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Jan Zweyer

DER VIERTE SPATZ

Jan Zweyer

DER VIERTE SPATZ

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

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1. Auflage 2020

© 2020 by Lago, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

© Jan Zweyer

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Redaktion: Matthias Teiting

Umschlaggestaltung: Manuela Amode

Umschlagabbildung: shutterstock.com/Cozine, AlekseyKarpenko

Satz: Christiane Schuster | www.kapazunder.de

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-95761-190-1

ISBN E-Book (PDF) 978-3-95762-260-0

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-95762-261-7

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www.lago-verlag.de

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Und er öffnete den Schacht des Abgrunds. Da stieg Rauch aus dem Schacht auf, wie aus einem großen Ofen, und Sonne und Luft wurden verfinstert durch den Rauch aus dem Schacht.

Aus dem Rauch kamen Heuschrecken über die Erde und ihnen wurde Kraft gegeben, wie sie Skorpione auf der Erde haben.

Und die Heuschrecken sehen aus wie Rosse, die zur Schlacht gerüstet sind; auf ihren Köpfen tragen sie etwas, das goldschimmernden Kränzen gleicht, und ihre Gesichter sind wie Gesichter von Menschen.

Offenbarung des Johannes, 9,2–3 und 7

Inhalt

Pandora – JAHR EINS: APRIL BIS MAI

Menetekel – JAHR ZWEI: MAI BIS OKTOBER

Apokalypse – JAHR DREI: NOVEMBER

Futurum – JAHR ZEHN: APRIL

Über den Autor

Pandora

JAHR EINS: APRIL BIS MAI

1

Mario Zimmermann steuerte einen fast voll beladenen MAN durch die Bochumer Straßen. Das Papier aus den Containern, das er den ganzen Tag über eingesammelt hatte, wog an die zwanzig Tonnen. Noch zwei weitere Sammelstellen und er konnte zurück zum Recyclingpark fahren.

Zimmermann fühlte sich schon seit Stunden nicht wohl und sehnte den Feierabend herbei. Eine Kleinigkeit essen, ein Bierchen auf der Couch, die Glotze anmachen. Morgen würde es ihm sicher besser gehen.

Er war spät dran, denn sein Kollege, der ihn üblicherweise begleitete, hatte sich krankgemeldet. Da auf die Schnelle kein Ersatz bereitgestanden hatte, musste er die Schicht allein bewältigen.

Er stoppte den Lkw im Bochumer Univiertel neben den drei Altpapiercontainern, stieg aus dem Führerhaus und kletterte hinüber zum Kran. Dort schwenkte er den Ausleger über den ersten Behälter und verließ wieder seinen Platz, um den Container an den beiden Kranhaken zu befestigen. Der größere trug das Gewicht, der andere öffnete mit einem Seilzug die Bodenplatte, damit das Papier in die Ladefläche des Fahrzeugs fiel. Diese Arbeit erledigte normalerweise sein Beifahrer, Zimmermann blieb sonst auf dem Steuerstand stehen. Jetzt musste er die Haken anlegen. Das bedeutete zweimaliges Hinauf- und Hinunterklettern für jeden der verdammten Container.

Der dritte Papierbehälter stand endlich wieder an seinem Platz. Zimmermanns Herz schlug bis zum Hals. Seine Hände zitterten. Mit fünfundsechzig Jahren war er zu alt für die anstrengende Arbeit. Aber die wenigen Monate bis zur Rente würde er auch noch schaffen, dachte er. Der Rentenantrag war gestellt und bewilligt, seine Frau freute sich darauf, mit ihm endlich das nachzuholen, was sie im Leben versäumt hatten.

Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn, als er den schweren Wagen startete. Einmal noch diese Prozedur. Dann war sein Arbeitstag vorbei.

Er fuhr los. Für einen kurzen Moment wurde ihm schwarz vor Augen. Schnell hörte das Schwindelgefühl auf. Nicht schlappmachen, redete er sich Mut zu. In einer guten halben Stunde bist du zu Hause. Das schaffst du.

Er lenkte den MAN Richtung Lottental. Dort standen die letzten Container.

Die Stiepeler Straße verlief über einige Hundert Meter fast wie ein Strich bergab. Durch eine Rechtskurve gelangte man weiter ins Tal, während geradeaus ein Anrainerweg zu mehreren Gebäuden führte, die zum Gesundheitscampus-Süd der Ruhr-Universität gehörten.

Zimmermann hatte die Gefällstrecke erreicht. Er wollte gerade einen Gang hinunterschalten, als ein stechender Schmerz seine Brust zerriss. Er griff sich an die Herzgegend und öffnete wie ungläubig Augen und Mund. Kein Laut kam über seine Lippen und er stürzte in ein unendliches, schwarzes Loch. Sein lebloser Körper sank auf dem Sitz in sich zusammen. Lediglich der Gurt verhinderte, dass er zur Seite fiel.

Ungebremst beschleunigte das schwere Entsorgungsfahrzeug auf seinem Weg ins Tal.

Ein Fußgänger, der den Lkw auf sich zurasen sah, sprang in den Graben, um dem sicheren Tod zu entgehen. Fassungslos schaute der Mann dem die Straße hinunterdonnernden Fahrzeug hinterher.

Der Schwerlaster schoss über die Kurve in die Anrainerstraße, touchierte einen der dort parkenden Wagen und schob diesen in den Straßengraben, ohne seine Fahrt nennenswert zu verlangsamen. Dann durchbrach er einen Metallzaun, zerpflügte eine dahinter liegende Rasenfläche und drückte zwei Hinweisschilder wie Strohhalme um. Die Hecke, die vor dem flachen Gebäude stand, auf welches der MAN zudonnerte, stellte kein Hindernis dar. Ungebremst bohrte sich das Entsorgungsfahrzeug wie eine Kanonenkugel in die Wand des Anbaus. Metall traf kreischend auf Beton, ein Knall wie bei einer Bombenexplosion folgte und die Druckwelle des Aufpralls ließ in der Umgegend die Fensterscheiben klirren. Der Lkw riss Teile des Dachs herunter, die krachend zu Boden fielen. Die Holzbalken der Tragkonstruktion knickten wie Zündhölzer. Am Ende seiner Fahrt knallte der Wagen an die Außenwand des Hauptgebäudes und wurde so endgültig gestoppt. Staub und Qualm stiegen auf.

Vögel flatterten aus der dichten Wolke und suchten ihr Heil in der Flucht. Eine seltsame Ruhe trat ein, die von Sirenengeheul unterbrochen wurde.

Zeitgleich mit der Feuerwehr trafen Rettungswagen, Notarzt und die Polizei am Unfallort ein. Der Arzt verließ schnell wieder den Ort des Geschehens, denn Mario Zimmermann war nicht zu helfen. Der Herzinfarkt hatte ihn bereits vor dem Aufprall seines Lasters auf die Hauswand umgebracht. Die Blessuren, die sein Körper aufwies, fielen nicht ins Gewicht.

Die Feuerwehr musste zwar keinen Brand bekämpfen, allerdings hatte der Lkw das Gebäude eines gentechnischen Labors beschädigt. Es bestand die Gefahr einer Umweltkontaminierung. Deshalb zogen die Beamten einen darauf spezialisierten Brandoberinspektor hinzu, der den Schaden begutachten und das Gespräch mit den Leitern der wissenschaftlichen Einrichtung führen sollte.

