Hugo von Hofmannsthal: Die Frau ohne Schatten. Oper in drei Akten / Libretto
Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.
Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:
Egon Schiele, Mutter und Kind, 1914
ISBN 978-3-7437-1667-4
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-7437-1648-3 (Broschiert)
ISBN 978-3-7437-1649-0 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
Entstanden 1913–1915. Erstdruck: Berlin (Adolph Fürstner) 1919. Uraufführung am 10.10.1919 in Wien (Staatsoper).
Der Text dieser Ausgabe folgt:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 1: Gedichte, Dramen, Band 2–5: Dramen, Herausgegeben von Bernd Schoeller in Beratung mit Rudolf Hirsch, Frankfurt a.M.: S. Fischer, 1979.
Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
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Der Kaiser.
Die Kaiserin.
Die Amme.
Geisterbote.
Die Erscheinung eines Jünglings.
Die Stimme des Falken.
Barak der Färber.
Sein Weib.
Der Einäugige,
Der Einarmige,
Der Bucklige, des Färbers Brüder.
Kaiserliche Diener. Fremde Kinder. Dienende Geister. Die Stimmen der Wächter. Geisterstimmen.[306]
Auf einem flachen Dach über den kaiserlichen Gärten. Seitlich der Eingang in Gemächer, matt erleuchtet.
DIE AMME kauernd im Dunkel.
Licht überm See –
ein fließender Glanz –
schnell wie ein Vogel! –
Die Wipfel der Nacht
von oben erhellt –
eine Feuerhand
will fassen nach mir –
bist du es, Herr?
Siehe, ich wache
bei deinem Kinde
nächtlich in Sorge und Pein!
DER BOTE tritt aus der Finsternis hervor, geharnischt, von blauem Licht umflossen.
Nicht der Gebieter,
Keikobad nicht,
aber sein Bote!
Ihrer elf
haben dich heimgesucht,
ein neuer mit jedem schwindenden Mond.
Der zwölfte Mond ist hinab:
der zwölfte Bote steht vor dir.
DIE AMME beklommen.
Dich hab ich nie gesehn.
DER BOTE streng.
Genug: ich kam
und frage dich:
Wirft sie einen Schatten?
Dann wehe dir!
Weh uns allen![307]
DIE AMME triumphierend, aber gedämpft.
Keinen! Bei den gewaltgen Namen!
Keinen! Keinen!
Durch ihren Leib
wandelt das Licht,
als wäre sie gläsern.
DER BOTE finster.
Einsamkeit um dich,
das Kind zu schützen.
Vom schwarzen Wasser
die Insel umflossen,
Mondberge sieben
gelagert um den See –
und du ließest, du Hündin,
das Kleinod dir stehlen!
DIE AMME.
Von der Mutter her
war ihr ein Trieb
übermächtig
zu Menschen hin!
Wehe, daß der Vater
dem Kinde die Kraft gab,
sich zu verwandeln!
Konnt ich einem Vogel
nach in die Luft?
Sollt ich die Gazelle
mit Händen halten?
DER BOTE.
Laß mich sie sehn!
DIE AMME leise.
Sie ist nicht allein:
Er ist bei ihr.
Die Nacht war nicht
in zwölf Monden,
daß er ihrer nicht hätte begehrt!
Er ist ein Jäger
und ein Verliebter,
sonst ist er nichts![308]
Im ersten Dämmer
schleicht er von ihr,
wenn Sterne einfallen
ist er wieder da!
Seine Nächte sind ihr Tag,
seine Tage sind ihre Nacht. –
DER BOTE sehr bestimmt.
Zwölf lange Monde
war sie sein!
Jetzt hat er sie noch
drei kurze Tage!
Sind die vorbei: –
sie kehrt zurück
in Vaters Arm.
DIE AMME mit gedämpftem Jubel.
Und ich mit ihr!
O gesegneter Tag!
Doch er?
DER BOTE.
Er wird zu Stein!
DIE AMME.
Er wird zu Stein!
Daran erkenn ich Keikobad
und neige mich!
DER BOTE verschwindend.
Wahre sie du!
Drei Tage! Gedenk!
DER KAISER tritt in die Tür des Gemaches.
Amme! Wachst du?
DIE AMME.
Wache und liege
der Hündin gleich
auf deiner Schwelle!
DER KAISER tritt hervor, schön, jung, im Jagdharnisch; es dämmert schwach.
Bleib und wache,
bis sie dich ruft!
Die Herrin schläft.[309]
Ich geh zur Jagd.
Heute streif ich
bis an die Mondberge
und schicke meine Hunde
über das schwarze Wasser,
wo ich meine Herrin fand,
und sie hatte den Leib
einer weißen Gazelle
und warf keinen Schatten,
und entzündete mir das Herz.
Wollte Gott, daß ich heute
meinen roten Falken wiederfände,
der mir damals
meine Liebste fing!
Denn als sie mir floh
und war wie der Wind
und höhnte meiner –
und zusammenbrechen
wollte mein Roß –,
da flog er
der weißen Gazelle
zwischen die Lichter –,
und schlug mit den Schwingen
ihre süßen Augen!
