Veröffentlichungen der Unabhängigen
Historikerkommission zur
Erforschung der Geschichte des
Bundesnachrichtendienstes
1945–1968
Herausgegeben von Jost Dülffer,
Klaus-Dietmar Henke, Wolfgang
Krieger und Rolf-Dieter Müller
BAND 12
Die Beziehungen des BND zu
den westlichen Geheimdiensten
1946–1968
Ch. Links Verlag, Berlin
Editorischer Hinweis:
Stellen, an denen einzelne Informationen durch den Bundesnachrichtendienst nicht freigegeben wurden, sind durch Schwärzungen kenntlich gemacht.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
eISBN 978-3-86284-489-0
Der Ch. Links Verlag ist eine Marke der Aufbau Verlag GmbH & Co. KG
1. Auflage, Januar 2021
entspricht der 1. Druckauflage von 2021
© Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 2021
Reihenentwurf: Stephanie Raubach, Berlin
Lektorat: Dr. Bert Hoppe, Berlin
Satz: Andrea Päch, Berlin
christoph-links-verlag.de
Vorbemerkung
Einleitung
1.Was sind geheimdienstliche Partnerbeziehungen?
2.Zwei Modelle von Partnerbeziehungen
3.Historische Vorbilder?
4.Was darf hier publiziert werden? Was nicht?
I.»Die Freunde« – deutsch-amerikanische Geheimdienstbeziehungen
1.So fing es an
2.Zurück in Deutschland
3.Wer soll »Rusty« beaufsichtigen?
4.Auf dem Weg zur CIA
5.Erste Erfahrungen mit der CIA
6.Kontakte zu Bonn
7.Der Koreakrieg und seine Auswirkungen auf »Zipper«
8.Critchfield und Globke als Retter
9.Im Schatten der EVG
10.Kontakte zu westlichen Diensten
11.Eine strategische Aufklärung für Bonn
12.Streitfall Syrien– Ägypten
13.Von »Zipper« zum BND
14.Kampf um sowjetische Quellen
15.Die Residentur in Washington
16.Besuchsreisen innerhalb der USA
17.Der junge BND als Partner
18.Studien- und Beschaffungsreisen in die USA
19.Fazit
II.Die Achse Pullach–Paris
1.Auf dem Umweg über die Schweiz nach Frankreich
2.Die deutsch-französischen Zwillinge
3.Französische Unterstützung bei der Gründung des BND
4.Kooperation bei der Funkaufklärung
5.Partner fast auf Augenhöhe
6.Das Projekt »Veilchen«
7.Die Ära de Gaulle und der Algerienkrieg
8.Vertiefte Kooperation trotz großer Unterschiede in der »ND-Philosophie«
9.Französisch-amerikanische Konflikte und deutschfranzösische Routine
III.Die späten Partner in Großbritannien
1.Die britischen Geheimdienste nach 1945
2.Erste Besprechungen und Pläne für Kooperationen
3.Anfänge der regulären Zusammenarbeit
4.Lücken und Defizite im BND
5.Gehlens erster London-Besuch
6.Raketenschock – ein Durchbruch in der operativen Zusammenarbeit
7.Zunehmend normale Beziehungen
8.Kooperationsversuche in der »Dritten Welt«
9.Militärische Ostaufklärung nach 1961
10.Das Hauptgeschäft der Militäraufklärung
11.Ein direkter Draht zum GCHQ
12.Deutsch-britischer Kollaps der Ostaufklärung
13.Anschub zur Verwissenschaftlichung
14.Fazit
Anhang
Abkürzungen
Quellen- und Literaturverzeichnis
Personenregister
Danksagung
Angaben zum Autor
Die Unabhängige Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945–1968 (UHK) wurde im Frühjahr 2011 berufen und sechs Jahre mit insgesamt 2,2 Millionen Euro aus Bundesmitteln finanziert. Die Kommission sowie ihre zeitweilig zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, denen zuallererst gedankt sei, hatten im Bundeskanzleramt und im Bundesnachrichtendienst freien Zugang zu allen derzeit noch klassifizierten und bisher bekannt gewordenen Akten des Untersuchungszeitraums. Nach vorbereitenden »Studien« (www.uhk-bnd.de) legt sie ihre Forschungsergebnisse nun in mehreren Monografien vor. Die UHK hatte sich verpflichtet, die Manuskripte durch eine Überprüfung seitens des BND auf heute noch relevante Sicherheitsbelange freigeben zu lassen. Dabei ist sie bei keiner historisch bedeutsamen Information einen unvertretbaren Kompromiss eingegangen.
