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Michael Schilder

Prof. Dr. rer. medic. Michael Schilder ist Professor für Pflegewissenschaft an der Evangelischen Hochschule Darmstadt und Dekan des Fachbereichs Pflege- und Gesundheitswissenschaften. Seine Lehrschwerpunkte sind klinische Pflegekonzepte, Pflegediagnostik, kultursensible Pflege und qualitative Pflegeforschung. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Entwicklung von Versorgungskonzepten für Menschen mit Demenz und deren pflegende Angehörige und die kultursensible Pflege und Gesundheitsförderung von Menschen mit Migrationshintergrund.

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H. Elisabeth Philipp-Metzen

Dr. phil. H. Elisabeth Philipp-Metzen ist Dipl.-Gerontologin und Dipl.-Sozialpädagogin und lehrt an der Fachhochschule Münster im Fachbereich Sozialwesen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind lebensweltorientierte Exploration und Intervention in gerontologischen Handlungsfeldern. Ihre Praxisschwerpunkte sind Gewaltprävention in der Pflege, Pflegeberatung sowie gerichtliche und außergerichtliche Sachverständigentätigkeit im Rahmen von GeWissGerontologie, Laer. Als Projektleiterin entwickelt sie innovative Konzepte zur Selbsthilfe und zum Freiwilligenengagement z. B. im Projekt FrühLInk. Vorstandstätigkeit erfolgt u.a. im Landesverband der Alzheimer Gesellschaften NRW und der Alzheimer Gesellschaft Münster.

Michael Schilder
H. Elisabeth Philipp-Metzen

Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen

Ein interdisziplinäres Praxisbuch: Pflege, Betreuung, Anleitung von Angehörigen

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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1. Auflage 2018

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-025746-7

E-Book-Formate:

pdf:     ISBN 978-3-17-025747-4

epub:  ISBN 978-3-17-025748-1

mobi:  ISBN 978-3-17-025749-8

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Inhaltsverzeichnis

 

 

  1. Abkürzungsverzeichnis
  2. 1 Einführung
  3. 2 Demenz als Krankheit
  4. 2.1 Demenzen aus biomedizinischer Perspektive
  5. 2.1.1 Medizinische Einordnung des Begriffs Demenz
  6. 2.1.2 Die leichte kognitive Störung bzw. Mild Cognitive Impairment (MCI)
  7. 2.1.3 Demenzformen: Ätiologien – Symptome – Krankheitsverläufe
  8. 2.1.4 Grundzüge medizinischer Diagnostik und Therapie von Demenzen
  9. 2.2 Kritik am biomedizinischen Verständnis von Demenzen
  10. 3 Grundlagen der Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz
  11. 3.1 Pflegetheoretische Basis
  12. 3.1.1 Die person-zentrierte Pflege nach Kitwood (2013)
  13. 3.1.2 Das VIPS-Modell nach Brooker (2008)
  14. 3.1.3 Personalisierung nach Sanderson & Bailey (2015)
  15. 3.1.4 Das mäeutische Pflege- und Betreuungsmodell nach van der Kooij (2007)
  16. 3.2 Pflegebedürftigkeit infolge von Demenzerkrankungen
  17. 3.3 Pflegeprozess und situatives Handeln
  18. 3.3.1 Pflegediagnostik: Assessment und Diagnose
  19. 3.3.2 Assessmentinstrumente
  20. 3.3.3 Pflegedokumentation und Pflegeplanung
  21. 3.3.4 Die Durchführung der Pflege als situatives subjektivierendes Arbeitshandeln
  22. 4 Voraussetzungen professioneller Betreuungs- und Pflegearbeit
  23. 4.1 Rechtliche Grundlagen für fachliche Betreuung und Pflege
  24. 4.1.1 Historie der Pflegeversicherung
  25. 4.1.2 Grundsätzliche Postulate der Pflegeversicherung
  26. 4.1.3 Wer ist pflegebedürftig im Sinne des SGB XI?
  27. 4.1.4 Ermittlung des Grades der Pflegebedürftigkeit
  28. 4.1.5 Zentrale Leistungen des aktuellen SGB XI
  29. 4.1.6 Praxisbezogene Informationen zum SGB XI
  30. 4.2 Ausgewählte Aspekte des Qualitätsmanagements mittels Expertenstandards
  31. 4.3 Kompetenzen in der Betreuung und Pflege
  32. 4.3.1 Aspekte zur Pflegekompetenz
  33. 4.3.2 Hinweise zur Betreuung im SGB XI
  34. 5 Strategien in der Betreuung und Pflege
  35. 5.1 Kommunikation und Interaktion
  36. 5.1.1 Validation
  37. 5.1.2 Weitere Kommunikationsansätze
  38. 5.1.3 Überblick über grundlegende Aspekte der Kommunikation und Interaktion
  39. 5.2 Pflegerische Biografiearbeit bei Menschen mit Demenz
  40. 5.3 Aktivierung und nicht-medikamentöse Interventionen
  41. 5.3.1 Zusätzliche Betreuung und Aktivierung
  42. 5.3.2 Formen und Ansätze nicht-medikamentöser Interventionen
  43. 5.3.3 Hinweise zu ausgewählten Interventionsbereichen
  44. 5.4 Umgang mit herausforderndem Verhalten
  45. 5.4.1 Historie des Begriffs und Stellenwert des Themas
  46. 5.4.2 Verstehen des Verhaltens und Methoden des Umgangs
  47. 5.5 Bewegung und Mobilitätsförderung von Menschen mit Demenz
  48. 5.6 Strategien im Hinblick auf die Körperpflege und das Kleiden
  49. 5.7 Schmerzmanagement bei Menschen mit Demenz
  50. 5.8 Ernährung von Menschen mit Demenz
  51. 5.9 Kultursensible Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz und Migrationshintergrund
  52. 6 Ausgewählte Settings in der Pflege und Betreuung
  53. 6.1 Selbstbestimmung und Inklusion, Integration und Segregation
  54. 6.1.1 Selbstbestimmung und Mitbestimmung
  55. 6.1.2 Inklusion und soziale Partizipation
  56. 6.1.3 Integration und Segregation
  57. 6.2 Menschen mit Demenz in der ambulanten Pflege
  58. 6.3 Teilstationäre Versorgung und ambulant betreute Wohngruppen
  59. 6.3.1 Teilstationäre Versorgung
  60. 6.3.2 Ambulant betreute Wohngruppen
  61. 6.4 Menschen mit Demenz in stationären Pflegeeinrichtungen
  62. 6.5 Die Pflegeoase als segregative Versorgungsvariante in Pflegeheimen
  63. 6.6 Die pflegerische Versorgung von Menschen mit Demenz im Krankenhaus
  64. 7 Die Situation pflegender Angehöriger
  65. 7.1 Informelle Pflege und Betreuung
  66. 7.1.1 Gesellschaftlicher Stellenwert der Angehörigenpflege
  67. 7.1.2 Merkmale von pflegenden Angehörigen
  68. 7.1.3 Typen pflegender Angehöriger
  69. 7.2 Ausgewählte Erfahrungshintergründe der familialen Pflege
  70. 7.2.1 Belastungen im Kontext von Pflegeübernahme
  71. 7.2.2 Belastungen im Kontext mit Demenz
  72. 7.2.3 Positive Erfahrungen und Ressourcen
  73. 7.2.4 Familien mit jüngeren Menschen mit Demenz
  74. 7.2.5 Unzureichende Inanspruchnahme von Angeboten
  75. 8 Beratung und Unterstützung im Alltag für Menschen mit Demenz und Angehörige
  76. 8.1 Beratung und Schulung für pflegebedürftige und demenziell erkrankte Menschen und Angehörige
  77. 8.1.1 Beratung und Schulung: Ansprüche nach SGB XI
  78. 8.1.2 Beratungsangebote und -aufgaben sowie Schulung im SGB XI
  79. 8.1.3 Beratung nach § 37 Abs. 3 SGB XI
  80. 8.1.4 Weitere Beratungsangebote und -anbieter
  81. 8.1.5 Beratungsformen und -ansätze im Überblick
  82. 8.1.6 Lebensweltorientierung als Querschnittsmethode
  83. 8.2 Angebote zur Unterstützung im Alltag
  84. 8.2.1 Bewährte Betreuungsangebote für pflegebedürftige Menschen nach § 45a SGB XI
  85. 8.2.2 Klassische Entlastungsangebote für Angehörige und nahestehende Personen
  86. 8.3 Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Pflege und Erwerbstätigkeit
  87. 9 Gewalt in der Pflege von Menschen mit Demenz
  88. 9.1 Gewalt gegen alte Menschen: das globale Thema Elder Abuse
  89. 9.2 Definition, Formen und Indikatoren
  90. 9.2.1 Definition von Gewalt
  91. 9.2.2 Formen von Misshandlung und Vernachlässigung
  92. 9.2.3 Indikatoren für Gewalterfahrungen
  93. 9.3 Häufigkeiten
  94. 9.4 Gewalt in der stationären Pflege
  95. 9.4.1 Forschung zur stationären Pflege in Deutschland
  96. 9.4.2 Häufigkeiten problematischer Handlungen von Pflegekräften
  97. 9.4.3 Gewaltbegünstigende Faktoren in der stationären Versorgung
  98. 9.5 Gewalt in der ambulanten Pflege
  99. 9.5.1 Pflegekräfte als Adressaten von Gewalt
  100. 9.5.2 Pflegekräfte als Ausübende von Gewalt
  101. 9.5.3 Pflegekräfte als Zeugen von Gewalt durch andere Pflegekräfte
  102. 9.6 Gewalt ausgehend von Angehörigen
  103. 9.6.1 Pflegende Angehörige als Adressaten von Gewalt
  104. 9.6.2 Pflegende Angehörige als Ausübende von Gewalt
  105. 9.6.3 Früherkennung von Gewalt am Beispiel des PURFAM-Assessments
  106. 9.6.4 Prävention von Gewalt durch Angehörige
  107. 9.7 Gewaltprävention im Handlungsfeld professioneller Pflege
  108. Glossar
  109. Literaturverzeichnis
  110. Stichwortverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

