Oster, Uwe A. Preußen

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Einleitung

»Travailler pour le roi de Prusse«, arbeiten für den König von Preußen – das war im 18. Jahrhundert ein geflügeltes Wort. es bedeutete: viel und hart zu arbeiten, einfach nur seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit zu tun, ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten. und doch hat dieser preußische Staat, der nicht einmal ein Staatsvolk im engeren Sinn des Wortes hatte, die Menschen angezogen. nicht immer freiwillig: Französische Hugenotten, Salzburger »exulanten« oder Wiener Juden wanderten nicht nach Brandenburg aus, weil es dort so schön war oder Reichtümer auf sie gewartet hätten, sondern um ihres – protestantischen oder jüdischen – Glaubens willen. Die Kurfürsten und Könige aus dem Haus Hohenzollern nahmen sie bereitwillig auf. nach dem Dreißigjährigen Krieg, verheerenden Pestepidemien und Missernten waren weite Landstriche verwüstet und menschenleer. Auch zahlreiche Städte wie Königsberg, Frankfurt an der Oder, neuruppin oder Prenzlau hatten über die Hälfte ihrer Einwohner verloren. Menschen, so formulierte es König Friedrich Wilhelm I., seien der größte Reichtum seines Landes. Das damals weit verbreitete Bonmot – »Preuße wird man nur aus Not, ist man’s geworden, dankt man Gott« – traf auf Salzburger und Hugenotten in besonderem Maße zu. Was sie und andere Migranten an Preußen bald zu schätzen lernten, war, dass dieser Staat wie ein Uhrwerk funktionierte und ihnen eine Rechtssicherheit verschaffte wie kaum ein anderes Land. Noch 1870 hat der konservative Politiker und Jurist Hermann Wagener im norddeutschen Reichstag darauf Bezug genommen: »Ich mag gewesen sein, wo ich wollte, stets habe ich schon von Weitem den schwarz-weißen Schlagbaum in meinem Herzen mit Freuden begrüßt und habe stets das Gefühl der vollkommenen Rechtssicherheit gehabt, sowie ich meinen ersten Schritt durch diesen Schlagbaum hindurch gemacht habe.«[1]

Die Nachfahren der Flüchtlinge von einst haben mit dazu beigetragen, dass Brandenburg-Preußen von einem armen Agrarstaat, im Rest des Reichs wegen seiner sandigen Böden als »Streu-sandbüchse« verspottet, auch wirtschaftlich zu einem Machtfaktor wurde. und sie haben das bunte Völkergemisch, das den Kunststaat Preußen ausgezeichnet hat, um weitere Farbtupfer bereichert: Brandenburger und Westfalen, Friesen und Pommern, Franzosen und Salzburger, Litauer, Polen und Niederländer, Schlesier und Schweizer, Kolonisten aus Bayern und der Pfalz, aus Sachsen und Böhmen. Sie alle hätten, stellte der Historiker Barthold Georg Niebuhr schon 1814 fest, »ihren Charakter nicht aufzuopfern brauchen, um Preußen zu sein. Sie gehören einer Nation an, deren Namen sie mit Stolz aussprechen.«[2] Auch kulturell haben die Migranten das Land bereichert: Berühmtestes Beispiel ist Theodor Fontane. Der Schriftsteller der Mark war ein Nachkomme französischer Hugenotten – und stolz darauf.

Doch nicht nur Glaubensflüchtlinge wurden vom spröden Charme dieses Staates angezogen: Der geniale Baumeister Andreas Schlüter kam aus Danzig nach Berlin, um aus dem Stadtschloss ein Gesamtkunstwerk des Barocks zu formen, der französische Philosoph Voltaire und der italienische Denker Algarotti wurden von der »Tafelrunde« Friedrichs des Großen in Sanssouci angezogen, der große Reformer Heinrich Friedrich Karl vom und zum Stein, der in Nassau an der Lahn zur Welt gekommen ist, wollte in Preußen seine Vorstellungen von einem modernen Staat verwirklichen. Geradezu ein Musterbeispiel für die Integrationsfähigkeit des alten Preußen ist der Kupferstecher Daniel Chodowiecki, der väterlicherseits von einer polnischen Adelsfamilie, mütterlicherseits von Schweizer Hugenotten abstammte. Besonders in der Hauptstadt des Landes war dieses Völkergemisch nicht zu übersehen – oder besser: nicht zu überhören. Immerhin stellten allein die französischen réfugiés 20 Prozent der Gesamtbevölkerung.[3] ein solcher Staat konnte gar nicht anders, so der Berliner Jurist Eduard Gans zu Beginn des 19. Jahrhunderts, »als intelligent sein. Auf keine angeborene physische oder nationale Grundlage sich stützend, muss er stets eins sein mit seiner Zeit.«[4]

Zu dem, was man das Menschenbild Friedrichs des Großen nennen könnte, äußerte er einmal: »Sich einbilden, dass die Menschen sämtlich Teufel sind, und sie mit Grausamkeit verfolgen, das wäre das Wahngericht eines scheuen Menschenhassers. Voraussetzen, dass die Menschen sämtlich Engel sind …, das wäre der Traum eines törichten Kapuzinermönchs.«[5] Positive und negative Züge finden sich in der Realität also gemischt, und ähnlich könnte man auch über Preußen insgesamt urteilen: Den positiven Zügen wie Rechtssicherheit, Integrationskraft und Glaubensfreiheit stehen die Militarisierung von Staat und Gesellschaft gegenüber, die Unterdrückung der demokratischen Revolution von 1848, die ungezügelte Junkerherrschaft östlich der Elbe, das Beharren auf dem Dreiklassenwahlrecht für den preußischen Landtag bis zum Untergang im ersten Weltkrieg, eine Außenpolitik, die wenig bis gar keine Rücksicht auf Tradition und Herkommen nahm und sich bisweilen aggressiv gebärdete – auch das gehört zur preußischen Geschichte.

Preußen nicht allein als Staat, sondern als Idee ist das Werk des »Soldatenkönigs« und Friedrichs des Großen. Wann ist dieses Preußen untergegangen? 1918 mit dem Ende der Monarchie? 1947, als der Alliierte Kontrollrat den Staat Preußen als vermeintlichen Träger des deutschen Militarismus aufgelöst hat? Oder nicht doch schon 1871 mit der Reichsgründung von Versailles? Am Tag vor seiner Proklamation zum Deutschen Kaiser meinte Wilhelm I., dass dies der traurigste Tag seines Lebens werde, denn »morgen tragen wir das preußische Königtum zu Grabe«.[6] Preußen wurde zu einem Opfer seines eigenen Erfolgs: Im scheinbar größten Triumph lag bereits der Keim zu seinem Untergang. Zwar war auch Wilhelm II. noch preußischer König, doch zuerst war er Herrscher eines national begründeten Kaiserreichs, das vor Selbstbewusstsein strotzte und nicht wusste, wohin es mit seiner unbändigen Kraft sollte. Meilenweit entfernt vom einstigen »travailler pour le roi de Prusse«, dem Arbeiten, ohne Aufhebens davon zu machen, für das Preußen einst gestanden hatte.

