Die Schule der kleinen Ponys – Ein Heuhaufen voller Geheimnisse
© Johannes Markus |
Anne Wolff, geboren 1968, lebt seit vielen Jahren abwechselnd in Deutschland und den USA. Schon in der Kindheit mit Pferden aufgewachsen, ritt sie selbst Turniere und besaß Pferde und Ponys. Anne Wolff ist heute als Hundetrainerin und Übersetzerin tätig. Sie hat zwei mittlerweile erwachsene Kinder und lebt im Moment in Maryland, USA. |
© Tomas Rodriguez |
Nadine Reitz, geboren 1976, verbrachte ihre Kindheit im beschaulichen Vehlefanz in Brandenburg – umgeben von Wiesen, Feldern, Tieren und verzauberten Orten. Sie war schon immer fasziniert von Papier, Farben und Stiften. Seit 2011 arbeitet sie als freie Illustratorin und Grafikerin. Heute lebt sie mit ihrer Familie und drei flauschigen Katern am schönen Niederrhein. |
Wen hat hier der Hafer gestochen?
Band 2
Mit Illustrationen von Nadine Reitz
Vollständige eBook-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
BAUMHAUS Verlag in der Bastei Lübbe AG
Originalausgabe
Dieser Titel ist auch als Hörbuch erschienen
Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Katharina Runden
Umschlag und Illustrationen: Nadine Reitz
Umschlaggestaltung: Kirstin Osenau unter Verwendung
von Illustrationen von Nadine Reitz
eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf
ISBN 978-3-7517-0204-1
www.luebbe.de/baumhaus
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Für meinen frechen Opa Rudi.
Du hast mir zwar die Kirsche vom Kuchen gemopst, dafür jedoch die Liebe zum Zeichnen gegeben.
Deine Nadja
in dem ein Pony uns veräppelt
„Oh nein!“, keuchte ich. „So kriegen wir den nie!“
Der Schweiß rann mir über die Stirn, und ich sah verzweifelt zu meiner Freundin Sarah hinüber. Gemeinsam standen wir in der Vormittagshitze auf der Pferdekoppel und versuchten, einen unserer Ponyschüler einzufangen, der uns frech unter seiner Stirnlocke entgegenblickte.
Um uns herum grasten gelassen die Reitpferde des Gestüts meiner Familie: Ginger, die hübsche Stute meines Bruders Ben. Der alte Valentino, der seinen Ruhestand bei uns genießt. Und natürlich Jupiter, Mamas berühmtes Springpferd.
Zwischen ihnen auf dem sattgrünen Gras stand das frechste Pony, das das Winter-Gestüt je gesehen hat.
Darf ich vorstellen: Flex – mit Spitznamen auch Diavol, wie unser Stallmeister und Sarahs Onkel Eugen ihn seit Neuestem immer nennt, zu Deutsch: Satansbraten.
Dabei sieht man ihm das Freche gar nicht an. Im Gegenteil, er ist bildschön und wirkt deshalb irgendwie eher brav. Sein Fell ist weiß mit einem silbrigen Schimmer, und er hat eine pechschwarze Mähne und einen besonders süßen Kopf.
Bis vor Kurzem war er der Anführer der Ponyherde, die auf der Süderweide etwas abseits von unserem Gestüt lebt. Da er aber ständig Wege fand, auszubrechen und seine Ponykumpels mitzunehmen, haben wir ihn ans Haus geholt, um ihm in der Ponyschule, die Sarah und ich leiten, ein bisschen Benehmen beizubringen. Was uns bisher leider noch überhaupt nicht gelungen ist.
Hier mal ein paar Dinge, die Flex so anstellt, um auf der Koppel nicht eingefangen zu werden:
„Er ist einfach schneller als wir“, sagte Sarah entmutigt und ließ sich ins Gras fallen.
„Und schlauer“, ergänzte ich.
Das stimmte. Die meisten unserer Ponys und Pferde kann man gut von der Koppel holen, indem man sie mit Gesten einlädt, einem zu folgen. Nicht so bei Flex. Der denkt gar nicht daran, mitzukommen, wenn er keine Lust hat. Er bequemt sich nur von der Koppel, wenn er das selbst will. Und meist will er das, wenn kein Mensch in der Nähe ist. Wie er es immer wieder schafft, abends oder nachts auszubrechen, weiß keiner von uns. Bis jetzt haben wir ihn noch nicht einmal dabei erwischt.
Ich sah von Sarah hinüber zu Flex, der uns beobachtete. „Okay, hier ist der Plan. Wir holen jetzt Dr. Paul zu Hilfe.“ Dr. Paul ist mein supergeniales, weltbestes und allerliebstes Pony. Er hat ein ganz freundliches Gesicht, freche, dunkle Augen, und sein Haarschopf ist genau richtig dick und wuschelig, um perfekt sein Gesicht darin zu vergraben. Ich bin mit ihm aufgewachsen, und wir sind auf den Tag genau gleich alt. Mit Dr. Paul kann ich alles machen. Er läuft oft frei auf dem Hof herum und ist ein echtes Familienmitglied. Immer, wenn ich nicht weiterweiß, wende ich mich an ihn.