Matthias Strauss war seit über dreißig Jahren Feuerwehrmann und traf bereits zehn Minuten später ein. Er ordnete das Tragen von Schutzkleidung an und ließ das Gelände weiträumig absperren. Alle Beamten, deren Anwesenheit nicht unmittelbar erforderlich war, verbannte er hinter diese Sicherheitsabsperrung. Schließlich wartete er auf den mittlerweile alarmierten Laborleiter, der aus seinem Büro herbeigerufen worden war.

Es dauerte nicht lange, da bog ein Porsche mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit auf den Parkplatz ein. Der Wagen stoppte und ein drahtiger Mittvierziger sprang heraus, schob sich eine Maske vor den Mund und warf einen prüfenden Blick auf den Unfallort. Nachdem er genug gesehen hatte, streifte er den Atemschutz wieder ab, ließ ihn um seinen Hals baumeln und näherte sich Strauss. Auf dem Weg hob er die Hand und grüßte mehrere in weiße Kittel gekleidete Wissenschaftler, die von dem Einsatzleiter ebenfalls hinter die Absperrung geschickt worden waren.

»Bader«, meinte er knapp, als er vor dem Beamten stand. »Sie sind …?«

»Brandoberinspektor Strauss«, stellte sich dieser vor und streckte Bader die Hand entgegen. Seine Stimme klang dumpf unter der Schutzmaske.

»Sie können das Ding ablegen«, sagte Bader. »Es droht keine Gefahr.«

Der Feuerwehrmann sah zu dem anderen Mann hoch. Obwohl er mit seiner Größe wahrlich nicht klein gewachsen war, überragte ihn Bader um fast eine Kopflänge. Strauss fragte sich, wie sich ein solcher Riese in einen Sportwagen falten konnte. Er selbst hatte einmal im Porsche eines Freundes auf dem Beifahrersitz gesessen. Das Einsteigen war schon beschwerlich genug gewesen, aber als es ans Aussteigen ging, waren entweder seine Beine, sein Bauch oder der Fahrzeugholm im Weg. Er war aus der Karre nur deswegen wieder herausgekommen, weil er sich zur Seite gedreht, halb auf den Fahrersitz gelegt, seine Beine zuerst nach draußen gesteckt und sich dann mit ruckartigen Bewegungen Stück für Stück aus dem Sportwagen ins Freie geschoben hatte. Eine solche Konservendose betrachtete Strauss als Zumutung. Und Bader war mindestens zwei Meter groß.

»Welche Art von Forschung findet in diesem Labor statt?«, fragte der Feuerwehrmann.

»Wir arbeiten an einem Impfstoff gegen H5N1.« Er erkannte Strauss’ irritierten Blick: »Entschuldigung, so bezeichnen wir einen der Subtypen des Influenza-A-Virus. Besser bekannt als Vogelgrippe.«

»Die kann für Menschen ansteckend sein, oder nicht?«

»Sicher. Wenn Sie gern mit Vögeln schmusen.« Bader grinste sein Gegenüber an. »Viele Vögel tragen den Erreger in sich, ohne dass er jemals ausbricht. Wollen wir uns zuverlässig dagegen schützen, müssten wir ständig mit einer Atemschutzmaske herumlaufen.«

Strauss verstand die Anspielung und zog die Maske vom Kopf. »Ihre Einrichtung ist ein Institut der Ruhr-Universität?«

»Nein. Ich habe dort zwar einen Lehrstuhl, bin jedoch als Institutsleiter privat tätig. Die Räumlichkeiten sind von der Uni gepachtet.«

Der Brandoberinspektor schluckte die Bemerkung hinunter, die ihm auf der Zunge lag. Baders Lehrtätigkeit schien ihm Zeit für diese Nebentätigkeit zu lassen. Es hätte ihn nicht überrascht, wenn einige der Forscher seines Labors auf der Gehaltsliste der Uni standen.

Bader ergänzte: »Die Ergebnisse unserer Forschung fließen in meine Tätigkeit an der Uni ein, bereichern sie sogar. Deshalb arbeiten auch Promovenden und Diplomanden in meinem Labor. Sämtliche Aktivitäten sind der Universitätsverwaltung bekannt und mit ihr abgestimmt.«

Strauss zeigte auf das Schild im Eingangsbereich. »GTLB steht für was?«

»Gentechnisches Labor Bader.« Wieder grinste der Professor. »Sehen Sie mir meine Eitelkeit nach.«

»Sie dürfen mit hochansteckenden Viren arbeiten?«

»Kommt darauf an, für wen sie ansteckend sind. Bei Vögeln sind solche Forschungen kein Problem. Bei Menschen wäre das anders. Mein Labor ist zertifiziert, Untersuchungen nach der Stufe zwei der Gentechnik-Sicherheitsverordnung durchzuführen. Das sagt Ihnen etwas?«

»Natürlich.« Der Brandoberinspektor wusste, was Bader meinte. Diese Verordnung unterschied vier Sicherheitsstufen. Für jede galten besondere technische und bauliche Auflagen. Einrichtungen, die nach Stufe zwei klassifiziert waren, durften gentechnische Arbeiten ausführen, bei denen von einem geringen Risiko für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt auszugehen war. Strauss hatte erst vor Kurzem einen entsprechenden Lehrgang besucht, der obligatorisch für Feuerwehren war, in deren Einzugsbereich solche Labore lagen, egal ob staatlich oder privat geführt. »Ich gehe davon aus, dass Sie über die notwendigen Prüfbescheinigungen verfügen?«

»Sicher.«

Der Brandoberinspektor zeigte auf die Trümmer vor ihnen. »Das war ein Teil des Labors?«

Bader ging auf die Unfallstelle zu. Strauss folgte ihm.

»Nicht im engeren Sinn. In diesem Anbau standen die Tierkäfige. Sehen Sie die aufgeplatzten Kästen dort? Sie sind bei dem Unglück beschädigt worden. Darin waren unsere Versuchstiere untergebracht. Jetzt sind sie natürlich fortgeflogen. Aber, wie gesagt, H5N1 kommt in der Natur recht häufig vor. Da droht durch drei, vier Vögel zusätzlich keine wirkliche Gefahr.«

»Mehr Tiere benutzen Sie nicht?«

Bader zuckte mit den Schultern. »Die genaue Zahl habe ich nicht parat. Wenn Sie sie wissen wollen, frage ich den Versuchsleiter.«

»Nein.« Strauss winkte ab. »Das reicht mir. Sterben die Vögel bei Ihren Versuchen?«

»Die meisten.«

»Was passiert mit den Kadavern?«

»Sie werden gesammelt, in sicheren Containern in Tierkörpervernichtungsanstalten verbracht und dort verbrannt.« Bader umkreiste den Lkw und nahm die Schäden genauer in Augenschein.

