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Vorwort

von Grit Scholz

Sie halten ein ganz besonderes Buch in den Händen. Ich möchte Sie mit meinem Vorwort inspirieren, eine neugierige, offene Haltung beim Lesen dieser eher ungewöhnlichen Art von Verschriftlichung zu finden.

Kaum jemand ist es gewohnt, Transkriptionen von Erzähltem zu lesen, die nicht überarbeitet und in Form gebracht wurden – erst recht nicht in Buchform. Wir erwarten in einem Buch ganze Sätze, einen guten Ausdruck, Struktur und wenn möglich einen Spannungsbogen, der unsere Aufmerksamkeit fesselt und uns das Buch bis zum Ende mit Interesse lesen lässt. Etwas in dieser Art werden Sie hier nicht finden. Martina Stubenschrott hat es gewagt, genau das niederzuschreiben, was erzählt wurde. Erzählt von Frauen, die sich erinnern, an die Schwangerschaft und Geburt ihrer Kinder. So, wie sie es einer guten Freundin erzählen würden, so, wie es gerade kommt, wie es ihnen wieder einfällt. Die Geburten fanden in den letzten sechs Jahren statt, also keine uralten Geschichten, sondern Erlebnisse aus der heutigen Zeit. Es sind Österreicherinnen, die da authentisch berichten, was es sprachlich sehr spannend macht und auch erkennen lässt, dass im deutschsprachigen Raum auch kulturelle Unterschiede herrschen, jenseits von Mundart.

Mich hat besonders berührt, dass einige Wörter viel ursprünglicher benutzt werden, als bei uns in Deutschland. Da mag sich manche deutsche Leserin wundern, doch das ist erlaubt. Wundern Sie sich, staunen Sie und öffnen Sie ihr Herz, lesen und fühlen Sie zwischen den Zeilen. Schütteln Sie nicht den Kopf über viele unvollendete Sätze, sondern erlauben Sie ihrem Gefühl, diese in Gedanken selbst zu vervollständigen.

Nehmen Sie sich Zeit beim Lesen, und seien Sie sich bewusst, dass dies nichts ist, was extra gut lesbar, leicht verdaulich und verständlich aufgeschrieben wurde. Das Was und Wie, wie es in diesem Buch zu lesen ist, ist eine Einladung, Worte wahrzunehmen, jenseits unserer geprägten Strukturen. Es steht nicht so geschrieben, weil niemand Zeit und Lust hatte, das zu überarbeiten, sondern weil die Überarbeitung absichtlich weggelassen wurde.

Als Verlegerin war ich im ersten Moment zögerlich. Ich dachte, so etwas kann man nicht machen. Doch nachdem ich das gesamte Manuskript gelesen hatte – war es genau das, was mich so sehr beeindruckt und berührt hatte. Ich konnte ein großes Potential darin sehen, was es ermöglicht, Gefühls­inhalte zu transportieren, die von jeder Bearbeitung weggewischt würden.

Wenn ich gefragt werde, worum es in diesem Buch geht, dann kann ich das schwer mit Worten ausdrücken, obwohl ich prinzipiell keine Schwierigkeiten habe, mich schriftlich mitzuteilen. Dieses Buch macht deutlich, dass es Dinge gibt, die jenseits von Sprache sind – doch als Empfindung, als Wahrnehmung, als Information Eindrücke hinterlassen.

Wenn ich Worte benutze wie Selbstermächtigung oder weibliche Kraft, weibliches Prinzip, Urwissen, Körperwissen, Angst, Ohnmacht, Verunsicherung – dann hat jeder Mensch so seine Assoziationen. Wir lesen, was wir fühlen oder wir lesen, was unser Verstand reflektiert. Im besten Falle bilden diese beiden Dinge eine Art Herzverstand und wir sind damit befähigt, Inhalte ganzheitlich zu erfassen, zu erspüren.

Gebären ist eine subjektive, individuelle Erfahrung. Wie eine Frau ihre Schwangerschaft und die Geburt erlebt, hängt von unzähligen Faktoren ab und doch gibt es so etwas wie eine kollektive Wahrnehmung, die immer mitschwingt. Diese ist von kulturellen und zeitgenössischen Werten geprägt und demzufolge auch sehr unterschiedlich.

