QUELLE DES LEBENS:
WIE SIE WIRKEN UND HELFEN
KAPITEL 1
Quelle des Lebens: Enzyme
Was sind Enzyme?
Gesucht: Ganz besondere Proteine
Enzyme steuern den Stoffwechsel
Alles Leben ist verwandt
Der Bauplan des Lebens
Die Wunderwelt der Enzyme
Enzyme im Alltag
Enzyme unter die Lupe genommen
Wo kommen die Enzyme her?
KAPITEL 2
Die Geschichte der Enzymtherapie
Enzymtherapie: Eine uralte Erfahrung
Enzyme sind schon in der Bibel erwähnt
Altes Wissen – moderne Indikationen
KAPITEL 3
Die Entwicklung der modernen Enzymtherapie
Das Pepsin wird entdeckt
Enzyme in der modernen Medizin
Max Wolf – Ein Leben für die Enzymtherapie
Genie trifft auf Genies
Enzyme für die Reichen und die Schönen
Injiziere dein verdammtes Zeug!
Enzyme für alle
100 Jahre alt werden
KAPITEL 4
Enzymkombinationen: Warum sie so viel können
Enzyme regulieren die Tätigkeit des Immunsystems
Enzyme unterstützen das Reparatursystem des Körpers
Enzyme: Ihre Hauptwirkungsorte im Körper
Verdauung: Wie aus dem Außen ein Innen wird
Enzymfabrik Bauchspeicheldrüse
Gewinnung von Energie, Aufbau neuen Gewebes
Stirb und werde
KAPITEL 5
Die besonderen Eigenschaften der Enzyme
Enzyme sind Spezialisten
Enzyme sind Biokatalysatoren
Enge Kooperation und Kontrolle
Wichtige Helfer: Die Co-Enzyme
Temperatur und pH-Wert
Enzyme und unsere Gesundheit
Enzyme helfen bei Entzündungen
Was passiert bei einer Entzündung?
Störungen der Entzündungsreaktion
Enzyme bei Erkrankungen der Gelenke
Ohne Gelenke keine Beweglichkeit
Was passiert bei einer Arthrose?
Arthrose und Arthritis
Wie Enzyme bei rheumatischen Erkrankungen helfen
Enzyme bei Sport- und anderen Verletzungen
Enzyme bringen Sportverletzungen schnell zum Abklingen
Die Wirkung ist bewiesen
Was tun bei einer stumpfen Verletzung?
Muskelkater vorbeugen
Enzyme bei offenen Wunden
Enzyme bei Knochenbrüchen
Enzyme bei Operationen
Enzyme bei Erkrankungen der Gefäße
Wie Enzyme bei der Behandlung von Venenleiden helfen
Alarmstufe Rot: Thrombose, Embolie, Infarkt
Arterielle Verschlusskrankheit und Raucherbein
Vorbeugen ist besser als Heilen
Erkrankungen der Atemwege
Enzyme – Allheilmittel bei jeder Entzündung?
KAPITEL 6
Das Immunsystem: Schutz vor inneren und äußeren Feinden
Fremd von nicht fremd unterscheiden
Bakterien, Viren, Immunkomplexe: Die Gegner werden vorgestellt
Nobody is perfect
Das Abwehrarsenal: Zellen, Botenstoffe, Flüssigkeiten
Angeboren und erlernt
Das angeborene, unspezifische Immunsystem
Das Komplementsystem: Enzyme machen die Arbeit
Störungen des Komplementsystems
Die spezifische Abwehr: Das Gedächtnis des Immunsystems
Antikörper: Maßgeschneiderte Fangarme
T-Lymphozyten: Spezialisten der Abwehr
Die Bedeutung der Makrophagen
Herpesinfektionen und Gürtelrose
Was sind Herpes-Viren?
Gürtelrose: Spätfolge der Windpocken
Die Plage der Postzoster-Schmerzen
Die Grenzen der schulmedizinischen Behandlung der Gürtelrose
Enzymtherapie bei Gürtelrose
Herpes-Viren: Was kann man selbst tun?
