Hermann Löns: Gesammelte Gedichte

 

 

Hermann Löns

Gesammelte Gedichte

Junglaub

Mein goldenes Buch

Mein blaues Buch

Der kleine Rosengarten

Fritz von der Leines Ausgewählte Lieder

Ulenspeigels Ausgewählte Lieder

 

 

 

Hermann Löns: Gesammelte Gedichte. Junglaub / Mein goldenes Buch / Mein blaues Buch / Der kleine Rosengarten / Fritz von der Leines Ausgewählte Lieder / Ulenspeigels Ausgewählte Lieder

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Hans Richard von Volkmann, Sommerlandschaft mit einem Tümpel, 1897

 

ISBN 978-3-7437-1749-7

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-7437-1702-2 (Broschiert)

ISBN 978-3-7437-1703-9 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Junglaub

Erstdruck: Pyrmont 1919.

Mein goldenes Buch

Erstdruck: Hannover (Schaper) 1901.

Mein blaues Buch

Erstdruck: Hannover (Sponholtz) 1909.

Der kleine Rosengarten

Erstdruck: Jena 1911. Die Sammlung erschien in einer Auflage von 320.000 Stück.

Fritz von der Leines Ausgewählte Lieder

Erstdruck in: Ulenspeigels und Fritz von der Leines ausgewählte Lieder, Hannover 1908.

Ulenspeigels Ausgewählte Lieder

Erstdruck in: Ulenspeigels und Fritz von der Leines ausgewählte Lieder, Hannover 1908.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Hermann Löns: Sämtliche Werke, Herausgegeben von Friedrich Castelle, Band 1, Leipzig: Hesse & Becker, 1924.

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

Junglaub

Segelfahrt

Ich segele kühn durch den tobenden See,

Durchfahre die bäumende Flut

Mit bloßen Armen und wehendem Haar

Und lebensverachtendem Mut;

Wohl springen die Wellen am Bord in die Höh',

Bespritzen mir Backen und Füße,

Doch ich achte es nicht

Und ich rede mir ein,

Es sei'n nur der Seejungfern Grüße.

 

Es wühlt der Wind in dem straffen Gezeug

Und sprengt fast die stöhnenden Laken,

Es knastern die Klammern vom zerrenden Seil,

Es kreischet das Steuer am Haken.

Wohl spritzt mir der Gischt über Stirne und Rock,

Im Haar die Flocken mir kleben,

Um die Stirne mir hell

Einen Siegeskranz

Die verliebten Seejungfern weben.

 

Von Westen, zu dunkelem Knäuel geballt,

Zieht die Wetterwolke herauf,

Von schwefligfalbem Gedünste umzuckt,

Beginnt sie den rasenden Lauf.

Hoioi, mein Schiffchen, nun zeig deine Kraft,

Jetzt geht es um Leben und Sterben,

Doch mich kümmert es nicht

Und ich denke nicht dran,

Ob uns Rettung blüht oder Verderben.[85]

 

Auf demselbigen Fleck, wo mein Boot grade ächzt,

Sind am gestrigen Tage versunken –

Von dem Sturme verweht, von der Woge errafft,

Zwei junge Gesellen ertrunken.

Die liegen nun weich in der Seejungfern Arm,

Vor Unglück und Kummer geborgen,

Ich beneide sie nicht,

Denn ich weiß es ja nicht,

Ob ich selber nicht schlafe dort morgen.

 

Dicht über der Welle weißschäumendem Kamm

Die hungernden Seeschwalben kreischen,

Als wollten sie aus dem grünklaffenden Schlund

Die gestrigen Opfer erheischen;

Sie gellen und kreischen dem Sturme zum Trotz,

Hell schimmern die zierlichen Schwingen,

Ja, kreischt nur und lacht,

Vielleicht wird mir von euch

Noch ein Sterbegelächter erklingen.

 

Deutsch-Krone 1884[86]

 

Rückfall

In dem blühenden Holunderstrauch

Singt der Spötter laut sein buntes Lied,

Ein berauschend-schlummersüßer Hauch

Leis um meine müde Seele zieht.

 

Und die weißen Dolden bücken sich,

Gleich als winkten sie mir liebend zu:

Hier in unserem Schatten strecke dich,

Bleicher Träumer, hier ist kühle Ruh'!

Laß dein Rauschen, dunkler Holderbaum,

Grauer Vogel, ende bald dein Lied,

Daß der hoffnungslose Hoffnungstraum

Nicht noch einmal in mein Herz einzieht!

 

Denn ich habe mich daran gewöhnt,

Daß mir Ruhe nie bescheret sei,

Und mir selbst die Hoffnung fortgehöhnt

Und die alte Friedensträumerei.

 

Münster 1885

 

Das Sonntagskind

Das Leben hat dich reich beschert

Schon in der Kinderwindel,

Bist hochgeschätzt und hochgeehrt

Von jeglichem Gesindel,

Du Sonntagskind von Zufalls Gnade,

Für Arbeit bist du viel zu schade:

Wie schad', daß du nicht adelig,

Dann wärst du ganz untadelig!

 

Bist schön gewachsen von Gestalt

Und lieblich von Gebärden,

Du duftest wie ein Blumenwald,

Kannst hübscher gar nicht werden,

Dich macht nicht blaß des Lebens Schwere,

Kannst kaufen Weiber, Wein und Ehre:

Wie schad', daß du nicht adelig,

Dann wärst du ganz untadelig!

 

Du Idealmensch comme il faut,

Ich zähl' dich zu den Tieren,

Du bist so dumm wie Bohnenstroh,

Kröchst richtiger auf Vieren.

Dein Leben darfst du faul verlungern

Wenn hunderttausende verhungern:

Wie schad', daß du nicht adelig,

Dann wärst du ganz untadelig!

 

1885

 

Zigeunerliedchen

Vom Rabenstein winkt das Rad,

Vom Hügel nickt der Galgen,

Wo sich die Raben fett und satt

Um blanke Knochen balgen.

Schwarzmädel mein, ich such' dich lang

Bei Tage und bei Nacht,

Bei Katzenschrei und Unkensang,

Bei Tage und bei Nacht.[87]

 

Ins Rad geflochten liegt ein Weib

Verrenkt am Hochgerichte,

Wie Gold erglänzt der braune Leib

Im blanken Mondenlichte.

