»Wer den Verlust fürchtet, kann keine Gewinne machen.«
George Soros, US-amerikanischer Investor, Betreuer des
Quantum-Fonds
Karl Marx analysierte die kapitalistischen Marktbeziehungen einst in zwei Formeln. Der Austauschprozess Ware-Geld-Ware (W-G-W) beschreibt den Austausch von Waren gleichen Wertes, jedoch unterschiedlichen Gebrauchswertes. In diesem Kreislauf übernimmt Geld eine reine Vermittlerfunktion. Wird Geld hingegen zum Kapital, ändert sich der Geldkreislauf zu G-W-G’, also Geld-Ware-mehr Geld. Damit der Kapitalist Freude am Wirtschaften hat, ist die Vergrößerung der ursprünglichen Geldsumme, der Mehrwert, vonnöten.
Die Bewegung zu G’ kann schnell gehen oder langsam, kurvig oder direkt. Marx hat drei voluminöse Bände über das Bestreben des Kapitalisten verfasst, G’ zu erreichen – ohne dass das Erreichen von G’ überhaupt sicher wäre. Kapitalisten, die ihren Mehrwert in der Finanzanlage suchen, sind größeren Unsicherheiten ausgesetzt als jene, die ihr Kapital in die Realwirtschaft investieren. Denn stets sind sie von anderen Finanzinvestoren abhängig, die gleichfalls den dunklen Kräften des Kapitalmarktes ausgesetzt sind.
Unabhängig davon, ob der Anleger einen längeren Anlagehorizont hat und eine Buy-and-Hold-Strategie verfolgt oder eher Trading-orientiert agiert und kurzfristige Kursgewinne realisieren möchte, ist es schwer, besser zu sein als der Gesamtmarkt, selbst wenn Börsenratgeber gelesen und ausgefeilte Anlagestrategien angewendet werden. Neben den fundamentalen Einflussfaktoren auf Anleihekurse, also insbesondere dem Coupon, der Laufzeit und dem Rating, sind Anleger grundlegenden psychologischen und soziologischen Verhaltensmustern unterworfen, die in streng rationalen Modellen nicht abgebildet werden können. Typische Beispiele sind Euphorie und Gier, Niedergeschlagenheit und Pessimismus – und vor allem Angst. Gerade wenn Anleger nicht geschult sind darin, welches Wertpapier sie warum wann kaufen oder verkaufen sollen, wenn sie dem Wertpapier also keinen Wert zuordnen können, verbleiben ihnen als Entscheidungsgrundlage nur noch ihre Emotionen und Irrationalitäten. Wenn es ums Geldanlegen geht, sind Gefühle jedoch fehl am Platz.
Wer mit professionellen Fondsmanagern spricht, wird erfahren, dass sie versuchen, leidenschaftslos zu handeln. Jüngere Untersuchungen zeigen jedoch, dass sie in der Realität ihre Gefühle genauso wenig abschalten können wie unerfahrene Privatanleger.29 Als ein Rad von vielen im institutionellen Investitionsprozess sind sie sogar einem besonderen Performancedruck ausgesetzt: Zwar wird ein Rentenfondsmanager oder Vermögensverwalter im Idealfall sämtliche verfügbaren Informationen einsammeln, auswerten sowie interpretieren und anschließend eine sorgfältige Bewertung der Anleihe durchführen. Aber selbst wenn die Einschätzung über eine Anleihe auf einem vermeintlich objektiven Fundament erstellt wurde, ist sie doch immer auch abhängig von den Neigungen des Investors und damit von seiner individuellen Sozialisation: So wird ein älterer Anleger eine Social-Media-Plattform anders einschätzen als ein junger, ein weiblicher Anleger einen Modeanbieter mit anderen Augen betrachten als ein männlicher und ein bayerischer Investor eher zu einem lokalen Bierhersteller tendieren als zu einem friesischen.
Diese Beispiele zeigen: Persönliche Befindlichkeiten und Befangenheiten haben weit größeren Einfluss auf die Performance, als dies im Konzept des Homo oeconomicus unterstellt wird. Doch noch größere Abgründe tun sich auf: So interpretieren Investoren Unternehmensnachrichten anders als Kapitalmarktteilnehmer, die nicht in dieses Wertpapier investiert sind: Insbesondere nehmen sie aus den zur Verfügung stehenden Informationen vorzugsweise jene wahr, die mit ihrer vorgefertigten Meinung übereinstimmen. Diese unangenehme Eigenschaft des Menschen, in der Psychologie auch als »Confirmation Bias« bekannt, ist ein Grund dafür, dass Finanzanalysten oder Fondsmanager keine privaten Börsengeschäfte in den von ihnen analysierten beziehungsweise gehaltenen Wertpapieren tätigen dürfen.