Eine Krone für die Streusandbüchse

Friedrich III./I. (1688/1701–1712)

Der Kaiser sollte die Minister hängen lassen, die ihm einen solchen Rat gegeben haben.«[7] Das soll die spontane Reaktion des Prinzen Eugen von Savoyen gewesen sein, nachdem er von der Zustimmung Kaiser Leopolds I. zu einer möglichen preußischen Königswürde gehört hatte. Der erfahrene Feldherr und Politiker sah voraus, welche Folgen diese Rangerhebung eines protestantischen Fürsten für das katholische Kaiserhaus haben konnte.

Die Königswürde für sein Haus war der große Traum Kurfürst Friedrichs III. von Brandenburg. Sein Enkel Friedrich der Große gab sich in seinen »Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Hauses Brandenburg« keine Mühe, die schlechte Meinung, die er von seinem Großvater hatte, höflich zu verschleiern. Nur das Äußere an der Königswürde habe ihm geschmeichelt, »der Prunk der Repräsentation und eine gewisse verkehrte Eigenliebe«. Die Königskrone sei für ihn nur »ein Werk der Eitelkeit« gewesen.[8] Das Urteil ist ungerecht: Ja – Friedrich III. war eitel, und der königliche Glanz, den ihm die Krone bescherte, schmeichelte dieser Eitelkeit. Dass er prächtige Hoffeste liebte, auf denen er diesen neuen Rang inszenieren konnte, war aber nicht nur der persönlichen Eitelkeit geschuldet. Friedrich der Große hatte kein Verständnis mehr für ein Zeitalter, das auf solche Inszenierungen der Macht – sei es durch eine Krone, prunkvolle Feste oder monumentale Schlösser – nicht verzichten konnte und im Falle Friedrichs III. auch nicht verzichten wollte. Wer im Barock Macht hatte, musste diese zeigen – wer keine Macht zur Schau stellen konnte, der hatte ganz offensichtlich auch keine.

Es waren darüber hinaus aber ganz realpolitische Gründe, die Friedrich III. so unbeirrt an seinem Traum von der Königskrone festhalten ließen. Heute erscheint es uns selbstverständlich, dass mit »Preußen« das gesamte Gebiet des späteren Königreichs gemeint ist. Doch davon konnte 1688, als Friedrich III. die Regierung antrat, noch lange keine Rede sein. Das Namen gebende Herzogtum Preußen mit der Hauptstadt Königsberg erstreckte sich ursprünglich nur von der Memel im Norden bis Tannenberg im Süden und entsprach in seiner Ausdehnung in etwa dem später so bezeichneten Ostpreußen. Bis 1525 hatte in diesem Gebiet der Deutsche Orden geherrscht: Den Kreuzrittern war 1226 von dem Stauferkaiser Friedrich II. der Kampf gegen die damals noch heidnischen Pruzzen, von denen sich der Name Preußen ableitet, übertragen worden; deren Land ging nach der Eroberung als souveränes Eigentum an den Orden. Es war der eigene Hochmeister, der Hohenzoller Albrecht von Brandenburg, der in dem Ordensland die Reformation eingeführt und es in ein weltliches Herzogtum verwandelt hatte. Mit Albrecht Friedrich starb diese preußische Nebenlinie der Hohenzollern 1618 aus, und die Berliner Hohenzollern übernahmen die Regierung. Allerdings: Schon der geschwächte deutsche Ritterorden hatte die polnische Lehnshoheit über Preußen hinnehmen müssen. Es war daher die entscheidende Weichenstellung auf dem Weg zur Königskrone, als es den Hohenzollern 1657 gelang, diese polnische Lehnshoheit abzustreifen. Seither war das Herzogtum Preußen eine souveräne Herrschaft. Und was für den Verlauf der Geschichte ebenso wichtig war: Diese Herrschaft lag außerhalb des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation.

Ein herrschaftlicher Flickenteppich

Das Herzogtum Preußen war der östlichste Vorposten der hohen­zollerischen Herrschaft. Eine Verbindung zu den übrigen Herr-schaftsgebieten der Familie gab es nicht. Umso wichtiger schien dem »Großen Kurfürsten« Friedrich Wilhelm von Brandenburg der Erwerb Pommerns. 1637 starb mit Bogislaw XIV. der letzte Herzog von Pommern, doch das vertraglich zugesicherte Erbe konnte der Große Kurfürst nicht antreten – auch das mächtige Schweden hatte ein Auge auf das Land an der Ostsee geworfen. Im Westfälischen Frieden von 1648 musste sich Brandenburg mit Hinterpommern begnügen, Vorpommern und Stettin mit der wirtschaftlich so wichtigen Odermündung gingen an Schweden. Erst in zwei viel späteren Etappen, 1720 und 1815, fiel auch dieser Teil Pommerns an Preußen. Dabei war Pommern nicht nur als Landbrücke nach Preußen für die Hohenzollern wichtig. Der Große Kurfürst hatte davon geträumt, Stettin als Basis für das maritime und wirtschaftliche Ausgreifen Brandenburgs nutzen zu können. Doch Kaiser und Reich wollten Frieden mit Schweden – und sich nicht für brandenburgische Interessen opfern. Allein aber war das Kurfürstentum zu schwach, sein Recht durchzusetzen.

Im Zentrum der hohenzollerischen Hausmacht lag das Kurfürstentum Brandenburg, das sehr viel größer war als das heutige Bundesland und Berlin. Dazu gehörten auch die östlich der Oder gelegene, heute polnische Neumark sowie die heute zu Sachsen­Anhalt gehörende Altmark um Stendal und Tangermünde. Südlich der Altmark schlossen sich das Bistum Halberstadt und das Erzstift Magdeburg an, die 1648 bzw. 1680 an Preußen fielen.

