Es mochten zwei Stunden vergangen sein, vielleicht auch drei. Meinen angespannten Nerven zufolge war ich fast sicher, schon mehr als zehn Stunden in meiner Deckung zu hocken und in die Stille des Waldes zu lauschen.
Als Caxton und sein Begleiter meiner Fährte folgend in den Wald eingedrungen waren, hatte ich sie gehört. Sie hatten eine Menge Lärm veranstaltet, als sie durch das Unterholz am Waldrand gebrochen waren. Danach war es still geworden. Aber ich wusste, dass sie mich suchten. Irgendwo in der Tiefe des Waldes steckten sie. Irgendwo schlichen sie herum, die Waffen schussbereit.
Ich war froh, dass ich Shita bei mir hatte. Er würde dafür sorgen, dass niemand in meine Nähe gelangte, ohne dass ich ihn nicht vorher bemerkte.
Ich blickte auf die Ledertasche mit dem Geld. Deswegen waren nun schon so viele Menschen gestorben. Es war verdammtes, blutiges Geld. Am liebsten hätte ich es einfach irgendwo in den Schnee geschüttet und wäre abgehauen. Aber ich hatte einen Auftrag, und es war egal, was ich von dem Geld hielt und von den Männern, die sich deswegen die Schädel einschlugen.
Plötzlich hörte ich es im Unterholz knacken. Sofort waren meine Sinne wieder zum Zerreißen gespannt. Ich starrte in die Richtung, aus der ich das Geräusch gehört hatte, bis meine Augen zu tränen begannen und ich das kahle, ineinander verwachsene Gesträuch doppelt sah.
Shita knurrte mit einem Mal. Dann sprang er auf und schnellte mit federnden Sätzen davon. Sekunden später war er verschwunden.
Ich erhob mich und hätte gern geflucht, aber ich gab keinen Laut von mir, presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen, nahm die Tasche und das Gewehr und setzte mich in westlicher Richtung ab. Das Pferd ließ ich stehen. Es hätte mich jetzt nur behindert.
Nach knapp fünfzig Schritten verhielt ich und lauschte. Wieder war alles still, und ich fragte mich, wo Shita hingelaufen war. Ich hatte plötzlich Angst um ihn. Er war nicht nur ein Hund. Er war mein Freund.
Ich wartete. Die Zeit verstrich zäh wie ein dicker, sämiger Brei. Auf einmal hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden. Ein eisiger Klumpen bildete sich in meinem Magen. Unwillkürlich verkrampften sich meine Rückenmuskeln. Ich versuchte, das alles als blanke Einbildung abzutun und drehte mich langsam um.
Da sah ich ihn: Dee Caxton.
Er stand im dichten Unterholz und starrte mich aus böse glitzernden Augen an wie ein böser Geist. Sein Gesicht war noch immer verschwollen von meinen Schlägen.
„Hallo“, sagte er. „Ich wusste doch, dass wir uns noch einmal wiedersehen.“
Ich wollte mich umdrehen. Da schoss er. Die Kugel traf den Kolben meines Sharps-Karabiners und zersplitterte das Holz. Das Gewehr wurde mir aus der Faust geprellt und gegen mich geschleudert, dass ich umkippte.
Caxton lachte. Er brach durch das Gestrüpp. Seine Bewegungen waren ruhig und gelassen.
Er hatte gewonnen. Ich war erledigt.
Irgendwo im Wald bellte plötzlich Shita. Er kläffte wie rasend. Angstvoll lauschte ich auf einen Schuss, aber es geschah nichts, und das Bellen brach unvermittelt wieder ab. Stattdessen waren am Waldrand Hufgeräusche zu hören.
Caxton hob den Kopf. Er lächelte sein hässliches Lächeln.
„Das wird Belton sein“, sagte er. „Unser Boss, Kleiner. Du glaubst nicht, wie der darauf brennt, dich kennenzulernen. Und auf die schöne Tasche, die du bei dir hast, ist er ganz besonders scharf.“
Ich richtete mich langsam auf. Männerstimmen waren zu hören. Sie riefen etwas. Namen. Caxton wurde stutzig. Er hob sein Gewehr und feuerte einen Schuss in die Luft ab. Wenig später brachen in der Nähe Männer durch das Unterholz. Dann tauchten zwei Reiter auf. Sie trugen beide Uniform.
Einer war ein Sergeant. Er blutete aus einer klaffenden Stirnwunde. Der linke Ärmel seines blauen Armeemantels war zerrissen.
Der andere Mann war ein Lieutenant. Jung, mit scharfen Gesichtszügen. Er war unversehrt. Er warf nur einen kurzen Blick auf mich. Dann sprang er aus dem Sattel und ging auf Caxton zu.
