Inhaltsverzeichnis

Eine Frage der Perspektive

Geschichte wird von Siegern geschrieben. Diesen einleitenden Satz verwendete ich bereits in der ersten kleinen Arbeit über Maria Magdalena und ihren Sohn Johannes Markus im Jahr 2015, und er hat in den letzten fünf Jahren natürlich nichts an Bedeutung eingebüßt. Er gilt auch weiterhin erst recht für das „Buch der Bücher“, die Bibel, die ein einmaliges Dokument für den Siegeszug einer androzentrischen Tradition darstellt. Nichtsdestoweniger enthält sie zahlreiche Spuren einer besiegten und infolge davon unterdrückten gynäkokratischen Kultur. Hinweise darauf finden wir nicht nur in mythologischen, sozialgeschichtlichen und historischen Kontexten der so genannten Heiligen Schrift, sondern besonders auch in Fragen zu ihrer Übersetzung, besonders ins Deutsche. Bezüglich des Neuen Testaments liegen diesem aramäische und griechische Urtexte zugrunde, die im Lauf der Zeit ins Lateinische und in andere Sprachen übersetzt wurden. Bereits im Griechischen wurde die alte hebräische Göttin namens Ruach – die Ruachmutter – zu einem Neutrum, zum Pneuma, um sich dann in der Vulgata in den männlichen Heiligen Geist zu verwandeln. Ein noch schlimmeres Schicksal widerfuhr der Göttin Sophia, die uns als „Frau Weisheit“ oder Chokmah aus den Weisheitstexten des Alten Testaments bekannt ist. Sie wurde aus dem Neuen Testament gleich ganz entfernt und durch den Logos – „das Wort“ – ersetzt. In einem korrekt übersetzten Text würde also der ursprüngliche Name „Sophia“ stehen, und der Heilige Geist, die Ruachmutter, wäre nicht wie im konventionellen Christentum männlichen, sondern wie im Judentum und in der Gnosis weiblichen Geschlechts. Und anstelle des Reiches Gottes würden wir, wie Christa Mulack erarbeitet hat, dort, wo davon die Rede ist, die jüdische Göttin Malchut vorfinden. Welch andere Lesart des Neuen Testaments würde sich dadurch ergeben! Eine neue Übersetzung relevanter Passagen gäbe dem Göttlich-Weiblichen ein Stück seiner Würde und vor allem auch den Platz in der Heiligen Schrift, der ihm zusteht, zurück.

Bei der Durchsicht der verschiedenen Bibelstellen fiel mir auf, dass die Ruachmutter, ebenso wie Sophia, an vielen Stellen mit Maria Magdalena zu tun hat, ja man kann teilweise sogar soweit gehen, zu sagen, dass Ruach und Sophia geradezu wie ein Code für Maria Magdalena stehen – nicht unbedingt als ein direkter Ersatz, aber in jedem Fall in einer Art von Konnotation oder Entsprechung. Vor allem jedoch – und damit komme ich zum Hauptthema dieser Buches – stellte sich heraus, dass Maria Magdalena als die Mutter des Jüngers Johannes Markus anzusehen ist, und dies ist von umso größerer Bedeutung, wenn man bedenkt, dass es dieser Johannes war, welcher sowohl als Verfasser des Johannesevangeliums als auch der Offenbarung am ehesten in Frage kommt, nicht der im Jahre 44 ermordete Apostel und Sohn des Zebedäus und Salome, der uns die kleine Schrift „Die zwölf Zeichen des Messias Jesus“ hinterließ, welche die Grundlage für den Ur-Joh bildet.1 Denn diese Autorschaft könnte zugleich auch bedeuten, dass diese Schriften wohl auch unter dem Einfluss der Johannes Markus-Mutter Maria Magdalena entstanden sein dürften und dass die Legenden der Koptischen Kirche, die von einem angeblichen Märtyrertod des Johannes Markus im Jahr 68 künden, mag er nun ihr Gründer gewesen sein oder nicht, in diesem Punkt falsch sein müssen. Der Ur-Johannes wurde etwa im Jahr 65 bis 70 verfasst, die Offenbarung wurde nicht vor dem Jahr 82 begonnen. Der tote Apostel Johannes kommt als Autor nicht in Frage, wohl aber Johannes Markus. Dazu an passender Stelle ausführlicher.

Wie ich 2015 auf theologischem Weg erarbeiten durfte, vor allem dank der Arbeit von Wilhelm Hartke, und mit den Methoden der Exegese, war Johannes Markus der Sohn von Maria Magdalena. Inzwischen, fünf bis sechs Jahre danach, sind neue Erkenntnisse hinzugekommen, nicht zuletzt auf spirituellen Wegen.

Nun stehe ich vor der Aufgabe, die Basis meiner für viele Menschen sicher ungeheuerlichen Behauptung nahezubringen.

Ich wünsche allen LeserInnen ein weit offenes Herz, viel Offenheit und den Segen der Himmlischen Maria Magdalena für die hier aufgeführten Erkenntnisse und Wahrheiten.

Ruppach-Goldhausen, im Juni 2021
https://gcmm.jimdofree.com


1 Hartke 1961, 1, S. 198.

Maria Magdalena war die Mutter von Johannes Markus

Zum Namen Johannes Markus

Der Hypothese von Wilhelm Hartke, der sich sein ganzes Leben mit der Frage der Entstehung der apostolischen Kirche beschäftigte, zufolge hatte Maria Magdalena einen Sohn namens Johannes Markus, klar zu unterscheiden von dem Apostel Johannes und identisch mit Markus, dem Evangelisten. Denn die Mutter des Apostels Johannes, des Zebedaiden, hieß Salome.2

Eine erste Ahnung, dass Maria Magdalena die Mutter des Johannes mit dem Beinamen Markus gewesen sein könnte, ergibt sich bereits aus den beiden Namen, Johannes und Markus.