Autoimmunerkrankungen
Kreuzreaktivität gegen Körpergewebe
Immunkomplexe: Unangenehme Riesen
Erhöhte Spiegel an Immunkomplexen/Immunkomplexerkrankungen
Enzyme spalten Immunkomplexe und bremsen autoreaktive T-Zellen
Rheumatoide Arthritis (RA)
Multiple Sklerose
KAPITEL 7
Enzyme in der Krebstherapie
Krebs ist eine lebenslange Erkrankung
Krebs und Immunsystem
Enzyme: Wertvolle Helfer bei der Therapie von Krebserkrankungen
Enzyme lindern die Folgen von Chemo- und Strahlentherapie sowie von Operationen
Enzyme verlängern die Überlebenszeit
Warum wirken Enzyme lebensverlängernd?
Anwendung von Enzymen zur begleitenden Krebstherapie
Langfristige Folgeschäden von Krebs vermeiden
KAPITEL 8
Enzyme: wirksam und sicher
Warum werden oral eingenommene Enzyme nicht verdaut?
Welche Nebenwirkungen haben Enzympräparate?
Wer sollte Enzymtabletten nicht einnehmen?
Können auch Kinder Enzyme einnehmen?
Was tun bei einer Überdosierung?
Warum ist es sinnvoll, verschiedene Enzyme (Kombinationen) zu nehmen?
Enzyme für Tiere
KAPITEL 9
Enzyme: Wirkstoffe der Zukunft
Enzyme beugen Erkrankungen vor
Der Gesunde wird nicht krank
Enzyme und Ernährung
Enzyme verlängern das Leben
Warum altern wir überhaupt?
Das Altern liegt in unserer Hand
Wie werden wir »junge Alte«?
ANHANG
Glossar
Impressum
Abbildungsverzeichnis
Wenn wir uns fragen, was Enzyme und ihre Aufgaben im menschlichen Körper und in jedem lebendigen Organismus sind, so führt uns dies direkt zu der Frage, was Leben ist. Denn keine andere Substanz ist so eng wie die Enzyme mit den Prozessen verbunden, die das Leben ausmachen. Enzyme steuern Wachstum, Veränderung, Tod und Neuentstehung aller 100 000 Milliarden Zellen in unserem Körper. In jeder dieser 100 000 Milliarden Zellen gibt es Hunderte, ja Tausende von verschiedenen Enzymen, die zudem auch von diesen Zellen selbst produziert werden. Und auch diese Produktion wird wiederum von Enzymen gesteuert.
Enzyme gewährleisten, dass unser Körper all seine Aufgaben erfüllen kann: atmen, sich bewegen, Verletzungen selbstständig reparieren, sich ernähren, sich gegen Krankheitserreger und schädliche Substanzen schützen und zur Wehr setzen.
All diese Aufgaben erfüllt unser Körper – im Grunde fast ohne dass wir es bewusst zur Kenntnis nehmen. Erst wenn etwas nicht stimmt, wenn etwa Entzündungen nicht abheilen wollen, die Gelenke andauernd schmerzen und vielleicht sogar Tumoren entstanden sind, wird uns klar, was es bedeutet, wenn es heißt: »Gesundheit ist das höchste Gut.« Und für unsere Gesundheit spielen Enzyme eine entscheidende Rolle. Um zu verstehen, was unsere Gesundheit mit diesen wundersamen Substanzen namens »Enzyme« zu tun hat, müssen wir uns einen Schritt hinaus- oder, besser gesagt, hineinwagen in die wunderbare, geheimnisvolle Welt der Zellen und Gewebe in unserem Körper. Viele der Dinge, die im Folgenden berichtet werden, sind erst seit ein paar Jahrzehnten bekannt. Die Wissenschaft hat Großes entdeckt – trotzdem wirft jede beantwortete Frage mindestens zwei neue Fragen auf. In einigen Jahren wird dieses Buch sicherlich um neue Erkenntnisse erweitert werden müssen.
