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Veronika Bellone | Thomas Matla

Es ist nie zu spät, sich selbstständig zu machen

Veronika Bellone | Thomas Matla

Es ist nie zu spät, sich selbstständig zu machen

Neues Glück mit Tiny Start-ups – gründen aus dem Job oder danach

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

info@redline-verlag.de

1. Auflage 2020

© 2020 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Christiane Otto, München

Umschlaggestaltung: Pamela Machleidt, München

Satz: Christiane Schuster | www.kapazunder.de

Druck: Florjancic Tisk d.o.o., Slowenien

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-86881-803-1

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96267-237-9

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96267-238-6

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.redline-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Inhalt

Vorwort

1. Gibt es ein ideales Gründungsalter?

1.1 Kann ich mich mit 30plus noch selbstständig machen?

1.2 Selbstständigkeit mit 45plus, geht das auch noch?

1.3 Mit 60plus fängt die Selbstständigkeit erst richtig an!

1.4 Persönliche Lebenssituationen und persönliche Krisen

1.5 Gesellschaftliche Krisen

1.6 Risikobewertung

2. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen

2.1 Wirtschaftliche Situation und Prognosen

2.2 Ein kleiner Blick in ausgewählte Branchen

3. Zukunftsthesen und Start-up-Chancen

3.1 Megatrends und ihre Auswirkungen auf aktuelle und zukünftige Geschäftskonzepte

4. Inspirationen für neue Geschäftsideen

4.1 Kundenbedürfnisse – Dein Umsatz und Dein Einkommen

4.2 Der »13-P-Marketing-Mix« als Geschäftskonzept-Inspirator

Über die Autoren

Danksagung

Anhang

VORWORT

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Veronika Bellone & Thomas Matla

© Rene Weiss 2020

Schön, dass du da bist!

Wer, außer dir, weiß bereits, welche Potenziale in dir stecken? Zeig es ihnen doch einfach. Es ist nie zu spät für deine Selbstständigkeit!

Egal, ob du 30 bist und dir andere direkt oder indirekt zu verstehen geben, dass das doch jetzt vielleicht zu riskant sei, von wegen Familienplanung und unsichere Zukunft. Egal, ob du 45plus bist und andere schon orakeln, dass das ein ganz schlechter Zeitpunkt sei, immerhin gibst du einen Job auf, Ferien und monatlich das pünktliche Geld auf dem Konto. Halte doch durch bis zur Rente, dann kannst du ja immer noch etwas anfangen. Bist du dann kurz davor oder bereits im Ruhestand, dann heißt es: Warum willst du dich denn jetzt noch selbstständig machen? In deinem Alter!

Bedenkenträger gibt es immer und in jeder Lebenssituation, ob in der Krise oder in bester Ausgangslage. Jeder projiziert seine eigenen Vorbehalte in deine Situation. Im besten Fall gibt dir das die Möglichkeit, Überlegungen zum Geschäftskonzept oder zur Planung zu reflektieren. Manchmal wirst du vielleicht enttäuscht sein, dass du nicht mehr Unterstützung bekommst, gerade von denen, die immer so viele Ideen im Kopf haben. Wie dem auch sei, lass dich nicht abbringen, wenn du deinem Leben eine neue Wendung geben und ein Unternehmen gründen willst. Um dich dabei zu unterstützen, haben wir dieses Buch geschrieben. Es ist ein Buch voller Anregungen und Inspirationen, nicht ein klassischer Ratgeber, mit dem du Schritt für Schritt deinen Businessplan erarbeitest. Wir wollen dir durch unsere vielen Beispiele von Start-ups und etablierten Unternehmer*innen Mut machen, deine ganz persönliche Passion zu leben. Wir wollen dich aus verschiedenen Blickwinkeln heraus inspirieren, deine Geschäftsidee zu finden und dein Unternehmer*innen-Profil besser kennenzulernen. Also auf geht’s.