Johannes

1) Johannes ist die männliche Form von Johanna und leitet sich zum einen her von dem alten babylonischen Fischgott Oannes, zum anderen von dem Namen einer Göttin. Das Geheimnis hinsichtlich Oannes liegt dabei im Bezug zum Fisch, den sowohl Jesus als auch Maria Magdalena aufweisen. In der Geheimschrift Gematria ergeben die Initialen des Namens Jesu 888 und entsprechen dem griechischen Ichthys = Fisch; der Name von Maria Magdalena, lateinisch als „H Magdalhnh“ gelesen, ist 153. Multipliziert man eine Acht der 888 mit 153, kommt man auf 1224 = Ichthyes, also Fische. Siehe hierzu auch die Arbeiten von Margaret Starbird.3 Die hebräisch-aramäische Schreibweise von „Johannes“ lautet Joannes beziehungsweise für „Johanna“ Joanna. In den sumerischen und syrischen Sprachen bedeutet Anna „Göttin“, ist verwandt mit Inanna, und das „Jo“ rührt her von der griechischen Göttin Io, der Geliebten Jupiters. Der Legende nach siedelte die auch als Mond- und Wassergöttin bekannte Io sich in Ägypten an und wurde die erste Königin dieses Landes. Als ihr Sohn Epaphos entführt wurde, schwamm sie durch das Meer und suchte nach ihm.4 Der Bezug zu Maria Magdalena spiegelt sich in folgenden Aspekten wider:

a) in ihren Aspekten als Wassergöttin, Heilige der Seefahrer usw.,

b) im mythischen Element der Suche,

c) darin, dass Io-Anna eine ganz besondere Verbindung zu Maria Magdalena dergestalt aufweist, dass der Name „Johanna“ in Lk 8,2-3 und Lk 24,10 symbolisch für Maria Magdalena (dazu gleich mehr).

d) darin, dass Johannes Markus als ihr Sohn anzusehen ist.

Hierzu einige Erläuterungen. Einem Webautor zufolge steht der Name „Johanna“ in Lk 8,2-3 und Lk 24,10 für Maria Magdalena und weist auf sie als Io-Anna (Göttin, Königin und Große Mutter) hin.5 Er versteht Johanna also nicht als Jüngerin, sondern als einen Maria Magdalena umschreibenden Begriff. Die Bezüge zu Maria Magdalena setzen sich fort bis zur Königin von Saba (alias Sulamith), die von den israelitischen Bearbeitern des Hohenliedes in Sulamith umbenannt wurde, so wie zur äthiopischen Königin Makeda (alias Magda):6 Bevor aus Saba Meroe wurde, hieß sie Saba Magda (oder Makeda), und als sie als Saba bekannt war, Meroe Magda.7 Wir sehen also, dass es eine ganze Menge Bezüge zu Maria Magdalena gibt, und man darf mit gutem Recht annehmen, dass eine gebildete Frau, wie Maria Magdalena es zweifellos war, die ihren Sohn Johannes nannte, sich der Göttlichkeit dieses Namens bewusst gewesen sein muss!

Die latinisierte Form Johannes soll laut WP zurückgehen auf das griechische Iōannēs (ωάννης), und dies wiederum auf den hebräischen Namen Jochanan ( jôhānān). Die in einigen Quellen behauptete Bedeutung: „Gott ist gnädig“, oder „Jahwe ist gnädig“ ist ebenfalls plausibel. Maria Magdalena kam aus Ägypten und war vom Isiskult geprägt, und Jesus distanzierte sich erst später, nämlich laut Joh 8,44, von Jahwe. Dennoch kann der Name, wie in WP glaubhaft versichert wird, als Ausdruck einer als Geschenk aufgefassten Geburt verstanden werden.8

Laut einem Post von Andreas Bauer in meiner Facebook-Gruppe bedeutet Jo-H-An einen, der an Litha (Sommersonnenwende) geboren ist. Dazu passt auch Johanni (24. Juni), der Tag, bis zu dem traditionell das Johanniskraut gesammelt wird. Er bezieht es auf Johannes den Täufer, doch war es auch Usus für Andere, die diesen Namen trugen. Jo = Ja = Tag = Jahr ... hell = heilig = Welt ... Johanna (Gio-V-Anna) ist die Mutter des Tages (Demeter), Day-Ana (Diana), bevor sie Mutter wird, und die Bezüge von Artemis-Diana zu Maria Magdalena sind bekannt, spiegeln sich unter anderem in den gnostischen Manichäischen Psalmen des Herakleids (3. Jh.), wo die stark an Diana gemahnende Netzewerferin „Mariham“ (alias Maria Magdalena) die elf verirrten Jünger wieder einfängt.

Markus

2) Markus spricht laut dem Ökumenischen Heiligenlexikon für eine hellenistische Abstammung, ebenso seine Beziehung zu dem Zyprioten Barnabas, welcher im Kolosserbrief (4,10) als sein Vetter erwähnt wird.9 Durch das Element des Hellenistischen treffen wir, wie schon beim ersten Namen, so auch hier auf den Zusammenhang mit „hell“ und so weiter. „Markus“ erinnert aber auch sehr an „Maria“ und legt den Verdacht nahe, dass Johannes Markus, auch was den Beinamen angeht, nach seiner Mutter benannt wurde. Wenn dies stimmt, war diese demnach eine Frau namens Maria. Aus mythologischer Sicht legt sich auch eine Verbindung zur Göttin Mari aus der in Syrien gelegenen Stadt gleichen Namens (dem heutigen Tell Hariri) nahe. Denn von dort kennen wir die weltberühmte, aus dem 18. Jh. v. Chr. stammende Darstellung der Göttin Mari mit dem so genannten Shugurra-Helm und Wasserkrug in der Hand. Das Kunstwerk ist ein Brunnen in Menschengestalt und soll an die Göttin als Spenderin des Süßwassers gemahnen. Diese Göttin erinnert stark an Maria Magdalena mit dem Salbgefäß. Bekanntlich ist sie unter anderem die Schutzpatronin der Seefahrer und wurde besonders im Languedoc lange Zeit als eine Art Wassergöttin verehrt. Nun, die Sprache im Umfeld Jesu war Aramäisch, und das aramäische Wort für Wasserkrug heißt marqa, oder mit häufig verwendeter griechischer Endung, marqosh.10 Dass dies eindeutig auf Markus weist, lässt sich wohl nur schwerlich bestreiten. Anscheinend dachte Maria Magdalena sich ihren Sohn symbolisch als „Gefäß“, welches ihre Weisheit aufnehmen und zu späterer Zeit verbreiten sollte, wie es sein Vater Jesus tat. Es ist wohl nicht abwegig, wenn man annimmt, dass ihr die Göttin Mari wohlbekannt war, wahrscheinlich, weil Maria Magdalena, wie auch die Autoren Simcha Jacobovici und Barrie Wilson vermuten, in Syrien eine Tätigkeit als Priesterin ausgeübt hatte.11 Weiter unten werden wir von ihr noch als Priesterin der dreifaltigen Göttin Mari-Anna-Ištar in Migdal und Jerusalem lesen!

