Kroatien ist zum Anbeißen! Ein herrlich fluffiges Vanillekipferl, dessen gebogener Rücken sich an das Nachbarland Slowenien schmiegt. Und während das östliche Ende in Richtung Serbien ganz behäbig und weit ausläuft, eher wie eine Bockwurst, verjüngt sich das andere Ende nach Süden hin, entlang der Adriaküste. Den hohlen Bauch des Kipferls füllt Bosnien und Herzegowina aus. Ein Vanillekipferl? Eine Bockwurst? Solche Bilder im Kopf entstehen, wenn man mit knurrendem Magen schreibt …
Die Kroaten lieben Genuss und gutes Essen. Und die Autorin hat kroatische Wurzeln, also scheint dieser Einstieg naheliegend. Um Low-Carb-Foodies und Vegetariern gerecht zu werden, ist der Vergleich mit einem neutralen Kleidungsstück vielleicht besser: Kroatien sieht nämlich aus wie eine liegende Hose mit einem XL-Gesäßteil, das sich von der Kvarner Bucht über die Hauptstadt Zagreb bis zur ungarischen Grenze hinaufzieht. Istrien, die größte kroatische Halbinsel und Lieblingsbadewanne deutscher und österreichischer Urlauber, wäre in diesem Fall eine weit herausstehende Hosentasche (das klingt ziemlich unromantisch, denn eigentlich ist Kroatiens größte Halbinsel ja herzförmig!). Das Schnittmuster wäre asymmetrisch: Das rechte Bein, das über Slawonien, die »Kornkammer« Kroatiens verläuft, erstreckt sich zwischen Drau, Donau und Save. Es wirkt wie die Hälfte eines Hosenrocks. Das linke Bein erinnert hingegen an eine Steghose. Sie wissen schon, diese Hosen aus den 1980er-Jahren, die sich nach unten hin verengen und mit einem Gummizug über den Fuß gespannt werden (wie Kleinkinder-Matschhosen). Bis die Steghose Montenegro im Süden erreicht, wird sie auf Wadenhöhe von der Küstenstadt Neum durchbrochen, die zu Bosnien und Herzegowina gehört. Die Hose könnte ein paar Nieten zum Aufpeppen vertragen? Denken Sie sich diese in Form von mehr als 1.000 Inseln hinzu, die sich entlang der Adria verteilen.
Von sanften Hügeln über dichte Wälder bis hin zu kargem Hinterland und blühenden Küstenstädten vereint Kroatien viele Regionen in sich. So vielfältig die Landschaften sind, so bunt sind auch die Mentalität und Mundarten der Bewohner: Im Nordwesten wird das Erbe Österreich-Ungarns mit kremšnite (Cremeschnitten), palčinke (Pfannkuchen) und deutschen Lehnwörtern in der Umgangssprache noch gepflegt, während die Adriaregion von südländischer Leichtigkeit und mediterraner Fjaka geprägt ist. Eine Spur charmantes Balkanerbe darf nicht fehlen und hat durchaus seinen Reiz. Kurzum: Ein Kroate aus dem Međimurje hat mehr mit einem Slowenen aus dem angrenzenden Prekmurje-Gebiet gemeinsam als mit einem Inselbewohner auf Korčula in Süddalmatien. Das wäre ungefähr so, als würden Sie einen Oberbayern auf die Insel Fehmarn schicken – sprachlich und kulturell gesehen. Aber: Wenn die Fußballnationalmannschaft aus dem Ausland in die Hauptstadt Zagreb zurückkehrt, sind alle einmütig Kroaten und schwenken die rot-weiß-blaue Flagge. Dann zählt nur Kroatien, das Land der Vielfalt – Vanillekipferl, Bockwurst oder Hosenrock, ganz wie Sie mögen.
Imotski ist eine beschauliche Kleinstadt im dalmatinischen Hinterland. Kaum jemand würde hier einen Weltrekord vermuten, mit dem nicht mal Moskau oder Dubai mithalten können: In Imotski gibt es nämlich, gemessen an der Einwohnerzahl, so viele Mercedes-Benz-Automobile wie nirgendwo sonst auf der Welt! Ob Sie es glauben oder nicht: Von rund 16.000 registrierten Fahrzeugen hat die Hälfte einen Stern auf der Kühlerhaube. Nicht nur Privatleute, sondern auch die Feuerwehr oder Fahrschulen setzen auf die schwäbische Automarke. Da gibt es den örtlichen Pfarrer, der mit fast 80 Jahren noch einen 280 SL Roadster Baujahr 1969 fährt. Oder den Präsidenten des Oldtimer Club Imotski, dessen Familie allein 13 Karossen mit Stern besitzt. Die übrigen 160 Clubmitglieder kommen gemeinsam auf gut 500 Autos!
