Ephraim Kishon
Ausgewählte und kommentierte
Geschichten von Rafi, Amir und
Renana Kishon
LangenMüller
Bildnachweis
Shaul Golan: Bild 1, Bild 2, Bild 3, Bild 4, Bild 5, Vor- und Nachsatz
Alle übrigen Fotos: Kishon-Familienarchiv
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www.langen-mueller-verlag.de
© für die Originalausgabe und das eBook:
2016 LangenMüller in der
F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München.
Alle Rechte vorbehalten.
Umschlagsgestaltung: Wolfgang Heinzel
Umschlagillustration: Gal Shkedi, Tel-Aviv
Satz und eBook-Produktion:
www.Buch-Werkstatt.de
ISBN 978-3-7844-8235-4
INHALT
VORWORT
Ein Gemeinschaftsprojekt – Amir Kishon
Mein Vater, der Komiker – Rafi Kishon
Der Kishon-Jargon – Renana Kishon
GENESIS – NEUE ANFÄNGE IN ISRAEL
Trotzdemia mon amour – Renana
Traktat über das Land Trotzdemia
Großes Kino – Rafi
Der Blaumilch-Kanal
Israel. Punkt. – Amir
Der Unterschied
EIN VATER WIRD GEBOREN
Die Geburt des Ältesten – Rafi
Ein Vater wird geboren
Die Geschichte, mit der alles begann – Amir
Sonntag im Park mit Ephraim – Amir
Generationskonflikt auf literarischer Ebene
Die Tochter des Vaters von … – Renana
Ein Schnuller namens Zezi
Erzähl uns einen Witz! – Amir
Der quergestreifte Kaugummi
Wölfe unterm Bett – Rafi
Schreckensrotkäppchen
Ordnungsfimmel – Renana
Gefahren des Wachstums
Böser Junge – Amir
Rote Haare sind Ansichtssache
Wer nichts fragt, lernt nichts
DIE FREUDEN DER EHE
Ohne Pointe – Amir
Die Stimme des Blutes
Rafi beim Einkaufen – Rafi
Im Supermarkt
Die kleine Frau Sara, die beste Ehefrau von allen – Amir
Im neuen Jahr wird alles anders
Winter in Tel Aviv – Rafi
Wettervorhersage: Neigung zu Regenschirmverlusten
KISHON UND DIE ANDEREN
Lärmtoleranz – Rafi
Alarm
Enzyklopädie des menschlichen Verhaltens – Amir
Was Sie brauchen, ist ein guter Anwalt
Der Humorist – eine Weitwinkelkamera – Amir
Ringelspiel
Mein Vater und die Welt der Kunst – Renana
Onkel Morris und das Kolossalgemälde
Die Briefmarkensammlung – Rafi
Klepto-Philatelie
Ervinka (Jossele) und das Alter Ego meines Vaters – Amir
Jüdisches Poker
Die Verbindung steht – Rafi
Kein Weg nach Oslogrolls
KISHONS »HAUSTIERE«
Der beste Freund des Menschen – Rafi
Dressur
Ein Fläschchen fürs Kätzchen
Die Arbeit, die mein Vater am meisten verabscheute – Amir
Alle Tiere sind schon da
Die große Liebe zu einer Reisetasche – Renana
Auch die Waschmaschine ist nur ein Mensch
Im Zirkus – Rafi
Der Löw’ ist los
Territorialverhalten – Renana
Wohin das Hündchen will
Teenager-Trouble
Väterliche Fürsorge – Renana
Festival im Ferienlager
Die reale und die fiktionale Familie Kishon – Amir
Wozu der Lärm?
Mein Vater und die heutige Zeit – Renana
Renanas Weg zur finanziellen Unabhängigkeit
Erinnerungen an Japan – Renana
Reisen bildet
DIE LETZTEN TAGE
Sodbrennen – Amir
Die letzten Tage – Amir
Die Medikamenten-Staffette
EPILOG
Zehn Jahre Sehnsucht – Renana Kishon
Danke
Ein Gemeinschaftsprojekt
Amir Kishon
Mehr als vierzig Jahre schrieb mein Vater über uns. Wir drei waren die fiktiven Stars seiner Familiengeschichten. Nun ist es an uns, über ihn zu schreiben.
Die Geschichten schildern den Alltag einer perfekten Familie, aber wie in jeder Familie war nicht alles perfekt. Nach Saras Tod, in seinen letzten Jahren, gelang es uns manchmal nur mit größter Mühe, den Kontakt zu unserem Vater aufrechtzuerhalten. Ich erinnere mich an den Tag, als ich ihm meinen Standpunkt hinsichtlich der Vorteile von Geschwistern und Familie klarzumachen versuchte.
