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Edward Niedermeyer

DER LUDICROUS-MODUS

Edward Niedermeyer

DER
LUDICROUS-
MODUS

DIE UNGESCHMINKTE WAHRHEIT ÜBER TESLA MOTORS

Übersetzung aus dem Englischen von Almuth Braun

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

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1. Auflage 2021

© 2021 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

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D-80779 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

© der Originalausgabe by Edward Niedermeyer. Veröffentlicht in Absprache mit BENBELLA BOOKS, Inc. Die englische Originalausgabe erschien 2019 bei BENBELLA BOOKS, INC. unter dem Titel Ludicrous. Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Übersetzung: Almuth Braun

Redaktion: Werner Wahls

Umschlaggestaltung: Karina Braun

Umschlagabbildung: shutterstock.com/kloromanam; shutterstock.com/Kaikoro

Satz: ZeroSoft, Timişoara

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN Print 978-3-86881-808-6

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96267-247-8

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96267-248-5

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.redline-verlag.de

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Für Andrea


INHALT


An die Leser

Einführung

Kapitel 1
DER ÜBERLEBENSKÜNSTLER

Kapitel 2
DER HOCHGEHEIME MASTERPLAN

Kapitel 3
DER ZUFÄLLIGE FAHRZEUGHERSTELLER

Kapitel 4
DIE START-UP-FALLE

Kapitel 5
AUTOS HERZUSTELLEN IST SCHWER

Kapitel 6
DIE RETTUNG

Kapitel 7
VON NULL AUF HUNDERT

Kapitel 8
DIE FANS UND DIE HASSER

Kapitel 9
SOLARENERGIE, SUPERCHARGER UND BATTERIEAUSTAUSCH

Kapitel 10
DER AUTOPILOT

Kapitel 11
X MARKIERT DIE (SCHWACH-)STELLE

Kapitel 12
MÄNGEL, OFFENLEGUNG UND DRAMEN

Kapitel 13
MASTERPLAN TEIL 2

Kapitel 14
EINE MASCHINE, DIE DIE MASCHINE BAUT

Kapitel 15
DAS IMPERIUM SCHLÄGT ZURÜCK

Kapitel 16
DER LUDICROUS-MODUS

Kapitel 17
HARTE FAKTEN

Danksagung

Über den Autor

Stimmen zu Der Ludicrous-Modus

Glossar

Anmerkungen

AN DIE LESER


Dieses Buch ist die größte Herausforderung meiner bisherigen beruflichen Karriere gewesen. Die Geschichte von Tesla erstreckt sich nicht nur über ein breites Spektrum an komplexen Themengebieten, sie ist zudem reich an Nuancen, die in den stark kontroversen Debatten, zu denen Tesla immer wieder anregt, leicht verloren gehen.

Zu sagen, diese Geschichte hätte in den Jahren, seit ich mit diesem Buch begonnen habe, verschiedene Wendungen genommen, wäre eine starke Untertreibung. Teslas Fangemeinde sieht Tesla immer kurz vor der Beherrschung der gesamten Automobilindustrie, während die Skeptiker das Unternehmen immer am Rande des Kollapses sehen. Jede neue Entwicklung, ob positiv oder negativ, lässt die Wahrnehmungen und Erwartungen entweder in den Himmel schießen oder in den Keller sinken und weckt mitunter den Eindruck, als würde sie die gesamte Dramaturgie der Geschichte von Tesla verändern.

Die Automobilindustrie ist eine der komplexesten und herausforderndsten Industrien und die Markteintrittsbarrieren sind sehr hoch. Diese Sichtweise hat nicht nur von jeher meine Berichterstattung über Tesla, sondern über alle Fahrzeughersteller bestimmt. Vielleicht liegt es an einem Missverständnis meiner kritischen Perspektive, dass mich Tesla-Fans immer wieder als »Hasser« und meine Arbeit als den Versuch bezeichnet haben, ihr geliebtes Unternehmen zu zerstören. Kaum, dass ich begann, über Tesla zu berichten, wurde ich zur Zielscheibe erbitterter Angriffe – zunächst von den Fans und Investoren und später (genau zu dem Zeitpunkt, als ich mit dem Manuskript zu diesem Buch begann) auch von Tesla selbst.

