Inka Loreen Minden

VERBOTEN GUT

Inhalt

 

Wenn ein Anruf dein Leben verändert …

So ergeht es Josh. Der Medizinstudent lernt an seinem ersten Tag an einer neuen Universität den Kommilitonen Marc kennen und verbringt mit ihm eine heiße Nacht – bis Marcs Handy klingelt. Danach ist nichts mehr, wie es war.

Ein Unglück, das vor vielen Jahren geschah, stellt die junge Liebe der beiden auf eine harte Probe. Niemals dürfen sie beisammen sein, aber das Begehren ist zu groß …

 

Nach einem mysteriösen Anruf beendet der Student Marc plötzlich die gerade erst begonnene Beziehung zu seinem Kommilitonen Josh und straft diesen mit Nichtachtung. Als Josh entführt wird, kann Marc jedoch nicht länger tatenlos zusehen. Er versucht alles, um seinen Freund zu befreien. Schwerer als eine Flucht ist allerdings, der Versuchung ihrer verbotenen Liebe zu widerstehen …

 

ca 200 Taschenbuchseiten

Presse

 

Erotische Unterhaltung auf allerbestem Niveau, das ist Inkas Spezialität.

Heiße Jungs, viel Gefühl, eine spannende Handlung, und im Hinterkopf das Wissen »alles wird gut«.

Was will man mehr!

(Sara Salamanders Literaturblog)

 

Alles ist vorherbestimmt, Anfang wie Ende, durch Kräfte, über die wir keine Gewalt haben. Es ist vorherbestimmt für Insekten nicht anders wie für Sterne. Die menschlichen Wesen, Pflanzen oder der Staub, wir alle tanzen nach einer geheimnisvollen Melodie, die ein unsichtbarer Spieler in den Fernen des Weltalls anstimmt.


Albert Einstein

Prolog

 

Jason war überglücklich, dass sich George und er eine Studentenbude teilten. So konnten sie sich nah sein, ohne dass jemand ihr Verhältnis mitbekam. Zum Glück waren die Zeiten vorbei, in der Ärzte Homosexualität als eine Krankheit angesehen hatten, die sie mit Schockbehandlungen auszutreiben versucht oder sogar eine Lobotomie vorgenommen hatten. Später hatte es sogar ein Beschäftigungsverbot für Schwule im öffentlichen Dienst gegeben.

Jason atmete auf. Es hatte sich einiges verändert in den letzten Jahren, doch teilweise war selbst nach der sexuellen Revolution vieles noch verpönt. Die Schwulenaktivisten erzielten allerdings erste Erfolge und Jason fühlte sich dem Druck der Gesellschaft gewachsen. In George hingegen schlummerte eine tief sitzende Angst, alles zu verlieren. Er betonte dies Jason gegenüber ständig. Sie beide hatten einen Traum, den George um nichts auf der Welt gefährden wollte. Solange es bedeutete, dass sie beide zusammenblieben, würde Jason weiterhin ein Leben im Untergrund führen; George und ihrer Beziehung zuliebe. Wenn man es überhaupt eine »Beziehung« nennen konnte, wenn man sie ständig geheim halten musste. Jason wusste einfach nicht, woran er bei George war.

George Bowen, der junge Mann mit dem strohblonden Haar und dem Körper eines Athleten, lag nur mit einer knappen Hose bekleidet auf dem Bett und zählte gedankenverloren Geldscheine. George hatte ihm immer noch nicht erklärt, wie er neben dem Medizinstudium Zeit für einen Job fand, geschweige denn, was er arbeitete. Natürlich gab es Jobs, die bar bezahlt wurden – es war jedoch seltsam.

Es beeindruckte Jason zwar, wie sehr sich George für ihr Zukunftsprojekt ins Zeug legte, aber es gefiel ihm nicht, dass George dadurch sein Studium vernachlässigen könnte.

Seufzend fuhr Jason sich durch sein schwarzes Haar und setzte sich neben George aufs Bett. Sein Partner war eine sehr undurchsichtige Person und doch begehrte Jason ihn wie niemand anderen. »Möchtest du mir nicht mal verraten, wo du das Geld her hast?«, fragte er vorsichtig, wobei er seine Hand auf Georges Oberschenkel legte.

Sein Freund blieb still und zählte weiterhin die Scheine. Das Thema hatte schon zu diversen Streits geführt. Überhaupt war George ein sehr impulsiver Mensch, weshalb Jason befürchtete, er habe sich zu etwas Törichtem hinreißen lassen.

»Bitte, George. Du …« Jason schluckte und sprach seine schlimmste Vermutung aus: »Du … prostituierst dich doch nicht?«

»Was?« George legte das Geld in die Nachttischschublade und drehte sich auf den Rücken.