Die Forschung zur wissenschaftlichen Aufklärung der Enzyme ist noch relativ jung. Es gibt Enzyme zwar bereits seit ca. 3,5 Milliarden Jahren und seit ca. 8000 Jahren werden sie von Menschen (ohne etwas über die Hintergründe zu wissen) gezielt eingesetzt, nämlich etwa bei der Gärung von Alkohol, dem Gerben von Leder und der Produktion von Käse. In der »modernen« westlichen Medizin wiederum begann man erst vor nicht einmal 200 Jahren, sich der Heilkraft der Enzyme allmählich zu bemächtigen. Naturvölker, vor allem die, die mit besonders enzymreichen Pflanzen wie der Ananas und der Papaya gesegnet waren, verwenden Enzyme allerdings seit Urzeiten auch zu Heilzwecken. (Dazu mehr ab Seite 19.)
Heute kann man – etwa in einem Lexikon – unter dem Stichwort »Enzyme« lesen, es handele sich um Eiweißmoleküle oder auch Proteine, die von lebenden Zellen produziert werden und biochemische Reaktionen im Körper, aber auch außerhalb des Körpers steuern.
Man vermutet, dass es im Organismus des Menschen etwa 15 000 verschiedene Enzyme gibt (manche Autoren sprechen auch von 30 000), von denen aber erst etwa 3000 überhaupt näher erforscht sind.
Aber: Was sind denn nun eigent-lich Eiweiße oder Proteine? Jeder Mensch, so scheint es, weiß doch, was Proteine sind: Eiweiß, Fleisch, Quark – aber auch Soja, wie es überhaupt viele pflanzliche Proteine gibt. Das ist alles gar nicht falsch.
Woraus aber bestehen Proteine? Liegen sie, ähnlich wie vielleicht Eisen oder Zink oder Sauerstoff, fertig im Fleisch oder der Sojabohne bereit? Wir essen sie und die Zellen bauen daraus unseren Körper auf? Einschließlich Haaren, Knochen und roten Blutkörperchen?
Das nähert sich zwar einem Teil der Wahrheit an, aber nur entfernt. Denn Proteine sind offenkundig ein wichtiger Baustoff in unserem Körper, aber: Die Proteine, von denen hier die Rede ist und die man Enzyme nennt, steuern ja diesen Aufbau- oder Wachstumsprozess. Wie können sie dann gleichzeitig der Baustoff sein? Es ist doch nicht der Zement auch gleichzeitig der Maurer! Enzyme müssen also ganz besondere Proteine sein.
Was ist der Unterschied zwischen »normalen« Proteinen und Enzymen? Das Besondere an den Enzymen ist, dass sie katalytische Eigenschaften haben: Sie können in anderem biologischem Material (Zucker, Fett, Eiweiß) Veränderungen bewirken. Man nimmt heute an, dass es im Organismus kaum eine Proteinart gibt, die – wenn sie nicht als Stütz-, Transport- oder Speichereiweiß dient – nicht die Funktion eines Enzyms hat. So ist beispielsweise im Muskelgewebe, neben den Eiweißmolekülen, die die Muskelfasern bilden und sich aktiv zusammenziehen können, eine hohe Konzentration an Enzymen vorhanden. Diese stellen die Energie für die Muskelarbeit bereit. Auch die Faktoren, welche die Blutgerinnung steuern und regeln, sind Enzyme. An den komplizierten Steuerungsfunktionen des Immunsystems sind ebenfalls ganz wesentlich Enzyme beteiligt.
WO DIE NAMEN HERKOMMEN
Das Wort Enzym stammt aus dem Griechischen: en zyme heißt übersetzt »in der Hefe«. Eine veraltete Bezeichnung für Enzyme ist Ferment (vom lateinischen fermentum = Sauerteig).
Der Name Protein stammt von dem griechischen Wort »proteuein« ab, welches bedeutet »der Erste sein«.