„Wo ist Belton?“
„Der wird bald hier sein“, sagte Caxton. „Ich habe etwas, was Sie freuen wird. Wir haben den Jungen und das Geld gefunden. Jetzt kann die Sache losgehen und ...“
„Die Sache ist losgegangen“, sagte der Lieutenant. „Aber nach hinten. Captain Brady, dieser gottverdammte Verräter. Er stammt aus North Carolina, aber er ist ein Yankee durch und durch. Er hat den Braten gerochen und alles platzen lassen. Ich habe gedacht, ich hätte die Unteroffiziere auf meiner Seite. Brady hat sie bekniet und wieder zu sich herübergezogen. Er hat von dem langen Weg in die Südstaaten gesprochen und gesagt, dass es zweifelhaft sei, ob der Süden wirklich so rasch vom Norden abfallen würde. Jeder, der davonlaufen würde, müsste damit rechnen, als gemeiner Deserteur gejagt zu werden. Die Truppen in Fort Kearny oder Fort McPherson seien schon alarmiert und würden jeden, den sie erwischten, ins Gefängnis stecken. Danach hat er versucht, mich zu verhaften. Sergeant Orville hat als Einziger zu mir gehalten und mich vorher gewarnt. Wir haben uns mit Gewalt unsere Pferde geholt und konnten das Fort gerade noch verlassen. Es ist aus, verstehen Sie? Und das soll Belton wissen.“
Caxton starrte den Offizier fassungslos an. Er schüttelte nur immer wieder den Kopf und schien keine Worte zu finden. Dann sagte er: „Es war also alles sinnlos?“
„Völlig“, erwiderte der Lieutenant. „Diese Idioten, die sich jetzt haben beschwatzen lassen, werden das noch bitter bereuen. Aber jetzt läuft nichts mehr.“
Ich hielt die Gelegenheit für gekommen, mich zu verdrücken, griff nach der schweren Tasche und drehte mich um. Hinter mir hörte ich den verletzten Sergeant aufbrüllen. Ich tat drei, vier Schritte, dann traf mich ein harter Gegenstand mit der Wucht eines Schmiedehammers im Rücken. Ich stolperte, konnte mich fangen, wollte weiterlaufen und wurde an der rechten Schulter gepackt. Jemand zerrte mich herum. Dee Caxton war mit einem Mal ganz dicht vor mir. Ich ließ die Tasche fallen und erhielt einen Faustschlag mitten ins Gesicht, der mich rücklings gegen einen Baum schleuderte. Benommen sackte ich zu Boden.
Ich wollte mich aufrichten, aber Caxton war schon heran. In seinen Augen blitzte es auf.
„Warte, Bürschchen“, keuchte er. „Jetzt wirst du bezahlen.“
Ich wollte mich wehren, aber ich kriegte meine Arme nicht hoch. Sie waren bleischwer. Und schon traf mich ein weiterer Fausthieb über dem Auge, und dann einer auf den Mund. Ich schmeckte Blut auf der Zunge und hatte Schmerzen. Vor meinen Augen begann sich alles zu drehen. Zwei schallende Ohrfeigen schleuderten meinen Kopf hin und her. Noch immer versuchte ich, rein instinktiv, mich schwach zu wehren. Es war sinnlos.
Ein hochgerissenes Knie grub sich in meinen Leib, und ich glaubte, in der Mitte auseinanderzubrechen.
Ich kippte nach vorn aufs Gesicht und blieb liegen, bei vollem Bewusstsein, aber für einen Moment wie gelähmt. Ein Fußtritt traf mich in die Seite. Ich rollte auf den Rücken. Dann ließ Dee Caxton plötzlich von mir ab.
*
Ich vernahm, dass jemand durch das Unterholz brach, und hörte einen Mann stöhnen. Ich riss die Augen auf, vor denen sich rötliche Schleier ballten. Noch immer schmeckte ich Blut in meinem Mund. Vorsichtig tastete ich mit der Linken an meine Stirn und fühlte warme Feuchtigkeit unter meinen Fingern. Die linke Augenbraue war aufgeplatzt.
Dann sah ich Caxtons Kumpan. Mochte der Teufel wissen, woher er so plötzlich auftauchte. Er taumelte heran, mit zerrissener Hose, zerrissener Jacke, ohne Hut, gezeichnet von zahlreichen Biss- und Kratzwunden blutüberströmt. Ich hörte ihn noch lallen: „Dieser gottverdammte Köter“, und wusste, dass das Shitas Werk war, dann brach er zusammen, und Caxton beugte sich über ihn.
Wilder Zorn erfasste mich, je mehr die Benommenheit von mir abfiel. Gleichzeitig erfüllte mich freudiger Triumph, dass Shita es diesem Halunken so gegeben hatte. Aber da war noch Caxton, und mit dem war ich noch lange nicht fertig.
Er hatte nur Augen für seinen Partner und achtete nicht auf mich. Ich tastete unter meine Jacke und umspannte den Griff meines Revolvers.
In diesem Moment sah ich aus den Augenwinkeln, dass der Lieutenant, der bis jetzt nur stumm da gestanden und alles beobachtet hatte, sich bückte, etwas hochhob und damit zu seinem Pferd ging.
Die Tasche!
Ich richtete den Oberkörper auf und wollte aufspringen, trotz der Schmerzen, die mich sofort von den Zehen bis in die Haarspitzen durchzuckten. Da fuhr Dee Caxton schon herum.
„Was machen Sie da?“, schrie er und stürmte hinter dem Lieutenant her, der sich gerade aufs Pferd schwingen wollte.
Der Offizier holte zu einem gewaltigen Fußtritt aus, aber Caxton wich aus, kriegte den Stiefel zu fassen und riss den Lieutenant aus dem Sattel.
Sie wälzten sich über den Boden. Der Lieutenant konnte sich losreißen, sprang auf und versetzte Caxton einen Fausthieb gegen den Schädel. Caxton stürzte zu Boden.
„Du hirnverbrannter Idiot“, hörte ich den Offizier sagen. „Denkst du, nachdem die Sache geplatzt ist, verschwinde ich mit leeren Händen?“
Er zog sein Pferd herum, der Sergeant neben ihm tat das Gleiche. Dann sprengten sie in das Dickicht. Ich hätte heulen können vor Wut.
