Joachim Kaiser, Hamburg: Hoffmann und Campe, 1971.
Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.
Heinrich der Vogler, deutscher König
Lohengrin
Elsa von Brabant
Herzog Gottfried, ihr Bruder
Friedrich von Telramund, brabantischer Graf
Ortrud, seine Gemahlin
Der Heerrufer des Königs
Sächsische Grafen und Edle
Brabantische Grafen und Edle
Edelfrauen
Edelknaben
Mannen. Frauen. Knechte
Antwerpen: erste Hälfte des zehnten Jahrhunderts[266]
Eine Aue am Ufer der Schelde bei Antwerpen. Der Fluß macht dem Hintergrunde zu eine Biegung, so daß rechts durch einige Bäume der Blick auf ihn unterbrochen wird und man erst in weiterer Entfernung ihn wieder sehen kann.
Im Vordergrunde links sitzt König Heinrich unter der Gerichtseiche: zu seiner Seite Grafen und Edle vom sächsischen Heerbann. Gegenüber brabantische Grafen und Edle, Reisige und Volk, an ihrer Spitze Friedrich von Telramund, zu dessen Seite Ortrud. Mannen und Knechte füllen die Räume im Hintergrunde. Die Mitte bildet einen offenen Kreis. – Der Heerrufer ist aus dem Heerbann des Königs in die Mitte geschritten: auf sein Zeichen blasen vier Trompeter des Königs den Aufruf.
DER HEERRUFER.
Hört! Grafen, Edle, Freie von Brabant!
Heinrich, der Deutschen König, kam zur Statt,
mit euch zu dingen nach des Reiches Recht.
Gebt ihr nun Fried' und Folge dem Gebot?
DIE BRABANTER.
Wir geben Fried' und Folge dem Gebot.
An die Waffen schlagend.
Willkommen, willkommen, König, in Brabant!
Der König erhebt sich.
KÖNIG HEINRICH.
Gott grüß euch, liebe Männer von Brabant!
Nicht müßig tat zu euch ich diese Fahrt;
der Not des Reiches seid von mir gemahnt!
Feierliche Aufmerksamkeit.
Soll ich euch erst der Drangsal Kunde sagen,
die deutsches Land so oft aus Osten traf?
In fernster Mark hieß't Weib und Kind ihr beten:
»Herr Gott, bewahr uns vor der Ungarn Wut!«
Doch mir, des Reiches Haupt, mußt' es geziemen
solch wilder Schmach ein Ende zu ersinnen;
als Kampfes Preis gewann ich Frieden auf
neun Jahr – ihn nützt' ich zu des Reiches Wehr:
beschirmte Städt' und Burgen ließ ich baun,
den Heerbann übte ich zum Widerstand.[267]
Zu End ist nun die Frist, der Zins versagt, –
mit wildem Drohen rüstet sich der Feind.
Mit großer Wärme.
Nun ist es Zeit, des Reiches Ehr zu wahren;
ob Ost, ob West? Das gelte Allen gleich!
Was deutsches Land heißt, stelle Kampfes Scharen,
dann schmäht wohl Niemand mehr das deutsche Reich.
DIE SACHSEN an die Waffen schlagend.
Wohlauf! Mit Gott für deutschen Reiches Ehr'!
KÖNIG nachdem er sich wieder gesetzt.
Komm ich zu euch nun, Männer von Brabant,
zur Heeresfolg nach Mainz euch zu entbieten, –
wie muß mit Schmerz und Klagen ich ersehn,
daß ohne Fürsten ihr in Zwietracht lebt!
Verwirrung, wilde Fehde wird mir kund;
drum ruf ich dich, Friedrich von Telramund!
Ich kenne dich als aller Tugend Preis, –
jetzt rede, daß der Drangsal Grund ich weiß.
FRIEDRICH.
Dank, König, dir, daß du zu richten kamst!
Die Wahrheit künd ich, Untreu ist mir fremd.
Zum Sterben kam der Herzog von Brabant,
und meinem Schutz empfahl er seine Kinder,
Elsa die Jungfrau und Gottfried den Knaben;
mit Treue pflag ich seiner großen Jugend,
sein Leben war das Kleinod meiner Ehre.
Ermiß nun, König, meinen grimmen Schmerz,
als meiner Ehre Kleinod mir geraubt!
Lustwandelnd führte Elsa den Knaben einst
zum Wald, doch ohne ihn kehrte sie zurück;
mit falscher Sorge frug sie nach dem Bruder,
da sie, von ungefähr von ihm verirrt,
bald seine Spur, so sprach sie, nicht mehr fand.