Wir saßen auf der Veranda seines Hauses im Schweizerischen Appenzell, und ich erwähnte die Geschichte des jordanischen Königs Hussein, der krebskrank und von Schmerzen geplagt in den USA ein Flugzeug nach Jordanien bestieg, um sein Testament zu ändern und statt seines Bruders seinen Sohn zum Nachfolger zu bestimmen, nach Amerika zurückkehrte und dort ein paar Tage später verstarb. König Hussein wusste, dass die Identität der Kinder weitgehend durch die Eltern definiert ist und der Sohn das Vermächtnis treuer bewahren würde als der Bruder. Mein Vater hörte aufmerksam zu, sagte kein Wort. Er hatte immer eine schlagfertige Antwort parat, doch dass er dieses Mal schwieg, zeigte mir, dass er mir im tiefsten Innern zustimmte.
Seit er von uns gegangen ist, haben wir Kinder getan, was Kinder tun sollten: Wir haben in mühevoller Kleinarbeit sämtliche Rechte an den Werken unseres Vaters in den Familienbesitz zurückgeholt, ein Unternehmen gegründet, das den Nachlass verwaltet. Das Unternehmen gleicht einem Startup, mit einem Geschäftsplan, ehrgeizigen Zielen und einer Leistungsbilanz, die sich sehen lassen kann. Renana, Rafi und ich bringen uns in dieses Gemeinschaftsprojekt ein und fühlen uns dadurch unserem Vater noch enger verbunden.
Ich hatte offenbar recht, dass Kinder wichtig sind, und wir finden es wunderbar, diesen literarischen Schatz, den er hinterlassen hat, mit der Welt zu teilen.
Als fiktionale Figuren wissen wir die einmalige Gelegenheit zu schätzen, über unseren Schöpfer zu schreiben und sowohl Szenen mit dem Leser zu teilen, die sich hinter den Kulissen abgespielt haben, als auch Einblicke in das Leben mit der besten Ehefrau von allen und unserem heiß geliebten Vater und Autor zu gewähren.
Wie schön, dass wir uns endlich einmal revanchieren können, Vater!
Mein Vater, der Komiker
Rafi Kishon
Ich habe eine besondere Beziehung zu Deutschland. Zehn Jahre lebte ich dort, die ganzen »wilden 80er«. Ich studierte Tiermedizin in Gießen, danach promovierte ich in Heidelberg. Nach Abschluss meines Studiums arbeitete ich in der bekannten Tierklinik von Dr. Niemand in Mannheim (unter der Leitung von Dr. Erich Wendel). Dies war eine große Klinik für kleine Tiere (was sehr viel besser ist als eine kleine Klinik für große Tiere), und dort eignete ich mir auch sehr viel internationale Erfahrung an. In all dieser Zeit galt mein Vater, Ephraim Kishon, als der erfolgreichste Bestsellerautor in Deutschland und als bekanntester Humorist in Deutschland und den benachbarten Ländern. Ich nannte ihn immer den zweitbekanntesten Juden in den deutschsprachigen Ländern. Sicherlich fragen Sie sich jetzt, wer der bekannteste ist? Sie haben bestimmt schon von ihm gehört, trotz seines tragischen und frühzeitigen Todes – sein Name ist Jesus. Auch er hat ja einen internationalen Bestseller herausgebracht …
Die Bücher meines Vaters waren beim deutschen Publikum so beliebt, dass sie sogar in riesigen Mengen in die DDR geschmuggelt wurden, bis das kommunistische Regime sich gezwungen sah, selbst ein Kishon-Buch herauszubringen. Es wurde natürlich ausdrücklich betont, dass die politischen Ansichten meines Vaters auf keinen Fall denen des Regimes entsprechen.
Mein Vater klagte immer über die Qualen des Schreibens. Er erzählte mir, dass er stundenlang vor seinem Schreibtisch sitzt, ganze Wortschwalle niederschreibt und dann letzten Endes sein Buch in den Druck gibt. Wenn das Buch schließlich erscheint, dann lesen Sie, die Leser, es irgendwo, lachen irgendwann – aber davon weiß er ja nichts. Deshalb suchte mein Vater immer den direkten Kontakt mit seinen Lesern, sei es bei Signierstunden oder anderen Veranstaltungen. Später trat mein Vater sogar mit einer Stand-Up Show auf.
An die Auftritte meines Vaters kann ich mich sehr gut erinnern. Er stand auf der Bühne oder am Rednerpult; spontan, ohne irgendwelche Notizen, und erzählte Geschichten über sich selbst, sein Leben und seine Werke (und natürlich auch über uns Kinder, die beste Ehefrau von allen und die Haustiere …)
Seit einem Jahr trete ich mit einem Vortrag auf, eigentlich mehr einer kleinen Show, bei der ich die Lebensgeschichte meines Vaters erzähle, begleitet von witzigen Ausschnitten aus seinen bekannten Filmen. Da Deutsch meine Muttersprache ist (meine Mutter, Eva, ist Österreicherin) und ich sie sehr gut beherrsche, halte ich diesen Vortrag auch auf Deutsch.
