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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.
ISBN: 978-3-74092-748-6
Schon während der Tauffeier hatten die beiden Großmütter Inge Auerbach und Rosmarie Rückert verabredet, sich danach zu treffen, um noch einmal über alles zu reden und um Fotos auszutauschen, die sie reichlich gemacht hatten.
Normalerweise kam Rosmarie zu ihr, doch da Inge etwas in Hohenborn zu erledigen hatte, trafen sich die beiden Frauen in der Villa der Rückerts. Gern ging Inge nicht hin, ihr war alles ein wenig zu groß, ein wenig zu protzig. Sie liebte mehr ihr eigenes Haus im Sonnenwinkel, in dem alles gemütlich war. Dabei war es ein Haus, das sich durchaus sehen lassen konnte, es war größer und schöner als die Häuser, die später von Carlo Heimberg, dem großen Architekten, gebaut worden waren und für die er viele Auszeichnungen erhalten hatte.
Rosmarie wartete bereits auf sie, und es stand für Inge sogar deren geliebter Kaffee bereit, während Rosmarie lieber Tee trank, grünen Tee, wohlgemerkt. Inge war sich nicht sicher, ob sie aus Überzeugung eine Teetrinkerin geworden war oder weil man grünem Tee positive Eigenschaften nachsagte. So war sie halt, die Rosmarie, sie sprang gern auf fahrende Züge. Aber solange es sich nur um Tee handelte, konnte man mit Rosmarie nachsichtig sein. Sie hatte sich sehr zu ihrem Vorteil verändert, und Inge hatte die Schwiegermutter ihrer Kinder richtig gern.
»Ich habe von unserer Meta diesen Nusskuchen backen lassen, den du so gern hast. Du nimmst doch ein Stück, oder hättest du lieber etwas Herzhaftes?«
Inge lachte.
»Vor allem hätte ich gern eine Tasse Kaffee, und der Nusskuchen ist schon okay, der schmeckt wirklich hervorragend, und ich muss mir von Meta mal das Rezept geben lassen. Aber in erster Linie bin ich gekommen, um mit dir über die Taufe der kleinen Teresa zu sprechen, die ja so wunderschön und so feierlich war. Ein Ereignis, das man so schnell nicht vergessen wird. Ich habe dir die schönsten Fotos schon mal ausgedruckt.«
»Und genau das habe ich auch getan, Inge«, rief Rosmarie. »Ach, da haben wir gleich etwas zu tun, es ist so schön, dass du vorbeigekommen bist, du lässt dich ja leider nur selten bei uns blicken. Ich glaube, wenn ich nicht immer wieder bei dir vorbeikäme, würden wir uns kaum sehen.«
Meta brachte den Kuchen, schenkte Kaffee und Tee ein, und das genossen die beiden Damen erst einmal. Und dabei wurde munter geplaudert. Zuerst einmal über das wunderschöne Taufkleid aus feinster Spitze.
»Ich finde, es sahen alle gut aus und waren dem Anlass entsprechend gekleidet. Den Vogel abgeschossen hat Cecile, die sah hinreißend aus, und wie sehr sie sich gefreut hat, die Patentante der kleinen Teresa zu sein.«
Inge lächelte.
»Du magst Cecile gern, nicht wahr?«
Das bestätigte Rosmarie sofort.
»Cecile ist ein ganz großer Glücksfall für uns, ganz besonders für mich. Ich habe zu ihr eine viel engere Bindung als zu Fabian und Stella. Doch das liegt einzig und allein an mir. Ich habe in der Kindheit meiner beiden eine ganze Menge verkehrt gemacht, und wäre Cecile von Anfang an bei uns aufgewachsen, dann wäre es ihr nicht anders ergangen. Sie hatte Glück, erst als Erwachsene zu uns zu kommen. Da konnte man nichts mehr an ihr verderben.«
Inge konnte sich noch sehr gut daran erinnern, wie es gewesen war, als Cecile plötzlich aufgetaucht war, an Rosmaries hysterischen Ausbruch, als sie geglaubt hatte, die bildhübsche Frau an der Seite ihres Mannes sei eine junge Geliebte, und wie besorgt Rosmarie gewesen war, diese neue Tochter könne eine Erbschleicherin sein, die es auf das Geld der Rückerts abgesehen hatte. Das war längst Vergangenheit, inzwischen liebten Rosmarie und Cecile sich, waren ein Herz und eine Seele. Und das Geld der Rückerts, und das war nicht wenig, war nichts gegen das, was Cecile besaß.
