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© 2021 Andreas Lorenz Coaching GmbH, Andreas Lorenz, Berlin
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch auszugsweise – nur mit schriftlicher Genehmigung von Andreas Lorenz wiedergegeben werden.
Inhalt: Andreas Lorenz
Lektorat: Jan-Christoph Bremenkamp
Umschlaggestaltung: Chris Gilcher
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN: 978-3-7543-7696-6
Ein schrilles Piepsen reißt mich unsanft aus meinen Träumen. Ach verdammt, mein Wecker. Und das auch noch um fünf Uhr früh! Schlaftrunken ziehe ich meine Hand unter der Bettdecke hervor und schalte das nervtötende Ding aus. Was für ein Kraftakt, wenn man noch im Halbschlaf ist! Mein Arm erschlafft wieder und baumelt nun wie ein Pendel an der Bettkante hin und her. Ich fühle mich wie erschlagen; die Nacht war sehr kurz. Warum überhaupt? Ach ja, ich hatte gestern spontan Frauenbesuch bekommen. Eigentlich sind wir nur befreundet – eigentlich. So ist das im Leben. Es kommt immer anders als man denkt. Zumindest kam es so für sie. Was es damit auf sich hat? Nun, lass mich Dir diese verrückte Geschichte erzählen:
Es war an einem Freitag im Winter. Eine eisige Jahreszeit stand allen bevor. Auch wenn die Kälte die meisten Menschen in ihre Wohnungen trieb, hatte ich an diesem Samstag etwas vor. Nichts Außergewöhnliches, ich hatte mich lediglich mit Freunden am Alexanderplatz in Berlin verabredet, um gemeinsam etwas trinken zu gehen.
Da stand ich nun in der U-Bahn-Station am „Alex“, wie wir Berliner liebevoll sagen, und blickte auf die unruhige Menschenmasse. Ich hoffte, in dem Gewusel endlich meine Freunde zu erblicken, auf die ich hier so ungeduldig wartete. Doch die Jungs kamen nicht. Mir wurde mit jeder Minute kälter und ich zog den Kragen meines Mantels enger zusammen. Zwischendurch schaute ich immer wieder auf mein Smartphone, so als könnte ich hierdurch die Zeit vorspulen. Wo blieben sie bloß? Manchmal kam ich mir hierbei wie ein Idiot vor. Ich war stets pünktlich, während die anderen auf sich warten ließen. Und das jedes Mal aufs Neue. Zu spät kommen? Fehlanzeige, dafür war ich wohl zu deutsch und bin es bis heute. Also blieb mir nichts anderes übrig, als all die Menschen zu beobachten, die über den Bahnsteig strömten.
Überall nur Hektik, soweit das Auge reichte. Ein paar Leute rannten, um schnell noch ihre U-Bahn zu erwischen, und quetschten sich in die überfüllten Waggons zu den anderen Passagieren. Andere stiegen aus, vollbepackt mit schweren Einkaufstüten, und schleppten sich zur Rolltreppe Richtung Ausgang. Wie aus dem Nichts erspähte ich in diesem bunten Treiben plötzlich eine südländische, äußerst feminine Schönheit. Lass mich kurz in Erinnerung schwelgen und sie Dir beschreiben: Sie hatte schwarzes glattes Haar, dezentes Makeup und trug einen langen eleganten Mantel sowie dazu passende Stiefel. Und eines sei Dir gewiss: Ich war in diesem Augenblick nicht der einzige Mann, der ihr neugierig hinterherschaute.
So ist es ja meistens, dachte ich in diesem Moment. Wir schüchternen Männer sehen im Alltag wundervolle Frauen, aber trauen uns nicht, sie anzusprechen. Lieber verbleiben wir in der Rolle des Gaffers. Es verschafft uns ein Gefühl der Sicherheit, die Ladys nur aus der Ferne zu beobachten wie Zaungäste. Statt über unseren Schatten zu springen und etwas zu riskieren, liegen wir dann abends allein im Bett und bereuen unsere Untätigkeit. Zugleich träumen wir davon, wie es wäre, all diese Frauen einfach anzusprechen und mit unserem ganzen Charme zu verführen.
Doch ich entschied mich in diesem Moment anders. Ich wollte keine Traumblase aufsteigen lassen, sondern die Realität formen. Also tat ich, was jeder Mann in meiner Situation tun sollte: Ich fasste Mut und lief der südländischen Schönheit hinterher. Mein Herz klopfte leicht. Doch ich wusste, dass es kein Zurück geben durfte. Sie war ganz schön flink, als ob sie ziemlich unter Zeitdruck stände. Nach circa dreißig Metern, kurz vor den Rolltreppen, hatte ich sie endlich eingeholt. Ich tippte ihr leicht an die Schulter und sprach sie mit aufgeregter Stimme an:
»Entschuldige … ähm … das mag jetzt etwas verrückt klingen, aber du bist an mir vorbeigelaufen und ich konnte nicht anders, als dir zu sagen, dass du umwerfend aussiehst!«
Die südländische Dame blieb stehen und machte einen vorsichtigen Schritt zurück. Sie schaute mich nicht nur durchdringend an, sondern musterte mich von oben bis unten. Eine Antwort auf mein Kompliment gab sie nicht. Kein guter Start. Im Gegensatz zu ihr sah ich auch nicht so elegant aus. Eher sportlich gekleidet. Zudem ein bisschen ungepflegt; ich hatte heute vergessen mich zu rasieren. Aber hier schoss mir eine wichtige Regel in den Kopf, die ich mir selbst auferlegt hatte:
„Wenn du dich entschieden hast, eine Frau zu erobern, dann lass dich nicht so schnell von deinem Ziel abbringen!“
Also ließ ich mich nicht verunsichern, sondern versuchte, die Fassung zu bewahren und streckte ihr zur Begrüßung meine Hand entgegen.
»Ich bin Andy, und wie heißt du?«
»Das sage ich dir nicht!«, antwortete sie in einem ernsten Tonfall.
Was für eine harte Nuss! Meine Hand schütteln wollte sie auch nicht. Sie schaute mich nur mit versteinerter Miene an. Komischerweise blieb sie aber dennoch bei mir stehen und blickte mir weiterhin in die Augen. Ganz schön kurios. Sie hätte mir schließlich auch den Rücken zuwenden und weglaufen können. Da sie das aber nicht tat, sondern abwartete, was als Nächstes passieren würde, empfand ich das als Chance, die ich nun ergreifen musste. Doch was sollte man in so einer Situation tun?