Ich richtete mich auf, den Revolver in der Faust. Nun gut, das Geld war weg. Ich hatte mich umsonst gequält und geschunden, hatte umsonst gekämpft und Kopf und Kragen riskiert. Aber da war noch Dee Caxton, und gegen ihn richtete sich der ganze aus mir hinausdrängende Zorn.
Caxton hatte sich ebenfalls erhoben. Er hatte seine Pelzmütze verloren und starrte in hilfloser Wut den beiden Soldaten nach. Da rief ich ihn an.
„Caxton!“
Er fuhr herum und sah mich stehen. Ein unartikulierter Schrei rang sich aus seiner Brust.
„Hast du immer noch nicht genug, du kleine Ratte!“ Er setzte sich in Bewegung und stampfte auf mich zu. Sein Umhang klaffte auf, und ich sah ein Messer blitzen.
Ich drückte ab. Der Rückschlag ließ die Waffe in meiner Hand zucken. Einen Sekundenbruchteil später fühlte ich einen scharfen Schmerz am linken Arm. Warm und feucht rann es an meiner Haut hinunter.
Ich wandte den Kopf und sah den Griff von Caxtons Messer aus meinem Arm ragen. Ich zögerte nicht, packte ihn und riss ihn heraus, obwohl der Schmerz mir fast die Besinnung raubte. Aber die Wunde selbst war nicht schwer.
Caxton ging es schlechter. Ich hatte ihn in die Brust getroffen, er war tot.
Mein wild aufbrechender Hass war jäh erloschen. Ich fühlte keine Befriedigung, als ich den toten Mörder im Schnee liegen sah. Fröstelnd zog ich die Schultern hoch und wandte mich ab. Der pochende Schmerz in der Messerwunde an meinem Arm war mir gar nicht bewusst.
Lautes Hufgeräusch riss mich jäh aus meiner Lethargie. Reiter näherten sich, mindestens zehn oder mehr. Ich hatte mich, ohne es selbst zu merken, dem Waldrand zu bewegt. Jetzt blieb ich stehen und lauschte. Ich war mit einem Schlag wieder hellwach, und meine Sinne arbeiteten angespannt.
Mit wenigen Schritten stand ich hinter einem Pinienstamm und spähte auf die Ebene hinaus.
Reiter näherten sich von Westen. Soldaten unter Führung eines Offiziers. Und plötzlich sah ich zwischen den Hügeln den Lieutenant und den verletzten Sergeant wieder auftauchen. Die beiden prügelten auf ihre Pferde ein und sprengten in vollem Galopp dahin.
Mein Jagdfieber erwachte wieder. Mit einem Satz sprang ich aus dem Schutz des Waldes und riss meinen Revolver hoch, als die beiden Männer in einem Bogen am Wald vorbei nach Südosten ritten.
Ich schoss, ohne zu zielen, auf den Lieutenant, verfehlte ihn zweimal und traf mit dem dritten Schuss den Sattel. Der Aufprall der Kugel ließ das Pferd scheuen. Es brach zur Seite aus und bäumte sich auf. Die schwere Ledertasche löste sich und stürzte zu Boden.
Der Sergeant sprengte vorbei und jagte davon. Der Lieutenant aber riss hart an den Zügeln, sodass das Pferd vor Schmerzen aufwieherte und stehen blieb. Ich eilte auf die am Boden liegende Tasche zu. Im selben Moment warf sich der Lieutenant aus dem Sattel. Wir erreichten die Tasche gleichzeitig. Ich wollte schießen, aber mir war plötzlich sehr merkwürdig zumute. Ich fühlte Schwindel in mir aufsteigen, schwankte und wurde von einem harten Schlag gegen den Kopf zu Boden geworfen.
Im nächsten Moment flog ein Schatten an mir vorbei. Ich hörte ein wütendes Knurren, ein scharfes Bellen, dann sah ich verschwommen, dass der Lieutenant von einem Hund angesprungen wurde. Shita.
Ich hörte das Geräusch von reißendem Stoff, versuchte noch einmal, mich aufzurichten und sah wieder alles völlig klar. Ich sah, wie der Lieutenant Shita abschüttelte und ein gutes Stück seines rechten Mantelärmels zurücklassen musste. Er sprang in den Sattel und ritt davon. Mein Blick suchte die Ledertasche. Sie lag am Boden. Shita stand daneben und wedelte stolz und triumphierend mit dem Schwanz.
Zufrieden sank ich zurück. Die Tasche war gerettet. Wenigstens das war gelungen. So war doch nicht alles umsonst gewesen.
Ich beobachtete noch, dass auf den Hügeln im Osten ein paar Reiter auftauchten, herüberschauten, ihre Pferde herumrissen und verschwanden. Dann zügelten ein paar Soldaten ihre Pferde neben mir und sprangen aus den Sätteln.
Das Hämmern und Pochen des Blutes in meiner Wunde wurde unerträglich stark. Ich fühlte mich plötzlich federleicht. Eine warme, wohlige Woge hob mich hoch und trug mich davon. Es wurde dunkel um mich.
*
„Ich bin Colonel O’Connor“, sagte der Nikolaus. Ich starrte fasziniert auf seinen vollen weißen Bart.
„Es freut mich, dass du wieder wach bist“, sagte er und lächelte. Mich wunderte nur, dass er eine blaue Uniform trug. Ich grinste wohl ziemlich dämlich, dann schlief ich wieder ein. Als ich das nächste Mal erwachte, stand ein untersetzter, schnauzbärtiger Offizier an meinem Bett. Er hieß Captain Brady und sagte mir, er und seine Leute hätten mich aufgesammelt und verdammte Schwierigkeiten gehabt, Shita beizubringen, dass sie mich nicht umbringen, sondern mir helfen wollten. Shita lag auch jetzt neben meinem Bett, sah satt und zufrieden aus und beäugte den Captain misstrauisch.
