Erstes Buch

Die Prinzipien

Preis der Venus

Inhaltsverzeichnis

Mutter der Äneaden, du Wonne der Menschen und Götter,

Lebensspendende Venus: du waltest im Sternengeflimmer

Über das fruchtbare Land und die schiffedurchwimmelte Meerflut,

Du befruchtest die Keime zu jedem beseelten Geschöpfe,

Daß es zum Lichte sich ringt und geboren der Sonne sich freuet.

Wenn du nahest, o Göttin, dann fliehen die Winde, vom Himmel

Flieht das Gewölk, dir breitet die liebliche Bildnerin Erde

Duftende Blumen zum Teppich, dir lächelt entgegen die Meerluft,

Und ein friedlicher Schimmer verbreitet sich über den Himmel.

Denn sobald sich erschlossen des Frühlings strahlende Pforte

Und aus dem Kerker befreit der fruchtbare West sich erhoben,

Künden zuerst, o Göttin, dich an die Bewohner der Lüfte,

Und dein Nahen entzündet ihr Herz mit Zaubergewalten.

Jetzt durchstürmet das Vieh wildrasend die sprossenden Wiesen

Und durchschwimmt den geschwollenen Strom. Ja, jegliches folgt dir

Gierig, wohin du es lenkest; dein Liebreiz bändigt sie alle;

So erweckst du im Meer und Gebirg und im reißenden Flusse

Wie in der Vögel belaubtem Revier und auf grünenden Feldern

Zärtlichen Liebestrieb in dem Herzblut aller Geschöpfe,

Daß sie begierig Geschlecht um Geschlecht sich mehren und mehren.

Also lenkst du, o Göttin, allein das Steuer des Weltalls.

Ohne dich dringt kein sterblich Geschöpf zu des Lichtes Gefilden,

Ohne dich kann nichts Frohes der Welt, nichts Liebes entstehen:

Drum sollst du mir auch Helferin sein beim Dichten der Verse,

Die ich zum Preis der Natur mich erkühne zu schreiben.

Ich widme Unserem Memmius sie, der dir es vor allem verdanket,

Allzeit allen voran sich in jeglichem Amt zu bewähren.

Drum so verleih, o Göttin, dem Lied unsterbliche Schönheit,

Heiß indessen das wilde Gebrüll laut tosenden Krieges

Aller Orten nun schweigen und ruhn zu Land und zu Wasser,

Da nur du es verstehst, die Welt mit dem Segen des Friedens

Zu beglücken. Es lenkt ja des Kriegs wildtobendes Wüten

Waffengewaltig dein Gatte. Von ewiger Liebe bezwingen

Lehnt sich der Kriegsgott oft in den Schoß der Gemahlin zurücke;

Während sein rundlicher Nacken hier ruht, schaut gierig sein Auge,

Göttin, zu dir empor und weidet die trunkenen Blicke,

Während des Ruhenden Odem berührt dein göttliches Antlitz.

Wenn er so ruht, o Göttin, in deinem geheiligten Schöße,

Beuge dich liebend zu ihm und erbitte mit süßesten Worten,

Hochbenedeite von ihm für die Römer den lieblichen Frieden.

Denn ich vermag mein Werk in den jetzigen Nöten des Staates

Sonst nicht mit Ruhe zu fördern, und du, des Memmierstammes

Rühmlicher Sproß, du könntest dich jetzt nicht entziehen dem Gemeinwohl.

Inhalt des Gedichtes, besonders der ersten Bücher

Inhaltsverzeichnis

Leihe mir jetzt ein offenes Ohr, mein Gajus, und widme

Aller Sorgen entledigt den Geist der Erkenntnis der Wahrheit.

Leicht sonst könnt' es geschehen, daß, ehe du richtig verstanden,

Du mein emsig geschaffenes Werk nicht achtend verwürfest.

Denn es beginnt von dem Himmelssystem und dem Wesen der Götter

Völlig den Schleier zu ziehn und der Welt Elemente zu lehren.

Denn aus ihnen erschafft die Natur und ernähret und mehret

Alles; auf diese zuletzt führt alles sie wieder zurücke,

Wenn es vergeht. Wir nennen sie Stoffe und Keime der Körper

Oder die Samen der Dinge nach unserer Lehre Bezeichnung,

Oder wir sprechen wohl auch von ihnen als Urelementen,

Weil aus ihnen zuerst ein jegliches wurde gebildet.

Preis Epikurs

Inhaltsverzeichnis

Als vor den Blicken der Menschen das Leben schmachvoll auf Erden

Niedergebeugt von der Last schwerwuchtender Religion war,

Die ihr Haupt aus des Himmels erhabenen Höhen hervorstreckt

Und mit greulicher Fratze die Menschheit furchtbar bedräuet,

Da erkühnte zuerst sich ein Grieche, das sterbliche Auge

Gegen das Scheusal zu heben und kühn sich entgegenzustemmen.

Nicht das Göttergefabel, nicht Blitz und Donner des Himmels

Schreckt' ihn mit ihrem Drohn. Nein, um so stärker nur hob sich

Höher und höher sein Mut. So wagt' er zuerst die verschlossnen

Pforten der Mutter Natur im gewaltigen Sturm zu erbrechen.

Also geschah's. Sein mutiger Geist blieb Sieger, und kühnlich

Setzt' er den Fuß weit über des Weltalls flammende Mauern

Und er durchdrang das unendliche All mit forschendem Geiste.

Dorther bracht' er zurück als Siegesbeute die Wahrheit:

Was kann werden, was nicht? Und wie ist jedem umzirket

Seine wirkende Kraft und der grundtief ruhende Markstein?

So liegt wie zur Vergeltung die Religion uns zu Füßen

Völlig besiegt, doch uns, uns hebt der Triumph in den Himmel.

Abwehr der Volksreligion

Inhaltsverzeichnis

Freilich beschleicht mich die Furcht hierbei, als ob du vermeinest,

Gottlosen Pfad zu betreten bei diesem System und des Frevels

Weg zu beschreiten. Doch grade die übliche Religion ist's,

Die oft gottlose Taten erzeugt und Werke des Frevels.

Haben doch solchergestalt die erlesenen Danaerfürsten

An Dianens Altar, der jungfräulichen Göttin, in Aulis

Iphianassas Blut in grausamem Wahne geopfert.

Als ihr die heilige Binde die Jungfraulocken umsäumend

In gleichmäßigem Falle die Wangen beide bedeckte,

Als sie zugleich am Altar den trauernden Vater erblickte

Und ihm nahe die Diener den Mordstahl unter dem Mantel

Bargen und jammerndem Volke der Anblick Tränen entlockte,

Da sank stumm sie vor Angst auf die Knie hinab zu der Erde.

Nichts vermochte der Armen in dieser Stunde zu helfen,

Daß sie den König zuerst mit dem Namen des Vaters begrüßte.

Denn von den Fäusten der Männer ergriffen, so wurde sie zitternd

Hin zum Altare geschleppt, nicht um nach dem festlichen Opfer

Dort in dem Hochzeitszug mit Jubel geleitet zu werden,

Nein, in der Brautzeit selbst ward sie, die Unschuldige, schuldvoll

Hingeschlachtet als Opferlamm von dem eigenen Vater,

Auf daß endlich die Flotte gewinne den glücklichen Auslauf.

