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Dr. med. Sanjay Gupta

IM KOPF JUNG BLEIBEN

– egal in welchem Alter

Dr. med. Sanjay Gupta

IM KOPF JUNG BLEIBEN

– egal in welchem Alter

Das Mentaltraining für Ihr Gehirn

Mit einem 12-WOCHEN-PROGRAMM für ein leistungsfähiges Gehirn

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

info@mvg-verlag.de

Wichtiger Hinweis

Dieses Buch ist für Lernzwecke gedacht. Es stellt keinen Ersatz für eine individuelle medizinische Beratung dar und sollte auch nicht als solcher benutzt werden. Wenn Sie medizinischen Rat einholen wollen, konsultieren Sie bitte einen qualifizierten Arzt. Der Verlag und der Autor haften für keine nachteiligen Auswirkungen, die in einem direkten oder indirekten Zusammenhang mit den Informationen stehen, die in diesem Buch enthalten sind.

1. Auflage 2021

© 2021 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2020 bei Simon & Schuster, Inc. unter dem Titel Keep Sharp. Build a Better Brain at Any Age. © 2020 Dr. med. Sanjay Gupta. All rights reserved.

Foto © Jim Wright

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Übersetzung: Martin Rometsch

Redaktion: Susanne Meinrenken

Umschlaggestaltung: Karina Braun unter Verwendung des Originalcovers

Umschlagabbildung: Jim Wright

Satz: Satzwerk Huber, Germering

eBook: ePUBoo.com

ISBN Print 978-3-7474-0365-5

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96121-751-9

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96121-752-6

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Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.mvg-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de.

Für meine drei Mädchen: Sage, Sky und Soleil – in alphabetischer Reihenfolge, um künftigem Streit vorzubeugen. Ich liebe euch sehr und habe euch schneller wachsen sehen als dieses Buch. Nehmt euch immer die Zeit, ganz im Jetzt zu leben, denn das ist wohl die beste und fröhlichste Methode, um bei scharfem Verstand und glücklich zu bleiben. Ihr seid noch so jung und habt mir dennoch Erinnerungen für ein ganzes Leben gegeben, die ich hoffentlich nie vergessen werde.

Für meine Rebecca, deren Begeisterung nie nachlässt. Wenn unser Leben letztlich nur noch eine Sammlung von Erinnerungen ist, wird mein Leben von Bildern erfüllt sein: von deinem schönen Lächeln und deiner unermüdlichen Unterstützung.

Für alle, die von einem besseren Gehirn träumen: Eines, dass nicht nur frei von Krankheiten ist und keine Traumata erlitten hat, sondern auch so leistungsfähig ist, dass sie zu Höchstleistungen fähig sind und sich an ihre Lebensgeschichte erinnern; von einem Gehirn, das ihnen hilft, die Herausforderungen des Lebens zu bewältigen. Für alle, die immer glaubten, dass ihr Gehirn keine undurchdringliche und unberührbare Blackbox ist, sondern dass sie es hegen und pflegen können, bis es großartiger wird, als sie sich vorstellen konnten.

Die Erinnerung an vergangene Dinge ist nicht unbedingt die Erinnerung an Dinge, wie sie wirklich waren.

MARCEL PROUST

Inhalt

EINFÜHRUNG:
ES IST GAR NICHT SO KOMPLIZIERT

SELBSTTEST: IST IHR GEHIRN IN GEFAHR?

TEIL 1

DAS GEHIRN: LERNEN SIE IHRE INNERE BLACKBOX KENNEN

1 Was macht Sie genau zu dem, der Sie sind?

2 Kognitiver Abbau – neu definiert

3 12 destruktive Mythen und die 5 Pfeiler, auf die Sie bauen können

TEIL 2

DER »BRAIN-TRUST«: WAS KANN ICH TUN, UM MEINE GEISTIGEN FUNKTIONEN ZU ERHALTEN?

4 Das Wunder der Bewegung

5 Die Macht der Zielstrebigkeit, des Lernens und des Entdeckens

6 Schlaf und Entspannung

7 Gedankenfutter

8 Gemeinsam sind wir stark

9 Alles fügt sich zusammen

TEIL 3

DIE DIAGNOSE: WAS SIE TUN MÜSSEN UND WIE SIE DAMIT ERFOLG HABEN

10 Das erkrankte Gehirn: Diagnose und Behandlung

11 Finanziell und emotional auf einem guten Weg; mit einem besonderen Rat für Pflegende

SCHLUSS: DIE GLÄNZENDE ZUKUNFT

DANKSAGUNGEN

ANMERKUNGEN

Einführung

Es ist gar nicht so kompliziert

Im Gegensatz zu den meisten meiner Kollegen wurde ich nicht mit dem innigen Wunsch geboren, Arzt zu werden, schon gar nicht Gehirnchirurg. Als Grundschüler wollte ich Schriftsteller sein, wahrscheinlich beflügelt von einer Schwärmerei für eine Englischlehrerin. Als ich mich für die Medizin entschied, war ich dreizehn, und mein Großvater hatte kurz zuvor einen Schlaganfall erlitten. Wir standen uns sehr nahe, und es war erschütternd mitanzusehen, wie schnell seine Gehirnfunktion sich veränderte. Auf einmal war er unfähig, zu sprechen oder zu schreiben, aber er schien zu verstehen, was andere sagten, und er konnte mit einiger Mühe lesen. Einfach ausgedrückt: Man konnte mühelos mit Worten oder schriftlich mit ihm kommunizieren, aber er konnte nicht auf die gleiche Weise antworten. Damals war ich zum ersten Mal fasziniert von der komplexen und rätselhaften Arbeitsweise des Gehirns. Ich verbrachte viel Zeit im Krankenhaus und ging den Ärzten mit vielen Fragen auf die Nerven. Ich fühlte mich sehr erwachsen, als sie mir geduldig erklärten, was passiert war. Ich beobachtete, wie diese Ärzte meinen Großvater gesund machten, indem sie mit einer kleinen Operation den Blutfluss in seiner verstopften Halsschlagader wiederherstellten, um die Durchblutung des Gehirns zu verbessern und weiteren Schlaganfällen vorzubeugen. Da ich nie zuvor viel Zeit mit Chirurgen verbracht hatte, war ich gefesselt. Ich begann, alles zu lesen, was ich über Medizin und den menschlichen Körper finden konnte. Bald war ich auf das Gehirn fixiert, vor allem auf das Gedächtnis. Es erstaunt mich heute noch, dass unsere Erinnerungen – der Stoff, aus dem unser Selbst besteht – auf unsichtbare neurochemische Signale zwischen winzigen Gehirnarealen reduziert werden kann. Für mich waren diese frühen Expeditionen in die Welt der Gehirnbiologie entmystifizierend und magisch zugleich.