Im ersten Kapitel stellen wir dir Gründer*innen in den drei Alterskategorien 30, 45plus und 60plus vor und zeigen dir, wie sie zu ihren Ideen kamen, inklusive Herausforderungen und Chancen, auch in der Corona-Zeit. Denn diese können wir nicht außer Acht lassen, wurden wir beim Schreiben des Buches doch genauso eiskalt von der Pandemie erwischt wie der Rest der Welt. So gibt es in diesem Kapitel auch Beispiele von Start-ups, die in oder nach persönlichen wie gesellschaftlichen Krisenzeiten gegründet wurden. Abschließend präsentieren wir dir deine persönliche Risikobeurteilung.

Das zweite Kapitel handelt von Dinosauriern und dem Potenzial kleiner Start-ups. Dabei gehen wir nicht Millionen Jahre zurück, sondern bleiben mit ein paar verblüffenden Daten und Fakten in der Jetztzeit. Hier nämlich weisen ein paar zum Gigantismus neigende Unternehmen Anzeichen eines möglichen Aussterbens auf. Damit eröffnen sich für findige Unternehmer*innen neue Chancen.

Im dritten Kapitel geht es zunächst um typische Fehler, die Startups scheitern lassen. Wir geben dir Beispiele, aber auch Tipps und Links zur Vorbeugung und Behebung. Um deine bereits bestehende oder noch zu entwickelnde Geschäftsidee mit größtmöglichem Innovationspotenzial auszustatten, tauchen wir dann in sieben Megatrends ein. Dort wirst du Konzepte kennenlernen, die auf diesen Einflüssen basieren. Wir schließen jeweils mit »Final Tiny Tipps« ab. Unter dem letzten Punkt »DERD« kannst du dann dein Unternehmer*innen-Profil abgleichen.

Im vierten und letzten Kapitel präsentieren wir dir zwei unserer Werkzeuge, mit denen wir professionell arbeiten: die Bedürfniszielscheibe und den 13-P-Marketing-Mix. Die Zielscheibe hilft dir, deine potenzielle Kundschaft mit dem Blick auf deren Bedürfnisse und erwarteten Nutzen besser kennenzulernen. Immerhin scheitern genau daran die meisten Start-ups – an der Unkenntnis von Markt und Kunden. Mit dem 13-P-Marketing-Mix gehen wir methodisch 13 Perspektiven durch, die dir bei der Evaluation von Ideen helfen und dir jeweils unter »New Normal« Beispiele und Optionen in Corona-Zeiten zeigen.

Das vorliegende Buch spiegelt unsere Einstellung zum Leben und zur beruflichen Selbstständigkeit wider: aus der Fülle zu schöpfen, um sich dann auf das einzulassen, was Spaß macht und zu einem gehört. Dann wird es in der Regel auch rentabel.

Wenn dir unser Buch gefällt, du Fragen hast oder ein Feedback schicken möchtest, nutze bitte das Formular auf unserer Website www.tinystartup.ch. Du kannst uns auch gerne anschreiben, wenn du uns Interessantes über dein Tiny Start-up oder deinen Weg der Selbstständigkeit mitteilen willst. Auf der Seite findest du auch weitere Kurzinterviews und Informationen. Außerdem kannst du uns über www.facebook.com/TinyStartups und www.instagram.com/tinystartups/folgen.

Wir wünschen dir einen glücklichen Start für dein Gründungsprojekt!

Veronika Bellone & Thomas Matla

Zug/Schweiz, im August 2020

1. GIBT ES EIN IDEALES GRÜNDUNGSALTER?

Wir finden, dass Kurt Aeschbacher, bekannter Schweizer Moderator, Redner und Unternehmer einen inspirierenden Einstieg in unser Buchthema liefert. Nicht nur, weil er sich noch einmal in späten Jahren auf neue Unternehmensprojekte eingelassen hat, sondern weil er seit über 40 Jahren unternehmerisch unterwegs ist. Dabei hat er vieles ausprobiert und hat selbst aus vermeintlichen Fehlschlägen wieder neue Lösungen kreiert. Er ist ein Multitalent mit unglaublicher Energie und Spontanität. Letzteres durften wir persönlich miterleben: Wir fragten bei ihm für ein Interview an, und nicht einmal zwei Tage später konnten wir dieses bereits führen.