Dazu kamen einige bunte Flecken ganz im Westen des Reichs: Ebenfalls 1648 kam das säkularisierte Hochstift Minden an Brandenburg – wie Magdeburg und Halberstadt als Kompensation für das nur teilweise erfüllte pommersche Erbe. Ganz ähnlich verhielt es sich mit den noch weiter westlich gelegenen Kleve, Mark und Ravensberg – auch diese Herrschaften waren 1614 ein kleines Trostpflaster für größere Hoffnungen gewesen. Nach dem Tod des letzten Herzogs von Jülich­Kleve­Berg hatten die Hohenzollern darauf gehofft, dessen gesamtes Erbe antreten zu können. Doch sie wurden darüber in einen Erbfolgestreit mit dem Haus Pfalz­Neuburg verwickelt, das seinerseits Ansprüche erhoben hatte. Der Streit drohte europäische Dimensionen anzunehmen, und schließlich mussten sich die Hohenzollern wider Willen damit begnügen, den Kuchen zu teilen. Beim Regierungsantritt Friedrichs III. im Jahr 1688 umfasste das brandenburgisch­preußische Staatsgebiet rund 110 000 Quadratkilometer, auf denen etwa 1,5 Millionen Menschen lebten.[9]

Dieses – hier nicht in allen Details dargelegte – Konglomerat von Herrschaften und Herrschaftsrechten bildete keinen einheitlichen Staat, sondern war eine Einheit durch die Person des Herrschers. Die Versuche des Großen Kurfürsten, daran etwas zu ändern, stießen auf heftigen Widerstand. Die Vorstellung, brandenburgische Steuergelder für Pommern zu verwenden, wiesen die Stände der Mark im Dezember 1650 kühl zurück: »Wie nun Pommern und die klevischen Lande, wenn wegen der Kur Brandenburg ein Grenzstreit vorfiele, schwerlich uns zu Hilfe kommen oder unserthalben etwas auf sich nehmen würden, also wird man auch die märkischen Lande mit der ausländischen Provinzen Streitigkeiten nicht wohl vermengen oder ihrethalben härter als sonst belegen können.«[10] Für die Stände der Mark waren die Pommern »Ausländer«!

Dazu kamen religiöse Unterschiede: Seit der 1558 eingeführten Reformation war das Kurfürstentum Brandenburg protestantisch – oder genauer gesagt: lutherisch. Der Landesherr bestimmte nach dem Grundsatz »cuius regio, eius religio« die Konfession seiner Untertanen. 1613 jedoch trat Kurfürst Johann Sigismund zum Calvinismus über, sprich zu der nach dem Genfer Theologen Johannes Calvin benannten reformierten Variante des Protestantismus. Seine Untertanen zwang Johann Sigismund allerdings nicht, diesem Schritt zu folgen, obwohl er dies im Einklang mit dem Reichsrecht durchaus hätte tun können. Das Herrscherhaus hatte seither eine andere Konfession als das Gros seiner Bevölkerung. Gerade dieser Umstand ließ es ratsam erscheinen, innerhalb des protestantischen Spektrums Toleranz walten zu lassen – was damals keineswegs üblich war. Gleichwohl schien es den Kurfürsten geboten, den Anteil der reformierten Untertanen zu steigern. Auch vor diesem Hintergrund ist das »Edikt von Potsdam« zu verstehen, mit dem der Große Kurfürst 1685 die Hugenottenin sein Land rief.[11] König Ludwig XIV. hatte den französischen Reformierten die Ausübung ihres Glaubens untersagt und sie so entweder zur Konversion oder ins Exil gezwungen. Insgesamt 16 000 kamen auf diesem Weg nach Brandenburg.

Zwar wischte auch die Königskrone nicht alle Unterschiede und Sonderrechte beiseite, doch bot sie die Grundlage, auf der Preußen als einheitlicher Staat gezimmert werden konnte. Wenn Friedrich der Große seinen Großvater nur als eitlen Gecken sah, so wusste er doch, dass ohne diese Basis auch seine eigene ausgreifende Politik niemals möglich gewesen wäre: »Es war eine Lockspeise, die Friedrich III. seinen sämtlichen Nachkommen hinwarf«, als wolle er sagen: »Ich habe euch einen Titel erworben, macht euch seiner würdig; ich habe die Fundamente eurer Größe geschaffen, ihr müsst nun das Werk vollenden.« Und es schwingt doch ein wenig Anerkennung für den Vorfahren mit, wenn Friedrich der Große weiter schreibt: »Er wendete alle Mittel der Intrige an und ließ alle Hebel der Politik in Bewegung setzen, um seinen Plan zur Reife zu bringen.«[12]

Der »schiefe Fritz«

Der spätere Kurfürst Friedrich III. wurde 1657 als zweiter Sohn des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg und seiner ersten Gemahlin Luise Henriette von Oranien geboren. Er war daher nicht zur Thronfolge bestimmt. Doch als Kurprinz Karl Emil 1674 überraschend im Alter von erst 19 Jahren starb, rückte der zweite Sohn an dessen Stelle. Der Große Kurfürst war verbittert über den Tod seines ältesten Sohnes, dem er in inniger Zuneigung verbunden gewesen war. Davon konnte im Falle seines zweiten Sohnes nicht die Rede sein. Infolge einer Krümmung der Wirbelsäule hatte Friedrich einen leichten Buckel und machte so schon äußerlich keine beeindruckende Figur. Von seiner späteren Frau wurde er deshalb gar nach dem als Inbegriff der Hässlichkeit geltenden antiken griechischen Fabeldichter »Äsop« genannt. Im Volksmund hieß er weniger intellektuell, aber dafür umso bündiger, »der schiefe Fritz«.[13]
Vater und Sohn standen sich fern. Der Große Kurfürst war seit 1668 in zweiter Ehe mit Dorothea von Holstein­Sonderburg­Glücksburg verheiratet. Dieser Ehe entstammten vier weitere Söhne, zudem gab es noch einen weiteren männlichen Nachkommen aus erster Ehe – um die Thronfolge brauchte sich der Kurfürst keine Sorgen zu machen. Worüber er sich in zwei Testamentsfassungen allerdings Sorgen machte, war die Ausstattung seiner jüngeren Söhne.[14] Im Geraischen Hausvertrag von 1599 war die Unteilbarkeit der kurfürstlichen Lande festgeschrieben worden. Zu oft waren mächtige Familien durch Erbteilungen geschwächt worden – das sollte den Hohenzollern nicht mehr passieren. Grundsätzlich stand auch der Große Kurfürst hinter dem Gedanken der Primogenitur, der Erbfolge des Erstgeborenen, doch suchte er fast händeringend nach Auswegen, um alle Söhne zufriedenzustellen. Schließlich rettete er sich in die recht fadenscheinige Erklärung, dass diese Erbfolge nicht für jene Territorien gelte, die erst in seiner Regierungszeit an das Haus Hohenzollern gefallen waren. So wollte er seinem jüngsten Sohn aus erster Ehe das ehemalige Hochstift Minden als Fürstentum vermachen und seinem ältesten Sohn aus zweiter Ehe das Bistum Halberstadt. Selbst die jüngeren Söhne aus dieser Ehe sollten noch eigene, kleinere Herrschaften und Ämter bekommen. Zwar wurden die nachgeborenen Söhne darauf verpflichtet, den Vorrang des künftigen Kurfürsten anzuerkennen, doch sollte dieser im Gegenzug die Herrschaften seiner Brüder »schützen und verteidigen«, als ob es seine eigenen wären.

In diesem Testament des Großen Kurfürsten steckte Zündstoff, der durch den Tod des Prinzen Ludwig, der mit dem Fürstentum Minden hätte abgefunden werden sollen, nur unwesentlich entschärft wurde. Nicht nur bestand die Gefahr, dass dies eben doch der Beginn einer Zerstückelung des Landes werden könnte. Die Erfüllung dieses Letzten Willens hätte den neuen Kurfürsten, den schiefen Fritz, auch um erhebliche Einnahmen gebracht – denn die Steuern aus ihren Fürstentümern hätten die Brüder natürlich behalten dürfen.