Das Forschungsprojekt zur Geschichte des BND unterscheidet sich von ähnlichen Vorhaben insofern, als es sich nicht auf die Analyse der personellen Kontinuitäten und Diskontinuitäten zur NS-Zeit beschränkt, sondern eine breit gefächerte Geschichte des geheimen Nachrichtendienstes aus unterschiedlichen Perspektiven bietet. Eine Bedingung der Vereinbarung mit dem BND war es gewesen, dass die UHK den Rahmen und die Schwerpunkte ihrer Forschung selbst festlegt. Gleichwohl waren auf einigen Feldern Einschränkungen hinzunehmen, namentlich bei den Partnerbeziehungen und den Auslandsoperationen des Dienstes.
Die Zusammenarbeit mit dem Bundeskanzleramt, vertreten durch Herrn Ministerialdirigent Hans Vorbeck, war ausgezeichnet. Bei den BND-Präsidenten Ernst Uhrlau, der das Projekt durchsetzte, Gerhard Schindler, der es förderte, und Bruno Kahl, der die Erträge erntet, stieß die Arbeit der Kommission auf wachsendes Verständnis und Entgegenkommen.
Jost Dülffer, Klaus-Dietmar Henke (Sprecher),
Wolfgang Krieger, Rolf-Dieter Müller1
1Die Herausgeber Jost Dülffer, Klaus-Dietmar Henke und Rolf-Dieter Müller können sich mit diesem Band nicht voll identifizieren.
Für die Geschichte des Bundesnachrichtendienstes (BND) spielen die Beziehungen zu »Partnerdiensten«, insbesondere zu den Geheimdiensten der NATO-Verbündeten, eine außerordentlich wichtige Rolle. Das gilt vor allem für die Beziehungen zu den Geheimdiensten der westlichen Siegermächte des Zweiten Weltkrieges. Ohne die Initiative, Finanzierung und Führung der USA hätte es die »Organisation Gehlen« (Org) und den 1956 daraus entstandenen BND nicht gegeben. Ohne die Mitwirkung Frankreichs und Großbritanniens wäre die Org vermutlich nicht in eine Behörde der Bundesrepublik Deutschland übergeleitet worden. Und ohne diesen Rückhalt durch die drei Westmächte hätte der BND nicht so rasch internationale Anerkennung gefunden, weder im NATO-Bündnis noch in der übrigen Welt.
Diese Entwicklung war alles andere als selbstverständlich, denn in aller Regel sind geheimdienstliche »Partnerbeziehungen« ein Geschäft auf Gegenseitigkeit, ein Tauschgeschäft also. Man bekommt nur etwas, wenn man Gleichwertiges liefert. Doch was hätte der aus den Ruinen der deutschen Diktatur entstehende westdeutsche Auslandsnachrichtendienst den westlichen Siegermächten liefern können? Und inwiefern hätte es gleichwertig sein können mit den Leistungen der weltweit operierenden amerikanischen, britischen und französischen Geheimdienste? Das Schlüsselwort hierzu heißt »Einfluss«. Genauer gesagt war es die Hoffnung der Westalliierten auf Einfluss, denn es war zu Beginn keineswegs sicher, dass sich die seit 1946 im Aufbau begriffene Org überhaupt eignen würde, die politischen Entwicklungen im besiegten Deutschland, beziehungsweise nach Gründung der beiden deutschen Staaten im Jahr 1949 vor allem in der Bundesrepublik, zu beinflussen.