Jahre später, als ich Anfang der 1990er-Jahre Medizin studierte, glaubten die Mediziner, Neuronen (Gehirnzellen) ließen sich nicht regenerieren. Es hieß, wir würden mit einer bestimmten Zahl von Neuronen geboren und leerten diesen Speicher im Laufe unseres Lebens allmählich – und würden diesen Prozess durch schlechte Gewohnheiten wie übermäßigen Alkoholkonsum und Marihuana-Rauchen beschleunigen (ob das stimmt, besprechen wir später). Vielleicht setzte sich der ewige Optimist in mir durch, jedenfalls glaubte ich nie, dass unsere Gehirnzellen einfach aufhören, zu wachsen und sich zu regenerieren. Schließlich haben wir immer wieder neue Ideen, tiefe Erfahrungen und lebhafte Erinnerungen und hören nie auf, zu lernen. Mir schien, dass das Gehirn nicht einfach dahinwelkt, außer wenn wir es nicht mehr benutzen. Als ich dann im Jahr 2000 meine Ausbildung als Neurochirurg abschloss, gab es eine Menge Beweise dafür, dass wir die Entstehung neuer Gehirnzellen (die Neurogenese) fördern und sogar das Gehirnvolumen vergrößern können. Es war ein atemberaubend optimistischer Wandel. Wir sahen das oberste Steuerungssystem unseres Körpers mit neuen Augen. Ja, Sie können Ihr Gehirn an jedem Tag Ihres Lebens besser, schneller, fitter und klüger machen. Davon bin ich überzeugt. (Zu den schlechten Gewohnheiten komme ich später; sie töten nicht unbedingt Gehirnzellen ab, doch wenn wir übertreiben, können sie das Gehirn verändern, vor allem das Gedächtnis.)

Lassen Sie mich gleich zu Beginn sagen: Ich bin sehr für eine gute Ausbildung; aber darum geht es in diesem Buch nicht. Es geht nicht so sehr um einen höheren Intelligenzquotienten (IQ), sondern eher um die Entstehung neuer Gehirnzellen und um größere Effizienz der bereits vorhandenen. Es geht auch weniger darum, eine Liste von Begriffen auswendig zu lernen, bei Prüfungen gut abzuschneiden oder Aufgaben geschickt zu lösen (obwohl alle diese Ziele mit einem besseren Gehirn eher erreichbar sind). Dieses Buch will Ihnen vielmehr zeigen, wie Sie ein Gehirn aufbauen, das Muster verknüpft, die andere übersehen, und das Ihnen hilft, Ihr Leben zu bewältigen. Sie können ein Gehirn entwickeln, das zwischen kurz- und langfristigen Sichtweisen auf die Welt hin- und herwechseln kann und das, vielleicht noch wichtiger, sehr widerstandsfähig (resilient) ist, trotz der Lebenserfahrungen, die andere Menschen möglicherweise stark beeinträchtigen würden. In diesem Buch werde ich Resilienz präzise definieren und Ihnen zeigen, wie Sie Ihre Resilienz stärken. Resilienz war auch ein wesentlicher Bestandteil meiner eigenen Entwicklung.

Der Kontext ist wichtig, wenn es um die Funktion oder Dysfunktion des Gehirns geht. Unsere Ansichten über kognitiven Abbau haben sich im Laufe der Zeit drastisch geändert. Die Geschichte der dokumentierten Berichte über Demenz reicht mindestens bis 1550 v. Chr. zurück, als ägyptische Ärzte im Papyrus Ebers – einer altägyptischen Rezeptsammlung – als Erste diese Krankheit beschrieben. Doch erst 1797 erhielt die Erkrankung den Namen Demenz, was im Lateinischen »von Sinnen« bedeutet. Diesen Begriff prägte der französische Psychiater Philippe Pinel, der als Vater der modernen Psychiatrie verehrt wird, weil er sich für einen menschlicheren Umgang mit psychisch kranken Patienten einsetzte. Als der Begriff Demenz zum ersten Mal benutzt wurde, bezog er sich jedoch auf Menschen mit intellektuellen Defiziten (»Aufhebung des Denkvermögens«) in jedem Alter. Erst Ende des 19. Jahrhunderts schränkte man die Bedeutung auf den Verlust kognitiver Fähigkeiten ein. In demselben Jahrhundert führte der britische Arzt James Cowles Prichard in seinem Buch Abhandlung über Wahnsinn den Begriff senile Demenz ein. Das Wort senil, das »alt« bedeutet, bezog sich auf alle geistigen beziehungsweise psychischen Störungen, die bei alten Menschen vorkommen. Da Gedächtnisstörungen das auffallendste Symptom der Demenz sind, wurde das Wort Demenz meist mit dem Alter in Verbindung gebracht.

Lange Zeit galten ältere Menschen mit Demenz als verflucht oder als Patienten mit Syphilis, einer Infektionskrankheit (weil die Symptome der Demenz der Syphilis ähneln können). Darum wurde das Wort Demenz abwertend benutzt und als Beleidigung aufgefasst. Als ich meinen Kindern zum ersten Mal erklärte, dass ich an diesem Buch schrieb, fragten sie mich, ob es darin um Dementoren gehe, die dunklen Seelenfresser in den Harry-Potter-Büchern. Es lohnt sich, hier kurz über die Auffassung zu sprechen, die Demenz – die keine spezifische Krankheit ist, sondern eine Gruppe bestimmter Symptome beschreibt, zu der Gedächtnisstörungen und schlechtes Urteilsvermögen gehören – sei etwas Negatives.

Auf der einen Seite verwenden Wissenschaftler und Ärzte den Begriff Demenz, um eine Diagnose zu benennen, und auf der anderen Seite wissen Patienten und ihre Angehörigen nicht immergenau, was sie sich darunter vorstellen sollen, vor allem wenn sie die Diagnose zum ersten Mal hören. Erstens ist der Begriff zu ungenau. Demenz kann ein Spektrum sein, das von leicht ausgeprägt bis schwer reicht, und manche Ursachen der Demenz sind so gut zu behandeln, dass der Patient wieder gesund wird. Die Alzheimer-Krankheit, die mehr als die Hälfte aller Demenzfälle ausmacht, erhält fast die gesamte Aufmerksamkeit und daher werden die Begriffe Demenz und Alzheimer oft gleichbedeutend verwendet. Das aber ist nicht richtig. Allerdings ist das Wort Demenz heute Teil der Umgangssprache, ebenso wie der enge Bezug zur Alzheimer-Krankheit. In diesem Buch verwende ich daher beide Begriffe, in der Hoffnung, dass die Sprache und die Worte, die wir benutzen, um die vielen Arten des kognitiven Abbaus zu beschreiben, sich in Zukunft ändern werden.

Allerdings finde ich es nicht angebracht, alle diese vielen Krankheiten als »Alzheimer« zu bezeichnen. Das hat nämlich dazu geführt, dass viele Menschen ganz allgemein davor Angst haben, dass ein Verlust ihres Gedächtnisses mit dem Alter unvermeidlich sei. Völlig gesunde junge Leute in ihren 30er- und 40er-Jahren machen sich wegen simpler Gedächtnisstörungen Sorgen, zum Beispiel wenn sie ihre Schlüssel verlegen oder jemandes Namen vergessen. Das ist eine unnötige Furcht. Wie Sie noch erfahren werden, ist Gedächtnisschwund kein vorherbestimmter Teil des Alterns.