1.1 KANN ICH MICH MIT 30PLUS NOCH SELBSTSTÄNDIG MACHEN?

»Zeit für neue Traditionen«, unter diesem Motto stellt sich das Hamburger Start-up Marmetube auf. Besser kann man es wohl nicht ausdrücken, wenn Marmelade nicht wie gewohnt im Glas daherkommt, sondern in Tuben und mit neuen Rezepturen wie zum Beispiel Brombeere/Minze oder Apfel/Zimt. »Wir haben beide längere Zeit als Angestellte lernen müssen, wie schwer es ist, Ideen immer wieder vorzutragen und nie gehört zu werden. Nun können wir durch die Selbstständigkeit alles so machen, wie wir es möchten«, so Daniel Hutschenreuter in einem Interview für unsere Plattform www.tinystartup.ch.1 Die Startupper Daniel Hutschenreuter und Max Ehmig waren 30 und 22 Jahre jung, als sie die Produkte 2018 lancierten. Bis dato feilten sie nicht nur an einer innovativen Verpackung, die praktikabel und nachhaltig ist, sondern ebenso daran, wie die Marmelade ohne Zusatzstoffe wie Konzentrate, Sirup und Farbstoffe auskommt, aber dafür durch einen hohen Fruchtanteil besticht. Ihr Aufwand hat sich gelohnt. Die Produkte kommen an. Im September 2019 stieg mit Square One Foods ein strategischer Investor aus Österreich mit exklusivem Fokus auf Food & Beverage bei Marmetube ein, um mit Kapital, Netzwerk und Mentoring vor allem die Distribution voranzutreiben.2

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Veronika Bellone und Daniel Hutschenreuter, Marmetube in der Berliner Bikini Mall 2019 © Bellone Franchise Consulting GmbH

Zwei weitere Männer verschreiben sich bereits seit 2014 der Marmelade. Es sind Timo Brüggemann und Percival Correia, die in Berlin das Unternehmen Marmelicious gegründet haben und ihre innovativen Fruchtaufstriche nun seit 2017 in Berlin-Tempelhof in der alten Sarotti-Fabrik kochen. War bei Marmetube der Schlüsselmoment für die Produktidee der Crash eines Marmeladenglases auf dem Frühstückstisch, der zur widerstandsfähigen und nachhaltigen Verpackung führte, war es bei Marmelicious ein Glas leckerer Heidelbeermarmelade vom Viktualienmarkt in München. Brüggemann und Correira, damals 39 Jahre und 22 Jahre alt, waren ebenfalls Angestellte und auf der Suche nach einer Idee für die Selbstständigkeit. Die Inspiration kam über die besagte Heidelbeermarmelade und war so nachhaltig, dass sie für eine entsprechend differenzierte Qualität nicht nur eine spezielle Herstellungsmethode herausstellen, auch die Zutaten und deren Kombinationen sind spannend. So gibt es beispielsweise die Sorten »Spreewaldgurke-Vanille«, »Kirsche-Bier« oder »Orange-Tomate-Zimt«. Dass solche und weitere wohlschmeckende Marmeladen von zwei Männern entwickelt werden, lässt denn so manch ältere Dame vor Neid erblassen, ob der verpassten Chance für ein eigenes Geschäft, wie einer der Gründer in einem Interview mit dem Berliner Kurier erzählte.3 Nun, es ist nie zu spät … wie auch die Marmeladen-Oma4 beweist, die mit 86 Jahren zum YouTube-Star wurde, zwar nicht mit Marmeladenrezepten, aber mit Märchen-Livestreams unterhält sie heute 198.000 Abonnenten.