Neben Fragestellungen der Geheimdienstgeschichte treten jene der Geschichte der internationalen Beziehungen: Diese »Hoffnung auf Einfluss« wird nur verständlich, wenn man sich die Viermächtepolitik im besetzten Deutschland zwischen 1945 und 1955 als ein Ringen um die Gunst der Besiegten vorstellt. Gewiss verfügten die Siegermächte über Machtmittel, mit denen sie den Deutschen einen bestimmten politischen Kurs aufzwingen konnten. Diese Machtmittel reichten von der Auflösung sämtlicher NS-Institutionen und der Internierung sowie strafrechtlichen Verfolgung von NS-Funktionsträgern über die Einführung einer neuen Wirtschaftsordnung (Entkartellisierung, Enteignung, Reparationen usw.) und die Einrichtung neuer Institutionen (Parlamente, Parteien, öffentlich-rechtlicher Rundfunk, politisch unabhängige Presse usw.) bis zur Abtrennung der Ostgebiete und der Vertreibung der dort ansässigen Deutschen. Aber spätestens in der Berlinkrise von 1948/49 zeigte sich, dass die vier Mächte ideologisch und machtpolitisch sehr unterschiedliche Ziele verfolgten, und jeweils versuchten, die Deutschen »auf ihre Seite« zu ziehen.
Die Sowjetunion wollte Deutschland weder den Deutschen noch den drei Westmächten überlassen. Sie wollte, das ist unbestreitbar, ihre Herrschaft im östlichen Europa festigen und zugleich ihren Einfluss nach Westen ausdehnen. Die Westmächte wollten ihrerseits eine weitere sowjetische Expansion verhindern und ihre Entschlossenheit dazu in Westdeutschland (sowie in Westberlin) unter Beweis stellen. Nach ihrer Überzeugung konnte das nur durch ein föderal aufgebautes, freiheitlich-demokratisches Regierungssystem und eine marktwirtschaftlich, auf Privateigentum beruhende Wirtschaftsordnung geschehen.
Der eigentliche Fokus der Großmächtepolitik lag jedoch nicht auf Deutschland, sondern reichte weit darüber hinaus, wie Josef Stalin wenige Monate vor seinem Tod einem Besucher erklärte: »Unser hauptsächlicher Feind ist Amerika, aber der Schwerpunkt sollte nicht gegen Amerika selbst gerichtet sein. Der Ausgangspunkt, wo wir unsere eigenen Leute plazieren müssen, ist Westdeutschland.«1 Aus amerikanischer Sicht ging es in Deutschland um die Sicherheit der westeuropäischen Demokratien und Ressourcen, während Frankreich und Großbritannien in erster Linie um die Wiederherstellung ihrer weltpolitischen Geltung sowie um ihre Überseeterritorien kämpften. Auch für sie war also der Konflikt um die Zukunft Deutschlands nicht bloß von regionaler, sondern von strategisch-globaler Bedeutung.
So versuchte jede Seite, ein für ihre Machtinteressen passendes Deutschland zu schaffen. Allerdings ließ sich weder die eine noch die andere Zielsetzung allein mit Zwangsmaßnahmen erreichen. Deshalb umwarb die Sowjetunion die Deutschen mit diversen politischen Angeboten. Sie ließ in der DDR bis 1952 die traditionelle Aufteilung in Länder bestehen, ehe sie einen Verwaltungszentralismus erzwang, den es bis dahin in der deutschen Geschichte nur während der zwölfjährigen NS-Herrschaft gegeben hatte. Entgegen den Wünschen der moskauhörigen Kommunisten ließen die Sowjets in ihrer Besatzungszone nicht-kommunistischen Parteien bestehen – mit Ausnahme der SPD, die im April 1946 mit der KPD zur SED »zwangsvereinigt« und damit verboten wurde – übrigens in Ostberlin erst 1961. Sodann lockte der Kreml mit der Perspektive eines wiedervereinigten Deutschlands – wenngleich als neutralem Staat ohne die abgetrennten Ostgebiete.
