Irene Pietsch
Das Logbuch eines Kulturprojekts
Mandamos Verlag
© 2017 Irene Pietsch
Umschlag und Buchinhalt:
Sämtliche Bilder©: Irene Pietsch
Verlag: Mandamos Verlag UG
(haftungsbeschränkt)
Alte Rabenstr. 6, 20148 Hamburg
Herstellung und Auslieferung:
tredition GmbH,
Grindelallee 188, 20144 Hamburg
ISBN
Paperback | 978-3-946267-27-0 |
Hardcover | 978-3-946267-28-7 |
e-Book | 978-3-946267-29-4 |
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Ein nicht gerade beliebter, aber oft zitierter Häme-Spruch aus vergangenen Tagen lautet:
Das kommt vom vielen Mussnichtun und Kannsnichtlassen. Korrekt Neudeutsch heißt es: „Mussnichttun“ und „Kannstnichtlassen“.
Es steht zu vermuten, wenn nicht gar zu befürchten, dass die Formel inzwischen ganz aufgehoben worden und anderen Geboten gewichen ist, die von 1-10 nicht weniger moralischen Anstand beinhalten.
Erstes Gebot:
Du sollst nicht vergessen.
Ich erinnere mich an den Werdegang von „Schwimm! Gaston schwimm!“, meinem zweiten Buch, das ich, zur eindeutigen Unterscheidung zum ersten, dessen gesamtpolitischer Inhalt kaum zu überlesen ist, als gesamtkünstlerisches Projekt angelegt hatte.
Mit dabei:
(Lebens)Intendanten,
(Begleit)Musiker,
(Lebens) Künstler
und so einfach und schwierig wie die Suche nach dem täglich Brot: Freunde.
Die (Lebens) Intendanten:
Prof. Dr. Hermann Rauhe, Altpräsident der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Er ist unverändert einer der erfolgreichsten Brückenbauer zwischen Kultur, Wirtschaft und Politik.
Sein Werkverzeichnis füllt Bände. Ohne seine Unterstützung und Bereitschaft, mir immer wieder beratend zur Seite zu stehen, wäre „Schwimm! Gaston schwimm!“ ein schönes Buch geblieben, dem jedoch das Glück der Vollendung fehlt, ohne dabei die Spannung der Neugierde zu verlieren, ob noch weiteres von bewegendem Interesse kommt.
Auch deshalb nun in gebotenem Zeitabstand die Dokumentation zu „Schwimm! Gaston schwimm!“ mit dem subjektiv weitgehend unverstellten Blick auf Abläufe und Kontexte einer nicht mehr direkt Involvierten.
Ich habe hier Gelegenheit genommen, den oben genannten Umstand auf beinahe jeder Seite zu verdeutlichen und meine im Nachherein, dass ich die Seiten auch locker mit der doppelt und dreifachen Anzahl von Historien hätte füllen können, wenn ich der Gesamtheit des Einsatzes aller am Projekt Beteiligten zu einem noch bedeutenderen Teil hätte gerecht werden wollen als jetzt.
Die Unterlassungssünde ist meinem Bemühen geschuldet, insgesamt die Waage zu halten. Mehr Schlaglichter auf Details der einen oder andere Entwicklungsphase habe ich mir deswegen schweren Herzens versagt.
Prof. Thomas Thomaschke, Gründungsintendant des Festivals Mitte Europa, hat durch konstruktive Aufbauhilfe kulturelle Aufräumarbeit kriegsbedingter Schäden im Deutsch-Tschechischen Grenzgebiet geleistet und war sich nicht zu schade, gerade kleine, sonst vernachlässigte Orte in das umfangreiche Programm des Festivals mit einzubeziehen.
Er war es, der als erster den Finger hob, als ich einen Veranstalter für ein grenzübergreifendes Musiktheater zu meinem Buch „Schwimm! Gaston schwimm!“ suchte und damit etwas in Gang setzte, das auch meine Vorstellung von einem KulturBuchProjekt ansprechender Größenordnung bei weitem überbot.
Von Professor Frank Böhme ist in diesem Buch viel die Rede. Er agiert als intellektueller Kommunikator zwischen Ost und West, der Bücher zum unerklärten Weltkulturerbe erhoben hat, ohne Musik und Kunst zu vernachlässigen.
Frank Böhme inszeniert, hält Vorträge, komponiert und forscht. Am erstaunlichsten wirkt er, wenn man für seinen kulturellen Hochleistungssport fit genug ist. Das Buch- und Kulturprojekt „Schwimm! Gaston schwimm!“ war es.