Im Römischen Reich bezeichnete ein Markus oder Marcus Personen, die im Monat März geboren waren, oder es bezog sich auf das Sternzeichen Fische als Aszendenten, später auf den Kriegsgott und Roten Planeten Mars. Im Zusammenhang mit ihm treffen wir immer wieder den Löwen an, so auch den Markus-Löwen von Johannes Markus. Davon an späterer Stelle etwas mehr. Der vielleicht berühmteste Namensträger, gemeinsam mit dem Jünger und Evangelisten, ist zweifellos Marcus Antonius, der 13, 14 oder 17 Jahre jüngere12 Geliebte der Kleopatra (geb. 69 v. Chr.), zusammen mit ihr in den Tod gegangen im Jahre 30 v. Chr. Er hat mit Johannes Markus die ins Auge fallende Gemeinsamkeit, anscheinend ebenfalls ein Mann mit ödipaler Neigung gewesen zu sein.

Bei dieser Untersuchung ergaben sich hinsichtlich der Frage, ob Maria Magdalena wirklich die Mutter von Johannes Markus war, zunächst drei biblische Beweisführungen:


2 Hartke 1961, 2, S. 749.

3 Starbird 2005, S. 200; Starbird 1998, S. 141.

4 http://members.fortunecity.com/volcanopele/Iomyth.htm; Zugriff am 12.11.20.

5 http://www.thenazareneway.com/MaryMagdaleneSinnerorQueen.htm; Zugriff am 12.11.20.

6 http://www.newworldencyclopedia.org/entry/Queen_of_Sheba;
http://www.bethel.edu/~letnie/EthiopiaMakeda.html; Zugriff jeweils am 12.11.20

7 http://wysinger.homestead.com/sheba.html; Zugriff am 12.11.20.

8 https://de.wikipedia.org/wiki/Johannes; Zugriff am 01.06.21.

9 https://www.heiligenlexikon.de/BiographienM/Markus.htm; Zugriff am 12.11.20.

10 Hartke 1961, 1, S. 152.

11 Jacobovici/Wilson 2014, S. 71f., 89-95.

12 Sein Geburtsdatum ist ungewiss; auf jeden Fall an einem 14. Januar, entweder 82, 83 oder 86 v. Chr.

Relevante Bibelstellen

1. Die sieben Dämonen

In der ersten Stelle geht es um die Frauen, die Jesus begleiteten beziehungsweise ihn unterstützten, nämlich Lk 8,2-3. Der von Lukas korrigierte Text nach der Endredaktion lautet dort:

2 „...Maria, die so genannte Magdalena, von der sieben Dämonen ausgefahren waren,

3 und Johanna, die Frau des Chuzas, eines Beamten des Herodes, und Susanna...“

In dieser Version hätten wir hier drei aufgeführte Frauen. Eine andere Sicht ergibt sich jedoch, wenn wir dieselbe Stelle des Lk aus dessen Hauptquelle, der so genannten Q-Quelle, woraus das Lukas-Evangelium stammt,13 ins Auge fassen:

2 „...Maria, die so genannte Magdalena, von der sieben Dämonen ausgefahren waren,

3 die Mutter des Johannes, und die Frau des Chuzas, eines Beamten des Herodes, Susanna...“14

In der ursprünglichen Fassung sind also a) nur zwei Frauen genannt, und b) Maria Magdalena wird als die Mutter des Johannes bezeichnet!15 Lukas hatte demnach Gründe, die Identität Maria Magdalenas als Mutter dieses Johannes zu verschleiern und dafür eine Johanna einzuführen. Genau dieselbe Vorgehensweise findet sich auch in Lk 24,10, wo nach Hartkes Lesart ursprünglich ebenfalls Maria Magdalena als Mutter des Johannes erscheint, was später geändert und dafür eine Johanna eingesetzt wurde!16 Wie wir gesehen haben, verbirgt sich hinter dieser vermeintlichen Jüngerin die Göttlichkeit Maria Magdalenas als Io-Anna, mit all den oben aufgezeigten Zusammenhängen. Ob man bei der Frage der Göttlichkeit nun „Johanna“ oder „Johannes“ zugrundelegt, ist sekundär. Das Ergebnis ist dasselbe! Zweimal dieselbe Änderung kann natürlich kein Zufall sein und spricht voll und ganz dafür, dass die Tatsache, dass Maria Magdalena die Mutter des Johannes Markus war, totgeschwiegen werden sollte. Abgesehen davon heißt die Frau des Chuzas Susanna, nicht Johanna.

2. Die Frauen unter dem Kreuz

Eine weitere relevante Änderung, die ebenfalls auf Maria Magdalena als die Mutter von Johannes Markus hindeutet, findet sich im Johannesevangelium in der Stelle Joh 19,25-27. Der überlieferte Text nach der Endredaktion lautet:

25 Bei dem Kreuz Jesu standen seine Mutter und die Schwester seiner Mutter, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala.

26 Als Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er liebte, sagte er zu seiner Mutter: „Frau, siehe, dein Sohn!“

27 Dann sagte er zu dem Jünger: „Siehe, deine Mutter!“ Und von jener Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.

In dieser Fassung scheint der Text eindeutig zu sein. Unter dem Kreuz finden sich hier Jesu Mutter, Maria Magdalena und die Frau des Klopas. Doch wie geriet die Mutter Maria unter das Kreuz, nachdem sie bei den Synoptikern, die doch daran interessiert gewesen sein mussten, keinerlei Erwähnung fand? Denn wenn Johannes Markus, der in dieser Szene schweigend als anwesend vorausgesetzt wird, sowohl der Verfasser des Ur-Mk als auch des Ur-Joh war, müsste hier eigentlich eine Übereinstimmung bestehen. Da dies nicht der Fall ist, muss abermals von willkürlichen Bearbeitungen ausgegangen werden. Hartke weist darauf hin, dass die gewöhnliche Deutung gar nicht selbstverständlich ist. Ihm zufolge steht nicht da, dass der geliebte Jünger von nun an der Sohn Marias von Nazareth sein soll, und auch diese nicht seine Mutter! Nach Hartkes Auffassung spricht hier Jesus in einer Version nicht seine Mutter an, sondern eine Frau (γυνή). Offenbar wurde hier fälschlich „Frau“ für „Mutter“ übersetzt, was übrigens ein Gegenstück in Joh 2,4 hat, wo wir genau den umgekehrten Fall vorliegen haben: „Was willst du von mir, Mutter“ wäre dort richtig. Bei der Kreuzigungsszene lenkt Jesus die Aufmerksamkeit einer Frau auf ihren Sohn und den des geliebten Jüngers, ihres Sohnes, auf seine Mutter.17 Die Rekonstruktion des ursprünglichen Textes im Ur-Joh ergibt nach Hartke folgenden Wortlaut:

25 Es standen aber bei dem Kreuze Jesu der Jünger, den Jesus liebte, seine Mutter und die Schwester seiner Mutter, Maria, die (Tochter) des Klopas, und Maria Magdalena.