Üblicherweise vermeide ich es, meine eigenen Beiträge zu kommentieren, weil ich möchte, dass meine Arbeit für sich selbst spricht und allein nach ihrer Qualität bewertet wird (und zum Teil auch, weil ich mich selbst nicht für besonders interessant halte). Weil sich die Angriffe aber mehrheitlich auf meine vermeintlichen Motive konzentrieren, anstatt auf die Substanz meiner Berichte und Analysen, habe ich den Eindruck, dass mir nichts anderes übrig bleibt, als zu erklären, wie ich zu meiner Sichtweise der Geschichte des Unternehmens Tesla gelangt bin. In der Hoffnung, damit die müßigen Spekulationen über meine Motive eindämmen zu können, werde ich in diesem Buch gelegentlich meine persönlichen Erfahrungen schildern.

Teslas schonungslos persönlich eingefärbter PR-Ansatz und die als Folge davon ähnlich aggressive Fankultur erklären auch, warum in diesem Buch praktisch keine Quellen namentlich genannt werden. In das vorliegende Buch sind viele Hundert Stunden an Interviews mit damaligen und ehemaligen Mitarbeitern, Führungskräften, Mitgliedern des Verwaltungsrats und Partnern von Tesla eingeflossen. Fast alle haben mich aus Sorge vor Vergeltung um Anonymität gebeten. Zahlreiche Anekdoten und Einzeldaten wurden auf ihre Bitte weggelassen, da sie Rückschlüsse auf die Identität der jeweiligen Quelle zugelassen hätten.

So frustrierend es ist, einige dieser höchst aufschlussreichen (und oft überaus unterhaltsamen) Geschichten verschweigen zu müssen und nicht zeigen zu können, wie gut informiert diese Quellen sind, kann ich es niemandem verdenken, sich nur unter Zusicherung von Anonymität geäußert zu haben. Nachdem ich erlebt habe, wie viele tatsächliche oder vermeintliche Whistleblower aus dem Unternehmen oder dessen Umfeld beschmutzt, verklagt und eingeschüchtert wurden, halte ich ihre Befürchtungen für begründet. Unter diesen Umständen halte ich es außerdem für ein Zeichen von Courage und Überzeugung, dass sie ihr persönliches und berufliches Wohlergehen aufs Spiel gesetzt haben, um mir ihre Geschichten zu erzählen. Ich bin jedem Einzelnen zu tiefstem Dank verpflichtet und wünsche mir nur, sie würden die Anerkennung erfahren, die sie so sehr verdienen.

EINFÜHRUNG


Als ich im Jahr 2008 begann, mich mit der Automobilindustrie zu beschäftigen und über Automobilthemen zu schreiben, ahnte ich nicht, dass die Mobilität im Allgemeinen und die motorisierte Fortbewegung im Besonderen vor einer umfassenden Transformation standen. Ich war einfach ein junger Mann, der zum falschen Zeitpunkt das College abgeschlossen hatte und aufgrund der tiefen Wirtschaftskrise nicht einmal als Kellner Arbeit fand. Mein Vater, der sein Leben mit Autos verbracht hatte, verfasste in seiner Freizeit Beiträge für einen Auto-Blog mit der Bezeichnung The Truth About Cars (TTAC), der sich mit der Prophezeiung des Niedergangs der Automobilindustrie von Detroit einen Namen gemacht hatte. Als ich die Gelegenheit erhielt, freiberuflich für diesen Blog zu schreiben, willigte ich ein.