Den größten Einfluss auf den Anlageerfolg jedoch dürfte die Gier haben. Zu dieser Erkenntnis kam schon Sir Isaac Newton, der nach beträchtlichen Spekulationsverlusten an der Börse meinte, »vielleicht die Bewegungen von Himmelskörpern berechnen [zu] können, nicht aber den Wahnsinn der Menschheit«.30 Teile seines Vermögens verlor Sir Newton, weil er davon überzeugt war, überbewertete Wertpapiere morgen zu einem noch höheren Preis verkaufen zu können. Wer glaubt, dass sich der menschliche Geist in den letzten drei Jahrhunderten weiterentwickelt hat, befindet sich im Irrtum: So hat eine Befragung von mehr als 1 000 institutionellen Investoren ergeben, dass zwar mehr als 90 Prozent derjenigen, die vor dem Schwarzen Montag am 19. Oktober 1987 Aktien gehalten haben, die Aktienmärkte für grundsätzlich überbewertet hielten, sie aber gehofft hatten, ihre Bestände noch rechtzeitig vor einem unausweichlichen Kursrückgang verkaufen zu können.31
Dies zeigt: Wenn Vorurteile und Voreingenommenheiten ein zentraler Baustein im Anlageverhalten selbst professioneller Kapitalmarktteilnehmer sind, können bestimmte rationale Prozesse nicht funktionieren. Nicht nur im Sport oder im Hobby, auch an der Börse sind Engagement und Disziplin nur langfristig wirksam. Deutlich wird aber auch, dass Anleger psychologische Aspekte der Anleiheselektion niemals unterschätzen sollten. Diese können einem erfolgreichen Portfolioaufbau entgegenstehen. Wer nachmittags die Anleihe eines Waffenproduzenten erwirbt, die er für unterbewertet ansieht, wird sich beim Abendessen mit Freunden unter Umständen rechtfertigen müssen, wie er eine Industrie unterstützen kann, die für das Töten – im Krieg oder durch Amokläufer – ›mitverantwortlich‹ ist. Je nach Freundes- oder Bekanntenkreis können derartige Vorverurteilungen auch durch den Kauf der Anleihe eines Sportwagenherstellers (»Unterstützung von CO2-Schleudern«) oder eines Atomkraftwerkbetreibers ausgelöst werden. Mein abschließender Rat also: Handeln Sie nicht gegen Ihre inneren Überzeugungen.
Und nun viel Erfolg beim Anlegen!
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Peter Thilo Hasler ist Gründer und Analyst der Sphene Capital GmbH, eines bankenunabhängigen Research-Hauses, das seit 2010 den betreuten Unternehmen vollumfängliche Dienstleistungen in der Unternehmensanalyse und -bewertung anbietet. Mit der Gründung der sphaia advisory GmbH im Jahr 2015 bietet Hasler auch einen breiten Katalog an Dienstleistungen zu Corporate-Finance- und Kapitalmarktkommunikationsthemen an.
Nach seinem Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Passau begann Hasler seine Karriere als Finanzanalyst für Technologiewerte bei der Bayerischen Vereinsbank in München. Mitte der 1990er-Jahre wurde er zum stellvertretenden Leiter des Company Research befördert und war seither für sämtliche Börsengänge der Bank verantwortlich. Ende der 1990er-Jahre wurde Hasler Leiter des Neuer Markt Research der HypoVereinsbank und später Leiter des Small Caps Research der UniCredit. 2006 wechselte Hasler zur Viscardi AG, einer in München ansässigen Investmentbank. Von 2010 bis 2013 war er Partner und Mitglied des Vorstands der Blättchen & Partner AG, einer führenden deutschen IPO-Beratungsgesellschaft.
Hasler ist CEFA-Analyst und Mitglied des Vorstands der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA). Darüber hinaus ist Hasler Dozent an der DVFA und an mehreren Münchner Privathochschulen, wo er Unternehmensbewertung und Kapitalmarkttheorie unterrichtet. Hasler ist Autor zahlreicher Artikel und Bücher über Unternehmensbewertung, Fußballfinanzierung sowie Unternehmensanleihen und schreibt regelmäßig Kolumnen in der Finanzpresse. Peter Thilo Hasler ist verheiratet und hat zwei Söhne.
1 Kostolany, André (2000), S. 153.
2 Wobei die angesprochenen Staatsanleihen mit Negativverzinsung ehrlicherweise als renditefreie Risikoprodukte bezeichnet werden sollten.
3 Vgl. dazu Çelik, Serdar; Demirtaş, Gül & Isaksson, Mats (2020).
4 Die vollständige Liste aller in Europa registrierten Rating-Agenturen ist auf den Internetseiten der European Securities and Markets Authority (ESMA) unter www.esma.europa.eu zu finden.
5 Der Film basiert auf der 2010 erschienenen Buchvorlage von Michael Lewis: The Big Short: Inside the Doomsday Machine, deutsche Übersetzung: The Big Short: Wie eine Handvoll Trader die Welt verzockte (Lewis, Michael (2010)).
6 Berechnet werden die iTraxx-Indizes von der International Index Company, einer 100-prozentigen Tochter von Markit, auf deren Website www.markit.com sie auch kostenlos abgefragt werden können.
7 Die Hypothese »There ain’t no such thing as a free lunch« wird häufig Milton Friedman zugeschrieben, der 1975 ein Buch danach benannt hat. In Wirklichkeit ist die Phrase deutlich älter und tauchte erstmals 1949 als Akronym »TANSTAAFL« in einem Buchtitel von Pierre Dos Utt auf (Utt, Pierre Dos (1949)).
8 Vgl. Gantenbein, Pascal & Spremann, Klaus (2007), S. 254.
9 Ein gelungenes Beispiel für die Folgen des Zinseszinseffekts bietet der wunderbare Roman Eine Billion Dollar von Andreas Eschbach (Eschbach, Andreas (2001)).
10 Vgl. dessen auch heute noch lesenswertes Werk Observations on reversionary payments.
11 Vgl. das Interview mit dem Vorstandsvorsitzenden der Börse Düsseldorf, Dirk Elberskirch, in der FAZ vom 10.12.2014.
12 Zu den angegebenen Kennzahlen des Scale siehe Kapitel 7.
13 Az.: BGH XI ZR 200/03 und XI ZR 49/04 vom 30.11.2004.
14 Zitiert nach Knoop, Todd A. (2010), S. 161.
15 Verkauft ein Unternehmen seine kreditfinanzierten Grundstücke und Gebäude, um mit den Verkaufserlösen Verbindlichkeiten zurückzuführen, und mietet diese Immobilien anschließend zurück, ist die Nettoverschuldung geringer als bei einem Unternehmen, das die betriebsnotwendigen Gebäude weiterhin im Eigentum behält.