Die Hamburgerin Eva Osterholz bezeichnete ihren Schritt in die berufliche Selbstständigkeit mit dem Wechsel in ein zweites Leben. Sie hat die Senf-Tradition aufgemischt. Mit Anfang 30 hatte die Soziologin ihre Schreibtischarbeit und die 60-Stunden-Woche satt und kündigte.5 Nebenher hatte sie als Hobby nach eigenem Gusto Senfkreationen hergestellt und an Freunde verschenkt. Die Beschenkten brachten sie auf die Idee, sich mit den Produkten selbstständig zu machen. Gesagt, getan, aus dem Hobby wurde Senf Pauli. Der Name ist Programm, leitet er sich doch aus ihrem Lieblingsstadtteil Hamburgs ab, der auch ihr erster Wohnsitz war. Die seit 2008 bestehende kleine Manufaktur beliefert heute deutschlandweit den Feinkosthandel und die gehobene Gastronomie. In ihrem eigenen Onlineshop kann man die mit originellen Namen versehenen Senfsorten bestaunen, die von »Zappenduster« über »Mord im Orient« bis zur »Mutprobe« ein Sortiment von 28 Produkten umfasst.6

Dies sind drei Beispiele von Tiny Startuppern, die in ihren 30ern einen unkonventionellen Weg einschlugen und das auch relativ spontan. Unkonventionell ist das auch heute noch, trotz all der Aufbruch- und Zustimmung für Existenzgründer*innen, die wir erleben, den vielen Start-up-Initiativen, Fuck-up-Nights und Gründer-Labs. Berufliche Selbstständigkeit ist zwar für viele ein Traum, aber das Passende für sich auszumachen und darauf eine Existenz aufzubauen, hängt von vielen inneren und äußeren Faktoren ab. Wir stellen euch hier in dieser und weiteren Alterskategorie(n) Beispiele von Gründer*innen vor, die ihrem Leben eine andere Wendung gegeben haben. Manche, in dem sie eine Idee unbedingt verwirklichen wollten, andere, weil sie sich mit der Selbstständigkeit andere Wünsche erfüllen können, und wieder andere, denen das Leben Chancen offenbarte, weil sie offen und auf der Suche waren oder sich verändern mussten. Die Auslöser sind ebenso vielfältig wie die Geschäftsideen. Anregend sind sie in jedem Fall, denn bei den Interviews oder Coachings, die wir durchgeführt und für die wir recherchiert haben, spricht immer die Leidenschaft für das eigene Tun heraus. Und das wird fortwährend auf die Probe gestellt, sei es durch Kundenreaktionen, Veränderungen am Markt oder in Krisensituationen, wie wir sie mit Corona sehr einschneidend erlebt haben und auch weiter erleben werden. Das Alter respektive bestimmte Lebensabschnitte sind häufig noch mit zusätzlichen Erwartungshaltungen oder Mustern besetzt.