Schon nach wenigen Monaten Beschäftigung mit der gebeutelten Autoindustrie wurde mir klar, dass ich das Glück hatte, in eines der faszinierendsten und am meisten unterschätzten Themen unserer Zeit einzutauchen. Ich stellte fest, dass Autos wesentlich mehr sind als die teuren Konsumgüter, für die ich sie immer gehalten hatte; sie sind ein Grundpfeiler unserer materiellen Kultur, der fast jeden Aspekt unserer Gesellschaft berührt. Von der ästhetischen und technischen Seite bis zu Geschichte, Politik, Wirtschaft, Umwelt, Handel und Stadtentwicklung war die Autoindustrie wie eine Brille, durch die ich eine enorme Vielfalt an komplexen Themen und Ideen erkunden konnte.

Das Jahr 2008 war zudem der perfekte Zeitpunkt, um etwas über die verborgenen Kräfte zu erfahren, die die Automobilindustrie lenken. Der gesamte Sektor stand vor dem Zusammenbruch, als die Wirtschaftskrise in Kombination mit einem astronomischen Anstieg der Benzinpreise mit den strukturellen Defiziten der Industrie und den kulturellen und strategischen Problemen der jeweiligen Fahrzeughersteller zusammentraf. Die Fehlentwicklungen, die zum Bankrott und zur anschließenden staatlichen Rettung von GM und Chrysler geführt hatten, sowie die Analyse ihrer nachfolgenden öffentlich durchgeführten »Chirurgie am offenen Herzen« waren ein Lehrbeispiel für die brutalen Realitäten eines ungeheuer kapitalintensiven, aber margenschwachen Geschäfts. Üblicherweise ist es die inhärente Attraktivität des Automobils, die unser Interesse an der Automobilindustrie weckt; mich faszinierte dagegen eher das komplexe System aus Menschen und Ideen, das Autos hervorbringt und definiert.

Ich fing an, mich intensiv mit dem Thema zu beschäftigen, verschlang alles, was ich über Autos und die Automobilindustrie finden konnte, und fasste meine Erkenntnisse in meinen Blogposts zusammen. In meinem ersten Jahr als freier Autor für TTAC wurde ich Redaktionsleiter und in meinem zweiten Jahr Chefredakteur. Zu Beginn meines dritten Jahres wurde ich gebeten, einen Gastbeitrag für die New York Times zu schreiben. Und so katapultierte mich dieses Thema, das ich unter anderen Umständen nie als lebenslanges intensives Tätigkeitsfeld ausgewählt hätte, in eine berufliche Laufbahn, die ich so niemals bewusst geplant hätte.

Im Verlauf der vergangenen elf Jahre hatte ich das Glück, die Leser von Wall Street Journal, Bloomberg View, The Daily Beast, Automotive News und anderen Medien an den Erkenntnissen aus meiner andauernden autodidaktischen Weiterbildung teilhaben zu lassen. Seit ich meine Karriere mit einer kritischen Betrachtung der staatlichen Rettung der Automobilkonzerne GM und Chrysler begann, war es immer mein Ziel, die herrschenden Überzeugungen infrage zu stellen und die verborgenen Geschichten aufzuspüren und ans Licht zu holen.

Im Vergleich zu den hitzigen Debatten und den bitteren Animositäten, die den Zusammenbruch und die Rettung von Detroit prägten, die damals bei TTAC im Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit standen, wirkten meine ersten Berührungen mit Tesla geradezu zahm. Angesichts der Existenzkrise der gesamten US-Automobilindustrie war ein winziges Start-up aus Kalifornien, das importierte britische Sportwagen in Elektroautos verwandelte, kaum einer näheren Betrachtung wert. Rückblickend kann man jedoch sagen, dass die Meinungen über das Unternehmen bereits 2008 auseinandergingen.

