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ERIC SCHMIDT, JONATHAN ROSENBERG, ALAN EAGLE

DER TRILLION DOLLAR COACH

ERIC SCHMIDT
JONATHAN ROSENBERG
UND ALAN EAGLE

DER TRILLION DOLLAR COACH

BILL CAMPBELL, DER MANN HINTER DEN ERFOLGSGESCHICHTEN DES SILICON VALLEY

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

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1. Auflage 2020

© 2020 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

© der Originalausgabe 2019 by Alphabet, Inc.

Die englische Originalausgabe erschien 2019 bei Harper Business, einem Imprint von HarperCollins Publishers, unter dem Titel Trillion Dollar Coach.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Übersetzung: Veronika Pfleger

Redaktion: Nikolas Bertheau

Umschlaggestaltung: Marc Fischer

Umschlagabbildung: LCCN 2018041400

Satz: ZeroSoft, Timisoara

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-86881-802-4

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96267-235-5

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96267-236-2

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.redline-verlag.de

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Für Bill

Inhalt

Vorwort

KAPITEL 1: Der Caddie und der CEO

KAPITEL 2: Ihr Titel macht Sie zum Manager, Ihr Team macht Sie zum Leader.

KAPITEL 3: Schaffen Sie eine Atmosphäre des Vertrauens

KAPITEL 4: Das Team geht vor

KAPITEL 5: Die Kraft der Liebe

KAPITEL 6: Der Maßstab

Danksagung

Über die Autoren

Anmerkungen

Vorwort

Vor gut zehn Jahren las ich in der Zeitschrift Fortune einen Artikel über das bestgehütete Geheimnis des Silicon Valley. Es ging weder um Hardware noch um Software – ja, noch nicht einmal um irgendein Produkt. Es ging um einen Mann. Sein Name war Bill Campbell und er war kein Hacker. Sondern ein Football-Trainer, der in die Vertriebssparte gewechselt war. Und irgendwie hatte er es dort geschafft, so einflussreich zu werden, dass er nun jeden Sonntag mit Steve Jobs spazieren ging und die Gründer von Google beteuerten, ohne ihn hätten sie es niemals geschafft.

Der Name Bill Campbell klang mir vertraut, aber ich wusste nicht, woher. Bis mir jene Anekdote einfiel, die ich schon wiederholt verwendet hatte, um meinen Studenten ein Management-Dilemma zu verdeutlichen: Mitte der Achtzigerjahre hatte bei Apple eine mutige und kluge junge Managerin namens Donna Dubinsky die Vertriebsstrategie von keinem Geringeren als Steve Jobs hinterfragt. Bill Campbell war damals der Chef von Donnas Chef und reagierte mit genau jener Art von tough love, wie man sie, nun ja, von einem Football-Trainer erwarten würde: Er zerpflückte ihre Argumente, verdonnerte sie dazu, sich bessere einfallen zu lassen – und hielt ihr fortan eisern die Stange.

Danach hatte ich nichts mehr von ihm gehört – darüber, was er in den Jahrzehnten seit damals getrieben hatte. Der Fortune-Artikel nun ließ mich erahnen, warum: Campbell richtete das Scheinwerferlicht gern auf andere, zog es selbst jedoch vor, im Hintergrund zu bleiben. Ich schrieb zu jener Zeit gerade an einem Buch, das davon handelte, wie die Unterstützung, die wir anderen gewähren, zugleich unserem eigenen Erfolg nützt, und der Gedanke, darin die Geschichte dieser schillernden Persönlichkeit wiederzugeben, faszinierte mich. Wie aber schreibt man über jemanden, der sich konsequent der öffentlichen Aufmerksamkeit entzieht?

Ich begann meine Recherche damit, dass ich alles sammelte, was ich online über Campbell finden konnte. Ich lernte, dass er den Mangel an physischen Kräften mit Herzensqualitäten wettmachte. Mit einer Körpergröße von gerade einmal 1,77 Meter und einem Gewicht von 75 Kilogramm war er auf der Highschool der most valuable player (der wertvollste Spieler) seines Football-Teams gewesen. Und als dem Leichtathletiktrainer Hürdenläufer fehlten, meldete er sich – er, der nicht einmal hoch genug springen konnte, um über die Hürden zu kommen. Stattdessen rannte einfach er einfach durch sie hindurch und kämpfte sich – blaue Flecken hin oder her – bis in die Regionalmeisterschaften vor. Auf dem College spielte er Football an der Columbia University, wo er zum Kapitän und später sogar zum Cheftrainer gewählt wurde und sich auch von sechs erfolglosen Saisons in Folge nicht einschüchtern ließ. Seine Achillesferse? Sein übergroßes Herz für seine Spieler. Er hatte Skrupel, schwächere Spieler, die ihr Bestes gaben, auf die Bank zu verweisen, und weigerte sich, von seinen Starspielern zu verlangen, den Sport über das Studium zu stellen. Ihm war es wichtiger, die Spieler im Leben als auf dem Spielfeld erfolgreich zu machen. Er kümmerte sich mehr um ihr persönliches Wohlergehen als um den Spielerfolg des Teams.

