image

Lynne Graham, Lucy Monroe, Kim Lawrence

JULIA GOLD BAND 67

IMPRESSUM

JULIA GOLD erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

Neuauflage by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg,
in der Reihe: JULIA GOLD, Band 67 – 2016

© 2001 by Lynne Graham
Originaltitel: „The Arabian Mistress“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Sabine Buchheim
Deutsche Erstausgabe 2005 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,
in der Reihe JULIA, Band 1644

© 2008 by Lucy Monroe
Originaltitel: „Hired: The Sheikh’s Secretary Mistress“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: SAS
Deutsche Erstausgabe 2010 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,
in der Reihe JULIA EXTRA, Band 315

© 2009 by Kim Lawrence
Originaltitel: „The Sheikh’s Impatient Virgin“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Helga Meckes-Sayeban
Deutsche Erstausgabe 2011 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,
in der Reihe JULIA, Band 1954

Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 03/2016 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733705060

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

Alles über Roman-Neuheiten, Spar-Aktionen, Lesetipps und Gutscheine erhalten Sie in unserem CORA-Shop www.cora.de

 

Werden Sie Fan vom CORA Verlag auf Facebook.

IMAGE

Ein Prinz wie aus dem Märchen

1. KAPITEL

In seiner südfranzösischen Villa warf Prinz Tariq Shazad ibn Zachir, oberster Scheich und Führer des ölreichen Golfstaats Jurmar, das Handy beiseite und wandte seine Aufmerksamkeit seinem engsten Vertrauten Latif zu.

Tariq war die sorgenvolle Miene des älteren Mannes aufgefallen. „Stimmt etwas nicht?“

„Ich bedauere, Sie mit dieser Angelegenheit belästigen zu müssen“, Latif legte bekümmert eine Mappe auf den Schreibtisch, „aber ich finde, Sie sollten davon erfahren.“

Verwundert über das Unbehagen des Mannes, schlug Tariq den Ordner auf. Das oberste Blatt war ein ausführlicher Bericht von Jumars Polizeichef. Tariq las den Namen des Ausländers, der wegen seiner Schulden inhaftiert worden war. Es handelte sich um Adrian Lawson, Fayes älteren Bruder!

Noch ein Lawson, der sich des Betrugs schuldig gemacht hatte! Während er die Schilderung der Ereignisse überflog, die zu Adrians Verhaftung geführt hatten, spiegelte sich grenzenlose Verachtung auf seinen markanten Zügen. Wie hatte Fayes Bruder es wagen können, in Jumar ein Bauunternehmen zu gründen und die Bürger auszuplündern, die er, Tariq, geschworen hatte zu beschützen?

Lebhafte Erinnerungen erwachten, aufwühlende Erinnerungen, die Tariq zwölf Monate lang verdrängt hatte. Welcher Mann rief sich schon gern seinen schlimmsten Fehler ins Gedächtnis? Faye mit ihrer geheuchelten Unschuld, die alles darangesetzt hatte, ihn wie eine routinierte Goldgräberin einzufangen. Der Köder? Ihr makelloser Körper und das schöne Gesicht. Die Drohung, nachdem er angebissen hatte? Skandal! Als oberster Scheich von Jumar mochte er zwar mit feudaler Macht über seine Untertanen herrschen, aber selbst im einundzwanzigsten Jahrhundert musste Tariq ibn Zachir akzeptieren, dass es seine Pflicht war, einen konservativen Lebensstil zu pflegen. Und vor einem Jahr hatte er kaum eine andere Wahl gehabt, denn sein Vater Hamza war gestorben.

Tief durchatmend und blass vor Ärger kehrte Tariq in die Gegenwart zurück. Anders als die meisten Sprösslinge aus den Königsfamilien im Mittleren Osten war er nicht im Westen erzogen worden, sondern ähnlich wie seine Vorfahren aufgewachsen. Militärschulen, Privatlehrer, Überlebenstraining mit britischen Spezialtruppen in der Wüste. Mit zweiundzwanzig war er Pilot und Experte in jeder nur denkbaren Kampfart und hatte seinen Vater endlich überzeugt, dass ein Abschluss in Wirtschaftswissenschaften für ihn vermutlich wichtiger sein könnte als die Fähigkeit, das Volk in den Krieg zu führen – zumal Jumar seit nunmehr hundert Jahren sowohl innerhalb seiner Grenzen als auch mit den Nachbarn in Frieden lebte.

Tariq besaß einen angeborenen Geschäftssinn und hatte die Kassen des ohnehin märchenhaft reichen Staates so gefüllt, dass er und sein Volk mehr für wohltätige Zwecke spendeten als jedes andere Land der Welt. Durch seinen Kontakt mit der freizügigeren europäischen Kultur hatte Tariq den Lebensstil westlicher Frauen kennengelernt. Trotzdem hatte er sich wie die sprichwörtliche Weihnachtsgans ausnehmen lassen, als er Faye Lawson begegnet war.

„Was soll ich in dieser Sache unternehmen?“, erkundigte Latif sich.

„Gar nichts. Soll die Gerichtsbarkeit ihren Lauf nehmen.“

Latif betrachtete angelegentlich seine Füße. „Es scheint unwahrscheinlich, dass Adrian Lawson das nötige Geld aufbringen kann, um seine Freilassung zu erwirken.“

„Mag sein.“

Nach langem Schweigen räusperte Latif sich zögernd.

Tariq warf ihm einen amüsierten Blick zu. „Ja, ich weiß, was ich tue.“

Trotz seines deutlichen Unbehagens verbeugte sich der ältere Mann und zog sich zurück. Tariq wusste, warum Latif so besorgt war, und überdachte noch einmal seine Entscheidung. Sein unbeugsamer Stolz, sein Zorn über die Falle, in die man ihn gelockt hatte, hatten sein Urteil beeinflusst. Doch es war Zeit, die Verbindung mit Faye Lawson zu beenden und sein Leben fortzusetzen.

Es hätte schon vor einem Jahr geschehen sollen. Die Situation konnte nicht so bleiben. Insbesondere jetzt, da er für die Erziehung von drei kleinen Kindern verantwortlich war, die durch einen tragischen Flugzeugabsturz verwaist waren. Er brauchte eine Gemahlin, eine warmherzige, mütterliche Frau. Es war seine Pflicht, eine solche Frau zu heiraten – allerdings konnte man nicht behaupten, dass er versessen darauf war.

Tariq schob Adrian Lawsons Akte ungelesen beiseite und lehnte sich versonnen zurück. Die Lawson-Geschwister und ihr ungehobelter Stiefvater Percy waren ein raffiniertes, geldgieriges Trio, das keinerlei Skrupel kannte, wenn es um Profit ging. Wie viele andere Männer mochte Faye für dumm verkauft haben? Wie viele Leben hatte Percy durch Erpressung und kriminelle Geschäftspraktiken ruiniert? Und nun hatte sich herausgestellt, dass Adrian, den Tariq bislang als Einzigen für ehrenhaft gehalten hatte, genauso korrupt war. Solche Leute gehörten bestraft.