Die meisten Männer hätten wohl aufgegeben oder versucht, sie erneut nach ihrem Namen zu fragen. Vielleicht hätte das auch funktioniert, wahrscheinlich aber hätte das ihre distanzierte Haltung nur noch weiter verstärkt. Ich versuchte es deshalb mit Charme und Witz. Mir war klar: Eine Frau, die sich nicht öffnen will, ist entweder sehr schüchtern oder äußerst misstrauisch. In beiden Fällen wirkt ein leichtes, stets einfühlsames Necken Wunder. Ein verschmitztes Grinsen huschte über meine Lippen, als ich sagte:
»Okay, verstehe. Vielleicht hast du gar keinen Namen und schämst dich dafür. Keine Sorge, ich bin Pfarrer von Beruf und kann dich Christina taufen.«
Ihr eisiger Blick taute nun endlich auf. Sie lachte, und zum ersten Mal sah ich, was für ein süßes Lächeln sie hatte. Zum Dahinschmelzen. Ich glaube, dieses Lächeln wird mich süchtig danach machen, sie zum Lachen zu bringen, dachte ich in diesem Moment. Da das Eis jetzt gebrochen war, antwortete sie freundlich, während sie sich kurz durchs Haar fuhr:
»Guter Witz! Ich habe einen Namen, aber mit Christina liegst du knapp daneben.«
»Na dann musst du mir jetzt deinen richtigen Namen verraten, schließlich kennst du ja auch meinen.«
»Ich heiße Layan. Du kannst aber auch Lalo zu mir sagen.«
»Freut mich, dich kennenzulernen, Lalo!«
Ein kleiner Erfolg, dachte ich freudig, aber ob das wohl reichen wird? Mich beschlich das Gefühl, dass sie sich kaum öffnen wollte. In so einem Fall würde ich sie mit weiteren Fragen nur in die Flucht schlagen, denn sie würde sich bedrängt fühlen wie in einem Verhör. Also beherzigte ich folgende Regel:
„Frauen sind uns Männern körperlich unterlegen und brauchen daher mehr Vertrauen, ehe sie sich auf einen neuen Menschen einlassen.“
Um Vertrauen herzustellen, erzählte ich ihr von mir: Was mich hierher verschlagen hatte und was ich so trieb. Sie gab bejahende Worte von sich und nickte freundlich mit dem Kopf. Stellte aber keine Fragen – und es kam mir langsam so vor, als würde ich einen Monolog führen. Nebenbei warf ich einen kurzen Blick auf mein Smartphone. Oh, die Jungs hatten angerufen! Es wurde also höchste Zeit, zu gehen.
»Ich treffe mich jetzt gleich mit ein paar Freunden. Wenn du willst, können wir Handynummern tauschen und mal was trinken gehen.«
Sie schüttelte den Kopf, aber lächelte weiterhin, als sie erwiderte:
»Ne, lieber nicht. Ich gebe Fremden nicht meine Handynummer.«
»Das verstehe ich. Wir können uns auch über Facebook schreiben, wenn dir das lieber ist.«
»Ne, ich denke nicht.«
»E-Mail?«, fragte ich hoffnungsvoll, obwohl ihr die Antwort schon auf die Stirn geschrieben stand.
»Das wird nichts. Du kannst mich höchstens am Moritzplatz bei der Arbeit besuchen kommen. Ich mache dort ein Pflichtpraktikum, bevor ich mit meinem Modestudium anfangen darf.«
Kaum zu glauben, sie hatte mich tatsächlich zu ihrem Arbeitsplatz eingeladen! Manchmal sind die Frauen wirklich schwer zu verstehen. Überglücklich, das Ruder herumgerissen zu haben, willigte ich ein und notierte mir ihre Arbeitsstelle in meinem Handy. Anschließend verabschiedeten wir uns, und diesmal gab sie mir sogar die Hand. Das mag zwar banal klingen, aber für mich war das ein grandioser Fortschritt. Ich hatte die Tür zu ihrem Herzen etwas öffnen und einen kleinen Teil davon für mich gewinnen können.
Kurze Zeit nach diesem glücklichen Ereignis trafen endlich meine Freunde ein. Während wir langsam die Rolltreppe hinauffuhren und schließlich die dämmerige U-Bahn-Station hinter uns ließen, um in Richtung Kneipe zu gehen, erzählte ich den Jungs von meinem Erfolgserlebnis mit der südländischen Lady namens Lalo. So wie ich waren auch sie ganz verblüfft darüber, dass die Sache trotz erheblicher Startschwierigkeiten zu meinen Gunsten ausgegangen war. Manchmal muss man halt ein wenig Glück haben, dachte ich noch freudetrunken, als wir in der Kneipe Platz nahmen.
Vier Tage später. Hier gleich mal vorweg: Ich wartete nicht mit Absicht vier Tage. Ich bin mir sicher, Du kennst diese Regel, dass man mehrere Tage verstreichen lassen soll, um sich dann bei der Frau zu melden. Oder, wie in meinem Fall, um sie zu besuchen. Man versucht, sich künstlich rar zu machen, um interessanter auf die Auserwählte zu wirken. Der Nachteil: Die allermeisten Frauen stehen gar nicht auf solche Hinhaltetaktiken. In dieser Zeit der Funkstille geht jegliche Anziehungskraft verloren und die Erinnerung an die Konversation verblasst immer mehr. Wieso bin ich trotzdem erst so spät zu Lalos Arbeitsstelle gegangen? Nun, es blieb mir keine andere Wahl: Angesprochen hatte ich sie an einem Freitag, am Wochenende hatte sie von ihrer Arbeit frei und Montag war ich verhindert. Somit fand ich erst Dienstag die Zeit, mich in die Höhle des Löwen zu wagen. Besser gesagt, in die Höhle der Löwin. So wirklich Lust, sie auf der Arbeit zu besuchen, verspürte ich nicht. Aber irgendwie hatte sie mich gereizt und meine Neugier, einen Blick in ihr Leben zu werfen, hatte gesiegt. Vielleicht faszinierte mich ihre distanzierte Art, dieses Gefühl, dass sie nicht leicht zu haben war. Ich hatte nämlich schon immer die Herausforderung gesucht – und so war es wohl auch jetzt.
Also machte ich mich Dienstagnachmittag auf den Weg. Ich stieg in die U-Bahn Richtung Moritzplatz und ließ mich in eines der grässlich bunten Sitzpolster sinken, wie sie jedermann von öffentlichen Verkehrsmitteln kennt. Die Türen der Bahn schlossen sich; los ging die Fahrt. Während ich gedankenverloren durch die zerkratzte Fensterscheibe hindurch ins schwarzgraue Nichts des U-Bahn-Tunnels starrte, gingen mir alle möglichen Szenarien unseres Wiedersehens durch den
Kopf. Was sollte ich tun, wenn ihre Kollegen in der Nähe sein würden? Was, wenn sie keine Zeit für mich hatte? Oder wenn ihr Chef ein Arsch war und ich lediglich gefühlte zehn Sekunden Zeit haben würde, mich mit ihr zu unterhalten? Fragen über Fragen.