Dann erschien Colonel Patrick O’Connor wieder bei mir, den ich bei meinem ersten Erwachen für den Nikolaus gehalten hatte. Er hatte wirklich einen prachtvollen weißen Vollbart.
„Du hast drei Tage geschlafen“, sagte er. „Dein Fieber war auch nicht von Pappe. Ich freue mich, mich jetzt bei dir bedanken zu können, dass du die Soldkasse durchgebracht hast.“
Ich wandte den Kopf und sah, dass ich einen weißen Verband um meinen linken Arm trug. Aber ich verspürte keinerlei Schmerzen.
„Wir haben dein Pferd im Wald gefunden“, sagte Brady. „Ihm geht es auch besser. Und dein Hund frisst uns allen noch die Haare vom Kopf.“
„Ich habe auch Hunger“, sagte ich.
Langsam kehrte mein Gedächtnis zurück. Ich erinnerte mich wieder an alles und begriff, dass es geschafft war. Ich hatte meinen Auftrag erfüllt, und Jim Ketchum und die anderen hatten nicht ganz umsonst ins Gras gebissen.
„Ich kann mir denken, dass du Hunger hast“, sagte der Colonel. „Wie wäre es mit einer Portion Truthahn oder einem Stück Hirschkeule?“
„Truthahn?“ Ich blickte ihn groß an. „Hirschkeule?“
„Na ja“, sagte er, „ich denke, ich kann unseren Koch dazu bewegen, dir heute schon was davon zu geben. Du hast es verdient. Morgen essen wir alle davon. Weißt du nicht, was morgen für ein Tag ist?“
„Nein“, sagte ich.
„Weihnachten“, sagte Captain Brady.
Und Colonel O’Connor lächelte wieder wie der Nikolaus persönlich und strich sich über seinen Bart.
„Weihnachten“, wiederholte ich. „Es – es hat also keinen Aufstand gegeben und ...“
„Keinen Aufstand, keine Desertionen“, sagte O’Connor. Er war ernst geworden. „Wir sitzen zwar alle auf einem Pulverfass, aber noch ist alles in Ordnung.“
„Gut“, sagte ich. Ich fühlte wieder, wie die bleierne Schläfrigkeit wohlig warm durch meine Adern floss.
„Ich sage in der Küche Bescheid, damit du dein Essen erhältst“, sagte Captain Brady.
„Danke“, sagte ich. Ich schloss die Augen, und die beiden gingen. Ich blieb allein zurück, mit Shita, der sich jetzt erhoben hatte, seinen Kopf auf meine Bettdecke gelegt hatte und mich unverwandt anstarrte.
„Mir geht’s gut, Alter“, sagte ich. „Du warst wunderbar.“ Ich strich mit der Rechten matt durch seinen Pelz, und er brummte zufrieden, als sei das eine Selbstverständlichkeit, dass er mit Banditen kämpfte, Geldtaschen rettete und mir das Leben noch dazu.
Ich drehte den Kopf auf die Seite und schlief wieder ein, ohne dass ich es wollte. Ich träumte von Virginia Buckland. Wir saßen zusammen in einem Badezuber. Es war ein schöner Traum, wie man ihn ebenso träumt, wenn man vierzehn Jahre alt ist und festzustellen beginnt, zu was Mädchen alles gut sein können ...
RONCO
In dieser Reihe bisher erschienen
2701 Dietmar Kuegler Ich werde gejagt
2702 Dietmar Kuegler Der weiße Apache
2703 Dietmar Kuegler Tausend Gräber
2704 Dietmar Kuegler Apachenkrieg
2705 Dietmar Kuegler Das große Sterben
2706 Dietmar Kuegler Todesserenade
2707 Dietmar Kuegler Die Sonne des Todes
2708 Dietmar Kuegler Blutrache
2709 Dietmar Kuegler Zum Sterben verdammt
2710 Dietmar Kuegler Sklavenjagd
2711 Dietmar Kuegler Pony Express
2712 Dietmar Kuegler Todgeweiht
2713 Dietmar Kuegler Revolvermarshal
2714 Dietmar Kuegler Goldrausch
Dietmar Kuegler
Pony Express
Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!
Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung
ohne Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.
Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de
© 2020 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 Windeck
Redaktion: Jörg Kaegelmann
Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati
Umschlaggestaltung: Mario Heyer
Logo: Mark Freier
Satz: Harald Gehlen
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-95719-160-1
Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!
6. August 1879.
Ich bin gefangen und sitze in einer Arrestzelle von Fort Lyon, Colorado. Die Arrestzelle ist zwei Yards lang und zwei Yards breit. Da sind eine eiserne Tür mit einer schmalen Klappe, durch die das erbärmliche Essen geschoben wird, und ein Fenster, durch das nicht mal eine fette Ratte passen würde, das aber dennoch vergittert ist. Es gibt eine Pritsche in diesem schäbigen Loch und einen stinkenden Kotkübel, der dringend mal gereinigt werden müsste. Sie nennen die Zelle den Affenkäfig.
Andere an meiner Stelle würden vermutlich Tobsuchtsanfälle kriegen. Ich nicht. Ich habe mich daran gewöhnt, mit schlimmen Situationen fertig zu werden.