16 Vgl. z. B. Preißler, Peter R. (2008), S. 126.
17 Diese sind dem Anhang des Abschlusses zu entnehmen. Fehlt eine Angabe, bleiben sie bei der Berechnung unberücksichtigt.
18 Vgl. Riebell, Claus (1999), S. 643.
19 Vgl. Bald, Ernst-Joachim & Bedler, Arnulf & Determann, Michael & Hien, Heinz M. (2000), S. 537.
20 Zur Definition der Kennzahlen zur Kapitaldienstdeckung vgl. Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA, 2011), S. 9.
21 Vgl. Lippman, Steven A. & Rumelt, Richard P. (1982).
22 Bereits im Babylonischen Talmud steht, dass der Mensch sein Geld in drei Teile aufteilen möge, und zwar ein Drittel in Grundbesitz, ein Drittel in Waren und ein Drittel in seiner Hand. Vgl. dazu die Übersetzung von Goldschmidt, Lazarus (2002), Der Babylonische Talmud: 12 Bände, Bd. VII, S. 575.
23 Vgl. zum Beispiel Goldman Sachs Asset Management (2009), Inside-Out-Investoren: Erfolgreich investieren: Sieben Regeln, die man kennen sollte, o. O., S. 6.
24 Vgl. Bar-eli, Michael et al. (2007).
25 Vgl. Reinhart, Carmen M. & Rogoff, Kenneth S. (2009).
26 Vgl. dazu Edwards, Ward (1982).
27 Buffett, Warren E. (1997), S. 91 (Im Original: »What could be more advantageous in an intellectual contest … than to have opponents who have been taught thinking is a waste of energy?«
28 Vgl. auch Uhlig, Hans (1999).
29 Vgl. Tuckett, David & Taffler, Richard J. (2012), die mehr als 50 erfahrene Fondsmanager befragt haben und akute Angstzustände und emotionale Konflikte entdeckten.
30 Zitiert nach Biggs, Barton (2006), S. 181, eigene Übersetzung.
31 Vgl. Shiller, Robert J. (1987).
»Es gibt tausend Möglichkeiten, sein Geld auszugeben,
aber nur zwei, es zu erwerben: Entweder wir arbeiten für Geld
– oder das Geld arbeitet für uns.«
Bernard Mannes Baruch (1870–1965), US-amerikanischer
Investor und Präsidentenberater
Bei der Anlage ihres Vermögens sind die Menschen in Deutschland einfach gestrickt. Ihre Strategie ist die eines sicherheitsmaximierenden Sparers. Vermögen wird bei Banken (meist in Form niedrig verzinslicher kurzfristiger Einlagen) und bei Versicherungen (meist in Form von Kapitallebensversicherungen) angelegt. Der Anlagestil ist meistens streng defensiv: Mit Aktien konnten sich die Anleger hierzulande nie richtig anfreunden. Befeuert von gebetsmühlenartig wiederholten Beteuerungen (auch der politischen Entscheidungsträger), haben die deutschen Kapitalanleger und Kapitalanlegerinnen sogar ein unbestimmtes Gefühl der Angst vor den Unwägbarkeiten der Börse. Gleichzeitig sind die Kenntnisse über die Möglichkeiten der Kapitalanlage begrenzt – und zwar unabhängig vom Ausbildungsstand: Den Zahnarzt, der sein Vermögen in geschlossenen Schiffsfonds oder überteuerten Ostimmobilien wegen einer windigen Beratung verzockt – es gibt ihn wirklich! Nicht nur für ihn hat Geldanlage häufig mehr mit Spekulation zu tun als mit einer seriösen, langfristigen Spar- und Anlagestrategie.
Einen kräftigen Beitrag zu dieser Grundhaltung hat über die vergangenen Jahrzehnte die Finanzindustrie geleistet, der es hierzulande immer noch nicht gelungen ist, ein stimmiges Anlagekonzept für den Privatanleger zu entwickeln, mit dem dieser sein Vermögen managen kann. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich der Wertpapierservice klassischer Geschäftsbanken sogar zurückentwickelt: Unter dem Deckmantel der Finanzmarktregulierung werden die Bedürfnisse von Millionen von Menschen, die sich im Rahmen ihrer Existenz- und Alterssicherung mit ihrer Zukunft befassen wollen, kurzerhand ignoriert. Kein Wunder, dass die meisten Kundenbetreuer schon mit der Auswahl des Finanzprodukts überfordert sind. Noch nicht einmal die grundlegende Entscheidung, ob eine Aktie oder eine Anleihe die sinnvollere Geldanlage wäre, kann von vielen Bankexperten eindeutig beantwortet werden: Wenn sie nicht ohnehin überteuerte Fondsprodukte anbieten, verkürzen Vermögensberater die notwendige Diskussion an dieser Stelle gerne mit einem Zitat von André Kostolany, dem ungarischen Börsen- und Finanzexperten, der diesbezüglich meinte: »Wer gut schlafen will, kauft Anleihen, wer gut essen will, bevorzugt Aktien.«1
Dabei fiel der Grandseigneur des deutschen Kapitalmarktes zwei veritablen Fehlinterpretationen zum Opfer: Zum einen interpretierte er Anleihen im Gegensatz zu Aktien als ›sicher‹, zum anderen als langweilig. Zu Unrecht, denn Anleihen sind zunächst alles andere als sicher. Die an den Kapitalmärkten geltende Grundregel, dass höhere Renditen ex post nur durch Inkaufnahme höherer Risiken erzielt werden können, gilt grundsätzlich auch für Anleihen, wenn sie denn überhaupt Gültigkeit hat. Auch von Langeweile kann bei Anleihen keine Rede sein. Waren sie vielleicht vor Jahrzehnten noch einfach strukturierte Instrumente der Verschuldung, weisen sie heute zahllose Merkmale auf, die von ewig laufenden Hybridbonds mit eigenkapitalähnlichen Eigenschaften ohne Rückzahlungsanspruch über variabel verzinste Anleihen mit Stufenzinselementen bis hin zu komplexen indexorientierten Produkten mit Inflationsschutz reichen.