Für die Enzyme gibt es in unserem Körper viel zu tun: In den Zellen findet in jeder Sekunde die nahezu unvorstellbare Zahl von etwa 30-mal 1015 (= 30 Billiarden) chemischen Reaktionen statt, die im Wesentlichen von Enzymen gesteuert werden. Der Körper befindet sich nämlich in einem ständigen Austauschund Erneuerungsprozess. Alte Strukturen werden permanent abgebaut und durch neue ersetzt. Während wir heutzutage eine Lebenserwartung von 80 Jahren haben, lebt jede unserer 100 000 Milliarden Zellen nur wenige Wochen, manche, wie etwa die Blutkörperchen oder Zellen unseres Abwehrsystems, nur wenige Tage, Stunden oder auch nur Minuten. Es handelt sich um einen gewaltigen, permanenten Wachstums- und v. a. auch »Reparatur«-Vorgang, welcher Energie und Substanz benötigt. Tatsächlich verwendet unser Körper dafür, dass wir uns bewegen, nur den geringsten Teil der aufgenommenen Kalorien, nämlich – je nachdem, ob wir vor allem den ganzen Tag herumsitzen oder unsere Muskeln anstrengen – zwischen 10 und 20 %. Der ganze »Rest« ist notwendig, um für die Grundprozesse wie die Atmung, die Verdauung, das Schlagen des Herzens Energie bereit zu stellen. Und vor allem auch für die Abbau- und Aufbauprozesse, die in den Zellen stattfinden. Diese gesamten Abbau-, Umbau- und Aufbauprozesse bezeichnet man als Stoffwechsel.
Und hier sind es die Enzyme, die es schaffen, diesen Stoffwechsel mit einem letztlich sehr geringen Energieverbrauch zu bewerkstelligen. Denn sie sind in der Lage, biochemische Reaktionen extrem zu beschleunigen, ohne dass der Energieverbrauch und die Temperatur entsprechend ansteigen, und ohne dass sich die beteiligten Enzyme bei dieser Reaktion verbrauchen. Vielmehr stehen sie nachher unverändert wieder zur Verfügung, um die nächste Reaktion zu steuern. Deshalb bezeichnet man die Enzyme auch als Katalysatoren, genauer gesagt Biokatalysatoren:
Sie steuern und beschleunigen biochemische Reaktionen (dazu mehr ab Seite 27).
Ohne Enzyme gäbe es auf der Welt kein Leben – weder pflanzliches noch tierisches. Wo kommt aber das Leben her? Wie ist überhaupt das Leben entstanden? Die Frage beschäftigt seit jeher die Theologie wie die Naturwissenschaft. Das in der Bibel verwendete Bild, dass der Mensch aus Staub (bzw. Lehm) gemacht sei, ist gar nicht so falsch. Der Lehmfigur wurde dann der göttliche Atem eingehaucht, auf diese Weise wurde sie zum Leben erweckt. Der eigentliche Schöpfungsakt besteht darin, unbelebte Materie in lebendige Organismen zu verwandeln. Er geschah vor ungefähr 3,5 Milliarden Jahren.
Vor Milliarden von Jahren, kurz nach dem Urknall, war unsere heutige Erde ein wüstes, brodelndes Etwas. Sie war fast vollständig von Meeren bedeckt, die aber beileibe nicht mit den heutigen Ozeanen verglichen werden können. Vielmehr waren in diesem »Urmeer« alle auch heute noch auf der Erde vorkommenden chemischen Elemente gelöst. Man spricht deshalb auch von der »Ursuppe«. Die in der Ursuppe schwimmenden Substanzen gingen miteinander chemische Reaktionen ein, es brodelte, knallte und dampfte. Befeuert wurden diese Prozesse von gewaltigen kosmischen Energien, die in Form von Blitzen in das Urgemisch einschlugen.
Im Laufe von Millionen von Jahren bildeten sich dann festere Strukturen heraus in Form von Molekülen und Molekülketten und irgendwann entstand eine vollkommen neue Art von chemischen Verbindungen: das erste Leben! Voraussetzung dafür war wahrscheinlich, dass sich die Temperatur der Ursuppe allmählich auf unter 100 Grad Celsius abkühlte. Dies wurde dadurch möglich, dass sich in der Atmosphäre Wolken bildeten, die die Einstrahlung der Sonne abschirmten.