Doch warum ausgerechnet Imotski? Das interessierte auch den schwäbischen Autobauer, der eine Delegation nach Dalmatien schickte, um sich von der hohen Mercedes-Dichte vor Ort zu überzeugen. Ein deutscher Fernsehsender recherchierte ebenfalls, weshalb »der Benz« dort so überproportional häufig anzutreffen war.
Ein Autobesitzer mit einem 40 Jahre alten, knallgelben Mercedes klärte das deutsche Fernsehteam auf: Sehr viele Männer aus Imotski, auch er, seien früher Gastarbeiter in Deutschland gewesen. Der Mercedes galt damals als das Statussymbol schlechthin. Er war ein Zeichen dafür, dass man es in der Ferne zu etwas gebracht hatte, und stand für den persönlichen Erfolg. Wer ohne Mercedes zurückkehrte, hatte es nicht geschafft – so dachte man damals. Noch heute pflegen die Kinder der Gastarbeiter, von denen viele nach Imotski zurückgekehrt sind, den Mercedes-Kult. Oft besitzen sie sogar noch die unverwüstlichen Oldtimer ihrer Väter. Die Liebe zum Mercedes ist in Imotski eben unerschütterlich – und hält nun schon über ein halbes Jahrhundert an.
Einem Ereignis fiebern die Einwohner von Imotski schon seit Jahren ganz besonders entgegen: der Einweihung eines Mercedes-Denkmals in der Stadt. Die 36 Tonnen schwere »Hommage« ist aus Steinen der Region erbaut und bildet das legendäre 115er-Modell ab. Zudem ist ein neues Automuseum geplant. Und nun raten Sie mal, um welche Marke sich dort alles drehen wird?
Wo liegt Kroatien eigentlich genau? In Südosteuropa? An der Adria? In Mittel- oder Zentraleuropa? Das ist alles sicherlich nicht verkehrt, doch was ist mit dem Balkan? Ja, aber nur manchmal. Wenn eine Straße proportional mehr Schlaglöcher als Asphalt hat oder ein ranghoher Politiker gerade mehrere Wohnungen – die er sich finanziell eigentlich nie leisten könnte – an die liebe Verwandtschaft überschrieben hat, dann sagen die Kroaten gerne: »Ach, das ist der Balkan!« Der Begriff ist negativ behaftet und umfasst alles, was primitiv oder unkultiviert erscheint – darunter Korruption, Vetternwirtschaft und eine marode Infrastruktur. Kroatien gehört geografisch nicht zum Balkan, außer – siehe oben.
Eine echte Grenze, wo nun der Balkan tatsächlich beginnt, gibt es nicht. Die Trennlinie ist imaginär und verläuft für jeden anders. Dabei hängt es natürlich immer davon ab, wen Sie fragen: Schon der österreichische Politiker und Diplomat Fürst Metternich (1773–1859) verlegte den Beginn des Balkans auf den Rennweg in Wien, da dort viele Intellektuelle mit südslawischer Muttersprache lebten. Für die Slowenen beginnt der Balkan in Kroatien, für die Kroaten jenseits des Flusses Save, also in Bosnien und Herzegowina. Manchmal fängt der Balkan aber auch erst in Belgrad an. Und so geht es munter weiter. Nach einer umfangreichen Befragung werden Sie feststellen: Der Balkan beginnt immer südlicher, immer bei den anderen! Das gilt vor allem für die Übergangsregionen, zu denen Kroatien gehört. Auf dem »Kernbalkan« selbst, etwa in Bulgarien oder Nordmazedonien, geht man weitaus lockerer mit dem Begriff um.
Theorien gibt es viele. Je nachdem, für welche man sich entscheidet, verläuft die Nordgrenze an der Donau oder entlang der Save. Im Südwesten bilden der slowenisch-kroatische Grenzfluss Kupa oder die Una die ungeschriebene »Balkangrenze«. Seit einigen Jahren taucht immer häufiger der Begriff »Westbalkan« auf, der zunächst das ehemalige Jugoslawien plus Albanien umfasste, allerdings ohne die EU-Länder Slowenien und Kroatien. Damit waren jedoch nicht alle Kroaten glücklich, da bei diesem geopolitischen Konstrukt Serbien genau in der Mitte dieser imaginären Achse läge – und das erinnert an alte Machtstrukturen. Manche Kroaten würden Kroatien auch gerne in der Visegrád-Gruppe sehen, gemeinsam mit Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn.