Als Campbell beschloss, in die Geschäftswelt zu wechseln, waren es seine alten Mannschaftskollegen, die ihm die Türen öffneten. Sie waren überzeugt, dass sich seine fehlende Eignung für einen Nullsummensport (in welchem sich der eigene Erfolg aus der Niederlage des Gegners bemisst) in vielen Unternehmen als Stärke erweisen würde. Und tatsächlich brillierte Campbell schließlich als Executive bei Apple und als CEO von Intuit. Wann immer ich im Silicon Valley mit Menschen sprach, die sich durch außergewöhnliche Großzügigkeit auszeichneten, bekam ich dasselbe zu hören: Es war Campbell gewesen, der ihnen ihre Weltanschauung vermittelt hatte. Da ich ihn nicht persönlich behelligen wollte, begann ich, seine Protegés ausfindig zu machen. Es folgten ungezählte Telefonate, in denen er mir als Vater beschrieben und mit Oprah Winfrey verglichen wurde. Die Gespräche endeten in der Regel damit, dass ich ein Dutzend neuer Namen von Leuten notierte, auf deren Leben Campbell maßgeblichen Einfluss gehabt hatte – darunter auch Jonathan Rosenberg, einer der Autoren dieses Buches.

Als ich Rosenberg im Jahr 2012 kontaktierte, setzte er Campbell in seiner Antwortmail kurzerhand in CC. Leider lehnte jener es ab, sich von mir in meinem Buch porträtieren zu lassen – und setzte damit auch einen Schlusspunkt unter meine Nachforschungen, wie es ihm gelungen war, so viel Gutes für andere zu tun, ohne selbst auf den Erfolg zu verzichten. Ich habe nie aufgehört, mich zu fragen, wie er, der ›Geber‹, es so weit hatte bringen können in einer Sparte, die doch vermeintlich die ›Nehmer‹ belohnt, und was wir wohl von ihm über Führung und Management würden lernen können.

Ich freue mich sehr, dass ich – diesem Buch sei Dank – nun endlich die Antwort kenne: Der Trillion Dollar Coach lehrt uns, dass eine herausragende Führungskraft nur sein kann, wer zugleich ein herausragender Coach ist. Denn je höher wir auf der Karriereleiter klettern, desto stärker hängt unser eigener Erfolg davon ab, dass wir anderen Menschen zum Erfolg verhelfen. Und ein Coach tut genau das – per definitionem.

Seit gut zehn Jahren habe ich die Ehre, das Schwerpunktfach »Teamwork und Leadership« an der Wharton Business School zu unterrichten. Der Kurs basiert streng auf empirischer Forschung, und ich bin beeindruckt, wie treffsicher Bill Campbell die wissenschaftlichen Erkenntnisse vorweggenommen hatte. Er »lebte« bereits in den 1980er-Jahren Theorien vor, die von Experten erst Jahrzehnte später formuliert, geschweige denn validiert wurden. Erstaunt bin ich zudem darüber, wie viele seiner Vorstellungen zu Mitarbeiterführung und Teamcoaching noch immer darauf warten, systematisch untersucht zu werden.

Campbell war seiner Zeit voraus. Heute jedoch – in einer Welt, in der es mehr denn je auf Zusammenarbeit ankommt und das Schicksal unserer Karrieren und Unternehmen von der Qualität unserer Beziehungen abhängt – kommen uns die Lehren aus seinen Erfahrungen gerade recht. Andererseits bin ich überzeugt: Campbells Coaching-Ansatz ist zeitlos; er würde in jedem Zeitalter funktionieren.

Coaching ist en vogue. Während früher nur Sportler und Entertainer mit Coaches arbeiteten, nehmen Führungskräfte heute die Dienste von Executive Coaches in Anspruch und Mitarbeiter werden von Speaking Coaches trainiert. Doch nur bei einem Bruchteil der Gelegenheiten, bei denen wir von Feedback und Beratung profitieren könnten, ist ein echter ›Coach‹ zugegen, und so liegt es an jedem einzelnen von uns, unsere Mitarbeiter, Kollegen und gelegentlich sogar unsere Chefs zu coachen.

Mittlerweile bin ich überzeugt davon, dass Coaching für unsere eigene Karriere und für eine erfolgreiche Zusammenarbeit im Team eine noch bedeutendere Rolle spielt als Mentoring. Während Mentoren allzu gern mit Weisheiten um sich werfen, krempeln Coaches die Ärmel hoch und machen sich die Hände schmutzig. Sie glauben nicht nur an uns und unser Potenzial; sie steigen mit uns in den Ring und helfen uns, dieses Potenzial zu verwirklichen. Sie halten uns den Spiegel vor, auf dass wir unsere blinden Flecken erkennen, und konfrontieren uns erbarmungslos mit unseren Schwächen. Sie sehen ihre Aufgabe darin, unsere Entwicklung zu fördern, ohne sich zugleich unsere Erfolge auf die eigenen Fahnen zu schreiben. Und für all das kann ich mir kein besseres Vorbild denken als Bill Campbell.