Der Bauplan des Lebens – sei es der von Pflanzen, Bakterien, Tieren oder Mensch – ist von genialer Einfachheit. Organische Materie besteht zu 99 % nur aus den vier Elementen Stickstoff (N), Kohlenstoff (C), Wasserstoff (H) und Sauerstoff (O). Ihr Grundgerüst bilden Kohlenstoffatome. Diese lagern sich zu ganz unterschiedlichen räumlichen Strukturen zusammen, sie bilden Ketten, Ringe und Gitter. An diese Kohlenstoffgerüste docken sich dann in schier unendlicher Kombinationsmöglichkeit Stickstoff-, Wasserstoff-, Sauerstoff- und weitere Kohlenstoffatome an. Die Biomoleküle verbinden sich untereinander zu Zellen, Zellverbänden, Geweben und Organen. Man kann vier Grundarten von Biomolekülen unterscheiden, die bei allen Lebewesen vorkommen:
Nukleinsäuren bauen die Erbinformationen auf, ohne die sich Zellen nicht vermehren könnten.
Aus den Aminosäuren entstehen die Protein- bzw. Eiweißverbindungen,
Zucker bauen die Kohlenhydrate auf und
Fettsäuren die Fette.
Die ersten lebendigen Wesen waren winzig kleine, einzellige Organismen, die sich – im Unterschied zur unbelebten Materie – von der Umwelt zum Teil selbstständig machten, indem sie es schafften, Sauerstoff sowie Proteine, Zucker und Fette (= Nahrung) aufzunehmen und diese durch eigene biochemische Prozesse so zu verändern, dass sie zu Bausteinen für ein geregeltes Zellwachstum und die Fortpflanzung wurden. Dazu konnte es u. a. kommen, weil sich spezialisierte Eiweißmoleküle gebildet hatten, die diesen Stoffwechsel und diese Lebensprozesse so steuern konnten, dass es – salopp gesprochen – den Einzeller weder in einer unkontrollierten chemischen Reaktion zerfetzte (wie etwa bei einem Popcorn) noch dass er verhungerte.
SPEZIALISTEN
Die ersten dieser spezialisierten organischen Verbindungen, die dieses Kunstwerk vollbringen konnten und damit die Grundlage der Entstehung und Aufrechterhaltung des Lebens bildeten und heute noch bilden, entstanden vor zirka 3,5 Milliarden Jahren: Es sind die Eiweißverbindungen, die man seit dem Jahre 1876 Enzyme nennt.
Aus den ersten Einzellern entwickelten sich alle höheren Lebensformen; vereinfacht gesagt dadurch, dass sich die Zellen immer weiter differenzierten und spezialisierten. Der menschliche Organismus besteht aus der unvorstellbar großen Zahl von 100 Billionen Zellen – eine Zahl mit 12 Nullen. Alle diese 100 Billionen Zellen sind in der Entwicklung jedes einzelnen Menschen aus einer einzigen Eizelle entstanden. Insofern wiederholt sich bei Wachstum und Reifung jedes einzelnen Individuums der gesamte Prozess der Evolution von Neuem.
Enzyme begegnen uns überall in unserem Alltag und in der Natur. Hätten Sie gewusst, dass ohne Enzyme die Natur allmählich ersticken würde? Mehr als 90 Prozent der auf der Erde abgestorbenen Pflanzen, abgeworfenen Blätter wie auch Lebewesen werden von einer Vielzahl von Bakterien, im Boden lebenden Insekten, Würmern und Pilzen abgebaut.
ENZYME: VORLÄUFIGER STECKBRIEF
Geburt: vor etwa 3,5 Milliarden Jahren
Gezielte Verwendung durch den Menschen: ab ungefähr 8000 vor Christus
Entdeckung für die Medizin: 1833
Taufe auf den Namen Enzym: 1876
Die wichtigste Rolle spielen dabei die kleinsten unter ihnen: Bakterien und Pilze. Sie ernähren sich dadurch, dass sie das organische Material durch die Ausscheidung von Verdauungsenzymen vorverdauen, um dann die verflüssigten Bestandteile direkt über ihre Zelloberflächen aufzunehmen. Nach dem Verdauungsprozess geben sie einfache organische und anorganische Verbindungen an den Boden zurück, von wo aus sie von den Pflanzen wieder als Nährstoffe aufgenommen werden können. Ohne diese Enzyme der Bakterien und Pilze würden unsere Wälder alsbald unter ihren eigenen abgeworfenen Blättern ersticken.