Fruchtlos war all Bemühn um den Verlornen;
als ich mit Drohen nun in Elsa drang,
da ließ in bleichem Zagen und Erbeben
der gräßlichen Schuld Bekenntnis sie uns sehn.
Es faßte mich Entsetzen vor der Magd;
dem Recht auf ihre Hand, vom Vater mir
verliehn, entsagt' ich willig da und gern,
und nahm ein Weib, das meinem Sinn gefiel:
Er stellt Ortrud vor, diese verneigt sich vor dem König.
Ortrud, Radbods, des Friesenfürsten Sproß.
Er schreitet feierlich einige Schritte vor.[268]
Nun führ ich Klage wider Elsa von
Brabant; des Brudermordes zeih' ich sie.
Dies Land doch sprech ich für mich an mit Recht,
da ich der Nächste von des Herzogs Blut,
mein Weib dazu aus dem Geschlecht, das einst
auch diesen Landen seine Fürsten gab.
Du hörst die Klage, König! Richte recht!
ALLE MÄNNER in feierlichem Grauen.
Ha, schwerer Schuld zeiht Telramund!
Mit Grau'n werd ich der Klage kund!
KÖNIG.
Welch fürchterliche Klage sprichst du aus!
Wie wäre möglich solche große Schuld?
FRIEDRICH immer heftiger.
O Herr, traumselig ist die eitle Magd,
die meine Hand voll Hochmut von sich stieß.
Geheimer Buhlschaft klag ich drum sie an:
Immer mehr einen bitter gereizten Zustand verratend.
sie wähnte wohl, wenn sie des Bruders ledig,
dann könnte sie als Herrin von Brabant
mit Recht dem Lehnsmann ihre Hand verwehren,
und offen des geheimen Buhlen pflegen.
Der König unterbricht durch eine ernste Gebärde Friedrichs Eifer.
KÖNIG.
Ruft die Beklagte her!
Sehr feierlich.
Beginnen soll
nun das Gericht! Gott laß mich weise sein!
Der Heerrufer schreitet feierlich in die Mitte.
DER HEERRUFER.
Soll hier nach Recht und Macht Gericht gehalten sein?
Der König hängt mit Feierlichkeit den Schild an der Eiche auf.
KÖNIG.
Nicht eh'r soll bergen mich der Schild,
bis ich gerichtet streng und mild.
Alle Männer entblößen die Schwerter; die Sachsen stoßen sie vor sich in die Erde, die Brabanter strecken sie flach vor sich nieder.
ALLE MÄNNER.
Nicht eh'r zur Scheide kehr das Schwert,
bis ihm durch Urteil Recht gewährt.
DER HEERRUFER.
Wo ihr des Königs Schild gewahrt,
dort Recht und Urteil nun erfahrt!
Drum ruf ich klagend laut und hell:
Elsa, erscheine hier zur Stell![269]
Elsa tritt auf in einem weißen, sehr einfachen Gewande; sie verweilt eine Zeitlang im Hintergrunde; dann schreitet sie sehr langsam und mit großer Verschämtheit der Mitte des Vordergrundes zu: Frauen, sehr einfach weiß gekleidet, folgen ihr –, diese bleiben aber zunächst im Hintergrunde an der äußersten Grenze des Gerichtskreises.
ALLE MÄNNER.
Seht hin! Sie naht, die hart Beklagte.
Elsa gelangt weiter in den Vordergrund.
Ha! wie erscheint sie so licht und rein!
Der sie so schwer zu zeihen wagte, –
wie sicher muß der Schuld er sein!
KÖNIG.
Bist du es, Elsa von Brabant?
Elsa neigt das Haupt bejahend.
Erkennst
du mich als deinen Richter an?
Elsa wendet ihr Haupt nach dem König, blickt ihm ins Auge und bejaht dann mit vertrauensvoller Gebärde.
So frage
ich weiter, ist die Klage dir bekannt,
die schwer hier wider dich erhoben?
Elsa erblickt Friedrich und Ortrud, neigt traurig das Haupt und bejaht.
Was
entgegnest du der Klage?
Elsa durch eine Gebärde: »Nichts!«
KÖNIG lebhaft.
So bekennst
du deine Schuld?
Elsa blickt eine Zeitlang traurig vor sich hin.
ELSA.
Mein armer Bruder! ...
DIE MÄNNER flüsternd.
Wie wunderbar! Welch seltsames Gebaren!
KÖNIG ergriffen.
Sag, Elsa! Was hast du mir zu vertraun?