Da mag es schon einen Unterschied zwischen Deutschland und Österreich geben, und wären das indische Frauen oder kubanische, wäre es sicher nochmal grundlegend anders. Doch egal wie, wer, wann und wo – es geht immer um das gleiche Mysterium – neues Leben entsteht und kommt in diese Welt.

Es gibt seit Jahren eine starke Bewegung, die mehr Bewusstsein in diesen Prozess bringt. Wir wissen heute, dass ein Kind bereits in der Schwangerschaft geprägt wird und die Umstände der Geburt wie eine Art Grundbaustein fungieren und das Wesen des Menschen stark beeinflussen. Wir wissen auch, dass eine Frau, die die Geburt als schöpferischen Prozess erlebt und die das Vertrauen in ihr Körperwissen hat, sehr gestärkt daraus hervor geht.

Manche Frau empfindet die Geburt als eine Art Initiationsprozess, an deren Ende sie als „neues“ Weib in der Welt steht. Da mag eine Kraft entstehen, die sie vorher nicht kannte. Da mag Vertrauen und Verbundenheit mit allem sein, was ihr bis dahin nicht möglich war, so deutlich zu fühlen.

Dies alles sind Gründe für Frauen, mehr Achtsamkeit und Selbstverantwortung in den gesamten schöpferischen Prozess zu investieren, von welchem sie ein so bedeutender Teil sind. Denn die Welt von morgen wird von den Kindern von heute gestaltet und es ist nicht egal, wie Kinder gezeugt, ausgetragen und geboren werden.

All das gilt es nicht auf intellektueller oder konzeptioneller Ebene zu erreichen, sondern tief im Inneren zu erkennen. Deshalb möchte ich auch nicht noch mehr Vorworte machen, sondern den Inhalt dieses Buches für sich sprechen lassen.

Aus diesem Grunde war es mir ein Bedürfnis, dieses außergewöhnliche Buch zu verlegen und ich wünsche Ihnen, es mit offenem Herzen zu lesen.

Einleitung

Acht Frauen erzählen mittels narrativer Interviews ihre zutiefst persönlichen Geburtserfahrungen. Die interviewten Frauen wurden so ausgewählt, dass ein möglichst breites Spektrum abgebildet wird. Frauen gebären im Krankenhaus, in der Privatklinik oder Zuhause. Frauen gebären vaginal. Frauen gebären mittels Kaiserschnitt. Manche Leben kommen zu früh und schaffen es zu bleiben, andere Leben gehenen wieder, lange bevor sie das Licht dieser Welt erblicken. Frauen erzählen von Geburten, die sie als gut erlebten. Frauen erzählen von Geburten, die unter schwierigen Bedingungen stattfanden. Frauen erzählen von Geburten, die für sie heilend wirkten. Frauen erzählen von Geburten, die Narben hinterlassen haben. Anhand der Überschriften erkennt die Leserin, unter welchen Bedingungen die Geburt stattfand. Erstgebärenden lege ich ans Herz, nur Geburten zu lesen, die unter guten Bedingungen stattfanden, damit sie positiv gestimmt in ihre erste Geburt gehen.

Vor der Aufnahme der Interviews habe ich den Frauen in schriftlicher Form Impulsfragen zum Lesen gegeben:

Wie hat sie ihre Geburt erlebt?

Was hat sie gefühlt?

Was hat ihr gutgetan?

Was hat sie geschwächt?

Gibt es etwas, das sie Erstgebärenden auf ihrem Weg mitgeben will?

Ich möchte Raum für die Innenwelt der gebärenden Frau schaffen. Durch die intimen Erzählungen wird spürbar, wie es der Frau geht, ob auf dem Bett liegend, im Vierfüßlerstand, auf dem Hocker oder in der Badewanne. Ich möchte bei Geburtshelfenden mehr Feinfühligkeit für die Geburtsprozesse wecken. Mir geht es um die einfachen Dinge, die der Frau gut tun.

Lernen wir von erfahrenen Hebammen und Frauen, die geboren haben.

Hören wir auf, Dinge zu tun, die sich blockierend auf die Geburt auswirken.