 

 

 

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1          Einführung

 

 

Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen bzw. Bezugspersonen stellen in unserer Gesellschaft eine zunehmend wichtiger werdende Zielgruppe für Berufe im Gesundheitswesen dar. Dies resultiert aus ihrer bereits aktuell hohen Anzahl im Vergleich zu anderen Erkrankungen, die prognostisch überproportional zunehmen wird. Doch nicht nur die reine Quantität bestimmt die hohe klinische Relevanz dieser Zielgruppe. Vielmehr handelt es sich in den meisten Fällen um langandauernde und komplexe Lebens- und Pflegesituationen, die vom betroffenen Menschen selbst, aber auch von dessen Bezugspersonen hohe Bewältigungsarbeiten und Anpassungsleistungen abfordern und mit einem multiplen Versorgungsbedarf verbunden sind.

Dies fordert das Gesundheitswesen heraus, in Zukunft entsprechende Versorgungsstrukturen und -konzepte auszubilden. Da nichtsdestotrotz Menschen mit Demenz derzeit vornehmlich durch Bezugspersonen wie Angehörige betreut und im eigenen Zuhause pflegerisch versorgt werden, geht mit diesem Szenario die Notwendigkeit der Entwicklung von Demenzkompetenz aufseiten von Fachpersonen und weiterem Betreuungspersonal einher. Diesem Anliegen ist das vorliegende Werk gewidmet, welches sich gleichermaßen sowohl an Pflegefachpersonen als auch an Betreuungspersonal richtet und damit unterschiedlichen Bildungsbedarfen gleichermaßen Rechnung trägt.

Zunächst werden im zweiten Kapitel die medizinischen Grundlagen der Demenz dargelegt. Denn die vielfältigen neuropathologischen Veränderungen infolge des neurologischen Defizits, die mit dem Krankheitsetikett »Demenz« bezeichnet werden, stellen den primären Zugang zur Aufschlüsselung der damit einhergehenden Pflegebedürftigkeit dar. Das zweite Kapitel dient auch dazu, zu verstehen, dass es sich um ein vielfältiges Krankheitsgeschehen mit den unterschiedlichsten Ausdrucksformen handelt, die im Rahmen einer fachlichen Bezugnahme einer systematischen Betrachtung und Einschätzung bedürfen.

Ein weiterer, nicht weniger wichtiger Zugang zum Verständnis von Lebens- und Pflegesituationen von Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen bilden theoretische Betrachtungsweisen darüber, welche Bedürfnisse von einem von Demenz betroffenen Menschen in Anbetracht der konkret vorhandenen Symptomlage vorliegen können. Dazu werden im dritten Kapitel wichtige theoretische Positionen ausgehend von der personzentrierten Pflege herausgegriffen, die den aktuellen Stand der Pflegewissenschaft im Hinblick auf eine hochwertige, am Individuum und dessen sozialem Umfeld orientierte Pflege und Betreuung abbilden. Auf dieser Basis wird dargestellt, was Pflegebedürftigkeit infolge von Demenz bedeuten kann und in welcher Weise fachlich zu ihrer Bestimmung vorzugehen ist. Abgerundet wird dies mit der Betrachtung von Schwerpunkten des Pflegeprozesses, der die Systematik der pflegerischen Handlungsstrategie aufschlüsselt, damit Menschen mit einem entsprechenden Pflegebedarf in zielgerichteter und nachvollziehbarer Weise pflegefachliche Unterstützung erfahren.

Im Anschluss daran werden im vierten Kapitel rechtliche und fachliche Rahmenbedingungen und Voraussetzungen erläutert, die bei der Ausgestaltung fachlicher Pflege und Betreuung zu berücksichtigen sind, bevor dann im fünften Kapitel wichtige Pflege- und Betreuungskonzepte im Hinblick auf Demenz veranschaulicht werden, die auf die häufigsten und kritischsten Pflegeprobleme und Bedürfnisse der Zielgruppe bezogen sind.