Soviel Unheil vermochte die Religion zu erzeugen.

Warnung vor den Priestern

Inhaltsverzeichnis

Jeweils denkst du vielleicht von den dräuenden Worten der Priester

Heftig bedrängt und bekehrt aus unserem Lager zu fliehen!

Denn was könnten sie dir nicht alles für Märchen ersinnen,

Die dein Lebensziel von Grund aus könnten verkehren

Und mit lähmender Angst dein Glück vollständig verwirren!

Und in der Tat, wenn die Menschen ein sicheres Ende vermöchten

Ihrer Leiden zu sehn, dann könnten mit einigem Grunde

Sie auch der Religion und den Priesterdrohungen trotzen.

Doch so fehlt für den Widerstand wie die Kraft so die Einsicht,

Da uns die Angst umfängt vor den ewigen Strafen der Hölle.

Wesen der Seele

Inhaltsverzeichnis

Denn man weiß ja doch nichts von dem Wesen der Seele; man weiß nicht,

Ob sie schon mit der Geburt in uns eingeht oder ob dann erst

Sie entsteht und im Tod mit dem Leibe zusammen sich auflöst;

Ob sie im Orkus verschwindet und seinen geräumigen Schlüften

Oder ob Götterbefehl sie in andre Geschöpfe verbannet.

So sang Ennius einst, der erste der römischen Dichter,

Der von des Helikon Höhen sich ewig grünenden Lorbeer

Pflückte zum Kranz. Hell klinget sein Preis durch Italiens Lande.

Zwar verkündet der Dichter in seinen unsterblichen Versen,

Unten am Acheron seien wohl allerlei Räume, doch unsre

Wirklichen Seelen und Leiber gelangten da nimmer hinunter,

Sondern nur Schattengebilde und wunderlich bläßliche Schemen.

So sei einst aus der Tiefe des ewig jungen Homeros

Schatten im Traum ihm erschienen und habe mit Tränen im Auge

Ihm zu enthüllen begonnen im Lied das Geheimnis des Daseins.

Inhalt der späteren Bücher

Inhaltsverzeichnis

Also es ziemt uns zunächst auf die himmlischen Dinge zu achten

Und mit Fleiß zu erforschen die Bahnen der Sonn' und des Mondes,

Wie sie laufen und welcherlei Kraft sich in allem betätigt

Hier auf Erden. Doch forschenswert vor allem bedünkt mich

Unsere Seele, woher sie stammt, und das Wesen des Geistes,

Und was unsere Seele im Wachen nicht minder zu schrecken

Pflegt wie im Krankheitsfall und wenn wir vom Schlafe betäubt sind,

Daß wir die Toten zu sehen und Stimmen von jenen zu hören

Meinen, deren Gebein schon längst von der Erde bedeckt wird.

Schwierigkeit der Aufgabe

Inhaltsverzeichnis

Schwer zwar ist's, ich verhehl' es mir nicht, das entdeckte Geheimnis

Griechischer Weltweisheit in lateinischen Versen zu künden.

Auch bedarf es dazu Neuschöpfung vieler Begriffe;

Unsere Sprache versagt gar oft bei der Neuheit des Inhalts;

Doch dein adliger Sinn und die lockende Hoffnung der süßen

Freundschaft treibt mich dazu, mich vor keinerlei Mühe zu scheuen;

Ja sie verleitet mich oft die heiteren Nächte zu wachen,

Bis ich den richtigen Vers und die passenden Wörter gefunden,

Die klarleuchtende Helle vor deinem Verstande verbreiten,

Daß du das Dunkel der Dinge vollständig zu lichten vermöchtest.

Naturforschung als Erlösung

Inhaltsverzeichnis

Jene Gemütsangst nun und die lastende Geistesverfinstrung

Kann nicht der Sonnenstrahl und des Tages leuchtende

Helle Scheuchen, sondern allein die Naturanschauung und Forschung.

Sie muß füglich beginnen mit folgendem obersten Leitsatz;

I. Lehrsatz. Nichts wird aus Nichts

Inhaltsverzeichnis

Nichts kann je aus dem Nichts entstehn durch göttliche Schöpfung.

Denn nur darum beherrschet die Furcht die Sterblichen alle,

Weil sie am Himmel und hier auf Erden gar vieles geschehen

Sehen, von dem sie den Grund durchaus nicht zu fassen vermögen.

Darum schreiben sie solches Geschehn wohl der göttlichen Macht zu.

Haben wir also gesehen, daß nichts aus dem Nichts wild geschaffen,

Dann wird richtiger auch die Folgerung draus sich ergeben,

Woraus füglich ein jegliches Ding zu entstehen im Stand ist

Und wie alles sich bildet auch ohne die Hilfe der Götter.

Gäb' es Entstehung aus Nichts, dann könnt' aus allem ja alles

Ohne weitres entstehen und nichts bedürfte des Samens.

So könnt' erstlich der Mensch aus dem Meer auftauchen, der Fische

Schuppiges Volk aus der Erde, die Vögel dem Himmel entfliegen,

Herdengetier und anderes Vieh wie die wilden Geschöpfe

Füllten beliebig entstanden das Fruchtland an wie das Ödland.

Auch auf den Bäumen erwüchsen nicht immer dieselbigen Früchte,

Sondern das änderte sich, kurz, alles erzeugte da alles.

Hätte fürwahr nicht jegliches Ding ureigene Keime,

Wie nur könnte für alles ein sicherer Ursprung bestehen?

Doch weil jegliches jetzt aus bestimmten Samen sich bildet,

Tritt es nur dort an den Tag und dringt zu den Räumen des Lichtes,

Wo sich der Mutterstoff und die Urelemente befinden.

Dadurch wird es unmöglich, daß alles aus allem entstehe,

Weil in besonderen Stoffen tut jedes gesondert die Kraft ruht.

Weshalb sehen wir ferner im Lenze die Rosen erblühen,

Sommerhitze das Korn und den Herbst die Trauben uns spenden?

Doch wohl, weil zu der richtigen Zeit sich die Samen der Dinge

Gatten und alles, was dann aus ihnen sich bildet, zu Tag tritt,

Wenn auch die Witterung hilft und die lebenspendende Erde

Sicher das zarte Gewächs in die Räume des Lichtes emporführt.

Kämen aus Nichts sie hervor, dann würden sie plötzlich entstehen

Ohne bestimmten Termin auch in anderen Zeiten des Jahres.

Denn dann gäb' es ja keine befruchtenden Urelemente,

Welche mißgünstige Zeit an der Zeugung könnte verhindern.

Auch für das Wachstum wären befruchtende Zeiten nicht nötig,

Wenn aus dem Nichts hervor die Dinge zu wachsen vermöchten.

Denn dann würden sofort aus Säuglingen Jünglinge werden

Und mit urplötzlichem Schuß entwüchsen die Bäume dem Boden.