Vor einem Jahr war ich in München, dieses Jahr auf einer sehr erfolgreichen Tour in Österreich, in Wels und in Wien. Das Publikum hat mich sehr herzlich und begeistert aufgenommen und vor allem sehr viel gelacht.
Heute wohne ich in dem Haus, von dem Sie alle gelesen haben, dem Haus, in dem mein Vater 40 Jahre gelebt und geschrieben hat. Die oberste Etage, dort, wo er eigentlich wohnte und arbeitete, haben wir genauso belassen wie zu seinen Lebzeiten, und sie ist jetzt eine Art Archiv und Museum. Besucher aus ganz Israel, aber auch aus Deutschland und Österreich kommen, um das Arbeitszimmer meines Vaters zu sehen.
Wenn ich mich nach ihm sehne, dann gehe ich in dieses Zimmer, betrachte seine Schriften und seine Werke und bin jedes Mal aufs Neue zutiefst bewegt. Ich hoffe, dass Sie dieses Buch auch bewegen wird und Sie viel Spaß daran haben werden, so wie es uns Spaß gemacht hat, es zusammenzustellen.
Der Kishon-Jargon
Renana Kishon
Unser Zuhause war anders. Nicht immer drehte sich alles um die Bedürfnisse der Kinder oder ihre Erziehung, sondern vielmehr um Kunst und um die Welt als solche: Die Schriftstellerei unseres Vaters, Kultur, Theater, die Welt der Musik und der Kunst unserer Mutter, Politik und vor allem sehr viel Humor und Zynismus.
Ja, der Zynismus war unser typischer, hauseigener Jargon. So als hätten wir eine exklusive Geheimsprache, die kein anderer versteht. Ich kann mich erinnern, dass meine Freundinnen völlig entsetzt waren, als sie zum ersten Mal mit unserem Humor konfrontiert wurden.
Eines Tages erklärte ich meinem Vater, dass ich Skifahren lernen möchte, und zwar auf den Bergen um Appenzell, dem Domizil, in das sich mein Vater zurückzog, wenn er in Ruhe schreiben wollte, und wo wir wundervolle Zeiten mit ihm verbrachten. Mein Vater blickte mich ruhig an und sagte: »Niuniusch, das ist doch reine Zeitverschwendung! Zuerst die lange Fahrt in die Berge, dann das Ausleihen der teuren Ausrüstung, und danach frierst du dir auf dem Weg zur Piste bei unmenschlichen Temperaturen den Hintern ab. Dann fährst du Ski, fällst hin, brichst dir das Bein und hockst letztendlich auf einem Rollstuhl im Krankenhaus. Stattdessen schlage ich vor, dass wir jetzt in ein Geschäft für medizinischen Bedarf fahren und dir einen Rollstuhl kaufen, mit dem ich dich einmal ums Haus fahre.«
Das ist eine Antwort im typischen Kishon-Jargon.
Ob zum Guten oder Schlechten – der Humor war immer unsere letzte Zuflucht. In seinen Büchern war mein Vater politisch korrekt und gab sich große Mühe, die Gefühle des breiten Publikums und dessen diverse Ansichten zu respektieren. Aber zu Hause nahm er sich die Freiheit, jedes Tabu zu brechen, es immer wieder zu überprüfen und auszuchecken, auseinanderzunehmen und in seiner eigenen Sprache wieder zusammenzusetzen. Nicht selten nahm mein Vater eine beliebige Szene aus unserem Alltag, analysierte ihre Komponenten und kreierte dann daraus eine seiner wunderbaren Satiren, in der er die unterschiedlichen menschlichen Empfindlichkeiten eines jeden von uns zuspitzte und hervorhob.
Meine Bemühungen, mich als Babysitter zu versuchen – was nicht gerade von anhaltendem Erfolg gekrönt war – fanden zum Beispiel tatsächlich statt. Ich hatte wirklich vor, den sozialistischen Weg einzuschlagen und mich als Arbeiterin zu verdingen. In der Realität blieb es jedoch bei einem einzigen, ersten und gleichzeitig letzten Versuch, den ich nur knapp überlebt habe. Und das brachte meinen Vater sofort auf die Idee, meine gescheiterte Babysitter-Karriere in eine Satire zu verwandeln.
Alle Geschichten unseres Vaters enthielten ein kleines Stück unseres Alltagslebens, und dafür sind wir ihm dankbar: Er hat unsere Familienerinnerungen unsterblich gemacht. In seinen Büchern bleiben sie den kommenden Generationen, wie auch unseren Kindern und Enkeln, für immer erhalten!