Zur Erläuterung der vielfältigen Versorgungssettings werden im sechsten Kapitel die wichtigsten Konzepte im Hinblick auf ihre Vor- und Nachteile im Rahmen der Betreuung und pflegerischen Versorgung beleuchtet, bevor im siebten Kapitel der Schwerpunkt der Betrachtung auf die Situation und die Bedarfe der pflegenden Angehörigen gerichtet wird. Vertieft werden diese Ausführungen dann im achten Kapitel mit dem in der aktuellen Pflegegesetzgebung gestärkten Auftrag der Pflegeberatung und Unterstützung im Alltag, was die damit einhergehenden hohen fachlichen Anforderungen verdeutlicht. Beschlossen wird dieses Buch schließlich im neunten Kapitel mit einem häufig vernachlässigten und eher randständig bearbeiteten Gegenstand, nämlich die vielfältigen Ausdrucksformen von Gewalt in der Pflege und ihre Vermeidungsmöglichkeiten, die den Kreis zu den grundlegenden theoretischen Modellen der pflegefachlichen Versorgung und Betreuung von Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen schließen. In den Ausführungen ist soweit wie möglich eine neutrale Sprachform gewählt worden. Wurde ansonsten aus Gründen der besseren Lesbarkeit ausschließlich die männliche Form verwendet, so ist dies geschlechterübergreifend gemeint.

2          Demenz als Krankheit

 

2.1       Demenzen aus biomedizinischer Perspektive

Bei der Einordnung des Begriffs Demenz gilt es, zunächst eine allgemeine Begriffsbestimmung von der medizinischen zu unterscheiden.

Auf allgemeiner Ebene bedeutet Demenz lateinisch übersetzt ›ohne Verstand‹ (Jahn & Werheid 2015; Falk 2015). Bereits diese (veraltete) Kennzeichnung ist nicht unproblematisch, können doch den von Demenz betroffenen Menschen nicht zwangsläufig Unverstand unterstellt werden.

2.1.1     Medizinische Einordnung des Begriffs Demenz

Demenzen zählen aus biomedizinischer Sicht zu den häufigsten neuropsychiatrischen Erkrankungen des höheren Lebensalters. Das Risiko, an einer Demenz zu erkranken, steigt mit dem Lebensalter exponentiell an. In der Medizin wird somit das Lebensalter als der größte Risikofaktor für Demenz angesehen, weil im Alter generell die Wahrscheinlichkeit zu erkranken steigt und zugleich die Widerstandsfähigkeit des Gehirns sinkt (Karakaya et al. 2014; Fellgiebel 2013). Allgemein formuliert handelt es sich bei Demenz nach Förstl & Lang (2011, S. 4) um einen »schwerwiegenden Verlust der geistigen Leistungsfähigkeit aufgrund einer ausgeprägten und lang andauernden Funktionsstörung des Gehirns.«

Die aktuellen Definitionen der Medizin zum Begriff der Demenz basieren auf den medizinischen Klassifikationen ICD-10 und DSM-IV (bald: 51).

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Bei der Erfassung des Begriffs Demenz ist zunächst deren allgemeine Bedeutung als Sammelbegriff von den spezifischen Formen der Demenz zu unterscheiden. Demenz als Sammelbegriff bezeichnet ein Syndrom einer mnestischen bzw. Gedächtnisstörung, wenn auch nicht alle Formen der Demenz dieses Leitkriterium als kleinsten gemeinsamen Nenner aufweisen.

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Formen von Demenz sind auf unterschiedliche Ursachen (Krankheiten) zurückzuführen und unterscheiden sich damit in ihrem Erscheinungsbild, in ihrem Verlauf und anhand ihrer zeitlichen Perspektive. Aber auch die medizinischen Definitionen der oben erwähnten Klassifikationen sind uneinheitlich (Förstl & Lang 2011; Jahn & Werheid 2015).

Bei aller Unterschiedlichkeit in der medizinischen Terminologie können die folgenden Grundgemeinsamkeiten festgehalten werden: Demnach handelt es sich bei Demenz um ein psychopathologisches Syndrom. Die hierbei auftretenden krankhaften Veränderungen sind eine erworbene Störung von Gedächtnisfunktionen, was bedeutet, dass die Gedächtnisfunktion der davon betroffenen Menschen zuvor auf einem höheren Niveau lag.

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Die Verwendung der Diagnose Demenz fordert aus medizinischer Sicht (ICD) mindestens noch eine weitere kognitive Einbuße in den Bereichen Denken, Orientierung, Auffassung, Rechnen, Lernfähigkeit, Sprache und Urteilsvermögen (DGPPN & DGN 2009). Das DSM-IV-TR enthält demgegenüber die folgenden mit einer Demenzdiagnose verbundenen kognitiven Störungen: Aphasie, Apraxie, Agnosie und Störung der Exekutivfunktionen (Planen, Organisieren, Einhalten einer Reihenfolge, Abstrahieren) (Jahn & Werheid 2015).

Allein die Kombination dieser möglichen Symptome verdeutlicht, dass es sich bei der Demenz um ein komplexes Krankheitsbild handelt. Doch die medizinische Terminologie differenziert weiter, dass mit den zuvor bezeichneten Symptomen Veränderungen der emotionalen Kontrolle, des Sozialverhaltens und der Motivation des davon betroffenen Menschen einhergehen können.

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Die ICD fordert für die Verwendung des Begriffs Demenz zudem eine Mindestdauer der Symptome von einem halben Jahr. Je nach der zugrundeliegenden Ursache der Demenz verlaufen diese kognitiven Beeinträchtigungen progredient (sich fortlaufend entwickelnd), gleichbleibend, treppenförmig, schwankend oder reversibel. Das bedeutet, dass seltenere Demenzformen durchaus heilbar sind, wohingegen der größte Teil der Demenzformen chronisch fortschreitender Natur und damit nicht heilbar ist.

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Bei der Diagnose Demenz muss aber auszuschließen sein, dass es sich um ein Delir oder eine Depression handelt, die mit ähnlichen Krankheitszeichen einhergehen und daher leicht mit einer Demenz verwechselt werden können. Ausgeschlossen werden muss auch ein vorübergehender Verwirrtheitszustand und eine rasch einsetzende Bewusstseinstrübung (Förstl & Lang 2011). Die genaue Diagnose unter Ausschluss anderer Krankheitsbilder mit ähnlicher oder identischer Klinik ist für die Wahl des geeigneten therapeutischen Ansatzes wesentlich.

Schließlich schlagen sich die mit der Demenz einhergehenden Veränderungen in einer verringerten Alltagskompetenz nieder. Diese können soziale und berufliche Beeinträchtigungen und Selbstpflegedefizite in der Selbstversorgung wie der Körperpflege, dem Kleiden oder dem Essen und Trinken umfassen (Jahn & Werheid 2015; Förstl & Lang 2011).

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Images Verhaltensauffälligkeiten bzw. BPSD Images

Bei etwa 80% der Menschen mit Demenz kommt es im Verlauf ihrer Krankheit neben den kognitiven Beeinträchtigungen zu weiteren nicht-kognitiven Veränderungen ihres Erlebens und Verhaltens. Dazu zählen Symptome wie »vermehrte Angst und Depressivität, hyperaktives Verhalten (Agitation, Aggressivität, Enthemmung, psychomotorische Unruhe), Apathie oder psychotische Symptome« (Karakaya et al. 2014, S. 319). Diese nicht-kognitiven Veränderungen werden als psychische und Verhaltenssymptome oder Verhaltensauffälligkeiten bezeichnet (im Englischen ›behavioral and psychological symptoms of dementia‹ oder BPSD). Vor allem sie führen zu Herausforderungen und Problemen in der Versorgung bzw. Betreuung, die sich pflegenden Angehörigen und Fachpersonen stellen (Karakaya et al. 2014; Schuler & Oster 2008). Karakaya et al. (2014) weisen darauf hin, dass diese Verhaltensveränderungen Ausdruck einer Reaktion der Menschen mit Demenz auf eine Umgebungsveränderung oder neu auftretende körperliche Veränderungen wie Schmerzen sein kann.