Auch was die Rendite anbelangt, hat sich viel getan. Von Staatsanleihen mit negativer Effektivverzinsung bis zu Unternehmensanleihen mit einer Nominalverzinsung im zweistelligen Prozentbereich ist für jede Risikoeinstellung etwas zu haben.2 Bei einer durchschnittlichen Laufzeit von fünf Jahren erzielt der Anleger mit einem 7-Prozenter, unter Berücksichtigung von Zinseszinseffekten, auf sein eingesetztes Kapital eine Gesamtrendite von gut 40 Prozent. Lässt man die Schwankungsbreite der beiden Wertpapiere unberücksichtigt, aus der sich für die Aktie naturgemäß ein höheres Risiko ableiten lässt als für die Anleihe, müsste sich auch die Aktie des Unternehmens um mindestens diesen Betrag erhöhen, um eine vergleichbare Performance zu erzielen. Betrachtet man jedoch die jahresdurchschnittlichen Kurse des Leitindex DAX, dann ist ein solcher Anstieg während der vergangenen 50 Jahre nur 17-mal gelungen; 33-mal hätte der Investor im Fünfjahreszeitraum mit einer solchen Hochzinsanleihe besser gelegen. So gesehen sollte es auch mit dem Erwerb von Anleihen gelingen, sich ab und zu ein gutes Essen zu gönnen.
Auf jeden Fall aber fügen Anleihen dem Depot Stabilität hinzu. Häufig unterschlagen wird ferner, dass Fremdkapitalgeber im Insolvenzfall besser dran sind als Eigenkapitalgeber: So desaströs dieser Zustand für die Performance auch sein mag, der Aktieninvestor verliert als Eigenkapitalgeber durch seine unbedingte Nachrangigkeit bei der Zahlungsunfähigkeit eines Emittenten im Normalfall den gesamten Kapitaleinsatz. Anleiheinvestoren könnten demgegenüber vorrangige Ansprüche auf die Vermögenswerte geltend machen. Diese Konkursausfallsquote (die sogenannte Recovery Rate) kann – in Abhängigkeit von der Werthaltigkeit der Vermögensgegenstände eines Unternehmens – in Einzelfällen bis zu 40 Prozent des Nominalwertes ausmachen.
Trotz dieser Vorteile sind in den letzten Jahrzehnten vor dem Hintergrund vermeintlich langweiliger Anleihen und spannender Aktien Dutzende von Aktienratgebern geschrieben worden. Anlageratgeber zu Unternehmensanleihen gibt es bislang nur wenige. Und das, obwohl es zweifelsohne Beratungsbedarf en masse gibt: Als Anleger interessieren Sie sich vielleicht für die Thematik und kennen das Vokabular der Finanzmedien. Sie haben womöglich realistische Erwartungen und fragen sich, in welche Wertpapiere Sie investieren sollen. Sie sind auch bereit, sich mit der Assetklasse Anleihe zu beschäftigen, um die mit der intelligenten Auswahl von Anleihen verbundenen Renditechancen zu nutzen. Doch es fehlt Ihnen schlichtweg die Zeit, sich stunden- oder tagelang mit einem einzigen Papier zu beschäftigen, nur um herauszufinden, ob es sich auch tatsächlich um ein Wert-Papier handelt.
Auf der anderen Seite haben Sie womöglich schon von Mittelstandsoder Nachranganleihen gehört, die in einem Marktumfeld, das von in der Menschheitsgeschichte nie dagewesenen Niedrig- beziehungsweise Negativzinsen geprägt ist, optisch attraktive Konditionen anbieten, allerdings von Unternehmen begeben werden, die bislang nicht auf den Kapitalmärkten in Erscheinung getreten sind. Wenn sich ein Unternehmen aber zum ersten Mal dem Kapitalmarkt zuwendet, muss es, um einen Anleger zu einer Zeichnung zu animieren, im Unterschied zu den großen Daueremittenten, den Frequent Issuers, deutlich höhere Zinsen anbieten. Bei einer Bonität von BBB bis B- liegen die Zinsaufschläge gegenüber Bundesanleihen, Festzinssparen, Tagesgeld und hochwertigen Unternehmensanleihen global tätiger Großkonzerne bei bis zu 8 Prozentpunkten. Nicht wenige der Emittenten sind etablierte, wenngleich gemeinhin unbekannte Familienunternehmen mit einer sich über mehrere Generationen erstreckenden Familientradition, die jahrzehntelang mehr oder weniger im Verborgenen tätig waren, andere sind Unternehmen mit Markennamen und hohem Wiedererkennungswert, wieder andere sind junge Unternehmen mit innovativen Geschäftsmodellen in Nischenmärkten. Da die angebotenen Zinsen deutlich über das Niveau etablierter Benchmark-Anleihen und vermeintlich risikoloser Staatsanleihen hinausgehen, können sie für den Anleger eine interessante Alternative sein. Doch ersprießliche Renditen gibt es nicht ohne ein höheres Risiko. Wer meint, wahllos zugreifen zu können, begibt sich auf dünnes Eis. Trotz der kurzen Zeitspanne ihres Bestehens kam es bereits zu zahlreichen Zahlungsausfällen an den Mittelstandsbörsen – mit erheblichen Kurseinbrüchen bei den Anleihekursen. Dies macht deutlich, dass weniger eine breite Streuung als vielmehr die richtige Auswahl der Anleihen der Schlüssel zum Anlageerfolg ist.