Danckelman – der unbestechliche Ratgeber

Nach dem Tod des Großen Kurfürsten am 9. Mai 1688 stand sein ältester Sohn – nun Kurfürst Friedrich III. und 30 Jahre alt – damit gleich vor einer großen Herausforderung. Wäre er nur der auf Äußerlichkeiten bedachte Pfau gewesen, als den ihn Friedrich der Große dargestellt hat, dann hätte er wohl kaum die Kraft und noch weniger die Lust gehabt, sich dem Letzten Willen seines Vaters zu widersetzen. Doch genau das tat Friedrich III. mit aller Entschiedenheit. Nach langen Verhandlungen erhielt einzig der älteste Sohn aus zweiter Ehe eine eigene Grundherrschaft, aber kein eigenes Fürstentum, und den Titel eines Markgrafen von Brandenburg­Schwedt. Diese Nebenlinie bestand bis 1788. Alle anderen Brüder erhielten lediglich feste Einkünfte, die aber nicht allzu üppig ausfielen.

Der Mann, auf den sich der neue Kurfürst in seinen Verhandlungen mit den jüngeren Brüdern in erster Linie hatte stützen können, war sein früherer Lehrer Eberhard Danckelman, ein hoch gebildeter Jurist und dazu ein bienenfleißiger Arbeiter, der sich allein mit seinen profunden Kenntnissen unentbehrlich gemacht hatte. Danckelman stammte aus einer reformierten bürgerlichen Familie und gehörte damit dem gleichen Bekenntnis an wie das Herrscherhaus. Er war kein geborener Brandenburger, sondern stammte ursprünglich aus dem Münsterland. Wegen ihres reformierten Glaubens hatte die Familie das Fürstbistum Münster verlassen müssen und eine neue Heimat in der benachbarten Grafschaft Lingen gefunden. Der Große Kurfürst hatte Danckelman als Lehrer für seinen Sohn engagiert, doch mischte dieser bald auch in der brandenburgischen Politik mit. Von Friedrich III. wurde er sofort nach seinem Regierungsantritt in den Geheimen Rat berufen und 1695 zum Premierminister ernannt. Der Geheime Rat – nicht so genannt, weil er etwa im Verborgenen getagt hätte, sondern »geheim« im Sinne von vertraut – war seit der Mitte des 16. Jahrhunderts das höchste Leitungsgremium der brandenburgischen Politik. Hier liefen die Fäden der Verwaltung zusammen. Danckelman wiederum war als Oberpräsident aller Regierungskollegien die bestimmende Kraft des Rats und zugleich der erste Ratgeber des Kurfürsten.

Dass er seine Brüder in guten Positionen unterbrachte, war im Barockzeitalter nicht ungewöhnlich. Denn natürlich erwartete man von einem erfolgreichen Verwandten, dass er sich um den Rest der Familie kümmerte. Einzig, dass es gleich sechs Brüder waren, die er protegierte, war etwas ungewöhnlich. Spötter sprachen damals vom »Danckelmanschen Siebengestirn« am brandenburgischen Hof.[15] Aber solange Eberhard Danckelman sich der Gunst seines Herrn erfreute, war dies kein Problem. Dass er sich seiner Position niemals wirklich sicher sein konnte, ahnte er. Als der Kurfürst ihm gegenüber beteuerte, dass er sich wünsche, »noch recht lange zu all Ihren Arbeiten Ja und Amen sagen zu können«, entgegnete der Premierminister: »In Gottes Hand liegt mein Werk. Aber die Zeit ist wandelbar, ebenso die Gunst der Fürsten … In Kurzem werde ich Euer Durchlaucht Gnade verlieren. So wahr Sie heute hier stehen und Ihr Auge mit Wohlgefallen auf mir ruht, so kommt sicher die Zeit, dass ich in Ungnade fallen und meines Amtes entsetzt werde. Man wird meine Unschuld erkennen, aber der Strahl fürstlicher Gnade wird nur noch auf mein Grab fallen« – ein prophetisches Wort.[16]

Danckelman war lange Zeit sehr vorsichtig gewesen, um keinen Neid zu erwecken. Deshalb sträubte er sich gegen die Erhebung in den Adelsstand – erst 1695 gab er seinen Widerstand dagegen auf, doch eine durchaus mögliche Erhebung in den Reichsgrafenstand lehnte er weiterhin ab. Er war ein ernster, strebsamer Mann, der im persönlichen Umgang schroff wirkte. Niemals habe man ihn lachen sehen. Vor allem der einheimische Adel fühlte sich durch den bürgerlichen Einwanderer vor den Kopf gestoßen und zurückgesetzt, »voll Eifersucht auf den Bevorzugten, in dessen Hand jede Beförderung, jede sachliche Entscheidung zu liegen schien, der die Augen überall hatte und jeden Missbrauch des Amtes wehrte, der – selbst völlig unbestechlich – die kleinen Ergötzlichkeiten, die sonst wohl die höheren Stellen eingebracht hatten, versiegen machte«, urteilte der Historiker Johann Gustav Droysen im 19. Jahrhundert.[17] Diese mangelnde Rücksicht auf höfische Gepflogenheiten war einer der Gründe für das Intrigennetz, das um den »großen Danckelman« und seine Brüder gesponnen wurde. Als Jurist hatte sich der Minister zunächst geweigert, auch die Verantwortung für die Finanzen zu übernehmen; dies stehe außerhalb »seines Talents und Tuns«. Doch ließ er sich auch hier in die Pflicht nehmen – und musste sich am Ende Vorhaltungen wegen der leeren Kassen des Kurfürstentums machen lassen. Nun rächte es sich, dass er niemals irgendwelche Anstrengungen unternommen hatte, um sich beliebt zu machen.

Kein Herz für die Krone

Einer Krönung seines Herrn zum König konnte Danckelman nichts abgewinnen. 1693 war er selbst beim Kaiser mit einer ersten Fühlungnahme abgeblitzt. Durch seinen Bruder Nicolaus Bartholomäus, der brandenburgischer Gesandter in Wien war, erfuhr er später aus erster Hand, wie zurückhaltend man am Kaiserhof einer Königswürde für die Hohenzollern gegenüberstand. Danckelman war klar, wie schwierig die Verhandlungen darüber werden würden, und er ahnte, dass Friedrich die Ressourcen seines Landes mit diesem – wie er es sah – Abenteuer überspannen könnte, eine kostspielige Würde, die nichts als leere Insignien einbrachte, jedenfalls keine reale Macht. Weder sah er, anders als Friedrich III., irgendeine Notwendigkeit für die Königswürde, noch erkannte er die damit verbundenen Chancen für die Zukunft. Dass der Premierminister so wenig Begeisterung für seinen Traum an den Tag legte, nahm ihm Friedrich III. persönlich übel.