26 Als nun Jesus die Mutter und den Jünger dabeistehen sah, den er liebte, spricht er zur Mutter: „Frau, das ist dein Sohn!“

27 Dann sagt er zu dem Jünger: „Das ist deine Mutter!“ [etc+.]18

Joachim Gnilka meint über den Lieblingsjünger: „In der Forschung zeichnet sich stichwortartig folgendes Urteil über ihn ab: weder der Zebedäussohn Johannes noch ein anderes Mitglied des Zwölferkreises, ... seine Identifizierung ist nicht mehr möglich.“19 Doch, sie ist möglich! Wenn weder der Zebdaide noch ein anderes Mitglied der Jünger in Frage kommt, bleibt eigentlich nur eine Möglichkeit übrig: Johannes Markus! Der „Jünger, den Jesus liebte“, ist genau dieser Johannes Markus, und Maria Magdalena ist seine Mutter! Zugegebenermaßen ist diese Stelle nicht ganz einfach zu verstehen, und zwar deshalb, weil Maria Magdalena hier doppelt genannt und somit besonders betont wird: Erst als die Mutter des Jüngers, den Jesus liebte – dort wird ihr Name nicht genannt – anschließend noch einmal. Hartke erklärt: „Johannes Markus, der ja selbst der geliebte Jünger und der Sohn der Maria Magdalena ist und der Joh 19,25-27 selbst geschrieben, hat an die (vom Herausgeber ausgelassenen) Worte, ‚der Jünger, den Jesus liebte’ zunächst ‚seine Mutter’ und dann ‚Schwester seiner Mutter’ angeschlossen, auf die zweite zunächst deren Eigennamen und dann den Eigennamen seiner Mutter folgen lassen, von der er auch sofort weitererzählt.“20 Wahrscheinlich wollte Johannes Markus sichergehen, dass sie nicht nur als „seine Mutter“, sondern auch namentlich genannt wurde. Er hatte also ein großes Interesse daran, Maria Magdalena als Zeugin unter dem Kreuz zu sehen.

Damit hätten wir die Erklärung für die doppelte Erwähnung beider Frauen, und somit den zweiten Beweis, dass Maria Magdalena die Mutter von Johannes Markus war.

3. Die Versammlung der Betenden im Haus der Maria

Die besagte Verwandtschaft ergibt sich weiterhin auch aus Apg 12,12, wo „Johannes mit dem Beinamen Markus“ genannt wird, und aus der hervorgeht, dass seine Mutter Maria hieß. Dass es sich bei dieser Maria um Maria Magdalena handelt, wissen wir, wie vorhin aufgezeigt, nicht nur aus Lk 8,2 (der Quelle Q) und Lk 24,10, sondern auch daher, dass in den Parallelstellen Mk 15,40 und Mt 27,56, besonders im Ur-Markus, der Name von Maria Magdalena mit dem Attribut „Mutter des Johannes“ verknüpft ist. Denn Hartke gelangt zu der Ansicht, dass im Ur-Mk anfänglich „die Mutter des Johannes“ gestanden haben muss, an derselben Stelle, die sich aus Lk 24,10 erschließen lässt, also als Apposition zu Maria Magdalena.21

Aus Apg 12,12 erschließt sich, was auch nicht ganz unwichtig ist, noch eine andere Erkenntnis. Die Stelle lautet:

„Als er sich darüber klar geworden war, ging er zum Haus der Maria, der Mutter des Johannes mit dem Beinamen Markus, wo nicht wenige versammelt waren und beteten.“

„...wo anders konnte Petrus mitten in der Nacht eine größere Anzahl von Christen versammelt finden (Apg. 12,12) als an einem Ort, wo die Gemeinde oder ein Teil derselben sich regelmäßig zum Gebet zu versammeln pflegte?“ schreibt Theodor Zahn völlig zurecht.22 Der kirchlichen Tradition zufolge habe in diesem Haus die Mutter Jesu nach Tod und Himmelfahrt ihres Sohnes gewohnt.23 Diese Zuordnung geschah offensichtlich deshalb, um von der christlichen Gruppierung um Maria Magdalena in Jerusalem abzulenken. Doch dass es sich bei dieser Maria in Wahrheit um Maria Magdalena handelt, hat Hartke vorzüglich erarbeitet. Das Haus dieser Mutter Maria aber ist offenbar auch die Stätte, an der das letzte Abendmahl stattfand. Dies beweist laut Hartke die Arbeit von Theodor Zahn, der in seinem Aufsatz „Die Dormitio Sanctae Virginis“ die Zeugnisse dafür zusammengestellt hat, dass dieses auch in Apg 1,13.15; 2,1ff., und 12,12ff. erwähnte Haus zu Hadrians Zeit (117-138) die einzige Kirche des Christentums in Jerusalem war!24 Genau an dieser Stelle wurde im Jahr 340 die „Mutter der Kirchen“, die „Große Allerheiligste Zion“ erbaut. Somit hat Maria Magdalena sowohl einen Bezug zu der ersten christlichen Kirche in Jerusalem als auch in Glastonbury.25

Hinsichtlich der gesellschaftlichen Stellung des Johannes Markus ist es bemerkenswert, dass auf dem Grundstück, welches an das Haus von Maria Magdalena grenzte, das Haus des Hohepriesters Kaiaphas stand, Johannes Markus somit mit ihm bekannt gewesen sein dürfte (Joh 18,15). Dies ist umso mehr naheliegend, wenn er, wie es überliefert ist, priesterlichen Geschlechts war.26

Der Beiname Magdalena und ihre
Heimatstadt Magdala / Taricheai

Wie aus dem Urtext des Johannesevangeliums hervorgeht, ist dort der Zuname „Magdalena“ nicht zu finden. Im Text der Endredaktion steht hingegen zumeist „Maria von Magdala“. Was ist die Ursache davon? Um dies näher zu ergründen, muss dieser Beiname näher untersucht werden, und damit auch die verschiedenen Namen der ihr zugeordneten Heimatstadt:

Zum Beinamen Magdalena

Marias Beiname „Magdalena“ wurde in den drei synoptischen Evangelien später zum Text hinzugefügt, soviel steht fest. Doch warum fehlt er bei Johannes? Nun, wie ich bereits in GCMM dargelegt habe, hat „Magdalena“ beziehungsweise dessen Vorsilbe MAG eine Reihe von Bedeutungen, die sich nicht jedem ohne weiteres erschließen. Neben der Bedeutung des Namens Maria,27 welche die große Trägerin dieses Namens eindeutig als Mutter des Alls und weibliches Pendant neben dem Schöpfergott ausweist – Zusammenhänge, welche zweifellos vielen Gnostikern bekannt gewesen sein mussten – ist auch dessen indoeuropäische Wurzel MAG, welches gemeinsam mit ihrer Herkunft zur Bildung des Beinamens „Magdalena“ beitrug, von größter Wichtigkeit. Es heißt soviel wie „hervorragend“, „prachtvoll“ oder „groß“ und ist eine Anspielung auf die „Tochter Sion“, was Glenn Bogue und Margaret Starbird zufolge einen direkten Bezug zur Großen Pyramide oder dem Turm von Gizeh, etwa 400 Kilometer entfernt von Jerusalem, nahelegt.28

MAGdal bezieht sich auf Turm oder auf Phallus, was eine bemerkenswerte Parallele im Sanskrit hat: Lińgam kann gleichermaßen Turm oder Penis heißen, vergleichbar dem hebräischen „migdal“ und dem griechischen „magdala“. Somit hätten wir eine weitere Möglichkeit, was die Grundlage für Maria Magdalenas spätere Diffamierung als angebliche Prostituierte gebildet haben könnte.