»Der Brummi hat ganze Arbeit geleistet«, bemerkte der Professor lapidar. »Ich hoffe, dass es keine Schwierigkeiten mit der Versicherung des Halters gibt.«

»Ich denke nicht. Das Unternehmen arbeitet seit Jahren für die Stadt. Der Geschäftsführer ist verständigt und trifft sicher bald hier ein. Mit ihm können Sie die Formalitäten besprechen. Eine Frage habe ich noch. Das eigentliche Labor befindet sich im Gebäude dahinter?« Der Feuerwehrmann zeigte auf ein dreigeschossiges Haus, das an die Ruine vor ihnen grenzte.

»Genau. Die Tür hinter dem Schuttberg ist die Schleuse zum Labor, das glücklicherweise unbeschädigt geblieben ist. Bevor Sie mich darauf hinweisen: Natürlich werde ich die Standfestigkeit des Labors und die ordnungsgemäße Funktion der Sicherheitseinrichtungen prüfen lassen.«

»Bemühen Sie sich nicht«, wies ihn Strauss zurecht. »Das sind unsere Aufgaben. Ich habe eine entsprechende Untersuchung bereits veranlasst. Der Sachverständige ist unterwegs. Bis dahin bleibt das Gelände abgeriegelt und alle Arbeiten werden eingestellt. Unverzüglich!«

2

Gestern hatte er seinen achtzehnten Geburtstag gefeiert, den er gemeinsam mit seinem einzigen Freund erst in einem Kino, später in einer Kneipe in einem der Gelsenkirchener Vororte verbracht hatte. Ihre Hoffnung, dort Mädchen kennenzulernen, hatte sich leider zerschlagen. Sie tranken einige einsame Biere und verließen das Lokal – eine Scheißfeier wie alle anderen davor auch, an die sich Klaus Fuchs erinnerte.

Nach mehreren Anläufen in unterschiedlichsten Berufen hatte der junge Mann seit etwa einer Woche wieder einen Ausbildungsplatz als Tierpfleger im Gelsenkirchener Zoo. Kein schlechter Job, wie er fand. Gewiss, das Ausmisten der Ställe war anstrengend und manchmal roch er am Abend ein wenig streng. Aber die Arbeitskleidung verblieb im Spind in den Umkleideräumen im Zoo und ein Bad und frische Klamotten vertrieben den Gestank.

Bis zur Öffnung des Zoos dauerte es noch eine Stunde, Zeit genug, die notwendigen Vorbereitungen für den Besucheransturm zu treffen. Heute durfte er beim Füttern der Vögel helfen. Diese Arbeit machte Spaß. Die Piepmatze waren den Pflegern gegenüber recht zutraulich, vor allem, wenn sie ein paar Leckereien aus den Händen der Menschen erhielten. Manche Tiere setzten sich bei der Fütterung sogar auf die Schultern oder ausgestreckten Arme der Tierpfleger.

Klaus schleppte zwei Sack Trockenfutter vom Lager zum Eingang der großen Voliere der Mohrenkopfpapageien. Er bog in den versteckt liegenden, nur für Personal zugänglichen Weg ab. Vor ihm lag eine tote Taube auf dem Pflaster.

Für einen Moment blieb Fuchs unschlüssig stehen. Dann wuchtete er seine Last von der Schulter, griff das verendete Tier und warf es kurz entschlossen in einen der Müllbehälter, die an vielen Stellen abseits der Hauptwege angebracht waren, und setzte seinen Marsch fort. Später wollte er seinen Fund melden, so wie es ihm bei einer der Unterweisungen eingeschärft worden war.

Die Fütterung dauerte länger als geplant und schnell hatte er den Vogelkadaver vergessen. Stunden vergingen, bis er ihm wieder einfiel. Er würde wegen einer verspäteten Meldung gescholten werden. Das stand für ihn fest. Weshalb den Vorfall nicht einfach verschweigen? Niemand hatte ihn gesehen und der Kadaver landete schon bald im Müllwagen und auf irgendeiner Kippe. Warum also eine Rüge kassieren?

Schweiß perlte auf seiner Stirn, als er frisches Stroh zu den Antilopen in die Erlebniswelt Afrika schaffte.

Einer seiner Vorgesetzten half ihm beim Verteilen und meinte, als sie die Arbeit beendet hatten: »Geh jetzt nach Asien. Melde dich im Vogelhaus. Du kannst dich da nützlich machen.«

Das Vogelhaus lag nicht weit entfernt. Eine Tierärztin und ein anderer Pfleger bemühten sich, zwei Tiere von ihren Artgenossen zu separieren. Sie traten zwischen die aufgeregt herumflatternden Vögel und mühten sich, die beiden in einen Bereich zu treiben, der mit einem Gitter abgetrennt werden konnte. Aber der Käfig war groß. Immer, wenn die Vögel isoliert waren und einer der Zooangestellten versuchte, das Drahtgeflecht vorzuschieben, musste er seinen Platz, von dem er die Tiere in Schach hielt, verlassen, was diese sofort zur Flucht nutzten. Und die ganze Prozedur begann von vorn.

»Sie schickt der Himmel«, meinte die Tierärztin, als sie Fuchs kommen sah. »Betreten Sie den Käfig und passen Sie auf, dass kein Vogel abhaut. Dann helfen Sie uns, das verdammte Abtrenngitter in die richtige Position zu bringen.«

Der Achtzehnjährige folgte der Anweisung und nach zwei weiteren Versuchen hockten die beiden Tiere zitternd vor Angst in ihrem Gefängnis.

»Haben Sie diese Vögel schon einmal gesehen?«, fragte die Tierärztin Fuchs.

Fuchs verneinte.

Sie setzte ihre Erklärung fort: »Das sind Jungtiere, Männchen und Weibchen. Diese Kahlkopfgeier, ihr lateinischer Name lautet Sarcogyps cavus, sind in Südostasien zu Hause und von der Ausrottung bedroht. In freier Wildbahn leben nur noch einige Dutzend Paare. Um sie vor dem Aussterben zu bewahren, züchten wir sie nach. Wir sind einer der wenigen Zoos weltweit, dem das bisher gelungen ist. Wir geben diese zwei an einen Zoo in New York weiter. Im Gegenzug schicken sie uns Tiere, über die wir nicht verfügen. So profitieren beide Einrichtungen.«

»Wie kommen sie dorthin?«, erkundigte sich Fuchs.

»Mit dem Flugzeug. Sie erhalten gleich von mir eine Beruhigungsspritze, die zwanzig Stunden wirkt. Im sedierten Zustand verpacken wir sie in Spezialkäfige für den Transport und schaffen sie direkt im Anschluss zum Düsseldorfer Flughafen, wo sie noch heute in die USA fliegen. Dort nehmen die Tierärzte des amerikanischen Zoos sie in Empfang, und dann müssen sie wegen der Einreisevorschriften für lebende Tiere zunächst in Quarantäne. Normalerweise dauert die bis zu drei Wochen. Da wir über jahrelange Geschäftsbeziehungen zum Zoo in New York verfügen und diese Zusammenarbeit durch Bescheinigungen der amerikanischen Gesundheitsbehörden testiert wurde, kommen die beiden Schätzchen hier rund acht Tage später wieder frei und können den Rest ihres Lebens in ihrer neuen Heimat genießen. So, und nun ziehen Sie die Lederhandschuhe über und helfen Ihrem Kollegen, die Vögel festzuhalten.«

Beim ersten Geier funktionierte alles problemlos. Auch der zweite Vogel ließ sich nach geringer Gegenwehr sedieren. Nur zog Fuchs seine Schutzhandschuhe zu früh aus und das Männchen, noch nicht vollständig betäubt, wagte einen letzten verzweifelten Angriff und hackte mit seinem scharfen Schnabel in Fuchs’ linke Handfläche.