„Du versteckst dich hinter der großen Eiche“, schlug ich Sarah vor. „Und währenddessen füttere ich Paulchen direkt davor mit Mohrrüben. Da kann Flex bestimmt nicht widerstehen. Er ist ein echter Futterneider. Sobald er sich nähert, kommst du aus deinem Versteck und wirfst ihm den Halfterstrick über den Hals.“
Sarah nickte, ihre blauen Augen unter den wilden Locken blitzten. „Okay“, sagte sie. „Das klingt nach einem guten Plan.“
Zehn Minuten später hatten wir Aufstellung genommen. Ich hielt Dr. Paul die Möhren hin, die er begeistert, aber sehr vorsichtig aus meiner Hand nahm. Paulchen ist ein höfliches Pony.
Wie erwartet wurde Flex auf uns aufmerksam und näherte sich im leichten Trab. Futter interessierte ihn sehr. Ob er Sarah hinter dem Baum bemerkt hatte? Ich hoffte nicht.
„Wenn du auch eine haben willst, musst du dich schon zu uns gesellen“, sagte ich zu ihm.
Er zögerte sichtlich, aber die Möhren sahen wohl zu verlockend aus. Vorsichtig schritt er auf mich zu. Ich hielt ihm eine Möhre hin. Flex streckte seinen Hals, aber es reichte nicht. „Noch näher“, lockte ich ihn.
Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie Sarah den Halfterstrick bereithielt. Dann geschah alles gleichzeitig.
„Jetzt!“, rief ich ihr zu.
Sarah trat hinter dem Baum hervor, genau in dem Moment, als Flex’ Nüstern meine Hand erreichten. Doch statt die Möhre zu fressen, stieß er gezielt gegen meine Finger, sodass ich die leckere Beute unwillkürlich fallen ließ. Er schnappte sie sich noch in der Luft und flüchtete, während Sarah, die gerade den Strick um seinen Hals schlingen wollte, vor Schreck auf den Boden plumpste.
„Du Satansbraten!“, schrien Sarah und ich wie aus einem Mund. Dr. Paul musterte uns verdutzt, und vom Koppeltor her ertönte ein Klatschen.
Ich stöhnte auf.
Wir hatten Zuschauer! Auch das noch. Wie peinlich. Da nannten Sarah und ich uns seit ein paar Wochen Ponyschullehrerinnen, weil Mama uns die Aufgabe übertragen hatte, die jungen Ponys des Winter-Gestüts mit auszubilden – und dann diese Blamage!
Aber als ich sah, wer dort stand und über das ganze braungebrannte Gesicht grinste, vergaß ich schlagartig unseren Ärger mit Flex. Denn es war niemand anders als meine beste Freundin Charly!
„Charly!“, schrie ich vor Freude. „Du bist endlich aus den Ferien wieder da!“ Ich zerrte Sarah mit in Richtung Zaun.
Charly, kurz für Charlotte, war mit ihren Eltern vier lange Wochen auf Sylt gewesen, und ich hatte sie unglaublich vermisst. Auf dem Winter-Gestüt war in der Zwischenzeit so viel passiert! Sie wusste nichts von der Ponyschule und kannte auch Sarah noch nicht, die mit ihrer Mutter Andrea erst seit kurzer Zeit bei uns auf dem Hof lebte.
Endlich erreichten wir das Mädchen in sonnengelbem Shirt und weißen Shorts, das am Koppeltor auf uns wartete. Ich kletterte durch den Zaun und fiel Charly um den Hals. „Es ist so toll, dass du wieder da bist! Ich hab dir ganz viel zu erzählen!“, jubelte ich.
Sarah trat schüchtern neben uns. „Hallo, ich bin Sarah“, sagte sie leise.
Charly lächelte ihr warm entgegen. „Hey Sarah“, sagte sie. „Schön, dich kennenzulernen.“
Sarah sah sie erleichtert an und lächelte zurück. Ich wusste haargenau, wie sie sich jetzt fühlte: Charly machte es einem leicht.
Wir beide haben uns am ersten Schultag kennengelernt. Alle aus unserer Klasse mussten sich damals in einen Stuhlkreis setzen und sich vorstellen. Ich weiß nicht, ob ihr so etwas mögt – aber ich finde das immer schrecklich! Alle sehen einen an und hören ganz genau darauf, ob man etwas Falsches sagt.
Als unsere Lehrerin fragte, wer anfangen wollte, meldete sich Charly. Sie sagte: „Ich bin Charly, und ich finde, jeder sollte jetzt einen Witz erzählen.“
Sie ging mit gutem Beispiel voran, und als ich dran war, lachten alle schon so laut, dass die Vorstellungsrunde gar nicht mehr schlimm war. An dem Tag beschloss ich, dass Charly meine Freundin werden sollte, und so kam es tatsächlich. Und heute, vier Jahre später, ist sie das immer noch.