Last, but not least: Professor Hans-Joachim Frey, dessen Kulturmanagement- und künstlerische Karriere genau so steil wie ungewöhnlich ist.
Er ist ein Wanderer zwischen den Welten des Ostens und des Westens und war damals - über alle schwierigen Zeiten hinweg - mein unerlässlich guter Freund, der die Verbindung zu Russland, dem wichtigen östlichen Teil Europas, hielt.
Hans-Joachim Frey und mich verbindet viel, ganz besonders, dass wir beide unerschrocken bemüht sind, dem keineswegs unerklärlichen Phänomen der „russischen Seele“ mit Verständnis zu begegnen und unsere Erkenntnisse in den Westen hinein weiter zu geben, damit das neue Russland kein Salongespräch bleibt.
Irene Pietsch
1
Für alle, die „Schwimm! Gaston schwimm!“ noch nicht gelesen haben, hier der leicht ausgeschmückte und den gegenwärtigen politischen wie gesellschaftlichen Aktualitäten angepasste Fantasieinhalt im Zeitraffer:
Gastons Identifikationsmerkmale: Seebär, männlich, geschlechtsreif. Unveränderliche Kennzeichen: Er kennt keine Flutgefahr, hat ständig Hunger. Existenzängste: väterlicher- wie mütterlicherseits unbekannt. Gesellschaftsstatus: kapitalkräftiger Playboy unter Naturschutz.
Der Ernstfall:
Nach der Bionorm für Meeressäuger ist Gaston streng genommen keine Robbe. Dessen ungeachtet findet er bei mir unter diesem Dachbegriff Asyl. Der Bezug zu menschlichen Lebensläufen wird dadurch nicht übermäßig verkompliziert. Wer mag, kann aber auch in Kategorien von Schmetterlingen und Kartoffelkäfern denken.
Meine Praxis schriftstellerischer wie künstlerischer Freiheit ist nicht überall gut angekommen und hat seitens der Experten den Vorwurf laut werden lassen, in meinem Buch würden Walross und Forelle in einen Topf geworfen, obwohl genau das in manchem Zoo - von eben den Experten, die mich kritisiert haben - unbeanstandet getan wird.
Die „Töpfe“ dort sind manchmal groß genug, manchmal mehrere Nummern zu klein. Was offenbar für Expertisen zählt, ist der Oberbegriff „Zoo“ und der Standort bzw. die Lage. Ein „Seydlitz“ tut es nicht mehr. Ein moderner Tierkundeatlas auch nicht.
In den entsprechenden Becken machen dann sowohl Walross als auch Robbe eine gute Figur, allerdings – anders als in offener See - zu getrennten Schwimmzeiten. Der einfache Grund dafür: das Walross hat zu viel Verdrängungspotenzial.
Es kommt aber vor, dass es selbstverliebt wie Adonis auf die spiegelblanke Wasserfläche schielt und meint, sein freundlich beschienenes Walrossantlitz wäre das eines süßen Robbenfratzes.
Nur diese Verhaltensweise interessiert im Buch und dem darauf aufbauenden Projekt. Körperbau und Funktionsfähigkeit des Innenlebens beim Walross-Seebären- oder Robbenstamm mag an anderer Stelle von berufenerer Seite untersucht und publiziert werden.
2
Gaston planscht im arttypischen Bassin des Prager Zoos respektable Muster der tierischen Aquarellkunst auf die Wasseroberfläche und spuckt rekordverdächtige Fontänen an einem schön gestalteten Warnschild vorbei:
„Non sputare nella carrozza“.
Der Hinweis gilt den Besuchern des Robbengeheges und ist eine Spende des italienischen Partnerzoos in Pesaro. Es bedeutet so viel wie „Bitte nicht in den Wagen spucken.“ Frei übersetzt: „Mit Robben spielen verboten!“
Die Italiener müssen es wissen. Ihre Adria ist die auserkorene Badewanne Bohemias, wovon sich Germania gerne ab und an mal ein Stückchen abschneidet. Rein wissensmäßig, versteht sich, was im Speiseplan der inländischen Trattorias und Bottegas Germanias wiederzufinden ist.
„Weil das Leben schön ist“ heißt es fortan an ähnlich heiklen Stellen von Bundesstraßen oder Autobahnen, die von Aquaplaning durch Robbenwanderung bedroht sind.
Die Polizei hält sie unter Beobachtung, Zuschauer mit Regenschirmen und Ölzeug helfen als Sensationsberichterstatter fürs eigene Album, um den nächsten Kaffeeklatsch oder den nächsten Stammtisch aufzupeppen. Bis der Nachbar oder die Nachbarin kommt. Das bedeutet dann: Ende der Runde.