Jetzt habe ich eins der Schulhefte auf den Knien. Ich hatte zuletzt darin geschrieben und es unter mein Hemd gesteckt. Man hat es mir nicht abgenommen, und so kann ich meine Geschichte weiterschreiben.
Ich schreibe mit dem bleiernen Geschosskopf einer 45er-Patrone, die ich in einer Tasche gefunden habe. Anfangs war das nicht ganz einfach, jetzt habe ich mich daran gewöhnt, und es geht ganz gut.
Zuletzt habe ich meine Erlebnisse geschildert, die ich auf meiner ersten Fahrt als Kutschenbegleitmann hatte. Danach passierte nicht viel. Das Leben ging weiter. Ich fuhr ab und zu auf dem Kutschbock mit, wenn Geldtransporte durchgeführt wurden, aber Aufregendes erlebte ich nicht.
Als das Jahr 1860 anbrach, wusste bald jeder in St. Joseph, dass die Russell, Majors and Waddell Stage Company etwas plante, und als der Schnee schmolz, war es heraus: Die Gesellschaft richtete eine Postreiterlinie ein. Die größte, die es bis dahin je gegeben hatte. Sie sollte bis nach Sacramento in Kalifornien führen, was für mich so weit entfernt lag wie der Mond.
Es gab nicht wenige Leute, die Mr. Majors, der das alles eingefädelt hatte, für verrückt erklärten und die meinten, dass es ihm nicht gelingen werde, auch nur einen einzigen Brief sicher durchzubringen. Aber es war alles gut geplant, und so schien die ganze Sache trotz der unbekannten Wildnis, die weiter westlich wartete, trotz der Indianer, die überall gegen die weißen Eindringlinge kämpften, und trotz der Banditen, die es im ganzen Land gab, ein sicheres Unternehmen zu sein.
Überall hingen Plakate aus, auf denen Reiter gesucht wurden. Um die vierzehn Jahre sollten sie sein und reiten und schießen können. Waisen bevorzugt.
Das traf alles auf mich zu, und ich sprach mit Cargo Flatt, dem Sicherheitsagenten der Company. Er meinte, was andere könnten, könnte ich schon lange, und wollte sich für mich verwenden.
Hunderte von Jungen in meinem Alter tauchten in diesen Tagen in St. Joseph auf und standen Schlange vor dem Patee House, dem Hauptquartier der Company. Die meisten wurden wieder nach Hause geschickt, aber über hundert durften bleiben und wurden bald mit großen Pferdeherden nach Westen geschickt und auf die vielen Raststationen verteilt, die Mr. Majors am Rande des Trails nach Kalifornien hatte errichten lassen. Es sollten an die 200 Stationen sein, wurde gesagt, und es wurde überall gemunkelt, dass die Company vor dem Bankrott stehe, wenn das Unternehmen scheitern würde.
Am 3. April 1860 sprengte der erste Pony-Express-Reiter, ein junger Bursche, nur wenige Jahre älter als ich, über die Main Street von St. Joseph. Ich glaube, sein Name war Johnny Frye. Er schwenkte seinen Hut und wurde von Tausenden von Menschen, die sich rechts und links der Straße gesammelt hatten, bejubelt. Eine Fähre brachte ihn über den Missouri ans andere Ufer, von wo er im Höllentempo westwärts jagte. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch keine Nachricht erhalten, ob ich ebenfalls als Express-Reiter akzeptiert worden war. Ich hoffte inbrünstig, dass es klappen würde, ich wünschte es mir mehr als alles andere.
Die ersten Reiter wurden wie Helden gefeiert. Sie brachten ihre Post glatt nach Sacramento durch. Ab und zu gab es Zwischenfälle auf der langen Strecke, aber sie konnten dem Unternehmen keinen Abbruch tun. Tagtäglich verließen Reiter St. Joseph, und andere trafen von Westen kommend ein.
Aber erst einen Monat später wusste ich, dass ich bald zu ihnen gehören würde ...
Mein Herz pochte, als ich vor der hohen, eichenen Tür stand, auf der ein poliertes Messingschild mit dem Namen Alexander Majors prangte. Ich atmete tief durch, dann klopfte ich an.
Eine tiefe Stimme rief: „Herein!“
Ich stieß die Tür auf und betrat den Raum. Ich hatte das Gefühl, bis zu den Knöcheln in dem Teppich zu versinken, der den Boden bedeckte. Das große Büro war holzgetäfelt und mit schweren, kostbaren Möbeln ausgestattet. Ich registrierte das alles nur am Rande. Meine ganze Aufmerksamkeit nahm der Mann in Anspruch, der neben einem mächtigen Schreibtisch aus schwarzer Mooreiche stand.
Er war ungefähr sechs Fuß groß und sah kräftig aus. Seine Schultern waren breit. Sein Gesicht war schmal geschnitten und hatte strenge Züge. Unter buschigen Brauen blickten mir zwei dunkle Augen entgegen, von denen ein eigenartiges Glänzen ausging, das ich später noch häufiger bei Männern gesehen habe, die von großen Ideen besessen waren.
Er war glatt rasiert und trug sein Haar straff nach hinten gekämmt und in der Mitte gescheitelt. Sein langer Gehrock war städtisch geschnitten, aus dunkelgrauem Stoff. Darunter trug er ein blütenweißes Hemd und eine schwarze Schnürsenkelkrawatte.