Folgende Schweregrade eines Demenzsyndroms werden unterschieden:

Tab. 2.1: Schweregrade der Demenz (modifiziert nach Lang & Förstl 2011, S. 7)

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SchweregradSymptome: Gedächtnis, geistige LeistungenAlltagsaktivitäten

Bevor der Demenzbegriff weiter aufgeschlüsselt wird, wird zunächst auf eine der Krankheit vorausgehende Vorstufe Bezug genommen.

2.1.2     Die leichte kognitive Störung bzw. Mild Cognitive Impairment (MCI)

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In dem Versuch, zwischen normaler, altersbezogener und krankhafter Vergesslichkeit zu unterscheiden und damit eine Grenzziehung zwischen gesund und krank vorzunehmen, sind Konzepte wie ›leichte kognitive Störung‹ bzw. ›mild cognitive Impairment‹ gebildet worden (Jahn & Werheid 2015). Wo bereits Fortschritte in der Erkennung von Vorzeichen einer Demenz erzielt wurden, wird einem solchen prädemenziellen Stadium insofern besondere Aufmerksamkeit zuteil, weil sich die medizinische Forschung in Zukunft damit einen Interventionsansatz zur Vermeidung einer Demenz verspricht (Wallesch & Förstl 2012).

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Die Gedächtnisdefizite zeigen hierbei eine unter der Altersnorm liegende Leistung, wobei Betroffene jedoch nicht dement sind und keine Beeinträchtigung in ihren normalen Alltagsaktivitäten erfahren. Es zeigen sich Probleme im Bereich des Kurzzeitgedächtnisses, der Auffassung und der Aufmerksamkeit (Zaudig 2011; Jahn & Werheid 2015; Wallesch & Förstl 2012).

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Die leichte kognitive Störung kann einerseits als »Vorläuferstadium einer sich später entwickelnden Demenz« oder andererseits als eine »gutartige, sich nicht weiter verschlechternde Altersvergesslichkeit« angesehen werden (Zaudig 2011, S. 26); sie gilt auch als (größter) Risikofaktor für Demenz (Hagg-Grün 2013; Karakaya et al. 2014; Wallesch & Förstl 2012).

2.1.3     Demenzformen: Ätiologien – Symptome – Krankheitsverläufe

Mit dem Sammelbegriff Demenz ist lediglich das Demenzsyndrom ohne spezifische Ursache beschrieben. Demenzen werden aber von recht unterschiedlichen Ursachen (Ätiologien) hervorgerufen. Diese können sein:

•  neurodegenerative Veränderungen, wie z. B. Alzheimer-Demenz, Parkinson,

•  vaskuläre Krankheitsprozesse, wie z. B. Multi-Infarkt-Demenz,

•  ernährungsbedingte Mangelerscheinungen, wie z. B. Vitamin-B1- oder Vitamin-B12-Mangel, Folsäuremangel,

•  internistische Erkrankungen, wie z. B. Hypertonie, Hirntumore, Hypo-/Hyperthyreose und

•  Substanzmissbrauch, wie Alkoholismus (Jahn & Werheid 2015; Karakaya et al. 2014).

Mit der Zuordnung der Ursache ist die jeweilige Demenzform bestimmt. In Abhängigkeit der Lokalisation des Krankheitsgeschehens werden weitere Unterteilungen vorgenommen, wie:

•  primär: das Krankheitsgeschehen spielt sich direkt im Gehirn ab.

•  sekundär: die Demenz ist Folge anderer Erkrankungen außerhalb des Gehirns.

•  kortikal (z. B. Alzheimer-Krankheit)/ subkortikal (z. B. Morbus Parkinson): beschreiben die jeweilige Region, in der sich der Krankheitsprozess im Gehirn als neurodegenerativer Prozess abspielt. Ein prägnanter Unterschied ist, dass sich motorische Störungen bei der subkortikalen Variante früher als bei der kortikalen zeigen (Perrar et al. 2011; Hagg-Grün 2013; Jahn & Werheid 2015).

Formen der Demenz sind (DGPPN & DGN 2016, S. 26):

•  die Alzheimer Demenz (ca. 50–70%)

•  die vaskuläre Demenz (ca. 15–25%) und die

•  Lewy-Body-Demenz oder Lewy-Körperchen-Demenz (ca. 0–30,5%).

Die Alzheimer-Demenz

Die Alzheimer-Demenz gilt als der Prototyp der kortikalen Demenz und ist die häufigste Ursache eines Demenzsyndroms im Alter (DGPPN & DGN 2009, 2016; Schmidtke & Otto 2012; Jahn & Werheid 2015).

Die medizinische Klassifikation ICD definiert die Alzheimer-Krankheit wie folgt:

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»Die Alzheimer-Krankheit ist eine primär degenerative zerebrale Krankheit mit unbekannter Ätiologie und charakteristischen neuropathologischen und neurochemischen Merkmalen. Sie beginnt meist schleichend und entwickelt sich langsam aber stetig über einen Zeitraum von mehreren Jahren« (DGPPN & DGN 2016, S. 11).

Die ICD unterscheidet die folgenden Unterformen der Alzheimer-Krankheit:

•  Demenz bei Alzheimer-Krankheit mit frühen Beginn (< 65 Jahren),

•  Demenz bei Alzheimer-Krankheit mit spätem Beginn (> 65 Jahren),

•  atypische oder gemischte Form (DGPPN & DGN 2016).

Die Alzheimer-Krankheit verläuft als chronisch progrediente Systemdegeneration, die »zur Schädigung von Synapsen und Neuriten und schließlich zum Absterben von Neuronen des Großhirns, des Zwischenhirns und, in geringerem Maße, des Hirnstamms« führt und eine mittlere Krankheitsdauer von etwa fünf bis acht Jahren aufweist (Schmidtke & Otto 2012, S. 203). Die Lebenserwartung der Menschen mit einer Alzheimer-Krankheit ist verkürzt (Förstl et al. 2011; Karakaya et al. 2014; Jahn & Werheid 2015).

Der Krankheitsmanifestation geht eine langjährige präklinische Phase voraus (Förstl et al. 2011; Schmidtke & Otto 2012; Jahn & Werheid 2015), wobei die amnestische Leichte Kognitive Beeinträchtigung (LKB) mit führenden Gedächtnisstörungen als Vorstufe gilt (Karakaya et al. 2014). In der präklinischen Phase können sich subtile neuropsychologische Defizite in »Schwierigkeiten beim Abspeichern neuer Informationen, beim planvollen Handeln oder dem Rückgriff auf semantische Gedächtnisinhalte« zeigen (Förstl et al. 2011, S. 50, 52).

