Katharina Martin studierte Germanistik und Anglistik und arbeitete einige Jahre als Journalistin bei verschiedenen Tageszeitungen, Radiosendern und Fachmagazinen. Ihre wahre Leidenschaft galt aber schon immer den Büchern, deshalb gab sie ihren Redakteursjob irgendwann auf und machte das Romaneschreiben zu ihrem Beruf. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren Kindern in Westfalen.
Angela Glökler wurde im süddeutschen Rastatt geboren. Ihr Studium der Illustration führte sie nach Hamburg. Dem Norden ist sie bis heute treu geblieben: In einem schönen Hamburger Altbau mit besonders hübschem Prinzessinenbalkon und vielen kreativen Kollegen zaubert sie Bilder für große und kleine Kinder.
Bio, Deutsch und Zauberei
Mit Bildern von Angela Glökler
Originalausgabe
Vollständige eBook-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Boje in der Bastei Lübbe AG
Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Covergestaltung: Thomas Krämer unter Verwendung einer Illustration von Angela Glökler
eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf
ISBN 978-3-7517-0203-4
www.luebbe.de/boje
Sophie ging schon zwei Wochen auf die Aurora-Fanning-Gesamtschule, als es endlich passierte. Es war an einem Dienstag kurz vor der sechsten Stunde, und sie hätte es beinahe verpasst, weil sie in ihrer Schultasche nach dem Biologie-Buch suchte.
»Sophie!« Ihre Tischnachbarin Fenja krallte die Hand in ihren Arm und riss erschrocken daran. »Guck doch, da vorne! Da zaubert jemand!«
Sofort hob Sophie den Kopf und blickte sich im Klassenraum der 5b um. Doch sie konnte absolut nichts Ungewöhnliches entdecken. Die Tafel stand noch da, wo sie immer stand, und alles wirkte ganz normal. Es roch auch nicht nach Schwefel oder wenigstens ein bisschen angebrannt.
Sophie war nämlich sicher, dass beim Zaubern ein merkwürdiger Geruch entstand. Man hörte da ja die wildesten Dinge. Rauch, Feuerregen und Blitze sollten angeblich dazugehören. Und Glitzerstaub auch, das hatte zumindest ihre Tante Betty mal behauptet. Von alldem war jedoch weit und breit nichts zu sehen.
»Ich glaube, das hast du dir eingebildet«, sagte sie enttäuscht.
Wollte Fenja sie vielleicht nur ärgern? Schließlich wusste sie, wie sehr Sophie darauf wartete, endlich mal jemanden zaubern zu sehen.
Doch ihre Freundin deutete wieder nach vorn. »Nein, habe ich nicht! Da, guck doch!«
Sophie sah noch mal genauer hin, konnte aber immer noch nichts entdecken. Da war nur die Tafel, auf der noch von der letzten Stunde die Englisch-Hausaufgabe angeschrieben stand. Und das Lehrerpult, auf dem das Klassenbuch … gerade wie von Geisterhand geschoben ein Stück nach rechts rutschte und am Rand des Tisches liegen blieb.
Sophies Kopfhaut prickelte, so wie immer, wenn sie aufgeregt war. »Es hat sich bewegt!«
Fenja nickte. »Und ganz von allein wird es das ja wohl kaum tun.«
Nein, so etwas taten Klassenbücher nicht. Sie lagen auf dem Lehrerpult oder standen reglos in ihrem Fach im Schulsekretariat. Hier musste also auf jeden Fall Magie im Spiel sein.
Na, das wurde aber auch Zeit, dachte Sophie und sah sich neugierig um. Jetzt würde sie endlich erfahren, wer in ihrer Klasse zaubern konnte!
Die meisten ihrer Mitschüler hatten noch nichts bemerkt und taten, was sie immer taten, wenn kein Lehrer im Klassenzimmer war. Sie quatschten, kicherten, bewarfen sich gegenseitig mit Radiergummis und zerknüllten Zetteln, rannten herum oder versuchten verzweifelt, ihre Hausaufgaben für die nächste Stunde noch fertig zu bekommen. Ein paar von ihnen saßen allerdings mit aufgerissenen Augen auf ihren Stühlen und zeigten auf das Klassenbuch, das plötzlich mit einem eleganten Schwung vom Lehrerpult abhob. Die Buchdeckel klappten auf und bewegten sich wie Flügel. Flatternd segelte das Klassenbuch über die Köpfe der Kinder in der ersten Reihe hinweg bis rauf zur Decke. Dort zog es wie ein großer dunkelgrüner Vogel seine Kreise.