Das für die »Biolumineszenz« verantwortliche Enzym nennt man Luciferase. An dieses Enzym ist eine Leuchtsubstanz als Substrat gebunden – das Luciferin –, welches durch einen Oxidationsvorgang aktiviert wird. Hierbei wird ein Lichtteilchen ausgestoßen, welches den Leuchtvorgang auslöst. Das Leuchten mancher Tiere ist auf (harmlose) Bakterien zurückzuführen, die mit ihrem Wirt in Symbiose leben und Luciferin umwandeln. Andere Tiere wie Leuchtkäfer, Süßwasserschnecken und Muschelkrebse besitzen ein eigenes Leuchtsystem. Auch verschiedene Meeresalgen sind Träger des Leuchtenzyms und für das berühmte Meeresleuchten verantwortlich.
Forschern von der Uni Frankfurt ist es gelungen, aus den Nervenzellen des Tintenfisches Loligo vulgaris ein Gegenmittel gegen chemische Kampfstoffe zu isolieren. Es handelt sich um ein Enzym, welches Gifte vom Typ der sogenannten Organophosphonate abbauen kann.
Ein Beispiel dafür ist das Sarin, ein Nervengas, das 1995 bei dem Anschlag auf die U-Bahn in Tokio eingesetzt wurde. Die giftigen Phosphorverbindungen hemmen bestimmte Aminosäuren im aktiven Zentrum von Enzymen, so z. B. im für die Nervenleitung unverzichtbaren Enzym Acetylcholinesterase. Die Forscher tauften das Tintenfisch-Enzym auf den komplizierten Namen Diisopropylfluorophosphatase, abgekürzt DFPase. Die DFPase spaltet das Nervengift in unschädliche Teile auf. Das Enzym ist so aktiv, dass der Tintenfisch im Vergleich zu anderen Organismen sehr große Mengen Nervengift verträgt, ohne geschädigt zu werden.
Ohne etwas über ihre Fähigkeiten zu wissen, setzten die Menschen Enzyme schon lange vor der modernen Zeitrechnung bei der Herstellung von Käse, Brot, Bier und Wein ein. Seit es die moderne Biotechnologie ermöglicht, Enzyme aus Zellen zu isolieren, sind sie weit verbreitete Hilfsmittel in der Medizin, Biologie, Chemie, aber auch bei der Herstellung von Medikamenten, Lebensmitteln und Waschpulver. Insbesondere die moderne Gentechnik wäre ohne den Einsatz von Enzymen gar nicht denkbar.
So wird zum Beispiel das Insulin, welches für Diabetiker lebenswichtig ist, mithilfe von Enzymen hergestellt. Es wird aus den Bauchspeicheldrüsen von Rindern oder Schweinen gewonnen oder auch von gentechnisch veränderten Mikroorganismen produziert. Enzyme haben hier die Aufgabe, das Insulin zu reinigen, sodass es nicht vom Körper abgestoßen wird. So unterscheidet sich das Schweine-Insulin vom menschlichen Insulin nur durch eine einzige Aminosäure – dieser winzige Unterschied reicht aber bereits aus, um seine Verträglichkeit für den Menschen zu stören. Durch einen gezielten Spaltvorgang trennen eiweißauflösende Enzyme diese Aminosäure ab.
Das unter die Haut gespritzte Insulin wirkt genauso wie das von der Bauchspeicheldrüse hergestellte menschliche Hormon. Es wird in die Blutbahn aufgenommen und schleust den Blutzucker von dort in die Körperzellen. Die Blutzuckerkonzentration, die bei Diabetikern gefährlich hoch werden kann, sinkt ab, der Körper wird wieder mit Glukose versorgt.