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Auch wenn die eigentlichen Ursachen der Alzheimer-Krankheit noch immer unbekannt sind, können besondere neuropathologische Veränderungen im Gehirn beobachtet werden, die den Krankheitsprozess begleiten. Dies sind vor allem Beta-Amyloid-Protein-Plaques, Neurofibrillenbündel, reaktive Gliazellvermehrung und Synapsen- und Nervenzellverluste, die zum Verlust funktionsfähiger Neuronen führen (Förstl et al. 2011; Schmidtke & Otto 2012; Jahn & Werheid 2015). Plaques sind abgestorbenes Zellmaterial, das sich auf der Oberfläche der Neuronen ablagert. Im Inneren der Neuronen kommen Neurofibrillenbündel (dickere und gröbere Strukturen bzw. verdrehte (Eiweiß)fasern) vor. Letztendlich schrumpft das Gehirn (Atrophie) durch Verlust von Neuronen und Dendriten (Bolwby Sifton 2011; Falk 2015). Als neurochemische Merkmale gelten das cholinerge Defizit oder Störungen des glutamatergen Systems (Stechl et al. 2012). Grob betrachtet handelt es sich beim Krankheitsgeschehen um einen neuronalen Zellverlust infolge von inner- und außerhalb der Nervenzellen eintretenden Proteinablagerungen. Auch genetische Faktoren spielen bei der Pathogenese eine Rolle (Jahn & Werheid 2015).

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Images Ausschlussdiagnose Images

Die Diagnose der Alzheimer-Krankheit ist eine Ausschlussdiagnose. Sie wird dann gestellt, wenn keine andere demenzverursachende Krankheit gefunden wird (Förstl et al. 2011).

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Das Lebensalter ist der bedeutsamste Risikofaktor für die Alzheimer-Krankheit (Förstl & Lang 2011; Sattler et al. 2012; Fellgiebel 2013). Daneben erhöhen auch weitere Faktoren das Erkrankungsrisiko, wie etwa Diabetes, Hyperlipidämie im mittleren Lebensalter, genetische Disposition, kardiovaskuläre Erkrankungen und der Umgang mit Genussmitteln wie Alkohol und Nikotin (Schmidtke & Otto 2012; Sattler et al. 2012).

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Trotz fehlender wirksamer Prophylaxe wird vermutet, dass die klinische Manifestation der Alzheimer-Krankheit durch eine höhere kognitive Reserve verzögert werden kann. Das Konzept der kognitiven Reserve meint »die Fähigkeit des menschlichen Gehirns, den Einfluss einer neuropathologischen Schädigung bis zu einem gewissen Grad zu kompensieren« (Sattler et al. 2012, S. 183). So sind »interindividuelle Unterschiede bzgl. der Kompensationsfähigkeit des Gehirns« festgestellt worden, woraus geschlossen wird, dass »das Ausmaß an Gehirnpathologie […] nicht mit der klinischen Manifestation der AD« gleichzusetzen ist (Sattler et al. 2012, S. 183). Die geistige Reserve könnte bei geistig und körperlich aktiven, höher gebildeten, sozioökonomisch besser gestellten und sozial eingebundenen Menschen stärker ausgeprägt sein und zur besseren Kompensation krankheitsbedingter Veränderungen beitragen, was die Krankheit verzögern könnte (Sattler et al. 2012; Huxhold 2012; Erickson et al. 2012).

Daneben werden weitere Schutzfaktoren diskutiert, wie etwa mediterrane Diät, Folsäuresubstitution und ein geringer bis mäßiger Alkoholkonsum, auch wenn letzterer aufgrund von weiteren organischen Folgeschäden nicht zur Prävention empfohlen wird (Schmidtke & Otto 2012; Sattler et al. 2012).

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Die manifeste bzw. eigentliche Erkrankungsphase der Alzheimer-Krankheit wird angesichts der zunehmenden kognitiven Störungen und deren Auswirkungen auf die Selbstpflegefähigkeit und Lebensführung des Menschen mit Demenz in die folgenden Phasen untergliedert (Jahn & Werheid 2015):

•  beginnende oder leichte

•  mittelgradige

•  fortgeschrittene bzw. schwere Demenz

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Kognitive Kernsymptome der Alzheimer-Krankheit sind eine zunehmende Gedächtnisstörung (mnestische Störung), visuell-räumliche Störung und Benennstörung (Schmidtke-Otto 2012; Jahn & Werheid 2015). Ein erstes Hinweiszeichen ist das verzögerte Erinnern (Jahn & Werheid 2015). Visuell-räumliche Störungen können sich in Schwierigkeiten beim Schreiben, Rechnen und Karten- oder Uhrenlesen zeigen und kommen in der Krankheitsentwicklung früher zum Tragen. Die beeinträchtigte räumliche Orientierung kann bereits zu Beginn der Krankheit zur Minderung des Fahrverhaltens führen, indem Abstände und Geschwindigkeiten im Verkehrsgeschehen nicht mehr adäquat eingeschätzt werden können (Schmidtke & Otto 2012).

Die Symptome des Krankheitsbildes der Alzheimer-Demenz zeigen sich uneinheitlich. Sie variieren nicht nur im Zeitverlauf, sondern auch inter- und intrapersonell (Bolwby Sifton 2011). Die Symptomatik der Alzheimer-Krankheit kann in Primär- und Sekundärsymptome unterschieden werden (Hafner & Meier 2005, S. 314):

Als Primärsymptome werden direkte kognitive Ausfallerscheinungen (so genannte A-Symptome) bzw. Defizitsymptome bezeichnet. Es handelt sich um durch die Erkrankung der Großhirnrinde entstandene Hirnleistungsstörungen.

Als Sekundärsymptome werden aus diesen resultierende reaktive Verhaltensstörungen bzw. Nachfolgeerscheinungen verstanden. Als nicht-kognitive Krankheitszeichen stellen sie neuropsychiatrische Symptome in Form von Verhaltensstörungen dar, die insbesondere in der frühen Krankheitsphase Bedeutung erlangen. Wenn sie auch nicht obligat mit der Diagnose verbunden sind, kommen sie bei Menschen mit Alzheimer-Krankheit doch häufig in wechselnden Konstellationen vor (Perrar et al. 2011; Hagg-Grün 2013, Falk 2015, S. 72).

Charakteristische kognitive Symptome der Alzheimer-Krankheit werden im Folgenden dargestellt.

Amnesie

Die Gedächtnisstörung bzw. Verschlechterung der Gedächtnisleistungen, im Krankheitsverlauf zunehmend, ist das Leitsymptom der Alzheimer-Krankheit.

Die Gedächtnisstörung wirkt sich im Verlauf der Krankheit negativ auf die Leistungsfähigkeit des Kurzzeit-, Langzeit- und Prospektivgedächtnisses aus (Hafner & Meier 2005, Bolwby Sifton 2011; Perrar et al. 2011). Zunächst ist zu Beginn das Kurzzeitgedächtnis oder das Neu- bzw. Frischgedächtnis in der Form betroffen, dass die Niederlegung neuer Gedächtnisinhalte gestört ist (May et al. 2011; Schmidtke & Otto 2012; Gogia & Rastogi 2014).

Auch weil Betroffene Schwierigkeiten haben, ihre Aufmerksamkeit und Konzentration lange genug aufrechtzuerhalten, werden neue Inhalte nicht mehr in das Langzeitgedächtnis aufgenommen. Diese sind dann nicht oder nur sehr schwer erinnerbar (Sauter et al. 2006; Perrar et al. 2011; Gogia & Rastogi 2014).