Da stürzte sie hin
und ich auf sie
mit gezücktem Speer –
da riß sichs in Ängsten
aus dem Tierleib,
und in meinen Armen
rankte ein Weib! –
Oh, daß ich ihn wiederfände!
Wie wollt ich ihn ehren! –
Den roten Falken!
Denn ich habe mich versündigt gegen ihn
in der Trunkenheit der ersten Stunde:
denn als sie mein Weib geworden war,
da stieg Zorn in mir auf[310]
gegen den Falken,
daß er es gewagt hatte,
auf ihrer Stirn zu sitzen
und zu schlagen
ihre süßen Lichter!
Und in der Wut
warf ich den Dolch
gegen den Vogel
und streifte ihn,
und sein Blut tropfte nieder. –
DIE AMME lauernd.
Herr, wenn du anstellst
ein solches Jagen –
leicht bleibst du dann fern über Nacht?
DER KAISER.
Kann sein, drei Tage
komm ich nicht heim!
Hüte du mir die Herrin
und sag ihr: wenn ich jage –
es ist um sie
und aber um sie!
Und was ich erjage
mit Falke und Hund,
und was mir fällt
von Pfeil und Speer:
es ist anstatt ihrer!
Denn meiner Seele
und meinen Augen
und meinen Händen
und meinem Herzen
ist sie die Beute
aller Beuten
ohn Ende!
Schnell ab.
Morgendämmerung stärker, man hört Vogelstimmen.
DIE AMME zu einigen Dienern, die sich allmählich um den Kaiser versammelt hatten.
Fort mit euch![311]
Ich höre die Herrin!
Ihr Blick darf euch nicht sehn!
Die Diener auf und hinab, lautlos.
DIE KAISERIN tritt aus dem Gemach.
Ist mein Liebster dahin,
was weckst du mich früh?
Laß mich noch liegen!
Vielleicht träum ich
mich zurück
in eines Vogels leichten Leib
oder einer jungen
weißen Gazelle!
Oh, daß ich mich nimmer verwandeln kann!
Oh, daß ich den Talisman verlieren mußte
in der Trunkenheit der ersten Stunde!
Und wäre so gern
das flüchtige Wild,
das seine Falken
schlagen – Sieh! –
da droben, sieh! –
Da hat sich einer
von seinen Falken –
sieh – verflogen!
Oh, sieh doch hin,
der rote Falke,
der einst mich
mit seinen Schwingen –
ja, er ists!
O Tag der Freude
für meinen Liebsten
und für mich!
Unser Falke,
unser Freund!
Sei mir gegrüßt,
schöner Vogel,
kühner Jäger!
Er hat uns vergeben,
er kehrt uns zurück.[312]
Oh, sieh hin,
er bäumt auf!
Dort auf dem Zweige –
wie er mich ansieht –
von seinem Fittich
tropft ja Blut,
aus seinen Augen
rinnen ja Tränen!
Falke! Falke!
Warum weinst du?
DES FALKEN STIMME klagend.
Wie soll ich denn nicht weinen?
Wie soll ich denn nicht weinen?
Die Frau wirft keinen Schatten,
der Kaiser muß versteinen!
DIE KAISERIN.
Dem Talisman,
den ich verlor
in der Trunkenheit der ersten Stunde,
ihm war ein Fluch
eingegraben –
gelesen einst,
vergessen, ach!
Nun kam es wieder: –
DES FALKEN STIMME.
Die Frau wirft keinen Schatten,
der Kaiser muß versteinen!
Wie soll ich da nicht weinen?
DIE AMME dumpf wiederholend.
Die Frau wirft keinen Schatten!
DIE KAISERIN.
Der Kaiser muß versteinen!
Ausbrechend.
Amme, um alles,
wo find ich den Schatten?
DIE AMME dumpf.
Er hat sich vermessen,
daß er dich mache[313]
zu seinesgleichen –
eine Frist ward gesetzt,
daß er es vollbringe.
Deines Herzens Knoten
hat er dir nicht gelöst,
ein Ungebornes
trägst du nicht im Schoß,
Schatten wirfst du keinen.
Des zahlt er den Preis!
DIE KAISERIN.
Weh, mein Vater!
Schwer liegt deine Hand
auf deinem Kind.
Doch stärker als andre
noch bin ich!
– – – – – – – – – – –
Amme, um alles,
du weißt die Wege,
du kennst die Künste,
nichts ist dir verborgen
und nichts zu schwer.
Schaff mir den Schatten!
Hilf deinem Kind!
Sie fällt vor ihr nieder.
DIE AMME streng.
Ein Spruch ist getan
und ein Vertrag!
Es sind angerufen
gewaltige Namen,
und es ist an dir,
daß du dich fügest!
Unter der Gewalt ihres Blickes, stockend.
Den Schatten zu schaffen
– – – – – – – – – – –
wüßt ich vielleicht,
– – – – – – – – – – –
doch daß er dir haftet,
müßtest du selber[314]
ihn dir holen.
Und weißt du auch wo?
DIE KAISERIN.