Alexander Majors. Ich hatte ihn bisher nur selten gesehen. Meist erschien er sehr früh in seinem Office, bevor die anderen Angestellten ihre Arbeitsplätze aufsuchten, und meist ging er sehr spät, sodass ihn selten jemand zu Gesicht bekam. Bei der Eröffnung des Pony Express hatte ich ihn zum ersten Mal etwas länger beobachten können. Er hatte eine Rede gehalten, viel von der Gnade Gottes und von der Zivilisierung des Landes gesprochen und war danach mächtig bejubelt worden.
Jetzt stand er vor mir und musterte mich so, dass ich mich klein und hässlich fühlte.
Ich war nicht ganz ein Kopf kleiner als er und ziemlich breit und kräftig für meine vierzehn Jahre. Äußerlich wirkte ich sowieso erheblich älter, denn das Leben, das hinter mir lag, hatte Spuren hinterlassen. Innerlich und äußerlich. Ich war reifer als andere Jungen meines Alters. Mein Gesicht wies einige Falten auf, und ich hatte die Augen eines Mannes. Mein Haar war blond und fiel noch immer, seit der Zeit, die ich bei den Apachen zugebracht hatte, bis auf meine Schultern. Ich trug eine abgeschabte Leinenhose, einfache Schuhe und ein verwaschenes, farbloses Hemd, das offen über meinen Gürtel hing.
„Du bist Ronco?“, fragte Mr. Majors.
Ich beeilte mich, zu nicken. „Jawohl, Sir.“
„Ich hoffe, du weißt, wie ehrenvoll die Aufgabe ist, mit der du ab heute betraut wirst.“
„Natürlich, Sir.“
„Du sollst das Eigentum fremder Menschen befördern, die dafür viel Geld bezahlt haben. Die haben ein Recht darauf, dass du deine Arbeit gut ausführst.“
Ich nickte wieder.
„Der Weg nach Westen ist lang und hart und mit vielen Versuchungen gespickt. Manchmal wird die Post, die du zu befördern hast, wertvoll sein. Du wirst dich nie an ihr vergreifen, und du wirst verhindern müssen, dass andere sich an ihr vergreifen.“
„Ja, Sir“, sagte ich.
„Bist du getauft worden, Ronco?“
„Ja, Sir“, sagte ich. „Ich bin von Mönchen aufgezogen worden.“
„Nun“, sagte Mr. Majors. „Ich habe gehört, dass du lange Zeit unter Heiden zugebracht hast. Hoffentlich hat deine Seele dabei keinen Schaden genommen.“
Ich zog es vor, darauf lieber zu schweigen, denn ich wollte ihn nicht verärgern. Ich wusste, dass er ein sehr frommer Mann war, der täglich in die Kirche ging, stundenlang in der Bibel las und jede Ansprache mit einem Gebet beendete. Es hätte zu nichts geführt, wenn ich versucht hätte, ihm zu erklären, dass Indianer keineswegs Heiden waren, dass sie ebenfalls ihren Gott hatten, wenn er auch nicht so hieß wie der, an den Mr. Majors glaubte.
„Du bist ab heute Express-Reiter“, sagte er. „Ab heute erhältst du jeden Monat 125 Dollar Lohn. Das ist sehr viel Geld für euch Jungen, und genau wie den anderen sage ich dir, dass du dich damit in Acht nehmen und es nicht für sündige Vergnügungen verwenden sollst. Denke immer daran, dass Gott, der Herr, alles sieht, was du tust, und dass er dich eines Tages zur Verantwortung zieht, wie jeden von uns.“
Ich nickte wieder, und Mr. Majors nahm eine in Leder gebundene Bibel von seinem Schreibtisch. Er reichte sie mir, und ich nahm sie.
„Lies jeden Tag darin“, sagte er. „Das stärkt dich und befreit dich von Angst und bösen Gedanken. Wenn du den Weg des Herrn gehst, wird sein starker Arm immer schützend über dir sein.“
Er drehte sich um und holte hinter dem Schreibtisch einen brandneuen Sharps-Karabiner hervor, den er mir ebenfalls in die Hand drückte.
„Damit wirst du das dir anvertraute Gut verteidigen“, sagte er.
Er langte unter seinen Gehrock und zog einen nagelneuen Navy-Colt hervor. Die bläulich schimmernde Brünierung glänzte wie eine Speckseite. Er wollte weiterreden, aber ich unterbrach ihn.
„Verzeihung, Sir“, sagte ich. „Aber ich möchte meinen Revolver behalten.“
Ich zog meinen Navy-Colt unter dem Hemd hervor. Es war eine stark gebrauchte Waffe mit fleckiger Brünierung und ein paar Rostnarben. Der scharfe Geruch von Pulverdampf haftete ihr an, und auf dem zerbeulten Griff war der Stempel El Moro Prison Guard zu erkennen, der bewies, dass die Waffe einmal einem Wachtposten in einem Straflager in Colorado gehört hatte.
Mr. Majors warf einen Blick darauf, wirkte seltsam berührt und steckte den neuen Revolver wieder weg.
„Also gut“, sagte er. Einen Moment wirkte er etwas verwirrt. Ich hatte ihn wahrscheinlich aus dem Konzept gebracht. „Eine Waffe kann wie ein Freund sein, wenn man in einem so gefährlichen Land unterwegs ist. Dann muss man sich darauf verlassen können. Ich verstehe, dass du dich mit einer Waffe, die du kennst, sichererer fühlst.“
Er fuhr fort: „Nichts darf dich aufhalten. Du reitest so schnell, wie du kannst, denn die Menschen, die sich uns anvertrauen, wollen ihre Post schnell befördert wissen. Gehe hin in Frieden und tue deine Pflicht.“
Ich durfte gehen, sagte: „Danke, Sir“, und verließ das Office. Die Bibel in der Linken, den Sharps-Karabiner in der Rechten, schritt ich den Gang hinunter zum Ausgang.