In diesem Buch werden Ihnen nicht nur die Grundlagen vermittelt, Risiken zu erkennen, sie einzuschätzen und sich ein Portefeuille aus hochwertigen Schuldverschreibungen zusammenzustellen, Sie erhalten auch einige grundlegende Einsichten in die Geldanlage. Auf komplizierte Bewertungsverfahren, komplexe mathematische Formeln und Trading-Modelle wird bewusst verzichtet, ebenso wie auf das Management von Handelsrisiken und die damit verbundenen Sensitivitätskennzahlen wie Delta, Rho, Vega oder Theta. Auch die technische Analyse von Kurs-Charts soll hier nicht interessieren. Wohl aber Methoden, die es einem interessierten Leser ermöglichen, mithilfe einer einfachen, nachvollziehbaren Anlagephilosophie eine angemessene Rendite zu erzielen. Bewusst wird nicht die höchste Rendite aller Zeiten versprochen, das überlassen wir gerne den zahlreichen Börsenbriefen. Angeboten wird vielmehr eine Methode, die mit überschaubarem Mitteleinsatz höhere Renditen als Sparbücher, Festgelder, Bundesanleihen und fraglos auch die meisten geschlossenen Fondskonzepte bietet.
Der vorliegende Band basiert auf meinem ebenfalls im FinanzBuch Verlag erschienenen Buch Unternehmensanleihen – simplified. Allerdings wurden wesentliche Teile überarbeitet, ergänzt oder neu strukturiert.
»Es ist gewinnbringender, einen Tag im Monat über Geld
nachzudenken, als 30 Tage hart dafür zu arbeiten.«
John Davison Rockefeller (1839–1937), US-amerikanischer
Unternehmer und Philanthrop
Anleihen, im Deutschen auch unter ihren Synonymen »Renten(papiere)« und »Schuldverschreibungen« bekannt, in der Schweiz unter »Obligationen«, im angelsächsischen Sprachraum unter »(Corporate) Bonds«, sind als Wertpapiere verbriefte Forderungsrechte, die am Kapitalmarkt platziert und gehandelt werden. Der Käufer, Anleger oder Investor eines Bonds (englisch für »binden, festigen«) wird zum Gläubiger, der Verkäufer oder Emittent zum Schuldner. In dieser Gläubiger-Schuldner-Beziehung verspricht der Emittent für die Kapitalüberlassung den Gläubigern die Zahlung eines zeitabhängigen Entgelts – des Coupons – sowie die Rückzahlung des ihm überlassenen Nominalbetrags zu im Voraus festgelegten Bedingungen. Kontroll- oder Mitbestimmungsrechte erwachsen dem Gläubiger aus dem Anleiheerwerb nicht.
Gläubiger-Schuldner-Beziehungen gibt es auch bei Darlehen oder Bankkrediten. Dass die Kreditbeziehung als Wertpapier verbrieft wird, hat aber einen entscheidenden Vorteil: Der Gläubiger kann seine Forderung einem Dritten verkaufen oder abtreten, ohne dass hierfür die Zustimmung des Schuldners erforderlich ist. Für diesen Vorgang wurden Handelsorganisationen oder Börsen eingerichtet, Marktplätze, auf denen sich alle an einem Kauf oder Verkauf interessierten Parteien versammeln.
Im Gegensatz zur Eigenkapitalfinanzierung, die eine gewinnabhängige, mithin variable Verzinsung verspricht, erwachsen aus der Anleihefinanzierung unbedingte Zinszahlungs- und Tilgungsverpflichtungen zu vorab fest definierten Zeitpunkten. Ein Emittent verpflichtet sich, seinen Anleihegläubigern zukünftig bestimmte Geldbeträge zu bezahlen, und bekräftigt seine Verpflichtung durch die Einhaltung bestimmter Verhaltensvorschriften. Diese Verpflichtungen sind in den spezifischen Anleihebedingungen (englisch »Bond Indentures«) niedergelegt und gelten während der gesamten Laufzeit der Anleihe für alle Gläubiger gleichermaßen.