Die westliche Antwort war eine Doppelstrategie. Einerseits bot man den Deutschen westlich-demokratische und wirtschaftliche Freiheiten an, einschließlich einer amerikanischen Wirtschaftshilfe im Rahmen des 1947 verkündeten »Marshallplans«. Beim inneren politischen Aufbau respektierte man weitgehend deutsche Traditionen, soweit diese nicht durch die NS-Herrschaft kompromittiert waren. Andererseits wollte man die Westdeutschen nicht in die vollständige Unabhängigkeit entlassen, um eine revisionistische Außenpolitik zu verhindern, wie sie Deutschland nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg verfolgt hatte. Konkret hieß das, Westdeutschland weder dem außenpolitischen Revisionismus noch dem kommunistischen Einfluss zu überlassen.
Hierzu bedurfte es einer Politik der Einflussnahme, nicht nur auf die politischen Eliten, sondern auch auf die breite Öffentlichkeit. Hinsichtlich der früheren Hitler-Anhänger sowie der alten Militäreliten der Wehrmacht vermuteten die drei Westmächte eine besondere Gefahr für ihre Deutschlandpolitik. Da die Org, jedenfalls auf der Führungsebene, überwiegend aus ehemaligen Wehrmachtsoffizieren bestand, eignete sie sich besonders gut, um auf diese »Szene« der vormaligen Militärelite einzuwirken. Zugleich war die Org geeignet, am Abwehrkampf gegen die sowjetische und kommunistische Gefahr beteiligt zu werden, denn sie bestand weitgehend aus überzeugten Antikommunisten.
Wie diese West-Beziehungen des BND und seiner Vorläufer-»Organisation« entstanden, wie sie sich bis zur Mitte der 1960er Jahre entwickelten und was damals unter einer »Zusammenarbeit mit befreundeten Diensten« konkret verstanden wurde, soll in diesem Buch dargestellt werden. Das geschieht auf der Basis bislang geheimer BND-Akten und von geheimen Akten des Bundeskanzleramtes, die erstmals für die historische Forschung ausgewertet werden.2
1Jonathan Haslam, Near and Distant Neighbours. A New History of Soviet Intelligence, Oxford 2015, S. 176.
2Der Zugang zu diesen Akten erfolgte im Rahmen der Unabhängigen Historikerkommission (UHK), die von 2011 bis 2018 tätig war. Sie ist in der Vorbemerkung zu diesem Buch näher beschrieben.
Um zu verstehen, wie Partnerbeziehungen damals entstanden, wie sie funktionierten und warum sie seit den Anfängen des Kalten Krieges immer wichtiger wurden, muss man sich mit den Inhalten dieser Beziehungen befassen. Die bloße Tatsache einer geheimdienstlichen Kooperation sagt wenig darüber aus, welche Erkenntnisse, Techniken und Operationen tatsächlich offengelegt werden. Erst aus einer Vielzahl von Einzelheiten lässt sich abschätzen, wie weit das Vertrauen reicht, das man dem Partner entgegenbringt, und auf welchen Absichten eine konkrete Kooperation beruht. Zu fragen ist hier also: Welche Informationen wurden ausgetauscht? Welche nicht? Welche Geheimdienstoperationen wurden dem Partner gegenüber offengelegt oder sogar gemeinsam unternommen? Und schließlich: Welche handlungsleitenden Absichten lassen sich im Einzelfall sowie in der Gesamtheit der Beziehungen nachweisen oder zumindest vermuten?