Manchmal kommt es mir vor, dachte ich, als ob wir Männer wie kleine Hunde sind. Die Frau hält uns das Stöckchen hin und wir laufen so lange hinterher, bis das Frauchen irgendwann sagt: „Brav, hier hast du dein Leckerli!“ In meinem Fall war das Leckerli wohl ihre Handynummer. Egal! Statt darüber nachzudenken, sollte ich mich lieber auf meine Regel konzentrieren. Diese besagt ja, dass man unbedingt an seinem Ziel festhalten soll, wenn man sich einmal dafür entschieden hat, eine Frau zu erobern. Das hieß in meinem Fall: Ich hatte mich dazu entschlossen, Lalo zu besuchen, also gab es kein Zurück! Just in dem Moment verkündete die Sprachansage der Bahn, dass wir an der Station Moritzplatz angekommen waren. Die seelenlose Computerstimme aus den Lautsprechern holte mich zurück in die Realität.
Also verabschiedete ich mich von meinem Spiegelbild in der Fensterscheibe und meinen vielen Fragen, deren Antworten ich immer noch nicht kannte, und stieg aus der U-Bahn. Als ich aus der Station Moritzplatz ins Freie trat, fand ich mich in einem ansehnlichen Stadtteil aus Bürogebäuden, gepflegten Neubau-Mietwohnungen und herausgeputzten Ladengeschäften wieder. Ich begab mich auf direktem Weg zu Lalos Arbeitsstelle, indem ich suchend durch ein paar Seitenstraßen lief. An der Adresse, die sie mir beschrieben hatte, befand sich im Inneren eines großflächigen Heimwerkermarktes ein kleines, aber nett anzusehendes Atelier. Das musste es sein. Ich atmete kurz durch, um mich zu beruhigen, und öffnete vorsichtig die Tür zur Höhle der Löwin.
Als ich die Änderungsschneiderei betrat, erblickte ich sie sofort: schwarz gekleidet und genauso hübsch wie bei unserer ersten Begegnung vor ein paar Tagen. Sie saß an einer Nähmaschine inmitten eines Raumes, in dem Stoffzuschnitte, Scheren, Nähgarne und anderes Zeug bunt durcheinander auf großen Tischen herumlagen. Es war die typische Welt der textilen Handarbeit, die uns Männern oft fremd erscheint. Hochkonzentriert arbeitete Lalo an der Nähmaschine. Ich ging auf sie zu; sie blickte kurz hoch und warf mir ein Lächeln entgegen.
»Hey!«
»Hi Lalo, hier arbeitest du also.«
»Ja, ich nähe gerade etwas. Komm, ich zeig dir das mal!«
Ihr Fuß senkte sich behutsam auf das Pedal am Boden, während sie mit geübten Händen ein Stück Stoff hielt, auf den die Nadel wild einzuhämmern schien. Wie von Zauberhand entstand mit wenigen schnellen Stichen eine perfekte Naht. Sie lachte mich freundlich an, als sie meinen staunenden Blick bemerkte, der Bewunderung für ihr handwerkliches Geschick verriet.
Irgendwie wirkte sie diesmal zugänglicher als bei unserem ersten Kennenlernen in der U-Bahn-Station. Ob das an mir lag? Wohl kaum. Ich hatte eher das Gefühl, dass ihr die Arbeit richtig Spaß machte und das Nähen ihre Leidenschaft war. Das konnte ich deutlich erkennen, als sie mir ein paar Stiche später stolz wie ein kleines Kind ihr fertig genähtes Stoffstück präsentierte und ihre Augen dabei leuchteten. Ich hatte bis jetzt das Glück gehabt, Lalo für mich allein zu haben, denn ihre Kolleginnen standen dicht gedrängt in einem Nebenraum, vertieft in eine angeregte Unterhaltung. Aber nun hatten sie mich bemerkt. So langsam löste sich die kleine Menschentraube auf, und ich begrüßte flüchtig jede einzelne von ihnen. In mir kam dabei sofort der innere Drang auf, mich der Situation zu entziehen. Die Anwesenheit von Lalos Arbeitskolleginnen war mir nämlich lästig; sie störten mich nur dabei, mit meiner neu gewonnenen Bekanntschaft auf Tuchfühlung zu gehen. Also fragte ich Lalo, ob wir kurz einen Rundgang machen könnten. Sie bejahte, gab kurz den Kolleginnen Bescheid, und so gingen wir einmal durch den gesamten Heimwerkermarkt.
»Du scheinst deine Arbeit ja echt zu lieben. Man trifft selten Menschen, die etwas gefunden haben, worin sie komplett aufgehen.«
Ein Kompliment, das ich ihr bewusst unterbreitete. Frauen lieben zwar Komplimente über ihr Äußeres – aber noch viel mehr lieben sie Schmeicheleien über ihren Charakter und das, was sie als Mensch ausmacht. Ich merkte, dass sie sich darüber freute, und so setzten wir die Konversation fort, wobei wir über belanglose Themen sprachen. Während wir in dem großen Fachmarkt noch durch andere Abteilungen schlenderten, wandte sie kaum den Blick zu mir. War das erneut ein Zeichen der Schüchternheit oder eher der ablehnenden Distanz? Um diese Frau zu erobern, bedurfte es wahrlich einer Armee von Panzerknackern. Doch dem Ganzen setzte sie noch die Krone auf, als wir auf dem Weg zurück zu ihrer Näherei waren.
»Also Lalo, jetzt kennen wir uns ein bisschen und wenn du magst, lass uns doch demnächst mal was trinken gehen. Das wird sicher cool!«
Die freudige Reaktion, die ich mir auf meine Einladung erhofft hatte, blieb aus. Stattdessen hielt sie verlegen inne und begann etwas zu stammeln. Heraus kam der magische Satz, der jeden Mann sofort von Wolke sieben ins Bodenlose stürzen lässt:
»Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist. Ich will ehrlich zu dir sein: Lass uns lieber Freunde bleiben!«
Ahhhh! Freunde bleiben? Ja ne, ist klar. Ich hatte sie angesprochen, war den weiten Weg hierher gefahren und hatte mich in die Höhle der Löwin begeben, um mir anschließend eine Ohrfeige abzuholen? Mal ganz ehrlich: Was würdest Du in dieser Situation tun? Nun, ich kannte nur eine Lösung. Und die lautete:
„Wenn eine Frau einen Schritt zurückgeht, gehst du zwei Schritte zurück und dann wieder einen Schritt vorwärts.“
Also antwortete ich:
»Freunde? Ich glaube, wir werden nur Bekannte. Ich weiß nicht, ob ich mit einer Frau wie dir klarkommen würde. Wir sind eher wie Hund und Katze, wir passen nicht so wirklich zusammen.«
Das hatte ganz schön gesessen! Ich merkte, wie sie für eine Millisekunde das Gesicht verzog. Das war ein untrügliches Zeichen dafür, dass ihr meine Aussage überhaupt nicht gefallen hatte. In der Körpersprache nennt man dies übrigens „Mikro-Signale”. Man muss sehr geübt darin sein, diese bewusst zu erkennen. In der ersten Folge der Serie „Lie to me“ erklärt Dr. Cal Lightman genau dieses Phänomen. Beispielsweise nehmen wir intuitiv wahr, wenn unser Gegenüber nicht die Wahrheit sagt, ohne dass wir genau wissen, woran wir die Lüge erkennen. Wir haben lediglich ein ungutes Gefühl, eine dunkle Ahnung, dass „irgendetwas“ mit diesem Menschen nicht stimmt. Das liegt an den nonverbalen Signalen, die wir in der Kommunikation unbewusst aufnehmen und deuten. Aus Sicht des anderen heißt das: Eine Lüge lässt sich kaum verbergen, denn die verräterischen Mikro-Signale sind nur schwer kontrollierbar. Etwas überspitzt ausgedrückt: Unser Körper sagt stets die Wahrheit und lügt nie. Deswegen sollten wir Männer beim Flirten immer auch auf die Körpersprache der Frau achten, und nicht nur auf das gesprochene Wort.