»Au«, rief der erschrocken und hob die Hand Richtung Mund, um das austretende Blut mit der Zunge abzulecken.

»Lassen Sie das«, befahl die Ärztin. »Sie könnten sich infizieren.«

Sofort senkte Fuchs den Arm. »Mit was?«, fragte er verunsichert.

Die Medizinerin antwortete nicht. Stattdessen erkundigte sie sich: »Welche Impfungen haben Sie erhalten?«

»Ich glaube, Tetanus und Tollwut.«

»Das reicht nicht. Sie kommen mit in meine Praxis. Ich werde Ihnen eine weitere Schutzimpfung verpassen.« Die Tierärztin griff seine Hand und sah auf die kleine Wunde. »Schmerzt es?«, fragte sie ohne wirkliches Mitleid.

»Das ist nur ein Kratzer«, erwiderte Fuchs und kam sich ungemein männlich vor.

Die Ärztin nickte. »Ich werde die Verletzung desinfizieren und verbinden.«

»Darf ich damit weiterarbeiten?«

»Wenn Sie wollen. Ich kann Sie auch zu einem Arzt schicken, der Sie vermutlich krankschreiben wird.«

»Bitte nicht. Ich bin erst seit einigen Tagen beim Zoo und möchte meine Ausbildung nicht mit einem Schein beginnen.«

»Das verstehe ich. Sehen Sie zu, dass kein Schmutz in die Wunde gerät.«

3

Er brauchte keinen Wecker mehr. Es war Zeit, aufzustehen. Der Bauer warf einen Blick nach links, wo seine Frau Annemarie tief und fest schlief, und schob sich aus dem Bett. Obwohl keine Milchkühe im Stall auf das Melken warteten, ließ ihn seine innere Uhr mit gnadenloser Konsequenz aufwachen, egal ob Werktag oder nicht.

Andreas Eichel schlupfte in seine Latschen und schlich aus dem Schlafzimmer. Im Flur schlug die Standuhr fünf Mal. Seine übliche Zeit.

Er kam aus dem Bad. Das Haus duftete nach frisch gebrühtem Kaffee. Wie immer war Annemarie kurz nach ihm aufgewacht und hatte angefangen, das Frühstück zu bereiten.

Er drückte seiner Frau in der Küche einen Kuss auf die Wange. »Guten Morgen.«

»Morgen. Hast du gut geschlafen?«

»Es ging.« Er setzte sich auf seinen Stammplatz auf die Bank, das Fenster im Rücken.

»Wieder die Bandscheiben?«, erkundigte sie sich.

»Hm.« Ihn ärgerten seine kleinen Zipperlein, die ihm immer mehr zu schaffen machten.

»Du solltest zum Arzt gehen.«

»Demnächst.«

»Das sagst du jedes Mal.«

Er grinste schief, schwieg aber.

»Wenigstens für die groben Arbeiten wie das Ausmisten des Schweinestalls könnten wir uns Hilfe suchen. Dein Rücken wird nicht besser.«

»Du weißt, dass das der Hof nicht hergibt.«

»Wir haben genug gespart.«

»Das ist für Thomas, wenn er den Hof übernimmt.« Sein Tonfall ließ erkennen, dass er keine weitere Diskussion über das Thema wünschte.

Ihr Sohn hatte das Elternhaus zum Studieren verlassen und war außer zu Besuchen bisher nicht ins Hertener Umland zurückgekehrt. Er arbeitete nach dem bestandenen Diplom in Agrarwissenschaften bei einem der großen Anbauverbände, die für eine ökologische Landwirtschaft eintraten. Thomas hatte sie damals beraten, als ihr Hof kurz vor dem Ruin stand. Er war zu klein, um mit konventioneller Viehwirtschaft kostendeckend zu arbeiten, und für Erweiterungen fehlte ihnen das Geld. Also hatten sie die Kühe und einen Großteil der Borstentiere abgeschafft und sich auf umweltbewusste Fleischzucht spezialisiert. Diese Umstrukturierung hatte sie gerettet. Zwar scheffelten sie keine Reichtümer, aber sie kamen über die Runden. Das Fleisch ihrer Tiere war bei ihren Kunden begehrt. Viele kauften die Schweine kurz nach dem Wurf, ließen sie auf dem Hof aufwachsen und nahmen sie später als Biokoteletts mit in die heimische Küche. Das Geflügel und die Eier vermarktete weitgehend der Anbauverband, für den ihr Sohn arbeitete. Lediglich einen kleinen Teil verkaufte Annemarie im eigenen Hofladen. Thomas hatte seinen Eltern immer wieder erklärt, dass er sich nicht vorstellen könne, als Bauer zu arbeiten. Aber Andreas Eichel hatte die Hoffnung nicht aufgegeben, dass ihr Sprössling eines Tages den Betrieb übernahm.

Seine Frau stellte Brot und Butter auf den Tisch und holte Käse und Aufschnitt aus dem Kühlschrank.

Beim Frühstück fragte sie: »Du reparierst heute die Klappe vom Hühnerstall?«

»Sicher.«

Der vollständig aus Metallbauteilen errichtete Stall stand auf langen Schienen, die auf einem Feld verliefen. Auf einem abgeteilten Teil davon suchten die Hühner tagsüber nach Nahrung. Beigefüttert wurde nur wenig. Gab der zur Verfügung stehende Bereich nicht mehr genug zu fressen her, zog Eichel den Stall mit seinem Traktor über die Spur fünfzig Meter weiter, sperrte einen neuen Abschnitt des Feldes und das Federvieh pickte dort. Das aufgegebene Feldstück regenerierte sich in den nächsten Monaten. Nachts fand das Geflügel im Stall Schutz vor Füchsen und anderen Räubern. Die Türklappen schlossen automatisch.

Bei einer dieser Klappen war seit einigen Tagen der Schließmechanismus defekt, sodass Eichel sie manuell bedienen musste. Erst gestern war das fehlende Ersatzteil geliefert worden, welches er heute einbauen wollte.

Nachdem er sein Frühstück beendet hatte, holte er aus der Werkstatt das erforderliche Werkzeug. Es war kurz nach sechs Uhr. Die Sonne war gerade aufgegangen und ihn fröstelte.

In der Nacht hatte es geregnet. Die Pfützen standen noch in den Vertiefungen des Pflasters. Die Hühnerställe lagen dreihundert Meter vom Hof entfernt. Andreas Eichel machte sich auf den Weg.

Irgendetwas war anders an diesem Morgen. Er ließ den Schweinestall hinter sich, passierte den aufgegebenen Kuhstall, und als er in den Weg einbog, der zum Geflügelstall führte, entdeckte er den ersten Vogel. Ein Spatz lag regungslos vor ihm in der Furche, die von seinem Traktor stammte.