»Krass!« Begeistert starrte Sophie nach oben und wunderte sich ein bisschen, dass es nach wie vor weder rauchte noch blitzte. Dafür roch es auf einmal sehr intensiv nach frisch geschnittenem Gras.
»Wer auch immer das macht, soll sofort damit aufhören!« Fenja schüttelte den Kopf, sodass ihr blonder Zopf hin und her wippte. »Während des Unterrichts herrscht strenges Zauberverbot, das hat Frau Thomas ja wohl ziemlich deutlich gemacht.«
»Ach, Unsinn«, sagte Sophie. »Das Verbot gilt nur bei Klassenarbeiten und bei den Hausaufgaben – das hat Frau Thomas gesagt.«
»Aber der Unterricht darf nicht gestört werden«, erwiderte Fenja. »Weil uns das ablenkt.«
»Jetzt sei doch nicht so spießig!« Sophie grinste ihre Freundin an. »Das ist doch mega cool. Und außerdem haben wir im Moment keinen Unterricht. Jedenfalls noch nicht.«
Genau genommen stimmte das nicht, denn es hatte schon zur Stunde geklingelt. Allerdings war Frau Munk, bei der sie jetzt Biologie hatten, noch nicht aufgetaucht.
»Die harte Herta wird ausflippen, wenn sie das sieht!«, rief Fenja, und damit hatte sie vermutlich recht.
Herta Munk trug ihren Spitznamen nämlich nicht umsonst. Sie galt als eine der strengsten Lehrerinnen der gesamten Schule, und auch wenn sie selbst gerne zu spät kam, duldete sie während ihres Unterrichts keinerlei Regelverstöße. Wer für Unruhe sorgte, musste mit einem Wutanfall und empfindlichen Strafarbeiten rechnen. Und das betraf nur die ganz normalen Störungen wie Tuscheln oder Kichern. Was passieren würde, wenn sie ein fliegendes Klassenbuch sah, wollte Sophie sich lieber nicht ausmalen. Auf magische Dinge aller Art reagierte Frau Munk nämlich total allergisch. Schon gleich in ihrer allerersten Stunde hatte sie die Kinder angewiesen, das Zusatzheft über magische Wesen, das ihrem Biologie-Buch beilag, zu Hause zu lassen. Darin stünde nichts, was sie interessieren müsste, hatte sie gemeint, und dass Magie im Schulalltag nichts zu suchen habe.
Aber die Meinung der harten Herta war Sophie im Moment ziemlich egal, denn das Klassenbuch flatterte weiter an der Decke entlang.
»Was meinst du, wer lässt es fliegen?« Sophie überlegte, während sie den Blick noch einmal durch die Klasse schweifen ließ.
Vielleicht waren es die besonders frechen Jungs in der letzten Reihe rund um ihren Anführer Marvin. Oder die schüchternen Zwillinge Svea und Nele Wagner vorne rechts in der ersten Reihe. Sie sagten fast nie was, aber hieß es nicht immer: Stille Wasser sind tief? Ach, im Grunde hätte es jeder sein können, und es ärgerte Sophie, dass sie es nicht wusste.
Warum musste ihre Klassenlehrerin Frau Thomas nur so verschwiegen sein? Sie hatte Sophie und ihren Mitschülern am ersten Schultag nur erklärt, dass es besondere Regeln für die Magischen gab, an die sie sich halten mussten. Aber niemand hatte sich getraut, danach zu fragen, für wen in der 5b sie galten.
Fest stand nur, dass es auf der Aurora-Fanning-Gesamtschule Wesen mit Zauberkräften gab. Die magischen Familien, die in Eden lebten, schickten ihre Kinder nämlich traditionell besonders gerne auf diese Schule, vielleicht weil sie nach der berühmten Kinderbuchautorin benannt war, in deren Geschichten jede Menge Magische vorkamen.