»Na ja, ich … hab dich heute gesehen. Am Bahnhof.« Jason musste endlich wissen, was gespielt wurde, oder er würde noch durchdrehen. »Da bist du mit einem anderen Kerl verschwunden.«

Georges Brauen zogen sich zusammen. »Spionierst du mir etwa nach?«

»Nein, ich …« Natürlich war er ihm gefolgt. Wenn Jason sich nur vorstellte, dass ein anderer Mann George jetzt so sehen könnte: halbnackt und verführerisch wie ein junger Gott, bekam er Magenschmerzen. »Ich mache mir nur Sorgen um dich.«

Ein Lächeln umspielte Georges Lippen. »Ich hab alles im Griff, McFee, du brauchst dir keine Sorgen machen.« Er lachte auf und es klang so ehrlich, dass sich Jason tatsächlich entspannte. Wie sehr er Georges verwegenes Grinsen liebte!

»Ich lass doch keinen anderen an meinen Luxuskörper.« George setzte sich auf und ergriff Jasons Hand. Tief schaute er ihm dabei in die Augen. »Vertrau mir einfach«, flüsterte er. »Ich tu das nur für uns.«

Für uns … Ein Kribbeln breitete sich in Jasons Magen aus. Er setzte sich auf Georges Schoß, drückte seinen Oberkörper zurück und presste die Arme seines Freundes in die Matratze. »Wenn dann Mr McFee, ist das klar?« Jason war zwar ein wenig kleiner, aber muskulöser als George, weshalb er zu Beginn ihrer »Beziehung« den dominanten Part eingenommen hatte. Mittlerweile tauschten sie die Rollen ständig. Es machte großen Spaß, auch mal unten zu liegen, sich einfach nur hinzugeben. Geschlafen hatten sie allerdings noch nie miteinander, nicht so richtig. Jason wünschte es sich so sehr, aber George hatte bisher ständig einen Rückzieher gemacht. Jason wollte ihn nicht weiter drängen. Alles brauchte seine Zeit.

Dieses Spiel schien George jedoch zu gefallen. Sein Blick rückte in die Ferne, seine himmelblauen Augen verdrehten sich lustvoll. »Ja, Sir.«

Jason spürte, wie sich Georges beginnende Erektion an sein Gesäß drängte. Langsam ließ Jason die Hüften kreisen. »Du stehst auf meinen Arsch, nicht wahr?«

Ein Zucken ging über Georges Gesicht. »Ich steh höchstens auf Beas Arsch.«

Jason wusste nicht, ob er das ernst meinte. Er hatte bemerkt, wie George mit Bea ab und zu herumschäkerte, sich aber nichts dabei gedacht, immerhin alberte Beatrice mit jedem Kerl herum.

»Läuft da was zwischen Bea und dir?«, fragte Jason dennoch. Beatrice Willoby sollte Nummer drei in ihrem Team werden. Sie würde bestimmt einmal eine großartige OP-Schwester abgeben.

»Mein Privatleben geht dich nichts an«, hauchte George.

Jason beugte sich nah über sein Gesicht, ohne Georges Arme loszulassen. Die Worte schnitten ihm ins Herz, dennoch blieb er ruhig. »Geht mich sehr wohl was an. Ich muss das wissen. Ich möchte nicht, dass irgendwas zwischen uns steht. Ich muss dir vertrauen können, George, wir müssen uns aufeinander verlassen können. Wir werden ein Team sein.«

Sie beide hegten den Traum, gemeinsam eine Arztpraxis zu eröffnen. Sie würden zusammenarbeiten, Seite an Seite. Ein Team beruflich wie im Privaten.

»Vielleicht stehe ich ja auf Frauen«, sagte George leise.

Jason grinste. George schaute jedem gut aussehenden Mann hinterher, deshalb nahm er seine Aussage nicht ernst. »Ich weiß, dass du mich willst, das spüre ich.« Er bewegte seine Hüften schneller und setzte mehr Druck ein.

Stöhnend schloss George die Augen. »Bilde dir bloß nichts ein, ich bin nicht schwul.« Seine Atmung beschleunigte sich. »Wir sind nur gute Freunde. Alle Jungs holen sich doch mal gegenseitig einen runter.«

Nur dass sie keine Jungs mehr waren. Ohne Vorwarnung holte Jason Georges Erektion aus der Hose und drückte zu.

»Verdammt!« George legte den Kopf in den Nacken, jeder Muskel spannte sich an. Der Schaft in Jasons Hand wurde schlagartig so hart, dass die Eichel dunkelrot glänzte. Wie schön sie war, wie alles an George. Aus dem Schlitz perlte ein Tropfen und Jason freute sich schon, ihn später wegzulecken.