Tariq malte sich aus, wie ein Falke, der Wappenvogel seiner Familie, hoch über der Wüste kreiste und nach Beute Ausschau hielt. Ein bitteres Lächeln umspielte seine wohlgeformten Lippen. Eigentlich gab es keinen Grund, warum er die Lage nicht ausnutzen und gleichzeitig ein bisschen Spaß haben sollte.

Schweigend saß Faye neben ihrem Stiefvater im Taxi. Ihre zierliche Gestalt verschwand fast neben dem hünenhaften Mann.

Obwohl es erst Vormittag war, herrschte drückende Hitze, und Faye war nach dem langen Nachtflug von London erschöpft. Der Wagen raste mit ihnen durch die breiten alten Straßen von Jumar zum Gefängnis, wo ihr Bruder Adrian festgehalten wurde. Wäre sie nicht besorgt um Adrian und so knapp bei Kasse gewesen, hätte sie sich rundheraus geweigert, das Taxi mit Percy Smythe zu teilen.

Es erschütterte sie nach wie vor, dass sie eine so abgrundtiefe Abneigung gegen einen Menschen hegen konnte. Loyalität der Familie gegenüber war ihr stets äußerst wichtig gewesen, doch sie würde Percy nie verzeihen, dass er sie in den Schmutz gezogen und jegliches Vertrauen zerstört hatte, das Prinz Tariq ibn Zachir ihr je entgegengebracht hatte. Genauso wenig konnte sie verwinden, dass sie zu verliebt gewesen war, um auch nur eine Sekunde über Tariqs unerwarteten Heiratsantrag vor zwölf Monaten nachzudenken.

„Es ist reine Zeitverschwendung.“ Ungeduld spiegelte sich auf Percys feistem, verschwitztem Gesicht. „Du musst dich mit Prinz Tariq treffen und Adrians Freilassung verlangen!“

Faye wurde noch eine Spur blasser. „Das kann ich nicht.“

„Willst du etwa, dass Adrian sich eine dieser ekelhaften Infektionen einfängt und den Löffel abgibt?“, fragte er mit brutaler Offenheit. „Du weißt, dass er nie besonders kräftig war.“

Ihr Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen, denn die melodramatische Warnung war mehr als berechtigt. Als Kind hatte Adrian unter Leukämie gelitten, und obwohl er davon genesen war, neigte er noch immer dazu, sich überall anzustecken. Seine schwache Gesundheit hatte letztendlich seine Karriere bei der Armee beendet und ihn gezwungen, seine Zukunft neu zu planen und sich in geschäftliche Abenteuer zu stürzen, die zu seiner momentanen Misere geführt hatten.

„Die Leute vom Auswärtigen Amt haben uns versichert, dass er gut behandelt wird“, erinnerte Faye den älteren Mann kühl.

„Insoweit als er auf unbegrenzte Zeit eingesperrt ist! Wäre ich abergläubisch, würde ich meinen, dass dein Wüstenkrieger uns das ganze letzte Jahr mit einem Fluch belegt hat“, beschwerte Percy sich bitter. „Ich hatte damals eine Glückssträhne, habe haufenweise Geld verdient, und sieh mich jetzt an – ich bin praktisch ruiniert.“

Du hast es nicht anders verdient, dachte Faye resigniert. Ihr Stiefvater würde über Leichen gehen, um seinen Vorteil zu sichern. Mit einer einzigen Ausnahme: Adrian war ihm sonderbarerweise so lieb wie ein eigener Sohn. Es war eine Ironie des Schicksals, dass Percy seinen eigenen Wohlstand für den – wenn auch vergeblichen – Versuch geopfert hatte, die Firma ihres Bruders zu retten.

Das Gefängnis lag außerhalb der Stadtgrenze in einer düsteren Festung, die von hohen Mauern und Wachtürmen umgeben war. Sie mussten sich eine Weile gedulden, bis man sie in einen Raum brachte, in dem eine Stuhlreihe vor einer massiven Glaswand aufgestellt war.

Der nächste Schock erwartete sie, als Adrian hereingeführt wurde. Er hatte an Gewicht verloren, und die Gefängniskleidung schlotterte um seinen hageren Körper. Sein aschfahles Gesicht erschreckte sie – ihr Bruder sah keinesfalls gesund aus. Seine Augen waren gerötet, und er mied ihren Blick.

„Du hättest nicht herkommen dürfen“, flüsterte er ins Telefon, mit dessen Hilfe sie sich unterhalten konnten. „Das hier ist mein Problem. Ich war zu dreist und habe mich überschätzt. Ich habe Lizzies Kaufwut nicht gebremst. Es ist der Lebensstil hier … Man verliert irgendwie den Verstand, wenn man versucht, mit den Einheimischen Schritt zu halten.“

Percy entriss Faye den Hörer. „Ich werde mich an die englische Presse wenden und einen solchen Wirbel machen, dass man dich aus diesem Höllenloch entlässt.“

Adrian sah seinen Stiefvater entsetzt an und formte mit seinen Lippen stumm die Worte: Bist du verrückt?

Faye nahm wieder den Hörer, Sorge spiegelte sich in ihren veilchenblauen Augen. „Wir können das Geld nicht beschaffen, das für deine Entlassung erforderlich ist. Dein Anwalt hat uns nach unserer Landung mitgeteilt, dass er dich nicht länger vertreten könne und deine Akte geschlossen sei. Was können wir dagegen unternehmen?“

Adrian senkte den Kopf. „Gar nichts. Hat mein Anwalt euch nicht gesagt, dass es in Fällen wie meinem keine Berufungsverfahren gibt? Wie kommen Lizzie und die Kinder zurecht?“

In Bezug auf seine Frau hatte Faye keine guten Nachrichten. Nachdem man sie mit den Zwillingen aus ihrem luxuriösen Haus in Jumar geworfen und des Landes verwiesen hatte, weil sie keine Einkünfte mehr hatte, war ihre Schwägerin in Selbstmitleid versunken.

„Ist es so schlimm?“ Adrian hatte die Miene seiner Schwester richtig gedeutet. „Hat Lizzie mir nicht einmal einen Brief geschickt?“

„Sie ist ziemlich deprimiert“, räumte Faye widerstrebend ein. „Ich soll dir ausrichten, dass sie dich liebt, momentan aber genug Probleme damit hat, ohne dich zu überleben.“

Adrians Augen schimmerten feucht.

Faye wechselte rasch das Thema, um ihren Bruder abzulenken. „Wie geht es dir?“

„Gut“, behauptete er rau.

„Wirst du ordentlich behandelt?“ Die misstrauischen Blicke der beiden bewaffneten Offiziere bereiteten ihr Unbehagen.