Mehrere Zwerge und einen Zentauren hatte Sophie auf dem Schulhof auch schon entdeckt. Elfen gab es ebenfalls, die konnte man gut an ihrer blassen Haut und den hellen, fast weißen Haaren erkennen. Und die Schülersprecherin Amanda Giersbach war angeblich eine Hexe, obwohl viele behaupteten, dass sie dafür viel zu normal wäre.
Aber man sah jemandem eben nicht sofort an, ob er oder sie eine Hexe, eine Fee oder ein Werwolf war. Wenn sie sich nicht irgendwie zu erkennen gaben, dann konnten gerade diese Magischen problemlos unentdeckt bleiben. Und das bevorzugten viele von ihnen. Denn leider mochten nicht alle »Normalen« die Magischen. Manche hatten Angst vor ihren Fähigkeiten oder lehnte sie ab, weil sie anders waren.
Sophie verstand das nicht. Sie fand es spannend, mit magischen Kindern zur Schule zu gehen. Es war sogar der Hauptgrund gewesen, warum sie unbedingt auf die Aurora-Fanning-Gesamtschule hatte gehen wollen. Aber weil bisher nichts Zauberhaftes passiert war, hatte sie schon geglaubt, dass es in ihrer Klasse vielleicht doch nur normale Schüler gab. Zum Glück bewies das fliegende Klassenbuch nun endlich das Gegenteil, und das freute sie.
»Es ist bestimmt Ben«, flüsterte Fenja und blickte zu dem großen Jungen mit den dunklen Haaren hinüber, der in der Reihe hinter ihnen saß und zusammen mit seinem Freund Tom genauso fasziniert auf das fliegende Klassenbuch starrte. »Vielleicht ist er ein Werwolf.«
Ben war der größte und kräftigste der Jungs und sah mit seinen dunklen, etwas längeren Haaren ziemlich verwegen aus. Als Werwolf konnte Sophie ihn sich deshalb gut vorstellen. Es gab da nur ein Problem.
»Werwölfe können doch gar nicht zaubern. Sie sind nur stark und können sich verwandeln.«
»Stimmt.« Fenja überlegte. »Also, dann kann es eigentlich nur diese verrückte Merit mit dem unaussprechlichen Nachnamen sein.«
»Ja, vielleicht.« Sophie sah zu dem Mädchen mit den kurzen feuerroten Haaren hinüber, die ihr wie Spikes vom Kopf abstanden.
Merit Kejukainen war tatsächlich in jeder Hinsicht besonders, und das nicht nur wegen ihrer Haare. Sie trug auch gerne bunt zusammengewürfelte Klamotten ‒ heute zum Beispiel einen lilafarbenen kurzen Rock, ein grellgrün-gestreiftes Top und blassgelbe Turnschuhe. Die anderen tuschelten oft über sie, aber das schien ihr nichts auszumachen. Sie war immer fröhlich und frech und ließ sich nicht mal von der harten Herta einschüchtern, wofür Sophie sie sehr bewunderte. Wenn man so unerschrocken war, dann hatte man bestimmt besondere Fähigkeiten. Und außerdem ‒ Sophie runzelte die Stirn – waren ihre Turnschuhe nicht vorhin noch blassrosa gewesen?
Doch bevor sie sich weitere Gedanken über Merits Schuhe machen konnte, wurde sie abgelenkt. Marvin stieg nämlich auf seinen Tisch und versuchte, das Klassenbuch zu fangen.
»Los, helft mir!«, rief er seinen Freunden zu. Einen Moment später sprangen gleich mehrere Jungs auf den Pulten herum und griffen ‒ vergeblich ‒ in die Luft. Einige feuerten sie an, während sich andere ängstlich duckten und die Tür im Auge behielten, durch die jeden Moment Frau Munk kommen musste.
»Ich finde, Frau Thomas hätte uns längst sagen müssen, wer die sind.« Fenja musste laut sprechen, damit Sophie sie in dem Lärm, der im Klassenzimmer herrschte, überhaupt hören konnte. Auf ihrer Stirn hatte sich eine steile Falte gebildet, die Sophie immer an ein Ausrufezeichen erinnerte. »Anna-Lena meint, das ist unser gutes Recht. Schließlich müssen wir wissen, mit wem wir es zu tun haben.«
»Anna-Lena hat bloß Angst, dass ihr jemand den Rang abläuft, so eingebildet, wie sie ist«, flüsterte Sophie zurück. »Außerdem hat sie doch immer irgendetwas zu meckern.«
Sie blickte über ihre Schulter zu dem Mädchen mit den langen goldblonden Locken hinüber, das auf der anderen Seite des Raumes ganz in der Nähe des Fensters saß.