Zu einer Zeit, da eine ganze Reihe an Elektroauto-Start-ups versuchte, mit vollmundigen Ankündigungen oder hochgejubelten, in chinesischer Billigfertigung produzierten Kleinstwagen Eindruck zu schinden, setzte sich Tesla bereits von der Masse ab, indem es mit elektrischen Sportwagen das Premiumsegment des Marktes ins Visier nahm. Die Berichte über die atemberaubende Beschleunigung und Popularität des Tesla Roadster bei umweltbewussten kalifornischen Prominenten suggerierten, dass Tesla ein Elektroauto-Start-up war, das zumindest das Potenzial besaß, etwas mehr als ein Strohfeuer zu sein.

Unterdessen befand sich das Unternehmen in einer äußerst angespannten Situation: Tesla verbrannte viel Geld, kritische Komponenten mussten überarbeitet werden, die Unternehmensgründer begannen sich zu befehden, und angesichts der hartnäckig andauernden Rezession wurde das zum Überleben benötigte Kapital knapp. Wie Tesla von heute war auch Tesla von 2008 eine äußerst schwankungsanfällige Mischung aus einem sehr langfristigen Potenzial und gewaltigen kurzfristigen Herausforderungen.

Als Tesla im Verlauf des Jahres 2008 tatsächlich die ersten Autos auf den Markt brachte – für ein E-Auto-Start-up damals eine echte Leistung, denn die meisten gingen schon vorher pleite –, begann TTAC, den Überlebenskampf des Unternehmens in einer kurzen Serie von Blogposts mit dem Titel »Tesla Death Watch« (»Teslas Totenwache«) zu dokumentieren. Zwar erfreute sich diese Tesla-Serie später sehr großer Aufmerksamkeit, damals war sie jedoch kaum mehr als ein beiläufiges Anhängsel der GM, Chrysler und Ford Death Watches, die TTAC schon Jahre vor meiner Zeit initiiert hatte. Wir hatten den Tesla Death Watch aus keiner besonderen Abneigung gegenüber dem Unternehmen begonnen. Im Gegenteil – als ich den Blog im Jahr 2009 übernahm, stoppte ich sogar alle Death-Watch-Serien, weil ich befürchtete, der provozierende Namen würde Leser zu der Annahme verleiten, wir würden den Untergang der betroffenen Unternehmen begrüßen, anstatt unparteiisch die herausfordernde Natur der Automobilindustrie zu dokumentieren. Der Tesla Death Watch war einfach eine interessante Story, die deutlich machte, wie überaus schwer es für neue Fahrzeughersteller war zu überleben. Außerdem bot er uns eine willkommene Abwechslung von den Detroit Death Watches.

Weniger als ein Jahr nach der sporadischen Berichterstattung über Tesla, während dessen wir mehrere Chancen verpassten, Storys nachzugehen, die weitaus interessanter waren, als uns damals klar war, beendete der TTAC -Gründer den Tesla Death Watch mit der Auslieferung des 100. Tesla Roadster. In den folgenden fünf Jahren beobachtete ich verblüfft, wie Tesla sich zäh durch alle möglichen Kontroversen und Widrigkeiten kämpfte und sich zu einem ernst zu nehmenden Fahrzeughersteller mauserte. Zwar war ich ein wenig skeptisch, was Teslas hochfliegende Ambitionen betraf, aber ich entwickelte eine tiefe Bewunderung für seine Fähigkeit, in einem Geschäft zu überleben, in dem die Chancen für Newcomer extrem miserabel sind.

Unabhängig davon, welche Hindernisse Tesla überwand, schien sein Erfolg immer auf wackeligen Füßen zu stehen. Seine Markenpolitik, das Design, die Automobiltechnik und die schnelle Erstellung von Prototypen waren beispiellos. Die nüchternen fertigungs- und finanztechnischen Grundlagen, deren Wichtigkeit ich in jenen finsteren Tagen des Jahres 2008 begriffen hatte, glänzten jedoch fast immer durch Abwesenheit. Diese wenig glamourösen Faktoren, deren Bedeutung dem größten Teil der Öffentlichkeit nicht bewusst waren, konnte eine kleine Premiummarke, die in Handarbeit eine kleine Zahl an Luxusautos fertigte, ignorieren. Wenn das Unternehmen jedoch mittelfristig auf das Volumensegment und eine entsprechende Serienfertigung spekulierte, kam es an diesen Faktoren nicht vorbei.