1.1.2 TELL ME WHY

Aber bleiben wir zunächst im Lebensabschnitt ab 30 Jahren und beruflicher Selbstständigkeit. In diesem Lebensabschnitt werden häufig Weichen gestellt, die Karriere voranzutreiben, zu heiraten, eine Familie zu gründen und vor allem für Work-Life-Balance zu sorgen. Die heutigen »Ü30« gehören der ersten Generation an, die als Digital Natives bezeichnet werden, weil sie mit den technologischen Errungenschaften der Digitalisierung aufgewachsen sind. Die Bezeichnung Generation Y (ab 1980 geboren) wird auch gerne »Generation why« genannt, weil sie vieles hinterfragt und nach Lösungen sucht, wie sich Selbstverwirklichung, Einkommenssicherheit und Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglichen lassen. Dabei werden, laut einer Umfrage des Zukunftsinstituts in Frankfurt und dem YouGov Deutschland, dennoch keine geringen Ansprüche an den wirtschaftlichen Erfolg gestellt. Denn die Mehrheit der Befragten möchte »irgendwann« ein Haus oder eine Wohnung erwerben, eine Weltreise machen und sich auf eigene Kosten weiterbilden.7 Es darf aber alles etwas später angegangen werden, auch die Familienplanung. Waren die Mütter von Erstgeborenen in den 1970er-Jahren im Durchschnitt noch unter 25 Jahre alt, sind sie heute 30 Jahre und älter.8 Erstkäufer*innen von Immobilien sind heute fast 40 Jahre alt. 2004 lag das Durchschnittsalter bei rund 37 Jahren.9 So wundert es auch nicht, dass laut dem deutschen Start-up-Monitor 2019 das Durchschnittsalter der befragten Gründer*innen bei 35,1 Jahren lag.10 Darunter gibt es zwar einen Anteil umtriebiger Twens, aber die meisten Gründer*innen sind jenseits der 30 oder älter. Gemäß Harvard Business Review sind die meisten Unternehmensgründer*innen mindestens 30, der Großteil hat das 40. Lebensjahr überschritten.11

Auffällig ist, dass viele der Gründer*innen um die 30 sinnstiftende, nachhaltige Geschäftskonzepte realisieren und damit dem vorgenannten »Why-Ansatz« nachgehen, das heißt nach Lösungen suchen, die mit der Gesellschaft und Umwelt kompatibel sind. So auch Nina Julia Walter, die mit ind Berlin (Innovatives, Nachhaltiges Design made in Berlin12) Kleidungsstücke designt, die auf mindestens zwei Arten getragen werden können. So entsteht ein neues Bewusstsein von Nachhaltigkeit, indem insgesamt weniger Mode konsumiert wird und es trotzdem abwechslungsreiche Möglichkeiten gibt. Sie erzählte uns, dass sie die Freiheit mag, alles selbst bestimmen zu können, und dass sie zusammen mit ihrem Freund arbeiten kann und sie zusammen erfolgreich sind.13

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Veronika Bellone mit Nina Julia Walter, ind BERLIN © Bellone Franchise Consulting GmbH

Für die beiden Gründer Valeria Grätzer und Pascal Kälin von nale unverpackt im schweizerischen Einsiedeln war die Gründung ihres Geschäftes »… eine Achterbahnfahrt der Gefühle«, wie sie uns berichteten. »Wir haben den gesamten Ladenumbau selbst gemacht und auch der noch ausstehende Onlineshop wird in Eigenregie aufgebaut.«14 Letzterer ist mittlerweile realisiert, was sich in der Corona-Zeit zusätzlich als positiv herausgestellt hat. Die Auslöser für ihren Unverpackt-Laden waren, neben dem umweltbewussten Konsumbeitrag, auch der Antrieb aus den Eigenerfahrungen wie bei vielen Selbstständigen. Valeria und Pascal sind als überzeugte Veganer*in immer auf der Suche nach spannenden Herstellern, die mit neuen Produktideen ihren Alltag bereichern. Das können sie nun mit ihrem Geschäft auch anderen zugänglich machen.

Wie wir unsere Texte über unsere Übergänge von den Festanstellungen in die Selbstständigkeit gerade so schreiben, publiziert die Schweizer Werbewoche online die Schlagzeile: »Der ehemalige Kommunikationsleiter der Suva, Ralph Heidemann, gründet seine eigene Agentur.«15 Natürlich mussten wir ihn sofort für ein Interview anfragen. Und er hat auch gleich zugesagt.