„Ich haben keinen Grund zur Klage … Trotzdem ist es die Hölle, denn ich hasse das Essen, spreche kaum Arabisch und bin ständig krank.“ Die Stimme ihres Bruders bebte. „Percy darf keinesfalls die Medien alarmieren, sonst bin ich hier drin verloren. Die Einheimischen betrachten jede Kritik an Jumar als Kritik an ihrem lausigen Herrscher, der hinter jedem Weiberrock her ist. Prinz Tariq …“

Einer der Offiziere sprang vor und entwand Adrian das Telefon.

„Was ist los? Was ist passiert?“ Faye geriet in Panik.

Doch ihr Stiefvater und sie hätten genauso gut unsichtbar sein können. Adrian wurde durch die Tür hinausgeführt, durch die er hereingekommen war, und entschwand ihren Blicken.

„Ich wette, diese Rohlinge schaffen ihn weg, um ihn zu verprügeln!“ Percy war ebenso fassungslos wie Faye.

„Es hat aber keiner Hand an Adrian gelegt.“

„Vor uns natürlich nicht, aber woher willst du wissen, was sie ihm jetzt antun?“

Sie warteten zehn Minuten in der Hoffnung, Adrian würde wiederkommen. Vergeblich. Stattdessen erschien ein ernst wirkender älterer Mann, um mit ihnen zu reden.

„Ich will wissen, was hier los ist“, verlangte Percy aggressiv.

„Besuche sind ein Privileg, das wir Verwandten einräumen, doch es besteht kein gesetzlicher Anspruch darauf. Das Gespräch wurde abgebrochen, weil wir es nicht dulden, dass unser hoch geachteter Herrscher beleidigt wird.“ Als Percys Gesicht vor Zorn rot anschwoll, fügte der alte Gefängnisbeamte versöhnlich hinzu: „Ich darf Ihnen versichern, dass wir unsere Häftlinge nicht misshandeln. Jumar ist ein zivilisiertes Land. Sie können im Lauf der Woche einen neuen Besuch beantragen.“

In der Gewissheit, dass jedes Wort während der Besuche aufgezeichnet wurde und Adrian nichts davon geahnt hatte, drängte Faye ihren Stiefvater rasch aus dem Raum, bevor er ihrem Bruder noch weiter schaden konnte.

Auf dem Weg zu ihrem kleinen Hotel in einem Vorort schäumte Percy vor Wut. Faye war froh, dass der Chauffeur offenbar kein Wort von Percys giftigen Kommentaren über Jumar und alles Jumarische verstand. Tariqs Namen leichtfertig in der Öffentlichkeit zu erwähnen konnte gefährlich sein. Als ihr Stiefvater geradewegs auf die Bar im Erdgeschoss zusteuerte, stieg Faye in den Lift und kehrte auf ihr Hotelzimmer zurück.

Die Erinnerung an die Verzweiflung im hageren Gesicht ihres Bruders ließ sie nicht los. Noch vor sechs Monaten hatte Adrian geglaubt, sein Glück in einer Stadt machen zu können, in der die Baubranche florierte. Verzweifelt setzte sie sich aufs Bett und blickte aufs Telefon.

„Die Nummer ist leicht zu merken“, hatte Tariq damals gesagt. „Wir hatten das erste Telefon in Jumar. Wähle einfach die eins für die Palastzentrale.“

Von Kummer, Reue und Bitterkeit überwältigt, schloss Faye die Augen. Ob es ihr gefiel oder nicht, Prinz Tariq ibn Zachir schien ihre letzte Rettung zu sein. In den meisten anderen Ländern wäre Adrian für bankrott erklärt, aber nicht wegen seiner Schulden eingesperrt worden, als wäre er ein Krimineller. Sie hatte keine andere Wahl, als sich bei Tariq zu melden und für ihren Bruder um Gnade zu bitten. Tariq war in seiner Heimat sehr mächtig. Er konnte sicher alles tun, was er wollte.

Warum schreckte sie also bei dem Gedanken zurück, sich vor Tariq zu erniedrigen? Warum stellte sie ihren Stolz über das Wohlergehen ihres Bruders? Nervös lief Faye im Zimmer auf und ab. Würde Tariq überhaupt einwilligen, sie zu sehen? Wie konnte sie einen so großen Gefallen von jemandem erhoffen, der sowohl sie als auch ihren Stiefvater verachtete? Sie fühlte sich so hilflos in Jumar, wo allein die Luft nach Reichtum und Privilegien zu riechen schien. Vor einem Jahr war sie allerdings noch hilfloser gewesen, und zwar in Gegenwart eines so exotischen und weltgewandten Mannes wie Tariq ibn Zachir. In ihrer bodenlosen Einfalt hatte sie sich eingebildet, aus einer so ungleichen Beziehung könnte sich etwas Dauerhaftes entwickeln. Aber gleichgültig, was Tariq glauben mochte, sie hatte keinen Anteil an Percys schmutzigem Erpressungsversuch gehabt!

Eingedenk dieser Tatsache griff Faye nach dem Telefon und wählte die einzelne Nummer. In den folgenden Minuten entdeckte sie jedoch, dass in der Palastzentrale nur Arabisch gesprochen wurde. Frustriert beendete sie die Verbindung und holte ihre Börse aus der Handtasche. Im Mittelfach befand sich ein schmaler Goldring, in den verschlungene hieroglyphenartige Zeichen eingraviert waren.

Ihre Hand zitterte. Sie erinnerte sich noch genau an den Moment, als Tariq ihr in der Londoner Botschaft von Jumar den Ring auf den Finger geschoben hatte. Der Gedanke, dass sie tatsächlich geglaubt hatte, es handele sich um eine echte Hochzeit, war einfach zu demütigend. Es war eine Farce gewesen, die man lediglich inszeniert hatte, um Percys Drohung zu vereiteln, Jumar in einen widerwärtigen Presseskandal zu verwickeln. Erst als das grausame Spiel zu Ende war, hatte Faye erkannt, wie gründlich Tariq sie blamiert hatte.

Sie steckte den Ring in ein Kuvert aus der Schreibmappe, die das Hotel seinen Gästen zur Verfügung stellte, und fügte eine Notiz mit der Bitte um ein Treffen mit Tariq hinzu. Dann ging sie hinunter zur Rezeption und erkundigte sich, ob man einen eiligen Brief ausliefern könne. Der Empfangschef studierte mit großen Augen den Namen auf dem Umschlag und setzte mit ihrer Erlaubnis die Worte „persönlich, vertraulich“ hinzu.

„Für Prinz Tariq?“

Errötend nickte Faye.

„Einer unserer Fahrer wird die Nachricht sofort zustellen, Miss Lawson.“

Wieder auf ihrem Zimmer, duschte sie und zog sich um. Kaum hatte sie sich aufs Bett gelegt, klopfte es heftig an der Tür. Percy. Faye ignorierte ihn. Er hämmerte jedoch so unerbittlich gegen die Tür, dass sie fürchtete, die Leute würden im Hotel zusammenlaufen. Sie öffnete.