An ihrer Reaktion wurde mir so langsam klar, dass sie irgendetwas auf Distanz hielt, sie aber dennoch Interesse an mir hatte. Vielleicht vertraute sie mir einfach nicht, hatte einen Freund oder hatte schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht? Das alles war möglich; ihr Verhalten ließ viel Raum für Spekulation. Kurz bevor wir wieder an ihrer Näherei angekommen waren und ich im Dunstkreis ihrer kumpelhaften Arbeitskolleginnen endgültig in der Friendzone enden würde, meldete sich mein Jagdtrieb. Ohne Beute nach Hause zu gehen, wäre in der Steinzeit fatal gewesen für einen Jäger. Im einundzwanzigsten Jahrhundert schien die Handynummer einer Frau die Trophäe zu sein, die echte Männlichkeit auszeichnete. Zumindest kam es mir manchmal so vor. Also wagte ich nun den Schritt vorwärts:
»Was hältst du davon, wenn wir etwas trinken gehen?«
»Naja … also wir können ja bei mir auf der Arbeit was trinken.«
Der nächste Hammer! Diese Frau machte mich fertig. Bei ihr auf der Arbeit was trinken? Ja, vielleicht lade ich noch meine Oma und meinen Opa ein, und wir machen ein gemütliches Kaffeekränzchen, dachte ich enttäuscht. Es brachte nichts, ich musste ihr jetzt ein Ultimatum stellen. Wenn sie mir kein Stück entgegenkam, hatte das zurückhaltende Flirten keinen Sinn. Deshalb setzte ich ihr die sprichwörtliche Pistole auf die Brust:
»Also Lalo, entweder wir treffen uns in einem normalen Café oder wir lassen es bleiben. Die Wahl liegt bei dir!«
Sie zögerte kurz. Dachte nach. Fast meinte ich, es in ihrem Kopf rattern zu hören. Würde ich es doch noch schaffen, die störrische Löwin zu bändigen und durch meinen Feuerreifen springen zu lassen? Zumindest schien ich ihr doch nicht ganz gleichgültig zu sein. Sonst würde sie wohl kaum so lange überlegen, sondern hätte gleich einen Schlussstrich unter das Ganze gesetzt.
»Okay. Wo und wann?«
Es klappte. Die Löwin fraß mir aus der Hand. Ich schickte so etwas wie ein Gebet in Richtung Himmel: Gott, wenn du dafür verantwortlich bist, dann danke ich dir! Wir standen jetzt wieder vor ihrer Näherei. Gleich würde sie sich verabschieden und dort hinein verschwinden, um sich wieder ganz ihren Stoffen zu widmen. Ich wollte aber nicht ohne Beute nach Hause.
»Wollen wir nicht Handynummern tauschen und das dann spontan beschließen? Finde ich besser, als wenn wir uns jetzt sofort festlegen.«
»Ich gebe Fremden aber nicht meine Handynummer.«
Okay, da sprach wohl die Stimme ihrer besorgten Mutter aus ihr. Wie oft haben wir als Kinder zu hören bekommen, dass wir keine Süßigkeiten von Fremden annehmen, geschweige denn, zu ihnen ins Auto steigen sollen? Es darf ja auch nicht zu leicht werden, dachte ich etwas zynisch. Also, was sollte ich jetzt tun? Nach Facebook-Namen oder E-Mail-Adresse fragen? Ach, diese Hoffnung hatte ich schon lange aufgegeben. Meiner Meinung nach gab es nur einen richtigen Weg:
»Natürlich, wie konnte ich das vergessen! Lass uns übermorgen um neunzehn Uhr am Hermannplatz vor dem Donut-Laden treffen. Weißt du, wo der ist?«
»Ne, aber das finde ich schon. Dann treffen wir uns übermorgen dort!«
Sie gab mir zum Abschied die Hand, ehe sie in der Näherei verschwand und sich wieder ans Werk machte. Ich blieb freudig, aber gleichzeitig auch etwas ratlos zurück. Mir schoss bloß ein Gedanke durch den Kopf: Ob sie wohl kommen wird? Ich war optimistisch, trotz allem. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie eine Frau war, die sich an Abmachungen hielt. Mal schauen, ob dem auch so ist, dachte ich erwartungsvoll.
Zwei Tage später. Ich war gerade zu Besuch und saß gemütlich auf einer braunen Couch. Bei wem ich war? Bei Bernhard, einem Mitstreiter aus alten Tagen. Bernhard wohnte in einer eigenen Zweizimmerwohnung im Herzen von Berlin-Neukölln. Während ich dasaß und seinen Maya-Kalender an der Wand betrachtete, der von zahlreichen persönlichen Urlaubsfotos umrahmt war, musste ich an unsere aufregende Zeit zurückdenken.
Wir waren in vielen Ländern Europas unterwegs gewesen, um dort wunderschöne Frauen kennenzulernen. Als ich auf die Bilder blickte, fiel mir wieder ein, dass Bernhard damals noch lockiges Haar gehabt hatte. Viele Frauen hatten ihn deshalb für einen Dichter gehalten, in Wirklichkeit war er jedoch Informatiker. Mit seiner Haarpracht und seinem Hang zu tiefgründigen Betrachtungen über Gott und die Welt hatte er tatsächlich immer den Eindruck eines Künstlertypen erweckt. Doch seit er einen modernen Kurzhaarschnitt hatte, wurde er von den Frauen nicht mehr so leicht für einen zweiten Schiller gehalten. Unsere gemeinsamen Erlebnisse hatten uns fest zusammengeschweißt, sodass wir sehr gute Freunde geworden waren. Nicht nur privat, auch beruflich versuchten wir, einiges auf die Beine zu stellen. Unser Plan war es, zusammen ein Flirtcoaching-Unternehmen in Berlin aufzubauen.
Als Bernhard mir eine Tasse heißen Früchtetee servierte, fing ich an, ihm von Lalo zu erzählen: wie ich sie in der U-Bahn-Station am „Alex“ angesprochen, dann auf der Arbeit besucht und mir an ihrer zurückhaltenden Art immer wieder fast die Zähne ausgebissen hatte. Bernhard überlegte kurz und fragte:
»Und ihr trefft euch heute?«
»Ja, in gut einer Stunde muss ich los.«
»Meinst du, sie kommt?«
Sein Blick verriet Skepsis, aber ich war weiterhin zuversichtlich.