Ja, schön ist die Zigeunermaid

Beim Tanze in der Nacht,

Im bunten Tuch, im roten Kleid,

Beim Tanz in heller Nacht.

 

»Ja, Dirne, junge Gräfin sein,

Das würd' dich wohl nicht kränken,

Du Hundsblut fingst den Sohn mir ein

Mit Gift und Zaubertränken!«

Jetzt pfeift der Wind zum Hochzeitstanz

Fein lustig in der Nacht,

Im roten Rock spricht Meister Hans

Den Segen in der Nacht.

 

»Mein Täubchen, laß den Grafensohn«,

Sprach oft die Alte weise,

»Sonst wirst du vor dem Schicksal schon

Zu früh der Raben Speise!«

Zigeunermädel keck und fein,

O Mädel, schwarz wie Nacht,

Sag an, willst du mein Liebchen sein,

Mein Liebchen in der Nacht.

 

Münster 1885[88]

 

Krüzkes Franz

Siehst du den Menschen? so glasig und öde

Starret sein Blick nach den Steinen,

In seinem Angesicht, geistlos und blöde

Seh ich nie Lachen, noch Weinen.

 

Wie er dahinwankt mit schlotternden Knieen,

Aschgrau die Jammergebärde,

Zitternd die mageren Finger ziehen

Kreuzzeichen über die Erde.[88]

 

»Krüzkes Franz, Krüzkes Franz!« necken und höhnen

Heulend und brüllend die Knaben,

»Fränzchen, kiek hier« – so hör' ich es tönen,

»Dor ligg din Moder begraben!«

 

Gierig mit scheuen und schüchternen Blicken

Folgt er den höhnenden Rufen,

Aber vergebens versucht er zu drücken

Kreuze auf steinernen Stufen.

 

War er ein froher und munterer Knabe,

Als seine Mutter noch lebte,

Seit man sie barg in dem hungrigen Grabe,

Wahnsinn den Geist ihm umwebte.

 

Als man der Mutter den Grabhügel häufte,

Glaubt er, vergessen man habe,

Daß man ein Kreuz in die Lehmscholle streifte,

Ruhe ihr gäbe im Grabe.

 

Nimmer nun, wähnt er, könne entweichen

Jene des Fegfeuers Qualen,

Bis man das leidenerlösende Zeichen

Ihr auf das Grab würde malen.

 

Sucht er die Stelle, wo sie begraben,

Täglich und findet sie nimmer,

Aber es blieb, ob auch höhnen die Knaben,

Ihm noch ein rettender Schimmer.

 

Daß er durch Zufall könne einst finden

Jene verborgene Stelle,

Und seine Mutter vom Orte der Sünden

Aufführ' zur himmlischen Helle.

 

Darum wühlt er die flüchtigen Zeichen

Hastig in Wege und Gossen,

Seh' ich ihn täglich die Straßen durchstreifen

Hoffnungsvoll und unverdrossen.

 

Münster 1885[89]

 

Winter

Über die Heide geht mein Gedenken,

Du kleines Mädchen,

Nach dir, nach dir allein;

Über die Heide möchte ich wandern,

Du kleines Mädchen,

Bei dir zu sein.

 

Über die Heide flogen die Schwalben,

Du kleines Mädchen,

Sie grüßten mich von dir;

Über die Heide krächzten die Raben,

Du kleines Mädchen,

Antwort von mir.

 

Über die Heide fallen die Flocken,

Du kleines Mädchen,

Und fußhoch liegt der Schnee;

Über die Heide ging einst mein Hoffen,

Du kleines Mädchen,

Ade, Ade!

 

1885

 

Surrogat

O küsse mich, dein Küssen ist

So süß fast wie des Todes Kuß,

Bei deinem leisen Kuß vergißt

Mein Herz, daß es noch schlagen muß.

 

O küß und küß mich immerzu,

Bei deinem warmen, lieben Kuß

Vergesse ich, wie einst die Ruh

Des Grabes mich beglücken muß.

 

1885

 

Alte Liebe

Die stillen, dunklen Erlenteiche

Hab' ich geliebt von Jugend an,

In ihrem düstern Märchenreiche

Ich manchen schönen Traum ersann.[90]

 

Die Träume sind in Nichts zerflogen,

Mein frohes Antlitz wurde bleich,

Doch fühl ich stets mich hingezogen

Zum stillen, dunklen Erlenteich.

 

Münster 1886[91]

 

Zigeunerlied

Die Lisa eine Hexe war,

Das wußten alle Leute,

Als Kätzchen ging sie gestern um,

Als Käuzchen flog sie heute.

 

Doch endlich hat man sie gefaßt

Im Wald beim Wurzelsuchen

Und schleppte sie zum Galgenberg

Trotz Wehgeheul und Fluchen.

 

Doch als sie auf dem Holzstoß war,

Da sprach sie zu mir leise:

»Hol' mir die alte Fiedel her,

Zu spielen letzte Weise.«

 

Als ich ihr dann die Geige gab,

Begann ein schrilles Tönen,

Und Klänge wild, gespensterhaft

Entlockte sie den Sehnen.

 

Daß alles Volk im Kreise rings

Verfiel dem Zauberreigen,

Und immer toller noch begann

Die Alte da zu geigen.

 

Bis lang und kurz und jung und alt

Vor wildem Taumel trunken –

Da warf sie mir die Fiedel hin,

Verschwand als wie versunken.

 

Als ich das alte Geigenholz

Nun an mich hatt' genommen,

Hat eine wilde Wanderlust

Mich stürmisch überkommen.[91]

 

Wohl durch das ganze Ungarland

Begann ich froh zu wandern,

Von Agram bis nach Debrezcin

Von einem Nest zum andern.

 

Wo immer meine Fiedel klingt,

Muß Schmerz und Trauer schwinden,

Sie fliehn vor meinem Zauberspiel,

Wie Flugsand vor den Winden.

 

Drei Saiten hat die Fiedel nur,

Die halten wohl noch lange,

Und jeden fasset wilde Lust

Bei ihrem tollen Klange.