Aber dergleichen entsteht doch nichts: man sieht es ja deutlich;

Wie es sich schickt, wächst jedes gemach aus besonderem Keime.

Und so wahrt es die eigene Art auch im weiteren Wachsen.

Also man sieht: aus besonderem Stoff mehrt jedes und nährt sich.

Hierzu kommt, daß ohne geregelten Regen im Jahre

Keinerlei labende Frucht uns die Erde vermöchte zu spenden;

Fehlt dann das Futter, so könnten natürlich hinfort die Geschöpfe

Weder die Art fortpflanzen noch selbst ihr Leben nur fristen.

Drum ist's glaublicher, daß gar vielerlei Stoffelemente

Vielerlei Dingen gemeinsam sind, wie die Lettern den Wörtern,

Als daß irgendein Wesen der Urelemente beraubt sei.

Schließlich warum hat Mutter Natur nicht Riesen erschaffen,

Die wohl über das Meer mit den Füßen zu schreiten vermöchten,

Die mit den riesigen Händen die mächtigen Berge zerspellten

Und jahrhundertelang ihr leibliches Leben erstreckten,

Läge nicht für die Entstehung der Wesen jedwedem bestimmter

Urstoff vor, aus dem sich ergibt, was wirklich entstehn kann?

Also: Nichts entsteht aus dem Nichts. Dies ist nicht zu leugnen.

Denn es bedarf doch des Samens ein jegliches Ding zur Entstehung,

Wenn es hervorgehn soll in des Luftreichs dünne Gefilde.

Endlich sehen wir doch, wie bebautes Gelände den Vorzug

Hat vor dem wüsten und bessere Frucht dort erntet der Pflüger.

Siehe, der Erdenschoß birgt offenbar Urelemente,

Die wir zum Licht befördern, so oft wir die fruchtbaren Schollen

Wenden und pflügend die Schar den Boden der Erde durchfurchet.

Wären sie nicht, dann wären umsonst all' unsere Mühen;

Denn dann sähe man alles von selbst viel besser gedeihen.

Nichts wird zu Nichts

Inhaltsverzeichnis

Dazu kommt, daß Mutter Natur in die Urelemente

Wiederum alles zerstreut und Nichts in das Nichts wird vernichtet.

Denn wär' irgendein Wesen in allen Teilen zerstörbar,

Würd' es den Augen entschwinden im Nu, sobald es der Tod trifft.

Denn dann braucht es ja keiner Gewalt, die Teile desselben

Auseinanderzuscheiden und ihre Verbände zu lösen.

Doch nun ist ja ein jedes aus ewigem Samen entsprossen:

Darum scheint die Natur die Vernichtung keines der Wesen

Zuzulassen, solang nicht von außen zerstörend die Kraft wirkt

Oder ins Leere sich schleichend von innen die Bindungen lockert.

Weiter, wenn etwa die Zeit, was sie alt und entkräftet dahinrafft,

Völlig vernichtend träfe und gänzlich verzehrte den Urstoff,

Woher führte denn Venus die Gattungen lebender Wesen

Wieder zum Licht und woher verschaffte die Bildnerin Erde

Jedem nach seinem Geschlechte das Futter zu Nahrung und Wachstum?

Woher füllten das Meer die von fernher strömenden Flüsse

Wie auch die eigenen Quellen? Wie nährte der Äther die Sterne?

Müßte doch längst, was immer aus sterblichem Körper bestehet,

In der unendlichen Zeit und Vergangenheit alles erschöpft sein.

Wenn nun in jener Zeit und den längst vergangenen Tagen

Jene Stoffe bestanden, aus denen die Welt ist erschaffen,

Müssen sie sicher besitzen ein unzerstörbares Wesen.

Also kann in das Nichts auch das Einzelne nimmer zerfallen.

Endlich müßte der nämlichen Kraft und der nämlichen Ursach'

Überall alles erliegen, sofern nicht der ewige Urstoff

Hielte den ganzen Verband bald mehr bald minder vernestelt.

Denn schon die bloße Berührung genügte den Tod zu bewirken,

Weil ja die ewigen Körper dann mangelten, deren Verbindung

Jegliche Kraft erst müßte zuvor auflösend zerstören.

Aber da untereinander die Klammern der Urelemente

Völlig verschieden sie binden und ewiglich dauert der Urstoff,

Hält sich der Dinge Bestand solang, bis die einzelne Bindung

Einer genügenden Kraft, um jene zu sprengen, begegnet.

Nichts wird also zu Nichts, doch löst sich hinwiederum alles,

Wenn es zur Trennung kommt, in des Urstoffs Grundelemente.

Endlich die Regenergüsse verschwinden zwar, wenn sie der Vater

Äther zum Mutterschoße der Erde befruchtend hinabschickt,

Aber emporsteigt schimmernd die Frucht, und das Laub an den Bäumen

Grünt, und sie wachsen empor, bald senkt sich der Ast vor den Früchten.

Hiervon nähren sich wieder der Menschen und Tiere Geschlechter,

Hiervon sehen wir fröhlich die Kinder gedeihn in den Städten,

Und in dem Laubwald hört man der jungen Vögel Gezwitscher,

Hiervon strecken ermüdet die feisten, gemästeten Rinder

Nieder den Leib in das üppige Gras und aus strotzenden Eutern

Fließt ihr schneeweiß milchiger Saft. Hier trinkt nun das Jungvieh,

Und von der Milch wie berauscht, die den zarten Kälbchen zu Kopf steigt,

Spielen sie schwankenden Schrittes wie toll durch das sprossende Gras hin.

Also von dem, was man sieht, geht nichts vollständig zugrunde.

Denn die Natur schafft eins aus dem ändern und duldet kein Werden,

Wenn nicht des einen Geburt mit dem Tode des ändern verknüpft wird.

II. Lehrsatz. Die unsichtbaren Atome

Inhaltsverzeichnis

Nunmehr, da ich gelehrt, daß nichts aus dem Nichts wird geboren,

Und daß ebenso auch das Gewordene nicht in das Nichts fällt,

Daß dich nicht Mißtraun etwa zu meinen Worten beschleiche,

Weil man die Urelemente mit Augen zu sehn nicht imstand ist:

Höre nun weiter von Körpern, die eingestandenermaßen

Zwar in der Welt sich befinden und doch sich nicht sichtbar bekunden.

Erstlich denk' an des Windes Gewalt! Wild peitscht er die Meerflut,

Senkt die gewaltigsten Schiffe hinab und zerspaltet die Wolken.

Oft durchsaust er die Felder in rasendem Wirbel und Sturme,

Fällt dort Riesen von Bäumen und geißelt die Gipfel der Berge

Wälder zerschmetternd im Wehn. So rast im grimmigen Schnauben

Durch das Gelände der Sturm und tobt mit bedrohendem Brüllen.

Was sind also die Winde? Doch wohl nichtsichtbare Körper,

Welche die Länder und Meere, nicht minder die Wolken des Himmels

Fegen und mit sich reißen in plötzlichem Wirbel verheerend.

Ebenso flutet auch plötzlich die sanfte Natur der Gewässer

Heftig empor und verpflanzt weithin das Werk der Zerstörung.

