Paare sind Unikate –
Beziehungsprobleme nicht

Lass das Buch bitte kurz mit einer Hand los, und wirf einen Blick auf die Innenseite Deines Zeigefingers. Führ die Fingerkuppe ganz nah an die Augen, und schau Dir die vielen feinen Linien an, die Du dort in Deiner Haut findest. Schön, oder?

Eigentlich wissen wir es natürlich alle, aber zumindest ich mache es mir selten bewusst: Kein Zweiter unter den zig Milliarden Menschen auf dieser Welt hat exakt denselben Fingerabdruck wie ich – und das gilt natürlich auch für Dich. Warum? Weil Du einzigartig bist. Und das betrifft nicht nur Deinen Zeigefinger, sondern auch den ganzen Rest von Dir: Niemand sonst hat dieselbe Lebensgeschichte wie Du. Niemand sonst hat dieselben schönen und traurigen Momente erlebt. Niemand sonst hat dieselben Erfahrungen gesammelt. Und niemand sonst hat dieselben Menschen auf dieselbe Weise geliebt. Was natürlich auch auf all Deine Ex-, Deine aktuellen und Deine zukünftigen Partner zutrifft.

Im Grunde, könnte man also schlussfolgern, kann auch keine Partnerschaft wie eine andere und kein Beziehungsproblem wie das andere sein, weil ja immer zwei einzigartige Individuen aufeinanderstoßen – womit jeder Beziehungsratgeber wohl ziemlich überflüssig oder zumindest in wirklich großen Teilen unbrauchbar wäre. Tja, und auch »Goodbye Beziehungsstress« würde dann gar keinen Sinn ergeben. Aber stopp: Mein Gedanke geht noch weiter, hör jetzt bitte nicht auf zu lesen!

Denn obwohl keine Partnerschaft der anderen gleicht, zeigt sich in der Praxis, dass die Beziehungsprobleme der Menschen einander trotzdem oft extrem ähnlich sind. Frauen und Männer, die sich wegen ihrer unglücklichen oder gescheiterten Beziehungen und Dates an mein Team und mich wenden, schildern mitunter beinahe identische Szenen, zitieren Gespräche und Diskussionen, die vom Wortlaut her fast austauschbar erscheinen. Sie regen sich über ähnliche Dinge beim Partner auf und berichten von vergleichbaren Trennungsgründen, verwandten Konfliktthemen und beschreiben ihre eigene Gefühlslage nicht selten mit denselben Begriffen. Bestimmt geht es auch Dir so, dass Du von Paaren in Deinem Freundes-, Familien- und Bekanntenkreis immer wieder ähnliche »Geschichten« erzählt bekommst. Sie könnten zum Beispiel so klingen:

  Ein Partner fühlt sich vom anderen nicht ernst genommen.

  Ein Partner fühlt sich vom anderen vernachlässigt, weil der sich zu selten meldet, sich zu wenig Zeit nimmt oder zu unaufmerksam ist.

  Einer fühlt sich vom anderen ausgenutzt.

  Ein Partner ist mit dem Lebenswandel des anderen nicht einverstanden.

  Zwei langweilen sich in ihrer Beziehung, weil sie jeden Abend auf dem Sofa sitzen.

  Ein Partner fühlt sich vom anderen veralbert, weil der erst noch ganz verliebt wirkte, aber dann plötzlich die Beziehung oder den Kennenlernprozess beendet hat.

  Einer von beiden ist rasend eifersüchtig.

  Einer wirft dem anderen vor, egoistisch zu sein.

  Die Partner streiten, frotzeln, sind zynisch und respektlos zueinander oder kritisieren sich andauernd.

  Das Paar hat wiederkehrende Streitthemen, vom Haushalt bis zur Kindererziehung, und dreht sich damit im Kreis.

  Die Partner sagen zwar immer, dass sie total glücklich in ihrer Beziehung sind – wirken aber ganz anders.

  Einer von beiden oder beide gehen fremd.

  Das Paar hat kaum noch oder keinen Sex mehr, oder einer von beiden will mehr Sex als der andere, was zum Streitthema wird.

  Einer von beiden hat das Gefühl, in seiner Beziehung ständig und alles zu geben, sich regelrecht aufzuopfern, und ist enttäuscht und irgendwann wütend, weil der andere es ihm nicht angemessen dankt.

  Jemand lernt wechselnde potenzielle Partner kennen, glaubt jedes Mal, die große Liebe gefunden zu haben, und wird nach kurzer Zeit bitterlich enttäuscht.

  Jemand hat jegliches Vertrauen in Partnerschaften verloren, weil er so oft enttäuscht wurde, und glaubt, sich nie wieder verlieben zu können.

Möglicherweise kennst Du einiges davon sogar von Dir selbst. Wie kann es also sein, dass die Sorgen von Paaren sich oft so ähneln, obwohl jedes von ihnen eigentlich einzigartig ist?