 

Doch wenn die letzte Sehne reißt,

Muß sich mein Wandern enden,

Dann ruh ich unterm Rasen aus,

Die Fiedel in den Händen.

 

Münster 1886[92]

 

Heimatsklänge

Drei Klänge sind's vom Heimatsland,

Die ich schon lang nicht mehr gehört,

Manch trübe Stunde schon entschwand,

In der ich schmerzlich sie entbehrt;

Drei Klänge, süß wie Liebeslaut,

Wie schüchtern Wort aus Kindermund –

Bald wieder, wie zur nächt'gen Stund,

Das Wutgeheul der Sturmesbraut:

Du Rauschen in dem dunklen Föhr,

Du Wellenklang vom grünen See,

Du Lied aus Volksmund, wild und weh –

Wer weiß, ob ich euch nochmals hör!

 

O Rauschen von dem Kiefernwald,

Ich hab' dich stets so lieb gehabt,

Wie hat's mein wildes Herz gelabt,

Wenn des Piroles Flöten schallt,[92]

Wenn ringsumher die Biene summt,

Sonst alles Leben ist verstummt –

Und andersmal beim Mondenschein,

Bei Nachtwinds grellen Melodein,

Wenn's in den Kronen ächzt und kracht

Und durchs Geäst der Waldkauz lacht,

O Rauschen von dem dunklen Föhr,

Wer weiß, ob ich dich nochmals hör!

 

O Wellenplaudern im Geröhr,

Und Wogenklatschen an dem Strand!

Wer euch gehört, den läßt's nicht mehr,

Es hält für immer ihn gebannt.

O traumhaft leises Abendlied,

Wie's murmelnd durch das Röhricht zieht,

Du liebes Lied der dunklen Flut,

Beglänzt von Abendsonnenglut –

Noch schöner, wenn die Möwe gellt

Und weiter Gischt am Strand zerschellt –

O Wellenrauschen, leis und schwer,

Wer weiß, ob ich dich nochmals hör!

 

O Heimatslied aus Volkesmund,

So schneidighell wie Schwerterklang,

So kühn, wie's je in heißer Stund'

Aus starken Männerkehlen drang;

Bald zarter Liebe Leid und Lust,

Der eignen Schönheit unbewußt,

Bald dämmrigschauernd Ammenlied,

So gleichbewegt wie Glockenton,

Vom Abglanz alter Zeit durchglüht,

Vom Volke fast vergessen schon –

Ihr Lieder, wild und wehmutsschwer,

Wer weiß, ob ich euch nochmals hör!

 

Nach Osten zieht's mich mächtig hin,

»Nach Hause« klingt's in meinem Sinn:

Drei Klänge sind's vom Heimatsland,

Die haben mir das Herz entwandt;

Es ist schon lange nicht mehr mein,[93]

Es findet nur zu Hause Ruh:

»Nur einmal in der Heimat sein!«

Das klopft und klopft es immerzu.

Du Wellenklang vom grünen See,

Du Lied aus Volksmund, wild und weh,

Du Rauschen von dem dunklen Föhr –

Wer weiß, ob ich dich nochmals hör!

 

1886. Im September zu Münster[94]

 

Kartoffelfeuer

Wenn Ende September Kartoffelfeuer

Mit weißem Schleier bedecken das Land,

Dann denk' ich an manches, was ich als teuer

In meiner Erinnerung halte gebannt.

 

Verflossene Zeiten, verflogene Tage,

In rosigen Wolken die ganze Welt,

Als noch nicht das Leben die häßliche Frage

»Beruf und Brot?« an uns hatte gestellt.

 

O Hannes mit knallroten Spitzbubenhaaren,

O Wolf mit dem pechschwarzen Lockenkopf,

Ich selber, ein Nichtsnutz von dreizehnhalb Jahren,

Mit Kletten und Disteln im flachsblonden Schopf.

 

Barfüßig, barköpfig, zerrissene Hosen,

Am Knie schimmert durch die bräunliche Haut –

O herrliche Zeit, wo mit sorgenlosen

Blauaugen ich keck in die Stunden geschaut.

 

Kein Wasser zu tief, zu hoch keine Höhe,

Kein Apfel zu sauer, kein Vogel zu flink –

In unserm frechfrohen Raubkönigreiche

Da wurde geknechtet, was mit uns nicht ging.

 

Die Katzenjagd stand bei uns mächtig in Blüte,

Es mieden die Hunde sehr schnell uns're Näh,

Dem Flurschützen war'n wir ein Dorn im Gemüte,

Dem Obstbaumbesitzer ein fressendes Weh.[94]

 

Im Buchwald am Seerand, da war eine Ecke,

Von Weiden umwuchert, von Dornen geschützt.

Wir brieten in sicherem Räuberverstecke

Uns dort die Kartoffeln, die wir uns stibitzt.

 

Wir rauchten getrocknete Wallnußbaumblätter

Aus Pfeifen, geschnitzelt aus Ellernholz,

Und fühlten uns selig, wie Helden und Götter,

Wir Fürsten der Wildnis, verwegen und stolz.

 

Wir hauten uns auch, daß die Haare so flogen

Und blaubeulig wurden Kopf und Gesicht,

Und wurde dafür dann auch Wichse bezogen

Zu Haus' vom Papa, das genierte uns nicht.

 

Jetzt gehn wir geputzt nach der neuesten Mode

Mit schneeweißem Kragen und blitzblankem Hut,

Wir kommen vor Höflichkeit fast noch zu Tode

Und tuen getreu, was ein jedermann tut.

 

Du wirbelnder Rauch der Kartoffelfeuer,

Erinn'rer an alte, verflossene Zeit,

Wie ist mir dein herber Geruch doch so teuer,

Du bleibst mir als Jugenderinn'rung geweiht.[95]

 

Die Nebelkrähe

Ein graues Regenlaken hängt

Unsauber auf die Erde,

Ich stampfe durch das Heidekraut,

Unwirsch ist meine Gebärde.

 

Eintönig pfeift der nasse West,

Wallhecken versperren die Weite,

Es spritzt der zähe Klei um mich,

Wohin ich geh' und schreite.