Ich sage das nicht so dahin. Ich hatte das Privileg, unmittelbar Bekanntschaft mit wunderbaren Coaches zu machen – in der Geschäftswelt ebenso wie im Sport. Als Turmspringer lernte ich von Trainern mit Olympiaerfahrung und als Organisationspsychologe führte mich die Arbeit mit Größen wie Brad Stevens von den Boston Celtics zusammen. Nicht nur gehörte Bill Campbell zu dieser Gruppe von Weltklasse-Coaches – er bildete daneben eine ganz eigene Kategorie, verstand er es doch, Menschen zu coachen, von deren Tätigkeit er wenig bis gar nichts verstand.

Im Jahr 2012 – im selben Jahr, in dem ich die Idee, über Campbell zu schreiben, hatte aufgeben müssen – wurde ich eingeladen, bei einem globalen Google-Event einen Vortrag darüber zu halten, wie ich das Unternehmen als Organisationspsychologe wohl leiten würde. Während meiner langjährigen Arbeit mit Googles wegweisendem People-Analytics-Team war mir bewusst geworden, dass sich fast alles Großartige in diesem Unternehmen in Teams ereignete. Die Kernbotschaft meines Vortrags lautete dementsprechend: Nicht einzelne Mitarbeiter, sondern Teams bilden die Grundbausteine moderner Organisationen! Meine Kollegen von Google wollten es noch genauer wissen: Unter dem Titel »Project Aristotle« untersuchten sie in einer ausführlichen Studie die charakteristischen Merkmale ihrer erfolgreichsten Teams.

Sie ermittelten fünf Schlüsselfaktoren, die unmittelbar von Campbell hätten stammen können: Besonders leistungsstarke Teams bei Google verfügen demnach über psychologische Sicherheit – die Mitarbeiter wissen, dass ihre Teamleiter ihnen, wenn sie Risiken eingehen, den Rücken freihalten. Sie verfolgen klare Ziele. Jeder Mitarbeiter leistet in seiner Rolle einen unverzichtbaren Beitrag. Die Mitarbeiter können sich aufeinander verlassen. Und die Mitarbeiter sind überzeugt, dass ihr Team etwas bewegen kann in der Welt. Wie wir sehen werden, war Campbell ein Meister darin, eben diese Bedingungen zu schaffen: In allen Teams, die er coachte, legte er stets den Schwerpunkt auf die Faktoren Rückhalt, Klarheit, Sinn, Verlässlichkeit und Wirkung.

Sheryl Sandberg und ich haben oft beklagt, dass Buchhandlungen zwar regelmäßig eine Selbsthilfeabteilung haben, man eine Wie-helfe-ich-anderen-Abteilung hingegen vergeblich sucht. Der Trillion Dollar Coach gehört in die Wie-helfe-ich-anderen-Rubrik: Das Buch ist eine Anleitung, aus anderen das Beste herauszuholen, sie zu fördern und zu fordern und über bloße Lippenbekenntnisse hinaus stets den »Menschen« an die erste Stelle zu setzen.

Das Bemerkenswerteste an Bill Campbells Geschichte ist, dass wir, je mehr wir über ihn lesen, immer häufiger Möglichkeiten entdecken, seinem Beispiel im alltäglichen Leben zu folgen. Das fängt bei kleineren Dingen an, indem wir beispielsweise jedem mit Würde und Respekt begegnen, und reicht bis zu größeren Vorsätzen wie dem, uns stärker für unsere Mitarbeiter zu interessieren – und sei es, dass wir uns merken, wo ihre Kinder zur Schule gehen.

Bill Campbell legte keinen großen Wert auf die Ehre, in einem Buch porträtiert zu werden, geschweige denn, Gegenstand eines ganzen Buches zu sein. Aber für einen Mann, der es sich zum Lebensinhalt gemacht hatte, sein Wissen weiterzugeben, scheint es mir ein angemessener Tribut zu sein, seine Geheimnisse nun »Open Source« zu stellen.

Adam Grant

KAPITEL 1

Der Caddie und der CEO

An einem warmen Apriltag des Jahres 2016 versammelte sich auf dem Footballfeld der Sacred Heart School im Herzen des kalifornischen Städtchens Atherton, Kalifornien, eine gewaltige Trauergemeinde, um William Vincent Campbell jr. das letzte Geleit zu geben, nachdem dieser im Alter von fünfundsiebzig Jahren einem Krebsleiden erlegen war. Bill Campbell hatte, seit er 1983 in den amerikanischen Westen gezogen war, entscheidenden Anteil am Erfolg von Apple, Google, Intuit und zahlreichen anderen Unternehmen gehabt. Zu behaupten, er hätte sich in der Technologiebranche größten Respekt erworben, wäre eine grobe Untertreibung – »Liebe« trifft es da schon besser. Unter den Gästen waren an diesem Tag in Scharen die Top-Vertreter der Branche versammelt: Larry Page, Sergey Brin, Mark Zuckerberg, Sheryl Sandberg, Tim Cook, Jeff Bezos, Mary Meeker, John Doerr, Ruth Porat, Scott Cook, Brad Smith, Ben Horowitz und Marc Andreessen, um nur einige zu nennen. Solch geballtem Pioniergeist und so viel Macht begegnet man selten – zumindest im Silicon Valley.