»Weiß ich nicht. Ich habe da ein zwiespältiges Gefühl. Ich hoffe es, denn irgendwas an ihr ist besonders.«
»Ach, wir wissen beide, dass jede Frau etwas Besonderes an sich hat.«
»Ja, aber was ist die Steigerung von besonders? Genau das ist sie nämlich für mich. Anders eben.«
Mir wurde allmählich klar, dass sie wirklich anders war. Ich hatte in den letzten Jahren viele Mädels angesprochen, aber mit keiner war es so ein zähes Ringen gewesen wie mit Lalo. Auch wenn viele Männer es nicht glauben können: In der Regel ist es sogar sehr leicht, hübsche Frauen kennenzulernen. Man muss nur wissen, wie. Aber Lalo machte es einem wahrlich nicht einfach. Eine Frau, die nicht so leicht zu haben war, hatte allerdings auch ihren Reiz für mich. Das war jedoch ein schmaler Grat, auf dem Lalo wanderte. Denn wenn eine Frau ihrerseits keinerlei guten Willen zeigt und keine Signale der Flirtbereitschaft aussendet, verliert so mancher Mann schnell das Interesse.
Meine Tasse Früchtetee hatte ich geleert; jetzt war ich aufgewärmt und musste mich fürs Date mit Lalo fertigmachen. Während ich aufstand und ins Bad ging, blieben meine Gedanken weiter an dieser rätselhaften Frau hängen. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie mit ihrer Art, Männer kennenzulernen, viele schüchterne Jungs vergraulte. Wer würde sich schon so etwas antun? Bei dieser Frage blickte ich in den Badezimmerspiegel und mein Alter Ego schien mir stumm die passende Antwort zu geben: Der Einzige, der sich so etwas antut, bin ich. Als ich ausgehbereit war, kehrte ich zurück ins Wohnzimmer und sagte:
»Alles klar, Bernhard, ich bin ready und muss jetzt los.«
»Okay, viel Spaß! Und erzähl mir danach, wie es war.«
»Ja, ich rufe dich an.«
Die Tür ging hinter mir zu und ich machte mich auf den Weg zum vereinbarten Treffpunkt. Zum Glück hatte ich nicht so weit zu fahren und war pünktlich – wie immer. Ich stellte mich am Hermannplatz vor den Donut-Imbiss und wartete. Der Laden befand sich direkt an der Ecke einer vielbefahrenen Straßenkreuzung. Es herrschte reger Verkehr. Autos, Fahrradfahrer, Fußgänger, alles strömte an mir vorbei, während ich auf dem schmalen Bürgersteig an der Straßenecke auf Lalo wartete. Ungeduldig blickte ich auf mein Smartphone, um die Uhrzeit zu checken.
Es vergingen fünf Minuten, zehn Minuten, fünfzehn Minuten. Der Countdown tickte gnadenlos. Die Hoffnung zerrann wie Sand zwischen meinen Händen. Wo blieb sie nur? Sie kommt bestimmt nicht, dachte ich entmutigt. All die Strapazen, sie auf der Arbeit zu besuchen und um dieses Date zu kämpfen, waren umsonst gewesen. Nun, am Ende des Tages, stand ich mit leeren Händen da. Das ärgerte mich; wie hatte ich ihr bloß so blind vertrauen können? Wenn man Interesse an seinem Gegenüber hat, dann tauscht man doch erst Kontaktdaten aus und vereinbart nicht sofort ein Date! In welcher Zeit leben wir denn? Ich wagte den ersten Schritt in Richtung U-Bahn, entschlossen, die Heimreise anzutreten. Doch dann sah ich plötzlich eine Frauengestalt mit eiligen Schritten auf mich zulaufen, in modischen Stiefeletten und eingehüllt in einen schwarzen Mantel. Diesmal hatte sie sogar kleine Löckchen, die ihrer eleganten Gesamterscheinung fast wortwörtlich die Krone aufsetzten. Außer Puste streckte Lalo mir ihre Hand entgegen und sagte:
»Hey, sorry, ich habe mich verlaufen. Wartest du schon lange?«
»Ja, ich wollte gerade gehen, weil ich dachte, du kommst nicht.«
»Oh, dann hab‘ ich ja nochmal Glück gehabt.«
Ja, das hatte sie. Und ich auch. Um ein Haar wäre dieses Kapitel für immer geschlossen worden, noch bevor die Geschichte richtig angefangen hatte. Denn sie auf der Arbeit erneut besuchen und mir in der Höhle der Löwin weitere Kratzer holen? Nein, das hätte ich nicht gemacht. Es ist wichtig, zu verstehen, wann man einer Frau hinterherlaufen sollte und wann nicht. Doch meine Hartnäckigkeit sollte sich bei Lalo noch auszahlen, wie Du später lesen wirst. Es passierten noch erstaunliche Dinge, auf die ich heute noch mit verwundertem Kopfschütteln zurückblicke. Was doch alles möglich ist, wenn man als Mann nicht bloß Zaungast seines eigenen Lebens bleibt, sondern beginnt, das heiße Eisen seines persönlichen Glücks zu schmieden!
Herzlich willkommen, liebe Leserin und lieber Leser, in meiner Welt! Es gibt viele tolle Flirt-Ratgeber da draußen, von denen Du vielleicht schon den einen oder anderen gelesen hast. Doch dieses Buch ist anders. Ich werde Dir meinen Weg zeigen, wie ich es geschafft habe, vom schüchternen Kerl zu einem begehrenswerten Mann zu werden, mit dem Frauen die leidenschaftlichen Momente des Lebens genießen wollen. Die Geschichte, die Du hier liest, ist meine eigene. Sie ist also kein erfundener Roman, sondern meine ganz persönliche Autobiografie. Alle Details darin sind wahr, lediglich habe ich ein paar Unkenntlichmachungen vorgenommen, um die Anonymität mancher Personen zu wahren. Mir ist es wichtig, Dich in eine Welt zu entführen, in der Du die Psychologie zwischen den Geschlechtern verstehst. Gleichzeitig wünsche ich mir, dass Du beim Lesen Spaß hast und die Lektüre als Inspiration für Deine eigene Entwicklung nimmst. Genau aus diesem Grund habe ich dieses Buch geschrieben. Ich hoffe, es ist mir gelungen!
Dein Andreas
Das regelmäßige Tuten des Freitons erklang. Ich hatte gerade die Telefonnummer von Thomas gewählt und wartete nun darauf, dass er ranging. Thomas war ein Kumpel, den ich seit meiner Kindheit kannte. Wir lebten in derselben Siedlung in einem kleinen Dorf in Bayern. In dem Kaff konnte man nichts anderes machen, als all die Schweine zu zählen – und auf ihnen zu reiten, wenn man mutig war. Sehr aufregend, ich weiß. Als Familie hier zu leben mochte ganz angenehm sein, für einen Siebzehnjährigen in der Pubertät, der die große Welt entdecken wollte, war es allerdings eine Qual. Thomas und ich beschäftigten uns überwiegend mit sportlichen Aktivitäten, aber waren gleichzeitig auch echte Zocker, die vom Computerspielen nie genug bekamen. Eine eher ungewöhnliche Mischung für unser Alter, doch unsere Eltern waren wahrscheinlich froh, wenn wir zwischendurch auch mal den PC ausschalteten und etwas für unsere Fitness taten. Endlich hob er den Hörer ab.