Als ich durch die Welt reiste, um mit Menschen über dieses Buch zu reden, fiel mir etwas Ungewöhnliches auf. Eine Umfrage der AARP (American Association of Retired Persons) ergab, dass 93 Prozent der Menschen im Alter von 34 bis 75 Jahren wissen, wie wichtig ein gesundes Gehirn ist, dass jedoch die gleichen Leute meist nicht wissen, wie sie ihr Gehirn gesünder machen können. Sie wissen nicht einmal, dass das möglich ist. Die meisten glauben, dieses rätselhafte Organ im Schädel sei eine Art Blackbox, unberührbar und unfähig, gesünder zu werden. Das stimmt nicht. Sie können die Leistung Ihres Gehirns ein Leben lang steigern, einerlei, wie alt Sie sind und welche Mittel Ihnen zur Verfügung stehen. Ich habe diese Blackbox geöffnet und das menschliche Gehirn berührt und ich werde Ihnen in diesem Buch alles über diese außergewöhnlichen Erfahrungen berichten. Dank meiner Ausbildung und jahrzehntelangen zusätzlichen Lernens bin ich mehr denn je davon überzeugt, dass wir das Gehirn zu seinem Vorteil verändern können: Wir können es verbessern und seine Leistung »tunen« (sozusagen wie einen Motor). Wahrscheinlich erwarten Sie das Gleiche von Ihren Muskeln, sogar vom Herzen, das ebenfalls ein Muskel ist. Wenn Sie dieses Buch lesen, kümmern Sie sich wahrscheinlich aktiv um Ihre Gesundheit. Es ist Zeit, zu begreifen, dass Sie auch für Ihr Gehirn etwas tun können. Sie können Ihre Denkleistung und Ihr Gedächtnis viel stärker beeinflussen, als Sie es für möglich halten. Aber die weitaus meisten Menschen haben noch nicht einmal angefangen, es zu versuchen. Dieses Buch hilft Ihnen, Ihr eigenes »Gehirnprogramm« zu erstellen, das sich mühelos in Ihr tägliches Leben einfügt. Ich habe das bereits getan und freue mich darauf, es auch Ihnen beizubringen.

Für einen akademischen Neurochirurgen und Journalisten sind Ausbilden und Erklären wichtige Teile seines Berufes. Ich habe gelernt, dass meine Ratschläge nur dann befolgt werden, wenn ich auch darlege, warum etwas wichtig ist, nicht nur, was wichtig ist. Darum erkläre ich in diesem Buch, warum Ihr Gehirn so und nicht anders arbeitet und warum es manchmal nicht tut, was Sie sich erhofft haben. Wenn Sie diese inneren Vorgänge verstanden haben, ergeben meine Empfehlungen einen Sinn und lassen sich leicht in den Alltag integrieren.

Selbst wenn es um unsere allgemeine körperliche Gesundheit geht, wird im öffentlichen Diskurs kaum erklärt, wie unser Körper arbeitet und wie er noch besser arbeiten kann. Schlimmer noch, die Mediziner sind sich nicht einig darüber, was wir essen sollen, wie wir uns bewegen sollen und wie viel Schlaf wir brauchen. Deshalb gibt es so viele widersprüchliche Empfehlungen. Kaffee ist heute ein Supermittel, morgen ein Karzinogen (eine Substanz, die das Krebsrisiko erhöht). Die heftigen Diskussionen um Gluten hören auch nicht auf. Curcumin, in der Gelbwurz enthalten, wird als Wundermittel für das Gehirn angepriesen; aber was bedeutet das? Statine haben anscheinend sozusagen eine gespaltene Persönlichkeit, zumindest in Fachkreisen: Einige Studien lassen darauf schließen, dass Statine das Demenzrisiko senken und die Kognition verbessern; andere Studien deuten das genaue Gegenteil an. Die Einnahme von Vitamin-D-Tabletten wird ständig kritisch beleuchtet. Einige Leute schwören darauf, aber eine Studie nach der anderen zeigt keinen Nutzen.

Wie soll ein normaler Mensch mit diesen widersprüchlichen Aussagen umgehen? Fast alle sind sich darin einig, dass Toxine (Giftstoffe) und Pathogene (krankheitserregende Substanzen) vom Quecksilber bis zu Schimmelpilzen der Gesundheit schaden. Aber wie steht es mit bestimmten künstlichen Inhaltsstoffen oder auch mit dem Leitungswasser? Eine neue kanadische Studie belegt, dass Fluoride im Trinkwasser schwangerer Frauen dazu führen können, dass ihre Kinder später einen etwas niedrigeren IQ haben1. Aber fluoridiertes Wasser hat eindeutig Vorteile für die Zähne und wird von den meisten Ärzteorganisationen (zum Beispiel in den USA) immer noch empfohlen. (Anmerkung des Lektorats: In Deutschland ist das Trinkwasser nicht fluoridiert.) Obendrein endet so ziemlich jeder Arztbesuch mit dem allgemeinen Ratschlag, sich gut auszuruhen, gesund zu essen und sich ausreichend zu bewegen. Klingt das vertraut? Ja, es ist ein guter Rat, aber es gibt fast keine Übereinstimmung darüber, was es im täglichen Leben bedeutet. Welche Ernährungsweise ist ideal? Ist sie für jeden Menschen gleich? Und wie sollen wir uns bewegen? Sehr intensiv oder lange und geruhsam? Braucht jeder Mensch acht Stunden Schlaf oder kommen einige mit viel weniger Schlaf aus? Warum? Welche Medikamente und Supplemente (Nahrungsergänzungsmittel) sollen wir mit Rücksicht auf individuelle Risikofaktoren einnehmen? Was die Gesundheit des Gehirns anbelangt, fehlt es sowohl Laien als auch Ärzten an Grundwissen. Hat Ihnen jemals ein Arzt geraten, gut für Ihr Gehirn zu sorgen, abgesehen von dem Rat, beim Radfahren einen Helm zu tragen? Wahrscheinlich nicht.

Ich werde Ihnen sagen, was Sie wissen müssen und was Sie tun sollen. Wenn Sie das bereits kompliziert finden, machen Sie sich keine Sorgen. Ich führe Sie Schritt für Schritt durch das Programm. Sie werden bald mehr über Ihr Gehirn wissen als je zuvor, und Sie werden die Mittel und Wege, es gesund zu erhalten, genau verstehen. Stellen Sie sich dieses Buch als Lehrgang vor, der Ihnen beibringt, wie Sie Ihr Gehirn verbessern und damit die Tür für alles öffnen können, was Ihnen im Leben wichtig ist. Sie können ein besserer Vater oder Sohn oder eine bessere Mutter oder Tochter sein. Sie können produktiver und fröhlicher sein und mit allen Menschen besser auskommen. Und Sie werden Ihre überaus wichtige Resilienz steigern, damit die Optimierung Ihres Gehirns nicht an den Belastungen des Alltags scheitert. Alle diese Ziele hängen viel enger zusammen, als Sie ahnen.