„Na also …“ Ihr Stiefvater schob sie beiseite. Sein Gesicht war vom Alkohol gerötet. „Du gehst jetzt ans Telefon und meldest dich bei Tariq. Hoffentlich genießt er es, wenn du dich ihm zu Füßen wirfst. Und falls das Seiner Königlichen Hoheit nicht genügt, drohst du ihm, der Presse zu erzählen, wie es ist, am selben Tag zu heiraten und wieder geschieden zu werden.“

Faye war schockiert. „Meinst du wirklich, wüste Drohungen würden Tariq bewegen, Adrian zu helfen?“

„Mag sein, dass ich mich letztes Jahr in Tariq geirrt habe, aber jetzt weiß ich, wie der Bursche tickt. Er ist eine harte Nuss – dieses Spezialtraining und so –, doch er ist auch ein Offizier und Gentleman, und darauf ist er stolz. Zuerst wirst du ihm also die Stiefel lecken und auf zerknirscht machen …“ Percy begutachtete kritisch ihre dunkelblaue Bluse, die Baumwollhose und das zurückgebundene Haar. „Zerknirscht und schön!“

Ein leises Klopfen ertönte und bot eine willkommene Unterbrechung. Es war der Hotelmanager, der sie bei ihrer Ankunft begrüßt hatte. Jetzt verbeugte er sich so tief, als wäre Faye plötzlich sein wichtigster Gast.

„Eine Limousine ist eingetroffen, um Sie zum Haja zu fahren, Miss Lawson.“

Faye schluckte trocken. Mit einer so schnellen Antwort hatte sie nicht gerechnet.

„Keine Sorge … Sie ist in zwei Minuten unten.“ Anerkennend wandte Percy sich seiner Stieftochter zu. „Warum hast du mir nicht gesagt, dass du den Stein bereits ins Rollen gebracht hast?“

Um seiner unangenehmen Gesellschaft möglichst schnell zu entrinnen, eilte Faye zum Lift. Als sie es sich in der luxuriösen Limousine bequem machte, fühlte sie sich in ihrer schlichten, preiswerten Garderobe wie ein Fisch auf dem Trockenen. Und irgendwie kam das der Wahrheit sehr nahe.

Sie hatte ihr ganzes Leben in einem stillen Landhaus verbracht und nur selten jemanden außerhalb des begrenzten Freundeskreises ihrer Mutter getroffen. Percy hatte Sarah Lawson geheiratet, als Faye fünf war. Durch einen Autounfall gelähmt, der ihren ersten Ehemann das Leben gekostet hatte, war Fayes Mutter an den Rollstuhl gefesselt und maßlos einsam gewesen. Sie war allerdings auch eine wohlhabende Witwe gewesen. Nach ihrer Hochzeit hatte Percy weiterhin in einem Apartment in der Stadt gewohnt und unter Hinweis auf seine Arbeitsbelastung seine neue Familie nur gelegentlich besucht.

Faye war nie wie andere Kinder zur Schule gegangen. Sowohl sie als auch ihr Bruder waren anfangs von ihrer Mutter zu Hause unterrichtet worden, aber nachdem Adrian von der Leukämie genesen war, hatte Percy seine Frau überredet, den Jungen die Ausbildung mit Gleichaltrigen beenden zu lassen. Mit elf Jahren hatte Faye sich verzweifelt nach Freundinnen gesehnt und schließlich den Mut aufgebracht, ihrem Stiefvater zu sagen, dass auch sie auf eine öffentliche Schule wolle.

„Und was soll deine Mutter den ganzen Tag allein mit sich anfangen?“, hatte er mit furchterregender Miene geschrien. „Wie kannst du nur so selbstsüchtig sein! Deine Mutter braucht deine Gesellschaft … das ist alles, was sie im Leben hat!“

Mit achtzehn wäre Faye am Tod ihrer sanften Mutter beinahe zerbrochen. Erst da hatte sie erkannt, dass manche Menschen glaubten, sie hätte ein für einen Teenager unnatürlich behütetes Dasein geführt. Bei einem Vorstellungsgespräch für eine Ausbildung zur Krankenschwester, die sie im Herbst zu beginnen hoffte, waren etliche kritische Bemerkungen über ihre mangelnde Erfahrung mit der wirklichen Welt gefallen. Dabei hätte sie jedem erzählen können, dass man mit einem Stiefvater wie Percy Smythe unweigerlich einen umfassenden Einblick in die hässlichen Seiten des Lebens gewinnen musste.

Nach einer Fahrt durch die breiten, belebten Straßen, vorbei an einem von hohen Bäumen gesäumten Platz, hielt der Wagen vor einem imposanten alten Sandsteingebäude mit einem prächtigen Tor, das von Soldaten in Paradeuniform bewacht wurde. Verunsichert stieg Faye aus.

Sie ging die Treppe hinauf und betrat eine weitläufige, eindrucksvolle Halle, in der ein stetes Kommen und Gehen herrschte. Stirnrunzelnd blieb sie stehen.

Ein junger Mann im Anzug näherte sich ihr und verbeugte sich. „Miss Lawson? Ich führe Sie zu Prinz Tariq.“

„Danke. Ist dies der königliche Palast?“

„Nein, Miss Lawson. Obwohl die Haja-Festung noch immer der königlichen Familie gehört, erlaubt Seine Königliche Hoheit, dass sie als öffentliches Gebäude genutzt wird“, erklärte er. „Hier befinden sich das Gericht, die Audienzräume sowie Konferenz- und Bankettsäle für Würdenträger und Geschäftsleute, die bei uns zu Gast sind. Prinz Tariq unterhält hier zwar Büros, wohnt aber im Muraaba-Palast.“

Faye betrachtete die hohen Säulen, die die hohe Decke der Halle trugen, und den herrlich schimmernden Mosaikboden. Die Haja summte wie ein Bienenstock. Ein Stammesältester saß auf einer Steinbank und hielt eine Ziege am Strick. Faye sah von Kopf bis Fuß schwarz verschleierte Frauen und andere in eleganter westlicher Kleidung mit hübschen, ernsten Gesichtern, Gruppen von älteren Männern, die die traditionelle Kopfbedeckung, die „kaffiyeh“, trugen, und jüngere in Anzügen mit bloßem Kopf und Akten oder Diplomatenkoffern in der Hand.

„Miss Lawson …?“

Rasch folgte Faye ihrem Begleiter zu einem Seitengang. Wachen, die sowohl mit Gewehren als auch mit kunstvollen Schwertern bewaffnet waren, flankierten eine weit geöffnete Tür. Mit klopfendem Herzen ging sie hindurch. Plötzlich fand sie sich allein in einem üppig bewachsenen Innenhof wieder, dessen Mittelpunkt ein malerisches Wasserbecken bildete. Als sie Schritte hörte, drehte sie sich um und sah Tariq eine Treppe herunterkommen.