»Hey Thomas, ich komme heute nicht mit zum Training.«
»Wieso nicht?«
»Erklär ich dir später, okay? Ich bin gerade auf dem Sprung und muss den Zug nach Regensburg erwischen.«
»Okay«, antwortete er demonstrativ unbeeindruckt, ehe ich auflegte.
Thomas und ich machten Tae-Kwon-Do. Es kam so gut wie nie vor, dass wir uns das Training entgehen ließen. Kein Wunder, dass er meine Antwort unbefriedigend fand. Was ich ihm in dem kurzen Telefonat vorenthalten hatte: An diesem Freitag hatte
ich etwas Verrücktes vor, eine spontane Aktion, die mein Leben für immer verändern sollte. Über das Internet hatte ich eine Plattform von Männern gefunden. Sie trafen sich regelmäßig, um Frauen anzusprechen und sich über die Geheimnisse der Verführung auszutauschen. Das Ganze hatte mich neugierig gemacht und versprach eine spannende Abwechslung zu meinem dörflichen Alltagstrott. Und welcher Mann wollte das nicht, hübsche und nette Mädels kennenlernen? Ich hatte mir schon immer die Frage gestellt, wieso andere Typen die heißesten Frauen abbekamen, während ich von diesen ignoriert wurde und jedes Mal leer ausging. Mir war einfach klar: Ich musste etwas an meinem Leben ändern.
Also packte ich meine Sachen und stieg an unserem kleinen Bahnhof in den Zug, um das Kuhdorf für ein paar Stunden hinter mir zu lassen. Als der Zug in den Regensburger Hauptbahnhof einfuhr, war ich etwas aufgeregt. Ich wusste einfach nicht, was mich erwarten würde. In der Großstadt schlägt der Puls des Lebens schneller als auf dem Lande, das spürte ich sofort, als ich aus dem Zug stieg. Menschen strömten hektisch durcheinander, Werbetafeln leuchteten bunt und die vielen Geschäfte boten einen verlockenden Konsum bis zum Überdruss. Ich verließ den Bahnhof, durchquerte einen kunstvoll gepflegten Park und bahnte mir den Weg durch die Einkaufsstraße. Kurz darauf erreichte ich einen großen Platz, der mit seinem historischen Flair zahlreiche Touristen anlockte. Hier steuerte ich auf ein Café zu, wo der Treffpunkt dieser mysteriösen Männergruppe sein sollte.
Dieses Lokal war mir wohlbekannt, denn es handelte sich zufällig um jenes Stammcafé, in dem ich mich regelmäßig mit Thomas und drei anderen guten Freunden traf. In der warmen Jahreszeit waren Tische und Stühle vor dem Laden aufgestellt, um die Gäste auch draußen zu verwöhnen. Doch jetzt zeugten nur noch sechs traurig eingeklappte Sonnenschirme von dem sommerlichen Highlight.
Ich öffnete die Eingangstür. Beim Betreten der Räumlichkeiten schlug mir sofort warme Heizungsluft entgegen, die einen wohltuenden Kontrast zu den winterlichen Außentemperaturen boten. Nicht nur meine Nervosität, auch die Wärme des Cafés würde mich ganz bestimmt ins Schwitzen bringen, wenn ich nicht bald meinen dicken Mantel auszog. Ich schaute mich suchend um. Auf der rechten Seite befand sich eine lange Theke, an der allerhand Kaffeespezialitäten, Kuchen, Salate und andere Speisen zubereitet wurden. Vor mir erstreckte sich ein regelrechtes Meer aus lauter kleinen Sitzgruppen, in denen vereinzelt Leute saßen. Ganz hinten, etwas abgeschirmt von neugierigen Blicken, entdeckte ich einen Tisch, an dem sich mehrere Männer versammelt hatten. Das mussten sie sein.
Mit langsamen, zögerlichen Schritten näherte ich mich der geheimnisvollen Bruderschaft und fragte etwas unsicher, ob ich hier richtig sei. Sie bejahten und wiesen mir einen Platz zu. Nun erkannte ich auch den Kerl, mit dem ich im Internet dieses Treffen vereinbart hatte. Er hieß Martin, ein gewöhnlicher Typ. Er hatte kurze gegelte Haare, trug ein weißes Hemd und hatte ein paar Kilos zu viel auf den Rippen. Die Runde war voll: sechs Männer und sogar eine Frau, die alle Mitte zwanzig waren. Nein, Moment … sieben Männer. In diesem Augenblick stolzierte noch ein Kerl hinzu, der wohl interessanteste in dieser Gruppe. Elias war sein Name; er war extra aus München angereist und trug einen pinken Schal. Damit praktiziere er derzeit Peacocking, wie er uns – seinem Publikum – verkündete. Hier musste ich nochmal nachhaken:
»Peacocking? Was meinst du damit?«
»Naja, es geht darum, auffällige Kleidung zu tragen. Du musst aus der Masse herausstechen und das probiere ich derzeit mit dem pinken Schal aus. Lustigerweise hat mir den meine Oma geschenkt.«
»Und, funktioniert’s?«
»Ja, die Frauen schauen einen schon genauer an. Das Geheimnis hierbei ist aber, dass du es nicht übertreiben darfst. Sonst wirkt es albern.«
Interessant. Ob ich mir auch einen pinken Schal zulegen sollte? So recht entschlossen war ich noch nicht. Aber mit seiner Theorie schien er nicht falsch zu liegen. Menschen, die sich extravagant kleiden, wirken viel interessanter; das war mir schon klar. Gewöhnliche Kleidung kommt unscheinbar und langweilig rüber, wohingegen ausgefallene einen ganz besonderen Reiz hat, für den gerade die Damenwelt empfänglich ist.