Jetzt war ich Pony-Express-Reiter, wie ich es mir gewünscht hatte. Dennoch fühlte ich mich nicht ganz glücklich. Eine seltsame Beklommenheit erfüllte mich für einige Minuten. Ich dachte an die Worte von Alexander Majors und begriff, dass mir eine große Verantwortung übertragen worden war. Ich hoffte, dass ich damit fertig werden würde.
Als ich auf den Wagenhof hinaustrat, blendete mich die Vormittagssonne. Ich winkte einem der Kutscher zu, der neben einer wuchtigen Concord-Kutsche stand, die gerade abfahrbereit gemacht wurde.
„Hat es geklappt?“, fragte einer der Stallknechte, als ich die Treppe zu meiner Kammer hinaufstieg, die über den Ställen lag.
„Sicher, was denkst du“, sagte ich.
In der Kammer wartete Shita auf mich. Er blickte mir aus seinen großen runden Augen entgegen und wedelte mit dem Schwanz. Erwartungsvoll kläffte er mich an. Ich lehnte den Sharps-Karabiner gegen den wackligen Tisch und hockte mich neben Shita auf den Boden.
„Hör zu“, sagte ich. Er musterte mich, und ich wusste, dass er jedes Wort verstand.
„Wir werden uns jetzt trennen“, sagte ich. „Nicht für lange, aber es muss sein. Ich würde dich gern mitnehmen, aber so schnell kannst du nicht laufen, wie ich reiten muss. Du würdest womöglich unterwegs liegen bleiben, und wegen dir anhalten, das darf ich nicht. Also wirst du hierbleiben. Alle werden sich um dich kümmern, bis ich wieder zurück bin.“
Er hatte aufgehört, mit dem Schwanz zu wedeln, und rückte ein Stück von mir ab. Traurig schaute er mich an. Er winselte leise und vorwurfsvoll und fuhr sich unruhig mit der Zunge über die schwarze Nase.
„Ja, ich weiß, zum Teufel, es gefällt dir nicht. Mir gefällt es auch nicht. Aber ich muss meine Arbeit tun.“ Ich strich ihm über den Kopf.
Er duckte sich jedoch, klemmte den Schwanz zwischen die Beine und ging steifbeinig in eine Ecke der Kammer, wo er sich einfach zu Boden plumpsen ließ, den Kopf zwischen die ausgestreckten Vorderpfoten legte und starr zur Wand blickte, ohne mich weiter zu beachten.
„Verdammt noch mal“, sagte ich. „Was ist denn schon dabei? Ich bin ja bald wieder zurück. Stell dich nicht so an. Ich bin nicht zum Vergnügen auf der Welt. Du willst regelmäßig deinen Knochen. Dafür muss ich schließlich auch was tun.“
Er war beleidigt. Da konnte ich nichts machen. Ich kannte ihn. Ich erhob mich und ging zur Tür. Den Sharps-Karabiner nahm ich mit. Er schielte mich an.
„Tut mir leid, alter Junge“, sagte ich.
Dann ging ich hinaus, und irgendwie war mir nicht wohl zumute, dass ich ihn zurücklassen musste. Wir waren seit fast einem Jahr zusammen und in dieser Zeit eigentlich nie getrennt gewesen. Shita war mein Freund, einen besseren hätte ich mir nicht wünschen können. Wenn er nicht bei mir war, fehlte etwas. Aber ich konnte ihn wirklich nicht mitnehmen.
Ich begab mich in das neu errichtete Express-Depot seitlich der Stallgebäude und Remisen. Hier lieferte einmal am Tag ein Clerk die zum Transport aufgegebene Post an, sauber gebündelt und sorgfältig gestempelt. Es waren auf sehr dünnem Papier geschriebene Briefe, denn sie durften nicht schwer sein. Ein Brief bis nach San Francisco kostete fünf Dollar Gebühr, mindestens, je nach Gewicht; das war ein kleines Vermögen.
Der Depot-Agent führte mich zu einer riesigen Landkarte, die neben seinem Schreibtisch an der Wand hing. Hier waren sämtliche Pferdewechselstationen eingezeichnet. Ich hatte eine Strecke von etwas mehr als siebzig Meilen vor mir, die ich im Laufe von höchstens zwölf Stunden zurücklegen musste. Dann war ich in Rock Creek Station in Nebraska. Dort würde ein anderer Reiter die Post übernehmen und weiterreiten bis Liberty Farm, wo wieder gewechselt wurde. Ich würde mit der Gegenpost zurückkehren. Die größeren, weiteren Ritte durfte ich erst durchführen, wenn ich mich bewährt hatte. Zwar war ich der Meinung, dass ich das längst hatte. Aber es gab keine Ausnahmen.
Nachdem ich mir die Route eingeprägt hatte, erhielt ich meine Mochilla, den Sattelüberwurf aus leichtem Leder, der viele Packtaschen hatte. Die Mochilla wurde über den normalen Reitsattel geworfen. Die verschließbaren Taschen rechts und links waren bereits mit Post prall gefüllt. Ich schleppte die Mochilla mit, als der Agent mich zu den Pferden führte. Es waren besonders ausgewählte Tiere, die robust, unempfindlich, außergewöhnlich schnell und zäh sein mussten. Zur Eröffnung des Express-Dienstes hatte die Company über 500 dieser Tiere angeschafft, die auf die verschiedenen Wechselstationen verteilt worden waren.