Es mag kühn sein, zu glauben, dass es immer ein besseres Morgen gibt, aber diese Einstellung hat mein Leben mitgeprägt. Seit ich ein Teenager war, habe ich stets hart an meiner körperlichen Gesundheit gearbeitet, um stärker, schneller und widerstandsfähiger gegen Krankheiten und Verletzungen zu werden. Jeder hat andere Gründe, für seine Gesundheit zu sorgen. Viele wollen sich besser fühlen und mehr leisten und andere wollen für ihre Kinder da sein oder ihr äußeres Erscheinungsbild verbessern. Wenn wir älter werden, ist die Einsicht, dass wir sterblich sind und dass das Leben fragil ist, oft das wichtigste Motiv. So war es auch bei mir. Im Alter von erst 47 Jahren bekam mein Vater bei einem Spaziergang heftige Schmerzen in der Brust. Ich erinnere mich noch an den Telefonanruf meiner erschrockenen Mutter und an die Stimme einer Notrufmitarbeiterin, mit der ich kurz danach sprach. Ein paar Stunden später bekam er vier Bypässe eingesetzt. Es war eine furchterregende Tortur für unsere Familie, und wir hatten Angst, dass er die Operation nicht überleben würde. Ich war damals ein junger Medizinstudent und ziemlich sicher, dass ich ihn nicht gut beraten hatte. Hätte ich nicht die Warnsignale sehen, ihm Gesundheitsratschläge geben und ihm helfen müssen, sein Herz gesund zu erhalten? Zum Glück überlebte er, und das Vorbeischrammen am Tod änderte sein Leben vollständig. Er nahm 13 Kilogramm Gewicht ab, achtete genau auf seine Ernährung und trieb regelmäßig Sport.

Jetzt bin ich älter, als er damals war, und habe selbst Kinder. Deshalb will ich nicht nur lernen, wie ich Krankheiten vorbeugen kann, sondern ich bewerte auch ständig meinen Gesundheitszustand, weil ich mein Bestes im Leben geben will. In den letzten paar Jahrzehnten habe ich zudem die enge Verbindung zwischen dem Herzen und dem Gehirn erforscht. Was für das Herz gut ist, das ist auch für das Gehirn gut, aber ich glaube heute, dass alles mit dem Gehirn beginnt. Sobald Ihr Gehirn sauber und störungsfrei arbeitet, kommt alles andere von selbst. Sie treffen bessere Entscheidungen, Sie sind widerstandsfähiger und optimistischer und der ganze Körper wird gesünder. Studien belegen, dass auch die Schmerztoleranz zunimmt, dass Sie weniger Medikamente brauchen und dass Sie schneller genesen. Fast jeder Arzt, mit dem ich über dieses Buch gesprochen habe, sagte sinngemäß: Um den Körper optimal zu versorgen, müssen wir zuerst für den Geist sorgen. Das stimmt, und es ist gar nicht schwer zu erreichen. Sie müssen nur ab und zu kleine Veränderungen und Anpassungen vornehmen, ohne Ihr ganzes Leben zu ändern.

Bevor ich erkläre, um welche Änderungen es geht und warum sie wirken, möchte ich ein wenig philosophieren. Im Laufe der Jahre habe ich in vielen verschiedenen Bereichen der Gesellschaft gearbeitet: als Neurochirurg in Universitätskliniken, als Arzt im Weißen Haus, als Journalist, als Ehemann und als Vater von drei starken, klugen und hübschen Mädchen. Und immer habe ich mich an einen Grundsatz gehalten, den ich schon in jungen Jahren gelernt habe: Versuche nicht, Menschen Angst zu machen, um sie zu inspirieren. Das nützt wenig, und wenn du jemandem Angst einjagst, aktivierst du seine Amygdala, das emotionale Zentrum im Gehirn. Die Reaktion ist schnell und heftig, so wie bei einer drohenden Gefahr. Das Problem liegt darin, dass eine Aktion, die in der Amygdala beginnt, die Hirnregionen umgeht, die für das vernünftige Handeln zuständig sind. Infolgedessen kann die Reaktion ungestüm und jäh erfolgen, aber oft auch unkoordiniert und flüchtig. Wenn wir den Menschen vorhalten, dass sie entweder abnehmen oder mit einem Herzinfarkt rechnen müssen, halten sie vielleicht eine Woche lang eine Diät ein und treiben Sport, um dann abrupt in die schlechten alten Gewohnheiten zurückzufallen. Angst führt nie zu einer langfristigen, effektiven Strategie, weil das nicht unserer Natur entspricht. Dieser Grundsatz ist nirgendwo so wichtig wie im Zusammenhang mit der Nachricht, man würde möglicherweise im Alter an Alzheimer erkranken.

Viele Umfragen belegen, dass die Menschen den Verlust ihres Verstandes mehr fürchten als alles andere, sogar mehr als den Tod. Für viele ist dies der Fluch des Alters. Einmal bekam auch ich große Angst vor kognitivem Abbau und Demenz, als einer meiner Großväter die Stadien der Alzheimer-Krankheit durchmachte. Anfangs schien er bei Gesprächen verwirrt zu sein. Da er gerne Späße machte und gerne lachte, dachten wir, er mache vielleicht Scherze, die wir nicht recht verstanden. Was ihn schließlich verriet, war das leere Starren, das sich in Erstaunen und dann in Panik verwandelte, als er merkte, dass er sich nicht mehr an die einfachsten Verrichtungen erinnern und nicht mehr planvoll handeln konnte. Ich werde diesen Blick nie vergessen – zumindest hoffe ich, ihn nie zu vergessen.

Aber nicht die Angst vor Demenz sollte der Grund dafür sein, dass Sie dieses Buch lesen, sondern die Überzeugung, dass Sie in jedem Alter ein besseres Gehirn aufbauen können. Ich werde Ihnen zeigen, wie das geht, und erklären, warum diese Methoden effektiv sind. Ich möchte nicht, dass Sie vor irgendetwas weglaufen. Ich möchte, dass Sie auf etwas zulaufen – auf ein Gehirn, das in Höchstform ist, solange Sie auf diesem Planeten leben.

Als ich vor mehr als 25 Jahren Neurochirurg wurde, kam mir die Idee, mein Gehirn zu »verbessern«, ziemlich abwegig vor. Schließlich war ich ausgebildet worden, um Tumoren zu entfernen, Aneurysmen (gefährlich erweiterte Blutgefäße) abzuklemmen, den infolge von Blut- und Flüssigkeitsansammlungen erhöhten Hirndruck zu senken und so weiter. Selbst heute kann kein Neurochirurg ins Gehirn eindringen und dort die rund hundert Milliarden Neuronen so justieren, dass das Organ intelligenter wird und weniger zum Abbau neigt. Herzchirurgen können Plaque (Beläge) in Herzgefäßen entfernen, aber ich kann die sogenannten neurofibrillären Bündel oder Knäuel (NFT), die oft mit der Alzheimer-Krankheit einhergehen, nicht wegfräsen. Keine Operation und kein Medikament kann Alzheimer heilen oder einen Menschen klüger und kreativer machen oder ihm zu einem besseren Gedächtnis verhelfen oder ihn befähigen, die große Erfindung zu machen, die die Welt braucht.