 

Ein rauher, wilder Krähenschrei

Klingt plötzlich durch das Wehen,

So frech und frank, so krächzen nicht

Die schwarzen, westfälischen Krähen.[95]

 

Sei mir gegrüßt, lieb' Heimatskind

In schwarz und grauem Gefieder,

Ich höre lieber dein rauhes Wort

Als Nachtigallenlieder.

 

Du zauberst vor mich hin ein Bild:

»Schwarzblaue Kiefernwälder,

Ein blauer, rohrbesetzter See

Und weite Roggenfelder.«

 

Und alles groß und hoch und weit,

Die Menschen so gesellig,

Die Häuser liegen enggedrängt,

Das macht die Leute gefällig.

 

Hier sitzt ein jeder eulenhaft

Auf seiner Ackerklause –

Du graue Krähe, flieg voran,

Zeig' mir den Weg nach Hause.[96]

 

Am Galgenberge

Ein sandiger Hügel ist es, nackt und kahl,

Ein kranker Lindenbaum ist seine Krone,

Sein schiefer Wuchs, sein Laub, vom Staube fahl,

Gereicht der edlen Abkunft fast zum Hohne;

Am Hügelgrunde wuchert Heidekraut,

Dort schwenkt der Ginster seine schlanken Loden,

Und hier und da aus ockergelbem Boden

Ein kümmerliches Glockenblümchen schaut.

 

Und gibt es hier viel mehr auch nicht zu sehn,

Ich lieb' es, sinnend in dem Sand zu träumen,

Wenn leise Winde durch die Heide wehn

Und Abendstrahlen ihre Grenzen säumen;

Den Geist beschäftigt dann so mancherlei,

Auch die vergangne Zeit und ihre Schrecken,

Die kein vermorschter Flitter kann bedecken,

Ich freue mich, daß diese Zeit vorbei.[96]

 

Man lobt so gern die gute, alte Zeit,

Und ruft zurück die längstvergangenen Tage,

Wo unberührt von satter Nüchternheit

Die Zeit verfloß, verklärt von Sang und Sage,

Wo frommen Schauder jedes Herz empfand –

Nach Idealen noch die Menschheit strebte,

Nicht ganz allein dem Geldgewinne lebte,

Und unentweiht der Gottheit Bildnis stand.

 

Stets muß ich lächeln, hör' ich solch Geschwätz

Von Leuten, die noch alte Tugend heucheln

Und mit der Biederkeit entlehntem Netz

Notdürftig ihrem Tugenddünkel schmeicheln –

Ruft sie zurück, die gute, alte Zeit,

Schaut her, ich will die goldne Zeit euch zeigen,

Natürlich werde ich euch nichts verschweigen

Von ihrer blutigroten Biederkeit!

 

Wenn ich hier an dem siechen Lindenbaum

Die Glieder in der Abendsonne recke,

Dann scheint's mir oft, als ob wie düstrer Traum

Vergrauter Tage Bild sich neu erwecke;

Wie Menschenhaufen wälzt es sich heran,

Ein Sünderglöckchen hör' ich weinend läuten,

Den Karren keuchen, die Soldaten schreiten –

Und auf dem Wagen kniet ein bleicher Mann.

 

Nicht wahr, das war doch eine schöne Zeit,

Als statt der Linde hier drei Balken standen,

Als Seilers Töchterlein hier ward gefreit,

Die ihre Liebsten schlang in feste Banden,

Wie schön, wenn ein fideles Sünderpaar

Im Abendwinde gravitätisch schaukelt

Und in den Lüften heiser krächzend gaukelt

Die unbezahlte Totengräberschar.

 

O innigfromme, pflichtgetreue Zeit

Voll Unnatur und aberwitz'gem Tande,

Wo man mit tugendkalter Grausamkeit

Das Unglück stempelte zu Schmach und Schande,

Wo man den Wahnsinn ein Verbrechen hieß[97]

Und dem gefallnen Mädchen ohn Erbarmen

Das Kleid vom Leibe riß mit frechen Armen

Und sie im Hemd am Kirchtor stehen ließ.

 

Ja, Rad und Galgen und ein Kreuz davor,

Das setzt ins Wappen dieser Periode,

Wo man als Schandmal richtete empor

Des Sünders Leib nach grauenvollem Tode,

Wo Bosheit ging der Dummheit treu zur Hand

Und Angeklagtsein galt für schon gerichtet,

Wo Leib und Seele wenigstens vernichtet,

Wenn man den Folterbänken sich entwand.

 

Sieh dort, wo unter dem Wacholderstrauch

Kaninchen ihre engen Röhren haben,

Da ist von ihnen mit dem Kiese auch

Ein abgebleichtes Knöchlein ausgeraben,

Die Elster schleppt ihn ins Versteck und plagt

Sich ab damit, ihr wird wohl nimmer schwanen,

Daß einstmals ihre Ururelterahnen

Dies Knöchlein hier so sauber abgenagt.

 

Es liegen solcher Knochen wohl noch viel

Hier zwischen Heidekraut und dürrem Rasen,

Die Elster treibt damit ihr müßig Spiel

Und in dem hohlen Bein die Winde blasen.

Wer sonst nicht denkt, denkt hier auch nichts dabei,

Doch ich vermochte oft genug zu lauschen,

Wie's leise raunte in der Linde Rauschen:

»Freu, Menschheit, dich, daß diese Zeit vorbei!«

 

Münster 1886[98]

 

Den Alltagsmenschen

Ihr, denen der Zufall die Krankheit versagt,

Die göttlich Genie man benennt,

Laßt fahren die Trauer und seid nicht verzagt,

Ihr ahnet ja nicht, wie das brennt,

Lebt ruhig nur fort in dem engen Gebiet,

Mit euch und dem Herrgott in Frieden,

Und preist euch glücklich, daß eurem Gemüt

Kein stürmendes Ringen beschieden.[98]

 

O könntet ins Herz jenen Männern ihr schaun,

Ihr pralltet erschrocken zurück:

Bleichzuckende Flammen und nebliges Graun,

Doch nimmer und nimmer Glück;

Kaum einem noch wurde vom Zufall beschert

Genie und zufriedenes Leben,

Den meisten hat Leben und Lieben zerstört

Das Ringen und Kämpfen und Streben.