Im frühen Stadium der Erkrankung zeigen sich leichte Beeinträchtigungen wegen des Gedächtnisverlusts, der periodisch schwankend auftritt. So werden Gegenstände verlegt, Verabredungen versäumt und es kann schwerfallen, sich in neuen und ungewohnten Situationen oder Umgebungen zu bewegen (Sauter et al. 2006; Bolwby Sifton 2011; Gogia & Rastogi 2014). Diese Auswirkungen haben anfangs noch keine Beeinträchtigung der selbständigen Lebensführung der Betroffenen zur Folge, die häufig sich selbst und anderen – auch vertrauten – Personen gegenüber noch eine Fassade selbständiger Lebensführung aufrechterhalten können (Bolwby Sifton 2011).

Mit dem Voranschreiten der Krankheit jedoch wird der Zugang zum Altgedächtnis erschwert. »Semantische Gedächtnisinhalte (Weltwissen) und auch episodisch-biografische Erinnerungen werden lückenhaft, verblassen, zerfallen schließlich ganz« (Jahn & Werheid 2015, S. 28).

Sauter et al. (2006, S. 974) zufolge wird das Gedächtnis »wie ein Wollknäuel abgewickelt. Zuerst verschwinden die jüngeren Erinnerungen, dann immer weiter zurückliegende. Ausnahmen: Jüngere Erinnerungen, die immer wieder aktualisiert werden, und solche, die einen tiefen emotionalen Eindruck hinterlassen, können leichter erinnert werden. Erinnerungen an komplizierte Fertigkeiten gehen schneller verloren.«

Im weiteren Verlauf und bei Fortschreiten der Krankheit ist auch das Langzeitgedächtnis betroffen (Stechl et al. 2012; Jahn & Werheid 2015). Die Folge daraus ist die anfangs zeitliche, später örtliche, situative, auf andere (ehemals vertraute) Personen und schließlich auf die eigene Person bezogene autopsychische Desorientierung (Hafner & Meier 2005; Krohwinkel 2013).

Während im Anfangsstadium der zeitliche Bezug, etwa zur Jahreszahl oder zur Jahreszeit, verschwindet, verliert der Betroffene mit der autopsychischen Desorientierung im weiteren Voranschreiten der Demenzerkrankung selbst »gut konsolidierte Teile seines Altgedächtnisses. ln der Folge gehen die persönliche Lebensgeschichte und damit auch zunehmend die eigene Persönlichkeit verloren« (Perrar et al. 2011, S. 111).

Weil Menschen mit Alzheimer-Erkrankung zunehmend das Wissen über ihre Lebenswelt und Biografie verlieren, »schreitet die Alzheimer-Erkrankung von einer behindernden Erkrankung zu einem Verlust der Identität und Persönlichkeit voran« (Schmidtke & Otto 2012, S. 203).

Aphasie (Sprachstörung)

Sprachstörungen sind je nach Demenzform und -phase unterschiedlich ausgeprägt. Sie reichen anfänglich von abnehmendem Vokabular, Wortfindungsstörungen und Benennungsstörungen über eine im mittleren Stadium auftretende Störung des Ausdrucksvermögens mit unflüssiger und unpräziser Sprache bis hin zum Verstummen im Spätstadium bei beeinträchtigter Sprachproduktion (Schmidtke & Otto 2012; Förstl et al. 2011; Gogia & Rastogi 2014).

Agnosie

Agnosie bedeutet die Unfähigkeit zur bewussten Verarbeitung von Sinnesreizen bei intakten Sinnesorganen.

Alle Sinnesarten können von einer Agnosie betroffen sein, was zur Folge hat, dass Betroffene ihrer Wahrnehmung keine Bedeutung mehr beimessen können. So werden trotz intakter Seh- oder Hörorgane Gegenstände nicht mehr visuell erkannt oder Gehörtes nicht mehr adäquat eingeordnet. Eine Variante der Agnosie stellt die Prosopagnosie dar, in deren Folge Betroffene bekannte Gesichter und vertraute Personen nicht mehr erkennen können. Andere Ausprägungen betreffen die Agnosie von Objekten, Farben und auch das Nichterkennen der eigenen Krankheit (Anosognosie) mit entsprechend fehlender Krankheitseinsicht. Infolge dieser Beeinträchtigung drohen viele Dinge im Umfeld der Betroffenen ihre Bedeutung zu verlieren (Schröder 2003; Hafner & Meier 2005; Falk 2015).

Apraxie

Mit Apraxie wird die sogenannte Werkzeugstörung bezeichnet. Sie ist ein »Defizit in der Ausführung geordneter sequenzieller Bewegungen, vor allem der Hände, zur Manipulation von Gegenständen, Ausübung manueller Tätigkeiten und Gestik« (Schmidtke & Otto 2012, S. 214). Infolge dieser Unfähigkeit zur Planung und zum Einsatz ziel- und zweckgerichteter Bewegungsabläufe ist der Betroffene in der Ausführung komplexer bzw. komplizierter Handlungsabläufe beeinträchtigt (ideatorische Apraxie = früh auftretend). Dabei sind zuerst Handlungsabläufe etwa im Bereich der instrumentellen Aktivitäten des täglichen Lebens, die zum Einkaufen oder Telefonieren erforderlich sind, betroffen. Dies kann mit einer Beeinträchtigung sozialer und beruflicher Tätigkeiten verbunden sein (Hafner & Meier 2005; Perrar et al. 2011; Schmidtke & Otto 2012). Im weiteren Verlauf der Erkrankung sind die ADLs bzw. die Ausführung von Selbstpflegehandlungen im Hinblick etwa auf die Körperpflege, das Kleiden, Ausscheidungsvorgänge und die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme beeinträchtigt (manuelle Apraxie = spät auftretend) (Schmidtke & Otto 2012; Gogia & Rastogi 2014).

Verlust der Abstraktionsfähigkeit

Dies ist eine Störung des abstrakten Denkens. Infolge dieser Störung ist die Fähigkeit von Betroffenen herabgesetzt, »logisch, zusammenhängend, zielgerichtet zu denken und zu planen. Der demente Patient erkennt keine Unterschiede mehr und kann keine Zusammenhänge mehr herstellen. Er ist somit unfähig geworden, schlussfolgernd zu denken und sinngemäß zu handeln« (Perrar et al. 2011, S. 111; vgl. auch Gogia & Rastogi 2014).

Assessment-Störung

Hiermit wird die Störung der Urteilskraft bezeichnet. Es handelt sich hierbei um die »Abnahme der Fähigkeit, Situationen, Gegebenheiten, überhaupt die Wirklichkeit, dem gesunden Menschenverstand gemäß zu erfassen und den jeweiligen sozialpsychologischen Verhältnissen entsprechend zu handeln« (Hafner & Meier 2005, S. 317).

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Neben diesen Primärsymptomen können sekundäre nicht-kognitive verhaltensbezogene Symptome bzw. psychiatrische Begleitsymptome wie Persönlichkeitsveränderungen, Wahn, Angst, Unruhe, aggressives Verhalten, Apathie, Schlafstörung und Depression auftreten. Diese werden im Deutschen als NKSD (nicht-kognitive Symptome bei Demenz) und im Englischen als BPSD (Behavioral-Psychological Symptoms of Dementia) bezeichnet (Schäufele 2012, S. 300; vgl. 2.1.3).