Eichel tippte das Tier mit der Fußspitze an. Es war tot. Nachdenklich ging er weiter. Andere Vogelkadaver lagen auf dem angrenzenden Acker.

Das war es, was er an diesem Morgen vermisste: das Zwitschern und Trällern der Vögel. Und das Kikeriki der drei Hähne und Gackern der Hühner, die um diese Zeit ihr sicheres Nachtlager schon längst hätten verlassen haben müssen.

Von düsteren Vorahnungen getrieben, beschleunigte Eichel seinen Schritt. Schnell kam der Stall in sein Blickfeld. Kein einziges Huhn scharrte auf dem Feld. Er ließ die Werkzeugkiste einfach fallen und rannte los, den Schmerz in seinem Rücken ignorierend.

Schwer atmend erreichte er den Hühnerstall, fingerte mit zitternden Händen den Schlüssel aus der Tasche und öffnete.

Was er sah, überstieg seine schlimmsten Befürchtungen. Nicht ein Huhn hockte mehr auf den Stangen über dem Band, das die Eier zur Sortiermaschine transportierte. Alle lagen dicht gedrängt und teils übereinander auf dem Boden vor ihm, sodass er den Stall nicht betreten konnte, ohne auf einen der toten Körper zu treten.

Wie ein Teppich, schoss es ihm durch den Kopf. Ein weißer Teppich aus Hühnerkadavern. Dem Bauern liefen Tränen über das Gesicht.

4

Patrick Bohm kam von Ratingen und wollte nach Mülheim. Um Staus auf den beiden Autobahnen, die Richtung Norden führten, zu umfahren, nahm er den Weg über die Landstraße durch den Oberbusch, ein Waldstück westlich von Eggerscheidt.

Er arbeitete für eine Düsseldorfer Brauerei. Seine Aufgabe bestand darin, einfach formuliert, Bier zu verkaufen. Er bereitete Lieferverträge mit den Inhabern neu gegründeter Gaststätten vor – je länger deren Laufzeit, umso besser. Sein erster Termin am heutigen Morgen hatte mehr Zeit beansprucht als beabsichtigt. Der Kunde, Besitzer einer Kneipe in einem der Vororte, wollte alles ganz genau wissen und ließ sich jedes Vertragsdetail dreimal erklären. Bohm verstand das. Aber es nervte und kostete wertvolle Minuten, die er nicht hatte. Sein Terminplan war eng getaktet. Eine Verzögerung bedeutete Telefonate mit den späteren Kunden, bei denen er sich entschuldigen musste, und einen nach hinten verschobenen Feierabend. Gerade heute konnte er sich das nicht erlauben. Denn ihr siebenjähriger Sohn hatte Geburtstag. Er wollte seinem Filius gratulieren und ihm nicht nur im Bett einen Kuss auf die Stirn hauchen, falls der Kurze bereits schlafen gegangen war. Also drückte er aufs Gaspedal.

Die Geschwindigkeitsbegrenzung bei der Einfahrt in das Waldstück ignorierte er. Auch das Schild, das vor Wildwechsel warnte, beunruhigte ihn nicht. Es war später Vormittag. Sollte es überhaupt Wildbestand in diesem Wäldchen geben, versteckten sich die Tiere tagsüber irgendwo im Unterholz. Soweit er wusste, wurde Wild erst in der Abenddämmerung aktiv.

Viel zu schnell raste er die Landstraße entlang. Sein Termin um elf war in Gefahr. Also aktivierte er die Freisprechanlage seines Telefons und suchte die Nummer des nächsten Kunden, um ihn anzurufen und um Geduld zu bitten. Immer wieder wandte er seinen Blick von der Straße ab, um sein Adressverzeichnis durchzusehen. Sonst wären ihm die toten Vögel aufgefallen, die zu Dutzenden am Straßenrand und auf der Fahrbahn lagen. Nur durch einen Zufall hatte sein Wagen bisher keinen von den Kadavern überrollt.

Endlich fand er die Nummer, wählte und genau in dem Moment, in dem der Angerufene das Gespräch entgegennahm, knallte eine tote Krähe auf die Windschutzscheibe des Fiats, verfing sich im Scheibenwischer und gleichzeitig rumpelte Bohms Fahrzeug über einen toten Vogel.

»Hallo?«, meldete sich sein Kunde. »Hallo?«

Die Krähe nahm ihm die Sicht und der Schlag in die Stoßdämpfer irritierte. Ein neuer Bums. Und noch einer. Der Fiat holperte bedenklich. Bohm stieg voll in die Eisen. Das war die falsche Entscheidung. Das Heck des Fahrzeugs brach aus.

»Hallo? Wer ist denn da?«

»Scheiße«, stöhnte Bohm und bemühte sich, den Wagen wieder unter Kontrolle zu bringen. Dann ging alles sekundenschnell.

»Was soll das, wer flucht denn da?«

Der Fiat drehte sich nun endgültig quer zur Fahrbahn, hob mit den linken Rädern ab, überschlug sich mehrmals, rutschte die Böschung hinunter und knallte gegen eine mächtige Buche.

»Ist alles in Ordnung? Das hört sich aber nicht gut an.«

Die Freisprecheinrichtung war noch intakt.

Der Motorblock hatte sich ins Wageninnere geschoben und Bohms Beine zerschmettert. Sie waren wie in einem Schraubstock gefangen. Langsam kam der Vertreter wieder zu sich.

»Hilfe.« Seine Stimme war kaum zu verstehen, »Ich brauche Hilfe.«

»Sind Sie das, Herr Bohm? Ist Ihnen etwas passiert?«

Durch die abgerissene Benzinleitung gluckerte Treibstoff, der sich am heißen Motor entzündete. Flammen züngelten hoch. Bohm schrie entsetzt auf, vermochte aber nur Arme und Oberkörper zu bewegen.

»Wo sind Sie?«

Das Feuer erreichte seine Beine. Der Vertreter brüllte wie ein Tier. Er schlug um sich, zerrte, schrie und weinte. Die Luft wurde so heiß, dass sie seine Lunge verbrannte. Endlich setzte sein Herz aus und er versank in einer Ohnmacht.

Das Letzte, was Bohms Kunde hörte, war der Knall einer Explosion.

5

Doktor Ralf Werfel, Leiter des Bochumer Veterinäramts, war eine Menge gewohnt. Aber was sich seit rund zwei Wochen in seinem Amt ereignete, überstieg alles bisher Erlebte. Das Telefon seiner Behörde stand nicht still, eine Krisensitzung jagte die nächste, der E-Mail-Briefkasten quoll über und die politische und administrative Führung der Stadt forderte Antworten, die Werfel beim besten Willen nicht zu liefern vermochte. Quasi minütlich gingen Meldungen über verendete Vögel ein, immer wieder drangen Journalisten der regionalen Medien in die Amtsräume vor oder standen besorgte Bürger vor der Tür, die in Plastiksäcken gesammelte tote Vögel abgeben wollten.

Seine Mitarbeiter nahmen mittlerweile nur noch ein Tier pro Art entgegen. Sie schützten sie in Kunststoffkisten mit Trockeneis vor dem Verwesen, um sie später in einem Labor der Ruhr-Universität untersuchen zu lassen. Alle anderen Vögel landeten in Containern im Hof. Von dort schaffte man sie täglich zu den Tierkörperverwertungsanstalten oder gleich in die Müllverbrennungsanlagen.