Doch dies allein hätte wohl nicht zu seinem Sturz geführt. Mit entscheidend war, dass Kurfürstin Sophie Charlotte, eine gebürtige Welfin, zur entschiedensten Gegnerin Danckelmans wurde. Einmal weil der Minister mit Blick auf die leeren Kassen des Kurfürstentums selbst Sophie Charlotte zur Sparsamkeit ermahnte – was für eine Impertinenz! –, zum anderen, weil die Kurfürstin dem Premierminister nicht ganz zu Unrecht eine gegen Hannover und damit gegen ihre Heimat gerichtete Politik vorwarf. Ein weiterer Streitpunkt war die Erziehung des Kurprinzen, die der mächtige Minister ebenfalls in seinem Sinne lenken wollte – und sich damit Sophie Charlotte noch mehr zur Feindin machte. Für die Kurfürstin war dieser unnahbare Minister nichts anderes als ein Tyrann, der sich selbst für allmächtig hielt.

Das Fass zum Überlaufen brachten schließlich die Friedensverhandlungen von Rijswijk, durch die im September bzw. Oktober 1697 der Pfälzische Erbfolgekrieg beendet wurde. Durch Einzelverträge legten England, Spanien, die Generalstaaten (Niederlande) und das Heilige Römische Reich jenen Konflikt bei, der zu einem fast zehnjährigen Krieg mit Frankreich um das Erbe des kinderlosen Kurfürsten Karl II. von der Pfalz geführt hatte. Auch brandenburgische Truppen hatten auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen mitgekämpft und einen hohen Blutzoll bezahlt. Doch in Rijswijk saßen die Vertreter des Kurfürsten nur am Katzentisch. Für die Krieg führenden Parteien waren die brandenburgischen Soldaten nur eine Miettruppe gewesen. Das war insofern nicht falsch, als tatsächlich Subsidienverträge mit England, den Generalstaaten und Spanien die Grundlage für deren Einsatz gewesen waren – Soldaten gegen Geld. Aus der Sicht der Auftraggeber war Brandenburg damit keine handelnde Partei des Krieges gewesen und brauchte deshalb auch nicht mit am Verhandlungstisch der Großen zu sitzen. Dass sein Land wie eine zweit­ oder gar drittrangige Macht behandelt wurde, empfand Friedrich III. allerdings als Demütigung. Dass obendrein die Mächte zwar gern seine Soldaten genommen hatten, ihre Zahlungsmoral aber erheblich zu wünschen übrig ließ, ärgerte ihn noch mehr. Die Einschätzung, dass der Kurfürst aufgrund der Souveränität seiner Herrschaft in Preußen »so viel Macht und Ansehen habe, dass er den Königen gleich sei« und daher Anspruch auf die gleiche Behandlung etwa durch den Kaiser habe, war Wunschdenken.[18]Auch für diese Herabsetzung wurde Danckelman verantwortlich gemacht. »Der Kurfürst selbst fing nach und nach an, seiner überdrüssig zu werden«, erinnerte sich Karl Ludwig Baron von Pöllnitz. »Der Minister war geizig, und der Fürst fand sein Vergnügen nur an Pracht und Aufwand.«[19] Doch es ging nicht nur um Äußerlichkeiten; so soll Friedrich sogar geäußert haben: »Danckelman will den Kurfürsten spielen, ich will ihm aber zeigen, dass ich Herr bin.«[20]

Der tiefe Fall des allmächtigen Ministers

Endlich spürte der Premierminister selbst, dass ihm ein rauer Wind ins Gesicht wehte, und so versuchte er – zu spät –, den geordneten Rückzug anzutreten: Am 22. November 1697 bat er um seine Entlassung, die denn auch sofort gewährt wurde. In einem Brief an seine Schwiegermutter Sophie von Hannover mokierte sich Friedrich darüber, dass er in seinem eigenen Kurfürstentum nicht mehr »Herr, sondern Diener« gewesen sei, und gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass Danckelmans Sturz »zu vielem nützlich sein werde«.[21] Und Kurfürstin Sophie Charlotte jubelte: »Ich fürchte nicht mehr, dass jetzt ein anderer mir solche Streiche spielen wird, denn es wird sich niemand von so viel Dreistigkeit und so viel Schlechtigkeit finden.«[22]

Die Feinde des Premierministers wollten sich damit aber nicht zufriedengeben – sie wollten nicht nur seinen Sturz, sie wollten seine Vernichtung. Tatsächlich wurde der Premierminister wenige Wochen nach seinem Rücktritt verhaftet und in die Festung Spandau gebracht. Obwohl sich die in einem Prozess gegen ihn erhobenen Vorwürfe – die Anklageschrift umfasste insgesamt 290 Anklagepunkte – alsbald als völlig haltlos erwiesen, blieb Danckelman auf Anweisung des Kurfürsten in Haft, sein gesamter Besitz wurde konfisziert. Erst 1707 wurde er aus der Haft entlassen, ohne jedoch rehabilitiert zu werden. Diesen Schritt vollzog erst König Friedrich Wilhelm I. 1713. Doch auch der sparsame »Soldatenkönig« dachte nicht daran, dem einst allmächtigen Minister seinen Besitz zurückzuerstatten.

Fürstliche Kronenjagd

Es ist nicht sicher, wann in Friedrich III. der Wunsch entstanden ist, König zu werden. 1693 hat er den Plan erstmals im Geheimen Rat vorgetragen, ohne dabei auf große Gegenliebe zu stoßen. Erst die ernüchternden Friedensverhandlungen in Rijswijk 1697 führten dazu, dass das Vorhaben wieder aufgegriffen wurde – ohne den lästigen Bremser Danckelman.

Friedrich III. wollte auf Augenhöhe mit den europäischen Mächten verhandeln. Zwar durften die Reichsfürsten seit dem Westfälischen Frieden 1648 Bündnisse mit ausländischen Mächten schließen, sofern sich diese nicht gegen Kaiser und Reich richteten. Doch blieben sie letztlich Glieder des Reichs, und die durch die Erfolge in den Türkenkriegen gestärkten Habsburgerkaiser waren bestrebt, die Fürsten wieder stärker in ihre Politik einzubinden. »Dass ich anders als durch Anerkennung der königlichen Würde die honores regios [königliche Ehren] für mich und meine Minister erhalten könnte, dazu sehe ich schlechte Apparenz; denn solange ich nichts als Kurfürst bin, opponiert man mir allemal.«[23] Das hatte er 1696 bei einem Treffen mit König Karl XI. von Schweden bitter erfahren müssen, als Karl zwar für sich einen Stuhl mit Armlehnen hatte bereitstellen lassen – für den brandenburgischen Kurfürsten aber einen ohne! Das klingt nur aus heutiger Sicht lächerlich: Karl brachte in der Wahl der Stühle die Rangordnung deutlich öffentlich zum Ausdruck, eine Rangordnung, wie sie Friedrich nicht länger hinnehmen wollte.