George stand in der Öffentlichkeit nicht zu seiner Neigung, aber leider war George auch sich selbst gegenüber nicht ehrlich. Jason wünschte sich so sehr, dass George ihm eines Tages seine Zuneigung gestand. Im Moment reichte es Jason aus, dass er sie ihm bloß zeigte.

Langsam strich Jason an der Härte auf und ab, ließ den Daumen über die empfindliche Spitze gleiten und verteilte die Lusttropfen, bis George vor Erregung zitterte.

»So, du stehst also auf Frauen?«, säuselte Jason und zog seine Hand weg.

George riss die Lider auf. »Halt die Klappe, McFee, und mach weiter!«

»Mmm«, brummte er. »Wie heißt das Zauberwort?«

Zwischen zusammengepressten Zähnen quetschte George ein »Bitte, Sir« hervor.

Jason schmunzelte. »Braver Junge, jetzt werde ich es mir überlegen.«

»Was?« Georges Augen wurden noch größer.

Jason stellte sich neben das Bett, wo er sich ganz langsam auszog. Dabei genoss er Georges lüsterne Blicke.

»Was wird das?« George Stimme klang wie ein Reibeisen, als Jason nackt über seinem Kopf auf alle viere ging, sodass ihre Körper ein T bildeten. Sein eigener Penis war genauso hart wie der seines Freundes und pochte im wilden Takt seines Herzens.

Jetzt werde ich dir beweisen, wie sehr du auf Männerschwänze stehst, dachte Jason. Er packte George mit sanfter Gewalt am Hinterkopf und führte dessen Lippen an sein Geschlecht. »Nimm ihn in den Mund!«

Halbherzig versuchte George seinen Kopf wegzudrehen. »Du weißt, dass ich das nicht mag.«

Wie immer sträubte er sich zuerst oder tat zumindest so. Typisch George.

»Da hab ich aber was anderes in Erinnerung.« Jason gab nicht nach, sondern drückte seine Eichel an Georges Lippen. »Leck ihn.«

George schnaubte noch zwei Mal, bevor seine Zungenspitze hervorschnellte und über seine empfindliche Spitze flatterte.

Jason stöhnte auf, George ebenfalls. Der Kerl machte ihn mit seiner Zurückhaltung noch wahnsinnig! Überhaupt machte ihn Georges ganzes Verhalten bald verrückt! Mal war er zurückhaltend, dann wieder impulsiv, mal aktiv und dominant im Bett, dann wieder ein Rühr-mich-nicht-an.

Jason packte seinen Kopf fester und drängte sein Geschlecht in Georges Mund, bis es halb in der heißen Höhle verschwunden war.

George lag wie erstarrt unter ihm und atmete heftig durch die Nase, doch sein zuckender Penis verriet, wie sehr ihm dieses Spiel gefiel.

»Saug an ihm, leck ihn«, befahl Jason leise. »Aber sanft, hörst du! Sonst darfst du es dir selbst machen und ich sehe dabei zu.«

»Du bist fies«, erwiderte George mit vollem Mund.

»Ja, das bin ich, aber nur, weil ich weiß, wie sehr dich das anmacht.« Als Jason seine Faust um Georges steinharte Erektion schloss, ließ George ein so kehliges Stöhnen los, dass Jasons Schwanz in seinem Mund angenehm vibrierte. Warm lief Georges Sperma in mehreren Schüben über seine Hand, wobei der so heftig an Jasons Schwanz saugte, dass er sich selbst beinahe ergoss. Hastig zog er sich zurück.

»Hab ich dir erlaubt zu kommen?«, fragte Jason mit möglichst bedrohlicher Stimme, doch ein Lächeln huschte über seine Lippen. »Dafür muss ich dich bestrafen, böser Junge.«

»Ja, Sir«, erwiderte George mit verklärtem Blick und öffnete seinen Mund weit …

Kapitel 1 – Viele Jahre später

 

Frischfleisch!, dachte Marc Bowen, als er den jungen Mann taxierte, der an der Wand lehnte und an seiner Limonadenflasche nippte. Dabei klopfte sein Herz im Takt der Beats, die aus den Lautsprechern der Stereoanlage dröhnten. Das Herbstsemester an der Uni begann wie immer feucht-fröhlich in den Gemeinschaftsräumen der Studenten, und Marc war der Neue sofort aufgefallen, der ganz allein etwas abseits stand. Wie alt mochte er sein? Etwas jünger als er selbst; auf jeden Fall nicht älter als dreiundzwanzig, so viel stand fest. Die Nacht konnte ja doch noch interessant werden. Normalerweise langweilten ihn diese Partys, an denen er stets von einer Schar kichernder Frauen umzingelt war. Die interessierten ihn allerdings nicht, das hatten sie noch nie. Er kam nur hierher, um nach hübschen Typen Ausschau zu halten, und wie es schien, hatte er soeben einen gefunden, den es zu erobern galt. Das letzte Mal lag definitiv zu lange zurück.