Eine überraschende Einladung in Teslas Unternehmenszentrale in der Nähe der Stanford University gewährte mir 2014 den ersten realen Blick hinter die Kulissen. Das Open-Floor-Layout des Bürogebäudes hatte ich bei keinem anderen Fahrzeughersteller gesehen: Die Mitarbeiter der PR-Abteilung saßen direkt neben technischen Arbeitsbereichen, in denen sich elektrische und mechanische Komponenten stapelten, und der Schreibtisch des CEO unterschied sich in keiner Weise von allen anderen Schreibtischen. Das Ambiente war dynamisch und unprätentiös; das Layout und die jungen Mitarbeiter passten eher zu den flachen Strukturen und der kreativen Kooperation eines Software-Start-ups. Der Unterschied zwischen Teslas Unternehmenszentrale und der altehrwürdigen, hermetisch abgeriegelten Führungsetage in Fords »Glashaus«-Konzernzentrale oder GMs imposanter Vorstandsetage hoch über der Innenstadt von Detroit war so groß wie die Unterschiede zwischen einem Model S und einem F-150.

So attraktiv, wie die Idee eines Automobil-Start-ups aus dem Silicon Valley auch war, hatte ich aus nächster Nähe erlebt, dass die innovativsten und intellektuell interessantesten Ansätze im Automobilgeschäft oft diejenigen waren, die die größten Probleme hatten, den Anforderungen der harten, nüchternen Grundlagen gerecht zu werden. Zuvor war ich schon einmal von einem israelischen Start-up mit dem Namen Project Better Place fasziniert gewesen, das eine einzigartige und äußerst wagemutige Strategie verfolgt hatte. Gemeinsam mit Renault-Nissan wollte es Elektroautos ohne Batterien verkaufen, um die Kosten auf einem wettbewerbsfähigen Niveau zu halten.* Renault-Nissan baute die Autos und Better Place sollte die Batterien und den Strom über ein unternehmenseigenes Netz an Batterieaustauschstationen liefern. Der Verbrauch sollte nach gefahrenen Kilometern abgerechnet werden. Mithilfe dieses an einen Mobilfunkvertrag angelehnten Geschäftsplans versprach Better Place, die zwei größten Probleme mit Elektroautos zu lösen: Kosten und Ladezeit.

Ich hielt das Potenzial dieser brillanten Idee für so groß, dass ich einigermaßen fassungslos war, als Better Place im Jahr 2013 plötzlich bankrottging.** Daraus lernte ich nicht nur, dass clevere Ideen blind für massive Umsetzungsprobleme machen können; das Schicksal dieses Start-ups führte zu meiner Spontanrecherche über Teslas Supercharger-Batterieaustauschstationen (siehe Kapitel 9), die meine Sicht auf das Unternehmen von Grund auf verändern sollte. Was ich 2015 an einer Autobahnraststätte auf halber Strecke zwischen San Francisco und Los Angeles beobachtete, überzeugte mich davon, dass potenziell gewaltige Lücken zwischen Teslas sorgfältig gepflegtem Image und der nüchternen Realität klafften. Das hielt Tesla aber nicht davon ab, unrealistische Versprechungen zu machen – Hauptsache, es konnte seinen Ruf als disruptives Technologieunternehmen wahren.