Zu ihrer größten Verwunderung war er für einen Ausritt gekleidet: ein weißes Polohemd, hautenge helle Breeches, die seine schmalen Hüften und muskulösen Beine betonten, und glänzende braune Stiefel.

Sie hatte ganz vergessen, wie groß Tariq ibn Zachir war und welch überwältigende Ausstrahlung er besaß. Seine athletische Gestalt und die geschmeidigen Bewegungen waren unverwechselbar. Im Sonnenlicht verkörperte er den Inbegriff männlicher Schönheit. Sein volles schwarzes Haar glänzte, die sonnengebräunte Haut strahlte vor Gesundheit, und die goldbraunen Augen glichen polierten Edelsteinen. Er war so atemberaubend attraktiv, dass Faye all ihre Willenskraft aufbieten musste, um ihn nicht anzustarren. Die Kehle war ihr wie zugeschnürt, heiße Röte stieg ihr in die Wange.

„Ich danke dir, dass du so schnell in ein Treffen eingewilligt hast“, flüsterte sie.

„Leider habe ich nicht viel Zeit. In einer Stunde muss ich an einem Wohltätigkeitspolospiel teilnehmen.“

Tariq lehnte sich an den Steintisch neben dem Wasserbecken. Er warf den Kopf zurück und betrachtete sie so herablassend, dass sie sich klein und hässlich fühlte. „Percy hat dir sicher nicht geraten, zu dem Gespräch mit mir eine Hose anzuziehen, oder?“, meinte er spöttisch. „Oder soll das triste Outfit an mein Mitleid appellieren?“

Tariqs scharfsinnige Einschätzung ihres Stiefvaters ließ Faye noch tiefer erröten. „Ich weiß wirklich nicht, wie du darauf kommst“, erwiderte sie beschämt.

„Spiel nicht die Unschuldige“, warnte er sie mit trügerisch sanfter Stimme. „Die errötende Jungfrau hast du mir im letzten Jahr im Übermaß präsentiert. Ich hätte den Köder sofort wittern müssen, als du ihn ausgelegt hast und mit einem tiefen Dekolleté erschienen bist, aber wie die meisten Männer war ich mit deinem Anblick viel zu beschäftigt, um vorsichtig zu sein.“

Erschüttert über seine Verachtung – die, wie sie zugeben musste, teilweise berechtigt war –, atmete Faye tief durch. „Tariq, es tut mir unendlich leid, was zwischen uns geschehen ist.“

Sein kaltes Lächeln erinnerte nicht im Entferntesten an das betörende Lächeln, das sie so geliebt hatte. „Das glaube ich gern. Damals wäre dir nie in den Sinn gekommen, dass dein kostbarer Bruder schon bald in einer Gefängniszelle in Jumar sitzen könnte.“

„Natürlich nicht.“ Trotz ihres Kummers war sie froh, dass er das leidige Thema sofort anschnitt. „Aber du magst Adrian. Du weißt, dass er ohne eigenes Verschulden eingesperrt wurde.“

„So?“, unterbrach er sie ruhig. „Ist unser Justizsystem so ungerecht? Das hatte ich nicht geahnt.“

Zu spät erkannte sie, dass es ein Fehler gewesen war, die Behörden zu kritisieren. „So habe ich es nicht gemeint. Ich wollte lediglich darauf hinweisen, dass Adrian nichts Kriminelles …“

„Nein? Hier in Jumar ist es ein Verbrechen, Angestellte und Lieferanten nicht zu bezahlen und Kunden mit Häusern im Stich zu lassen, die nicht vertragsgemäß fertiggestellt wurden. Wir sind allerdings für solche Fälle sehr praktisch veranlagt.“ Sein Lächeln war keine Spur herzlicher. „Adrian muss nur seine Gläubiger befriedigen, dann bekommt er seine Freiheit zurück.“

„Aber dazu ist er nicht in der Lage“, gestand Faye unbehaglich. „Adrian hat sein Haus verkauft, um die Baufirma zu gründen. Er hat alles, was er hatte, in dieses Unternehmen gesteckt.“

„Und als er in meinem Land war, hat er wie ein König gelebt. Ja, ich bin über die Umstände informiert, die zum Scheitern deines Bruders geführt haben. Adrian war dumm und leichtsinnig.“

Tariqs vernichtendes Urteil ließ sie erblassen. „Er hat Fehler gemacht, ja … Aber nicht aus bösem Willen oder vorsätzlich.“

„Du hast doch sicher schon vom Prinzip der kriminellen Verantwortungslosigkeit gehört.“ Lässig wie ein Raubtier, das sich in seiner Überlegenheit sonnte, beobachtete er sie. „Verrate mir eines: Warum hast du mir das hier geschickt?“

Der unvermittelte Themenwechsel erschreckte Faye fast genauso sehr wie seine totale Emotionslosigkeit. Als sie Tariq das letzte Mal gesehen hatte, war er außer sich vor Zorn gewesen. Verstört blickte sie auf den Ring in seiner Hand. Er warf den Ring in die Luft. Funkelnd fing das schimmernde Metall das Sonnenlicht ein. Nachdem er den Ring geschickt wieder aufgefangen hatte, warf Tariq ihn achtlos auf den Steintisch, wo er klappernd liegen blieb.

„Hast du gehofft, ich würde noch irgendwelche romantischen Erinnerungen an den Tag hegen, als ich dir diesen Ring auf den Finger schob?“, fragte er geringschätzig.

Faye wäre am liebsten vor Scham im Boden versunken. Obwohl er ihr solche Seelenqualen bereitete, hatte sie kein Recht, sich zu beklagen. Zugegeben, er hatte sich in ihr getäuscht, doch das konnte man ihm nicht verübeln, nachdem ihr Stiefvater versucht hatte, ihn zu erpressen. Trotzdem verabscheute Faye Tariq, weil er sie für ebenso berechnend und geldgierig hielt wie Percy.

„Sag mir“, fuhr Tariq ungerührt fort, „betrachtest du dich als meine Frau oder als meine Exfrau?“

Empört warf sie den Kopf zurück. „Weder noch. Du hast damals schließlich keinen Zweifel daran gelassen, dass die Hochzeitszeremonie nur eine Show war. Mir ist allzu bewusst, dass ich nie deine Frau gewesen bin.“

Er senkte die Lider. „Ich wollte lediglich wissen, wofür du dich hältst.“

„Ich bin hier, um mit dir über Adrians Position …“

„Adrian hat keine Position“, unterbrach er sie prompt. „Das Gericht hat sich mit ihm befasst, und er kann seine Freiheit nur durch Begleichung seiner Schulden zurückerlangen.“

Tariq war wie ein Fremder. Keine Spur von Höflichkeit oder Mitgefühl, Interesse oder Fürsorge. Dies war ein Tariq, wie sie ihn nicht kannte. Hart, abweisend, unbeugsam. Ein Mann, der es gewohnt war, dass seine Befehle nicht angezweifelt wurden.