Sein Puls legte noch einmal an Tempo zu. Immer wieder warf der braunhaarige Mann mit der Limonade in der Hand einen kurzen Blick auf Marc, sah jedoch gleich wieder weg. Er wirkte verloren, kannte hier wohl niemanden. Schüchtern und unglaublich süß – die perfekte Mischung.

Marc atmete einmal tief durch, dann schlenderte er auf den Mann zu. Etwas kleiner als er selbst und schlank war er, genau seine Kragenweite. Es war gut, dass sie beide fast gleich groß waren. Marc brauchte jemanden, mit dem er es aufnehmen konnte, der es jedoch genoss, unter ihm zu liegen, sich nehmen zu lassen auf alle erdenklichen Arten. Aber eher sanft, denn Marc stand nicht auf SM, er mochte nur das Spiel von Dominanz und Unterwerfung.

Gott, bitte lass den Jungen schwul sein!, betete er, dann stand er schon neben dem Neuen, um sich ebenfalls an die Wand zu lehnen. »Hi, ich bin Marc Bowen. Ich studiere hier Medizin, Unfallchirurgie. Ich glaube, wir wohnen im selben Haus.«

Der andere streckte ihm die Hand hin, wobei ein scheues Lächeln über dessen Mundwinkel huschte. »Josh McFee, Neurologie.«

»McFee sagst du?« Der Name kam Marc bekannt vor. Er war jedoch nicht fähig, weiter darüber nachzudenken, denn als sich ihre Hände berührten, schien die Luft zu knistern. »Dann haben wir bestimmt ein paar gemeinsame Kurse«, sagte er mit rauer Stimme, ohne ihn loszulassen. Joshs dunkelgrüne Augen zogen ihn magisch an, lähmten sein Hirn. So etwas war ihm ja noch nie passiert!

Marcs Blick wanderte tiefer, erfasste Sommersprossen auf der geraden Nase, einen winzigen Leberfleck auf der Wange, eine feine Narbe am Kinn – dort, wo wohl jeder Junge im Laufe seines Lebens einmal eine Platzwunde bekam.

Josh trug ein eng anliegendes T-Shirt, das sich optimal an seinen schlanken Körper schmiegte. Er war nicht zu dünn, einfach perfekt. Ein unauffälliger Blick auf Joshs Jeans genügte, um zu erkennen, dass er auch dort bestens ausgestattet war.

»Kann sein«, erwiderte Josh, doch Marc hatte längst den Faden verloren. Hastig ließ er die Hand los, um sich durch sein blondes Haar zu fahren und flüchtig über die Lippen zu lecken. Er musste eindeutige Signale setzen, die jeder schwule Mann verstand.

»Wann bist du angekommen, Josh?«, fragte Marc.

»Erst heute Mittag.«

Frischer als frisch, der gehört mir. Luke hat sicher noch nicht sein Lasso nach ihm geworfen, dachte Marc amüsiert. Luke war wohl der bekannteste Schwule an der ganzen Uni. Er baggerte alles an, was Hosen trug, ob schwul oder Hete, das war ihm egal. Er war Marcs ärgste Konkurrenz. In ihrem ersten gemeinsamen Jahr – Luke kam zwei Semester nach ihm – hatten sie sich einen regelrechten Wettbewerb geliefert, wer in einem Semester mehr Kerle ins Bett bekam. Es war ein äußerst amüsantes Halbjahr gewesen, allerdings auch verdammt stressig. Seine Konzentration hatte stark gelitten, daher hatte Marc beschlossen, es langsamer anzugehen. Danach war er mal mit diesem, mal mit jenem Kerl im Bett gewesen, sogar mit Luke hatte er es probiert, aber lang hielt es Marc nie bei einem. Josh war allerdings erst Nummer drei in diesem Jahr, weshalb Marc ein dringendes Nachholbedürfnis besaß. Wenn er Josh denn rumbekam … Verdammt, herauszufinden, ob der andere auch auf Männer stand, war immer das Schwerste. Zwei Mal hatte sich Marc deswegen bereits einen sauberen Kinnhaken eingefangen.