Wenn sie durch reichliche Regen geschwollen ihr Bette verlassen

Und von den Bergen herab ein gewaltiger Tobel herabstürzt

Trümmer von Wäldern entführend und Riesen von Bäumen entwurzelnd.

Festeste Brücken vermögen des plötzlich kommenden Wassers

Übergewalt nicht zu hemmen. So stößt vom Regen geschwollen

Gegen die Dämme der Fluß mit übergewaltigen Kräften,

Alles zerstört er mit lautem Gebrüll und wälzt in den Wogen

Riesige Felsen: er stürzt, was gegen die Fluten sich anstaut.

So muß also sich auch das Wehen des Windes erklären.

Wie ein gewaltiger Strom so zermalmet er alles und wälzt es

Vor sich mit häufigem Stoße einher, wo immer er einfällt,

Oder bisweilen ergreift er mit drohendem Strudel die Dinge

Und trägt rasenden Fluges sie fort im rollenden Wirbel.

Also noch einmal: die Winde sind auch nichtsichtbare Körper,

Da sie in Taten und Sitten als Nebenbuhler erscheinen

Zu den gewaltigen Strömen, die sichtbare Körper besitzen.

Ferner empfinden wir auch gar manche Gerüche von Dingen,

Die doch nie in die Nähe der riechenden Nase gelangen.

Auch die glühende Hitze ist unsichtbar und die Kälte

Können wir sichtbar nicht sehn, noch pflegen wir Worte zu schauen,

Gleichwohl muß dies alles ein körperlich Wesen besitzen,

Da es die menschlichen Sinne ja doch zu erregen imstand ist;

Denn nichts kann, als der Körper, Berührung wirken und leiden.

Hängst du ferner ein Kleid an dem flutenumbrandeten Strand auf,

Feucht wird es dort, doch es trocknet auch wieder in glühender Sonne;

Aber man hat nicht gesehn, wie des Wassers Nässe hineinkam

In das Gewand, noch andererseits, wie sie floh vor der Hitze.

Also muß sich das Naß in winzige Teilchen zerteilen,

Die auf keinerlei Weise das Auge zu sehen imstand ist.

Ja auch der Fingerreif wird innen durch stetiges Tragen

Immer dünner im Laufe der wiederkehrenden Jahre.

Gleich wie der fallende Tropfen den Stein höhlt, also vernutzt sich

Auch an dem Pfluge die eiserne Schar unmerklich im Boden.

Ferner das steinerne Pflaster wird bald durch die Füße der Leute

Abgetreten, am Tore die ehernen Bilder der Götter

Zeigen verscheuerte Hände. Denn immer berühret in Andacht,

Wenn es vorüberwandert, das Volk zur Begrüßung die Rechte.

Also wir sehen nun klar: Dies mindert sich, weil es sich abnützt;

Doch was in jedem Momente an Körperchen gehet verloren,

Hat die Natur uns neidisch verwehrt mit den Augen zu schauen.

Schließlich, was Tag um Tag die Natur allmählich den Dingen

Zulegt, wie sie allmählich das Wachstum also befördert.

Das kann nimmer ein Auge erspähn mit gespanntestem Blicke.

Ebensowenig vermagst du zu sehn, was das dörrende Alter

Wegnimmt, oder am Meer, was die überhängenden Felsen,

Welche das Salz zernaget, in jedem Momente verlieren.

Unsichtbar sind also die Körper, durch die die Natur wirkt.

III. Lehrsatz. Das Vakuum

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Aber es ist nicht alles gedrängt voll Körpermaterie

Allerseits. Denn es gibt noch im Innern der Dinge das Leere.

Dies ist zu wissen für dich in vielen Beziehungen nützlich;

Denn es läßt dich nicht schwanken und ratlos immerdar grübeln

Über das Ganze der Welt, statt unserem Wort zu vertrauen.

Also es gibt ein leeres, ein fühllos, stoffloses Wesen.

Wäre das Leere nicht da, dann könnt' auf keinerlei Weise

Irgendein Ding sich bewegen. Denn Widerstand zu entwickeln,

Das ist des Körpers Amt; dies würde beständig in allen

Dingen sich zeigen. Es könnte mithin nichts weiterhin vorgehn;

Denn nichts wollte zuerst Platz machen für andere Wesen.

Aber wir sehen doch jetzt vor den Augen sich vielerlei regen

Und in verschiedenster Art sich durch Länder und Meere bewegen

Wie an dem Himmelsgewölbe. Doch fehlte nun etwa das Leere,

Würde sich nicht nur nichts in reger Bewegung befinden,

Sondern es fehlte durchaus auch die Möglichkeit jeder Erzeugung,

Da sich der rings aufhäufende Stoff nicht zu rühren vermöchte,

Übrigens hält man zwar die Dinge für dicht und solide,

Aber wie locker ihr Körper, ersieht man aus folgendem Beispiel:

Durch das Grottengestein fließt Wasser in flüssigem Strome,

Überall rieseln herab die reichlich tropfenden Tränen.

Ferner: die Speise verteilt sich im ganzen Leib der Geschöpfe.

Auch die Bäume gedeihen und spenden zur Zeit uns die Früchte,

Weil sich der Nahrungssaft von den untersten Wurzeln nach oben

Wie durch den Stamm, so durch alles Gezweig vollständig verbreitet.

Mauern durchdringet der Schall und durchfliegt auch verschlossene Häuser,

Und der erstarrende Frost dringt durch bis zum Mark und den Knochen.

Wären die Räume nicht leer, durch welche die einzelnen Körper

Könnten hindurch sich bewegen, so wäre dergleichen unmöglich.

Endlich warum ist dies an Gewicht just schwerer als jenes,

Ohne daß ihre Gestalt an Umfang wäre verschieden?

Wäre von Körpermasse gleichviel vorhanden im Wollknäul

Wie in dem Klumpen von Blei, dann müßten sie gleichen Gewichts sein;

Ist doch des Körpers Amt nach unten hin alles zu drücken,

Wie es zum Wesen des Leeren gehört des Gewichts zu ermangeln.

Also was gleichgroß ist und dennoch leichter erscheinet,

Zeigt natürlich uns an, daß in ihm mehr Leeres sich birget;

Andererseits was schwerer erscheint, gibt uns zu erkennen,

Daß es an Masse wohl mehr, doch weniger Leeres enthalte.

Also es ist in den Dingen natürlich noch etwas enthalten,

Was wir spürsamen Geistes erforschen: wir nennen's das Leere.

Widerlegung des Gegenbeweises. Schwimmender Fisch

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Eines muß ich hierbei zuvor noch erwähnen, damit nicht

Wahngebilde der Gegner vom Pfade dich lockender Wahrheit.

Vor den schuppigen Tieren (so sagen sie) weiche das Wasser,

Während sie schwimmen, zurück und eröffne die Bahn, weil sie hinten

Platz zum Zusammenströmen den weichenden Wellen gewährten.

So aneinander vorbei sich bewegend vermöchten auch andre

Dinge beliebig die Stellung zu tauschen, wenn alles auch voll ist.