Friedrich III. war bei Weitem nicht der einzige Reichsfürst, der an der Wende zum 18. Jahrhundert um eine Rangerhöhung bemüht war. Seit der Goldenen Bulle von 1356 war die Wahl des deutschen Königs durch die sieben Kurfürsten – die Erzbischöfe von Trier, Mainz und Köln sowie die weltlichen Herrscher von Böhmen, Brandenburg, Sachsen und der Pfalz – staatsrechtlich geregelt. 1623 kam mit den bayerischen Wittelsbachern eine weitere Kur hinzu. Damit gehörte Friedrich III. zum exklusiven Kreis der Königswähler und damit zu den höchsten Fürsten des Reichs. Unter dem Druck des Kriegs gegen Frankreich hatte Kaiser Leopold sich im März 1692 dazu verpflichtet, die Erhebung der Welfen zu Kurfürsten durchzusetzen. Anderenfalls wollte Herzog Ernst August von Hannover den Kaiser nicht unterstützen. In Brandenburg sah man diese Ausweitung des exklusiven Kreises der Königswähler zwar grundsätzlich nicht gern, war aber bereit, sie im Fall der protestantischen Welfen auch aus konfessionellen Gründen hinzunehmen. Doch für den Aufstieg der Welfen war die Kurwürde nur eine Zwischenstation: Die Ehe des englischen Königs Wilhelm III. und seiner Frau Maria war kinderlos geblieben. Daher folgte ihm 1702 seine Schwägerin Anna Stuart auf dem Thron. Zwar hatte sie zahlreiche Kinder – doch fast alle waren Totgeburten oder lebten nur wenige Tage. Freilich gab es aus der Familie der Stuart eine Reihe von Thronanwärtern, doch waren diese katholisch, und das englische Parlament hatte Katholiken 1689 von der Thronfolge ausgeschlossen. Damit zeichnete sich ab, dass die mit dem Kurfürsten Ernst August von Hannover verheiratete Sophie von der Pfalz als nächste protestantische Verwandte einmal englische Königin werden könnte. 1701 legte sich das Parlament auf diese Thronfolge fest.

Auch der bayerische Kurfürst Maximilian II. Emanuel strebte in dieser Zeit nach einer Königskrone. Dabei war es dem ehrgeizigen Wittelsbacher, der sich durch seine Unterstützung Frankreichs während des Spanischen Erbfolgekriegs im Reich unmöglich gemacht hatte, fast egal, wo dieses Königreich denn sein sollte. Am realistischsten waren noch die spanischen Niederlande (in etwa das heutige Belgien und Luxemburg), deren Generalstatthalter er von 1692 bis 1706 war. Sein heimisches Bayern hätte er, ohne zu zögern, gegen eine Krone in Brüssel eingetauscht. Doch am Ende stand Max Emanuel mit leeren Händen da.

Erfolgreicher waren die Bemühungen Augusts des Starken von Sachsen: Am 17. Juni 1696 war der polnische König Johann Sobieski gestorben. Zwar hatte er männliche Nachkommen, doch Polen war ein Wahlkönigtum, und die polnischen Königswähler – wahlberechtigt waren alle Adligen – hatten kein Interesse an einer starken Dynastie, die womöglich ihre Rechte beschneiden würde. So begann 1696 ein regelrechter Wahlkampf, bei dem die Thronkandidaten reichlich Bestechungsgelder fließen ließen. August der Starke verfügte über genügend Geld und auch über Truppen, um durch Drohgebärden Eindruck zu schinden. Er hatte aber ein Problem: Er war Protestant – und kein Geld der Welt hätte ausgereicht, um diesen Makel im erzkatholischen Polen wettzumachen. Doch: Der Reiz der Königskrone war so groß, dass August zum Katholizismus konvertierte, mochten seine sächsischen Untertanen darüber noch so erschauern. Zwar kam es im Juni 1697 zuerst zu einer leicht chaotischen Doppelwahl, doch August ließ seine Armee an der Grenze zu Polen aufmarschieren, und am 15. September erntete er den Lohn für alle seine Mühen: In Krakau wurde er zum polnischen König gekrönt.

Ein Königreich außerhalb der eigenen Grenzen strebte ebenso Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz an. Sein Traum von einem Königreich im westlichen Mittelmeerraum oder gar in Armenien ließ sich aber nicht verwirklichen. Um eine Rangerhöhung bemüht war ebenso der von Frankreich bedrängte Herzog Leopold von Lothringen. Er nahm den Titel »Königliche Hoheit« an wie schon zuvor Großherzog Cosimo III. von Toskana. Damit waren sie zwar nicht zu Königen geworden, aber immerhin deuteten sie an, königsgleiche Herrscher zu sein.[24]

Dass Kurfürst Friedrich III. nach der Königskrönung strebte, war also weder besonders originell, noch entsprang dieser Wunsch einer persönlichen Marotte, erst recht stand dahinter kein Denken in den Kategorien von Volk oder Nation. Er reihte sich damit vielmehr ein in eine ganze Schar von Fürsten, die nach Rangerhöhung strebte, um größere Souveränität und Eigenständigkeit zu erreichen. So wollte Friedrich den Spielraum, den der Westfälische Frieden den Fürsten beispielsweise in der Frage der Bündnisfreiheit gegeben hatte, weiter ausdehnen, um im Konzert der Großen mitspielen zu können. Dabei war er davon überzeugt, dass die Königswürde nur den Rang bestätigen würde, der ihm ohnehin zukam: »Wenn ich alles habe, was zu der königlichen Würde gehört, auch noch mehr als andere Könige, warum soll ich dann auch nicht trachten, den Namen eines Königs zu erlangen.«[25] Ganz ähnlich sah es der große Gelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz: Zwar verfüge Friedrich schon jetzt über königliche Macht, doch könne er den anderen Königen erst dann wirklich gleichrangig sein, wenn er auch über den Titel verfüge.[26]

Der preußische Vorteil

In diesem Bestreben hatte Friedrich den unschätzbaren Vorteil, mit dem Herzogtum Preußen über ein souveränes Fürstentum außerhalb der Grenzen des Heiligen Römischen Reichs zu verfügen. Er war daher weder auf die Königswähler eines anderen Reichs angewiesen wie August der Starke in Polen noch von der politischen Großwetterlage abhängig wie Max Emanuel von Bayern oder Johann Wilhelm von der Pfalz. Und er war auch nicht abhängig von den Glücksfällen dynastischer Erbfolge wie die Welfen in England. Diese Chance zielstrebig genutzt zu haben ist das bleibende Verdienst Friedrichs III. Die Königswürde auf Brandenburg zu stützen lehnte er ab – wäre dies doch kein souveränes Königreich gewesen, sondern ein Reich von Kaisers Gnaden: »Wenn ich die königliche Dignität auf meine brandenburgischen Lande nehmen will, so bin ich kein souveräner König, sondern ein Lehnkönig und werde deshalb mit dem ganzen Reich zu tun haben …, wenn ich aber wegen Preußen die königliche Dignität annehme, so bin ich ein independenter [unabhängiger] König.«[27]

Doch erhebt sich vor diesem Hintergrund die Frage: Weshalb bedurfte es zur Verwirklichung dieses Ziels überhaupt langwieriger Verhandlungen? Wer oder was hätte Friedrich daran hindern sollen, sich in Königsberg – der Hauptstadt des Herzogtums Preußen – eine Krone aufs Haupt zu setzen und aller Welt zu verkünden, dass er nunmehr König sei? Die einfache Antwort auf diese Frage lautet: Niemand. Doch so einfach war es nicht. Denn: Ein König war nur dann ein wirklicher König, wenn sein Rang auch außerhalb der eigenen Landesgrenzen anerkannt war.