Erst vorsichtig herantasten. »Wenn du magst, zeig ich dir das Gelände. Hier drin ist es ohnehin zu laut, um sich in Ruhe zu unterhalten.«

Josh nickte und stellte seine leere Flasche zurück in den Kasten. Dann gingen sie Seite an Seite durch die tanzenden und sich unterhaltenden Studenten. Es roch nach Schweiß und alkoholischen Ausdünstungen, einige hatten schon zu tief ins Glas geschaut. Marc hatte oft das Gefühl, Wettsaufen wäre ein Hauptfach an der Uni. Was manche Studenten wegkippten, war unvorstellbar. Er selbst frönte dem Biergenuss nur in Maßen, denn zu viel Alkohol schadete nicht nur seiner Figur, sondern ebenfalls seiner Standfestigkeit, und er hatte ja immerhin einen Ruf zu verlieren. Zuhause gab es bei ihm auch keinen Alkohol, denn sein Dad durfte keinen Tropfen mehr anrühren, weshalb Marc nur an der Uni etwas trank.

»Magst du ein Bier?«, fragte Marc und hielt ihm seines vor die Nase. »Es war das Letzte, wir können es uns teilen.«

Nach einem kurzen Zögern nahm Josh es ihm aus der Hand, um daran zu nippen, bevor er es wieder zurückreichte. Er hatte sich nicht mit dem Handrücken den Mund abgewischt, sondern leckte sich über die Lippen.

Ein Zeichen? Marcs Herz schlug schneller. Er hatte gelernt, auf jede Winzigkeit zu achten.

Nachdem er den Rest ausgetrunken hatte, stellte er die Flasche beim Verlassen des Raumes zu den anderen neben die Tür. »Trinkst du keinen Alkohol?«

»Selten.«

»Das gefällt mir.« Uff, dem Kleinen musste man ja jedes Wort aus der Nase ziehen. Aber schön, dass er ebenfalls nicht zu denen gehörte, die zu tief ins Glas schauten.

»Wie lange studierst du schon?«, wollte Marc von ihm wissen.

Ein weiteres scheues Lächeln brachte sein Herz noch mehr zum Hüpfen. »Drei Jahre.«

»Hey, ich auch, dann besuchen wir bestimmt dieselben Kurse.«

 

Josh schwitzte, allerdings nicht allein wegen der Hitze in dem stickigen Raum. Er war froh, endlich gehen zu können und jemand Nettes kennengelernt zu haben. Es machte ihm zwar nichts aus, allein zu sein, denn das war er die meiste Zeit seines Lebens gewesen, aber es gefiel ihm, sich mit Marc zu unterhalten, verdammt gut sogar, auch wenn das Gespräch etwas monoton verlief. Er war eben kein Redner und Unbekannten gegenüber oft introvertiert.

Marc gefiel ihm auch gut, zumindest schon mal rein äußerlich. Er war der absolute Traummann: groß, blond, braungebrannt. Sicher war er schon an der Highschool ein Frauenmagnet und Footballspieler gewesen. Ja, Männer mit solch einem Körper waren immer Footballspieler, umringt von einer Horde kreischender Cheerleader. Marc war ihm sofort beim Betreten des Gemeinschaftsraumes aufgefallen, als hätte er eine besondere Aura an sich. Wenn er lächelte, bildeten sich Grübchen in seinen Wangen, die ihn spitzbübisch und auf eine bestimmte Art verwegen erscheinen ließen. Marc war ein richtiger Kerl, mit einem durchtrainierten Body – vor allem die Brustmuskeln und der Bizeps waren nicht zu verachten – und er schien was im Kopf zu haben. Auch wenn diese Uni viel Geld kostete, wurden nur die mit den besten Noten angenommen.

Ein Stich durchzuckte Joshs Brust. Halte dich lieber von diesem Schönling fern, dachte er schweren Herzens. Die sind alle vom selben Schlag. Sobald sie dich flachgelegt haben, bist du für sie uninteressant.

Josh spürte sehr wohl, worauf der Spaziergang hinauslaufen würde, dennoch ging er mit.

Vielleicht war Marc ja gar nicht schwul, dann hätte er seine erste Bekanntschaft hier gemacht, doch die Signale waren überdeutlich. Marc starrte ihn regelrecht an und befand sich viel zu dicht bei ihm, berührte ihn beim Sprechen ständig am Arm. Er kannte dieses Gebaren von den zahlreichen Liebhabern seiner Mutter. Sobald sie seine Mum ins Bett bekommen hatten, war sie uninteressant. Seiner Mutter schien das nichts auszumachen – zumindest fand sie gleich wieder jemanden, der sie tröstete. Josh wollte aber entweder eine richtige Beziehung oder lieber gar keine.