Merke dir, dieser Beweis ruht ganz auf falscher Begründung.

Wohin sollten denn nur die schuppigen Fische vorangehn,

Machte das Wasser nicht Platz? Wenn ferner die Wellen zurückgehn,

Wie vermöchten sie das, wenn die Fische sich rühren nicht können?

Also man muß entweder jedwede Bewegung der Körper

Leugnen oder behaupten: es gibt ein Leeres in ihnen,

Welches den Anfang schafft jedwedem zu jeder Bewegung.

Endlich noch dies! Zwei breite, zusammenstoßende Körper

Prallen mit Wucht auseinander. Da muß nun die Luft in das Leere,

Das hierzwischen entsteht, eindringen und gänzlich es füllen.

Aber auch wenn sie sofort ringsum in beschleunigtem Zustrom

Flösse zusammen, so kann sie doch nimmer in einem Momente

Sämtlichen Raum ausfüllen. Sie muß erst jeden der Plätze

Nacheinander erobern, bis alles am Ende besetzt ist.

Glaubt man nun etwa, der Grund für der Körper gewaltsamen Abprall

Sei aus der Luft zu entnehmen und ihrer Verdichtung, so irrt man.

Denn es entsteht ja ein leerer Raum, der vorher nicht da war,

Ebenso füllt sich auch wieder die Leere, die vorher bestanden.

Niemals kann sich die Luft auf ähnliche Weise verdichten

Oder, wenn je sie es könnte, wie sollte sie ohne das Leere

Sich in sich selber zusammenziehn und die Teile vereinen?

Magst du dich drum bestreitend auch noch so drehen und wenden,

Mußt du doch endlich gestehen: es gibt in den Dingen ein Leeres.

Mahnung an Memmius

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Vieles vermocht' ich dir noch zusammenzuscharren, um hierdurch

Unserer Lehre Beweis durch weitere Gründe zu stärken.

Aber dem spürsamen Geiste genügen auch diese geringen

Spuren der Fährte bereits, um das übrige selber zu finden.

Denn wie im Waldesrevier die Doggen mit witternder Nase

Häufig die Lager des Wildes, die laubverdeckten, erspüren,

Wenn sie nur erst einmal auf die sichere Fährte gelangt sind,

So wirst selber du nun bei derlei Fragen imstand sein,

Eins aus dem ändern zu lernen und in die verborgenen Winkel

Einzudringen, um hieraus hervorzuziehen die Wahrheit.

Säumst du jedoch und willst von der Sache dich etwas zurückziehn,

Geb' ich dir dieses Versprechen, mein Memmius, offen und ehrlich:

Aus dem gewaltigen Quell, der überreich mir im Innern

Quillt, wird mein süßer Gesang dir volle Pokale kredenzen.

Eher noch kommt, wie ich fürchte, das Alter mir langsam geschlichen

Und löst leise die Riegel, die schützend mein Leben verwahren,

Als ich dein Ohr mit der Fülle der formgerechten Beweise

Voll gesättigt, wie solche für jeglichen Fall mir zur Hand sind.

Nun gilt's fortzuspinnen den eben begonnenen Faden.

Nur zwei Prinzipien: Atom und Vakuum

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Alle Natur, wie sie ist an sich, muß also bestehen

Aus zwei Dingen allein. Denn Körper nur gibt es und Leeres,

Welches die Körper umfängt und Bahn schafft jeder Bewegung.

Was nun die Körper betrifft, so lehrt der gewöhnliche Sinn schon,

Daß sie bestehn. Und wenn wir den Sinnen vor allem nicht trauen,

Fehlt uns der Grund, auf den wir gestützt die verborgenen Dinge

Irgendwie mit verständigem Geist zu erforschen vermögen.

Ferner der Ort und der Raum, den wir als das Leere bezeichnen,

Gab' es ihn nicht, so könnten ja nirgend die Körper sich lagern,

Oder sich irgend bewegen wohin nach verschiedener Richtung,

Was wir dir oben vor kurzem ausführlichst haben bewiesen.

Ein Drittes ausgeschlossen

Inhaltsverzeichnis

Ferner gibt es ja nichts, was als völlig verschieden vom Körper

Nennen sich läßt und zugleich nicht minder vom Leeren geschieden,

Was sich gleichsam als dritte Natur zu den ändern gesellte.

Denn was immer nur ist, muß immer aus Etwas bestehen,

Mag es nun groß an Gestalt, mag endlich auch klein es erscheinen:

Wenn es Berührung erfährt auch nur in dem winzigsten Umfang,

Wird sich dadurch auch des Körpers Betrag und die Summe vermehren.

Wenn es jedoch nicht faßbar erscheint, da es nirgend verhindert,

Daß ein beliebiger Körper in voller Bewegung hindurchfährt,

Merke dir, das ist der Raum, den wir als das Leere bezeichnen.

Auch wird, was für sich selber besteht, selbst Wirkungen äußern,

Oder es wird an sich selbst die Wirkungen andrer erleiden,

Oder es bietet den Raum für der ändern Wirkung und Dasein.

Aber Wirken und Leiden ist ohne den Körper unmöglich,

Und es gewähret den Raum nur Körperloses und Leeres.

Drum kann neben den Körpern und neben dem Leeren ein Drittes

Nie und nimmer für sich bestehn in dem Reiche der Dinge,

Weder was irgendeinmal für unsere Sinne sei faßbar,

Noch was mit dem Verstande der Mensch zu erschließen vermöchte.

IV. Lehrsatz. Akzidenzen der Prinzipien

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Alles, was Namen besitzt, hängt ab von den beiden Prinzipien.

Denn es gibt nichts als beider »Verbindung« oder »Ergebnis«.

Als ein Verbundenes gilt, was ohne vernichtende Scheidung

Niemals trennen sich läßt noch abgesondert bestehn kann.

So hat der Stein sein Gewicht, das Feuer die Glut und das Wasser

Nässe; den Körpern ist eigen Berührung, nur nicht dem Leeren,

Knechtschaft aber und Freiheit und ferner Armut und Reichtum,

Wie auch Frieden und Krieg und alles, was sonst noch hinzukommt

Oder verschwindet, doch ohne das Wesen der Dinge zu ändern:

All dies sind wir gewöhnt, wie es recht ist, Ergebnis zu nennen.

Auch ist die Zeit kein Ding an sich, nein, unsere Sinne

Nehmen erst ab von den Dingen, was in der Vergangenheit vorging,

Was uns soeben bedrängt, und endlich was später geschehn wird.

Niemand kann ja die Zeit an sich mit den Sinnen erfassen,

Wenn man die Ruhe der Dinge und ihre Bewegung nicht abmißt.

Wenn man die Sage vernimmt von Helenas Raub und von Trojas

Niederwerfung im Krieg, so muß man sich hüten zu meinen,

Jene Geschehnisse ständen für sich als wirkliche Dinge,

Weil ja die Menschengeschlechter, die jenes »Ergebnis« erfuhren,

Unwiderruflich hinab der vergangene Zeitraum geschlungen.