Werfels Telefon klingelte, obwohl er Anweisung erteilt hatte, niemanden durchzustellen. Er nahm ab und blaffte genervt in den Hörer: »Verdammt, was ist denn? Ich wollte nicht gestört werden!«

Unberührt erwiderte seine Sekretärin: »Ich habe den Staatssekretär aus dem Umweltministerium in der Leitung. Ich nehme an, mit ihm wollen Sie sprechen?«

Werfel holte tief Luft. »Natürlich. Entschuldigen Sie meine Gereiztheit.«

»Schon verstanden.«

Es knackte und der Tierarzt meldete sich.

»Osterhagen. Was ist da bei Ihnen in Bochum eigentlich los?«

»Wenn ich das nur wüsste.«

»Wie soll ich das verstehen?«

»Tausende, ach, was sag ich, Zehntausende Vögel sind in den letzten Tagen verendet. Alle Arten sind betroffen. Es scheint ein Virus zu sein.«

»Die Vogelgrippe?«

»Nicht, wie wir sie bisher kannten. Mit dem Influenza-A-Virus H5N1 haben sich nicht alle Vogelrassen gleichermaßen angesteckt. Wildgeflügel, also Enten, dienten dem Virus oft als Wirt, ohne dass die Tiere erkrankten. Das ist jetzt anders.«

»Es sterben auch Wasservögel? Das ist neu.«

»Soweit wir wissen, sterben alle. Ausnahmslos. Es gibt bisher keine Resistenzen.«

Einen langen Moment schwieg Osterhagen. »Wie wird es übertragen?«

»Wir nehmen an, wie bei A/H5N1 über direkten oder indirekten Kontakt, entweder durch gegenseitige Berührungen oder Sekrete beziehungsweise Exkrete.«

»Auch über die Luft?«

»Bei geringen Distanzen vermutlich.«

»Und die Inkubationszeit?«

»Keine Ahnung.« Werfels Stimme klang müde.

»Mortalität?«

»Wie ich eben sagte: sehr hoch, vermutlich einhundert Prozent.«

»Vermag das Virus auf den Menschen überzuspringen?«

»Ich weiß es nicht.«

»Herr Doktor Werfel«, erwiderte der Staatssekretär scharf. »Ich höre von Ihnen nur, dass Sie nichts wissen. Ich brauche jedoch Antworten, und zwar schnell. Mir sitzt der Minister im Nacken, der Ministerpräsident und natürlich Berlin. Außerdem die Presse.«

Dem Veterinär platzte der Kragen und er fauchte zurück: »Meinen Sie eigentlich, wir drehen hier Däumchen? Ich habe in der letzten Woche nicht mehr als drei Stunden am Stück geschlafen. Wissenschaftler der hiesigen Universität arbeiten seit Tagen daran, das Virus eindeutig zu bestimmen. Was sie bisher sicher sagen können, ist, dass es A/H5N1 ähnelt, aber nicht identisch ist. Sie vermuten eine Mutation. Ihr Haus erhält täglich von mir einen Bericht …«

»In dem nicht viel steht!«

»Ja, verdammt, erwarten Sie Wunder? Mein Vorschlag lautete, als Sofortmaßnahme alle Geflügelbestände im Umkreis von einhundert Kilometern zu keulen und in Nordrhein-Westfalen die Quarantäne-Notfallpläne in Kraft zu setzen.«

»Das habe ich gelesen.«

»Warum ist nichts passiert?«

»Wissen Sie eigentlich, was ich mit einer Keulungsanordnung auslöse? Die betroffenen Bauern würden uns die Hölle heiß machen, Schadensersatzforderungen erheben …«

»Dann geben Sie ihnen das Geld.«

Osterhagen lachte kurz auf. »Sie sind ein Fantast. Die Mittel bewilligt niemand. Außerdem wäre eine großflächige Quarantäne das Eingeständnis, dass wir die Lage nicht mehr im Griff haben. Die Presse zerreißt uns.«

»Wir haben die Lage nicht im Griff«, bekräftigte Werfel.

»Reden Sie keinen Unsinn.«

»Es ist die Wahrheit«, erwiderte der Behördenleiter leise. »Es bahnt sich eine Katastrophe an und Sie haben Angst vor den Journalisten. Oder Bauern«, setzte er hinzu.

»Übertreiben Sie nicht. Von Katastrophe kann keine Rede sein. Es sind ein paar Vögel verendet, das ist alles.«

»Alles?« Werfel lachte spöttisch auf. »Aus anderen Kommunen in der Umgebung kommen ähnlich pessimistische Nachrichten. Auch dort sterben die Tiere wie die Fliegen.«

»Ich weiß. Trotzdem kein Grund, in Panik zu verfallen. Wir haben die Lage völlig unter Kontrolle. Nichts anderes sagen Sie der Presse. Haben Sie verstanden?«

»Voll und ganz.«

»Gut. Halten Sie mich auf dem Laufenden.«

»Das tue ich seit Tagen.« Diese Erwiderung hörte der Staatssekretär nicht mehr, denn er hatte grußlos aufgelegt.

Werfel stierte einen Moment entgeistert auf sein Telefon und legte es beiseite. Dann stützte er den Kopf auf beide Hände und blieb regungslos sitzen.

Seine Sekretärin riss ihn aus der Lethargie. »Unangenehmes Gespräch?«

»Das können Sie laut sagen. Diese Sesselfurzer in Düsseldorf denken nur an ihre Karrieren.« Er sah auf. »Was gibt es?«

Sie legte ihm einen Aktenvermerk auf den Tisch. »Möglicherweise wurde der Ursprung der Seuche ermittelt.«

»Was?« Werfel griff zu dem Schriftstück.

»Es ist von Brandoberinspektor Matthias Strauss. Vor knapp zwei Wochen hat es einen Verkehrsunfall gegeben, bei dem ein Lkw in eine wissenschaftliche Forschungseinrichtung an der Uni gerast ist. Die Wissenschaftler haben an einem Mittel gegen die Vogelgrippe gearbeitet. Lesen Sie selbst.« Sie gab ihm die Unterlage.

Werfel überflog den Text. »Holen Sie mir den Leiter dieses Labors ans Telefon. Ich muss wissen, woran genau die dort geforscht haben.«

Eine Viertelstunde später kehrte seine Sekretärin zurück. »Professor Dominik Bader ist nicht zu erreichen. Ich habe mit einer Verwaltungsangestellten seines Lehrstuhls gesprochen. Er hat sich von seiner Mitarbeiterin mit der Begründung verabschiedet, er brauche eine Auszeit.«

»Sind denn Semesterferien?«

»Nein. Bader hat mit der Durchführung seiner Lehrveranstaltungen kurzfristig seinen Assistenten beauftragt.«

»Ungewöhnlich.«

»Das findet seine Mitarbeiterin ebenfalls.«

»Wer leitet denn jetzt das Labor?«

»Niemand. Die Arbeiten dort wurden eingestellt.«

Werfel wirkte überrascht. »Wann?«

»Unmittelbar nach dem Unfall.«

»Das gibt es doch nicht!« Der Tierarzt sprang auf, das Memo immer noch in der Hand.