Wir – Jonathan Rosenberg und Eric Schmidt – saßen unter den Trauergästen und unterhielten uns in gedämpftem Ton, während die Sonne freundlich auf uns herabschien und einen merkwürdigen Kontrast zur gedrückten Stimmung bildete. In den vergangenen 15 Jahren, in denen wir für Google tätig waren – Eric 2001 als CEO und Jonathan 2002 als Produktchef –, hatten wir eng mit Bill zusammengearbeitet. Bill war unser Coach gewesen. Alle ein bis zwei Wochen hatten wir uns getroffen, um über die diversen Herausforderungen zu sprechen, vor die uns die Entwicklung des Unternehmens stellte. Er begleitete uns – meist hinter den Kulissen – als Individuen und als Team auf dem Weg, der Google vom schrulligen Start-up zu einer der wertvollsten Firmen und Marken der Welt geführt hat. Möglich, dass vieles anders gekommen wäre, hätte Bill uns nicht geholfen. Wir nannten ihn unseren Coach, aber auch unseren Freund und unterschieden uns darin kaum von der übrigen Trauergemeinde. Wie wir später erfuhren, hielten viele von ihnen – und es waren mehr als eintausend Gäste – Bill sogar für ihren besten Freund. Wer von all diesen besten Freunden also würde die Ehre haben, eine Rede auf unseren Coach zu halten? Welche Hightech-Koryphäe würde ans Pult treten?

Der Champion aus Homestead

Als Bill Campbell zum ersten Mal nach Kalifornien kam, war er bereits Anfang 40. Seine Businesskarriere hatte er erst wenige Jahre zuvor eingeschlagen. Was er dann aber im Silicon Valley leistete, war ein Vielfaches dessen, was jeder andere 75-Jährige am Ende eines langen Arbeitslebens hätte vorweisen können. Schon als Kind war Bill ein ambitionierter und heller Kopf gewesen. Er wuchs in der von der Stahlindustrie geprägten Kleinstadt Homestead im Westen Pennsylvanias auf, wo sein Vater Sportlehrer an der örtlichen Highschool war und nebenher im Stahlwerk arbeitete. Bill war ein guter und fleißiger Schüler. Clever war er auch: Im April 1955 schrieb er einen Artikel für die Schülerzeitung, in dem er seine Mitschüler daran erinnerte, dass »es nichts Wichtigeres für das spätere Leben gibt« als gute Noten. »Wer in der Schule bummelt, vergibt sich damit wichtige Erfolgschancen.« Das war in seinem ersten Highschool-Jahr.

Im Herbst 1958 verließ Bill seine Heimat, um an der Columbia University in Manhattan zu studieren. Auf der Highschool war er zum Football-Star geworden. Dabei war er mit seinen 1,77 Meter und 75 Kilogramm (auch wenn er mit 82 Kilogramm gemeldet war) äußerlich gar nicht der Typ dazu – selbst für damalige Verhältnisse, als Football-Spieler noch nicht die Kolosse von heute waren. Mit seiner Einsatzfreude und seinem intelligenten Spiel erwarb er sich die Achtung von Trainern und Mitspielern. In seinem letzten Highschool-Jahr verbrachte er – mittlerweile als Mannschaftskapitän – praktisch jede Spielminute als Linebacker in der Defense oder als Lineman (Guard) in der Offense auf dem Spielfeld. Er verhalf seinem Team zum einzigen Meistertitel in der Ivy League in der Geschichte der Columbia und verdiente sich als einer der besten Spieler der gesamten Liga die All-Ivy Honors. Der damalige Trainer mit dem schönen Namen Buff Donelli attestierte ihm eine »maßgebliche Rolle« im Titelgewinn. »Wäre er 1,87 Meter groß und würde er 102 Kilogramm wiegen und als Profi antreten, wäre er der beste Lineman, den die Liga je gesehen hat – ein Feuerball. Aber er ist klein und wiegt gerade einmal 75 Kilogramm. Nicht einmal im College-Football findet man so kleine Guards. Normalerweise kann man mit kleinen Spielern nicht Football spielen. Die richtige Einstellung ist in der Regel nicht genug. Ein Coach ist auf die richtige Einstellung angewiesen, aber auch auf die richtigen Spieler.«1

Bills Einstellung war natürlich, dass es aufs Team ankam. Den Erfolg der Mannschaft führte er darauf zurück, dass »die Spieler an einem Strang zogen und eine erfahrene Führung hatten«.2

Zu viel Mitgefühl

Bill hatte nicht viel Geld und so finanzierte er sein Studium an der Columbia nicht zuletzt durch Taxifahren. Er lernte die Stadt so gut kennen, dass er später oft mit seinem langjährigen Chauffeur und Freund Scotty Kramer über die beste Route stritt. (Wenn es darum ging, durch New York zu navigieren, stellte man den Coach nicht infrage, sagt Kramer.)