Als sie das Gebäude verließen und in die warme Augustnacht traten, nahm Josh erst mal einen tiefen Atemzug. Die Luft war unglaublich frisch, obwohl sie sich am Rande von New York City befanden, doch das Areal der Universität mit der großen Parkanlage erstreckte sich über weite Flächen. Sogar Sterne waren zu erkennen sowie der Mond, der hell und rund zu ihnen herunterleuchtete.

Die Uni lag auf Staten Island, einer Insel vor New York. Es war ein sehr grüner Stadtteil mit zahlreichen Parks, Universitäten und Golfanlagen. Josh hatte nicht schlecht gestaunt, denn er war niemals zuvor in Amerika gewesen und hatte immer gedacht, die Weltstadt New York bestünde nur aus grauem Beton und Wolkenkratzern. Sein gleichaltriger Kumpel Nick, der schon einige Jahre zuvor die Kontinente gewechselt hatte, hatte ihm Bilder geschickt und in seinen Mails vom Big Apple geschwärmt.

Es gefiel Josh hier, so weit weg von daheim. Er kam aus Kapstadt, einer sehr lebhaften Metropole, weshalb ihm die Ruhe hier zur Abwechslung richtig guttat.

Ein paar Minuten gingen sie stillschweigend über den Kiesweg, der von den Gebäuden wegführte, in Richtung Wald. Ab und zu lächelten sie sich an, wobei Josh jedes Mal die Hitze ins Gesicht schoss. Zum Glück gaben die Laternen am Wegrand nur ein mattes Licht ab.

»Jetzt müssen wir da lang«, sagte Marc und bog plötzlich vom Weg ab.

Etwas mulmig wurde es Josh jetzt doch zumute, als sie über eine Wiese marschierten, immer auf die Bäume zu. Er warf einen Blick zurück, aber die Universitätsgebäude waren nicht mehr zu sehen. Es war unglaublich still hier draußen, nur das Zirpen der Grillen war zu hören. Marc hatte es verdammt eilig, Josh kam ihm kaum hinterher.

»Ich glaube, ich dreh wieder um«, sagte er. Es gefiel ihm nicht, dass Marc plötzlich so schnell mit ihm allein sein wollte.

»Du wirst es nicht bereuen.« Marc machte eine auffordernde Handbewegung.

Als Marc zwischen den Bäumen verschwand, blieb Josh stehen, versucht, zurückzugehen. Vor ihm lag ein Abenteuer, das spürte er deutlich. Warum sich nicht einfach drauf einlassen? Er war kein Kind mehr, sondern ein Mann, der noch keine großartigen sexuellen Erfahrungen besaß, aufgrund seiner total veralteten Wertevorstellungen. Lag es vielleicht daran, weil er eine funktionierende Beziehung nie vorgelebt bekommen hatte?

»Marc, warte, ich kann nichts sehen!« Ja, er wollte endlich mal ein Abenteuer erleben, aber nur ein kleines, er musste ja nicht bis zum Letzten gehen. Ein bisschen knutschen und sich streicheln vielleicht.

In Kapstadt hatte er sich nie richtig an einen Mann herangetraut, obwohl es ein regelrechtes Gay-Paradies war – leider auch sehr anonym.

Plötzlich griff jemand im Dunklen nach seiner Hand, sodass Josh beinahe aufgeschrien hätte. Er war gewiss kein Feigling, doch … Es gab Männer, die anderen Männern Gewalt antaten, sich an ihnen vergingen, sie beraubten und … Oh Gott, er hatte einen Schluck von Marcs Bier getrunken, was, wenn er zuvor eine Droge daruntergemixt hatte? Josh fühlte sich schlagartig schwindlig und geriet ins Stolpern.

Sofort stand Marc an seiner Seite und legte einen Arm um seine Hüften. »Pass auf, hier sind Wurzeln.«

»Tut mir leid, ich bin total nachtblind«, entschuldigte sich Josh für sein tolpatschiges Verhalten und schalt sich selbst einen Dummkopf, weil er sich ausmalte, wie Marc über seinen wehrlosen, von Drogen betäubten Körper herfiel. Wie würde es sich anfühlen, von einem Mann genommen zu werden, der einem körperlich überlegen war, so wie Marc? Natürlich nur, wenn beide es wollten, und vor allem, wenn Marc sanft und liebevoll zu ihm wäre? Seltsamerweise beschleunigte sich bei dieser Fantasie sein Herzschlag, aber nicht aus Angst.

Nein, er war ja schon zu feige dazu, von selbst auf einen Mann zuzugehen, vielleicht sollten sie dann erst Mal mit Küssen anfangen. Was hab ich nur für Gedanken? Josh wunderte sich. Er war doch sonst nicht so draufgängerisch, und außerdem – wer sagte denn, dass Marc ihn gerade wirklich für eine Nummer abschleppte?