Mittlerweile kam in mir die Frage auf, was Steffi – die einzige Frau in unserer Gruppe – dazu bewogen hatte, an diesem Treffen teilzunehmen, denn all die Gespräche wirkten so, als wäre hier eine eingeschworene Männergemeinschaft versammelt. Noch bevor ich den Mund aufmachen konnte, ergriff ein forscher Kerl das Wort und kam mir zuvor. Er fragte Steffi, was sie hierher getrieben habe, schließlich sei es als Frau total ungewöhnlich, zu so einem Männertreff zu kommen. Sie antwortete gelassen:
»Ach, ich interessiere mich für die Verführung. Es ist einfach spannend, zu erfahren, welche psychologischen Faktoren dazu führen, dass man jemanden anziehend findet.«
Aha. Eine ziemlich nüchterne und distanzierte Antwort. Irgendwie hatte ich den Eindruck, dass Steffi uns nicht die ganze Wahrheit verriet, sondern abwiegelte. Sie war bloß gekommen, um ihren Wissensdurst zu stillen? Dann hätte sie schließlich auch ein paar kluge Ratgeber lesen können, statt so eine ungewöhnliche Versammlung zu besuchen. Nein, mich beschlich das Gefühl, dass sie vor allem deshalb an dieser Männerrunde teilnahm, weil sie das Flirten in der Praxis lernen wollte – genauso wie wir Jungs auch. Nur schämte sie sich anscheinend dafür, weil sowas ein eher ungewöhnlicher Schritt für eine Frau war. Das fand ich sehr schade. Schließlich sollten sich Frauen genauso einfach Hilfe suchen können, wenn sie ihr Singledasein satt haben und nicht wissen, wie sie den richtigen Partner bekommen. Meine Gedanken wurden unterbrochen, als Elias wieder das Wort ergriff und folgende Frage in den Raum warf:
»Wir haben genug geredet. Lasst uns Action machen! Wer hat Lust, loszuziehen und Frauen auf der Straße anzusprechen?«
Wild entschlossen wie ein angriffslustiger Stier schaute er von einem zum anderen, die Hände auf dem Tisch zu Fäusten geballt. Bleierne Stille. Betretene Blicke. Jetzt wurde es ernst in der versammelten Bruderschaft. Die Spannung stieg immer weiter. Hätte in diesem Moment jemand ein Streichholz entzündet, die Luft hätte wohl zu brennen angefangen.
»Ich, ich bin dabei!«
Alle drehten die Köpfe und blickten auf mich. Hatte ich das gerade wirklich gesagt? Scheiße! Mir rutschte jetzt schon bei dem Gedanken, wildfremde Mädels anzuquatschen, das Herz in die Hose. Aber ich wollte unbedingt die Magie erleben, die in so einem Moment zwischen den Geschlechtern entstehen konnte. Ich wollte außerdem wissen, ob Elias wirklich so gut darin war, Frauen anzusprechen und sie mit seinen Worten zu verzaubern – oder ob er nur ein Hochstapler war, der uns alle mit seinem Bluff hereinlegte. Martin hatte ihn anfangs zumindest als einen Typen beschrieben, der es mit den Frauen drauf haben sollte. Diese Behauptung musste jetzt auf den Prüfstand. Also zahlten wir alle unsere Getränke, verließen das gemütliche Café und setzten uns wieder der kühlen Luft dieses Winterabends aus. Angesichts dessen, was mich gleich hier draußen erwarten sollte, erschien mir der Schritt über die Türschwelle fast wie ein Sprung ins kalte Wasser.
Es war bereits dunkel, aber die Geschäfte hatten noch geöffnet und tauchten die Einkaufsstraße in ein angenehmes Licht. Ein paar Leute waren noch unterwegs und die Chancen, hübschen Frauen zu begegnen, standen relativ gut. Alle aus unserer Gruppe blickten erwartungsvoll auf Elias … und er tat es wirklich! Ich konnte kaum fassen, was ich aus der Ferne sah: Er ging auf ein süßes Mädel zu, stoppte sie mit einer kurzen Handgeste und sagte etwas zu ihr. Sie lachte und schon war er in ein Gespräch mit ihr vertieft. Die anderen Männer schienen ebenso viel Respekt vor diesem mutigen Kerl zu haben, kannten das ganze Schauspiel aber schon von unzähligen Treffen zuvor und verfolgten das Geschehen weniger interessiert als ich. Martin ermahnte mich unauffällig, nicht so offensichtlich hinzustarren. Wenn die Lady mitbekommen würde, dass wir zu Elias gehörten, konnte das jede weitere Annäherung an sie gefährden. Sie würde das Gefühl bekommen, es ginge hier nur um eine Wette und das Gespräch würde wahrscheinlich ein schnelles Ende finden.
Trotzdem konnte ich meinen Blick nicht abwenden. Was gerade geschah, war unfassbar. Es sah so einfach aus, als wäre es das Normalste der Welt. Und das sollte es auch eigentlich sein! Schließlich gehören Mann und Frau von Natur aus zusammen und müssen sich irgendwo kennenlernen. Elias kam grinsend zurück und meinte, sie habe einen Freund. Er fügte achselzuckend hinzu:
»Aber hey, das ist okay. Gibt ja schließlich genug Mütter, die hübsche Töchter haben!«
Seine Gelassenheit war bewundernswert. Manch anderer Mann wäre hier schon am Boden zerstört gewesen und wäre in Selbstzweifel versunken. Nicht so Elias; er wirkte immer noch hoch motiviert, als hätte er eben gar keinen Korb bekommen, sondern einfach nur ein tolles Gespräch mit einer schönen Frau gehabt. Diese Sichtweise muss ich mir zu eigen machen, dachte ich in diesem Moment.
Wir standen in der Einkaufsstraße, als Elias ein Klamottengeschäft erblickte. In dem Laden herrschte absolute Leere; keine Menschenseele war zu sehen. Nur eine heiße Verkäuferin saß ihre Zeit am Tresen ab. Elias schaute auffordernd in die Runde und fragte:
»Martin, du oder ich?«
»Ich überlasse dir den Vortritt, Elias, schließlich bist du nicht so oft in Regensburg«, antwortete Martin.
Elias grinste und wirkte so, als wäre es eine große Ehre für ihn, diese schöne Verkäuferin ansprechen zu dürfen. Offenbar hatte ich es hier mit einem richtigen Teufelskerl zu tun, der keine Furcht kannte. Schnurstracks ging er in den Laden und steuerte auf das Objekt seiner Begierde am Tresen zu. Irgendwie war ich heilfroh, dass Elias nicht mich gefragt hatte, diese Mutprobe anzugehen. Das wäre ganz schön peinlich geworden, denn ich hätte mich niemals dazu überwinden können. Auch im Bekleidungsgeschäft schien es zu laufen wie am Schnürchen. Beide lachten und ich konnte durch die Scheibe sehen, dass die Verkäuferin Elias mehr als nur sympathisch fand. Dieser Typ schien wahrlich den richtigen Zauberstab zu haben, um die Mädels in seinen Bann zu ziehen! Kurze Zeit später kam er aus dem Laden heraus und sagte überraschend, er müsse Richtung Hauptbahnhof gehen. Sein Zug zurück nach München komme bald. Elias war wirklich ein verrückter Vogel. Auf dem Weg zum Bahnhof ließ er sich keine Gelegenheit zum Flirten entgehen. War die Ampel rot? Saß dort irgendwo ein Mädel auf der Bank? Oder stand herum und schien zu warten?
»Perfekt, die zwei da drüben spreche ich an«, erklärte er in solchen Situationen grinsend.