»Wohin gehen Sie?«, erkundigte sich seine Sekretärin.

»Zum Justiziariat. Ich muss dringend mit einem Juristen sprechen.« Er blieb stehen und wandte sich seiner Mitarbeiterin zu. »Rufen Sie den Brandoberinspektor an und bitten Sie ihn, ebenfalls zum Rechtsamt zu kommen. Es dürfte interessant sein zu hören, was er zu sagen hat.«

»Soll ich Sie anmelden?«

»Nein. Die versuchen sicher, Sie abzuwimmeln. Wenn ich persönlich dort aufkreuze, ist das nicht so einfach. Bis später.«

6

Christian Junker, Ressortleiter Inneres des Herold, eines Nachrichtenmagazins aus Hamburg, diskutierte mit zwei seiner Redakteure den Ausbruch der Vogelgrippe im Ruhrgebiet.

»Laut dpa konzentriert sich die Seuche derzeit auf Bochum und Umgebung.« Karola Rothschild blätterte in einem Stapel Papiere. »Das alles sind Nachrichten der lokalen Presse. Danach ist jede Stadt im Umkreis betroffen.« Die attraktive Achtunddreißigjährige arbeitete seit fast zehn Jahren beim Herold. Nach dem Studium hatte sie als Volontärin in dem Magazin angefangen und beschäftigte sich heute überwiegend mit innenpolitischen Themen. Umweltschutzfragen lagen ihr besonders am Herzen.

Sie strich sich durch ihr kurz geschnittenes, dunkelbraunes Haar und streckte ihre langen Beine aus, die in Röhrenjeans steckten. Der enge Pulli betonte ihre Figur.

»Weiß man, weshalb die Vögel sterben?«

»Es gibt noch keine sicheren Ergebnisse. Wie es heißt, haben die Bochumer Behörden Wissenschaftler der Ruhr-Universität hinzugezogen. Angeblich soll es sich um eine Virenerkrankung handeln.«

»Wie bei der Geflügelpest?«

»Ja.«

»Was ist mit der Vogelgrippe?«, erkundigte sich der Dritte im Raum, ein hochgewachsener Schwarzer, der sich bisher an dem Gespräch nicht beteiligt hatte.

»Zwei Begriffe für dieselbe Krankheit«, erklärte die Journalistin. »Sie werden durch ein Influenza-A-Virus übertragen.«

»Wie beim Menschen?«, fragte Junker.

»Genau. Von diesem Virus sind jede Menge Subtypen bekannt, die sich sehr ähnlich sind. Sie werden an erster Stelle mit dem Buchstaben H bezeichnet, dann folgt eine Zahl, zum Beispiel H5. Die Abkürzung H steht für Hämagglutinin, das hat irgendwas mit der Verklumpung unserer Blutkörperchen zu tun. Mit dem N ist Neuraminidase gemeint. Diese Enzyme dienen der Abspaltung irgendwelcher Säuren. Es schließt sich wieder eine Ziffer an. Bislang wurden achtzehn H- und elf N-Varianten nachgewiesen.«

»Wow. Ich dachte, du hast Soziologie und nicht Medizin studiert«, wunderte sich Junker. »Woher weißt du das?«

Karola lächelte. »Recherche ist eben alles.« Sie zeigte ihre weißen Zähne. »Steht bei Wikipedia. Ein anderes Virus ist bekannt, das in der Vergangenheit überwiegend Amseln befallen und getötet hat. Es nennt sich Usutu, nach einem Fluss im Swasiland. Usutu gehört zur Gattung der Flaviviren, zu der auch das Gelbfiebervirus gezählt wird.«

»Ebenfalls aus Wikipedia?«, fragte ihr Kollege grinsend.

»Klar«, antwortete Karola Rothschild.

Alex J. Stewart arbeitete wie seine Kollegin in der Nachrichtenredaktion des Herold. Der Achtundvierzigjährige war der Sohn eines erfolgreichen schwarzen Architekten und einer deutschstämmigen Journalistin aus Baltimore. Seine Mutter hatte sich mit ihm nur in ihrer Muttersprache unterhalten. So war Alex zweisprachig aufgewachsen und beherrschte Deutsch ebenso akzentfrei wie Englisch. Er galt in der Redaktion als eigenbrötlerisch. Manche hielten ihn für arrogant.

»Okay, das reicht mir«, meinte Junker und nippte an seinem Mineralwasser. »Ich möchte, dass ihr das übernehmt. Fahrt ins Ruhrgebiet und geht der Sache auf den Grund. Was ist das für ein Virus? Warum bricht diese Vogelgrippe oder was es immer auch ist, gerade jetzt aus? Das Allerwichtigste: Besteht eine Gefahr für Menschen? Unternehmen die Behörden genug, um die Ausbreitung zu verhindern, und so weiter. Ich will eine erstklassige Story. Braucht ihr einen Fotografen oder kann einer von euch fotografieren?«

»Ich kann mit einer Kamera umgehen«, versicherte Karola. »Und ich komme auch allein klar«, meinte sie mit einem Seitenblick auf ihren Kollegen. »Wenn Alex wichtigere Aufgaben haben sollte.«

Bevor der antworten konnte, erwiderte Junker: »Hat er nicht. Dann besorgt euch einen vernünftigen Apparat. Ich will Fotos von toten Vögeln und weinenden Kindern, weil die Enten im Parkteich nicht mehr da sind. Ihr wisst schon, was.«

Karola sah nicht besonders glücklich aus.

Junker schob ihnen einen Zettel zu. »Das ist die Adresse von Stefan Seiler, einem Genbiologen. Er tickt zwar manchmal etwas seltsam, weiß aber in der Regel, wovon er redet. Sprecht mit ihm. Er kann euch wichtige Tipps geben. Allerdings wird er das nicht umsonst machen. Ihr habt Prokura bis eintausend Euro. Falls Seiler mehr will, ruft mich an. Dann spreche ich mit ihm. Noch Fragen?«

»Ja«, erwiderte Karola. »Woher kennst du den Wissenschaftler?«

»Ich habe ihn vor Jahren einmal interviewt, konnte die Geschichte aber nicht ins Blatt nehmen.«

»Warum nicht?«

»Wir befürchteten, dass uns jeder zweite europäische Genbiologe auf Unterlassung verklagt, wenn wir Seilers Tiraden abgedruckt hätten. Dieses Risiko war uns zu groß.«

»Du nimmst an, dass dieser Mensch trotzdem mit uns spricht?«, wunderte sich Alex.

»Natürlich. Wir haben ihn damals gut bezahlt.«

7

Fast zeitgleich mit Brandoberinspektor Strauss, dem Veterinäramtsleiter Doktor Werfel und dem Justiziar der Stadt Bochum, Doktor Torsten Glöckner, traf ein leitender Angestellter der Verwaltung der Ruhr-Universität Bochum am Gentechnischen Labor ein, der sich als Martin Buchner vorstellte.

Die Vertreter der Stadt hatten sich nach kurzer Beratung im Rathaus darauf verständigt, das Labor persönlich in Augenschein zu nehmen, und deshalb Kontakt mit der Uni aufgenommen. Nach einigem Hin und Her hatte Glöckner sich durchgesetzt.