Denn von dem Land an sich ist das jedesmal'ge Ergebnis

Wohl zu trennen, das grade in dessen Bezirke sich abspielt.

Wäre nun gar in den Dingen der Stoff nicht vorhanden gewesen

Oder der Ort und der Raum, in welchem sich alles ereignet,

Hätte der Helena Schönheit wohl nimmer das Feuer der Liebe

Bei Alexander entfacht und ins Phrygierherz sich gestohlen,

Hätt' auch die Fackel des wilden, von allen besungenen Krieges

Nimmer entzündet. Dann hätte das hölzerne Pferd und die Griechen,

Die es nächtens gebar, auch nimmer die Veste zerstöret.

Daraus kannst du ersehn, daß alle Geschehnisse durchweg

Nicht auf sich selber beruhn und nicht wie der Körper bestehen,

Noch auch so wie das Leere besondre Benennung verdienen,

Sondern nur so, daß man richtig vielmehr von »Ergebnissen« redet,

Die an den Körper und Ort, wo jedes geschieht, sind gebunden.

Atomstruktur und Vakuum

Inhaltsverzeichnis

Körper zerfallen nun teils in Urelemente der Dinge,

Teils in das, was entsteht durch Verbindung der Urelemente.

Aber die Urelemente sind allen Gewalten zum Trotze

Unvertilgbar. Sie schützt ihr undurchdringlicher Körper.

Freilich es scheint recht schwierig zu glauben, es sei in den Dingen

Irgend etwas zu finden mit undurchdringlichem Körper.

Denn es durchdringt ja der himmlische Blitz die Gefache der Häuser,

Ganz wie der Stimmen Geräusch; weiß glühet das Eisen im Feuer,

Und es zerbersten die Felsen, wenn Dampf sie heftig erglühn läßt.

Wie die Starre des Golds durch die Glut wird erweicht und geschmolzen,

So wird der Spiegel des Erzes besiegt von der Flamme verflüssigt.

Wärme durchströmet das Silber wie tiefeindringende Kälte.

Beides fühlen wir deutlich, sobald die ergreifende Rechte

Faßt den Pokal, in den sich ergießt das Getränke von oben.

So sehr scheint in der Welt nichts Undurchdringliches denkbar.

Aber es treibt mich die lautre Vernunft und das Wesen der Dinge;

Darum höre nun jetzt, wie in wenigen Versen ich zeige,

Daß es in Wahrheit Keime von festem und ewigem Stoff gibt,

Die man betrachten muß als die Urelemente des Weltalls;

Alles entstand und besteht auch jetzt noch einzig aus ihnen.

Erstlich nun muß notwendig, da diese Prinzipien beide,

Körper und leerer Raum, in welchem sich alles beweget,

Gänzlich verschiedne Natur, wie man längst entdeckt hat, besitzen,

Jedes für sich selbständig bestehn und rein sich erhalten.

Denn wo immer der Raum sich erstreckt, den Leeres wir heißen,

Ist kein Körper vorhanden, und wiederum, wo sich der Körper

Ausdehnt, fehlt vollständig das Körperlose, das Leere.

Drum sind die Urelemente solid und ermangeln des Leeren,

Da sich nun ferner das Leere in allem Erschaffenen findet,

Muß ringsum sich ein dichterer Stoff um das Leere erstrecken.

Denn bei keinem der Wesen vermag man mit richtigem Schlüsse

Darzutun, daß das Leere in ihm sich verbirgt und versteckt hält,

Wenn man zugleich nicht den dichten, umfassenden Stoff noch dazunimmt.

Dies kann füglich nichts anderes sein als vereinigter Urstoff,

Der in den Dingen vermag das Leere zusammenzuschließen.

Also der Urstoff selbst, der aus dichtestem Körper bestehn muß,

Kann urewig nur sein; das übrige löst sich im Tod auf.

Ferner, wenn das nicht wäre, was Raum verstattet, das Leere,

Wäre ja alles solid, und wiederum, gab es die Körper

Nicht, die sicher die Orte besetzten und völlig erfüllten,

Dann war' unsere Welt nichts andres als ödeste Wüste.

Also Körper und Leeres ist wechselweise geschieden;

Dies ist klar, da weder das Volle ausschließlich für sich steht

Noch auch das Leere. Somit gibt's eben besondere Körper,

Welche den leeren Raum von dem Vollen zu scheiden vermögen.

Diese lassen sich nicht durch Schläge von außen zertrümmern,

Noch löst irgendwie sich ihr festes Gefüge von innen,

Noch bringt irgendein anderer Fall sie erschütternd ins Wanken,

Was ich schon oben vor kurzem dir deutlich zu zeigen vermochte.

Wo das Leere nicht ist, da erscheint auch jede Verbeulung,

Jedes Zerbrechen unmöglich, wie jegliche Teilung in Hälften.

Nässe berührt sie nimmer, noch tief einwirkende Kälte,

Noch eindringendes Feuer, die alleszerstörenden Feinde.

Aber je mehr von dem Leeren ein Ding in dem Innern beherbergt,

Um so leichter erliegt es dem Eingriff jener Gewalten.

Sind nun also, so wie ich's gelehrt, die Urelemente

Dicht und ohne das Leere, dann müssen sie ewig bestehen.

Übrigens: wär' in der Welt nicht vorhanden der ewige Urstoff,

Wäre schon alles wohl längst in das Nichts vollständig versunken,

Und was wir irgend erblicken, müßt' immer von neuem erstehen.

Aber ich habe schon früher gelehrt, nichts könne sich bilden

Aus dem Nichts, noch zurück in das Nichts das Geschaffene sinken;

Deshalb müssen unsterblichen Leibs die Urelemente

Sein, in welche zuletzt jedwedes Geschaffne sich auflöst,

Um dann wieder den Stoff zu erneuten Geburten zu liefern.

Also die Urelemente sind einfach stets und solide,

Und sie können nicht anders auf ewig sich selber bewahren

Und seit undenklicher Zeit stets neue Geburten erschaffen.

Unteilbarkeit der Atome

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Hätte nun ferner Natur kein Ende gesetzt der Zerstörung

Unter den Dingen, dann wären schon lange die Körper des Urstoffs

Durch der vergangenen Zeiten Verderb so völlig vernichtet,

Daß keins ihrer Geschöpfe von Stunde der Zeugung ab könnte

Binnen bestimmter Frist zu des Lebens Höhe gelangen.

Denn wir sehen, wie alles sich schneller zu lösen imstand ist

Als aufs neue zu bilden. Darum auch könnte sich niemals,

Was die unendliche Zeit in der Reihe vergangener Tage

Bis auf die jetzige Stunde zerstreut hat oder zertrümmert,

Wieder aufs neue gestalten im Laufe der künftigen Zeiten.

Doch jetzt bleibt ja natürlich ein festeres Ziel der Vernichtung

Abgesteckt, da wir sehen, wie jegliches Ding sich erneuert,

Und wie für jedes Geschlecht zugleich auch besondere Fristen

Feststehn, innerhalb deren des Lebens Blüte sich aufschließt.