Das Buch Die Erfindung des Balkans von Maria Todorova vermittelte um die Jahrtausendwende die Ansicht, dass der Balkan ein »unzivilisierter Ort der Konflikte« sei. Überhaupt wurde der Balkanbegriff in der Geschichte lange mit Negativbildern wie dem »Pulverfass Balkan« assoziiert. Fakt ist: Auf der Balkanhalbinsel mit ihren unterschiedlichen Ländern und Bevölkerungsgruppen gab es schon immer Konflikte, ethnische Spannungen und Kriege – und zwar auf engstem Raum. Das lässt sich anhand einer starken »kulturellen und sprachlichen Gliederung« erklären. Im Kern umfasst der Balkan »jene europäischen Staaten, die von der Zugehörigkeit zu Byzanz, später zum Osmanischen Reich geprägt wurden«, so Wikipedia. Und dazu gehört Kroatien nicht – Ende des Kapitels.
Wer seine Freundschaft zu einem Kroaten auf die Probe stellen möchte, muss eigentlich nur eines tun: dessen Grill mit etwas Fleischlosem »beleidigen«. Zucchinischiffchen, Auberginenscheiben und Maiskolben dürfen zwar mit auf den Rost, aber nur, solange sie dort lediglich als Beilage brutzeln. Verbannen Sie hingegen das Fleisch, verstehen die (meisten) Kroaten keinen Spaß mehr. Vegane Tofuwürstchen? Versuchen Sie es lieber gar nicht erst! Die Autorin hat es sich mit einem kroatischen Bekannten ernsthaft verscherzt: Seine Gastfreundschaft wollte er mit einem mächtigen Berg an Grillfleisch demonstrieren – und dann so etwas! Noch Monate später kam er über das mitgebrachte Veggie-Grillgut nicht hinweg (»Stellt euch vor, so etwas auf meinem Grill …!«). Kurzum: Fleisch ist das Gemüse der Kroaten!
Was ist jedoch mit den wenigen vegetarischen Restaurants und Snackbars, die dann doch hier und dort in Kroatien zu finden sind? Die werden hauptsächlich von ausländischen Urlaubern besucht. Nein, das stimmt natürlich nicht ganz, denn auch immer mehr Kroaten essen zunehmend fleischlos – aus ethischen, aber auch aus gesundheitlichen Gründen. Sogar in bodenständigen Restaurants finden sich frittierter Käse oder Grillgemüse als Standard-Veggie-Alternative. In Pizzerien ist die Auswahl dank Pasta, Gnocchi und Pizza für Vegetarier noch ein wenig größer. Wobei, liebe Leserschaft mit italienischen Wurzeln: Überspringen Sie die nächste Satzhälfte bitte lieber, denn Sie möchten vermutlich gar nicht wissen, wie manche Kroaten ihre Pizza im Restaurant noch zusätzlich aufpeppen: nämlich mit einer gehörigen Portion Ketchup oder Mayonnaise. Mamma mia!
Und wenn wir schon bei besonderen kulinarischen Vorlieben sind: Die Kroaten essen gerne zu allem Brot. Zu allem! Kaum serviert der Kellner im Asiarestaurant ein Gemüse-Fleisch-Chop-Suey mit Reis oder Nudeln als Beilage, streift der Blick vieler kroatischer Gäste schon suchend über den Tisch: »Wo ist eigentlich der Brotkorb?«
Noch etwas eint die Kroaten: Sie lieben ćevapčići, ein Relikt aus Zeiten der jugoslawischen »Brüderlichkeit und Einigkeit«. Eigentlich sind die würzigen Hackfleischröllchen, die mit der orangeroten Paprikapaste Ajvar und frischen Gemüsezwiebeln serviert werden, ein osmanisch-türkisches Erbe (die besten ćevapčići gibt es ohnehin in Bosnien und Herzegowina, konkret in Sarajevo und Banja Luka, aber auch im südserbischen Leskovac). Von dort aus haben sich die ćevapi, wie man sie in Kroatien liebevoll nennt, in ganz Jugoslawien verbreitet. Als sich Kroatien in den 1990er-Jahren von den übrigen sozialistischen Brüderstaaten abgrenzen wollte, verschwanden die vermeintlich »nicht kroatischen« ćevapčići von manch nationaler Speisekarte – glücklicherweise nicht dauerhaft.
Wenn wir schon bei Grillfleisch sind: In Istrien ist ein Tier auf die Speisekarte zurückgekehrt, das vor wenigen Jahrzehnten als fast ausgestorben galt: das istrische Ur-Rind Boškarin. Tierschützer engagierten sich für den Fortbestand der Rasse, heute kann man das Fleisch als Salami oder Steak genießen – allerdings nur in ausgewählten Restaurants mit entsprechender Lizenz, also alles regelkonform und kontrolliert.