„MAGdal von Sefech (Sieben)“ ist ein ägyptischer Begriff, der dem bei Ezechiel erwähnten „Turm der Sieben“ entspricht, und dieser wiederum ist kein anderer als der Turm (beziehungsweise die Pyramide) von Gizeh. Von daher impliziert MAG die „Tochter Sion“, also die Tochter der Großen Pyramide, aber auch die sieben Dämonen, die Jesus ihr ausgetrieben haben soll, könnten auf der hier erwähnten Zahl Sieben beruhen.29

Uns werden im Lauf dieser Arbeit noch eine Reihe Wurzeln und verwandte Worte und Begriffe zum Namen Magdalena begegnen. Von diesen wird dann im jeweils passenden Kontext die Rede sein.

Stadt Magdala

Zur Stadt Magdala. Da diese zur Zeit der Entstehung der Evangelien nicht unter diesem Namen bekannt war, ist es lohnenswert, dieser Frage ein wenig nachzuspüren. Bezüglich dieser Frage hat Margaret Starbird hervorragende Arbeit geleistet, und ich folge daher hier ihrer Spurensuche:

Einst war die Heilige Helena, die Mutter von Kaiser Konstantin dem Großen, ins Heilige Land nach „Mejdol“ in Galiläa gefahren, gelegen an der Nordwestküste des Sees von Galiläa (See Genezareth oder Tiberiassee), und will dort das Haus von Maria Magdalena entdeckt haben.30

Eine ältere Namensvariante von Magdala ist Migdal oder Migdol. Der hebräische Begriff migdal, migdol (, , hebr. „Turm“), ist verwandt mit dem griechischen Wort für „Wachturm“ magdylos (μαγδωλος). Es meint in erster Linie einen Turm beziehungsweise ein hohes oder großes Gebäude. Rein physisch meint es eine befestigte Stadt, Festung oder Burg, geographisch kann es eine erhöht gelegene Insel in einem Fluss bedeuten oder generell hoch gelegenes Land. Joshua bezieht sich auf eine befestigte Stadt von Juda, eine weitere, in Naphtali, heißt Migdal-El („Turm von El“), die mit dem alten Vatergott El zu tun hat (Jos 19,38). Erwähnenswert ist noch ein Hügel namens Migdal Ha’emek am Fluss Kishon, dies deshalb, weil er westlich von Nazareth liegt und somit einen Bezug zu Jesus aufweisen könnte. Symbolisch-etymologisch deutet der Name Migdal/Migdol einen Bezug zu Maria Magdalena an. Aber ist dies auch beim Namen Magdala so?

Von 43 v. Chr. bis 53 n. Chr. trug die Stadt den griechischen Namen Taricheai und war eine wohlhabende griechische Stadt mit 40.000 Einwohnern, 230 Fischerbooten und ausgedehnten Obstgärten. Sie lag einer Stelle, die anscheinend auch von einem Fischerdorf namens Magdala Nunaiya (ein aramäischer Name) beansprucht wurde. Der Name bedeutet „Turm der Fischer“ oder „Fischturm“, hatte in früherer Zeit eine Festung und eine bedeutende Fischindustrie. Hier wurde gesalzener Fisch hergestellt.31

In Mk 8,10 wird die Stadt unter dem Namen Dalmanuta erwähnt:

„Gleich darauf stieg er mit seinen JüngerInnen ins Boot und fuhr in das Gebiet von Dalmanuta.“

Jesus fährt nach der Speisung der Viertausend mit seinen JüngerInnen also in die Stadt, in der Maria Magdalena beheimatet war! Der Name Dalmanuta wird in den frühesten Manuskripten der Evangelien genannt und in Mt 15,39 durch Magadan (Magedan) ersetzt.32 Eigenartig ist, dass Matthäus den Namen, den er bei Markus gefunden hatte, gerade nach dem Ereignis ändert, in dem Brotlaibe und Fische vermehrt worden waren.33 Vielleicht gehört die Speisung der Menschen weniger in den Bereich der Wunder, sondern die wohlhabende, in der Nähe lebende Maria Magdalena hat in Wahrheit die Menschen mit Brot und Fisch versorgt. Abgesehen von der Frage, inwieweit dies historisch stimmen kann, haben wir bereits gesehen, dass die zwei Fische in Wahrheit Maria Magdalena und Jesus versinnbildlichen.

Im Talmud Ta’anit ist zu lesen, dass das wohlhabende und unsittliche Magdala wegen der sich ausbreitenden Prostitution zerstört worden sei. Doch die Behauptung „Prostitution“ ist mehr symbolisch als wörtlich zu nehmen. Der Hintergrund ist, dass die Stadt seit langer Zeit hellenisiert war, griechische Moralvorstellungen und Sitten angenommen hatte, was den Juden natürlich ein Dorn im Auge war. Dies könnte mit eine Ursache für die spätere Diffamierung von Maria Magdalena als Sünderin sein.34

Noch einmal zurück zur Umbenennung des Namens Dalmanuta bei Mk 8,10 zu Magadan bei Mt 15,39. Ein späterer, wohl griechischsprachiger Abschreiber dieses Textes machte, offenbar beeinflusst von dem Ruf Maria Magdalenas, daraus Magdala. Diese Änderung findet sich bereits im vierten Jahrhundert, nämlich im babylonischen Talmud, welcher die aramäische Stadt Nunaiya erwähnt. Leider verbreitete sich dieser Fehler, besonders in den Übersetzungen von Erasmus, Martin Luther und der King James-Bibel, welche allesamt die verderbte Sprache, dass Jesus in einem Boot zu den Gestaden von Magdala fuhr, wiedergeben. Die verderbte Version der Matthäus-Passage wurde durch viele landessprachliche Übersetzungen der Reformatoren weit verbreitet. Sie alle folgten dem Text eines von der Griechisch-Orthodoxen Kirchen verwendeten griechischen Manuskripts namens Textus Receptus aus dem Jahr 1516, ein Text, welcher die Lesung Magadan ignoriert und dafür Magdala liest. Die Römisch-Katholische Kirche ignorierte die älteren Quellen und folgte ebenfalls diesem Textus Receptus, und auch in den Bibeln der Reformation überlebte der Name Magdala bis heute. Allerdings gibt es auch Lichtblicke. In „The five gospels“, einer Übersetzung der vier kanonischen Evangelien und des Thomas-Evangeliums der 74 Gelehrten des Jesus-Seminars, unter der Leitung von Robert W. Funk, wird Mt 15,39 Magadan statt Magdala übersetzt. Offenbar hat man auch dort den Fehler erkannt.35