Das Gehirn unterscheidet sich von allen anderen Organen. Man kann ein Gehirn nicht wie ein Herz (oder eine Leber, eine Niere oder ein Gesicht) transplantieren, und unser Wissen über das Gehirn steckt noch in den Kinderschuhen und wächst ständig. Vor Kurzem gelangte ich zu einer erstaunlichen Erkenntnis, als ich eine Diskussion für die American Academy of Neurological Surgery leitete. Die Teilnehmer gehörten zu den besten Experten für Gehirnerschütterungen. Sie waren Mediziner, Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums und kamen aus dem Bereich der Technik. Obwohl sie alle die großen Fortschritte lobten, die wir gemacht haben, gab es keine klare Übereinstimmung darüber, was die Behandlung einer Gehirnerschütterung anbelangte, obwohl diese in den USA Millionen Male im Jahr diagnostiziert wird. Es gab kaum veröffentlichte Daten über erfolgreiche Therapien. Viele Empfehlungen basieren heute nur auf anekdotischen (vereinzelten) Berichten2. Selbst Themen wie Ruhe – wie lange soll sich ein Gehirn nach einer Gehirnerschütterung ausruhen? – waren umstritten. Sollen wir während der Genesung Tätigkeiten einschränken, die Konzentration und Aufmerksamkeit erfordern, oder sollen wir sie ausweiten? Kann leichter Sport, zum Beispiel schnelles Gehen auf einem Laufband, die Genesung fördern? Ich hörte Meinungen aller Art, aber kaum eine stützte sich auf Beweise. Wie gesagt, die Teilnehmer gehörten zu den besten Experten der Welt für Gehirnverletzungen.

Sicherlich haben wir große Fortschritte gemacht, seit Aristoteles behauptete, das Herz sei der Sitz des Verstandes und das Gehirn sei eine Art Kühlsystem, das das feurige Herz und das heiße Blut abkühle. Trotzdem gibt es heute noch mehr Fragen als Antworten zum Gehirn. Wir wissen, wie Gedanken und Handlungen entstehen, und wir kennen den Hippocampus, die beiden winzigen, Seepferdchen ähnelnden Strukturen im Gehirn, die für das Gedächtnis wichtig sind. Aber wir können immer noch nicht viel gegen kognitiven Abbau und Demenz tun. Es gibt zwar weniger Fälle von Herz-Kreislauf-Krankheiten und bestimmten Krebsarten als vor einer Generation, doch was Gehirnstörungen anbelangt, gehen die Zahlen in die andere Richtung. Laut einer Studie der University of California in Los Angeles gibt es bei 47 Millionen Amerikanern Anzeichen für eine sogenannte präklinische Alzheimer-Krankheit. Das bedeutet, dass das Gehirn der Betroffenen sich nachteilig verändert hat, obwohl noch keine Symptome aufgetreten sind. Oft dauert es nach solchen ersten Anzeichen noch Jahre, bis das Gedächtnis, das Denkvermögen und das Verhalten offenkundig gestört sind3. Das Problem ist, dass wir nicht unbedingt wissen, wer diese 47 Millionen Menschen sind und bei welchem sich eine ausgewachsene Alzheimer-Krankheit entwickeln wird. Wir wissen immerhin, dass die Zahl der Amerikaner mit Alzheimer-Demenz oder kognitiven Störungen bis 2060 von sechs auf 15 Millionen zunehmen wird4. Alle vier Sekunden wird ein neuer Fall von Demenz diagnostiziert, und bald wird die Demenz die häufigste neurodegenerative Störung unserer Zeit sein. Weltweit wird die Zahl der Alzheimer-Kranken im Jahr 2050 auf 152 Millionen steigen – eine Zunahme von 200 Prozent seit 2018. Obwohl die Wissenschaft ständig versucht dagegenzuhalten, hat es seit 2002 keine einzige neue Therapie gegeben, trotz der mehr als 400 Studien zu Alzheimer5. Deshalb wird die Kluft zwischen den Neurowissenschaften und guten Medikamenten oft als »Tal des Todes« bezeichnet6. Das sind schlechte Nachrichten.

Aber es gibt auch gute Nachrichten: Selbst ohne große medizinische Durchbrüche können wir unser Gehirn auf verschiedene Weise optimieren, damit es besser arbeitet. Wir können die neuronalen Netze stärken, das Wachstum neuer Neuronen fördern und altersbedingte Gehirnkrankheiten eindämmen. Denken Sie bei der Lektüre dieses Buchs immer daran, dass der kognitive Abbau nicht unvermeidlich ist. Stellen Sie sich als Analogie ein historisches Gebäude vor, das mehr als 100 Jahre alt ist. Wäre es nicht jahrzehntelang gepflegt worden, hätten das Wetter und ständige Abnutzung mit Sicherheit einen Verfall bewirkt. Aber dank ständiger Reparaturen und gelegentlicher Renovierungen hat es dem Zahn der Zeit widerstanden und wird sogar für seine Schönheit, seine Bedeutung und seine Berühmtheit gerühmt. Das Gleiche gilt für das Gehirn, das ebenfalls ein Gebilde aus verschiedenen Bestandteilen ist und gepflegt werden muss. Einige der Methoden, die ich Ihnen vorstellen werde, tragen dazu bei, ein Gerüst für das Gehirn aufzubauen, eine unterstützende Struktur, die stärker und stabiler sein wird als diejenige, die Sie jetzt haben. Diese Methoden helfen Ihnen, einige erste »Renovierungen« vorzunehmen, unter anderem durch eine Verstärkung des »Fundaments« Ihres Gehirns. Weitere Strategien sorgen für das Rohmaterial und für die ständige Pflege und bauen eine »kognitive Reserve« auf, die Wissenschaftler als »Gehirnresilienz« bezeichnen. Eine größere kognitive Reserve senkt das Demenzrisiko. Außerdem gibt es Methoden, die mit dem täglichen Putzen und Aufräumen im Haushalt vergleichbar sind, weil sie die Gehirnfunktion verbessern. Früher glaubte man, das Gehirn sei nach der Kindheit ein ziemlich starres und festverdrahtetes Gebilde. Heute können wir mit neuen bildgebenden Verfahren einen Blick ins Gehirn werfen und seine sich ständig verändernden Funktionen untersuchen. Wir kennen also die Wahrheit.