Eine weitere Fleischspezialität ist heute passé: der Siebenschläfer, der – früher zumindest – gerne mal im Kochtopf landete. Alte Rezepte aus Großmutters Kochbüchern zeugen davon, dass der putzige puh gerne mal »im halben Dutzend« gehäutet und gebraten wurde.
Die Fleischlust der Kroaten ist so groß, dass ein Unternehmen nun salziges Eis mit entsprechendem Geschmack auf den Markt gebracht hat: ćevapčići oder sarma, gefüllte Krautwickel mit Kartoffelpüree-Beilage, sowie der nordkroatische Weihnachtsklassiker Truthahn mit Plinsen (puran s mlincima) sind als Eissorte erhältlich. Ob sich das ungewöhnliche Dessert durchsetzen wird, bleibt abzuwarten.
Dann gibt es da noch eine Sache, die Sie über die kulinarischen Vorlieben der Kroaten wissen sollten: Sie trinken gerne orangefarbenes Pipi. Nicht aus dem Nachttopf, sondern aus einer ansprechenden Flasche mit buntem Etikett. Die beliebte Limonade mit dem ungewöhnlichen Namen stammt noch aus Jugo-Zeiten und war vor allem in den 1980er-Jahren ein echtes Kultgetränk. Nicht, dass es damals keinen Zucker gegeben hätte und man deshalb auf andere, körpereigene Zutaten zurückgreifen musste. Ach wo! Der Name ist eine Hommage an Pipi Duga Čarapa, Pippi Langstrumpf, die man in Kroatien nur mit einem p schreibt. Pipi eben.
Mal ehrlich: Wer mag schon dunkle, dicke Spinnen mit haarigen Beinen? Oder den Weißen Hai, der blutrünstig unschuldige Taucher im Meer zerfleischt? Den meisten Menschen genügt er vermutlich als Leinwandheld. Wie wäre es stattdessen mit Giftschlangen, die sich träge durch das Velebit-Gebirge winden und auf ein paar arglose Wanderer in Flip-Flops warten? Oder mit giftigen Seeigeln, Skorpionen und Tausendfüßlern? Braunbären, die Pilzsammler im Wald anfallen?
Keine Sorge: All diese Tiere können Ihnen in Kroatien zwar durchaus begegnen, müssen es jedoch nicht. Aufrichtige Freude darüber, einen Hai in der Adria zu erspähen, dürften vermutlich nur Forscher oder Journalisten empfinden. Letztere vor allem mitten in der Saure-Gurken-Saison: Da wird in der Zeitung aus einem harmlosen Tier schnell mal ein »Killerhai«, der durch potenzielle »Hai-Attacken« für massenhaft stornierte Urlaubsbuchungen sorgt. Das mediale Sommerloch ist dann zwar kurzfristig gestopft, die Touristen sind jedoch zutiefst verunsichert und die Reiseveranstalter um Schadensbegrenzung bemüht. In der allgemeinen Aufregung verpufft dann schon mal der Hinweis, dass es sich um ein harmloses Tier handelt, etwa einen Kurzflossen-Mako. Das desorientierte Einzeltier, das sich zu nahe an einen Badestrand bei Makarska herangetraut hatte – was laut einem Hai-Experten in der Tageszeitung Slobodna Dalmacija nur sehr selten vorkomme –, wurde unfreiwillig zum YouTube-Star.
Die letzte Hai-Attacke in Kroatien ist schon über ein Jahrzehnt her, da in der Adria Haie immer seltener werden. Elf Gattungen trifft man im Mittelmeer schon nicht mehr an, berichtete die Fachzeitschrift Scientific Reports. Das hängt mit ihrem Futter zusammen, etwa dem – ebenfalls selten gewordenen – Thunfisch oder dem Schwertfisch. Weit draußen im Meer, rund um die äußeren Kornaten, die unbewohnte Felseninsel Jabuka oder vor der weit vom Festland entfernt gelegenen Insel Vis gibt es diese Fischarten noch – und das mögen die Haie.