»Es ist schon merkwürdig, Rosmarie, wie sich alles verändert hat. Anfangs sah es ganz so aus, als seien Heinz und Cecile ganz eng miteinander, er hat sie vergöttert, war so unglaublich stolz darauf, eine weitere Tochter zu haben. Ich finde, das hat sich sehr gelegt.«
Rosmarie nickte zustimmend.
»Es liegt an Heinz, und Cecile bedauert sein Verhalten sehr. Es stimmt, als er von seiner Tochter erfuhr, war er reinweg aus dem Häuschen. Doch nun gehört Cecile ja zur Familie, da muss er sich nicht mehr bemühen. Heinz ist kein emotionaler Mensch, vermutlich liegt das an seinem Beruf. Als Notar schaltet man alle Gefühle aus, da zählen nur die Paragrafen, die Gesetze und Verordnungen, lauter trockenes Zeug. Zum Glück kann Cecile damit umgehen …«
Sie trank ein wenig von ihrem Tee, aß ein Stückchen des wirklich köstlichen Kuchens.
»Übrigens, ich glaube, Cecile hat der kleinen Teresa Raymond-Aktien geschenkt und damit praktisch so was wie eine Maschine zum Gelddrucken. Ich kam mir mit unserer Ausbildungsversicherung ganz schön albern vor.«
Rosmarie hatte sich wirklich verändert, doch manchmal fiel sie einfach in alte Verhaltensmuster zurück.
»Rosmarie, erst einmal weiß ich überhaupt nicht, wer was geschenkt hat, und darauf kommt es doch auch überhaupt nicht an. Bei einer Taufe überbietet man sich nicht mit Geschenken. Wichtig ist, dass man sich, ganz besonders als Pate, seiner Verantwortung bewusst ist, dass man für das Kind da ist. So etwas lässt sich nicht mit Geld, teuren Geschenken oder auch Aktien aufwiegen. Gut, die Raymonds sind so reich, dass es ihnen nichts ausmacht, von dem Reichtum etwas abzugeben. Aber ich hatte schon den Eindruck, dass es Cecile von großer Bedeutung ist, Patin von Teresa zu werden.«
Rosmarie seufzte.
»Du hast recht, Inge, wie immer. Es ist wirklich nicht wichtig darüber zu reden, von wem die Kleine was bekommen hat und wie teuer es war, aber lass mich abschließend zu diesem Thema noch auf eines kommen, und das ist das goldene Kreuz, das Teresa von deinen Eltern bekommen hat. Das ist eine so kostbare Antiquität, ich habe so etwas Schönes noch nie zuvor gesehen, und wenn man bedenkt, dass es von Generation zu Generation vererbt wurde. Das hat schon was, weil man das halt nicht kaufen kann, nicht für alles Geld der Welt. Bedauerst du nicht, dass deine Eltern dich praktisch übergangen haben, dass du das Kreuz nicht bekommen hast?«
Diese Frage konnte Inge sofort und ohne zu zögern beantworten: »Nein, Rosmarie, ich freue mich für die kleine Teresa.«
Rosmarie zweifelte nicht einen Augenblick an Inges Worten, sie war sich aber nicht sicher, ob sie auch so selbstlos gehandelt hätte, vermutlich nicht. Ja, sie war schon eine ganz besondere Frau, die Inge Auerbach. Und es gefiel Rosmarie sehr gut, dass sie allein schon wegen ihrer Kinder verwandtschaftlich miteinander verbandelt waren.
Mitten in ihr Gespräch hinein platzte Heinz Rückert.
»Was machst du denn hier?«, erkundigte Rosmarie sich ganz verwundert.
Heinz erklärte, dass er etwas vergessen hatte, was er für einen Termin brauche, dann begrüßte er Inge sehr freundlich, konnte sich aber nicht verkneifen zu sagen: »Du setzt meiner Rosmarie hoffentlich keine neuen Flausen in den Kopf, meine Liebe.« Das klang nett, doch Heinz Rückert sagte so etwas nicht ohne Grund, und den wollte Inge jetzt erfahren.
»Nun ja, es ist nicht zu übersehen, wie sehr meine Frau sich verändert hat, sie geht ins Tierheim, sie geht in die Altenresidenz, sie kauft sich keinen Schmuck mehr, keine teuren Outfits.«
Darüber regte er sich auf? Er konnte dem Himmel doch danken, dass sie ihre Scheckkarte nicht mehr glühen ließ, dass sie das Geld nicht mehr mit meist sinnlosen Käufen aus dem Fenster hinauswarf.