Warum aber wurde Maria Magdalena nach dem aramäischen Namen (Magadan, Magdala) einer griechischen Stadt (Taricheai) benannt? Wenn eine Stadt namens „Magdala“ zu Jesu Zeiten nicht existierte, und wenn Jesus niemals ein „Magdala“ besuchte, die Stadt Magadan aber später zu Magdala umbenannt wurde, so hat man den Verdacht, dass diese Umbenennung besondere Gründe hat. Es ist der Versuch von christlicher Seite, der Maria mit dem Titel Magdalena einen Geburtsort namens Magdala zuzuordnen. Die wahre Bedeutung von Magdalena sollte vertuscht werden, und eifrige Christen suchten nach einer Stadt, deren Namen eine ähnliche Wurzel hatte. Dabei fiel ihre Aufmerksamkeit auf das Fischerdorf Magdala Nunaiya, welches angeblich wegen seiner Sündhaftigkeit und Prostitution oder Idolatrie vernichtet wurde. Dies dürfte zu dem Ruf von der angeblichen Sünderin mit beigetragen haben.36

Es ist offensichtlich, dass der Name „Magdalena“ einem Redakteur des Johannesevangeliums ein Dorn im Auge war, und er stattdessen die Formulierung „Maria von Magdala“ wählte.

Bei den Überlegungen zum Thema Magdala sollte auch die alte Garnisonsstadt Magdolum nicht übersehen werden. In den Briefen von Šuta, die aus dem Jahr 1340 v. Chr. stammen, wird eine Stadt namens Magdalu (oder Magdolum) in Ägypten genannt. An der nordöstlichen Grenze von Judäa gelegen, war diese uralte Stadt das letzte Feldlager der Israeliten, bevor sie, dem Buch Exodus zufolge, das Rote Meer überquerten. Der Name Magdalu rührt wahrscheinlich her von hebr. gadal, was so viel wie „erhöhen“ hinsichtlich Größe oder Bedeutung meint. In Jeremia 44,1 heißt es, dass Migdol (wie er und Ezechiel die Stadt nennen) und andere nahe jüdische Gemeinden wichtige Kolonien der Diaspora-Juden hatten. Diese Juden erbauten einen Tempel auf der Nilinsel Elephantiné, eine Nachbildung des Tempels von Jerusalem. Die jüdischen Emigranten verehrten dort Anath gemeinsam mit Jahwe (Jahu). Bei dem Heiligtum handelt es sich wohl um den Beth-Anath genannten Tempel, von dem in Hos 19,38 die Rede ist, und von Beth-Anath leitet sich Bethanien ab, womit ein Bezug zu Maria von Bethanien beziehungsweise Maria Magdalena gegeben ist. Bei Jer 44 wird der Kult detailliert beschrieben, und es sieht ganz danach aus, dass die dortige Anath die so genannte Himmelskönigin ist. Die Ägypter zerstörten den Tempel im Jahre 410 v. Chr., doch Onias IV. baute ihn wieder auf bei Leontopolis, nahe Magdalu, nördlich von Heliopolis. Die Qumran-Texte so wie die klassische jüdische Literatur, wie das Juhasin, bringen ihn in Verbindung mit dem samaritischen Tempel auf dem Berg Garizim. Trotz der Vernichtung des Tempels durch die Ägypter gab es, vor allem gegen Rom gerichtete, Bündnisse mit diesen. Audlin ist daher der Ansicht, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Jesus und Maria Magdalena sich dort aufgehalten haben, sehr groß ist und sie mit der ägyptischen Sprache vertraut waren. Einige Passagen im Johannes-Evangelium, besonders dort, wo es um die Auferstehung geht, sollen dafür sprechen.37 Durch Anath, die Himmelskönigin, legt sich zunächst nur eine mythologisch-symbolische Assoziation, wenngleich diese kaum mehr als eine Andeutung ist, zu Maria Magdalena nahe. Interessant ist dabei vor allem aber, dass das altklassische jüdische Buch Juhasin den Anath-Jahu-Tempel auf Elephantiné mit dem samaritischen Tempel auf dem Berg Garizim in Verbindung bringt. Und dies wäre ein Indiz dafür, dass Maria Magdalena mit dem Kult der Taubengöttin Ashima in Samaria zu tun hatte.

Göttin-Verehrung in Migdal

Maria Magdalena ist aufgrund der Stadt, in der sie lebte, Migdal, mit dem Kult der Göttin Mari-Anna-Ištar verknüpft, denn dort wurden die heiligen Kulttauben dieser Göttin gezüchtet, weshalb der Ort auch „Taubendorf“ hieß. Maria Magdalena, Maria von Bethanien und Maria von Nazareth (die Mutter Jesu), galten als drei Erscheinungsformen der dreifachen Göttin Mari-Anna-Ištar, der Großen Hure Babylons, die zusammen mit ihrem Erlösersohn Tammuz im Tempel von Jerusalem verehrt wurde. Der Name Magdalena bedeutet eigentlich „die Frau des Tempelturms“, und wie wir wissen, besaß der Tempel drei Türme als Symbol der dreifachen Göttin. Der Name dieser Göttin meint im Einzelnen Folgendes:

Sie ist also die Göttin Mari(a) und Frau vom Turm, und zwar des babylonischen, wie Terhart betont. Der Name weist hin auf die drei Türme des Tempels der Großen Hure Babylon. Allerdings kann der Name auch „Weib des umfriedeten Ortes“, das heißt des Paradies meinen. Jedenfalls reicht es weit zurück, bis auf den Turmbau zu Babel, als ihre Vorgängerin Ištar in Mesopotamien verehrt wurde. Zur Anbetung von Mari-Anna-Ištar nun gehörte ein Ritual, das manchmal tödlich endete. Die männlichen Opfer wurden dabei durch die Priesterinnen mit kostbarem Öl zum Tode gesalbt, bevor sie in die Unterwelt hinabsteigen konnten, um wiedergeboren zu werden.38 An dieser Stelle ist vorerst nur wichtig, dass Johannes Markus seine Mutter zu einem Zeitpunkt als Priesterin dieser Göttin wahrnahm, freilich ohne viel darüber zu wissen. Vielleicht hatte er als Kind und Jugendlicher noch keine Ahnung von ihrer früheren Tätigkeit, und zwar deshalb, weil sie seit der Begegnung mit Jesus diese ebenso beendet hatte wie er seine Vergangenheit als Mitglied der Essener. Die Fragen, die sich daran knüpfen, werden erst bei der Rückkehr nach Jerusalem wichtig, deshalb werde ich weiter unten darauf eingehen, wie man sehen wird, auch noch aus anderen Gründen. Denn im Jahr 43 war Johannes Markus kein kleiner Junge mehr, sondern ein Jüngling, und möglicherweise kam dann etwas auf ihn zu, wofür er in seiner Kindheit vorbereitet worden war.