Im Wasser finden sich noch weitere Tiere, vor denen man sich besser in Acht nehmen sollte: Meereswürmer können ihre Borsten, die mit der Pinzette entfernt werden müssen, in die menschliche Haut bohren. Der Stich eines Skorpions soll dem einer Wespe sehr ähnlich sein: Die Hautstelle wird rot und brennt, dabei können Allergien ausgelöst werden. Von den 900 Seeigelarten sind zwar nur die wenigsten giftig, die Stachel jedoch unangenehm schmerzhaft. In tieferen Gewässern können Ihnen giftige Fische wie der Rote Drachenkopf oder der Rochen begegnen. Wer mit einer Feuerqualle in Berührung kommt, muss mit brennenden Schmerzen rechnen.
Doch auch an Land gibt es allerlei gefährliche Tiere: Die Schwarze Witwe, eine Kugelspinne, ist in Kroatien keine Seltenheit. Ihr Gift kann insbesondere für Kinder, ältere Menschen und Allergiker gefährlich werden. Zwei Arten von Giftschlangen, darunter die sehr menschenscheue Hornotter, die selten beißt, kann man in Dalmatien antreffen. Ebenso finden sich mehrere Arten von Tausendfüßlern, die, wenn sie sich bedroht fühlen, ein Abwehrsekret produzieren.
Kroatien wünschte sich Touristen: Ein paar nette, harmlose Urlauber, die im Restaurant klaglos ihr Grillfleisch essen und die Hotelbetten bis in den Herbst hinein belegen. Und wer kam? Halbnackte Engländer und Holländer mit krebsrotem Nacken, die manchmal gar nicht so recht wissen, wo sie überhaupt sind. Die mitteldalmatinische Insel Hvar hat ein Problem mit den Geistern, die sie rief – und nun nicht mehr loswird. Ganz im Gegenteil: Es kommen immer mehr!
Fragen Sie doch mal einen jungen Briten, was er mit Hvar verbindet: »Oh, the party island!« Doch eine Feierinsel, auf der die örtlichen Fischer frühmorgens im Hauseingang über Partygänger stolpern und sich der Geruch der Notdurft im antiken Kalksteinpflaster festgesetzt hat – so hatte man sich den Massentourismus in der Inselhauptstadt sicher nicht vorgestellt.
Gab es noch vor einem Jahrzehnt kein einziges Hostel auf der Insel, so sind es heute gleich mehrere Dutzend. Kleine Kunstgalerien und die gemütlichen Cafés der Einheimischen in der Altstadt wurden zu Kneipen umgebaut, aus denen am Abend Elektromusik dröhnt und in denen große Mengen Cocktails gemixt und getrunken werden. Der Alkohol bringt zwar mehr Umsatz, aber auch mehr Ärger.
Im Sommer platzt die Stadt aus allen Nähten: Dann wird jedes Bett zu möglichen und unmöglichen Preisen vermietet. Nach dem Musikfestival Ultra Europe in Split kommen viele Feierlustige zur Afterparty Ultra Beach nach Hvar. An anderen Tagen legen Partyboote am Hafen an, deren Passagiere zum Bummeln (sprich: zur Alkoholbeschaffung) in die engen Gassen von Hvar strömen. Und dann gibt es noch diejenigen, die mit Bierdosen bepackt in eines der vielen Motorboote im Hafen klettern, um sich zugedröhnt über das Meer schippern zu lassen. Die Mischung aus Alkohol, südlicher Sonne, Sommerhitze und wallenden Urlaubshormonen kann da schnell mal zu Übermut führen: Die Blase drückt? Kurzerhand wird das beste Stück ausgepackt und »Mann« entleert sich vom Boot aus in die Adria. Erst nach Mitternacht verlagert die Partycrew ihr Treiben auf die vorgelagerten Paklinski-Inseln (Pakleni otoci oder Paklinski otoci), wo DJs auflegen. Was auf Hvar ohnehin schon jeder weiß, brachte ein britisches Tabloid-Blatt auf den Punkt: »Auf der Partyinsel Hvar geht es zu wie auf Sodom und Gomorrha!«
Hvar gehörte schon immer zu den Top-Reisezielen in Dalmatien, hierher kam bereits der Habsburger Adel vor dem Ersten Weltkrieg zum Überwintern. Bis heute reihen sich an der Hafenpromenade von Hvar Stadt blitzblank polierte Luxusboote aneinander, und die Promifotografen liegen im Hochsommer genau hier auf der Lauer, um einen Schnappschuss von Paris Hilton, George Clooney oder russischen Milliardären zu ergattern. Den Besitzern der Yachten und noblen Villen sind die Partygänger natürlich ein Dorn im Auge. Waren sie vor 20 Jahren im Carpe Diem, der »Mutter aller Clubs« auf Hvar noch unter sich, ist die Loungebar an der Promenade längst kein exklusiver Ort mehr – ebenso wenig wie die Stadt an sich.
»I wanna go to Hvar!«