Nach meiner plötzlichen Desillusionierung über Tesla zu einem Zeitpunkt, da dessen Popularität neue Höhepunkte erreichte, begann ich, in der Vergangenheit und Gegenwart des Unternehmens zu wühlen. Je mehr Fragen ich stellte und je tiefer ich bei meinen Recherchen vordrang, desto mehr Belege fand ich für den Verdacht, dass Teslas populäres Image eine bewusst konstruierte Fassade war, die tiefer liegende Funktionsstörungen kaschieren sollte. Während ich unter den bestehenden und ehemaligen Tesla-Mitarbeitern weitere Quellen rekrutierte, fand ich aber auch echtes Heldentum: Ohne die hochkompetenten Mitarbeiter, die unter äußerst harten Bedingungen brillante Arbeit leisten, wäre Tesla nie zu dem Phänomen geworden, das es nach wie vor ist.

Während ich all diese Geschichten sammelte und in meinem Blog und auf anderen Kanälen veröffentlichte, entstand allmählich die Idee, daraus ein Buch zu machen. (Meine Beiträge führten übrigens zu einer Flut von hitzigen Kommentaren und erregten E-Mails von Tesla-Fans, die meinten, das Unternehmen verteidigen zu müssen.) Als ich im Sommer 2016 berichtete, dass Tesla seine Kunden im Austausch für »Kulanzreparaturen« an defekten Fahrzeugen zur Unterzeichnung einer Verschwiegenheitserklärung nötigte (siehe Kapitel 12) und die Geschichte es in die landesweite Berichterstattung schaffte, beschloss das Unternehmen zurückzuschlagen.

In einem offiziellen Blogpost bezichtigte mich Tesla, die Geschichte »fabriziert« zu haben und die nationalen Medien in die Irre zu führen, und suggerierte, ich würde damit finanzielle Interessen verfolgen. Die Beziehung zwischen einem investigativen Journalisten und dem Objekt seiner Recherchen ist selten herzlich, aber üblicherweise herrscht das grundlegende Einvernehmen, dass beide Seiten nur ihren Job machen. Teslas Blogpost und die nachfolgende Flut an Beschimpfungen, die meinen E-Mail-Eingang und meine Konten in verschiedenen sozialen Netzwerken verstopften, sandten eine eindeutige Botschaft: Ich war nun ein Feind des Unternehmens.

Zwischen der Serie an beunruhigenden Taktiken, die ich aufgedeckt hatte, und den extrem persönlichen Angriffen, die daraufhin erfolgten, festigte sich meine ursprüngliche Vision für dieses Buch: Es sollte das »wahre Tesla« enthüllen und den Zynismus und die Dysfunktionen aufzeigen, die hinter der kalkulierten Fassade des Hightechökoaltruismus liegen. In den folgenden Monaten, in denen ich meine Recherchen und Interviews fortsetzte, stieß ich auf eine Fülle von Geschichten und Einzeldaten, die diese Vision stützten. Je tiefer ich in Teslas Geschichte eintauchte und je mehr ich mit Personen sprach, die viele Jahre bei Tesla gearbeitet hatten oder noch dort arbeiteten, desto klarer wurde mir, dass die gesamte Story zwischen die Fronten der Feindseligkeit zu geraten drohte, die zwischen Tesla und mir inzwischen herrschte.

Mit der Zeit bekam ich ein wenig Distanz zu dieser Konfrontation und mir fielen zunehmend die vielen Zwischentöne und eigenartigen Widersprüche in der Story auf. Einerseits beklagten sich Tesla-Kunden über aberwitzig miese Verarbeitungsqualität oder Serviceprobleme, im selben Atemzug priesen sie das Unternehmen aber als Zukunft der Automobilindustrie. Die Quellen, mit denen ich sprach, erzählten mir sehr aufschlussreiche Geschichten über die hässliche Unternehmenskultur und die tiefgreifenden Dysfunktionen. Und im nächsten Satz schwärmten sie, die Arbeit bei Tesla sei die inspirierendste und motivierendste Erfahrung ihrer beruflichen Laufbahn gewesen. Ein tieferes Verständnis der Geschichte des Elektroautos in den Vereinigten Staaten ließ mich allmählich erkennen, warum sich so viele Menschen so vehement und leidenschaftlich für Tesla begeisterten und so sehr von seinem unvermeidlichen Erfolg überzeugt waren. Der aufblühende Mobiltechnologiesektor, der sich rasant weiterentwickelte, lieferte einen komplexen und differenzierten Kontext für Teslas Angriff auf die traditionelle Automobilindustrie.