»Wo führst du mich hin?«, fragte er leise, wobei er Marcs Hand fester drückte. Es fühlte sich gut an, eine andere Männerhand zu halten, und Marcs Hand war groß, strahlte Kraft aus, hielt ihn fest. Josh hatte bisher nur ein paar zärtliche Erfahrungen mit seinem ehemaligen besten Kumpel Nick gemacht, aber das waren eher kindische Spielereien gewesen.

»Lass dich überraschen«, flüsterte Marc, wobei er langsamer wurde. »Du musst jetzt ganz leise sein.«

Nun schob Marc ihn vor sich her, seine Hände an Joshs Schultern, bis er ein Glitzern erkennen konnte. Die Bäume teilten sich, eine Lichtung tat sich auf. Josh stockte der Atem. Auf einer kleinen Wiese vollführten hunderte Glühwürmchen ihren Paarungstanz, dahinter spiegelte sich das Mondlicht in dem künstlich angelegten See. Das Zirpen der Grillen war hier übermächtig. Irgendwie kam Josh sich vor wie in einem Disneyfilm, nur dass es da keine schwulen Helden gab.

Nein, er war ja kein Held, im Moment zitterten seine Knie unkontrolliert. Ein fast völlig fremder Mann war gerade dabei, ihn zu verführen! Oder warum zeigte er ihm sonst dieses romantische Plätzchen?

»Wo hast du vorher studiert?«, raunte Marc ihm von hinten ins Ohr, worauf Josh noch weichere Knie bekam. Marc interessierte sich also nicht nur für seinen Körper. Er drehte den Kopf, sodass er Marcs Wange an seiner fühlte sowie dessen Aftershave roch, und flüsterte: »In Kapstadt.«

Marcs Arme legten sich leicht auf seine Hüften. »Wow, Kapstadt! Das ist ja irre!«

»War meinem Dad nicht gut genug«, erwiderte Josh. »Er glaubt, alles, was viel kostet, muss gut sein. Er hat wohl ein schlechtes Gewissen mir gegenüber und will das wiedergutmachen.«

»Deshalb bist du nach Amerika gekommen, nur wegen dem Studium?«

»Ich hab meinen Dad erst vor Kurzem persönlich kennengelernt. Er arbeitete ebenfalls in Kapstadt, bekam dann aber einen sehr guten Posten als Chirurg in Los Angeles angeboten. Er hat gefragt, ob ich mit ihm nach Amerika gehe, er würde für alle Kosten aufkommen, wenn ich an seiner ehemaligen Uni studieren würde.«

»Riesengroßes, schlechtes Gewissen?« Marc lachte leise in sein Ohr.

»Ja, riesengroß.« Josh schluckte. Marc rückte immer näher an ihn heran, weshalb Josh mit zitternder Stimme fortfuhr: »Er hat meine Mum kurz nach der Schwangerschaft verlassen. Allerdings hat er uns immer finanziell unterstützt«, wand sich Josh, der einem Fremden nicht gleich seine ganze Lebensgeschichte anvertrauen wollte, denn das tat er nie. Aber mit Marc war das anders. Josh hatte sofort bemerkt, dass sie auf derselben Wellenlänge lagen. Er spürte die Wärme des anderen Körpers in seinem Rücken, woraufhin er sich zwar geborgen fühlte, doch auch ein wenig unsicher. Solange er redete, konnte er das verbergen, hoffte er. »Und als wir uns letztes Jahr zum ersten Mal sahen, da bestand er drauf, dass ich auf diese Uni gehen soll. Er ist total begeistert, weil ich ebenfalls Arzt werden möchte.«

Marc pfiff leise. »Er muss ja tatsächlich ein verdammt schlechtes Gewissen haben, wenn er dich nach Amerika holt und dir die bestmögliche Ausbildung zukommen lässt. Ich weiß ja, wie viel mein Alter jährlich für mich hinblättert. Der hat übrigens auch mal hier studiert.«

»Hmm«, brummte Josh, die Augen geschlossen, und lehnte sich leicht zurück. Sein wild hämmernder Herzschlag übertönte sogar das Zirpen der Grillen in seinen Ohren. »Dann ist dein Dad ebenfalls Arzt? Ist ja witzig.«

»Äh … Nein, er hatte sich dann doch umentschieden«, raunte Marc. »Erzähl weiter, Josh. Ich höre dir gerne zu.«

Joshs Puls beschleunigte sich um eine weitere Stufe. »Was mich schlucken ließ, war, dass mein Dad in Kapstadt die ganze Zeit in meiner Nähe lebte und ich nichts wusste.«

Marc drückte ihn ein wenig. »Und deine Mum? Ist sie auch mitgekommen?«

»Nein, sie wollte nicht von ihrem neuen Lover weg.« Joshs Herz zog sich zusammen. Egal – sollte sie doch am anderen Ende der Welt bleiben. Er würde sich hier ein neues, ein glückliches Leben aufbauen.