 

Kein Frieden bei Tage, kein Frieden bei Nacht,

Im Fieber von Abend bis Früh –

Das Los jeder Stirn, der in höllischer Pracht

Den Kainsstempel gab das Genie,

Ein Hungern nach Ruhe, ein Dursten nach Glück,

Nach Schatten, die ewig verschwinden,

Sie suchen und suchen mit trostlosem Blick

Und glauben doch selbst nicht ans Finden.

 

Und schließlich, wenn alles verbrannt und verglüht,

Und jeglich Idol ist zernagt,

Wenn öde die Seele und kahl das Gemüt,

Verzweiflung die Elenden plagt –

Die Träume zerplatzen, ins Weite sich schwingt

Des Glückes verblaßte Erscheinung,

Und höhnisch im herzlosen Herzen nur klingt

Das schneidende Lied der Verneinung.

 

Münster 1887[99]

 

April

Laut flötet der Wind durch den Haselnußstrauch,

Schneeflocken durchwirbeln den Hain,

Bald Hagel, bald Regen und eisiger Hauch,

Bald lachendster Lenzsonnenschein.

Ich weiß ja, daß kurz dieser Sonnenblick dauert,

Daß Hagel und Regen und Schneefall schon lauert

Und Nordwinds erstarrendes Wehn,

Und dennoch mich freudige Hoffnung durchschauert,

Es ist ja so schön, ja so frühlingshaft schön.[99]

 

Erfriern auch die Veilchen, die gestern erblüht,

Verstummt auch der Fink in dem Wald –

So lieb ich, April dich, in meinem Gemüt

Ist's auch heute warm, morgen kalt.

Auch dich hatt' ich lieb, die so oft mich belogen,

So oft mich mit Lachen und Weinen betrogen,

Dich Mädel, trotz Falschheit und Lug,

Ja, Zauberkraft war's, die zu dir mich gezogen,

Ja Trug, doch berauschender, seliger Trug.

 

Schon lange ist's her, schon manch langes Jahr,

Hab' immer gern deiner gedacht,

Du rosige Wange, du goldhelles Haar,

Du Auge, voll tiefblauer Pracht,

Ihr Lippen, wie konntet ihr lachen und schmollen,

Ihr Augen, wie konntet ihr strahlen und grollen,

Bald Höllenpein spenden und bald Paradies,

Was half mir mein besseres Wissen und Wollen,

Ja Lüge und Trug war's, doch süß, ach so süß.

 

Ich weine den Blumen des Herzens nicht nach,

Schon morgen erblüht neues Glück,

Und wenn auch der Nordwind die Lenzblüten brach,

Ein Jahr und sie kehren zurück.

Ja Hagel und Regen und Sonne und Schneien,

Und Wechsel von Trauer, von Lust und Bereuen,

Bald jauchzend, bald düster und still,

Die Lust nicht verachten, die Schmerzen nicht scheuen,

Ich lieb euch, falsch Mädchen und falscher April.

 

Paderborn 1887[100]

 

Am Wege

Was blickst du so bittend und schüchtern mich an,

Du rosige, blühende Maid,

Gefällt dir der bleiche, weltfahrende Mann,

So komm' nur, ich rücke zur Seit!

Nein bleib – was ich sagte, es war nur ein Scherz,

Zu schade auch würd's um dich sein –

Bin ein wilder Gesell, hab' ein treuloses Herz

Und du bist so hold und so rein.[100]

 

Du willst es nicht glauben, du schüttelst dein Haupt

Und lächelst mir Glut in die Brust,

Ich habe schon mancher das Kränzchen geraubt,

Hab' niemals von Reue gewußt.

Was blickst du so schmachtend, ich bin nicht von Erz,

Hab' heißes, unchristliches Blut –

Bin ein wilder Gesell, hab' ein treuloses Herz

Und du bist so fromm und so gut.

 

Du blickst mir ins Auge so innig und warm,

Mein Puls jagt, hämmert so laut,

Ich küsse dir Lippen und Busen und Arm,

Du herzige, knospige Braut.

Was blickst du so schüchtern jetzt erdbodenwärts,

Zu spät ist's, mein Blut stürmisch rollt –

Bin ein wilder Gesell, hab' ein treuloses Herz,

Was weinst du? du hast's ja gewollt.

 

Münster 1887[101]

 

Opium

Laß mich deinen Leib umfangen,

Wilde Dirne, küsse mich,

Laß an deinem Mund mich hangen,

Heut, nur heute liebe mich,

Küsse mich, du fremde Dirne,

Deine Lippen, liebesrot,

Press' mir auf die heiße Stirne –

Heute rot und morgen tot.

 

Rote Blumen in den Haaren,

Feldmohnblüten, schnell verweht,

Morgen ist im Sturm zerfahren,

Was noch heute prangend steht,

Küsse mich und sing mir Lieder,

Lieder heiß und brennend rot,

Küss' mich immer, immer wieder –

Heute rot und morgen tot.

 

Rote Flecken auf den Wangen,

Kranke Brust und Jubelton,[101]

In den Augen Todesbangen,

Auf den Lippen Spott und Hohn,

Küsse mich bis zum Ersticken,

Küss' die blasse Wang mir rot,

Heute Jubel und Entzücken –

Heute rot und morgen tot.

 

Weiße Arme, schwarze Locken,

Vollen Busens heißer Schlag,

Schau, da fall'n des Mohnes Flocken,

Blühten einen kurzen Tag,

Laß an meine Brust dich pressen,

Küss' mit Lippen, liebesrot,

Küsse mich bis zum Vergessen –

Heute rot und morgen tot.

 

Münster 1887[102]

 

Ballade

Her kam er gefahren auf rollendem Rad,

Wie war er so stattlich und schön,

Fort ist er gefahren auf rollendem Rad,

Ich hab' ihn nie wieder gesehn.

 

Die Luft war so warm und der Himmel so klar,

Den Weg durch die Felder ich ging,

Ich stand damals grade im sechzehnten Jahr

Und war ein recht lustiges Ding;

Noch war nicht die Liebe im Herzen erwacht,

Die Liebe, die selig und unselig macht,

Die Herzblüten zeitigt und Herzblüten knickt –

Ach hätt' ich ihn niemals erblickt!