Für die Gentechnik sind Enzyme unverzichtbare Werkzeuge. Sie werden benötigt, um die DNS, die die Erbinformation trägt, zu schneiden, zusammenzufügen, ab-, auf- und umzubauen, zu isolieren und zu identifizieren. Dabei werden gerade an diese Enzyme sehr hohe Anforderungen hinsichtlich ihrer Reinheit gestellt. Deshalb gehörten sie zu den ersten Produkten überhaupt, die biotechnisch hergestellt wurden. Denn durch die Verbindung gentechnischer Methoden und biotechnischer Verfahren können Enzyme in großen Mengen und herausragender Reinheit zur Verfügung gestellt werden. Viele Methoden der modernen Biotechnologie sind heute nur deswegen anwendbar, weil die dafür notwendigen Enzyme gentechnisch sehr sauber hergestellt werden können.
Auf dem Gebiet der Tierzucht ist zum Beispiel die Phytase zu nennen, ein Enzym, das Phosphat aus pflanzlichen Quellen verfügbar macht. Dieses Enzym kommt in den Mägen von Rindern vor, nicht aber bei Schweinen oder Hühnern. Diese Tiere können daher pflanzliches Phosphat schlecht aufnehmen und verwerten; deshalb hat man früher dem Futter Phosphat zugesetzt, um ein gutes Wachstum der Tiere zu erreichen. Die gentechnische Herstellung der Phytase durch die Klonierung des Gens in dem Pilz Aspergillus niger ermöglicht es, die Phytase dem Futter beizumischen, um das pflanzliche Phosphat für die Tiere besser verfügbar zu machen. Dadurch wird nicht zuletzt die Belastung der Umwelt mit von den Nutztieren ausgeschiedenem Phosphat erheblich reduziert.
Ein weiteres Beispiel ist das Enzym Chymosin, das bei der Käseherstellung eine wichtige Rolle spielt. Es wurde früher aus dem Lab in Kälbermägen gewonnen. Als die Nachfrage nach Käse immer größer wurde, befürchtete man schon Produktionsengpässe. Heute wird Chymosin mithilfe eines gentechnisch veränderten Hefepilzes produziert und steht in nahezu unbegrenzter Menge und größerer Reinheit zur Verfügung.
LEBENSMITTEL |
ENZYM |
WIRKUNGSWEISE |
Fruchtsäfte |
Xylanase |
Knackt Zellwände auf, dadurch größere Saftausbeute und Klärung von Fruchtsäften. |
Amylase |
Baut Trübstoffe ab. |
|
Backwaren |
Hemicellulase, Amylase, Xylanase |
Bauen Pflanzenfasern ab und verbessern so die Beschaffenheit des Teiges. |
Eiprodukte |
Glukoseoxydase, Katalase |
Baut Wasserstoffperoxid ab, verlängert dadurch die Haltbarkeit und beugt Verfärbungen vor. |
Süßwaren |
Invertase |
Spaltet Zucker und verhindert dadurch, dass Füllungen (z. B. in Pralinen) hart werden. |
Fleischverarbeitung |
Protease |
Spaltet Eiweißverbindungen und macht das Fleisch zarter und aromatischer. Wird auch zur Abtrennung des Fleisches von Knochen benutzt (Separatorenfleisch). |
Ein großer Markt für die sogenannten technischen Enzyme – an deren Reinheit weniger hohe Anforderungen gestellt werden müssen – ist heute der Waschmittelbereich. Hier kommen vor allem Lipasen und Proteasen zum Einsatz.
Lipasen können Fette spalten, Proteasen bauen Eiweiße ab. Dies sind höchst praktische Fähigkeiten, wenn es darum geht, hartnäckige Flecken aus der Wäsche zu entfernen. Musste man früher Wäsche kochen und bleichen, bei entsprechender Belastung der Umwelt, so ermöglicht es heute der Einsatz von Enzymen, schon bei 40 oder 60 Grad Waschtemperatur und mit weniger Waschpulver eine optimale Sauberkeit zu erreichen. Bei der Lebensmittelproduktion werden Enzyme für eine Vielzahl von Zwecken eingesetzt; die Tabelle auf Seite 14 zeigt nur einen kleinen Ausschnitt.
Es soll hier nicht verschwiegen werden, dass der weit verbreitete Einsatz von Enzymen gerade in der Lebensmittelindustrie nicht unproblematisch ist. Zwar werden die Enzyme, die sehr hitzeempfindlich sind, bei der Herstellung zerstört. Trotzdem befürchtet man, dass sie Allergien auslösen können und möglicherweise – denn Enzyme sind ja höchst potente Moleküle – noch unbekannte, schädliche Wechselwirkungen mit den körpereigenen Enzymen eingehen. Kritiker wünschen sich hier stärkere Kontrollen und eine Deklarationspflicht für Enzyme auf der Verpackung.