Struktur der vier Elemente

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Dazu kommt noch das Neue, daß, ob auch die Körper des Urstoffs

Völlige Dichte besitzen, trotzdem die entstehenden Dinge

Luft, Feu'r, Erde und Wasser von lockrer Beschaffenheit werden.

All dies läßt sich verstehn durch das Leere, das allem sich beimischt.

Wären dagegen schon locker die Grundelemente der Dinge,

Woher stammten dann Eisen und härtlicher Kiesel, wie wären

Diese geworden, wo bliebe die Kraft, dies alles zu schaffen?

Niemand könnte das sagen. Es würde die ganze Natur dann

Völlig und ganz ermangeln des grundsteinlegenden Anfangs.

Also die Grundelemente sind einfach zwar und solide,

Aber durch ihren Verband, wenn sie fest aneinander sich schließen,

Können die vielen zusammen gewaltige Kräfte entfalten.

Wäre sodann kein Ende gesetzt der Vernichtung der Körper,

Müßten doch einige Körper zum mindesten übrig geblieben

Sein, die aus ewiger Zeit sich bis jetzt in den Dingen erhielten

Und entronnen zu sein aus allen Gefahren sich rühmten.

Aber da längst feststeht, sie seien zerbrechlichen Wesens,

Ist es ein Widerspruch, daß jene die ewige Zeit durch

Trotz unzähliger Stöße sich könnten am Leben erhalten.

Endlich ist festgestellt, daß jedem Geschlechte das Ende

Seines Wachsens und Lebens von vornherein ist gegeben,

Und was jedes vermag den Naturgesetzen zu Folge

Oder was nicht, steht längst schon fest nach ewiger Satzung.

Daran ändert sich nichts, vielmehr bleibt alles beständig,

So, daß stets nach der Reihe die buntgefiederten Vögel

Je nach ihrem Geschlecht dieselbigen Tupfen vererben;

Also müssen sie wohl den nimmer sich ändernden Urstoff

Schon in dem Körper besitzen. Denn könnten die Urelemente

Irgendwie in den Dingen beliebig Veränderung leiden,

Dann wär' auch nicht klar, was eigentlich könnte entstehen

Oder was füglich auch nicht; und wie jedwedem umzirkt sei

Seine wirkende Kraft und der grundtief ruhende Markstein.

Nie auch könnten ererben nach Sippen getrennt die Geschöpfe

Bildung, Bewegung, Gesittung und Lebensführung der Eltern.

Gibt's ein Minimum?

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Weil nun ein äußerster Punkt bei jenem Urelemente

Ist, das unseren Sinnen schon nicht mehr zu schauen vergönnt ist,

So kann dieser natürlich nicht weitere Teilchen besitzen,

Sondern ist schlechthin das Kleinste, das nie für sich hat bestanden

Als selbständiger Teil und nie als solcher bestehn wird.

Denn es ist selbst nur des anderen Teil, und zwar nur das eine

Erste, wie andere dann und andere ähnliche Teilchen

Dicht aneinander sich reihen, um so das Atom zu gestalten.

Da sie für sich nicht können bestehn, so müssen sie alle

Unauflösbar in jedem Bezug aneinander sich ketten.

Also die Grundelemente sind einfach stets und solide,

Da sie mit winzigsten Teilchen zwar eng aneinander geschlossen,

Doch nicht entstanden sind aus einzelner Teilchen Verbindung,

Sondern durch Einheit mächtig, die ewiges Leben verbürget.

Davon läßt die Natur nichts abtun oder vermindern;

Denn sie muß ja die Keime zu künft'gen Geburten bewahren.

Nimmt man sodann dies Kleinste nicht an, so würden doch wieder

Aus unzähligen Teilen die winzigsten Körper bestehen.

Denn stets würde die Hälfte sich weiter in Hälften zerteilen,

Und so würde das Teilen ja nirgends ein Ende erreichen.

Größtes mithin und Kleinstes, wie unterschiede sich beides?

Rein durch nichts. Denn ließe sich auch das All in Gesamtheit

Wirklich unendlich teilen, so würde doch ebenso wieder

All das Kleinste bestehn aus unendlich teilbaren Teilen.

Doch die gesunde Vernunft verwirft dies gänzlich und leugnet,

Daß es unserm Geist je glaublich erschiene. So mußt du

Überwunden gestehn: es ist wirklich ein Kleinstes vorhanden,

Das nicht teilbar mehr ist. So mußt du denn weiter gestehn,

Daß es unsterblichen Wesens infolge der dichten Struktur ist.

Endlich wenn die Natur, die Schöpferin, alles Geschaffne

Wieder in kleinste Partikeln sich ganz zu verflüchtigen zwänge,

Könnte sie nimmer aus diesen die alten Gebilde erneuern

Deshalb, weil ja doch diese unteilbar kleinsten Partikeln

Nicht das können besitzen, was zeugende Stoffe besitzen

Müssen: Gewicht und Stöße, Zusammenprall und Bewegung

Wievielfache Verbindung; denn so nur betätigt sich alles.

Wider Heraklit und Genossen

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Deshalb scheinen mir jene, die Feuer zum Grundstoff wählten

Und aus dem Feuer allein sich das Weltall dachten entstanden,

Ganz und gar von der Wahrheit Weg in die Irre zu gehen.

Diesen voran als erster begann Herakleitos das Treffen,

Dessen dunkele Sprache in griechischen Landen berühmt ist,

Mehr bei den Gecken jedoch als den ernsteren Forschern der Wahrheit.

Denn die Toren bewundern und lieben just alles am meisten,

Was sie unter dem Mantel verschrobener Worte versteckt sehn,

Und sie halten für wahr, was hübsch um die Ohren sie kitzelt

Und was auf ist geschmückt mit dem Wohllaut witziger Rede.

Denn ich frage, warum nur die Dinge so mannigfach wären,

Wenn ihr Ursprung wäre das lautere Feuer alleine?

Denn es nützte ja nichts, daß des Feuers Glut sich verdünnte

Oder verdichtete, hätten die Teile des Feuers dasselbe

Wesen, das ebenso schon das Feuer im ganzen besitzet.

Zwar wenn enger die Teile zusammen sich pressen, wird schärfet

Werden die Glut und gelinder, wenn diese zerstreut und getrennt sind.

Aber an weitere Wirkung ist doch bei solchem Verhältnis

Gar nicht zu denken, geschweige, daß solche Verschiedenheit könnte

Aus dem Feuer entstehn durch Verdichtung oder Verdünnung.

Ferner noch dies: wenn das Leere sie noch zu den Dingen gesellten,

Könnte sich leichter das Feuer verflüchtigen oder verdichten.

Freilich erkennt sein Buch, daß vieles mit seinen Gedanken

Streitet; und da er sich scheut, an das lautere Leere zu glauben,

So verliert er den richtigen Weg aus Angst vor der Steilheit.

Auch dies sieht er nicht ein, daß, wenn man das Leere beseitigt,

Alles sich dichtet und klumpet zu einem ureinzigen Körper,

Der nichts könnte mit Wucht aus dem Innern entsenden und schleudern,

Wie glutwirkend das Feuer das Licht und die Dämpfe entsendet.