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Bill (mit der Nummer 67) im vollen Einsatz beim 26:14-Sieg der Columbia Lions gegen Harvard am 21. Oktober 1961.3

Nach einem Abschluss in Wirtschaftswissenschaften 1962 und einem Master im Lehramt 1964 verließ Bill die Columbia und ging in den Norden, um Assistenztrainer des Football-Teams am Boston College zu werden. Bill war ein hervorragender Trainer und machte sich in Football-Kreisen rasch einen Namen. Als er daraufhin von der Columbia, seiner Alma Mater, das Angebot erhielt, als Cheftrainer zurückzukehren, sagte er zu. Die Columbia war im Football miserabel aufgestellt, doch Gefühle der inneren Verbundenheit führten ihn zurück nach Manhattan.

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Bills Mannschaftskollegen tragen ihn nach dem 37:6-Sieg der Columbia über die University of Pennsylvania am 18. November 1961 vom Spielfeld. Der Sieg brachte der Columbia den ersten Meistertitel in der Ivy League ein.4

(Laut Jim Rudgers, einem damaligen Trainerkollegen, hatte man Bill, der als einer der besten Assistenztrainer des Landes galt, eine Trainerstelle unter Joe Paterno an der Penn State angeboten, bevor er dann jedoch »seinem Herzen folgte« und zur Columbia zurückkehrte. Paterno war damals einer der Toptrainer des Landes und man darf mutmaßen, dass Bill eine steile Karriere als Trainer erwartet hätte, wäre er zu den Nittany Lions gegangen. Dieses Buch wäre vielleicht kein Buch über die Silicon-Valley-, sondern die College-Football-Legende Bill Campbell geworden. Und dann hätten Sie möglicherweise auch keine Mühe, in den gängigen Suchmaschinen Massen an Informationen über ihn zu finden!)

Coaching-Talent hin oder her – aus Bills Rückkehr zur Columbia wurde keine Erfolgsstory. Schon die Voraussetzungen waren alles andere als vielversprechend: ein schäbiges Trainingsgelände, vom Campus aus nur durch eine mindestens 30-minütige Busfahrt im Nachmittagsverkehr zu erreichen, eine Verwaltung, die dem Football-Sport wenig Bedeutung beimaß, und eine Stadt im allgemeinen Niedergang. Die Lions gewannen während Bills Amtszeit lediglich zwölf Spiele und verloren einundvierzig. Seine aussichtsreichste Saison war die von 1978, als das Team mit einer Startbilanz von drei Siegen, einer Niederlage und einem Unentschieden ins Rennen ging, dann jedoch im Giants Stadium von dem (körperlich und zahlenmäßig) weit überlegenen Team der Rutgers University mit 69:0 vernichtend geschlagen wurde. Im Jahr darauf fasste Bill schließlich den Entschluss, sein Traineramt niederzulegen; die begonnene Saison führte er noch zu Ende, aber das war’s dann.

Während seiner Zeit an der Columbia hatte Bill so hart gearbeitet, dass ihm am Ende nur noch ein Klinikaufenthalt die nötige Erholung verschaffte. Besonders die Anwerbung neuer Spieler verlangte ihm viel ab. Später einmal sagte er, er habe mit hundert möglichen Kandidaten sprechen müssen, um wenigstens fünfundzwanzig von ihnen überreden zu können, ins Team zu kommen. »So fuhr ich nach dem Work-out um 16.30 Uhr nach Albany und noch am selben Abend wieder zurück oder nach Scranton und wieder zurück, nur damit ich am nächsten Morgen wieder pünktlich im Büro war.«5

Dennoch scheiterte er am Ende nicht aufgrund fehlender Spieler. Er selbst machte dafür vielmehr ein Zuviel an Mitgefühl verantwortlich. »Es gibt etwas, das man [als Football-Trainer] braucht und das ich als emotionslose Strenge bezeichnen würde, und ich glaube nicht, dass ich darüber verfüge. Du darfst dich nicht mit Gefühlen aufhalten. Du musst ständig jedermann zu mehr Leistung antreiben und gewissermaßen taub gegenüber Gefühlen sein. Du tauschst Spieler wahllos aus, ersetzt ältere durch jüngere und so weiter. So ist nun mal das Spiel: Survival of the fittest. Die besten Spieler gehen an den Start. Mir fiel das immer schwer. Mir war wichtig, dass die Jungs verstanden, was wir taten. Wahrscheinlich war ich einfach nicht abgebrüht genug.«6

Bills Einschätzung, dass eine Portion Gefühllosigkeit dazugehört, um als Football-Trainer erfolgreich zu sein, mag richtig gewesen sein. In der Geschäftswelt jedoch kristallisiert sich ausgerechnet Mitgefühl zunehmend als ein nicht zu vernachlässigender Erfolgsfaktor heraus.[1]7 Und so war Bill, der nicht anders konnte, als jedem mit Mitgefühl zu begegnen, denn auch am Ende in der Geschäftswelt um ein Vielfaches erfolgreicher als auf dem Football-Feld.