 

Grad als ich den Seitenweg einschlagen wollt',

Da klirrte es hinter mir laut,

Da kam er auf blitzendem Zweirad gerollt

Und grüßte so freundlich und traut;

Er sprang aus dem Sattel, ging neben mir her

Und fragte nach Wasser; ihn dürste so sehr, –

Ich sagte, ein Spring wäre ganz in der Näh', –

O Quell, dir entrauschte mein Weh.[102]

 

Am Springe, wo Kresse und Otterwurz blüht,

Da war es so duftig und kühl,

Doch in meinem Herzen da hat es geglüht,

Mir war so beklommen und schwül.

Wo bist du, o Stunde, zerronnen so schnell

Wie sprudelndes Wasser von murmelndem Quell,

Du Stunde voll Liebe, voll Lust und voll Glück,

Ach, kehre noch einmal zurück!

 

O bittere Wonne, er zog mich ans Herz

Und sagte: »Lieb Mädchen, ade!«

Ich glaube, er lachte – er sah nicht den Schmerz,

Er sah nicht das schneidende Weh.

Bis hinten zum Walde noch sah ich ihm nach,

Dann warf ich mich neben den rieselnden Bach:

Vorüber, vorüber, vorbei, ach vorbei,

Da wußt' ich, was Liebhaben sei!

 

Her kam er gefahren auf rollendem Rad,

Wie war er so stattlich und schön,

Fort ist er gefahren auf rollendem Rad,

Ich hab' ihn nie wieder gesehn.

 

Münster 1887[103]

 

Akkorde

Wie kommt es, daß die Saiten widerklingen,

Wenn sie berührt ein gleichgestimmter Ton,

Daß alte Träume aus dem Nebel dringen,

Der sie umgraute lange Jahre schon,

Wie kommt's, daß unser Herz erschüttert

Zuweilen ein alltäglich Wort,

Daß alte Träume neu erstehen,

Verschollne Lieder uns umwehen,

Sprecht, warum dann das Herz erzittert? –

Weil angeschlagen ein Akkord!

 

Ihr alle habt es doch schon oft empfunden,

Daß ungerufen, durch ein fremdes Wort

Geweckt, aus lange schon vergeßnen Stunden

Ein Ton erklang im tiefsten Herzenshort;

Ein andrer Klang reiht sich dann leise[103]

Dem ersten an, man weiß nicht wie;

Die angeschlagnen Saiten klingen,

Die wirren Töne sich verschlingen

Zu einer altbekannten Weise

Und längst geliebten Melodie.

 

Zwar übertäubt die schüchtern leisen Klänge

Am hellen Tag das bunte Einerlei

Der Sterbeseufzer und Triumphgesänge,

Verzweifelt Lachen und des Schmerzes Schrei –

Im Herzen klingt's, du fragst erschrocken:

»Was wollet ihr, wo kommt ihr her?«

Da schallt ein fremder Laut dazwischen,

Wie im Konzert ein rohes Zischen,

Die zarten Herzenstöne stocken,

Du lauschst, doch hörst du jetzt nichts mehr.

 

Doch wenn du abends müde dich geflüchtet

Fort aus des Alltagslebens ödem Plan

Und der Verstand tyrannisch nicht mehr richtet

Die Seele durch die plattgetretne Bahn,

In solcher Zeit der Dämmerungen,

Da blüht und grünt das Tote fort,

Der Kinderzeit verträumte Freuden

Verklärn des Augenblickes Leiden,

Und bilden in dir engverschlungen

Den herzbeglückendsten Akkord.

 

Münster 1887[104]

 

Margrete

1.

Margrete, Schönste der Schönen du,

Die jemals mein Sinn begehrt,

Warum hast du mit kaltem Blick

Mein heißes Herz empört?

 

Was blickt dein Auge so kalt und stolz,

Wenn meins dir Liebe droht,

Was bleibt dein Herz so winterlich,

Wenn mein Herz kocht und loht?[104]

 

Ich habe nicht Gott noch Menschen gescheut,

Mir hat schon als Kind nicht gegraut,

Doch Angst umkrallt mein freies Herz,

Wenn du mich angeschaut.

 

Du hast mich gebunden, zum Sklaven gemacht,

Die Seele und auch den Leib –

Doch hüt' dich, Margret, daß der Strick nicht zerreißt,

Margrete, du bist nur ein Weib![105]

 

2.

Ich tue alles, was du forderst,

Wenn du mich dafür liebst,

Wenn du dich eine kurze Stunde

Mir ganz zu eigen gibst.

 

Nenn' einen Mann mir, Margrete,

Und dessen Tod dir Begehr,

Nenn' mir den Mann doch, Margrete,

Und morgen lebt er nicht mehr.

 

Und kännte den Mann ich, Margrete,

Dem Liebe dein Auge loht –

Ich schwör's beim Hasse meiner Liebe:

Auch er ist morgen tot.

 

3.

Ich lieb' dich nicht, so wie ich liebte

Ein andres Mädchen, wahr und treu,

Ich lieb' dich mit zerstörungssüchtiger

Wahnwitzig wilder Raserei.

 

Ich lieb' dich, wie der Tod das Leben,

Der Blitz den Baum, den er zerstiebt,

Ich liebe dich, so wie der Teufel

Die unschuldsvollen Seelen liebt.

 

Nur einmal möcht' ich dich umarmen,

Nur einmal liebend weich dich sehn,

Nur einmal meine Kraft dir zeigen,

Dann höhnischlachend von dir gehn.

 

Münster 1888

 

Eldena

Ach, wenn es doch ein Traum gewesen wäre,

Hätt ich geträumt, daß dich mein Arm umschlang,

Ich fühlte nicht so tief des Herzens Leere

Und lauschte nicht verschollenem Gesang;

Ein schöner Traum ist bald vergessen –

Man denkt nur selten noch an ihn zurück,

Und das verwaiste Herz zerfressen

Nicht stumme Seufzer um begrabnes Glück,

Das Bild verblaßt, zerstiebt wie Meeresschaum,

O, warum träumt ich auch nicht diesen Traum.