Daraus sieht man: das Feuer besteht aus lockeren Teilchen.

Meinet man nun etwa gar, daß das Feuer auf anderem Wege

Könn' als Ganzes vergehn und sein eigenes Wesen verändern

(Wenn man sich nämlich bedenkt, an teilweise Löschung zu glauben),

Löste sich selbstverständlich das Ganze der Glut in ein Nichts auf,

Und aus dem Nichts dann würde, was irgend entsteht, sich entwickeln.

Denn was immer sich ändert und seine bisherigen Sitze

Wechselt, erleidet sofort die Vernichtung des früheren Zustands.

Drum muß etwas bestehn, was unzerstörbar darin bleibt,

Soll dir nicht alles zumal in das Nichts vollständig versinken

Und aus dem Nichts sich erheben aufs neue die Fülle der Dinge.

Da es nun jetzt feststeht, daß es völlig bestimmte Atome

Gibt, die immer und ewig dasselbige Wesen behalten,

Die durch wechselnde Ordnung und Zugang oder auch Abgang

Alle Naturen verändern und diese zu neuen gestalten,

Weiß man, daß nimmer aus Feuer bestehen die Körper der Dinge.

Denn gleichgültig erschien es, ob etliches wich' und verschwände,

Andres hinzu sich gesellte und manches die Ordnung verkehrte,

Wenn nur des Feuers Glut sich in allem stetig erhielte;

Denn dann war' es doch Feuer, was allerwegen entstünde.

Doch, wie ich meine, so ist's: es gibt Urkörperchen, deren

Ordnung, Lage, Gestalt und Zusammenstoß und Bewegung

Feuer erzeugt; und verändert die Lage sich, ändert sich gleichfalls

Ihre eigne Natur; dann gleichen sie nimmer dem Feuer

Noch auch anderen Dingen, die unseren Sinnen Atome

Zuzusenden vermögen und unser Gefühl zu erregen.

Ferner behaupten zu wollen: nur Feuer ist alles in allem

Und nichts Wirkliches gibt's in dem Reich der Natur als das Feuer,

Wie Herakleitos es lehrt, das scheint mir der Gipfel des Wahnsinns.

Denn von dem Sinnlichen auskämpft selber er wider die Sinne

Und erschüttert ihr Zeugnis, auf dem doch der Glaube beruhn muß,

Und wodurch er doch selber das Feuer erkannt und benannt hat.

Denn er vermeint durch die Sinne das Feuer wohl richtig zu fassen,

Aber was sonst nicht minder gewiß, das mag er nicht glauben.

Dies will nichtig fürwahr und ganz wahnsinnig mir scheinen.

Wem denn sonst ist zu trauen? Was kann denn als sicher uns gelten

Außer den Sinnen, durch die wir bemerken, was wahr und was falsch ist?

Ferner: weshalb denn soll man von all dem anderen absehn,

Um nur des Feuers Natur allein noch übrig zu lassen,

Statt vom Feuer zu schweigen und irgendwas andres zu wählen?

Scheint mir doch eins wie das andre ein Satz von der gleichen Verrücktheit!

Jene mithin, die im Feuer den Grundstoff sämtlicher Dinge

Sehn und das Weltall lassen allein aus dem Feuer entstehen,

Ferner auch, die in der Luft den Urquell alles Entstehens

Setzen, und die in dem Wasser den einzigen Schöpfer erblicken,

Oder auch jene, die glauben, die Erde verehren zu müssen

Als Allmutter, die wechselnd in alle Naturen sich wandle,

Scheinen mir alle sich weit von dem richtigen Weg zu verirren.

Nimm nun noch jene hinzu, die Doppelprinzipien lehren,

Da sie Feuer der Luft und Erde dem Wasser gesellen,

Und nicht minder, die alles aus vier Elementen entstanden

Glauben, aus Feuer und Erde, dem luftigen Hauch und dem Feuchten.

Wider Empedokles

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Ihnen schreitet voran Empedokles, Akragas' Sprößling,

Welchen die Insel gebar mit dem dreifach gezackten Gestade,

Die das ionische Meer in schweifenden Bogen umflutet

Und aus den bläulichen Wogen mit salzigem Schaume bespritzet.

Hier trennt reißend die See mit dem enger sich schließenden Sunde

Jener Insel Gebiet von Italiens Festlandsküsten,

Hier haust wüst die Charybdis und hier droht brüllend der Ätna,

Flammenden Zorn aufs neue im grollenden Busen zu sammeln,

Um aus des Kraters Schlund dann wieder das Feuer zu speien

Und zum Himmel empor die flammenden Blitze zu schleudern.

Mancherlei prächtige Wunder umschließt dies herrliche Eiland,

Das bei den Völkern der Erde als schauenswürdig bekannt ist;

Reichtum an Gütern besitzt es und Wehr und Waffen der Männer:

Doch nichts Schöneres barg dies Eiland je in dem Schöße,

Nichts, was heiliger, teurer und wunderbarer erschiene

Als der Prophet, deß Lied aus göttlich begeisterter Brust drang

Und so herrliche Lehren des Weisen uns offenbarte,

Daß er uns kaum noch erscheint als Sprößling sterblichen Stammes.

Aber obwohl auch dieser und die viel kleineren Geister,

Die weit unter ihm stehn (wir haben sie oben besprochen),

Manchen vortrefflichen Fund vom göttlichen Geiste getrieben

Öfter getan und aus ihres Gemüts hochheiligem Tempel

Sprüche verkündet, die uns weit hehrer und wahrer erklingen,

Als was die Pythia spricht von Apollos Lorbeer und Dreifuß,

Bei den Prinzipien doch da kamen sie alle zum Sturze;

Langhin schlugen sie auf, im gewaltigen Fall noch gewaltig.

Denn sie vermeinen zum ersten, daß ohne das Leere Bewegung

Könne entstehn; sodann erwählen sie weiche und lockre

Stoffe, wie Luft, Naß, Feuer und Erde, wie Tiere und Pflanzen,

Ohne doch allen den Körpern zugleich auch das Leere zu geben.

Ferner vermeinen sie auch, daß alles unendlich sich teilen

Lasse, so daß kein Ende der weiteren Spaltung zu sehn sei.

So sei auch in den Dingen durchaus kein Kleinstes vorhanden.

Wo doch ein äußerster Punkt in jedem der Körper sich darstellt,

Den dann unsere Sinne als Kleinstes noch eben erblicken;

Daraus zieh du den Schluß, daß die unsichtbaren Atome

Auch ein Äußerstes haben, was wirklich das Kleinste bedeutet.

Auch kommt dies noch hinzu: da sie Grundelemente der Dinge

Wählen, die weich und vergänglich wir sehn, nicht minder geschaffen

Als der Vernichtung geweiht, so müßte doch sicher das Weltall

Völlig zurück in das Nichts zerfallen, und wieder geboren

Aus dem Nichts sich von neuem die Fülle der Dinge beleben.

Beide Gedanken (du weißt es) entfernen sich weit von der Wahrheit.

Auch erweisen sich vielfach die vier Elemente als feindlich