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Insbesondere BPSD wie Persönlichkeitsveränderungen führen zur Beeinträchtigung der Lebensqualität von Erkrankten, deren Bezugspersonen und anderen versorgenden oder betreuenden Personen. Dies ist mit der Gefahr einer frühen Institutionalisierung wie der Krankenhausaufnahme oder der Pflegeheimeinweisung verbunden (Bossen et al. 2009; Schäufele 2012; Falk 2015). Ein anderer Begriff für BPSD ist der des herausfordernden Verhaltens, zu denen Agitation, Herumgehen, Herumlaufen, Wandern, Aggressivität, vokale Störungen, Passivität und Apathie gezählt werden (BMG 2006; Halek & Bartholomeyczik 2006; Busse 2015).

Die vaskuläre Demenz

Der Oberbegriff vaskuläre Demenz fasst sehr unterschiedliche, auf Gefäßerkrankungen des Gehirns basierende Krankheitsbilder zusammen, die in ein Demenzsyndrom münden (Perrar et al. 2011; Haberl 2011; Kitwood 2013). Nach der Alzheimer-Krankheit wird sie als die zweithäufigste Demenzform bezeichnet (Hamann 2012; Falk 2015).

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Hervorgerufen wird sie durch kleinere oder größere abnorme Durchblutungsverhältnisse, die mit Schlaganfällen einhergehen können. Diese wiederum führen zur ausgeprägten Minderung der motorischen und/oder der kognitiven Leistungsfähigkeit der davon betroffenen Personen (Haberl 2011; Hamann 2012; Jahn & Werheid 2015). Infolge dieser Durchblutungsstörungen kommt es zur Zerstörung von funktionstragenden Hirnzellen, zur Unterbrechung von Leitungsbahnen und zur Beeinträchtigung von Neurotransmittersystemen (Jahn & Werheid 2015).

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Die vaskuläre Demenz ist nicht heilbar und kann bei Diagnosestellung bereits eine längere Zeit bestanden haben, währenddessen das Gehirn die ausgefallenen Funktionen noch längere Zeit kompensieren konnte (Falk 2015). Auch die vaskuläre Demenz tritt häufig im höheren Lebensalter auf. Jedoch sind gegenüber der Alzheimer-Krankheit mehr Männer als Frauen betroffen, die ein doppelt so hohes Erkrankungsrisiko aufweisen (Stechl et al. 2012; Hamann 2012). Die durchschnittliche, zwischen 4,7–8,1 Jahre liegende Krankheitsdauer der Alzheimer-Krankheit ist bei der vaskulären Demenz um ein Jahr verkürzt (Falk 2015). Damit liegt die durchschnittliche Überlebensdauer unter der der Alzheimer-Krankheit (Perrar et al. 2011; Haberl 2012).

Die ICD definiert vaskuläre Demenz wie folgt:

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»Die vaskuläre Demenz ist das Ergebnis einer Infarzierung des Gehirns als Folge einer vaskulären Krankheit, einschließlich der zerebrovaskulären Hypertonie. Die Infarkte sind meist klein, kumulieren aber in ihrer Wirkung. Der Beginn liegt gewöhnlich im späteren Lebensalter« (DGPPN & DGN 2016, S. 15; vgl. auch Stechl et al. 2012, S. 203).

Folgende Varianten der vaskulären Demenz werden in der ICD unterschieden:

» F01.0 Vaskuläre Demenz mit akutem Beginn: Diese entwickelt sich meist sehr schnell nach einer Reihe von Schlaganfällen als Folge von zerebrovaskulärer Thrombose, Embolie oder Blutung. In seltenen Fällen kann eine einzige massive Infarzierung die Ursache sein.

F01.1 Multiinfarkt-Demenz: Sie beginnt allmählich, nach mehreren vorübergehenden ischämischen Episoden (TIA), die eine Anhäufung von Infarkten im Hirngewebe verursachen.

F01.2 Subkortikale vaskuläre Demenz: Hierzu zählen Fälle mit Hypertonie in der Anamnese und ischämischen Herden im Marklager der Hemisphären. Im Gegensatz zur Demenz bei Alzheimer-Krankheit, an die das klinische Bild erinnert, ist die Hirnrinde gewöhnlich intakt.

F01.3 Gemischte kortikale und subkortikale vaskuläre Demenz«

(DGPPN & DGN 2016, S. 15; vgl. auch Stechl et al. 2012, S. 203)

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Eine häufige Ursache sind arteriosklerotische Gefäßveränderungen, die wiederum mit vaskulären Risikofaktoren wie Hypertonus, Hyperhomozysteinämie, Hyperlipidämie, Diabetes mellitus, Nikotinabusus, übermäßigem Alkoholkonsum sowie Übergewicht und Bewegungsmangel verbunden sind. Eine weitere Ursache stellen kardiale Erkrankungen dar, die wiederum von seltenen, genetisch bedingten vaskulären Demenzen zu unterscheiden sind (Hafner & Meier 2005; Jahn & Werheid 2015; Falk 2015).

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Die vaskuläre Demenz nimmt gegenüber der eher gleichmäßig verlaufenden Alzheimer-Krankheit einen phasenförmigen, schubartigen, fluktuierenden, stufenförmigen, mit abrupten Verschlechterungen der Symptomatik einhergehenden Krankheitsverlauf (Perrar et al. 2011; Hagg-Grün 2013; Falk 2015). Je nach Lokalisation der Ursache ist der Verlauf aber auch gleichbleibend (Jahn & Werheid 2015).

Die klinische Symptomatik der vaskulären Demenz ähnelt der der Alzheimer-Demenz und kann mit früh auftretenden Gangstörungen, motorischer Unsicherheit mit häufigen Stürzen, Blasenstörung (mit häufigem Harndrang) und Persönlichkeitsstörungen sowie Stimmungsänderungen verbunden sein (vgl ausführlich DGPPN & DGN 2016, S. 16; vgl. auch Stechl et al. 2012, S. 204–205).

Neben der vaskulären Demenz existiert als weitere Variante die recht häufig vorkommende gemischte Demenz (Mixed Dementia), die eine Kombination aus einer vaskulären Demenz und der Alzheimer-Krankheit darstellt (Perrar et al. 2011; Hamann 2012; Karakaya et al. 2014, S. 304).

Die Lewy-Body-Demenz

Images Neurodegenerative Demenz Images

Die Lewy-Body-Demenz oder Lewy-Körperchen-Demenz ist eine weitere Demenzform, die häufig diagnostiziert wird und eine neurodegenerative Variante der Demenz darstellt (Bolwby Sifton 2011; Kitwood 2013; Hagg-Grün 2013). Von ihr sind häufiger Männer betroffen. Etwa 20% der Demenzen entfallen auf diese Form (Wallesch & Förstl 2012; Kitwood 2013).

Nach einem Mitarbeiter Alois Alzheimers, dem Pathologen Friedrich H. Lewy, benannt, weist sie als Sonderform der degenerativen Demenz Ähnlichkeiten sowohl zur Alzheimer-Krankheit als auch zur Parkinson-Demenz auf (Zeyfang 2013; Falk 2015). Sie verläuft nach Diagnosestellung im Schnitt über drei bis sechs Jahre (Wallesch & Förstl 2012). Von der Alzheimer-Krankheit ist sie aufgrund der Überlappungen der Symptomatik schwer zu unterscheiden (Kitwood 2013; Falk 2015).