Zudem: Selbst als König blieb Friedrich weiter Kurfürst und damit Reichsfürst. Zu allererst musste der Hohenzoller daher erreichen, dass der Kaiser sein Königtum anerkannte – nicht nachträglich, sondern vorab. Zwar waren die Habsburgerkaiser weit von der Macht ihrer mittelalterlichen Vorgänger entfernt, doch nach den großen Erfolgen in den Türkenkriegen und der wenigstens halbwegs erfolgreichen Abwehr der Angriffe Ludwigs XIV. von Frankreich war Leopold I. ein Machtfaktor, der nicht außer Acht gelassen werden durfte. Ebenso bedurfte es der Anerkennung der Königswürde durch die übrigen Reichsfürsten und vor allem durch die gekrönten Häupter Europas. Was brachte es, König zu sein, wenn dieser Rang niemanden interessierte? Es war doch gerade die Zurücksetzung von Rijswijk gewesen, die Friedrich so maßlos geärgert hatte.

Wartenberg – der neue Stern

Nach dem Sturz Danckelmans nahm der aus der Pfalz stammende Johann Kasimir Graf Kolbe von Wartenberg dessen Position als erster Ratgeber des Kurfürsten ein, auch wenn er erst 1702 zum Premierminister ernannt wurde, fünf Jahre nachdem sein Vorgänger um seinen Abschied gebeten hatte. Wartenberg war das Kontrastprogramm zu dem bärbeißigen Danckelman. Er verstand es, seinen Herrn um den Finger zu wickeln, ihm seine echten und vermuteten Wünsche zu erfüllen, bevor sie überhaupt ausgesprochen waren. Schon 1682 hatte er durch seine »höchst gefälligen, einschmeichelnden Manieren« das Interesse des brandenburgischen Hofes auf sich gezogen.[28] Es folgte die Ernennung zum Kämmerer, durch die er in engen Kontakt mit dem Kurfürsten kam. Widerspruch gegen die Königspläne war von diesem geschmeidigen Höfling nicht zu erwarten, im Gegenteil: Dass Wartenberg den Kurfürsten darin unterstützte, machte ihn erst recht zu seinem Favoriten.

Menschen wie Wartenberg waren an den Höfen des 17. Und 18. Jahrhunderts häufiger anzutreffen als Widerspruchsgeister wie Danckelman, der nicht mehr in die Zeit zu passen schien. Zum Typus des geschmeidigen Höflings passte es auch, dass Wartenberg kein Mann war, der gerne Akten wälzte. Diese Rolle übernahm der aus Minden stammende Heinrich Rüdiger von Ilgen, der 1699 Mitglied des Geheimen Rats wurde, ein Mann, der im Hintergrund wirkte und kaum auffiel, aber ungeheuer effizient arbeitete.

Wie an seinem Großvater, so hat Friedrich der Große auch an Wartenberg kein gutes Haar gelassen: »Ohne glänzende Eigenschaften zu besitzen, die allgemeinen Beifall erringen, beherrschte er die Kunst des Hofes, zarte Aufmerksamkeit, Schmeichelei, mit einem Wort: Kriecherei. Er übernahm die Ansichten seines Herrn, überzeugt, er brauche nur Diener der fürstlichen Leidenschaften zu sein, um sein Glück zu machen.«[29] Das Beispiel Danckelmans vor Augen, wusste Wartenberg, dass diese fürstlichen Leidenschaften sich auch einmal gegen ihn wenden könnten. So ließ er sich von Friedrich vorab einen Freibrief ausstellen, der ihn von jedweder Verantwortung entband, egal was geschah und welche Folgen sein politisches Handeln haben würde. Wörtlich wurde Wartenberg darin vom König versichert, »dass, wenn bei der Verwaltung der Domänen und Schatullengüter etwas zu unserem Nachteil vorgegangen sein sollte, nicht er dafür verantwortlich sein soll, auch wenn er die betreffenden Verfügungen revidiert und kontrasigniert hat, sondern die Vortragenden Räte, deren Namen deshalb auch immer auf die Konzepte gesetzt werden sollen«.[30] Wartenberg schob damit jede Verantwortung auf seine Untergebenen ab.

Einen noch schlechteren Ruf als Wartenberg hatte dessen Frau Katharina, was nicht zuletzt an ihrer wenig standesgemäßen Herkunft lag: Ihr Vater war Schiffer in Emmerich am Rhein und betrieb dort ein Gasthaus. Daher war Kurfürstin Sophie Charlotte höchst indigniert, als sie einmal mehr oder weniger dazu gezwungen wurde, die Frau des Premierministers zu empfangen – die stolze Welfin rächte sich auf ihre Weise, indem sie mit ihren Hofdamen ausschließlich Französisch parlierte, wohl wissend, dass die »Kolbin« die Sprache des Hofes nicht verstand. Zwar mangelte es Katharina an höfischen Umgangsformen, allerdings muss sie ausnehmend attraktiv gewesen sein, denn die Männer verfielen ihr reihenweise. Auch der König? Der Hofklatsch erzählte, dass Friedrich die Frau des Premierministers zu seiner Mätresse gemacht habe, doch wies er selbst dieses Gerücht vehement zurück: »Ich weiß wohl, was man sich für eine Einbildung von mir macht, allein es ist nichts daran, und man tut mir mehr unrecht als ihr.«[31] Zwar wurde Friedrich nachgesagt, dem französischen König Ludwig XIV. in vielem nachzueifern, eine Mätresse hätte sich aber mit den religiösen Überzeugungen des Hohenzollern kaum in Einklang bringen lassen. Man macht sich ohnehin eine falsche Vorstellung, wenn man Friedrich als Lebemann darstellt, dem es nur um prächtige Feste gegangen wäre. Tatsächlich hat der Kurfürst­König unvorstellbare Summen für den Hof ausgegeben, doch betrafen diese Ausgaben keine zweckfreien »Lustbarkeiten«, sondern dienten dazu, sich seinem Rang entsprechend zu inszenieren. Galante Bälle, glanzvolle Opern und Maskeraden waren dagegen die Welt seiner Frau Sophie Charlotte, die ihrerseits von den steifen Zeremonien, die ihr Mann so sehr liebte, nicht viel hielt. Mit Diamanten und kostbaren Gewändern kleideten sich beide gern. Als Sophie Charlottes Mutter ihre Tochter einmal in einem Kleid mit lauter diamantenen Knöpfen sah, sei ihr klar geworden, weshalb das Geld am Berliner Hof niemals ausreichte.[32]