Ikonographische Aspekte

Die angebliche Mutter Jesu und ihr Sohn

Jeder von uns kennt die zahllosen Bildwerke der christlichen Kunst, in denen die Mutter Maria von Nazareth mit ihrem Sohn Jesus abgebildet ist. Was jedoch kaum jemand weiß: Auf vielen dieser Darstellungen stimmt diese Zuordnung zwar, bei vielen anderen jedoch nicht! Denn oftmals sehen wir die betreffende Maria mit einem Heiligenschein oder einer Krone, ihren Sohn jedoch ohne! Ein Jesus ohne diese Attribute ist jedoch, besonders in der frühen Kirche, unvorstellbar. In diesen Fällen kann deshalb nicht Jesus gemeint sein, und folglich ist diese Maria dann auch nicht die von Nazareth, sondern aus Magdala! Dort, wo sowohl Mutter und Sohn mit Heiligenscheinen oder Kronen gezeigt werden, sind es tatsächlich die „Muttergottes“ und Jesus, doch wenn der Sohn weder das eine noch das andere hat, dann ist er Johannes Markus, und seine Mutter Maria Magdalena. Dazu einige Erläuterungen anhand eines Beispiels aus dem frühchristlichen Irland.

Maria Magdalena und Johannes Markus im Book of Kells

Im keltischen Evangelienbuch des Book of Kells, einer Kostbarkeit, die im frühen 8. Jahrhundert wahrscheinlich auf der schottischen Insel Iona, dort, wo Jesus und Maria Magdalena einst geweilt haben sollen,39 ihre Ursprünge hat und im Laufe der ab 795 einsetzenden Normannenüberfälle nach Kells auf die Grüne Insel in Sicherheit gebracht wurde, findet sich eine bemerkenswerte Darstellung von Mutter und Sohn. Der schottische Mönch Columba (521/22-597) hatte im Jahr 583 auf Iona ein Kloster gegründet, welches zum beherrschenden Haupt einer Gemeinschaft von Klöstern im nördlichen Irland und Schottland (Rollason) wurde, zu der auch Kells gehörte. Dem offiziellen Glauben nach soll es sich bei den Personen auf dem Bild um die so genannte Muttergottes und ihren Sohn Jesus handeln. Doch dies ist eine Behauptung, die mit gutem Recht bezweifelt werden darf. Denn der abgebildete Sohn hat im Gegensatz zur Mutter weder Heiligenschein noch Krone! Wie aus dem Aufsatz „Columban Virgins“ von Jane Hawkes hervorgeht, gab es in Irland weitere Darstellungen von Mutter und Kind, bei denen wie auf dem Book of Kells-Gemälde das Jesuskind ohne Heiligenschein dargestellt wird.40 Diese Bilder sind viel älter und damit noch beweiskräftiger dahingehend, dass sich bei der abgebildeten Maria nicht um die Mutter Jesu, sondern um Maria Magdalena mit ihrem Sohn handelt.

Ein wichtiger Aspekt ist auch, dass der besagte Mönch Columba von Iona (Columcille, 521/22-597) vor einem Totenschädel sitzend dargestellt wird,41 und er trägt eine so genannte Johannestonsur. Der Totenschädel ist ein wichtiges Symbol von Maria Magdalena, und die Tonsur weist Columba als johanneischen Christen aus. All das bedeutet nichts Geringeres, als dass es sich bei dieser Mutter nicht um Maria von Nazareth, und bei dem Jungen nicht um Jesus handeln kann, sondern mit großer Wahrscheinlichkeit um Maria Magdalena mit ihrem Sohn Johannes Markus. Da wir nun in Schottland einige Spuren eines Johannes finden, den man sich dort manchmal als Nachkomme von Jesus und Maria Magdalena vorstellt, manchmal auch als den Apostel, oder auch um Johannes Martinus, einen mutmaßlichen Sohn des Heiligen Paars, ist es naheliegend, dass es sich bei diesem um Johannes Markus handelt, nicht um einen anderen Johannes. Denn zum einen wäre der Zebedaide natürlich wie Jesus ebenfalls mit einem Heiligenschein versehen worden, zum anderen wissen wir dank Hartke, dass der Apostel Johannes im Jahre 44 ermordet wurde. Und was den Johannes Martinus angeht, so haben wir von diesem zu wenig Fakten, um ihn ernsthaft in Erwägung ziehen zu können. Auch aus der Argumentation der vorangehenden Abschnitte legt sich nahe, dass es sich beim Book of Kells-Johannes am ehesten wohl um den mit dem Beinamen Markus handeln dürfte. Vielleicht mag nun mancher Leser einwenden, dass Jesus auch in den Malereien der Katakomben in Rom wie auch auf der frappierend ähnlichen Darstellung auf dem Jesus-Medaillon in Bryn Gwyn (Anglesea, Nordwales)42 keinen Heiligenschein hat, doch war die Abbildung mit einem Heiligenschein eine Vorgabe, die erst nach einigen Jahrhunderten Einzug in die Kunstwerke der frühen Kirche fand.

Leonardo Da Vinci: „Der letzte Auftrag“

Ein wahrhaftiger „Magdalena-Maler“ war zweifellos der häufig verunglimpfte Leonardo Da Vinci (1452-1519). Berühmt ist sein Gemälde vom Abendmahl wo er Maria Magdalena als neben Jesus sitzend abbildet, und noch berühmter seine Mona Lisa, von der man heute weiß, dass die Vorlage dafür ein Bild seines Malerkollegen Pietro Perugina (1445/48-1523) war. Farbgebung, Kleidung, Körperhaltung, und Haarfarbe sind der etwa 1500 bis 1503 entstandenen Perugino-Magdalena eindeutig nachempfunden, Linienführung und diverse Stilelemente zeigen eine frappierende Ähnlichkeit mit der unmittelbar danach (1503 bis 1506) gemalten Mona Lisa. Das relevante Bild, um das es für dieses Buch geht, ist Da Vincis letztes Werk, und deshalb trägt es auch den Titel „Der letzte Auftrag“, und wir werden sehen, dass in dieser Madonna mit zwei Kindern nicht die Mutter Jesu, sondern die von dem italienischen Meister verehrte Maria Magdalena ist.