Faye verschränkte die Hände. „Du könntest doch bestimmt etwas tun … wenn du wolltest, dass …“

„Ich stehe nicht über dem Gesetz“, erklärte er.

Ihre Verzweiflung wuchs. „Und dennoch kannst du tun, was du willst – das ist doch einer der Vorteile, die man als Feudalherrscher hat, oder?“

„Ich würde nie die Gesetze meines Landes umgehen. Es ist eine schwere Beleidigung, dass du auch nur andeutest, ich könnte das Vertrauen meines Volkes derart missbrauchen.“ Er sah sie streng an.

Sie mied seinen Blick, wollte jedoch noch nicht aufgeben. Da sie vermutlich nur diese eine Chance haben würde, ihrem Bruder zu helfen, blieb sie beharrlich: „Adrian kann seine Schulden nicht in der Zelle abarbeiten.“

„Das ist richtig, aber wie kommt es, dass du und dein Stiefvater zu arm seid, um ihn zu retten?“

„Percy hat all seine flüssigen Mittel in Adrians Firma gesteckt – und erzähl mir nicht, dass du das nicht wüsstest!“ Faye konnte ihre Verbitterung nicht mehr verbergen. Es war inzwischen klar, dass Tariq bereits alle Details im Fall ihres Bruders gekannt und entschieden hatte, sich nicht einzumischen. „Ich bin nur hier, um dich zu bitten, einen Weg zu finden, meinem Bruder zu helfen, weil ich sonst niemanden habe, an den ich mich wenden könnte.“

„Dann solltest du mir erklären, warum ich den Wunsch haben sollte, Adrian zu helfen.“

„Aus Höflichkeit … Menschlichkeit …“, wisperte sie stockend. „Weil du ein Offizier und Gentleman bist.“

Tariq zog eine Braue hoch. „Nicht, wenn es deine selbstsüchtige, ehrlose Familie betrifft.“

„Was kann ich bloß sagen, um dich zu überzeugen, dass …“

„Gar nichts. Nichts, was du sagst, wird mich umstimmen. Warst du eigentlich schon immer so einfältig? Oder war ich so sehr in den Anblick deines Engelsgesichts und deines verführerischen Körpers vertieft, dass mir das Fehlen jeglichen Verstandes bei dir entgangen ist?“

Sein erbarmungsloser Spott traf sie wie ein Schlag ins Gesicht. „Ich weiß nicht, worauf du hinauswillst.“

„Warum fragst du mich nicht einfach, unter welchen Bedingungen du mich überreden könntest, Adrians Schulden zu begleichen?“

„Du würdest sie bezahlen?“ Sie traute ihren Ohren kaum. „Diese Idee wäre mir nie in den Sinn gekommen.“

„Die Zeit drängt. Ich werde es deshalb ganz schlicht formulieren: Gib dich mir hin, und ich werde deinen Bruder von allen Schwierigkeiten befreien. Das ist doch leicht zu verstehen, oder?“

Gib dich mir hin. Ungläubig blickte sie ihn an.

„Sex gegen Geld“, fuhr er zynisch fort. „Das hast du schon einmal probiert, allerdings hast du damals dein Versprechen leider nicht gehalten.“

Faye wurde es plötzlich unerträglich heiß. Sie hob die Hand, um den engen Kragen ihrer Bluse zu lockern. Feine Schweißperlen rannen zwischen ihren Brüsten hinunter. Tariq ließ sie nicht aus den Augen. Unverhohlene Sinnlichkeit lag in seinem wissenden Blick und weckte brennende Sehnsucht in ihr, der sie hilflos ausgeliefert war.

Erschrocken über die verräterische Reaktion ihres Körpers senkte sie den Kopf und kämpfte gegen das wachsende Verlangen an. Sie musste nachdenken, sich konzentrieren, denn Tariq konnte unmöglich meinen, was er gesagt hatte. Sicher trieb er nur ein weiteres grausames Spiel auf ihre Kosten. In dem gleichen Atemzug, in dem er ihr erklärte, er werde keinen Finger rühren, um Adrian zu helfen, versuchte er, sie für die Vergangenheit zu bestrafen. Und zwar durch Demütigung.

Diese Erkenntnis verlieh ihr die Kraft, stolz den Kopf zu heben. „Offenbar war es ein Fehler, dich um ein Treffen zu bitten. Was immer du von mir denken magst, solche Beleidigungen habe ich nicht verdient.“

„Wie schade, dass du nicht beim Film bist. Deine gekränkte Miene ist äußerst beeindruckend.“

„Du solltest dich schämen!“ Empört machte Faye auf dem Absatz kehrt und verließ ohne ein weiteres Wort den Innenhof.

2. KAPITEL

Faye eilte zurück in die belebte Halle, stieß mit jemandem zusammen, entschuldigte sich atemlos und wich zurück zwischen die Säulen.

Ihr war bewusst, sie stand unter Schock. Trotzdem machte es sie wütend, dass Tränen ihr den Blick trübten und sie nicht sehen konnte, wohin sie ging. Sie lehnte sich an die Säule und atmete tief durch, um die Fassung wiederzugewinnen. Was war bloß mit ihr los?

„Erlauben Sie mir, Ihnen eine Erfrischung anzubieten“, drang in diesem Moment eine besorgte Männerstimme an ihr Ohr.

Verwundert, weil sie die Stimme erkannte, öffnete Faye die Augen und schaute auf die glänzenden Schuhe eines kleinen Mannes. Es war Latif, Tariqs ältester Vertrauter, den sie bei mehreren Gelegenheiten im letzten Jahr getroffen hatte. Latif verbeugte sich so tief, dass sie einen fabelhaften Blick auf seinen kahlen Hinterkopf hatte. Im ersten Moment wusste sie nicht recht, wie ihr geschah, doch dann dämmerte ihr, dass der ältere Mann ihr taktvollerweise eine Atempause verschaffen wollte.

„Latif …“

„Hier entlang, bitte.“

Er führte sie durch eine Tür und die angrenzende Halle in einen hellen, im europäischen Stil möblierten Empfangssalon. Dankbar für die klimatisierte Luft, sank Faye auf ein Seidensofa und suchte in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch.

Der ältere Mann war in respektvollem Abstand neben der Tür stehen geblieben. Latif war nett. Er hatte ihren Kummer bemerkt und sie hergebracht, damit sie sich in Ruhe erholen konnte. Leider verboten es ihm die guten Manieren, sie allein zu lassen.

Mit leise klirrenden Armreifen und Ohrgehängen betrat eine Prozession barfüßiger Dienerinnen mit Tabletts den Raum. Eine nach der anderen kniete zu Fayes Füßen nieder und reichte ihr Kaffee, Gebäck und buntes Konfekt. Danach entfernten sie sich rückwärtsgehend unter tiefen Verbeugungen. Wahrscheinlich wurden alle Besucher, von denen viele natürlich wichtige Persönlichkeiten waren, mit solch ausgesuchter Aufmerksamkeit und Unterwürfigkeit behandelt, aber Faye fühlte sich dennoch äußerst unbehaglich.