Während es auf der politischen Ebene um die »Hoffnung auf Einfluss« ging, stand auf der geheimdienstlichen Ebene die Etablierung eines Vertrauensverhältnisses im Vordergrund. Vertrauen ist eine Schlüsselkategorie. Das gilt zunächst ganz generell, denn alle Kooperationen in diesem Bereich beruhen auf einem Vorschuß an Vertrauen, vor allem bei der Geheimhaltung von Informationen, Methoden und Zugängen. Eine solche Feststellung mag paradox klingen, geht es doch bei der geheimdienstlichen Tätigkeit darum, den Gegner – manchmal auch den Partner – zu täuschen, Operationen zu verschleiern und auf diese Weise Geheimnisse zu stehlen. James Woolsey, der die CIA von 1993 bis 1995 leitete, räumte während seiner Amtszeit offen ein: »Wir existieren, um Geheimnisse zu stehlen.«3 Gleichwohl ist Vertrauen die Basis jeder geheimdienstlichen Tätigkeit – in jedem Geheimdienst – sowohl nach innen wie auch nach außen. Ohne Vertrauen wäre kein Überbringer geheimgehaltener Informationen, also keine »Quelle« und kein »Quellenführer«, zu gewinnen. »Technische Zugänge« zu geheimen Informationen, beispielsweise beim Abhören von Telefongesprächen oder zur Aufzeichnung elektronischer Signale, wären rasch und zumeist unersetzbar verloren.
Die Kehrseite des Vertrauens ist das Risiko des Verrats und der Enttarnung. Diese Gefahr ist mit jeder Kooperation verbunden, was erklärt, warum die Zusammenarbeit mit ausländischen Geheimdiensten stets von einer Mischung aus Vertrauen und Misstrauen geprägt ist. Diese Kooperation verspricht also Gewinn, stellt aber zugleich ein hohes Risiko dar.4
Im Fall der Org und des BND, dessen damaliges Personal noch wenige Jahre zuvor dem NS-Herrschaftsapparat angehört und Krieg gegen die Westmächte geführt hatte, stellt sich die Frage, warum die westalliierten Geheimdienste so rasch bereit waren, mit ihren bisherigen Feinden zusammenzuarbeiten.
Einen Teil der Antwort finden wir in den damaligen Umständen einer völlig neuartigen sowjetischen Bedrohung, die sowohl auf einer ideologischpolitischen wie einer akuten militärischen Ebene wirksam war. Einen anderen Teil der Antwort erkennt man, wenn man sich vor Augen führt, wie vorsichtig und misstrauisch die westliche Seite bei den ersten Kontakten agierte. Im Sommer 1945 waren die Amerikaner noch weit davon entfernt, mit früheren Wehrmachtsoffizieren eine »Partnerschaft« einzugehen. Sie beschäftigten sie lediglich als Kriegsgefangene in einer Vielzahl von geheimdienstlich operierenden »Außenstellen« sowie in einer kleinen »Zentrale«, der Org, der im Übrigen so ziemlich alle Merkmale einer »Organisation« fehlten. Vor allem aber war für die Amerikaner jedes Element kontrollierbar, für die deutsche »Zentrale« jedoch nicht.5 Einige Jahre später zeigten Franzosen und Briten ein gewisses Interesse an diesen deutschen Geheimdienstsöldnern, wie man sie nennen könnte, und boten eine Zusammenarbeit an. Offensichtlich vermuteten sie bei ihnen ein Potential an Expertise zum sowjetischen Militär in der SBZ/DDR und zugleich an Einflussmöglichkeiten auf die von den USA dominierte Politik in Westdeutschland.
An eine echte Partnerschaft war über lange Jahre hinweg nicht zu denken, zumal in den ersten Nachkriegsjahren die Kooperation von Geheimdiensten, selbst unter eng verbündeten Staaten, noch ein Novum war. Heute wird über diese Frage ganz selbstverständlich diskutiert: Die einen sehen in der zu engen und deshalb eventuell rechtswidrigen Kooperation des BND mit den amerikanischen und britischen Geheimdiensten einen Skandal (das war das beherrschende Thema im NSA-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages, der von 2014 bis 2017 tagte), andere fordern dagegen eine noch engere Zusammenarbeit der Geheimdienste, insbesondere bei der Terrorismusabwehr. In der Nachkriegszeit dagegen waren Geheimdienste noch wirklich geheim und nur selten Gegenstand öffentlicher politischer Debatten. Deshalb wollten sich übrigens die demokratisch gewählten Parlamente nur selten mit diesen Fragen beschäftigen.