Grundsätzlich kann zwischen Inhaber- und Namensschuldverschreibungen unterschieden werden. Da das Eigentum an Inhaberschuldverschreibungen formlos durch Einigung und Übergabe nach den Regeln des sachenrechtlichen Erwerbs übertragen wird, stellen Inhaberschuldverschreibungen den Normalfall dar. Die jederzeitige Fungibilität wird noch dadurch erhöht, dass selbst gestohlene, verloren gegangene oder abhandengekommene Inhaberschuldverschreibungen gutgläubig erworben werden können. In jedem Fall bleibt der Besitzer der Urkunde anonym. Dagegen lauten Namensschuldverschreibungen (englisch »Registered Bonds«) auf eine bestimmte Person und können deshalb – anders als ihr mitgliedschaftsrechtliches Pendant der Namensaktien – nicht an der Börse gehandelt werden. Sie werden insbesondere von institutionellen Anlegern geschätzt, da sie auf die Finanzierungsbedürfnisse eines Kapitalsuchers und die Anlegebedürfnisse eines Kapitalgebers maßgeschneidert werden: Durch die fehlende Börsennotierung wird unterstellt, dass der Anleger das Wertpapier langfristig halten will. Bilanziell hat dies beim Erwerber zur Folge, dass das Wertpapier als Anlagevermögen aktiviert wird und nicht als Umlaufvermögen. Während bei Letzterem das Mark-to-Market-Prinzip gilt, wonach stets der aktuelle Börsenkurs den Wertansatz in der Bilanz bestimmt, ist ein Wertpapier im Anlagevermögen über die gesamte Laufzeit mit seinen Anschaffungskosten anzusetzen. Abschreibungsrisiken nach dem Niederstwertprinzip fallen damit nicht an. Beispiele für Namensschuldverschreibungen sind Namenspfandbriefe, Kommunalobligationen und Landesbodenbriefe.
Ob Inhaber- oder Namensschuldverschreibung – sofern in den Anleihebedingungen nichts anderes vorgesehen ist, sind die einzelnen Anleihen grundsätzlich voneinander unabhängig, das heißt, jeder Anleger hat Anspruch auf die vollständige Erfüllung seiner Rechte und kann diese für sich allein und ohne Mitwirkung der übrigen Gläubiger geltend machen.
Physisch besteht eine Anleihe aus zwei Komponenten: dem Mantel, der die eigentliche Schuldurkunde darstellt und das Forderungs- beziehungsweise Beteiligungsrecht verbrieft, und dem Bogen, der im Mantel eingelegt wird und aus (in der Regel 5 bis 20) Zinscoupons und einem Erneuerungsschein – auch Talon genannt – besteht. Im Mantel wird die Schuldsumme festgelegt, auch »Nominalbetrag der Anleihe« genannt. Diese wird bei Fälligkeit der Anleihe an die Gläubiger zurückgezahlt. Damit der Inhaber seinen Coupon erhält, muss er einen expliziten Eigentumsbeleg vorlegen. Dies geschieht dadurch, dass er vom Bogen einen Coupon abtrennt und an die Zahlstelle schickt. Die Coupons – der Begriff »Coupon« stammt aus dem Französischen von »couper« für »abschneiden« oder »ausschneiden« – sind die Zinsscheine, die auf einen bestimmten Verfallstag lauten, an dem sie früher buchstäblich abgeschnitten und eingelöst wurden. Jeder, der seinen Couponabschnitt vorlegt, hat damit Anspruch auf die Zinszahlung.
Natürlich ist eine persönliche Verwahrung der Dokumente in einer digitalen Welt nicht länger zeitgemäß, und auch das Abschneiden des Zinsscheins durch den Gläubiger ist nicht mehr erforderlich. Vielmehr wird die Ausschüttung der Zins- und Tilgungszahlungen auf das Depot des Anleihegläubigers automatisch von der sogenannten Zahlstelle vorgenommen. Möglich wird dies, indem fast alle Anleihen heute nicht mehr als persönliche Dokumente ausgegeben werden, sondern einer zentralen Girosammelverwahrung unterliegen. Bei der Girosammelverwahrung werden Anleihen lediglich als Depotguthaben auf Girosammeldepotkonten geführt und beim Verkauf umgebucht. Anleihen werden beim Kauf, beim Verkauf oder bei einer Übertragung (zum Beispiel einer Schenkung) nicht länger physisch übergeben, sondern durch Umbuchung von Miteigentumsanteilen übertragen. Das jeweilige Depotguthaben repräsentiert dann den Anteil, den der Anleger an dem Wertpapier hält.
Handelt es sich um laufend verzinsliche Anleihen, ist zu unterscheiden zwischen jährlich, halbjährlich oder vierteljährlich stattfindenden Zinszahlungsterminen. Sogar eine Veränderung der laufenden Verzinsung, beispielsweise über einen Zins-Step-Up- oder Step-Down-Covenant im Falle einer Rating-Veränderung, kann Bestandteil einer Schuldverschreibung sein.
Klassische Schuldverschreibungen sind als sogenannte Stand-Alone-Bonds konzipiert. Diese werden in mehreren, untereinander gleichberechtigten und fortlaufend nummerierten Teilschuldverschreibungen verbrieft. Dies hat den Vorteil, dass eine Schuldverschreibung nicht in einem Stück erworben werden muss – und damit überhaupt erst handelbar wird. Die Nennwerte einer Teilschuldverschreibung liegen typischerweise bei 1 000, 50 000, 100 000 oder 250 000 Euro, je nachdem, welche und wie viele Investoren bei einer Emission angesprochen werden sollen. Ist vorgesehen, Fremdkapital über einen längeren Zeitraum aufzunehmen, kommen Emissionsprogramme zur Anwendung, die einen Rahmen bilden, innerhalb dessen die Schuldnerin mehrere Emissionen begeben kann; Beispiele hierfür sind Medium-Term-Note-(MTN-) oder Commercial-Paper-Programme.