Anders als einige andere Geschichten über selbstüberschätzte Hightech-Start-ups aus der jüngsten Vergangenheit passt die Tesla-Story in keine der vorhandenen Schubladen. Vielmehr handelt es sich um eine ausufernde komplexe Saga mit heldenhaften Schurken und schurkenhaften Helden, und meine Version der Geschichte wird möglicherweise sowohl die eingefleischten Tesla-Fans als auch seine überzeugten Skeptiker enttäuschen. Diese Komplexität kann uns aber auch eine Reihe wichtiger Lektionen vermitteln über Technologie, Rentabilität und die Autoindustrie im Allgemeinen, über Mobilität, Gesellschaft und unsere individuelle Weltanschauung.

Immerhin ist Tesla nur Teil einer größeren Erzählung, die nicht minder komplex und ungewiss ist wie die Zukunft dieses Unternehmens. Bei aller Begeisterung für Elektroautos sowohl bei Verbrauchern als auch in zunehmendem Maße bei den Fahrzeugherstellern sagt uns ihr einstelliger Marktanteil, dass die lang ersehnte Automobilrevolution immer noch in den Kinderschuhen steckt. Zwar werden bereits massive Investitionen in Elektroautos getätigt, aber Technologien wie Smartphone-basiertes Ridehailing und Carsharing, autonomes Fahren und Mikromobilität suggerieren, dass es noch weitaus sozialere und umweltfreundlichere Chancen gibt als der schlichte Umstieg von Benzin auf Strom.

Wir befinden uns immer noch in der frühesten Phase einer potenziell massiven Transformation der Individual- und Massenmobilität, wobei die Unwägbarkeiten des technologischen Fortschritts, der Regierungspolitik und der Verbraucherakzeptanz uns zu völlig unerwarteten Ergebnissen führen könnten. Ob Tesla diese Transformation auch weiterhin anführen wird oder ob es unterwegs auf der Strecke bleibt, wird sich zeigen. Seine bisherigen Erfolge und die Herausforderungen, mit denen es in dieser frühen Phase der Transformation konfrontiert gewesen ist, haben bereits viele neue Akteure inspiriert, die darauf hoffen, die Mobilität neu erfinden zu können – sie haben ihnen aber auch wichtige Warnsignale gesendet.

In diesem hochdynamischen Moment voller Unvorhersehbarkeiten ist nur eines gewiss: Die kommenden Jahrzehnte werden, was Autos und Mobilität betrifft, die faszinierendste Zeit zur Beobachtung dieser Themen seit einem Jahrhundert sein. Und die Story von Tesla Motors mit all ihren überraschenden Wendungen ist eine perfekte Einführung in die Kräfte, die die Zukunft unserer Fortbewegung prägen werden.


* Zu diesem Zweck baute Renault-Nissan 100 000 Elektroautos nach den Spezifikationen von Better Place, das die Batterie-Infrastruktur liefern sollte. (A. d. Ü.)

** Laut Presseberichterstattung waren dafür unter anderem folgende Probleme verantwortlich: 1. Von den beiden Ladeoptionen für die Batterie – Aufladen oder Austausch – habe Better Place mit dem kompletten Batteriewechsel auf eine sehr kostspielige Lösung gesetzt; das Start-up habe viel zu wenig von diesen Batterien mit einem Anschaffungswert von 10 000 Euro pro Stück gekauft, und der Verschleiß sei aufgrund der geringen Reichweite entsprechend groß gewesen. 2. Der Anschaffungspreis der E-Autos sei gegenüber einem herkömmlichen Auto nicht deutlich attraktiver und die Verkaufsprognosen überzogen gewesen.1