Wenn Sie an Ihr Herz denken, haben Sie wahrscheinlich eine ganz gute Vorstellung davon, was ihm schadet: bestimmte Nahrungsmittel, Bewegungsmangel, ein hoher Cholesterinspiegel. Aber was ist mit Ihrem Gehirn? Vieles, was dem Herzen schadet, ist auch dem Gehirn abträglich, aber es ist auch eine hochempfindliche Antenne, die jeden Tag Millionen von Signalen empfängt. Die Art und Weise, wie Sie diese Inputs verarbeiten, kann die Gehirnfunktion erheblich verbessern. Ich kenne viele Menschen, die niedergeschmettert sind, wenn sie die Nachrichten in der Zeitung lesen, während andere ungerührt bleiben. Ihre Erlebnisse und Erfahrungen können Ihr Gehirn stärken, zum Beispiel ein tolles körperliches Workout, oder sie können es schwächen und krank machen. Was unterscheidet beide Gruppen von Menschen? Die Antwort lautet: Resilienz. Ein robustes Gehirn kann Traumata verkraften, kreativ denken, Krankheiten – auch der Depression – widerstehen, ein gutes Gedächtnis bewahren und Höchstleistungen vollbringen.

Mehr noch, ein widerstandsfähiges Gehirn unterscheidet strategische, visionäre Denker von eher durchschnittlichen. Es muss also nicht der IQ oder das Bildungsniveau sein. Entscheidend ist die Fähigkeit, die Gehirnfunktion durch Herausforderungen zu verbessern, anstatt das Gehirn schrumpfen zu lassen. Das alleine sollte Sie motivieren, ein besseres Gehirn aufzubauen. Wenn Sie Ihr ganzes Potenzial verwirklichen wollen, ist dieses Buch das richtige für Sie. Wenn Sie lernen möchten, dem kognitiven Abbau oder der Demenz vorzubeugen, von denen Angehörige betroffen waren, wurde dieses Buch für Sie geschrieben. (Wir wissen heute, dass Krankheiten wie Alzheimer 20 bis 30 Jahre vor dem Auftreten von Symptomen entstehen; deshalb müssen auch junge Menschen vorbeugen.) Wenn Sie nur Methoden suchen, die Ihr Gehirn gesund erhalten, damit Sie Ihr Leben voll genießen und fast unvernünftig stark produktiv sein können, ist dieses Buch ebenfalls für Sie bestimmt, egal wie jung Sie sind. Ganz egal, ob Sie an einer chronischen Krankheit leiden oder Spitzensportlerin sind, schon morgen kann es Ihnen besser gehen. Die meisten Menschen, auch ich, tun nicht annähernd genug, um uns zu verbessern. Während ich dieses Buch schrieb, probierte ich alles aus, was ich Ihnen empfehle, und jetzt ist mein Gehirn leistungsfähiger als je zuvor. Das Gleiche wünsche ich Ihnen, und ich werde Sie davon überzeugen, dass schon kleine, schrittweise Veränderungen sich enorm auszahlen können.

Im Jahr 2017 begann ich mit der AARP zusammenzuarbeiten (die früher »American Association of Retired Persons«, also Amerikanische Vereinigung der Ruheständler, hieß, sich nun aber an ein breiteres Publikum wendet, zumal viele Menschen nie in den »Ruhestand« gehen). Wie ich hält die AARP dieses Buch für dringend notwendig, denn sie weiß, dass Menschen sich vor einem alternden Gehirn fürchten und weder ihre kognitive Leistungsfähigkeit noch ihre Selbstständigkeit verlieren wollen. Die AARP hat den Global Council on Brain Health (Globaler Rat für Gehirngesundheit) gegründet, um Wissenschaftler, Mediziner und Politiker aus der ganzen Welt zusammenzubringen. Sie verfolgen das Ziel, Menschen optimal zu beraten, die ihr Gehirn gesund erhalten und leistungsfähiger machen wollen. Die Leiterin der GCBH ist Marilyn Albert, Professorin für Neurologie an der Johns Hopkins University und Direktorin des Fachbereichs kognitive Neurowissenschaften.

Seit 2016 hat der GCBH 94 Experten aus 23 Ländern und von 80 Universitäten und Organisationen zusammengeführt, um über den Stand der Wissenschaft zu beraten. Zusammen mit 50 Kontaktpersonen in der Regierung und in gemeinnützigen Organisationen hat der GCBH eine Bibliothek aus Berichten zusammengestellt, deren wissenschaftlich begründete Empfehlungen aufzeigen, wie unsere Lebensführung und vermeidbare Risikofaktoren die Gesundheit des Gehirns beeinflussen. Da ich diesen Gremien angehöre, habe ich beschlossen, dieses gesammelte Wissen – und eine Menge mehr – in ein Buch zu packen. Ich habe auch mit Menschen gesprochen, die selbst an Demenz litten, und mit anderen, die ihr Leben lang versuchten, die Demenz zu verstehen und zu behandeln. Und schließlich habe ich meine lebenslange Faszination und mein Wissen vom Gehirn genutzt, um die enorme Menge von Informationen, die verfügbar ist, zu einem einzigen Buch zu destillieren, damit Sie einen scharfen Verstand behalten können. Manches wird Sie überraschen. Ich werde viele Mythen entlarven, an die Sie wahrscheinlich glauben, und Ihnen genau sagen, was Sie in diesem Augenblick tun können, um morgen schärfer denken zu können. (Vorab: Meiden Sie Multitasking, lesen Sie nicht den ganzen Vormittag E-Mails, pflegen Sie Ihre sozialen Kontakte, beginnen Sie eine der regelmäßigen Aktivitäten, von denen man aus wissenschaftlichen Studien sicher weiß, dass sie die Gesundheit des Gehirns unmittelbar verbessert – siehe Kapitel 4). Wenn ich etwas empfehle, was umstritten ist (denn es gibt zahlreiche widersprüchliche Empfehlungen, wenn es um die Gesundheit des Gehirns geht), dann werde ich darauf hinweisen. Das Problem ist: Wenn die Wissenschaft keine anerkannten Beweise auf der Basis von Langzeitstudien hat, ist alles, was sich – zum Guten oder zum Schlechten –durchsetzt, eine Theorie, eine Meinung oder Zukunftsmusik.