Anna-Lena Meyer war das hübscheste Mädchen in der Klasse. Das glaubte sie jedenfalls und war deshalb ziemlich arrogant. Außerdem machte sie sich oft über die anderen Kinder lustig, was Sophie störte. Die Tatsache, dass Anna-Lena so selbstbewusst war, wirkte jedoch anziehend auf einige. Dazu gehörte Fenja leider auch.
»Was hast du denn gegen Anna-Lena?« Fenja verschränkte die Arme vor der Brust. »Sie ist total nett. Wenn du sie näher kennen würdest, dann würdest du sie mögen.«
Ich will Anna-Lena aber nicht näher kennenlernen, dachte Sophie und wollte Fenja gerade genau das mitteilen, als das Klassenbuch plötzlich zum Sturzflug ansetzte. Es strich so dicht über Fenjas Kopf, dass sie vor Schreck ganz blass wurde, dann flog es in einem hohen Bogen weiter bis zu Anna-Lena. Dicht vor deren Gesicht klappten die Buchdeckel zu. Es sah aus, als wollte das Klassenbuch nach ihrer Nase schnappen. Mit einem spitzen Schrei wich Anna-Lena zurück und wäre beinahe mit ihrem Stuhl nach hinten gekippt, was bei ihren Klassenkameraden für großes Gejohle sorgte. Das Klassenbuch hingegen schwebte in aller Seelenruhe zurück zum Lehrerpult und landete dort – gerade noch rechtzeitig, bevor die Tür aufging und eine kleine grauhaarige Frau in einem schlammfarbenen Kleid den Klassenraum betrat.
»Was ist denn hier los?«, brüllte Frau Munk aufgebracht und stemmte die Hände in die Hüften. »Auf eure Plätze! Sofort!«
Das brauchte man den Jungs nicht zweimal zu sagen. Eilig stiegen sie von den Tischen und setzen sich wieder. So frech sie waren, vor Frau Munk hatten sie genauso viel Respekt wie alle anderen. Deshalb dauerte es nur einen Moment, bis es in der Klasse wieder mucksmäuschenstill war. Nur Anna-Lena hatte sich noch nicht von dem unerwarteten Angriff des Klassenbuchs erholt und schnappte weiter mit geröteten Wangen nach Luft.
Frau Munk hob eine Augenbraue. »Alles in Ordnung, Anna-Lena?«
»Ja, Frau Munk«, japste Anna-Lena, weil selbst sie sich nicht traute, die harte Herta von ihrem Biologieunterricht abzuhalten.
»Gut.« Frau Munk nickte. »Dann fangen wir an. Holt eure Hausaufgaben raus, ich möchte sie mir ansehen.«
»Die arme Anna-Lena«, flüsterte Fenja kaum hörbar und behielt dabei Frau Munk im Auge, die ihnen jetzt den Rücken zuwandte und die Tafel sauberwischte. »Das war richtig gemein.«
»Ich fand’s lustig«, flüsterte Sophie zurück und sah über ihre Schulter nach hinten zu Merit. Ihre Blicke trafen sich, und für einen Moment hatte Sophie das Gefühl, dass Merits Mundwinkel zuckten.
»Sophie? Brauchst du eine Extraeinladung?«
Sophie fuhr bei Frau Munks Worten zusammen und holte hastig ihr Heft raus. Aber in Gedanken war sie immer noch bei dem fliegenden Klassenbuch.
»Na, wie war’s in der Schule?« Sophies Mutter stand am Herd und rührte in dem großen gusseisernen Bräter. Die gesamte Küche war von einem köstlichen Duft erfüllt, der Sophies Magen knurren ließ.