Trotzdem unternahm Buchner einen erneuten Vorstoß, als sie vor dem beschädigten Gebäude standen: »Ich bin mir nicht sicher, ob ich Sie in die Räumlichkeiten lassen darf. Der Mietvertrag mit Herrn Professor Bader endet erst zur Jahreshälfte.«

»Hatten wir das nicht am Telefon schon durchdekliniert?«, erwiderte Glöckner genervt. »Es besteht der dringende Verdacht, dass wesentliche Sicherheitsvorschriften nicht eingehalten wurden.«

»Aber Professor Bader …«

»… ist verschwunden und nicht auffindbar.« Glöckner ging einen Schritt auf Buchner zu und baute sich so vor ihm auf, dass sich ihre Nasenspitzen fast berührten. »Sollten Sie sich weiterhin weigern und unsere Arbeit behindern, besorge ich uns auf dem Wege einer richterlichen einstweiligen Anordnung ein Zugangsrecht zum Labor. Die Stadt wird eine Schadensersatzklage gegen Sie und Ihre Vorgesetzten prüfen. Betrachten Sie diesen Besuch einfach als eine nicht angekündigte baupolizeiliche Inspektion der Brandschutzeinrichtungen. Herr Strauss reicht Ihnen sehr gern einen entsprechenden Bescheid nach.« Er hob seine Stimme. »Jetzt machen Sie schon, Herr Buchner. Oder ich werde wirklich ungemütlich.«

Buchner schluckte eine Erwiderung herunter. Er wusste, dass er verloren hatte. Also ging er zur Tür des Gebäudes.

Der halb zusammengestürzte Anbau war nach wie vor mit Flatterband abgesperrt. Nur die Steine, die bei dem Unfall auf die Fahrwege und den Parkplatz geschleudert worden waren, hatte jemand beiseitegeräumt.

Sie betraten das Labor durch den Eingang an der westlichen Seite. Im Inneren roch es ein wenig nach Desinfektionsmittel und leicht muffig. An der Garderobe im Flur hingen einige weiße Kittel. Kopfbedeckungen aus feinem Papiergewebe stapelten sich auf einem niedrigen Schrank, daneben stand ein Karton voller Mundschutzmasken.

Vom Flur gingen drei Türen ab, von denen eine an der Stirnseite, die anderen an der Längsseite lagen. Werfel öffnete die erste. Dahinter befand sich ein Umkleideraum. Die Fächer der weißen Schränke waren ausnahmslos leer.

Das danebenliegende Zimmer war lediglich mit einem ovalen Tisch, Stühlen, einem Flipchart ohne Papier und einem Wandregal möbliert. Ein geöffneter Tresor stand in einer Ecke. Feiner Staub lag auf der Tischplatte. Nichts deutete darauf hin, dass hier vor wenigen Tagen Menschen gearbeitet hatten.

Die Tür an der Stirnseite führte zu einer Schleuse, dahinter lag das eigentliche Labor. Auch dort gab es nicht die geringsten Anhaltspunkte, dass in den Räumlichkeiten jemals biologische Versuche durchgeführt worden waren. In den Regalen standen keine Akten oder Bücher, nirgendwo fand sich beschriebenes Papier. Alle Papierkörbe waren geleert, die Proben- und Kühlschränke ausgeräumt.

Strauss und Werfel öffneten jeden Schrank, jede Schublade. Sie entdeckten nichts.

»Hier hat jemand wirklich gründlich Ordnung geschaffen«, meinte der Leiter des Veterinäramts, als sie ihre Untersuchung beendet hatten. »Da wurde jede Spur beseitigt.«

Strauss wandte sich an Buchner, der mit ratlosem Gesicht abseits stand. »Der Professor hat mir gegenüber erklärt, er wolle ein Serum gegen die Vogelgrippe finden.« »Dahinter kann sich alles Mögliche verbergen«, stellte Werfel fest. »An was genau hat Professor Bader hier geforscht?«

»Das kann ich Ihnen nicht im Detail sagen. Wir haben ihm nur die Räumlichkeiten vermietet.«

»Was heißt im ›Detail‹?«

Buchner blätterte im mitgebrachten Aktenordner. »Der Mietvertrag besagt lediglich, dass im Labor nur solche Arbeiten durchgeführt werden dürfen, die den Sicherheitsvorschriften entsprechen. Das hat Herr Professor Bader durch seine Unterschrift bestätigt.«

»Haben Sie die Einhaltung dieser Passage des Mietvertrages kontrolliert?«

Buchner sah Strauss überrascht an. »Herr Bader hat einen Lehrstuhl an der Universität«, erwiderte er pikiert.

»Verstehe. Deshalb ist er über jeden Zweifel erhaben.« Strauss schüttelte den Kopf. »Aber lassen wir das. Bader hat mir gegenüber erklärt, dass er hier Promovenden mit Arbeiten beauftragt habe, die in seine Lehrtätigkeit einfließen würden. Das sei mit der Verwaltung abgestimmt.«

Buchner zuckte mit den Schultern. »Auch dazu kann ich keine Auskunft erteilen. Ich bin für die Liegenschaften der Universität zuständig. Wenn es um Forschungsfragen geht, müssen Sie sich an das Rektorat wenden.«

»Dann sollten wir unverzüglich dort anklopfen«, empfahl Glöckner und marschierte mit grimmigem Gesicht Richtung Ausgang.

Etwa eine Stunde später standen die drei städtischen Vertreter auf dem Platz vor der Universitätsbibliothek.

»Die Uni verfügt noch nicht einmal über eine Namensliste derjenigen, die in dem Labor gearbeitet haben.« Glöckner schüttelte den Kopf. »Die haben nicht die geringste Ahnung, was dieser Professor da eigentlich getrieben hat. Traurig.«

»Freiheit der Wissenschaft und Forschung«, bemerkte Werfel trocken. »Solange die Miete pünktlich eintrifft und keinerlei Beschwerden bekannt werden …«

»Ich befürchte, dass wir hier nicht weiterkommen«, ergänzte Glöckner.

»Das stinkt doch zum Himmel«, meinte Strauss. »Da brettert ein Laster in den Anbau von Baders Labor, einige Vögel entweichen, dann bricht eine Vogelseuche aus und das Labor sieht aus, als hätte sich niemals jemand darin aufgehalten.«

»Sicher«, erwiderte Glöckner. »Aber was haben wir in der Hand? Ein Professor gibt seine Forschungsarbeit auf und verschwindet. Das mag verdächtig erscheinen, justiziabel ist es nicht. Möglicherweise hat die Sache dienstrechtliche Konsequenzen, das ist alles. Ich befürchte, wir können einen Zusammenhang mit der Seuche und Baders Labortätigkeit nicht beweisen. Tut mir leid, meine Herren. Uns sind eindeutig die Hände gebunden.«

Auf dem Weg zu ihrem Fahrzeug auf dem Parkplatz passierten sie einen regelrechten Berg von Vogelkadavern. Männer der Stadtreinigung schaufelten ihn mit großen Forken auf die Ladefläche eines Entsorgungsfahrzeugs.

8