1.2 SELBSTSTÄNDIGKEIT MIT 45PLUS, GEHT DAS AUCH NOCH?

Technologie-Start-ups werden nur von den Jungen gegründet. So lautet zumindest die allgemein gängige Meinung. Aber vielleicht bist du heute schon von deinem Garmin GPS durch den Straßenverkehr navigiert worden oder hast deine Gesundheitsdaten von der Smartwatch auswerten lassen. Zurückzuführen sind diese Möglichkeiten auf eine Entwicklung von Gary Burell. Der US-Amerikaner Burell, ein Elektrotechnik-Ingenieur, gründete 1989 gemeinsam mit dem aus Taiwan stammenden Dr. Min Kao die Firma Garmin, heute globaler Marktführer auf dem Gebiet der mobilen Navigation sowie der GPS-Satellitenkommunikation. Burrell war bei der Gründung 52 Jahre alt, der Mitgründer Dr. Min Kao 40 Jahre.

Falls du unser Buch gerade auf deinem Laptop liest, dann siehst du eventuell die integrierte Marke »Intel Inside«. Die Intel Corporation, bekannt durch PC-Mikroprozessoren, Mikrochips und Netzwerkkarten, wurde 1968 im Silicon Valley vom 41-jährigen Robert Noyce und vom fast 40-jährigen Gordon Moore gegründet.

Reid Hoffman war zwar 35 Jahre jung, als er das Business-Netzwerk LinkedIn 2002 mit vier anderen zusammen gründete, aber 44 Jahre, als das Unternehmen an die Börse ging. Zu dem Zeitpunkt war Dave Duffield bereits schon wieder ein paar Jahre mit seiner zweiten Firma erfolgreich am Markt. Duffield war 46 Jahre alt, als er unter PeopleSoft, einer ERP-Software, sein Unternehmen 1987 gründete. 2004 wurde diese von Oracle übernommen. Und nur ein Jahr später gründete Duffield in Kalifornien zusammen mit seinem »Ex-Chefstrategen« Aneel Bushri (der Anfang 50 war) eine neue Firma namens Workday. Eine Firma, die sich auf cloudbasierte Computersoftware spezialisiert hat und heute über 8000 Mitarbeitende zählt.

James Dyson, respektive Sir James Dyson, gründete von den Lizenzeinnahmen, die ihm sein erstes beutelloses Staubsaugermodell einbrachte, 1991 seine eigene Firma in Wiltshire im Südwesten Englands, da war er 44 Jahre alt. Im gleichen Jahr wurde Günter Leifheit zum Ehrenbürger der deutschen Stadt Nassau an der Lahn ernannt. Die Ehrung wurde ihm zuteil, hatte er dort 1959, als knapp 40-Jähriger zusammen mit seiner Frau das Unternehmen Leifheit gegründet. Übrigens widmete sich auch deren erstes Erfolgsprodukt der Teppichreinigung. Mit dem Leifheit Regulus Teppichkehrer startete eine Erfolgsgeschichte, die bis heute anhält.

Und wenn wir schon in Nassau sind und entlang der Lahn nicht nur den Radweg entlangfahren, sondern mit einem Hausboot unterwegs sind, dann kommt man unweigerlich auf einen anderen Unternehmer. Thomas Laux gründete 2013 sein Hausboote Lahn, nachdem er sich zwei Jahre mit der Idee trug und es sich nie verziehen hätte, sie nicht realisiert zu haben. Das sagte er in einem Interview mit dem RKW Kompetenzzentrum.16 Den Mann mussten wir unbedingt kennenlernen, und so kam es zu dem folgenden Interview:

Das Gründungsalter war bei den vorgenannten Unternehmensgründern wenig relevant, es war die Passion, die sie antrieb und die durchaus auch verschiedene Wendungen nahm. Beim Erfinder und Unternehmer Dyson gab es bis zu seinem Erfolg etliche Fehlschläge. Es ist von rund 5000 Prototypen die Rede, bis zu dem ersten mit Vakuumtechnik angetriebenen Staubsauger, mit dem er den Grundstein für seinen Erfolg legte.17 Heute gehört er mit seinem Familienunternehmen zu den 1000 reichsten Menschen der Welt. »Der König der Fehlschläge«, wie er auch gerne genannt wird, sieht im Scheitern die Chance, um sich weiterzuentwickeln und der Lösung eines Problems näherzukommen.18 Um diesem kreativen Geist neben dem eigenen Unternehmen Raum zu geben, hat er 2004 die James Dyson Stiftung gegründet. Über diese Stiftung wird jährlich in 27 Ländern der James Dyson Award ausgeschrieben, ein internationaler Design Preis, der die nächste Generation von Design-Ingenieuren unterstützt, ermutigt und inspiriert. Im Wissen, dass Ingenieur*innen und Wissenschaftler*innen eine nachhaltige Zukunft wesentlich beeinflussen und mitgestalten, wird seit 2020 zusätzlich ein James Dyson Award für die Lösung sozialer oder umweltbedingter Probleme ausgeschrieben.19

Günter Leifheit hatte bis zu seinem Erfolgsprodukt des Teppichkehrers auch mit Entwicklungsschwierigkeiten zu kämpfen, ihm kamen allerdings die Zeitumstände des deutschen Wirtschaftswunders zugute. Die Nachfrage nach Produkten, die die Hausarbeit erleichterten und effizienter machten, war groß und hatte gesellschaftsrelevante Bedeutung, wurden dadurch doch die Frauen entlastet, die überwiegend den Haushalt führten und die so zunehmend bezahlten Tätigkeiten nachgehen konnten.

Thomas Laux von Hausboote Lahn konnte schon vor Corona den Trend zu Deutschlandreisen nutzen, hat dann allerdings auch mit der Krise umgehen müssen.

Laut einer Studie der KfW-Bankengruppe ist jeder dritte Unternehmensgründer in Deutschland älter als 45 Jahre. Davon sind rund 15 Prozent der über 45-Jährigen mit technologieaffinen Konzepten selbstständig. Der überwiegende Teil ist in der Old Economy tätig und macht sich zum Beispiel als Berater*in, mit einem Restaurant oder einem Pflegedienst selbstständig.20

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Eataly Mailand © Bellone Franchise Consulting GmbH

Nicht nur ein Restaurant zu eröffnen, sondern gleich eine ganze Welt rund um das Essen und überhaupt um die Italianità, das war die Idee von Oscar Farinetti, dem Gründer von Eataly. Mit 53 Jahren eröffnete er in Turin seine erste Filiale, heute gibt es rund 40 in vielen internationalen Großstädten, wie zum Beispiel São Paulo, Yokohama und New York.21 Der gesamthafte Jahresumsatz lag 2019 bei ca. 700 Millionen Euro.22 Betreffend Unternehmertum war Farinetti allerdings kein unbeschriebenes Blatt. Bereits mit 23 Jahren stieg er nach Abbruch eines Wirtschaftsstudiums in das Geschäft seines Vaters ein und entwickelte aus dessen Kaufhaus eine erfolgreiche Elektronik-Handelskette, die er 2003 ebenso erfolgreich an die britische Dixons Retail verkaufte. Mit dem Erlös von gut 500 Millionen Euro folgte dann vier Jahre später sein Herzensprojekt.23 Und ganz ehrlich, wir sind Fans dieser Kombination aus Retail und Gastronomie. Leider wird es in diesem Jahr doch keinen »Spatenstich« für Eataly in der Schweiz geben. Die avisierten Objekte für die Realisation in Lausanne oder Zürich sind für 2020 gescheitert.24 Immerhin beansprucht ein Eataly-Standort im Durchschnitt 5.000 bis 6.000 Quadratmeter. Aber glücklicherweise gibt es die Filialen in München, in der alten Schrannenhalle am Viktualienmarkt, und in Mailand – nur 22 Minuten vom Hauptbahnhof entfernt.

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Im Eataly in München © Bellone Franchise Consulting GmbH

1.2.1 MIT 45PLUS DAS BISHERIGE LEBEN INFRAGE STELLEN