„Was habt ihr denn eben mit dem Pony am Baum gemacht?“, erkundigte sich Charly neugierig. „Wie es sich die Möhre aus der Luft geschnappt hat, das sah fast aus wie ein Zirkustrick.“
Charly liebt wie ich alle Tiere, vor allem Pferde und Ponys. Das Blöde ist nur: Obwohl sie oft bei uns auf dem Gestüt ist, erlauben ihre Eltern ihr nicht zu reiten. Sie sagen, es sei zu gefährlich. Wer’s glaubt! Charly tut mir deswegen wirklich leid, aber wir konnten ihre Eltern bis jetzt nicht überreden, dass sie Unterricht nehmen darf.
„Das war leider das Gegenteil von einem Zirkustrick“, erklärte ich ihr, während sie immer noch unseren Satansbraten betrachtete, der jetzt bei Dr. Paul stand und zufrieden graste. „Wir wollten eigentlich Flex einfangen.“
„Flex – ist das nicht der Ponyherdenführer von der Süderweide?“, fragte Charly mit leuchtenden Augen.
„Hm“, sagte ich. „Ich würde eher sagen: der Ponyausbrechkönig von der Süderweide.“ Ich tauschte einen Blick mit Sarah. „Ich fürchte, wir müssen Eugen zur Hilfe holen.“
Sarah verzog das Gesicht. Sie dachte offenbar das Gleiche wie ich. „Der wird sich kaputtlachen, dass wir nicht allein klarkommen“, jammerte sie. „Aber es hilft ja nichts. Gehen wir ihn holen.“
„Wartest du kurz hier auf uns?“, bat ich Charly. Sie nickte und stellte sich ans Tor. „Wir sind gleich wieder da!“
Sarah und ich waren auf halbem Weg zu unserem Hof, als wir einen Ruf hinter uns hörten. „Mo?“
Ich drehte mich um. Es war Charly, die mich zurückwinkte, und ich traute meinen Augen nicht. Sie stand noch immer am Tor, aber sie war nicht länger allein. Direkt vor ihr hatte sich Flex aufgebaut und grunzte genüsslich, als sie seine Nüstern streichelte.
„Ich glaub es nicht“, flüsterte ich. Auch Sarah war verblüfft.
„Kannst du ihn an der Mähne festhalten?“, rief ich zu Charly hinüber.
Meine Freundin sah mich unsicher an. „Ich kann es ja mal versuchen.“
Vorsichtig näherten wir uns wieder der Weide, und wir kamen aus dem Staunen gar nicht mehr heraus: Flex rührte sich nicht von der Stelle, sondern tat so, als wäre er das bravste Pony der Welt. Unschuldig blickte er uns entgegen und ließ sich schließlich gehorsam von Sarah das Halfter anlegen. „War irgendwas?“, schien er zu sagen.
Charly lachte. „Für mich sieht er eigentlich ganz brav aus“, sagte sie und streichelte ihn noch einmal.
Ich warf Sarah einen verzweifelten Blick zu.
„Das täuscht“, sagte ich schließlich. „Am besten bringen wir ihn schnell zur Ponyschule, bevor er es sich noch anders überlegt. Du kommst doch mit, oder Charly?“
Meine Freundin grinste breit. „Au ja“, sagte sie. „Das lasse ich mir doch nicht entgehen!“
Jetzt musste auch ich grinsen. „Super! Und danach können wir zusammen quatschen, ja? Du musst mir alles von Sylt erzählen!“
das wir mit lauter süßen Katzenbabys verbringen
Charly machte es sich mit unserer Riesendogge Dober neben dem Reitplatz der Ponyschule bequem. Der Hund hatte sich in der Sonne ausgebreitet und genoss es, dass Charly ihn hinter den Ohren kraulte. Dober vermisste Dexter, unseren frechen Dackel, der mit meinem Bruder Ben für zwei Wochen meine Schwester Inja besuchte. Aber Charly als Ersatz war vielleicht noch besser.
Währenddessen kümmerten Sarah und ich uns um unsere Zöglinge in der Ponyschule. Neben Flex unterrichteten wir noch ein anderes junges Pony. Der kleine braune Torpedo ist genauso alt wie Flex, benimmt sich aber viel erwachsener. In dieser Stunde übten wir mit ihm, über Hindernisstangen zu traben, eine seiner Lieblingsbeschäftigungen.
Flex dagegen machte beim Longieren all die lustigen Faxen, die wir schon von ihm kannten. Einmal sprang er sogar über die Longe, als wollte er sagen: „Seht her, was ich alles kann.“
Aber immerhin meint er den Quatsch nicht böse, wie meine Mutter sagte, als sie über den Hof kam, um nach uns zu sehen. „Er ist einfach ein sehr schlaues Pony“, erklärte sie, nachdem sie Charly begrüßt hatte. „“