Let’s run it

Seine Football-Karriere war damit zu Ende. Der 39-Jährige nahm einen Job bei der Werbeagentur J. Walter Thompson an. Sein erster Kunde war Kraft in Chicago. Einige Monate später ging er zurück an die Ostküste, um für Kodak zu arbeiten. Er stürzte sich mit gewohnter Leidenschaft in den Job und beeindruckte seine Kunden in Rochester im Bundesstaat New York mit seinem Wissen und seinen analytischen Fähigkeiten dermaßen, dass sie ihn kurzerhand von der Werbeagentur abwarben. Bei Kodak machte Bill rasch Karriere: 1983 leitete er bereits in London den Bereich Verbraucherprodukte für den europäischen Markt. Zu Beginn seiner Jobsuche im Jahr 1979 hatte ihn einer seiner Football-Kameraden von der Columbia mit John Sculley bekannt gemacht, der damals in leitender Position für PepsiCo tätig war und ihm einen Job anbot, den er jedoch nicht annahm. Als Sculley 1983 ins Silicon Valley ging, um CEO von Apple zu werden, wählte er kurz darauf Bills Nummer. Ob dieser wohl bereit wäre, Kodak den Rücken zu kehren und zusammen mit seiner jungen Familie – er hatte 1976 Roberta Spagnola, die Leiterin des Studentenwohnheims an der Columbia, geheiratet – in den Westen zu ziehen, um für Apple zu arbeiten?

»Meine vielen Jahre als verschlafener Football-Coach hatten mich in meiner Karriere zurückgeworfen«, sagte Bill später. »Mein Gefühl sagte mir, diese Vorgeschichte würde mir auf ewig nachhängen und mich gegenüber meinen Kollegen zurücksetzen. Der ›Wilde Westen‹ mit seiner stärkeren Wertschätzung individueller Leistung würde mir die Chance bieten, schnell bis in die Führungsebenen aufzusteigen.«8 Und in der Tat avancierte er rasch. Nach nur neun Monaten bei Apple wurde er zum Vice President für Vertrieb und Marketing befördert und damit betraut, die Markteinführung des sehnlichst erwarteten Macintosh zu leiten – Apples neuem Computer, der den Apple II als das Vorzeigeprodukt des Unternehmens ablösen sollte.

Für den Kampagnenstart setzte das Unternehmen auf einen Knalleffekt: Es erwarb einen Sendeplatz für einen Werbespot während des Super Bowls am 22. Januar 1984 in Tampa in Florida. Als der Spot fertig war, stellten Bill und seine Leute ihn dem Apple-Mitbegründer Steve Jobs vor. In Anspielung auf George Orwells Roman 1984 ist darin eine junge Frau zu sehen, die, von Wachmännern verfolgt, durch einen dunklen Korridor rennt, bis sie einen Raum erreicht, in dem Hunderte von glatzköpfigen Menschen in abgerissener Kleidung wie Zombies auf einen großen Bildschirm starren und der dröhnenden Stimme des Großen Bruders folgen. Schreiend wirft sie einen riesigen Vorschlaghammer auf den Bildschirm, der daraufhin explodiert. Im Nachspann heißt es, der Apple Macintosh werde uns zeigen, »warum 1984 nicht wie 1984 sein wird«.[2]

Steve war begeistert, ebenso E. Floyd Kvamme, Bills damaliger Chef. Bill selbst war begeistert. Zehn Tage vor dem Spiel präsentierten sie den Spot dem Apple-Board.

Die Board-Mitglieder waren alles andere als begeistert. Sie fanden ihn fürchterlich – zu kostspielig und zu kontrovers. Sie wollten wissen, ob man den Sendeplatz noch an einen anderen Werbetreibenden weiterverkaufen könne. War es zu spät, um noch aus der Nummer herauszukommen? Ein paar Tage später erfuhren Bill und Floyd von einer Apple-Vertriebsleiterin, dass sie einen Käufer für den Slot gefunden hatte. »Was sollen wir deiner Meinung nach tun?«, fragte Floyd Bill. Und dieser erwiderte: Fuck it! Let’s run it – »Scheiß drauf, wir zeigen ihn!«

Sie verrieten weder dem Board noch anderen hohen Führungskräften im Unternehmen, dass es einen potenziellen Abnehmer für den Sendeplatz gegeben hätte, und zeigten den Spot. Er wurde nicht nur der beliebteste Werbespot des Super Bowls, sondern einer der berühmtesten Werbespots aller Zeiten und läutete eine Ära ein, in der die Werbeblöcke während des Super Bowls genauso bedeutend wurden wie die Spiele selbst. Ein Kolumnist der Los Angeles Times nannte ihn den »einzig guten Werbespot, der jemals beim Super Bowl gezeigt wurde«.9 Nicht schlecht für einen »verschlafenen Football-Coach« kaum fünf Jahre nach seiner letzten Saison.