Sofern ein Handel an einer Wertpapierbörse beantragt wurde, beginnt dieser unmittelbar nachdem die Anleihe platziert wurde. Jeder Kurs ist dann das Ergebnis von Angebot und Nachfrage nach diesem bestimmten Wertpapier. Fällt eine Anleihe unter ihren Ausgabekurs, besteht die Rendite des Anlegers aus der Vereinnahmung der Couponzahlungen und dem zukünftigen Kursanstieg der Anleihe, wenn diese am Ende der Laufzeit zu pari zurückgezahlt wird (Effekt der Nennwertkonvergenz). Im Fall der Unter-pari-Notierung übersteigt die Effektivverzinsung der Anleihe also den Nominalzins, der sich aus dem Coupon ableitet. Wird eine Anleihe dagegen über ihrem Nennwert (über pari) gehandelt, verringert sich die Rendite der Nominalverzinsung aus dem erwarteten Kursrückgang bis zum Laufzeitende. In diesem Fall ist die Effektivverzinsung niedriger als die Nominalverzinsung. Wird eine Anleihe zum Nennwert gehandelt, notiert sie also zu pari, sind Couponzins und Effektivzins identisch.
Die meisten Emittenten, die eine Anleihe begeben, wählen eine Nominalverzinsung, die die Anleihe zunächst zu pari handeln lässt. Dies verlangt ein intensives »Pre-Sounding« (früher auch »Pilot Fishing« genannt), bei dem die geplante Emission ausgewählten institutionellen Investoren vorgestellt wird, um zu ermitteln, ob und unter welchen Bedingungen sie diese Anleihe zeichnen würden. Aus der anschließenden Auswertung der Ergebnisse ermitteln die mit der Anleiheplatzierung mandatierten Banken den Zinssatz, zu dem eine Vollplatzierung der Anleihe wahrscheinlich ist.
Ein weiteres wesentliches Gestaltungselement von Schuldverschreibungen ist deren Laufzeit. Das Laufzeitenspektrum von Schuldverschreibungen reicht von
Schuldverschreibungen mit sehr kurzen Laufzeiten von einem oder mehreren Tagen bis zu einem Jahr werden als »Commercial Papers (CPs)«, »T(reasury) Bills«, »Certificates of Deposit (CDs)« oder »Banker’s Acceptance (Bankakzepte)« bezeichnet. Bei Wertpapieren am ›kurzen Ende‹ handelt es sich um klassische Geldmarktpapiere, die typischerweise von bonitätsstarken Emittenten wie dem Staat, Banken oder Großunternehmen zur Deckung ihrer kurzfristigen Finanzierungserfordernisse begeben werden. Manche dieser Papiere sind nicht einmal Wertpapiere im engeren Sinne, also verbrieft, sondern ähneln eher bilateralen Kreditverträgen. Aufgrund ihres bargeldähnlichen Charakters sind ihre Zinsen nur unwesentlich höher als bei normalen Bankkontoguthaben und stellen damit für gewöhnlich die Untergrenze des Renditespektrums dar. Im Unterschied zu kurzlaufenden Geldmarktpapieren werden Zinsinstrumente mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr am sogenannten Kapitalmarkt gehandelt. Typische Kapitalmarktpapiere sind Anleihen, die allein aufgrund ihres hohen Dokumentationsaufwands längere Laufzeiten aufweisen (müssen), da ansonsten die nicht unerheblichen Fixkosten einer Emission die Begebung für den Emittenten unattraktiv machen. Bei den Papieren ›am langen Ende‹ spricht man auch von sogenannten Langläufern oder Ultralangläufern.
Die angegebene Laufzeit muss nicht in Stein gemeißelt sein. Denn die Anleihebedingungen können bestimmte Sonderkündigungsrechte vorsehen, mit denen das Leistungsversprechen vorzeitig fällig gestellt werden kann. Ist die Ausübung dieser die Laufzeit limitierenden Sonderausstattung dem Emittenten vorbehalten, wird sie »Call« genannt, entscheidet der Gläubiger über die ordentliche Kündigung, heißt sie »Put«. Aus Gleichheitsgründen gewährt ein Call dem Emittenten also das Recht – nicht jedoch die Pflicht –, alle im Umlauf befindlichen Anleihen an einem bestimmten Datum, dem Ausübungstag, zu einem vorher festgelegten Ausübungspreis einzuziehen. Häufig ist die Ausübung der Sonderkündigung erst nach Ablauf einer bestimmten Mindestlaufzeit möglich, zum Beispiel nach zwei oder drei Jahren. Der Ausübungspreis muss mindestens auf dem Niveau des Nennwerts der Anleihe liegen. Um die Anleger für die kürzere Zinsperiode zu entschädigen, sind Call-Optionen in der Regel mit einer Prämie zum Rückzahlungskurs verbunden. Üblich ist, dass diese Prämien sukzessive zurückgehen, je später die Call-Option ausgeübt wird.
Das Recht des Emittenten, die Anleihe vorzeitig zu kündigen, hat notwendigerweise Auswirkungen auf den Anleihekurs. Ein Beispiel soll dies veranschaulichen. Hat ein Emittent zwei in ihren Anleihebedingungen identische Anleihen begeben, die sich nur darin unterscheiden, dass eine der beiden Anleihen mit einem Kündigungsrecht des Emittenten ausgestattet ist, so wird die unkündbare Anleihe mit einer Prämie gegenüber der kündbaren Anleihe gehandelt werden, sollte das allgemeine Zinsniveau seit der Begebung der Anleihe gesunken sein. Im Falle der Kündigung der Anleihe steht der Gläubiger vor dem Problem, sein Vermögen just zu einem Zeitpunkt wiederanlegen zu müssen, zu dem wegen der gesunkenen Marktzinsen eine adäquate Wiederanlage nicht möglich ist. Folglich wird in Zeiten fallender Zinsen die kündbare Anleihe zu einem niedrigeren Kurs und damit zu einer höheren Effektivverzinsung gehandelt als eine ansonsten gleichwertige Anleihe desselben Emittenten ohne Kündigungsrecht. Ein weiterer, eher psychologischer Faktor kommt bei einem Call dazu: Während der Kurs einer Anleihe ohne Call unmittelbar von einem sinkenden Zinsumfeld profitiert, wird die Kursentwicklung einer Anleihe mit Call nachhinken, da die Anleger stets damit rechnen müssen, diese Anleihe vor Ende der Laufzeit zurückgeben zu müssen.