»Heinz, jeder andere Mann würde Freudensprünge machen. Deine Frau gibt kein Geld mehr aus, es sei denn sie unterstützt das Tierheim, und das ist für einen guten Zweck, und in der Seniorenresidenz macht sie vielen einsamen Menschen eine große Freude. Du kannst stolz auf Rosmarie sein.«
Er zuckte die Achseln.
»Die frühere Rosmarie war für mich durchschaubarer, da war sie damit beschäftigt, Geld auszugeben. Mittlerweile ist sie für jede Überraschung gut, und ich weiß nicht, was da noch auf mich zukommt. Mal ehrlich, Inge, hättest du dir vorstellen können, dass meine Frau Tiere rettet oder alten Leuten Geschichten vorliest?«
»Nein, Heinz, früher nicht. Aber ich finde ganz wunderbar, wie Rosmarie sich verändert hat, du kannst wirklich sehr stolz auf deine Frau sein.«
Ein wenig verunsichert blickte Heinz sie an, dann murmelte er etwas von schnell wieder in sein Notariat zu müssen, winkte den Frauen zu, rief noch: »Man sieht sich«, dann war er weg.
»Tut mir leid, Inge«, glaubte Rosmarie sich für ihren Mann entschuldigen zu müssen. »Heinz liebt keine Veränderungen.«
Sie hätten noch unendlich lange über Heinz Rückert und seine Einstellung zum Leben reden können, doch zum Glück kam Meta herein, erkundigte sich, ob die Damen noch Wünsche hätten.
Es war eine angenehme Unterbrechung, und als Meta wieder gegangen war, wechselte Inge das Thema.
»Es ist ja so schade, dass Jörg und Stella bei der Taufe nicht dabei waren. Weißt du, warum sie nicht gekommen sind?«
Rosmarie wusste es nicht.
»Es ist ja alles in Schweden noch immer neu für sie, doch mittlerweile müssen sie sich doch eingelebt haben, und ich finde, wenigstens einer von ihnen hätte kommen können. Ich habe versucht, mit Stella darüber zu reden, doch ich erreiche sie ja kaum noch, und von selber meldet sie sich nicht. Das kenne ich eigentlich nicht von ihr, Stella war es doch immer, die ganz im Gegensatz zu Fabian immer den Kontakt zu uns aufrechterhalten hat. Sie kam zum Kaffee, brachte selbst gebackenen Kuchen mit.«
Inge erinnerte sich daran, dass Werner sie und Pamela zu einem Kurzbesuch nach Stockholm eingeladen hatte und wie irritiert er gewesen war, dass Jörg sie kurzerhand ausgeladen hatte.
Das hatte sie damit erklärt, dass Jörg nicht viel Zeit für seine Eltern und seine Schwester gehabt hätte, weil er sich in seinem neuen Traumjob erst einmal einarbeiten musste.
»Rosmarie, Jörg hätte ja nichts Besseres passieren können als diese Stelle in Stockholm. Er hat es zwar mit Stella abgesprochen, ehe er zugesagt hat, und sie wollte es auf jeden Fall ebenfalls. Vielleicht hat sie sich von Schweden mehr versprochen und hat Heimweh, oder es gefällt ihr nicht?«
Rosmarie schüttelte entschieden mit dem Kopf.
»Da kann ich dich vollkommen beruhigen, meine Liebe. Stella ist in Schweden richtig aufgeblüht, ich glaube eher, dass sie sich nicht meldet, weil sie anderweitig beschäftigt ist. Manchmal rede ich mit Jörg, manchmal mit den Kindern, und dann erfahre ich immer wieder, dass Stella unterwegs ist. Auf jeden Fall war es dumm von ihnen, nicht zu kommen, denn sie haben wirklich etwas verpasst.«
Das fand Inge ebenfalls, sie unterhielten sich noch eine Weile, tauschten ihre Fotos aus, schwärmten noch einmal von der Taufe der kleinen Teresa, und dann war es für Inge auch Zeit, aufzubrechen. Die Schule hatte wieder begonnen, Pamela würde nach Hause kommen und essen wollen, und seit Werner, und das hielt er wirklich durch, nicht mehr durch die ganze Welt reiste, wollte er seine regelmäßigen Mahlzeiten haben.