Ein paar Reiter standen herum, als wir den Stall betraten. Ich kannte sie. Die meisten waren so alt wie ich, sahen aber jünger aus, obwohl auch ihnen anzusehen war, dass sie kein einfaches Leben hinter sich hatten. Ein hagerer, pickelgesichtiger Bursche mit langen schwarzen Haaren trat auf mich zu. Das war Johnny Frye, der den ersten Postritt durchgeführt hatte. Er schüttelte mir die Hand und wünschte mir Glück.
„Kurz vor Rock Creek musst du aufpassen“, sagte er. „Da ist ein verdammtes Tal, lauter Wald, du kannst keine fünfzig Yards weit sehen. Danach viele Hügel. Eine lausige Gegend. Wenn dir jemand an den Kragen will, dann dort. Außerdem ist der Boden weich. Eine Menge Präriehundbauten. Bleib am besten auf der Wagenstraße. Die Radspuren sind deutlich sichtbar. Nimm keine Abkürzung.“
Ich nickte und bedankte mich. Dann sattelte ich das Pferd, das der Agent mir gab, und ich führte es aus dem Stall.
Die Sonne stand bereits hoch. Ich schwang mich in den Sattel. Spätestens gegen Mitternacht sollte ich in Rock Creek Station sein. Ich hatte mir zum Schutz gegen die Sonne und eventuellen Regen einen Hut aufgesetzt, den ich mir jetzt fest in die Stirn drückte. Den Karabiner schob ich in einen Scabbard. Dann trieb ich das Pferd an, ritt vom Hof und lenkte es zum Hafen hinunter.
Ein paar Menschen blieben auf der Straße stehen, als ich vorüberritt. Sie schauten mir nach. Ich fühlte ihre Blicke und genoss es. Ich war aufgeregt, als würde ich meinen ersten Ritt unternehmen. Dabei hatte ich bereits abenteuerlichere und gefährlichere Erlebnisse hinter mir und oft genug Kopf und Kragen riskiert. Dagegen war das, was mir jetzt bevorstand, der reinste Spazierritt – dachte ich. Aber es war einfach ein gutes Gefühl, wieder ein Pferd unter mir zu haben, wieder einmal die große Stadt verlassen zu können, in die Ebene hinausjagen zu dürfen, die Luft der Prärie zu atmen, die nach grenzenloser Freiheit, nach Wildheit und Kraft schmeckte, die mich an die Zeit erinnerte, da ich ein Teil der Wildnis gewesen war, ein weißer Apache.
Ich hörte nicht darauf, was der Fährmann sagte, der mich über den Missouri brachte. Ich hatte es eilig. Und als ich die weite Savanne vor mir sah, beugte ich mich im Sattel vor und trieb mein Pferd an.
Seit acht Stunden war ich unterwegs. Gerade ging die Sonne unter. Ich hatte keine Sekunde gerastet, seit ich St. Joseph verlassen hatte. Bis zum Spätnachmittag war ich der ausgefahrenen Wagenstraße gefolgt. Dann war ich ins offene Gelände ausgewichen, wie die Landkarte im Depot in St. Joseph es mir vorschrieb. Lange Zeit war das Land eben und übersichtlich gewesen. Jetzt buckelten sich flache Hügelrücken vor mir, die der glutrote Schein der Abendsonne in mächtige schwelende Aschehaufen zu verwandeln schien.
Das Land war menschenleer und still. Ich war allein, nur mein eigener Schatten folgte mir. Ich spürte meinen Körper kaum noch. Die verkrampfte Haltung, in der ich seit Stunden im Sattel saß, hatte ihn fast gefühllos werden lassen.
In stetigem Tempo jagte ich dahin. Das Pferd unter mir zeigte keinerlei Ermüdungserscheinungen. Es griff kräftig aus wie bei Beginn des Ritts. Das Hügelland rückte näher. Ich tauchte darin unter. Die Dämmerung wurde immer dichter, ein kühler Wind strich mir entgegen. Nach der brütenden Hitze des Tages war es angenehm. Der Schweiß auf meinem Gesicht trocknete.
Die Nacht sank über das Land. Eine schmale Mondsichel spendete bleiches Licht, das mir aber völlig ausreichte, um die Landschaft zu erkennen.
Ich ritt Stunde um Stunde. Als ich vor mir das graue Band der Wagenstraße wieder auftauchen sah, das sich in zahllosen Windungen durch das weite Grasland Nebraskas schlängelte, wusste ich, dass ich es nicht mehr weit bis zur Rock Creek Station hatte.
Nur wenig später entdeckte ich das Feuer.
Ein glutrotes Brandmal stand am Himmel. Flammen fraßen ein hässliches Loch in die schwarze Decke der Nacht.
Ich zügelte das Pferd und hatte jäh ein flaues Gefühl im Magen. Als ich mich im Sattel aufrichtete, verspürte ich einen scharfen Schmerz in meinen steif gewordenen Gelenken.
Ich wusste nicht, was das Feuer zu bedeuten hatte, aber instinktiv spürte ich, dass es mich etwas anging. Dort, wo es brannte, musste die Rock Creek Station liegen. Ich war nie dort gewesen, aber ich war mir ganz sicher.
Es hatte schon bei früheren Ritten Schwierigkeiten mit Indianern gegeben, aber die Reiter waren immer damit fertig geworden.