Images Typen der Lewy-Body-Demenz Images

Es werden zwei Typen der Demenz mit Lewy-Körperchen unterschieden: die ›reine‹ Demenz mit Lewy-Körperchen ohne Alzheimer-Pathologie und die ›gewöhnliche‹ Demenz mit Lewy-Körperchen und mit Alzheimer-Pathologie. Der erste Typus zeigt »einen klinisch ausgeprägten Rigor und erst in späteren Phasen Demenz […]. Beginn meist nach dem 70. Lebensjahr, Gedächtnisstörungen zu Beginn oft diskret, starke Vigilanz- und Aufmerksamkeitsschwankungen, detaillierte optische Halluzinationen, früh Parkinsonismus, unerklärliche Stürze oder Synkopen, schwere autonome Dysfunktion, Neuroleptikaüberempfindlichkeit, Depression« (Weindl 2011, S. 126). Demgegenüber geht die ›gewöhnliche‹ Demenz mit Lewy-Körperchen mit Alzheimer-Pathologie, die Amyloid-Plaques und Neurofibrillenbündel aufweist, mit »kognitiven und neuropsychiatrischen Veränderungen sowie milderen, jedoch eindeutigen Bewegungsstörungen (30–90%) einher« (Weindl 2011, S. 126).

Trotz der Ähnlichkeit des Symptombildes der Alzheimer-Krankheit und der Lewy-Körperchen-Demenz ist letztere durch die folgenden spezifischen Symptome von dieser abzugrenzen:

•  »extrapyramidal-motorische Symptome

•  fluktuierende kognitive Defizite

•  visuelle oder akustische Halluzinationen

•  Stürze und Synkopen« (Wallesch & Förstl 2012, S. 229).

Die einzelnen klinisch-diagnostische Konsensuskriterien der Lewy-Body-Demenz können in DGPPN & DGN (2016, S. 23) eingesehen werden.

2.1.4     Grundzüge medizinischer Diagnostik und Therapie von Demenzen

Medizinische Diagnostik

Eine frühzeitige und akkurate Diagnosestellung ist wichtig, um die konkrete Ursache kognitiver Störungen herauszufinden, um dann die zielführende Behandlung und weitergehende psychosoziale Unterstützung, z. B. in Form von Beratung, einleiten zu können (Hofmann 2012; Karakaya et al. 2014; DGPPN & DGN 2016). Der Idee, von der Einleitung der Diagnostik abzusehen, um den Patienten im Hinblick auf eine aussichtslos erscheinende Prognose vermeintlich zu schützen, sollte nicht gefolgt werden (Hofmann 2012; Jahn & Werheid 2015). Vielmehr kann

»gerade die Diagnosesicherung […] negative soziale Konsequenzen abwenden, Möglichkeiten der realistischen Reflexion über den weiteren Lebensweg eröffnen und Zugänge zu professioneller Beratung, Unterstützung und angemessener Behandlung erschließen« (Karakaya et al. 2014, S. 307).

Images Rechtzeitig gestellte Diagnose Images

Somit kann eine rechtzeitig gestellte Diagnose Betroffene darin unterstützen, sich auf krankheitsbedingte Veränderungen einzustellen (Hofmann 2012; Falk 2015). Auch ohne Heilungsaussicht können therapeutische Maßnahmen unter Umständen den Krankheitsverlauf verzögern und zur Steigerung von Wohlbefinden und Lebensqualität beitragen (Falk 2015).

Bei der Diagnose der Demenzerkrankung gilt es, nach Feststellung des Vorhandenseins eines demenziellen Syndroms nach Möglichkeit dessen Ursache zu ergründen, was durch ein Ausschlussverfahren geschieht, indem reversible Ursachen ausgesondert werden (Hofmann 2012; Karakaya et al. 2014; Jahn & Werheid 2015).

»Da es viele Ursachen für kognitive Leistungseinschränkungen bzw. Demenzen geben kann, die in ähnlicher Weise zu Gedächtnis- und Orientierungsstörungen führen können, kann nur mittels einer sorgfältigen Diagnostik eine ätiologische Zuordnung und somit eine Aussage über Prognose, Verlauf und Behandlung erfolgen« (Karakaya et al. 2014, S. 308).

Differentialdiagnostisch gilt es, eine Demenz von einer normalen Alterserscheinung, einer Depression oder einem Delir zu unterscheiden (Hofmann 2012; Fellgiebel 2013; Falk 2015).

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Dabei verlangt die Untersuchung der kognitiven Leistungsfähigkeit vom Mediziner nicht nur fachlich-technisches Können, sondern auch Einfühlungsvermögen und ein besonders behutsames Vorgehen in der Diagnostik, da der Patient hierbei mit seinen Schwächen konfrontiert wird und mit Abwehr, Verweigerung oder Verärgerung reagieren kann (Jahn & Werheid 2015; Hofmann 2012).

Die Herstellung einer Untersuchungssituation im Sinne einer konstruktiven gemeinsamen Arbeitssituation fordert Gestaltungsprinzipien, wie die Abwägung darüber, ob das Gespräch in An- oder Abwesenheit der Angehörigen geführt wird, der Patient über Sinn und Zweck des diagnostischen Vorgehens informiert ist und etwaige Sinneseinschränkungen (z. B. im Sehen und Hören) kompensiert sind, die Einfluss auf das Ergebnis nehmen können. Nicht zuletzt sind dem Betroffenen und dessen Bezugspersonen die Konsequenzen der Diagnose behutsam und verständlich darzulegen (Jahn & Werheid 2015; Hofmann 2012).

Im Rahmen der medizinischen Diagnostik kommen die in der Tabelle 2.2 aufgeführten diagnostischen Verfahren zum Einsatz (image Tab. 2.2, DGPPN & DGN 2016, S. 30–44; Falk 2015, S. 39-43; Hofmann 2012; Stechl et al. 2012, S. 181–191; Jahn & Werheid 2015, S. 34; Bolwby Sifton 2011). Sie stellen eine Synthese verschiedener diagnostischer Zugänge dar und umfassen die subjektive Beschwerdeschilderung aus den unterschiedlichen Perspektiven des Betroffenen und dessen Bezugsperson, den ärztlich-klinischen Eindruck und die testpsychologische Leistungsmessung (DGPPN & DGN 2016; Hofmann 2012; Jahn & Werheid 2015).

Tab. 2.2: Diagnostische Verfahren

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VerfahrenAnwendung und Methodik

Der progressive und variable Verlauf der Demenzerkrankung fordert ein fortlaufendes Assessment (Bolwby Sifton 2011).

Medizinische Therapie

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Images Keine heilende Behandlung Images

Der Therapieansatz bei neurodegenerativen Demenzen ist rein symptomatisch, weil derzeit eine kausale, d. h. heilende Behandlung trotz intensiver Forschung nicht zur Verfügung steht (Hausner & Frölich 2012; Karakaya et al. 2014; Jahn & Werheid 2015).

Davon unterscheidet sich das Vorgehen bei Demenzsyndromen mit behandelbaren Ursachen, bei denen »zunächst die Ursache der Demenz behandelt [wird], um weitere schädliche Auswirkungen abzuwenden. Dies gilt auch für rein vaskuläre Demenzen: Vorrang hat zunächst eine blutdrucksenkende und -stabilisierende Behandlung. Danach werden bereits eingetretene kognitive und emotionale Veränderungen symptomatisch behandelt. Patienten mit gemischter Demenz (AD/VD) werden mit den gleichen pharmakologischen und psychosozialen Interventionen behandelt wie Alzheimer-Patienten« (Jahn & Werheid 2015, S. 68–69; vgl. weiter DGPPN & DGN 2016).