Verhandlungsmarathon zwischen Wien und Berlin

Auf der politischen Agenda stand in den Jahren nach Rijswijk die angestrebte Königskrone ganz oben. Auf zwei Schienen liefen die Verhandlungen neuerlich an: Im April 1698 wurde der Kammergerichtsrat Christian Friedrich Freiherr von Bartholdi, ein tüchtiger und gewandter Beamter, als neuer brandenburgischer Gesandter nach Wien geschickt. Bartholdi wurde angewiesen, die

»Sache der Königskrone zu encaminiren«, sprich auf den Weg zu bringen.[33] Zeitgleich waren gleich zwei Jesuitenpatres in die Verhandlungen involviert: Pater Karl Moritz Vota war Beichtvater des polnischen Königs gewesen und nun Dauergast bei den gelehrten Konversationen am Hof von Kurfürstin Sophie Charlotte. Der Jesuit war ein gebildeter Mann, der sich nicht nur in theologischen Fragen auskannte, sondern ebenso gewandt über geschichtliche und mathematische Fragen zu parlieren verstand.

Ganz im Sinne der Aufklärung diskutierten die Mitglieder der Tafelrunde im Schloss Charlottenburg (das damals noch Lietzenburg hieß) über die Möglichkeit, auf der Basis der konfessionellen Gemeinsamkeiten und der frühchristlichen Konzilien zu einer »Union der Bekenntnisse« zu kommen. Natürlich waren diese Diskussionen bloße Theorie, aber der Kurfürstin war es damit durchaus ernst: »Ich hoffe, alle Christen werden bald eins sein … In jener Welt wird man uns nicht fragen, von welcher Religion wir gewesen sind, sondern was wir Gutes und Böses getan haben … Alles andere ist Pfaffengezänk.«[34]

Vor diesem Hintergrund hoffte Vota, den Kurfürsten irgendwie in das katholische Boot holen oder zumindest weitere Erleichterungen für die Ausübung des katholischen Glaubens in Brandenburg herausschlagen zu können. Fast verwegen wirkt Votas Idee, der Kurfürst solle sich vom Papst zum König ernennen lassen. Doch Friedrich III. war nicht August der Starke, und ein Konfessionswechsel als Preis für die Zustimmung des Kaisers stand für ihn niemals zur Debatte: Um alle Kronen der Welt werde er niemals seine Religion wechseln, ließ er in dieser Frage gar nicht erst irgendwelche Zweifel aufkommen.

In Wien spann derweil ein weiterer Jesuit seine Fäden: Pater Friedrich Wolff war verschiedentlich für den Wiener Kaiserhof in diplomatischer Mission unterwegs gewesen und kam nur durch puren Zufall in das Spiel um die Königskrone. Ein Schreiben, das eigentlich für den brandenburgischen Gesandten in Wien gedacht war, landete irrtümlich auf dem Schreibtisch des Paters, der die Gelegenheit beim Schopf packte, in der großen Politik mitzumischen. Tatsächlich erwarb er sich auch das Vertrauen Berlins. Mit aller Macht versuchte er, einen sichtbaren Gewinn für die katholische Sache herauszuschlagen. Doch mit seinem Vorschlag, den brandenburgischen Kurprinzen mit einer Tochter des Kaisers zu verheiraten, stieß er auf wenig Gegenliebe – vor allem wegen des damit verbundenen Pferdefußes: Zwar sollten die Söhne reformiert, die Töchter aus dieser Verbindung aber katholisch getauft werden. Friedrich III. sperrte sich gegen solche Gedankenspiele, war er doch nicht einmal in der Frage der Zulassung katholischer Gottesdienste zu Zugeständnissen bereit. Als überzeugter Protestant wollte er schon aus Glaubensgründen nicht, dass Mitglieder seines Hauses katholisch würden. Hinzu kam: Zwar waren Töchter im römisch­deutschen Reich nicht selbst erbfolgeberechtigt, doch im Fall des Aussterbens einer Familie im Mannesstamm gewann die weibliche Linie Bedeutung. Im Extremfall hätte Brandenburg dann einen katholischen Herrscher bekommen können.

Bewegung in die Verhandlungen um die Königskrone brachten erst politische Entwicklungen, die es dem Kaiser ratsam erscheinen ließen, den Brandenburger nicht in das gegnerische Lager abwandern zu lassen. Dabei waren es gleich zwei Konflikte, die Wien Kopfzerbrechen bereiteten. Da war zunächst die spanische Thronfolge. König Karl II. von Spanien war ein Musterbeispiel für den Abstieg einer großen Familie zum bloßen Spielball der Mächte inner- und außerhalb des Landes. Von Kindheit an kränkelnd und depressiv, spielte er lieber Mikado oder zählte die Beeren an seinen Sträuchern, als sich um Politik zu kümmern. Da seine beiden Ehen kinderlos blieben, stand das Aussterben der spanischen Habsburger und damit verbunden die Thronfolge auf der Iberischen Halbinsel seit der Mitte der 1690er­Jahre auf der politischen Agenda der europäischen Großmächte. Am Ende meldeten zwei Thronprätendenten ihre Ansprüche an: Philipp von Anjou und der österreichische Erzherzog Karl. Philipp war ein Enkel Ludwigs XIV. von Frankreich – und wie sein habsburgischer Kontrahent ein Großneffe Karls II. Auf dem Sterbebett hatte der Spanier noch Philipp von Anjou zu seinem Nachfolger ernannt, doch es war klar, dass die österreichischen Habsburger diese Entscheidung niemals anerkennen würden. Nachdem alle Pläne zur friedlichen Teilung des spanischen Erbes gescheitert waren, standen die Zeichen auf Krieg.

Zur Durchsetzung ihrer Ansprüche waren die Habsburger auf Verbündete angewiesen. Dies war der Hintergrund, vor dem sich die Verhandlungen um die Anerkennung einer preußischen Königswürde zwischen Berlin und Wien abspielten. Dazu kam ein zweiter Konflikt, der drohend seine Schatten warf und Kaiser Leopold I. ein Arrangement mit Kurfürst Friedrich III. ratsam erscheinen ließ: Im sogenannten Nordischen Krieg verbündeten sich Dänemark, Sachsen­Polen und Russland gegen Schweden, das durch die Thronbesteigung des erst 15­jährigen Königs Karl XII. geschwächt schien. Dem Kaiserhof in Wien konnte nicht daran gelegen sein, dass Brandenburg seine Machtposition im Ostseeraum durch ein Eingreifen in den Nordischen Krieg noch weiter ausdehnte. Es lag also im ureigensten Interesse Leopolds, Friedrich III. bei Laune zu halten.

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