Dieses Buch ist kein medizinischer Ratgeber. Jede Frau bleibt in ihrer Verantwortung für sich und ihr Kind die beste medizinische Versorgung zu wählen. Jede Frau bleibt in der Verantwortung in ihrem ganz persönlichen Fall abzuwägen, was für sie und ihr Kind gut ist. So manche Frau und so manches Kind sind nur aufgrund neuer Technologien und operativer Möglichkeiten am Leben. Einigen unfreiwillig kinderlosen Paaren wird durch den heutigen Forschungsstand die Erfahrung der leiblichen Elternschaft ermöglicht.

So manche Frau erlebte ihre Geburt aber auch unter schwierigen Bedingungen, weil Geburtshelfende die Ganzheitlichkeit des Geburtsprozesses nicht begreifen und nicht beachten. Sie haben vergessen, dass seelische, geistige und intuitive Prozesse in Wechselwirkung mit unserem Körper stehen. „Zusätzlich erschweren die Klinikroutine, der Klinikalltag, die Personalnot von Hebammen und Geburtshelfenden sowie die Ausbildungssituation von Hebammen und Assistenzärzten, die gute Geburt.“ (Stadelmann 2005, S. 202 f.)

Ich habe mich bewusst für diese Art der Erzählung entschieden. Die Interviews sind nicht geschönt, nicht korrigiert und nicht in Reinschrift gebracht. Es geht mir nicht um den einfachen Lesefluss. Es geht mir darum, nachzuspüren, sich einzufühlen, langsam zu lesen und vielleicht auch die Ungeduld, die Neugierde, die Spannung, die Überraschung, die Trauer, die Freude, die Wut, die Verzweiflung, das Warten oder die Erleichterung nachzuempfinden.

Anhand der Interviews reflektiere ich am Ende des Buches auf der menschlichen Ebene, was die Frauen ganzheitlich, das bedeutet körperlich, seelisch, geistig und intuitiv brauchen, um eine gute Geburt zu erleben. Im Anschluss daran beschreibe ich mittels einer Spiegelung Einflüsse, die sich blockierend und störend auf den Geburtsprozess auswirken. Am Ende finden sich einige Fragen, die sich sowohl an die wissenschaftliche Forschung, als auch an uns Menschen richten und unsere Grundhaltungen betreffen.

Ich lade Frauen ein, die in freudiger Erwartung sind, Geburtsgeschichten zu lesen, die unter guten Bedingungen stattfanden. Ich lade Frauen ein, die geboren haben und die ihre Geburt noch beschäftigt, sich durch die Geschichten anderer Frauen verstanden zu fühlen und das Erlebte gut werden zu lassen. Ich lade medizinisch ausgebildete Menschen ein, die tagtäglich Frauen während der Schwangerschaft und unter der Geburt begleiten, sich in die andere Seite einzufühlen. Sie können dazu beitragen, gute Bedingungen zu ermöglichen.

Ein herzliches DANKE an alle Frauen, die mir ihre persönliche Geburtsgeschichte anvertraut haben.

Legende

(…) Gedankenpause

[ ] Ergänzungen der Interviewführenden

() Äußerungen der Interviewführenden

(kursiv) Lautäußerungen der Interviewgebenden

halbfett besondere Betonung der Interviewführenden

Bedingungen

Mit Bedingungen meine ich: Unter welchen Umständen fand die Geburt statt? Waren die Begleitumstände hilfreich für die Frau oder schwierig und störend? Ich traf die Einteilung anhand der Beobachtungen, die mir während der Geburtserzählungen aufgefallen sind. Die Begleitumstände beziehen sich auf die Zeit vor, während und nach der Geburt. Das bedeutet nicht, dass die betroffenen Frauen dies gleich sehen wie ich. Die Einteilung ist immer ein mehr oder weniger, keine Geburt fand unter nur guten oder unter nur schwierigen Bedingungen statt.

Gute Bedingungen: Viele Einflüsse, die ich unter einer „guten Geburt“ genannt habe, treffen zu. Einige Umstände, die ich unter einer „blockierten Geburt“ genannt habe, treffen zu.

Schwierige Bedingungen: Viele Umstände, die ich unter einer „blockierten Geburt“ genannt habe, treffen zu. Einige Umstände, die ich unter einer „guten Geburt“ genannt habe treffen zu.

Sehr schwierige Bedingungen: Es besteht Lebensbedrohung für das Kind und die Mutter.