Aufgrund von Vermutungen der Eigentümerin des Werkes, Fiona McLaren, untersuchte die Symbolkundlerin Ariadne Green diese Darstellung, die man lange Zeit für eine Darstellung der Muttergottes gehalten hatte, und gelangte, Frau McLaren bestätigend, zu dem zwingenden Schluss, dass es sich bei der dargestellten Frau nicht um Maria von Nazareth, sondern um Maria Magdalena handeln muss – mit ihrem Kind aus der Ehe mit Jesus Christus! Allein schon die bloße Tatsache, dass diese Maria zwei Kinder hat, schließt aus, dass hier die Mutter Jesu abgebildet ist.

Zunächst fällt auf, dass es sich bei dem einen Kind um Johannes den Täufer handelt, leicht erkennbar an seiner wollenen Tunika. Trotz seiner Darstellung als Kind ist Green zufolge das Bild im Rahmen kirchlicher und zeitgenössischer Gepflogenheiten, auch was die Farben angeht.

Ein weiteres Indiz ist die Farbe der Kleidung der Madonna. Sie ist in Rot gekleidet – eine Farbe, die in aller Regel Maria Magdalena vorbehalten war. Denn die „Muttergottes“ sollte einem Dekret Thomas von Aquins (1225-1274) zufolge stets in Blau dargestellt werden, eine Richtlinie, die von der Römisch-Katholischen Kirche im Jahr 1649 bestätigt wurde. Allerdings hielten sich anscheinend nicht alle Künstler daran. Auch bei Albrecht Dürers „Nelkenmadonna“ ist die Madonna in Rot – also handelt es sich höchstwahrscheinlich um Maria Magdalena. Denn Fiona McLaren zufolge war er ein Geistesverwandter von Da Vinci.

Was indessen, so mag man sich fragen, hat der als Kind dargestellte Johannes der Täufer auf dem Bild eigentlich zu suchen? Was will uns der Künstler damit mitteilen? Die Antwort ist ebenso einfach wie einleuchtend: Der Name dieses Johannes soll auf den Namen des anderen Jungen hinweisen – den Johannes mit dem Beinamen Markus!

Ein Kind ohne Heiligenschein

Zunächst mal hat das Kind auf dem Schoß der Frau keinen Heiligenschein – eine Auslassung, die mit Sicherheit kein Zufall ist und zu denken geben muss. Stattdessen hat das Kind eine wie eine Krone anmutende dreiblättrige Blume, Klee oder ein anderes dreiblättriges Symbol auf dem Kopf. Die Madonna hingegen ist sehr wohl mit einem Heiligenschein geschmückt, ebenso Johannes der Täufer, und dies kennzeichnet ihren Göttlichen Status. Sollte Da Vinci seinen Glauben an Christus verloren haben, indem er ihm seinen Heiligenschein entzog und damit nur als gewöhnlichen Sterblichen darstellte? Hier haben wir einen ersten deutlichen Hinweis auf ein Geheimnis, in ähnlicher Weise wie bei seinem Werk „Das letzte Abendmahl“, wo bekanntermaßen Maria Magdalena neben Jesus sitzt, nicht, wie lange vermutet, der Apostel Johannes. Hier nun, im „letzten Auftrag“, ist eindeutig nicht Jesus dargestellt, sondern ein anderes Kind. Für diese Annahme spricht auch die Gestik des Kindes, die eine andere ist als die von Jesus. Denn die übliche Haltung der Finger des Jesuskindes ist, dass es Zeige- und Mittelfinger emporhält, auf Johannes den Täufer deutet und ihn damit segnet. Beispiele dafür finden sich bei Coreggios „Jungfrau und Kind mit dem jungen St. Johannes dem Täufer“ sowie Da Vincis eigener Kohlezeichnung „Jungfrau und Kind mit St. Anna und St. Johannes dem Täufer“. Somit deutet Da Vinci hiermit sehr subtil eine andere Identität, Status und Funktion des Kindes an. Wenn dies stimmt, kann folglich auch die Mutter nicht Maria von Nazareth sein, sondern es muss sich um eine andere Person handeln. Jesus befindet sich aber nichtsdestoweniger, kaum erkennbar, auf dem Bild! Bei einiger Vergrößerung ist sein Gesicht erkennbar im Heiligenschein der Madonna.

Die Ähnlichkeit der Madonna mit der Zeichnung eines Magdalenenbildes

Das Gesicht der Madonna auf dem Bild ist sittsam, demütig und von mitfühlender Mütterlichkeit. Ob Da Vinci mit einem Modell oder nur aus der Kraft eigener Imagination gearbeitet hat, wissen wir nicht, doch hat das Gesicht der Frau durchaus Ähnlichkeiten mit einigen seiner bekannten Entwürfe. Hierbei ist besonders interessant die Skizze „Studie von Maria Magdalenas Kopf“, entstanden etwa im Zeitraum zwischen 1465 und 1519, bewahrt in der Uffizi-Galerie in Florenz. Die Zeichnung dieser Maria Magdalena weist so viel Ähnlichkeiten mit der Madonna in „Der letzte Auftrag“ auf, dass man durchaus sagen kann, dass es sich ein- und dieselbe Frau handelt. Die typische Pose mit dem leicht geneigten Kopf, das herzförmig geformte Gesicht, die auffällig breite Stirn, die zarte Nase und die Augenlider sind von frappierend großer Ähnlichkeit, teilweise sogar identisch. Bei all den Ähnlichkeiten der beiden Bildnisse sollten auch die sich sehr in Grenzen haltenden Unterschiede nicht verschwiegen werden: Die Breite und Dunkelheit der Augenbrauen, der Stil der Frisur, die Dicke der Wimpern sowie eine sehr geringe Variation bei den Lippen. Angesichts des Zeitraums, der zwischen der Vollendung beider Werke liegt, ist ein gewisser Unterschied aber auch nicht zu verwundern. Letztlich kann man sagen, dass die beiden Gesichter einander weitestgehend gleichen wie ein Ei dem anderen.

Damit steht fest, dass Da Vinci die „Studie von Maria Magdalenas Kopf“ als Vorlage für die Madonna in „Der letzte Auftrag“ verwendete. Die Mütterlichkeit von Maria Magdalena wurde von Da Vinci offenkundig also schon von langer Hand geplant.

Das Kind auf dem Schoß der Madonna: Magdalenas Sohn

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