Gaston ist zwar geschlechtsreif, aber bedenklich jung an Jahren. Sein Leben liegt noch vor ihm. Sehen wir es ihm nach.
Das Privileg der Kindheit und Jugend ist die Langsamkeit des Wachstums der Vernunft, die wir erst zu schätzen lernen, wenn wir älter werden und merken, dass wir trotzdem ab und an in den Genuss des legendären Augenblicks kommen, wenn er wirklich so schön ist, wie uns vom Dichter verheißen.
Zunächst: Erst die Muckis, dann der Verstand. Gastons unablässig sprudelnder Nonsens täuscht Verständigkeit vor. Das macht Spaß, das fördert die Beliebtheit. Sorgen machen sich andere, wenn überhaupt. Auch damit kann Unfug getrieben werden.
Soweit der Inhalt.
Weitere Hintergründe und Zusatzinformationen gebe ich in den folgenden, wenigen Kapiteln.
Es handelt sich bei der Geschichte „Schwimm! Gaston schwimm!“ um das Genre Fabel.
Sie dient als die erwähnte, spiegelnde Oberfläche. Ihr tieferer Sinn besteht darin, sich selber erkennen zu können, wenn der Mumm dafür reicht.
In Hamburg hat man damit Erfahrung. Das Robbengehege heißt hier Senatsgehege. Die Herren und Damen darin kennen Muckis und Mumm als Spiel für alle Fälle.
Ihr nimmermüder Verstand fungiert als Relais Station für die Gehegepflege und wirft ihr Licht auf das bunte Ringsherum. Das Konzept: Erneuerung, wo sattsam Stillstand droht.
Das Jahr 1962 wird zur Herausforderung. Die große Flut kommt. Die Elbe steigt wie nie zuvor. Ihre Wellen lecken die Rathausstufen. Es gibt mehrere Hundert Menschenopfer zu beklagen. Der materielle Schaden ist immens.
2002 werden Bilder von damals wach. Mein Mann und ich sind mitten im Um- und Einzug von der Alster an die Elbe, direkt an eine der wichtigsten Schleusen Hamburgs, einem Hochwasserbollwerk. 2002 ist sommerlich schönes Wetter eine Mangelerscheinung.
Die Überlaufventile der beiden Schleusenkammern müssen immer häufiger weit geöffnet werden.
Die Besorgnis der zuständigen Ämter wächst.
Dazu flattert ein als wichtig erkennbarer Zettel ins Haus.
Die Polizei teilt mit:
Sie wohnen in einem Flut gefährdeten Gebiet. Bitte entnehmen Sie der beigefügten Skizze, in welcher Gefahrenzone sich das Grundstück befindet und achten auf die angegebenen Maßnahmen.
Wir gehören zur roten Zone und sind somit im Ernstfall am stärksten betroffen. Beim ersten Sirenenton ist das Radio anzustellen und angestellt zu lassen, um weitere Anweisungen abzuwarten.
Die Hochwasser Sirenenübung wird jährlich durchgeführt und läuft unter dem prickelnden Oberbegriff „Katastrophenalarm“. Die wenigsten Bürger und Bürgerinnen wissen damit genauso wenig umzugehen wie mit Zuchtbrennnesseln als Gemüsebeilage aus deutschem Herbarium.
Die auf- und abschwellenden Töne und ihre wechselnden Intervalle sind schwer von anderen auf- und abschwellenden Tönen mit wechselnden Intervallen zu unterscheiden, die auf beinah unmögliche Gefahren aufmerksam machen sollen. Sie werden den Bürgern auf grafischen Darstellungen erklärt.
Man müsste den Summtest machen, was unterbleibt. Wer möchte sich schon in aller Öffentlichkeit oder am Frühstückstisch zu Hause mit der Zeitung in der Hand beim Falschsummen ertappen lassen.
Mögen sie niemals kommen, diese exorbitanten Gefahren!
Am besten: wir hören weg, nicht hin oder von beidem nichts, um gewappnet zu sein, wenn nichts von allem funktionieren sollte, was unwahrscheinlich ist.
Es gibt nicht nur ferngesteuerte Warnungen, sondern auch einen Handbetrieb durch allseits versierte Techniker, die auf höheren Befehl übernehmen, wenn die Elektronik ausfallen sollte, was bisher nicht vorgekommen ist oder sich unbemerkt ganz von selbst wieder ins „Soll“ gebracht hat.