Ganz einfach: Das liegt zum einen daran, dass natürlich jeder von uns bestimmte menschliche Bedürfnisse hat, die er mehr oder weniger stark in seiner Partnerschaft stillen möchte: zum Beispiel das Bedürfnis nach Geborgenheit, nach Sicherheit, das Bedürfnis, geliebt zu werden, akzeptiert und ernst genommen zu werden, Leidenschaft zu erleben, sich attraktiv und begehrt zu fühlen.

Hinzu kommt, dass die meisten von uns mit ungefähr den gleichen Vorstellungen davon, wie eine Beziehung theoretisch zu sein hat und was sie uns geben soll, in eine Partnerschaft starten: Geprägt werden diese Vorstellungen von dem Wertesystem, in dem wir leben und mit dem wir uns identifizieren, genauso wie von Eltern, Freunden, Verwandten und anderen Vorbildern, die uns umgeben, von Medien und Kultur. Infolgedessen kategorisieren wir viele Verhaltensweisen unseres Partners in richtig und falsch, beurteilen, was in einer Partnerschaft gut und was schlecht ist, und haben idealtypische Bilder davon, wie eine glückliche Beziehung aussehen sollte.

Obwohl jede Annäherung zwischen zwei Menschen komplett neu, besonders und unverwechselbar ist, begegnen wir ihr innerhalb eines gemeinsamen Kultur- und Lebenskreises also dennoch häufig und von Anfang an mit einer Reihe von vorgefertigten Erwartungen und Ansprüchen.

Überspitzt gesagt: Dass mein Partner fremdgeht, wird für mich vor allem dadurch zum Problem, dass Treue in unserer Kultur ein wichtiger Wert ist und ich deshalb davon überzeugt bin, dass Monogamie zu einer guten Beziehung dazugehört. Oder ich bin frustriert, dass mein Partner nie Zeit für mich hat, weil ich daraus ableite, dass ich ihm nicht wichtig genug bin – weil »man« seine Freizeit meiner Überzeugung nach nun mal mit dem Menschen verbringt, den man am liebsten hat.

In vielen Fällen sind die Erwartungen und Ansprüche, die wir an einen Partner haben, vollkommen nachvollziehbar und sinnvoll. Aber das Problem ist: In vielen anderen Fällen schaden sie uns und unserem Beziehungsglück im Grunde viel mehr, als dass sie uns nutzen. Weil sie einem Bild von Partnerschaft entspringen, an das wir tragischerweise fast alle glauben, das erwiesenermaßen aber gar nicht dafür geschaffen ist, wirklich glückliche, zufriedene Paare hervorzubringen – sondern stattdessen Konflikte, Enttäuschungen und Unzufriedenheit erst entstehen lässt. Zu entlarven, welches Bild von Partnerschaften das genau ist, ist Ziel dieses ersten Teils von »Goodbye Beziehungsstress«, in dem ich Dir die zehn (meiner Beobachtung nach) am weitesten verbreiteten »Irrtümer des Beziehungsglücks« vorstellen werde – jene Denk- und Verhaltensweisen also, von denen wir meinen, dass sie dazugehören, wenn man als Paar glücklich sein möchte, mit denen wir in Wahrheit aber leider genau das Gegenteil erreichen.

Hm, will sie mir damit etwa sagen, dass ich vermutlich selbst schuld daran bin, wenn ich keine glückliche Beziehung führe, weil ich ein falsches Bild von Partnerschaft habe? Wie kann sie das denn behaupten? Das wirst Du Dich jetzt vielleicht fragen – vollkommen zu Recht! Und Folgendes möchte ich Dir dazu sagen:

Zum einen geht es hier niemals um Schuld. Denn erstens ist ja niemand dazu verpflichtet, eine glückliche Beziehung zu führen, und zweitens sind die »Irrtümer des Beziehungsglücks« wie gesagt allgegenwärtig und dennoch den allermeisten Menschen so wenig bewusst, dass es weder von besonderer Nachlässigkeit noch von irgendeiner Absicht zeugt, wenn man ihnen erliegt.

Zum anderen komme ich zu meiner Aussage auch nur deshalb, weil ich jahrelang und anhand von zig Beispielen live miterleben konnte, was so viele Menschen in Beziehungen eben nicht glücklich macht. Ich erkannte Parallelen, zog Schlussfolgerungen und durfte beobachten, was passiert, wenn Frauen und Männer die »Irrtümer des Beziehungsglücks« verhindern: Paare kamen wieder zusammen, führten harmonischere Beziehungen, oder aus der nächsten neuen Bekanntschaft wurde endlich eine feste und glückliche Partnerschaft.

Und erst dann, nachdem mir all das im »echten Leben« aufgefallen war, habe ich mich an die theoretische Überprüfung meiner Beobachtungen gemacht. Und voller Freude festgestellt, dass das, was ich da miterleben durfte, keinesfalls Zufall oder überraschend war – sondern ziemlich logisch. Das Verrückte daran ist nur: Viel zu wenige Menschen wissen davon. Vermutlich, weil es so selten in klaren, praxisnahen und für jeden nachvollziehbaren Sätzen erklärt wird! Und das möchte ich nun ändern.