Als sie den bittersüßen Mokka getrunken hatte, beendete Latif mit vollendeter Höflichkeit das Schweigen. „Ich glaube, die Hitze war zu viel für Sie. Hoffentlich fühlen Sie sich jetzt besser.“

„Ja, danke.“ Da sie nicht den leisesten Zweifel daran hegte, dass er über Adrians Misere informiert war, entschied sie sich, das heikle Thema unumwunden anzuschneiden. „Haben Sie eine Ahnung, wie ich meinem Bruder helfen kann?“

„Ich würde empfehlen, dass Sie sich vielleicht morgen erneut an Prinz Tariq wenden.“

So viel zu einem guten Rat aus eingeweihten Kreisen! Faye unterdrückte ein bitteres Lächeln. Woher sollte Latif auch wissen, was sich zwischen ihr und Tariq abgespielt hatte? Gib dich mir hin! Eine unmissverständliche Äußerung, die keinen Raum für Fehlinterpretationen ließ. Faye war noch immer erschüttert, dass Tariq ihr einen so barbarischen Vorschlag gemacht hatte.

Bei dieser Überlegung meldete sich ihr Gewissen. Hatte sie sich Tariq damals nicht ebenso unmissverständlich angeboten? Hatte sie nicht klar gemacht, dass sie mit ihm schlafen wollte? Und hatte sie nicht kalte Füße bekommen, als sie gemerkt hatte, dass die unkluge Einladung seine Haltung ihr gegenüber geändert hatte? Zweifellos sah Tariq in ihr jetzt nur noch eine schamlose Verführerin! Erneut traten ihr die Tränen in die Augen. Es war furchtbar, wie ein Fehler zu immer weiteren führte! Seit dem Moment, als sie von den moralischen Werten abgewichen war, die ihre Erziehung geprägt hatten, war sie vom Schicksal gestraft worden.

Faye erhob sich, um die Haja zu verlassen. „Danke für den Kaffee, Latif.“

„Wenn ich darf, schicke ich Ihnen morgen einen Wagen.“

„Es wäre reine Zeitverschwendung, käme ich noch einmal kommen.“

„Der Wagen wird Ihnen den ganzen Tag zur Verfügung stehen.“

Sie gelangte zu dem Schluss, dass Latif die Freilassung ihres Bruders aus dem Gefängnis wollte. Warum sonst zog er im Hintergrund die Fäden? Sie kehrte in der Limousine zum Hotel zurück.

Als sie mit hängenden Schultern das Foyer durchquerte, kam Percy aus der Bar auf sie zugestürzt. „Nun?“

„Alles, was ich bekommen habe, war … war ein unmoralisches Angebot.“ Sie brachte es nicht über sich, ihren Stiefvater anzusehen, und hoffte inständig, die ehrliche Antwort würde ihn besänftigen und ihr ein weiteres Verhör ersparen. Percy war ein Tyrann, der war er schon immer gewesen. Im Augenblick fühlte sie sich jedoch einem Streit mit ihm nicht gewachsen.

„Na und?“, konterte er ohne Zögern. „Du musst tun, was immer nötig ist, um Adrian nach Hause zu bringen.“

Faye war einmal mehr schockiert. Warum eigentlich? fragte sie sich, nachdem sie ihren wutschnaubenden Stiefvater hinter sich gelassen hatte und zum Lift eilte. Percy hatte nie viel Zeit für sie gehabt. Es war naiv von ihr gewesen, anzunehmen, er würde ihre Empörung teilen. Für Percy zählte allein Adrian. Und sollte das nicht auch für sie gelten?

In ihrem Zimmer angekommen, bestellte sie telefonisch den preiswertesten Snack auf der Karte. Dann machte sie eine nüchterne Bestandsaufnahme. Ohne sie, Faye, hätte Adrian Tariq nie kennengelernt und wäre nicht auf die Idee verfallen, in Jumar eine Firma zu gründen. Es war außerdem ihre Schuld, dass Tariq sie und ihren Bruder in dem gleichen Licht betrachtete wie ihren Stiefvater. Ob es ihr behagte oder nicht, sie hatte Tariq in eine kompromittierende Situation gelockt, die es Percy ermöglicht hatte, ihm zu drohen. Ihre kindische Vernarrtheit, ihre Lügen und Unreife hatten zu dieser Entwicklung geführt. Adrian musste jetzt leiden, weil Tariq sie alle verachtete und ihnen misstraute. Wer hätte je gedacht, dass aus einer scheinbar kleinen Lüge so viel Kummer erwachsen würde?

Faye schluckte trocken. Bei ihrer ersten Begegnung mit Tariq hatte sie behauptet, dreiundzwanzig zu sein, obwohl ihr neunzehnter Geburtstag erst in einem Monat stattfinden sollte. Logischerweise war Tariq außer sich vor Zorn gewesen, als er von ihrem Täuschungsmanöver erfuhr. Seufzend verdrängte sie die bitteren Erinnerungen und Schuldgefühle und wandte sich der Gegenwart zu. Wie konnte sie ihrem Bruder helfen?

An diesem Abend klopfte Percy noch einmal an ihre Zimmertür, doch sie öffnete mit vorgelegter Kette und erklärte, es gehe ihr nicht gut. Das war keineswegs gelogen. Sie war so müde, dass ihr schwindlig war. Auf ihrem Bett liegend lauschte sie dem durchdringenden Ruf des Muezzin, der die Gläubigen zum Gebet in die Moschee am Ende der Straße rief.

Am nächsten Morgen stieg Faye um halb neun in die Limousine, die für sie bereitstand, wie Latif versprochen hatte. Inzwischen hatte sie erkannt, welch schwerwiegende Fehler sie am Vortag begangen hatte. In ihrem Bestreben, das Gesicht zu wahren, hatte sie nur über Adrian geredet. Kein Wunder, dass Tariq sie weiterhin für eine dreiste Schwindlerin hielt, die ihn einmal mehr umgarnen wollte. Vielleicht würden ein offenes Schuldeingeständnis, eine längst fällige Erklärung und eine aufrichtige Entschuldigung dazu beitragen, seine Feindseligkeit zu mildern. Möglicherweise würde er dann in Betracht ziehen, Adrian Geld zu leihen, damit dieser seine Schulden begleichen konnte. Und am Ende könnten sie dann hoffentlich die Vergangenheit ruhen lassen.

Diesmal brachte sie der Wagen zu einem Seiteneingang der Haja-Festung, wo Latif persönlich sie begrüßte. Angesichts ihres schlichten, mit fliederfarbenen Blüten bedruckten Leinenkleides nickte er anerkennend.

Als sie geradewegs in ein großes, modernes Büro geführt wurde, atmete Faye tief durch und straffte die Schultern. Tariq stand neben dem Fenster und telefonierte mit dem Handy. Er trug einen hellgrauen Anzug, dessen perfekter Schnitt seine breiten Schultern, schmalen Hüften und langen Beine betonte. Bei ihrem Anblick neigte Tariq leicht den Kopf.