Auf der deutschen Seite ist das Bemühen um Kooperationspartner verständlich, wenn man sich in die historische Situation seit den späten 1940er Jahren hineinversetzt. Jede Zusammenarbeit mit dem westlichen Ausland war ein Signal der wachsenden Akzeptanz der Bonner Republik und ließ hoffen, möglichst rasch auf das internationale Parkett zurückzukehren. Für den Leiter der Org, den ehemaligen Wehrmachtsgeneral Reinhard Gehlen, ging es zusätzlich darum, der von ihm erstrebten Eingliederung seiner Org in den wieder erstehenden deutschen Behördenapparat näherzukommen. Sein mittelfristiges Ziel bestand darin, Chef eines künftigen deutschen Auslands- und Militärgeheimdienstes zu werden.
Die Chancen dafür verbesserten sich schlagartig, als im Herbst 1950 die Einladung der drei Westmächte erging, die Bonner Regierung möge an ihrer eigenen Landesverteidigung mitwirken, wenn auch im strikten Rahmen der von den westlichen Siegermächten dominierten Atlantischen Allianz. Für die ehemaligen Wehrmachtsoffiziere, auch jene, die bereits geheimdienstlich für die Amerikaner tätig waren, bot sich nun die Gelegenheit einer Rückkehr in das erlernte Metier – trotz der völligen militärischen Niederlage von 1945 und der auch von deutschen Militärs begangenen fürchterlichen Massenverbrechen.
Zweifellos war den westlichen Geheimdienstchefs und ihren Regierungen vollauf bewusst, mit wem sie sich hier einließen. Deshalb erfüllten die Kooperationen der westalliierten Geheimdienste mit dem BND den gleichen Zweck wie die militärischen Strukturen der NATO im Hinblick auf die Bundeswehr. Der BND sollte ebenso wie die Bundeswehr die westliche Abwehrfront gegenüber der sowjetischen Bedrohung stärken, zugleich jedoch sollten beide einer westlichen Kontrolle unterworfen werden. Hierbei gab es allerdings einen wesentlichen Unterschied zwischen Militär und Geheimdienst. Während es die Kommandostrukturen der NATO den Westmächten ermöglichten, die Bundeswehr gewissermaßen unter ihre Fittiche zu nehmen, verfügte das Bündnis nicht über einen eigenen Geheimdienst, der das gleiche für den BND ermöglicht hätte. Deshalb musste die Kontrolle des BND durch die Westalliierten jeweils in Form einer bilateralen »Zusammenarbeit« erfolgen.6
Diese westalliierte Kontrolle des BND durfte jedoch nicht nach außen hin sichtbar werden. Denn dadurch hätte sie dem Ansehen der Bundesrepublik als souveräner Staat geschadet, und sie hätte die bereits erwähnte Einflussnahme auf die Bonner Politik erschwert. Folglich nannte man sie »Kooperation« oder »Partnerschaft«. Doch was genau hat man sich darunter vorzustellen? Gab es dafür historische Vorbilder?
3David Wise, Spies Will Be Spies, in: New York Times, 25. 3. 2001. Woolsey hat diese Äußerung von 1994 mehrmals öffentlich wiederholt.
4Dazu demnächst die Marburger Dissertation von Eva Jobs. Siehe auch Eva Horn, Der geheime Krieg. Verrat, Spionage und moderne Fiktion, Frankfurt/Main 2007, die das Problem anhand von literarischen Beispielen aufzeigt.
5Hierzu siehe Thomas Wolf, Die Entstehung des BND. Aufbau, Finanzierung, Kontrolle, Berlin 2018.