Man konnte fast schon meinen, er wäre süchtig nach Glücksgefühlen. Ich persönlich hielt ja nichts von Drogen, aber dieses Rauschmittel, welches Elias da hatte, wollte ich auch genießen. Koste es, was es wolle! Es wurde Zeit, dass ich, der schüchterne und unerfahrene Junge aus der Oberpfalz, mich in einen selbstbewussten Kerl verwandelte, der gut gekleidet durch die Großstadt lief und die Frauen zum Lächeln brachte. So wie Elias. Für seine Eskapaden ging natürlich jede Menge Zeit drauf. So brauchten wir für eine Strecke von circa fünf Minuten locker fünfzehn, weil er ständig nach links und rechts ausscherte und Frauen mit seinen originellen Sprüchen anquatschte. Trotz des langsamen Tempos, das wir hinlegten, war es das reinste Feuerwerk für mich. Er sprengte alle Grenzen, die ich mir je hatte vorstellen können. Frauen auf der Straße ansprechen? Pah, sowas klappt doch nie! Ja, so hatte ich bis vor fast einer Stunde auch gedacht. Doch dieser Kerl hatte mich eines Besseren belehrt mit seinen wilden Aktionen. Endlich am Bahnhof angekommen, hatten wir noch ein bisschen Zeit, ehe Elias Richtung München abdampfen würde. Jetzt stellte er eine Frage, die meine Augen zum Leuchten bringen ließ:
»Bisschen Zeit ist noch, wer hat Lust, mit mir gemeinsam Frauen anzusprechen?«
»Ich, Elias!«, antwortete ich ohne zu zögern.
»Okay Andy, komm mit!«
»Ich bin aber nicht so gut darin; ich schaue dir nur zu.«
»Kein Problem, schaue zu und lerne!«
Die anderen warteten, während wir zwei in den Burger-Imbiss im Hauptbahnhof hineinspazierten. Elias zeigte auf eine junge Frau, die in einer Ecke am Tisch saß und telefonierte. Ich bekam Herzrasen. Komisch, obwohl doch Elias das Ruder in der Hand hielt und das Reden übernehmen würde. Wir gingen gemeinsam auf das Mädel zu und er eröffnete das Gespräch:
»Hey, ich weiß, du telefonierst gerade, aber es soll hier in Regensburg einen Flughafen geben. Weißt du, wo der ist?«
Was zum Teufel ist denn das für eine Frage, dachte ich mir. In Regensburg lebten zu der Zeit circa hundertdreißigtausend Einwohner und der nächste Flughafen befand sich in Nürnberg oder München. Sie zögerte kurz, dann antwortete sie irritiert:
»Flughafen, hier in Regensburg? Also, ich habe davon noch nie etwas gehört.«
»Ach, typisch Frau! Ihr wisst einfach nie über eure eigene Stadt Bescheid«, neckte Elias sie.
Ich konnte es nicht fassen. Mir verschlug es die Sprache und ich stand nur stumm daneben. Für die Frau sah ich bestimmt aus wie ein Kerl, dem gerade die Kinnlade zu Boden gefallen war. Elias machte noch ein paar Witze und wir verabschiedeten uns. Immerhin bekam ich ein Tschüss aus mir heraus. Mein Mitstreiter klopfte mir anerkennend – und wohl auch ein wenig aufmunternd – auf die Schulter, als wir aus dem Burger-Laden wieder raus waren. Wenigstens eine einsilbige Verabschiedung hatte ich hinbekommen. Auf dem Weg zurück zu den anderen Jungs fragte ich ihn bestürzt:
»Flughafen in Regensburg? Wie kommst du denn auf sowas?«
»Ach, ist mir spontan eingefallen. Du musst einfach nur ins Gespräch kommen.«
Und hiermit hatte er mir eine wichtige Lektion offenbart:
„Es kommt nicht darauf an, was du sagst, sondern es geht in erster Linie darum, mit der Frau ins Gespräch zu kommen.“
Einleuchtend, fand ich. Wir trafen wieder auf unsere Gruppe und Elias verabschiedete sich, denn sein Zug würde in ein paar Minuten eintreffen. Sehr schade, schließlich hatte ich ihm eine Menge zu verdanken. Ich beschloss, ebenfalls den nächsten Zug zu nehmen, musste allerdings noch dreißig Minuten warten. Auch die anderen setzten sich in Richtung ihrer Heimat in Bewegung, genauso schwer beeindruckt von dem heutigen Tag wie ich. Martin und ich warteten noch zu zweit im Bahnhof, als er auf einmal das Wort ergriff:
»Lass uns rausgehen, eventuell können wir auch ein paar Mädels ansprechen.«
Nichts lieber als das! Als wir draußen auf dem Platz vor dem Hauptbahnhof standen, sah Martin ein Mädchen in meinem Alter.
»Wie wäre es mit der da?«
»Du meinst die Große?«
»Ja! Geh doch einfach zu ihr rüber.«
»Und was soll ich sagen?«
»Was dir gerade in den Sinn kommt.«
Na super, dachte ich mutlos. Ob das gutgehen würde? Ich zögerte etwas und versuchte mir einzureden, so schwer könne das doch nicht sein. Bei Elias sah das schließlich alles so leicht aus. Also: drei … zwei … eins … los! Verdammt, meine Beine zitterten. Ich stand wie angewurzelt da, mein Herz schlug mir bis zum Hals. Okay, neuer Anlauf: drei … zwei … schubs! Martin stieß mich mit der Hand leicht nach vorne. Das hatte ich wohl bitter nötig. Wenigstens bewegte ich mich jetzt langsam auf das Mädel zu. Als ich vor ihr stand, schaute sie mich fragend an, während sie lässig Kaugummi kaute.
»Hey, hast du Lust, mit mir mal einen Kaffee trinken zu gehen?« »Ne!«, antwortete sie genervt.
»Musst wohl Kaugummi kauen, hmmm?«, versuchte ich verzweifelt, lustig zu sein.
Sie zog eine Augenbraue hoch und ich merkte, was für einen Scheiß ich hier gerade fabriziert hatte. Ich sollte lieber gehen, ehe sie mir den Kaugummi auf die Stirn klebt, dachte ich verschreckt. Also kehrte ich zurück. Martin konnte kaum meine Antwort abwarten und fragte:
»Und, wie lief’s?«
»Nicht so gut, hab’s verbockt.«
»Halb so wild, klappt nicht bei jeder Frau«, munterte Martin mich auf.
Durch den Misserfolg fühlte ich mich trotzdem etwas niedergeschlagen. Da kam es mir gerade recht, den nächsten Zug zu nehmen und diesen Tag mit der Heimfahrt in mein Dorf abzuschließen. Ich verabschiedete mich von Martin, holte mir ein Ticket und wartete die restlichen zehn Minuten am Gleis auf das Eintreffen des Zuges. Ein idealer Moment, um all die Geschehnisse des Tages zu verarbeiten. Besonders mein letztes Erlebnis mit dem Kaugummi kauenden Mädel wirkte noch nach. Wie hatte ich mich nur so dämlich anstellen können? Doch zumindest hatte ich es versucht. Allerdings auch nur, weil ich gedrängt wurde: Hätte Martin mich nicht geschubst, wäre ich sicher am Boden festgewachsen wie ein Baum, statt auf sie zuzugehen.