Nachdem sie sich auf Latifs Aufforderung hin gesetzt hatte, zog sich der ältere Mann zurück, und sie konzentrierte sich auf Tariq. Die kleinen Gesten, mit denen er seine Worte begleitete, waren ihr nur zu vertraut. Von schmerzlichen Erinnerungen überwältigt, verschränkte sie die bebenden Hände im Schoß. Sie kannte sein markantes, sonnengebräuntes Gesicht fast so gut wie ihr eigenes: tiefschwarze Brauen, goldbraune Augen, schmale Nase, hohe Wangenknochen, energisches Kinn und einen ebenso leidenschaftlichen wie festen Mund.

Erst am Vortag hatte sie seine Anziehungskraft in demütigender Weise zu spüren bekommen. Allerdings hatte er sie in einem schwachen Moment erwischt. Das war alles. Sie war kein vernarrter Teenager mehr, der seinen eigenen Emotionen, aufgepeitschten Hormonen und wilden Fantasien ausgeliefert war. Sie war schnell über ihn hinweggekommen. Zugegeben, sie hatte sich seither mit niemandem mehr verabredet, aber nur weil er ihr das Interesse an Männern gründlich vergällt hatte.

„Warum bist du hier?“

Faye zuckte zusammen. „Ich finde, ich schulde dir eine Erklärung für mein Benehmen im letzten Jahr.“

„Ich brauche keine Erklärung.“ Verachtung schwang in Tariqs Stimme mit. „Ich will nichts hören. Wenn du glaubst, ich wäre so dumm, dir eine Chance für noch mehr Lügen und Rechtfertigungen einzuräumen, unterschätzt du mich gewaltig und …“

„Aber …“

„Es ist äußerst unhöflich, mich zu unterbrechen, wenn ich rede.“

„Soll ich mich dir vielleicht zu Füßen werfen wie ein Teppich, damit du auf mir herumtrampeln kannst?“, rief Faye gereizt.

„Ein Teppich ist leblos. Ich bevorzuge bei meinen Frauen Energie und Bewegung.“

Ihr ohnehin angeschlagenes Selbstvertrauen wurde noch weiter erschüttert. Nichtsdestotrotz probierte Faye es noch einmal. „Tariq, ich muss dir einiges sagen und mich entschuldigen. Damals hast du mir keine Gelegenheit dazu gegeben.“

„Wenn das der einzige Grund für deine Anwesenheit ist, solltest du lieber gehen. Schöne Worte und Krokodilstränen bringen dich nicht weiter. Der bloße Gedanke an deine schamlose Täuschung macht mich wütend.“

„Okay, es ist dein gutes Recht, verärgert zu sein.“

„Geheuchelte Zerknirschung ärgert mich auch“, stellte er trocken fest. „Spar dir die Floskeln. Ich habe dir gestern ein Angebot unterbreitet, und deshalb bist du hier. Nur ein Flittchen würde einen solchen Vorschlag akzeptieren, also hör auf, die süße, unverstandene Unschuld zu spielen.“

Faye, die normalerweise der sanfteste Mensch der Welt war, war schockiert über die Woge des Zorns, die ihr wie heiße Lava durch die Adern strömte. Sie sprang auf. „Ich lasse mich nicht als Flittchen beschimpfen! Wie nennst du einen Mann, der einer Frau ein solches Angebot macht?“

„Einen Mann ohne Illusionen … einen Mann, der Heuchelei verabscheut.“

Sie bebte am ganzen Körper. „Gütiger Himmel, du beleidigst mich mit einem Antrag, den keine ehrbare Frau je in Erwägung ziehen würde, und im nächsten Atemzug sonnst du dich auf deinem Gipfel der Tugend.“

„Du bist keine ehrbare Frau. Du lügst und betrügst und würdest für Geld alles tun.“

„Das ist nicht wahr! Es hat alles mit ein paar kindischen, harmlosen Schwindeleien angefangen. Ich weiß, es war falsch, aber ich war verrückt nach dir.“

„Verrückt nach mir?“ Tariq lachte schallend. „Für eine halbe Million Pfund hast du mich gehen lassen. Du warst so blind vor Gier, dass du dich damit zufrieden gegeben hast!“

Entsetzt wich sie einen Schritt zurück und blickte Tariq fassungslos an. „Ich habe dich gehen lassen … für eine halbe Million Pfund? Was, zum Teufel, willst du mir jetzt wieder vorwerfen?“

Tariq blickte sie eindringlich an. „Du warst eine billige Braut, so viel steht fest. Du hattest keine Mitgift, trotzdem bin ich dich für ein Trinkgeld wieder losgeworden.“

Mit weichen Knien sank sie zurück auf den Stuhl. Offenbar hatte Tariq jemandem Geld ausgehändigt, Geld, von dem sie nichts geahnt hatte. Für derartige Machenschaften kam nur eine Person infrage. „Du hast das Geld Percy gegeben?“

„Ich habe es dir gegeben.“

Erst jetzt erinnerte Faye sich an den Umschlag, den Tariq ihr an jenem schrecklichen Tag ihrer Scheinhochzeit vor die Füße geworfen hatte. Wusste er nicht mehr, dass er zu diesem Zeitpunkt ausschließlich Arabisch gesprochen hatte? War ihm nicht klar, dass sie naiverweise geglaubt hatte, in dem Kuvert befände sich der Trauschein? Als sie mit gebrochenem Herzen und zutiefst verletztem Stolz aus der Botschaft von Jumar getaumelt war, hatte sie Percy den Umschlag angewidert in die Hand gedrückt.

„Bist du jetzt zufrieden, dass du mein Leben ruiniert hast?“, hatte sie geschluchzt. „Verbrenn diesen Brief … Ich will nie wieder an diesen Tag erinnert werden.“

Wie viele Wochen hatte es gedauert, bis sie sich schließlich überwunden und ihren Stiefvater nach der Urkunde gefragt hatte, in der Hoffnung, er möge sie noch nicht vernichtet haben? Sie hatte gedacht, sie würde das Papier vielleicht benötigen, um eine Annullierung zu beantragen, falls die unkomplizierte Form einer jumarischen Scheidung vom englischen Gesetzt nicht anerkannt werden sollte. Percy hatte sie jedoch ausgelacht, als sie ihre Sorgen erwähnte.

„Stell dich nicht dümmer, als du bist, Faye“, hatte er erwidert. „Das war keine legale Heirat! Sie wurde nicht vollzogen, und er hat dich unmittelbar nach der Zeremonie verstoßen. Dein Wüstenkrieger hat lediglich sein Gesicht wahren und sich mit irgendwelchem Hokuspokus schützen wollen. Warum sonst hat er auf einer Trauung im engsten Kreis in der Botschaft bestanden?“