6Prinzipiell waren das NATO-Oberkommando und die politischen Gremien auf die Zuarbeit der nationalen Geheimdienste angewiesen, konnte sie jedoch nicht befehlen oder gar erzwingen. Erst 2016 wurde ein »Assistant Secretary General for Intelligence and Security« berufen, übrigens ein deutscher Diplomat, der allerdings nur den Gremien und Befehlshabern zuarbeitet und keinem »NATO-Geheimdienst« vorsteht.
Dauerhafte institutionelle Kooperationen zwischen Geheimdiensten haben sich erstaunlich spät entwickelt. In Ansätzen reichen sie bis in die Zeit des Ersten Weltkrieges und in die 1920er Jahre zurück, doch erst im Zweiten Weltkrieg haben sie sich etabliert, während Militärbündnisse und gemeinsame Feldzüge verbündeter Staaten seit der Antike üblich waren. Selbst wenn man in Rechnung stellt, dass es Geheimdienste als selbständige staatliche Behörden erst seit dem frühen 20. Jahrhundert gab, verblüffen diese Berührungsängste.7
In der Kooperation lassen sich vor allem zwei Modelle ausmachen. Das Ältere davon war die geheimdienstliche Zusammenarbeit der kommunistischen Parteien, die nach dem Vorbild der russischen Bolschewiki entstanden waren. Auf Weisung der 1919 gegründeten Kommunistischen (oder »Dritten«) Internationale sollte jede dieser Parteien einen Geheimdienst zur Überwachung der Mitglieder, der Parteikader und der politischen Gegner einrichten. Diese Geheimdienste waren dem Prinzip eines von Moskau gelenkten Zentralismus verpflichtet. Die Grundlage dafür bildeten die 1920 von Lenin erlassenen »21 Bedingungen« für die Mitgliedschaft von Parteien in der Kommunistischen Internationale. Zu den wichtigsten dieser »Bedingungen« gehörte der Kampf gegen innerparteiliche Abweichler und Kritiker, gekoppelt mit einer intensiven Propaganda. Jeder wusste, dass dieser Kampf und diese Propaganda einer ebenso straffen wie geheimen Organisation bedurften, auch wenn hier das Wort »Geheimdienst« nicht fiel. Von 1944 an besetzten die sowjetischen Truppen sukzessive das östliche Mitteleuropa und begannen, überall kommunistische Regierungen einzusetzen. Damit wurde diese ideologische Ausrichtung, Führungsstruktur und innerparteiliche Kontrolle zur verpflichtenden Praxis in diesen nunmehr von Moskau beherrschten Ländern.
Die so an die Regierung gebrachten kommunistischen Parteien richteten jeweils eigene Geheimdienste ein, um ihre Macht abzusichern. Das osteuropäische Modell der Geheimdienstzusammenarbeit beruhte auf der »Tradition der Tscheka«, des ersten bolschewistischen Geheimdienstes unter seinem Gründer Felix Dserschinski. Wie das später entstandene ostdeutsche Ministerium für Staatssicherheit (MfS oder »Stasi«) verstanden sich alle kommunistischen Geheimdienste als »Schild und Schwert der Partei«. Sie wurden nach sowjetischem Vorbild aufgebaut, durch Moskau kontrolliert und waren zur »brüderlichen Zusammenarbeit« verpflichtet.