Ein Wort werden Sie in diesem Buch oft lesen: Lebensweise oder Lebensstil. In wissenschaftlichen Kreisen wird immer klarer, dass die genetischen Karten, die uns mit der Geburt zugeteilt werden, nicht unser Verhängnis sind. Wenn eine bestimmte Krankheit bei Ihnen in der Familie liegt, können Sie die Segel zu Ihren Gunsten anders setzen und diesem Schicksal entrinnen. Unsere alltäglichen Erfahrungen – was wir essen, wie viel Sport wir treiben, wie gesellig wir sind, wie gut wir schlafen, was wir tun, um Stress abzubauen und zu lernen – sind viel wichtiger für die Gesundheit des Körpers und des Gehirns, als wir es uns vorstellen. Hier ist ein anschauliches und faszinierendes Beispiel. Eine neue Studie, die 2018 in der Fachzeitschrift Genetics veröffentlicht wurde, stellte fest, dass ein Ehepartner oder eine Ehepartnerin die Lebensdauer stärker beeinflusst als die Gene7. Und zwar erheblich! Warum? Weil unsere täglichen Verhaltensweisen beziehungsweise unser Lebensstil auf unsere Entscheidungen in Bezug auf die Ehe viel mehr Einfluss haben als auf die meisten anderen Entscheidungen. Die Forscher analysierten auch Geburts- und Todesdaten von Personen aus fast 55 Millionen Stammbäumen, die 406 Millionen Menschen umfassten, deren Geburt ins 19. Jahrhundert oder in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts fiel. Wie sich herausstellte, waren die Gene für deutlich weniger als sieben Prozent der Lebensdauer eines bestimmten Menschen verantwortlich, nicht für 20 bis 30 Prozent, wie man bis dahin geschätzt hatte. Das bedeutet, dass mehr als 90 Prozent unserer Gesundheit und eines langen Lebens in unseren eigenen Händen liegen.

Als ich 2019 auf der internationalen Konferenz der Alzheimer Association die vielen Erkenntnisse meiner Forschungskollegen zusammentrug, stach eine Tatsache heraus: Eine gesundes Lebensführung kann unser Risiko für eine schwere kognitive Störung, einschließlich Alzheimer, erheblich senken, selbst wenn genetische Risikofaktoren vorliegen. Gute Ernährung, regelmäßiger Sport, Verzicht aufs Rauchen, geringer Alkoholkonsum und einige weitere überraschende Aspekte des Lebensstils können Ihr Schicksal ändern, und zwar unabhängig davon, was Ihre Gene sagen. Vor ein paar Jahren erlebte ich aus erster Hand, dass ein gesunder Lebensstil jemandem half, seinem genetisch bedingten erhöhten Risiko für eine Herzkrankheit zu entrinnen. Heute wissen wir, dass für Demenz das Gleiche gilt. Machen Sie sich also weniger Sorgen über Ihre Gene und benutzten Sie sie nicht mehr als Ausrede. Konzentrieren Sie sich stattdessen auf die großen und kleinen Entscheidungen, die Sie tagein, tagaus treffen.

Ich glaube, dass wir unserem Körper und unserem Gehirn lange Zeit zu passiv gegenüberstanden. Fast während der gesamten Medizingeschichte taten die Ärzte nichts, als auf Krankheiten oder Funktionsstörungen zu warten und dann die Symptome zu behandeln. Um die eigentlichen Ursachen der Probleme kümmerten sie sich nicht. Als wir uns weiterentwickelten und mehr Wissen erwarben, entdeckten wir, dass wir Krankheiten aufspüren und diagnostizieren können, bevor sie in ihr fortgeschrittenes Stadium eintreten. Dennoch wurde kaum etwas getan, um Krankheiten bereits zu behandeln, bevor sie offenkundig wurden. Im Laufe der vergangenen paar Jahrzehnte haben wir begonnen, uns mehr auf frühe Interventionen und seit Kurzem auch auf die Vorbeugung zu konzentrieren. Aber wenn es um die Gehirngesundheit geht, unternehmen wir immer noch wenig oder gar nichts. Das müssen wir ändern. Ich bin fest davon überzeugt – und stehe damit nicht allein –, dass die Behandlung des kognitiven Abbaus sich auf die beiden Säulen Vorbeugung und frühzeitige Intervention beziehungsweise Therapie stützen muss. Noch eine dritte ist meiner Ansicht nach wichtig: die Optimierung, also kontinuierlich daran zu arbeiten, ein besseres und widerstandsfähigeres Gehirn aufzubauen.

Zahlreiche Bücher wurden über die Verbesserung der Gehirnfunktionen und die langfristige Gesundheit des Gehirns geschrieben, aber viele von ihnen sind voreingenommen, stützen sich nicht auf Fakten und sind von begrenztem Wert. Besonders kritisch sehe ich persönlich Bücher über das Gehirn, die für ein Produkt werben. Ich verkaufe (außer diesem Buch) nur Wissen über das Gehirn und über Methoden, es zu verbessern. Ich möchte einen umfassenden Überblick über die Forschungsergebnisse geben und praktische Ratschläge anbieten, die jeder sofort anwenden kann. Ich sage nicht »Tun Sie das, aber nicht jenes«; allerdings weise ich auf einige allgemeingültige Regeln hin. Wie Sie trachte ich nach dem Besten, was die Wissenschaft zu bieten hat; aber die Empfehlungen müssen auch praktischen Wert haben.

Wenn Sie dieses Buch lesen, dürfen Sie jedoch nie vergessen, dass eine Methode, die Ihnen persönlich hilft, den kognitiven Abbau zu verhindern, nicht unbedingt auch anderen Menschen hilft. Ich habe das Gehirn viele Jahre lang untersucht, ich habe Gehirne operiert und mit den besten Wissenschaftlern zusammengearbeitet. Dabei habe ich gelernt, dass jeder Mensch einzigartig ist. Deshalb muss jedes Gesundheitsprogramm für das Gehirn umfassend sein und sich auf unbestreitbare Tatsachen stützen. Genau das biete ich mit diesem Buch an. Es gibt keine geheime Arznei und kein Mittel, das jedem gleich gut hilft (glauben Sie niemandem, der das Gegenteil behauptet); aber es gibt einfache Maßnahmen, die wir alle sofort treffen können und die die kognitiven Funktionen und die langfristige Gesundheit des Gehirns nachhaltig beeinflussen.

Ich freue mich darauf, die neuesten Forschungsergebnisse mit Ihnen zu teilen und Ihnen einen personalisierten Aktionsplan vorzustellen, der Ihnen zu einem leistungsfähigeren Gehirn verhilft – ein Leben lang. Das ist ein anspruchsvolles Ziel!

Über dieses Buch

Die meisten Menschen nutzen immer nur 50 Prozent ihrer Gehirnkapazität. Das ist meine persönliche Schätzung. Ich weiß nicht genau, wie hoch der Prozentsatz ist (niemand weiß das), aber es ist klar, dass wir mit bestimmten Verhaltensänderungen – zum Beispiel mit Meditation oder mit regelmäßigem gutem Schlaf – den Hyperantrieb unseres Gehirns einschalten können. (Übrigens: Es stimmt nicht, dass wir nur zehn Prozent unseres Gehirns nutzen; siehe Kapitel 3). Wir wissen, dass unser Gehirn viel mehr leisten kann, als es normalerweise der Fall ist. Gleicht das Gehirn also eher einer Mutter, die mit übermenschlicher Kraft ein Auto hochhebt, unter dem ihr Kind eingeklemmt ist? Oder ist das Gehirn ein hochleistungsfähiger Ferrari, der auf holprigen Straßen dahinzuckelt und nie Vollgas gibt? Ich glaube, Letzteres ist richtig. Wir fahren mit unserem vorzüglich konzipierten Gehirn zu selten auf guten Straßen, und nach einer Weile vergessen wir, was unser Gehirn wirklich leisten kann.