»Rosmarie, bitte sei mir nicht böse, aber ich muss jetzt wieder los.«
»Wie schade, Inge, es hätte noch eine ganze Weile so weitergehen können, mit dir ist es immer so kurzweilig.«
»Du weißt, wo ich wohne, komm einfach vorbei, für dich ist es einfacher. Heinz isst mittags meist irgendwo auswärts, aber ich habe Mann und noch eine Tochter im Hause.«
»Die du beide maßlos verwöhnst, liebe Inge«, lachte Rosmarie, »aber ich kann dich verstehen, danke, dass du da warst.«
Die beiden Frauen umarmten sich, verabschiedeten sich voneinander, und dann hatte Inge es wirklich eilig.
Doch sie bereute es nicht, zu Rosmarie gefahren zu sein. Sie konnte, ganz im Gegensatz zu Heinz, mit der neuen Rosmarie ganz hervorragend umgehen.
*
Als Inge nach Hause kam, war Werner nicht da und Pamela noch in der Schule. Als geübte Hausfrau fiel es ihr leicht, rasch die Vorbereitungen für das Mittagessen zu treffen. Danach fasste sie einen Entschluss. Das Gespräch mit Rosmarie über Jörg und Stella ließ ihr keine Ruhe.
Wenn da doch etwas nicht stimmte?
Auch wenn sie bei Rosmarie reichlich Kaffee getrunken hatte, kochte sie sich ganz schnell noch einen Kaffee, damit konnte sie einfach besser nachdenken. Und das musste sie jetzt. Es wunderte Inge, dass sie auf einmal ein komisches Gefühl hatte, nachdem sie es doch zuvor gewesen war, die Werners Bedenken zerstreut hatte. Es stimmte, was Rosmarie gesagt hatte, auch sie war sehr bemüht gewesen, ihren Sohn und ihre Schwiegertochter dazu zu bewegen, doch noch zur Taufe der kleinen Teresa zu kommen. Jörg war kurz angebunden gewesen, was Inge mit seiner Arbeit entschuldigt hatte, aber Stella, die hatte sie nie erreicht, die war immer unterwegs gewesen.
Warum hatte sie denn dieses merkwürdige Gefühl nicht schon früher gehabt?
Sie trank ihren Kaffee, dann griff sie zum Telefon. Um diese Zeit musste Stella auf jeden Fall daheim sein. Inge ließ es lange klingeln, sie wollte gerade wieder auflegen, als endlich der Hörer abgenommen wurde. Es war wieder nicht Stella, sondern die Hausangestellte meldete sich, um ihr zu sagen, dass von der Familie niemand daheim sei.
Inge erkundigte sich nachdrücklich noch einmal nach ihrer Schwiegertochter, wollte wissen, wann die denn wieder erreichbar sei. Die Frau wusste es nicht. Also bedankte Inge sich, legte auf. Es war nichts passiert, warum also verstärkte sich in ihr das Gefühl des Unbehagens?
Sie war so sehr in ihre Gedanken versunken, dass sie nicht bemerkte, wie ihr Mann Werner in die Küche kam.
Sie zuckte erst zusammen, als sie seine Stimme hörte: »Hm, hier riecht es aber lecker.«
Inge musste sich zusammenreißen, ihm jetzt nicht zu erzählen, was auf einmal mit ihr los war.
»Du bist früh zurück, mein Lieber«, sagte sie, »möchtest du auch einen Kaffee haben?«
Das wollte der Professor, doch den Keks, den er dazu haben wollte, den bekam er nicht. »Wir essen gleich«, sagte Inge streng, und Werner Auerbach fand es unglaublich gemein, dass Luna, die weiße Labradorhündin, die mit ihm gekommen war, ein paar Leckerli zugesteckt bekam.
Er erkundigte sich: »Und wie war es bei Rosmarie?«
»Sehr nett, Werner, doch dann kam Heinz, und der hat doch wahrhaftig behauptet, ich setze seiner Frau Flausen in den Kopf.«
Werner lachte.
»Du kennst doch Heinz, der empfindet Veränderungen als bedrohlich, deswegen sitzt er auch immer nur in seinem Notariat und scheffelt Geld. Er kann doch froh sein, dass Rosmarie sich so sehr zu ihrem Vorteil verändert hat. Jetzt kann man wenigstens etwas mit ihr anfangen, wenn auch begrenzt, an dich kommt sie natürlich nicht heran. Als Ehefrau wäre auch die heutige Rosmarie nicht geeignet für mich. Aber darum muss ich mir wirklich keine Gedanken machen. Rosmarie Rückert wäre nie mein Beuteschema gewesen. Außer dir zählt eh keine Frau auf der ganzen Welt für mich.«
Inge lächelte ihren Mann an.
»Raspelst du jetzt Süßholz, weil du vor dem Essen doch noch einen Keks haben möchtest?«