»Bei mir ist es ähnlich«, hauchte Marc ihm in den Nacken, wobei sich seine Arme fest um Josh schlossen. »Mein Dad hatte nie Zeit für mich, er hat nur gearbeitet, seine ganze Zeit und Kraft in sein neues Geschäft gesteckt. Er war nach Mums Tod einfach nicht mehr der Alte.«

»Das tut mir leid«, sagte Josh, der Marcs Wärme und die Berührungen immer mehr genoss. »Was macht er?« Marc war ihm absolut fremd und doch so vertraut. Die große, unbekannte Hand schob sich an seinem Bauch hinab, auf den Bund seiner Hose zu. Leise stöhnend wünschte sich Josh, von Marc dort berührt zu werden.

»Er hat eine Security-Firma.«

»Dann ist dein Vater also ein richtig harter Kerl?« Josh grinste in die Dunkelheit, doch er hörte Marc an seinem Ohr schnauben. »Kalt und unnahbar ist er. Ich glaube, er hat Mums Tod immer noch nicht verkraftet. Er vertraut niemandem und geht manchmal ziemlich brutal mit seiner Umwelt um.«

Josh versteifte sich. »Hat er dich … geschlagen?«

»Ich meinte eher brutal mit Worten, aber ja, er hat mich auch das eine oder andere Mal verprügelt. Danach tat es ihm jedes Mal unendlich leid; er hat mir dann immer was gekauft. Aber ich wollte seine Geschenke nicht, seine Liebe hätte ich gebraucht. Stattdessen hatte ich oft Angst vor ihm.«

Oh je, Marc hatte es wirklich nicht schön gehabt. »Wann starb deine Mum?«, fragte Josh vorsichtig. Marcs Familienleben war also auch nicht das Gelbe vom Ei und Josh wunderte sich, dass Marc derart offen darüber sprach.

»Da war ich noch sehr klein. Ich kann mich kaum an sie erinnern. Ist ’ ne traurige Geschichte.«

Langsam drehte sich Josh in Marcs Umarmung herum. Er wollte für Marc da sein, ihn trösten, ihm die Nähe geben, die sein Vater ihm verwehrt hatte. »Magst du drüber reden?«

Marc nickte und zog zu Joshs Leidwesen seine Hände zurück. »Sie kam bei einem Autounfall ums Leben. Eine Zeitlang erzog mich meine Granny, doch als sie ebenfalls starb, kam ich schon sehr früh auf ein Internat. Da war ich wenigstens vor Dads Wutanfällen sicher.« Er steckte seine Hände in die Hosentaschen und schlenderte zum Ufer. Josh folgte ihm leise.

Die Grillen zirpten nur noch zögerlich und auch die Glühwürmchen leuchteten nicht mehr alle. Marc und er waren Eindringlinge in ihrer Märchenwelt. Schlagartig war Josh wieder nüchtern. Hilfe, fast hätten sie … Ja, was?

Und wenn schon?

Mann, dieser Kerl verwirrt mich total! Aber ich freue mich, dass er mir so viel über sich erzählt. Josh genoss das Gespräch, auch wenn die Themen nicht sehr erfreulich waren.

»Und wie ist dein Dad so, Josh?«, fragte Marc und kickte mit dem Fuß einen Stein ins Wasser.

»Ganz okay, denke ich. Ich hab jetzt zwei Wochen bei ihm in L.A. gewohnt. Hab ihn zwar nicht oft gesehen, weil er viel arbeitet, aber wir haben uns wirklich gut verstanden.«

Marc drehte sich zu ihm um, Josh konnte allerdings sein Gesicht nicht sehen. »Und warum hat er euch verlassen?«

Josh zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Meine Eltern sagen, dass es einfach nicht gepasst hat.«

»Schon komisch, irgendwie ähnlich, unsere Vergangenheit«, murmelte Marc.

Josh hatte genau dasselbe gedacht. Hatte sich vielleicht deshalb die Stimmung geändert, weil Marc nicht gerne an seine Kindheit dachte? Marc hatte sich als Junge bestimmt auch genauso oft einsam gefühlt wie er. Sie mussten beide allein klarkommen, wurden wenig geliebt oder gelobt.

Hey, dafür haben wir aber eine tolle Laufbahn eingeschlagen, dachte Josh amüsiert.

»Hast du dich einsam gefühlt?«, fragte Marc leise.

»Was?« Josh Herz klopfte wild. Konnte der Mann Gedanken lesen?

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