 

Die Sonne sinkt, vergoldend Rügens Höhen,

Wie Purpur glänzt des Boddens düstre Bucht,

Im leisen Windhauch zu uns nieder wehen

Der Möwe Laute, die ihr Sandbett sucht,

Weither des Leuchtschiffs Lampe flimmert,

Noch einmal pfeift der Dampfer grell und schrill,

In dem zerfallnen Kloster wimmert

Das Käuzchen – dann ist alles stumm und still,

Da saßen wir, dicht an des Meeres Saum,

So ruhig, stillzufrieden, wie im Traum.

 

Und später, als die Stunde längst entflogen,

Da stand ich wieder dort, es scholl der Schrei

Der Möwe gellend über schwarze Wogen,

Der Nordwind fauchte grimme Melodei;

Mit trocknem, starrem Auge schaute

Ich trostlos auf das krampfdurchzuckte Meer,

Kein warmer Hoffnungsschimmer graute

In dem vereisten, öden Herzen mehr,

Und um den Ort, wo ich geträumt den Traum,

Da spritzte geifriggelber Wellenschaum.

 

Wie oft hab ich gewünscht in frühren Tagen:

Was ich geträumt, o wäre es doch wahr!

Ich wollte mir das volle Glück erjagen,

Wie es im Traum mir wurde offenbar;

Und jetzt, – o hätt ich nie empfunden[106]

Dies schnellzerplatzte, traumgleich kurze Glück,

Ich dächte nicht in düstern Stunden

So oft an jenen Abend noch zurück,

Ich gäbe jetzt den Klagen keinen Raum

Um eine Stunde Glück, um einen Traum.

 

Greifswald 1888[107]

 

Vorfrühling an der Ostsee

Hellgrüne Felder,

Braungrüne Wälder,

Jubelnder, jauchzender Singdrosselsang,

Erlsträucher blühen,

Strandläufer ziehen

Lockend und trillernd die Dünung entlang.

 

Mit wunderbaren

Brandroten Haaren

Prangend ein Köpfchen im Arme mir lehnt,

Schneeweiße Stirne,

Blutjunge Dirne,

Sehnsüchtig schwer sich der Busen ihr dehnt.

 

Fern schimmert Rügen.

In mächtigen Flügen

Klingeln die Wildenten über uns her,

Schneeweiße Mövchen

Und Wolkenschäfchen,

Hellblauer Himmel und tiefblaues Meer.

 

Fröstelt dich, Kleine?

Am Rande vom Haine

Weiß ich ein Wirtshaus, von Pappeln umdrängt,

Mit schelmischem Blicke

Die kornblonde, dicke

Fangschiffers Witwe dort Glühwein verschänkt.[107]

 

Schatz, einen Halben!

Nicht wie die Schwalben,

Tüchtig geschluckt, daß die Backe dir glüht!

Auf deinen Wangen

Soll Abendrot prangen.

Reichliche Kußernte draus mir erblüht!

 

Pferdegetrappel.

Unter der Pappel

Hält schon Johann mit dem Rappengespann.

Schatz, in den Wagen!

Hannes, nun jagen!

Aber beim Mühlgarten, da halte an.

 

In Pelzverstecke,

Kopftuch und Decke

Wickle das fuchsrote Püppchen ich ein.

Vogelbeerbäume

Fliegen wie Träume,

Klippklapp der Hufe auf spitzem Gestein.

 

Vor uns ein Schimmern,

Funkeln und Flimmern,

Rädergerassel und ferne Musik,

Leuchtende Fenster,

Rudtanzgespenster,

Brummbaßgerummel und Fiedelgequiek.

 

Halt! Schatz, nun schnelle,

Horch, die Kapelle

Spielt unsern Leibtanz, die Kreuzpolka, schon,

Wehende Röcke,

Dröhnende Decke,

Trappelnder Tritte takthaltender Ton.

 

Wirbelndes Fliegen,

Leiberumschmiegen,

Noch einmal rund und die Polka ist aus.

Schnell in den Wagen!

Hanns, wieder jagen!

Herzliebes Schatzing, gleich sind wir zu Haus.[108]

 

Frau

1. Im Riesengebirge

Verschneiter Berge Silberkuppen –

Der gelbe Mond treibt drüber her,

Und hohe Tannen, stumm und düster,

Zerriss'ner Felsen wirres Meer;

Des Bobers frühjahrstrübe Wellen

Durchgleißt des Mondes Silberschein,

Die Wasseramsel pfeift und trillert –

Heut ist es schwer, allein zu sein ...

 

Vom Grunde taucht ein Antlitz auf

Mit Augen treu und sonnenklar,

Mit weißer, faltenloser Stirn

Und kurzem, goldigrotem Haar,

Die Welle rauscht ein leises Wort,

Ein Lachen klingt, so schmerzensrein,

Wie ich es oft von ihr gehört –

O wärst du mein!

 

Krampf' dich zusammen, stolzes Herz,

Und zittre nicht, du heißer Leib,

Dies Weib wird nie dein eigen sein,

Denn sie ist eines andern Weib!

 

Es war bei heller Lampen Schein,

Da sah ich sie zum erstenmal,

Bei Gläserklang, Gesang und Wein,

Bei Unterhaltung, matt und schal;

Sie saß mir grade gegenüber,

Ihr frohes Kinderantlitz war

Bei all dem neidischgelben Klatsche

So unberührt und fromm und klar,

Sie plauderte so kindlichfromm

Vom Schönen, das die Erde gibt...

 

Sie war ein Weib, kaum achtzehn Jahre,

Sie liebte und sie ward geliebt ...

Wie reizend schoß die rote Glut[109]

Ihr über Nacken und Gesicht –

Ich wußt' es, nie würd' sie mein eigen,

Ich wußt's und schloß die Augen nicht.[110]

 

2. Auf der Fahrt

Es kreischt und knarrt das Eisenrad,

Es dampft der Schlot, die Schiene stöhnt,

Ich lehn' im Polster, matt und blaß,

Mit meinem Schicksal unversöhnt.

Wie klopft und hämmert mir die Stirn,

Wie summt und saust's mir im Gehirn,

Gedanken huschen wild vorbei

Wie die Laternen am Geleis,

Hier flammt es auf, dort blitzt es hell –

Dann Nacht und schwarze Wüstenei ...

 

Durchs Räderstampfen kreischt der Pfiff

Der Dampfmaschine gellend schrill –

Durch meinen Sinn klingt laut ein Wort,

Daß ich vergessen muß und will;

Ich möcht' es rufen durch die Nacht,

Möcht's mit Verdammtenstimme schrein:

Ich liebe dich, ich liebe dich!