Enzyme sind Eiweißstoffe oder Proteine, die aus langen Ketten von Aminosäuren aufgebaut sind. Manchmal sind es über tausend solcher Aminosäuren, die hintereinander gereiht sind. Dabei gibt es im menschlichen Körper nur 20 verschiedene Aminosäuren, aus denen letztlich alle Proteine zusammengebaut sind – aber diese Zahl reicht völlig aus, um alle Lebensformen hervorzubringen. Man schätzt, wie schon gesagt, dass in unserem Organismus ungefähr 15 000 verschiedene Enzyme arbeiten (manche Autoren sprechen auch von bis zu 50 000). Sie unterscheiden sich voneinander »lediglich« durch die Abfolge der Aminosäuren. Diese Abfolge ist allerdings entscheidend dafür, welche äußere Gestalt ein Enzym annimmt. Denn die chemischen Elemente, aus denen die Aminosäuren bestehen (im Wesentlichen sind dies Sauerstoff (O), Wasserstoff (H), Kohlenstoff (C) und Stickstoff (N)), üben aufeinander Anziehungskräfte aus, die dazu führen, dass sich die langen Aminosäurenketten kräuseln und verknäulen. Es bilden sich zwischen einzelnen Aminosäuren quasi Brücken aus (sogenannte Peptidbrücken); diese verleihen dem Protein letztlich seine feste Struktur. Unter einem sehr hoch auflösenden Mikroskop sehen Enzyme deshalb aus wie unordentlich und lose aufgewickelte Wollknäuel.
Sie haben eine sehr zerklüftete Oberfläche und weisen höhlenförmige Einbuchtungen auf. Was auf den ersten Blick wie ein zufälliges Durcheinander wirkt, hat jedoch in höchstem Maße System. Denn jede gleiche Aminosäurenkette verknäult sich in identischer Weise. Jedes Enzym gleicher Bauart nimmt deshalb die gleiche Form oder Struktur an; jede andere Aminosäurenreihenfolge führt zu einer spezifisch anderen Struktur mit typischen anderen Einbuchtungen und Höhlen. Dies ist extrem wichtig dafür, wie die Enzyme funktionieren, denn es sind diese räumlichen Strukturen, die festlegen, was ein Enzym macht. Eines sei hier schon angemerkt (wir werden später aber noch einmal näher darauf eingehen): Wenn Sie sich vorstellen, dass man 20 verschiedene Bausteine Hunderte oder Tausende von Malen kombiniert, so kommt es natürlich vor, dass bei verschiedenen Enzymen durchaus Gemeinsamkeiten da sind. Nämlich in Form von (nahezu) identischen Abschnitten der Ketten, wodurch in der räumlichen Struktur baugleiche Elemente entstehen.
Enzyme werden fortlaufend in der lebenden Zelle gebildet. Dieser Produktionsprozess gehört zum genetischen Bauplan der Zellen. Die Lebensdauer der Enzyme ist jedoch begrenzt. Manche Enzyme bleiben nur ungefähr 20 Minuten voll funktionsfähig und müssen danach bereits von neu produzierten »Kollegen« ersetzt werden. Andere Enzyme bleiben mehrere Wochen und Monate aktiv, bis auch sie in den »Ruhestand« treten und ersetzt werden müssen. Dieser Ersetzungs- oder Neubildungsprozess wird ebenfalls von Enzymen gesteuert – woraus man auch ersehen kann, dass die Enzyme untereinander in Verbindung stehen und miteinander »kommunizieren«.
Diese Verbindung ist auch deshalb wichtig, weil die meisten organischen Reaktionen nicht durch ein Enzym alleine, sondern durch die Zusammenarbeit mehrerer verschiedener Enzyme gesteuert werden. Diese arbeiten oft – wie verschiedene Zündstufen beim Start einer Mondrakete – in hintereinander