Wie jedem anderen Handelsteilnehmer steht es auch dem Emittenten frei, seine Anleihe an der Börse zu erwerben und die Zinsen quasi an sich selbst auszuzahlen. Diese Option ist für den Emittenten dann besonders attraktiv, wenn die Anleihe unter pari – also unter ihrem Nennwert – notiert. Abgesehen davon sind bezüglich der Rückzahlung der Anleihe in Deutschland zwei Arten üblich: Entweder wird die Anleihe in einem Betrag zurückgezahlt oder in gleichen Raten über die Laufzeit verteilt, also in Form von Annuitäten mit variierendem Zins- und Tilgungsanteil. Der im angelsächsischen Raum verbreitete Tilgungs- oder Amortisationsfonds, ein spezielles und von einem Treuhänder unterhaltenes Konto, aus dem die Anleihe zurückgekauft wird, ist hierzulande unüblich.
Die Schuldner von Anleihen unterteilen sich in öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaften (Bund, Bundesländer und Gemeinden, sogenannte Sovereign Bonds) und Unternehmen. Global tätige Großkonzerne, die häufig den Kapitalmarkt ›anzapfen‹, werden »Frequent Issuers« genannt und begeben in der Regel Benchmark-Emissionen, also Anleihen mit einem Ausgabevolumen von mindestens 250 Millionen Euro, meist im High-Grade-Bereich, also mit einer Rating-Note im Investment-Grade-Bereich (besser als BBB-). Kleinere Unternehmen begeben
Abgesehen von öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften und supranationalen Organisationen stellen Kreditinstitute die mit Abstand größte Emittentengruppe dar. Zwar refinanzieren Banken ihr Aktivgeschäft überwiegend durch die Spareinlagen der privaten Haushalte, doch reichen diese in der Regel nicht aus. Werden Unternehmensanleihen von Banken ausgegeben, spricht man von »Bankschuldverschreibungen«. Anleihen von Emittenten der Wirtschaft und des Handels heißen auch »Industrieobligationen« oder »Industrieanleihen«, nicht selten wird der Begriff allerdings auch etwas unscharf für alle Schuldverschreibungen privater Unternehmen verwendet.
Ebenfalls von Bedeutung ist das Rangverhältnis einer Anleihe gegenüber den übrigen Verbindlichkeiten des Emittenten, die sogenannte Subordination oder Seniorität einer Anleihe. Unterschieden werden kann zwischen
Dabei steht es Emittenten frei, einzelne Wertpapiere unterschiedlich zu besichern, so dass diese im Insolvenzfall ungleich behandelt werden.
Höhe und zeitliche Verteilung der Zinszahlungen müssen nicht notwendigerweise schon bei der Emission der Anleihe fest vorgegeben sein. So ist es möglich, dass in den Anleihebedingungen nur die Berechnungsmethodik für die Zahlungen vorgegeben ist, nicht jedoch die konkrete Höhe der Zinsen und der Zeitpunkt ihrer Zahlung. Beide können davon abhängig sein, wie sich bestimmte, vorab definierte Marktdaten im Zeitablauf entwickeln. Letztlich kann bezüglich der Verzinsung und der Rückzahlung zwischen
unterschieden werden, die in den folgenden Kapiteln detailliert vorgestellt werden.
Die meisten Anleihen werden als festverzinsliche Anleihen begeben. Festverzinsliche Anleihen sind während der gesamten Laufzeit mit einem fixen Nominalzins versehen. Die meisten Coupons verbriefen konstante, jährlich nachschüssig zu zahlende Zinsverpflichtungen, die in Prozent des Nominalwertes der Anleihe festgelegt werden. Üblicherweise werden sie am Ende der Laufzeit gesamtfällig zurückbezahlt. Anleihen, die diese Eigenschaften aufweisen, werden an den Kapitalmärkten auch als »Straight Bullet« oder »Plain Vanilla Bonds« bezeichnet.
Die Zahlungsströme einer festverzinslichen Anleihe mit fünfjähriger Laufzeit und Rückzahlung des Nominalbetrags am Ende der Laufzeit können in einem Cashflow-Diagramm wie folgt dargestellt werden:
Abbildung 1: Cashflow-Diagramm eines Straight Bullet Bond mit fünfjähriger Laufzeit
Sofern keine effektiven Stücke ausgegeben werden – was bei Anleihen den Regelfall darstellt –, werden Anleihen in untereinander gleichberechtigte, auf den Inhaber lautende und fortlaufend nummerierte Teilschuldverschreibungen eingeteilt, zuzüglich der Zinsansprüche in einer Globalurkunde beziehungsweise Globalschuldverschreibung ohne Globalzinsschein verbrieft und bei der Clearstream International S. A. eingereicht und hinterlegt. Clearstream ist eine im Jahr 2000 aus der Fusion der Deutsche Börse Clearing AG (vormals Deutscher Kassenverein AG) mit Cedel International hervorgegangene Abwicklungs- und Verwahrgesellschaft. Kerngeschäft von Clearstream ist also die Abwicklung und Verwahrung von Wertpapieren.
Abbildung 2: Beispiel für effektive Stücke einer Anleihe
Quelle: Screenshot von www.hsv.de, Abruf am 29.01.2020