Und du wirst nimmer, nimmer mein!

 

Im Osten wird es langsam hell,

Der Nebel weicht, der Frühwind weht

Ins Fenster feucht und morgenkühl –

Ich hüll' mich fröstelnd in mein Plaid:

Fort mit dem Schein, du rote Sonne,

Fort, was da lügt von Glut und Wonne,

Was mir im Herzen flammt und loht,

Das ist kein Morgenrot.

 

3. In Greifswald

Das war ein kampfesfroher Tag,

Gerötet ist des Saales Gediel,

Rot spritzte es bei manchem Schlag,

Der scharf und schwer herniederfiel,[110]

So manche Wange, manche Stirn,

Bis heute noch glatt und narbenleer,

Sprang klaffend auf beim Gläserklang.

 

Heut sind es gerad zehn Tage her,

Als ich in ihrer Stube stand,

Da gab sie mir die weiße Hand

Und sprach die wenigen Worte nur:

»Viel Glück im Leben, Herr Studiosus,

Im Dichten und auf der Mensur!«

 

Erinnrung, kennst du keine Gnade!

Selbst bei dem frohen Burschenstrauß

Übst du, erbarmungslose Herrin,

Die Herrschaft unerbittlich aus!

Ich höre es beim Schlägerklange,

Im Gläserklirr'n, beim Burschensange,

Im Wagenroll'n, im Vogellied –

Des Nachts, wenn mich der Schlummer flieht,

Dann klopft das Herz in meinem Leib:

Sie ist ja eines andern Weib![111]

 

4. Stubbenkammer

Es klatscht die Woge über Bord,

Es spritzt der Schaum mir ins Gesicht,

Es ächzt und pfeift im Takelwerk –

Ich fürchte nicht, ich hoffe nicht.

Die Blitze zucken durchs Gewölk,

Der Donner knattert durch den Sturm,

Die Möwe kreischt und ruft und schrillt,

Das Kielboot krümmt sich wie ein Wurm ...

 

Recht so, Kollege Himmel droben,

Auch du bist unglücklich verliebt,

Und deine Lyrik muß ich loben,

Hei, wie das brüllt und flammt und stiebt!

Und doch, was hilft dein brünstig Singen,

Ihr Herz bleibt kalt, dein Arm bleibt leer,

Du wirst dein Liebchen nie erringen,[111]

Das schwarzgelockte, schöne Meer,

Schau, in des Erdengotts Umarmung,

Da wogt ihr Busen heiß und schwer ...

 

Münster, Herbst 1888[112]

 

Der Trunkenbold

Ja, lächelt nur und rümpft die Nasen,

Nennt Säufer mich und Trunkenbold,

Erzählt's bei Vettern und bei Basen,

Daß ich vom Stuhle sei gerollt;

Erzählt es lachend meinetwegen,

Daß in der Gosse ich gelegen,

Ich bin ein ruinierter Mann –

Schnaps her, daß ich's vergessen kann!

 

Was hilft's mir, daß es mir gelungen

Durch meiner Hände Eisenkraft,

Nachdem ich Jahr und Tag gerungen,

Daß Haus und Hof ich mir geschafft?

O, könnt ich es doch ganz vergessen,

Daß Weib und Kinder ich besessen,

O Kinderlachen, Weibeskuß –

Schnaps her, weil ich's vergessen muß!

 

Zehn Jahre Zuchthaus, – neun gesessen, –

Neun Jahre öder Kerkersnacht;

Mir ward die Strafe zugemessen,

Ein andrer hat die Tat vollbracht.

Herrgott, warum hast du geduldet,

Daß ich gebüßt und nichts verschuldet,

Daß ich ein kraftgebrochner Mann –

Schnaps her, daß ich's vergessen kann!

 

Man ließ mich gehn aus meiner Zelle,

Entschädigung – nicht einen Deut.

Ich trat an meines Hauses Schwelle,

Dort wohnt ein andrer lange Zeit.

Mein Heim zerstört, mein Weib gestorben,[112]

Mein Sohn verkommen und verdorben,

Die Tochter – davon schweig' ich still –

Schnaps her, weil ich's vergessen will!

 

Münster, Herbst 1888[113]

 

Die Dirne

Ja, weicht ihr nur aus, ihr ehrbaren Frauen,

Und hebt euer Kleid, daß es sie nicht berührt,

Sie darf euch gerade ins Angesicht schauen,

Sie ist nicht alleine prostituiert;

O führt nicht so stolz die Worte im Munde:

»Ich bin ein kirchlich getrautes Weib!«

Sie verkauft ihren Leib nur und auf eine Stunde,

Ihr habt euch verschachert mit Seele und Leib!

 

Wie viele denn sind es wohl unter euch allen,

Die freudig gefolgt sind dem Mann ihrer Wahl?

Ist keine von euch vor der Ehe gefallen?

Hat keine von euch je getäuscht den Gemahl?

Verschachert, verkuppelt von Eltern und Tanten,

Wie Tiere im Stalle zusammengeführt,

Die heiligen Flammen, die einst in euch brannten,

Ihr ehrbaren Frauen, sind prostituiert.

 

Was wißt ihr von Hunger und Mangel und Schande,

Von Armut und Krankheit, von Frost und von Not?

Euch Frommen und Guten im heiligen Lande

Gibt täglich der Herrgott das nötige Brot;

Geht einmal in Lumpen mit frostroten Händen,

Ihr Kinder der reichen, der glücklichen Welt –

Nur Tod oder Schande, das Elend zu enden –

Der Tod ist so bitter – und lachend bar Geld.

 

Münster 1889

 

Regen

Der Himmel hält große Wäsche heut

Und säubert die staubige Erde,

Damit so glänzend und rein ihr Gewand

Wie am ersten Maitage werde.[113]

 

Das donnert und blitzt und prasselt und klatscht

Hernieder auf Zweige und Blätter,

Der durstige Rasen trinkt sich satt

Nach langem, trockenem Wetter.

 

Ich wollt, von dem kühlend erfrischenden Guß

Würd' auch mein Herz getroffen,