Im Jahr 1987 entschied sich Apple für die Abspaltung eines eigenständigen Software-Unternehmens unter dem Namen Claris und bot Bill den CEO-Posten an. Bill griff zu und Claris entwickelte sich vielversprechend. Drei Jahre später jedoch holte Apple die Firma als Tochterunternehmen zurück, anstatt den ursprünglichen Plan weiterzuverfolgen, eine eigenständige Aktiengesellschaft aus ihr zu machen. Auf diesen Schwenk hin nahmen Bill und andere Claris-Führungskräfte ihren Hut. Es war eine emotionale Entscheidung, und als Bill fortging, verliehen mehrere Mitarbeiter ihrer Dankbarkeit Ausdruck, indem sie eine ganzseitige Anzeige in der San Jose Mercury News schalteten. »Mach’s gut, Coach«, lautete die Überschrift. »Bill, wir werden deinen Führungsstil, deinen visionären Blick, deine Weisheit, deine Freundschaft und deinen Elan vermissen ... Du hast uns beigebracht, auf eigenen Füßen zu stehen. Du hast uns für immer erfolgreich gemacht. Und auch wenn du fortan nicht mehr unser Coach bist, werden wir weiterhin unser Bestes geben, um dich stolz zu machen.« Claris existierte als Tochterunternehmen von Apple bis 1998.

Bill wurde CEO eines Start-ups namens GO Corporation, das daran arbeitete, den ersten tragbaren Computer mit einer stiftbasierten Benutzeroberfläche (einen Vorläufer des PalmPilot und heutiger Smartphones) zu entwickeln. Es war ein ehrgeiziges Vorhaben, doch die Zeit war noch nicht reif dafür und das Unternehmen musste seinen Betrieb 1994 einstellen. GO didn’t go, scherzte Bill, »GO lief nicht.«

Etwa zu dieser Zeit suchten Intuit-Mitbegründer und -CEO Scott Cook und sein Board einen Nachfolger für den CEO-Posten. John Doerr, Risikokapitalgeber von Kleiner Perkins,[3] machte Scott mit Bill bekannt. Der Gründer war anfänglich wenig begeistert vom Coach. Doch als er nach einigen Monaten immer noch keinen neuen CEO gefunden hatte, erklärte er sich zu einem weiteren Treffen mit Bill bereit.

Sie verabredeten sich zu einem gemeinsamen Spaziergang in Palo Alto in Kalifornien und diesmal machte es Klick. »Als wir uns das erste Mal trafen, unterhielten wir uns über Geschäft und Strategie«, erinnert sich Scott. »Bei unserem zweiten Treffen klammerten wir diese Themen jedoch aus und sprachen stattdessen über Mitarbeiterführung. Die anderen Bewerber hatten eine Nullachtfünfzehn-Vorstellung davon, wie man Mitarbeiter entwickelt. Ganz nach dem Motto: Du kannst jede Farbe haben, die du willst, solange es Schwarz ist. Aber Bill machte daraus einen Farbfilm. Ihm war bewusst, dass jeder Mensch seine unverwechselbare Geschichte hat. Ich war überrascht, wie differenziert und unkonventionell er an die Frage der Mitarbeiterförderung und -führung heranging. Ich suchte nach einer Möglichkeit, unsere Mitarbeiter auf eine Art und Weise weiterzuentwickeln, die mir selbst nicht gegeben war. Und Bill war darin ein Meister.«

Bill wurde also CEO von Intuit und leitete das Unternehmen über mehrere wachstumsstarke und erfolgreiche Jahre hinweg, bis er 2000 zurücktrat.[4] Auch wenn er es zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste: Dies war der Beginn des dritten Kapitels seiner Karriere, der Rückkehr zum Vollzeit-Coaching – wenn auch nicht als Football-Coach.

Als Steve Jobs 1985 gedrängt worden war, Apple zu verlassen, hatte Bill Campbell zu den wenigen Führungskräften des Unternehmens gehört, die sich gegen die Entscheidung stellten. Bills damaliger Kollege Dave Kinser erinnert sich, wie Bill sagte: »Wir müssen Steve im Unternehmen halten. Er ist viel zu talentiert, um ihn gehen zu lassen!« Steve vergaß ihm das nie. Als er 1997 als CEO zu Apple zurückkehrte und die meisten Board-Mitglieder zurücktraten, ernannte Steve ihn zum neuen Board-Mitglied.[5] (Bill blieb bis 2014 im Apple-Board.)

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Steve und Bill wurden enge Freunde. Sie tauschten sich regelmäßig aus und verbrachten viele Sonntage damit, durch ihr Viertel in Palo Alto zu schlendern und dabei über dies und das zu sprechen. Steve interessierte sich für Bills Meinung zu den verschiedensten Themen – als Coach, Mentor und Freund. Doch Steve war nicht Bills einziger Coachee. Auch wenn er dem Football 1979 den Rücken gekehrt hatte, hatte »der Coach« letztlich niemals aufgehört zu coachen. Er nahm sich immer Zeit für ein Gespräch mit Freunden, Nachbarn, Kollegen oder Mitschülereltern seiner Kinder; er legte den Arm um sie, hörte ihnen zu und hatte fast immer ein paar Worte auf der Zunge, die ihnen halfen, wieder zuversichtlicher in die Zukunft zu blicken, zu einer Erkenntnis zu gelangen oder eine Entscheidung zu treffen.