Sie werden in diesem Buch einige Male von Autos lesen, weil sie meine Erziehung widerspiegeln. Meine Eltern arbeiteten in der Autoindustrie. Meine Mutter war die erste Frau, die Ford jemals als Ingenieurin einstellte. Deshalb bastelte oft meine ganze Familie an den Wochenenden an unserem Auto herum, als ich heranwuchs. Unsere Garage war mit Werkzeugkästen vollgestopft und erinnert mich daran, dass der menschliche Körper sich eigentlich nicht sehr von dem Ford unterscheidet, den wir reparierten. Beide haben Motoren und Pumpen und sind auf Treibstoff angewiesen. Ich glaube, unsere Gespräche beflügelten mein Interesse am Gehirn, weil dieser eine Körperteil mechanisch wirklich nicht mit einem Auto verglichen werden kann. Schließlich hat ein Auto kein Bewusstsein, einerlei, wie gründlich wir es polieren. Trotzdem ist es mir fast unmöglich, das Gehirn zu betrachten, ohne an Pflege und Tuning zu denken. Ist ein Ölwechsel fällig? Verwende ich das richtige Benzin? Drehe ich den Motor zu hoch oder fahre ich ohne Pause? Haben die Windschutzscheibe oder das Fahrgestell Risse? Haben alle Reifen genügend Luft? Ist die Klimaanlage in Ordnung? Beschleunigt es gut, wenn es notwendig wird? Wie lang ist der Bremsweg?

Teil 1 des Buchs beginnt mit einigen grundlegenden Fakten. Was genau ist ein Gehirn? Wie ist es, ein Gehirn zu operieren? Wie sieht es aus und wie fühlt es sich an? Warum ist es so rätselhaft und so schwer zu verstehen? Wie funktioniert das Gedächtnis? Wie unterscheiden sich eine normale Gehirnalterung und gelegentliche Gedächtnislücken von einer unnormal schnellen Gehirnalterung und einem ernsten kognitiven Abbau? Danach werden wir tief in die Mythen über das Altern und den kognitiven Abbau eintauchen und genauer klären, woher wir wissen, dass das Gehirn wachsen, sich neu vernetzen und neu organisieren kann.

Teil 2 ist eine Tour durch die fünf wichtigsten praktischen Methoden, mit denen wir die Gehirnfunktion schützen und verbessern können: 1. Bewegung und Sport, 2. Glaube an den Sinn des Lebens, Lernen, Entdecken; 3. Schlaf und Entspannung; 4. Ernährung; 5. Soziale Kontakte. In diesem Teil werfen wir auch einen Blick auf aktuelle Studien, in denen das Gehirn erforscht und nach neuen Methoden gesucht wird, es gesund zu erhalten und zu heilen. Sie werden Wissenschaftlern begegnen, die ihr Leben damit verbringen, die Rätsel des Gehirns zu lösen. Jedes Kapitel bietet wissenschaftlich gesicherte Thesen und Empfehlungen an, die Sie Ihren Präferenzen und Ihrem Lebensstil anpassen können. Teil 2 endet mit einem brandneuen und leicht zu befolgenden 12-Wochen-Programm, das die Schritte enthält, die ich vorschlage.

In Teil 3 erfahren Sie, wie schwierig es ist, Gehirnkrankheiten zu diagnostizieren und zu behandeln. Was ist zu tun, wenn Sie frühe Symptome bemerken? Gibt es Symptome einer anderen Krankheit, die denen der Demenz gleichen? Warum ist es der Medizinforschung so kläglich misslungen, Heilmittel und Medikamente für neurodegenerative Krankheiten zu finden? Welche Therapien sind in allen Stadien der Krankheiten verfügbar? Wie kann ein Ehepartner gesund bleiben, wenn er einen dementen Partner pflegt (bei Pflegenden ist das Demenzrisiko viel größer)? Demenz ist ein bewegliches Ziel und die Pflege eines dementen Menschen ist eine der schwersten Aufgaben, die es gibt. Niemand lernt in der Schule, wie man mit einem Angehörigen umgeht, dessen Gehirn irreparabel geschädigt ist. Bei manchen Menschen verändert sich das Gehirn langsam und unauffällig. Es kann Jahre oder gar Jahrzehnte dauern, bis die Symptome ausgeprägt sind. Bei anderen erfolgt der Abbau plötzlich und schnell. In beiden Fällen kann die Entwicklung unvorhersehbar sein. Ich stelle Methoden vor, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren und die Lebensqualität auch der Pflegenden verbessern, und weise auf Erkrankungen hin, die sich sehr gut behandeln lassen und auf die Pflegende achten sollten, da sie oft mit Alzheimer verwechselt werden.

Zum Schluss wage ich einen optimistischen Blick in die Zukunft. Es gibt reichlich Grund zur Hoffnung bei neurologischen Krankheiten, mit denen wir heute noch Probleme haben (Alzheimer, Parkinson, Depression, Angst, Panikstörung). Ich zweifle nicht daran, dass wir Gehirnkrankheiten in den nächsten zehn bis 20 Jahren viel besser behandeln können. Vielleicht haben wir dann sogar eine Therapie oder einen vorbeugenden Impfstoff für die Alzheimer-Krankheit. Viele Fortschritte dürften der Gen- und Stammzellentherapie zu verdanken sein, ebenso der sogenannten tiefen Gehirnstimulation, die heute schon bei Depression und Zwangsstörung angewandt wird. Auch die Technik wird Fortschritte machen und uns minimalinvasive Eingriffe ins Gehirn ermöglichen. Ich werde erklären, was das für Sie bedeutet und wie Sie sich auf diese Zukunft vorbereiten können. Viele Informationen in diesem Buch sind auch nützlich für junge Menschen, die ihr Gehirn gesund erhalten wollen; denn Krankheiten des Gehirns beginnen häufig Jahrzehnte vor dem Auftreten von Symptomen. Hätte ich in meinen jüngeren Jahren gewusst, was ich heute weiß, hätte ich vieles anderes gemacht, um mein Gehirn zu schützen. Machen Sie nicht die Fehler, die ich gemacht habe.

Mir gefällt eine Redensart, die ich einmal auf Okinawa gehört habe: »Ich möchte wie eine Glühlampe leben. Die Lampe soll mein ganzes Leben lang brennen und dann eines Tages plötzlich erlöschen.« Das Gleiche wünschen wir uns für unser Gehirn. Wir wollen nicht, dass die Glühlampe flackert und ihren baldigen Tod ankündigt. Wenn wir an das Alter denken, stellen wir uns Krankenhausbetten und verlorene Erinnerungen vor. Das muss nicht sein, denn das Gehirn ist das einzige Organ, das stärker werden kann, wenn Sie älter werden. Es ist nicht kompliziert – jeder kann in jedem Alter sein Gehirn leistungsfähiger machen.