»Gut«, sagte sie und warf ihre Schultasche neben die Küchenbank. Dann setzte sie sich und wartete, bis ihre Mutter ihr einen Teller mit Nudeln in einer grünen Soße mit Gemüsestückchen hinstellte. Skeptisch betrachtete sie das dampfende Gericht. »Was ist das?«
»Spaghetti à la Hella«, verkündete ihre Mutter fröhlich und setzte sich mit ihrem eigenen Teller zu Sophie. Sie hatte die gleichen kastanienbraunen Haare wie ihre Tochter, und auch sonst sah Sophie ihr sehr ähnlich. »Probier mal, ich glaube, es ist ganz gut geworden.«
Sophie schob die Gabel in die Nudeln und rollte sie auf. Sie zögerte ganz kurz, weil ihre Mutter ziemlich verrückt war mit ihren Eigenkreationen. Auch wenn das Essen vorzüglich roch: Grüne Soße mit Gemüsestückchen konnte alles heißen von Drei-Sterne-Küche bis ‚Hilfe, wir brauchen einen Hund, der das hier unauffällig vernichtet’. Aber Sophie war von Natur aus eher mutig, deshalb schob sie sich die Gabel in den Mund ‒ und verzog entzückt das Gesicht, während sie kaute.
»Web-wa!«
Es sollte ‚lecker’ heißen, aber ihre Mutter verstand sie auch so und lächelte zufrieden.
Sophies Mutter Hella war Malerin und hatte im Dachgeschoss ihr eigenes Atelier, in dem sie vormittags arbeitete. Weil sie – noch – nicht genug Bilder verkaufte, aber auch, weil sie gerne unter Menschen war, jobbte sie außerdem noch im Café Anders in der Innenstadt. Das Café hieß so, weil es wirklich anders war – es lag nämlich im Innenhof des ehemaligen Gefängnisses von Eden. Das alte rote Backsteingebäude wurde nicht mehr gebraucht, weil es längst ein neues, viel moderneres an einem anderen Standort gab. Aber es lag mitten in der Stadt, weshalb man es nicht abgerissen, sondern in eine Art Kulturzentrum verwandelt hatte. Im ersten Stock befand sich die Volkshochschule, im Erdgeschoss waren die Stadtbücherei und die Touristen-Information untergebracht, und im inzwischen überdachten Innenhof lag das Café Anders. Es gehörte Hellas Freundin Romina. Die beiden teilten sich die Schichten – Romina arbeitete meistens vormittags, Hella nachmittags.
»Ich muss gleich los.« Sophies Mutter aß ein paar Bissen, dann hielt sie inne und zog die Tageszeitung zu sich heran, die aufgeschlagen auf dem Tisch lag. »Ach, herrje, eines der Einhörner, die im Mondmoor leben, ist offenbar verschwunden.« Sie überflog den Zeitungsartikel. »Das ist ja furchtbar!«
»Hmhm«, murmelte Sophie, ganz in Gedanken.
»Okay, spuck es aus.« Ihre Mutter lächelte, als Sophie sie überrascht ansah. »Komm schon, wenn dich ein verschwundenes Einhorn nicht interessiert, dann beschäftigt dich doch irgendetwas. Also, was ist los?«
Sophie seufzte tief. Eigentlich war sie froh, dass ihre Mutter sie so gut kannte, die Sache mit dem Klassenbuch brannte ihr nämlich wirklich auf der Seele. Aber sie überlegte trotzdem kurz, ob sie es erzählen sollte. Allerdings würde ihre Mutter es vermutlich so oder so erfahren, deshalb berichtete sie, was passiert war.
Hella Mertens lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. »Und ihr habt nicht rausbekommen, wer dafür verantwortlich war?«
Sophie schüttelte den Kopf. »Du findest es nicht schlimm, oder?«
Ihre Mutter hob die Augenbrauen. »Findest du es denn schlimm?«
»Nein!« Sophies Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. »Bitte, Mama, melde mich deshalb nicht wieder ab!«
»Was? Nein, natürlich nicht!« Ihre Mutter schüttelte den Kopf. »Wie kommst du denn darauf?«
Tja, wie kam sie drauf? Der Grund hatte einen Doppelnamen. Anna-Lena.
Die war nämlich ausgeflippt, als sie nach dem Unterricht auf den Bus gewartet hatten. Sie hatte behauptet, dass ihr Vater sich sofort mit der Schulleitung in Verbindung setzen würde, sobald er von dem Vorfall erfuhr. Und dass es ‚Konsequenzen’ haben würde, was immer das bedeutete.