Als Bill 2000 als CEO von Intuit zurücktrat (er blieb Chairman bis 2016) und sich nach einer neuen Aufgabe umsah, bot John Doerr ihm an, im Dienste der ehrwürdigen Risikokapitalgesellschaft Kleiner Perkins deren Portfoliounternehmen als Coach zu betreuen. Risikokapitalgesellschaften beschäftigen häufig sogenannte Entrepreneurs in Residence: intelligente, meist junge technologisch versierte Mitarbeiter, die den Unternehmen zur Hand gehen, während diese über ihrer nächsten großen Idee brüten. Warum also nicht auch ein Executive in Residence, dachte sich John – jemand mit operativer und strategischer Erfahrung, der die Start-ups der Gesellschaft durch die Höhen und Tiefen ihres Wachstums (oder seines Fehlens) begleitete? Bill nahm an und richtete sich in der Sand Hill Road ein.

Der Google-Coach

Im Jahr 2001 beschloss ein von ein paar ungestümen jungen Stanford-Studenten gegründetes Start-up, sich einen »professionellen« CEO ins Boot zu holen: Eric Schmidt. Eric hatte das Softwaregeschäft von Sun Microsystems aufgebaut und war als CEO und Chairman für Novell tätig gewesen. John Doerr gab Eric den Rat, sich Bill Campbell als Coach an seine Seite zu holen. Eric hatte Bill kennengelernt, als Sun-CEO Scott McNealy versuchte, ihn anzuwerben, und war von seinen Erfolgen und seiner Energie beeindruckt gewesen. Bei einem seiner Besuche in den Büros von Sun hatte Bill beiläufig erwähnt, dass er soeben von einem eintägigen Trip nach Japan zurückgekommen sei! Das hatte Eric mächtig beeindruckt.

Eric hatte jedoch seinen Stolz und Doerrs Vorschlag kränkte ihn. Eric war schon damals eine große Nummer: CEO von Novell, ehemaliger CTO von Sun, Abschlüsse als M.Sc. und Ph.D. in Informatik von der University of California und als B.Sc. von der Princeton University. Das sind ganz schön viele Buchstaben; was konnte dieser hergelaufene Typ aus Pennsylvania – ein ehemaliger Football-Trainer! – ihm da schon beibringen?

Eine Menge, wie sich herausstellte. Binnen nicht einmal eines Jahres hatte sich Erics Meinung geändert: »Bill Campbell hat uns mit seinem Coaching ungemein geholfen«, schrieb er im Rahmen einer Selbstevaluation. »Rückblickend hätten wir ihn von Anfang an gebraucht. Ich hätte mich früher für diese Struktur einsetzen sollen – am besten gleich, als ich bei Google anfing.«

15 Jahre lang traf sich Eric nahezu jede Woche mit Bill. Und nicht nur er: Bill wurde der Coach von Jonathan, Larry Page und mehreren anderen Führungskräften bei Google. Er nahm an Erics wöchentlichen Teammeetings teil und war auch sonst häufig auf dem Unternehmensgelände in Mountain View anzutreffen (das praktischerweise nur einen Steinwurf von Intuit entfernt lag, wo Bill noch immer Chairman war).

Während dieser 15 Jahre war uns Bills Rat ungeheuer wichtig. Nicht, dass er uns gesagt hätte, was wir tun sollten – ganz und gar nicht. Hatte Bill eine Meinung zu unseren Produkten oder unserer Strategie, behielt er sie fast immer für sich. Doch er sorgte dafür, dass wir im Team miteinander kommunizierten und dass Spannungen und Differenzen ans Licht kamen und offen besprochen wurden, sodass die großen Entscheidungen am Ende von allen mitgetragen wurden – unabhängig davon, ob jeder persönlich sie für richtig hielt oder nicht. Keiner von uns zweifelt daran: Googles Erfolg geht zu einem maßgeblichen Teil auf Bills Konto. Ohne ihn stünde das Unternehmen nicht dort, wo es heute steht.

So gut wie jeder andere wäre damit mehr als zufrieden gewesen. Nicht so Bill. Neben seiner Tätigkeit für die Führungsriege von Google und Steve Jobs von Apple half er noch zahllosen anderen. Er coachte Intuit-CEO Brad Smith und eBay-CEO John Donahoe. Er coachte US-Vizepräsident Al Gore. Er coachte Twitter-CEO Dick Costolo und Flipboard-CEO Mike McCue. Er coachte Numenta-CEO Donna Dubinsky und Nextdoor-Mitbegründer Nirav Tolia. Er coachte den Präsidenten der Columbia University Lee C. Bollinger und MetricStream-CEO Shellye Archambeau. Er coachte Ben Horowitz von der Risikokapitalgesellschaft Andreessen Horowitz. Er coachte die Jungen- und Mädchenmannschaften im Flag Football an der Sacred Heart. Er coachte den persönlich haftenden Gesellschafter der Risikokapitalgesellschaft Benchmark Bill Gurley. Er coachte NFL-Hall-of-Fame-Mitglied Ronnie Lott. Er coachte Danny Shader, den CEO von Handle Financial. Er coachte Google-CEO Sundar Pichai. Er coachte Dan Rosensweig, den CEO von Chegg. Er coachte den ebenfalls aus Homestead stammenden Pittsburgh-Steelers-Quarterback Charlie Batch. Er coachte den Managing Director von Altamont Capital Partners Jesse Rogers, den Präsidenten der Stanford University John Hennessy und Facebook-COO Sheryl Sandberg.

Ballsy und Bruno