Es handelte sich somit um eine hegemoniale Kooperation, die zugleich der Kontrolle der neuen kommunistischen Regime diente und ohne militärischen Rückhalt nicht funktionierte.8 Jenseits von Ost- und Mitteleuropa, also in Asien, Lateinamerika und etwas später in Afrika, war dieser machtpolitische Anspruch Moskaus schwer durchsetzbar. Gleichwohl gelang es, mit geheimdienstlichen Mitteln die dortigen kommunistischen Parteien in eine weitgehende Abhängigkeit von Moskau zu bringen. Nur China, das sich selbst zu einer bedeutenden Militärmacht entwickelte, und Albanien durch seine Anlehnung an China gelang es, sich im Laufe der 1960er Jahre aus dieser Abhängigkeit zu befreien.9
Auf völlig anderen Wegen und mit anderen Zielsetzungen entstand die Kooperation der Geheimdienste im Westen. Dort wurde die im Zweiten Weltkrieg begründete britisch-amerikanische Allianz zum Vorbild, aus der sich durch den Beitritt der drei Commonwealth-Staaten Australien, Kanada und Neuseeland die noch heute bestehende Geheimdienst-Allianz der »Five Eyes« entwickelte. Diese Kooperation entstand im Zusammenhang mit dem 1942 eingerichteten britisch-amerikanischen Generalstab (Combined Chiefs of Staff, CCS), der sich bei der gemeinsamen Kriegführung auf einen engen Austausch von Geheimdienstinformationen und Lage-Enschätzungen stützte. Hinzu kamen gemeinsame verdeckte Operationen insbesondere in den von NS-Deutschland besetzten Staaten Europas. Sogar die Waffenentwicklung und -produktion dieser beiden Bündnispartner wurde während der Kriegszeit weitgehend zusammengelegt. Dazu gehörte neben dem amerikanischbritisch-kanadischen Atomprojekt, das man als »Manhattan Project« kennt, seit Sommer 1940 auch die zumindest teilweise zusammengelegte Radarforschung zur Lokalisierung von angreifenden Flugzeugen und Schiffen.
Nach 1945, als die Waffenproduktion und -forschung wieder der nationalen Kontrolle unterstellt wurde, leitete man diese enge militärische Zusammenarbeit in einzelne Kooperations- und Stationierungsabkommen über. Auch die Kooperation der Geheimdienste wurde seit März 1946 auf der Basis einzelner Verträge fortgesetzt. Das galt vor allem im Bereich der technischen Beschaffung. Dazu gehörte das Abhören von Telefon- und Telegrafenleitungen, von Funksignalen, also von Sprechfunk, und von elektronischer Textübermittlung (Morse-Verkehr, Fernschreiber). Aber auch andere technische Signale und Emissionen wurden gemeinsam erfasst und analysiert. Dazu gehörte beispielsweise das Radar der gegnerischen Flugabwehr sowie radioaktive Strahlung und radiochemische Stoffe, die auf nukleartechnische Forschung und Entwicklung hindeuteten. Letzteres betraf zunächst vor allem das sowjetische Atomprogramm, später auch das chinesische.10
Dabei ergänzten sich Briten und Amerikaner insofern, als das Britische Empire mit seinen weltweit verstreuten Territorien die Möglichkeit eröffnete, praktisch rund um den Erdball Funk-, Abhör- und Messstationen einzurichten. Im Gegenzug verfügten die USA über weitaus größere Finanzmittel, technische Entwicklungen voranzutreiben und sowohl derlei technische Stationen wie Militärbasen zu bauen und zu unterhalten. Daraus entstand für beide Seiten ein wichtiger geheimdienstlicher Mehrwert. Demgegenüber war die britisch-amerikanische Kooperation im Bereich der Aufklärung mit menschlichen Quellen nur sporadisch. Interessanterweise blieb auch die politische Auswertung eine weitgehend nationale Angelegenheit, wenngleich solche Berichte routinemäßig ausgetauscht wurden. Zu einer gemeinsamen Analyse und Bewertung kam es jedoch selten, weil die außenpolitischen Interessen in London und Washington zu unterschiedlich waren. Hinzu kam allerdings bis zur Mitte der 1950er Jahre die Zusammenarbeit bei verdeckten Operationen, von denen vor allem die Ein- und Ausschleusung von Saboteuren und Agenten in Ost- und Südosteuropa, der Sturz der iranischen Regierung Mohammed Mossadegh (1953) und der Spionagetunnel in Berlin (1954–1956) genannt seien.
Das britisch-amerikanische Modell beruhte also, im Unterschied zum »tschekistischen« Modell im sowjetischen Herrschaftsbereich, auf der gleichberechtigten Zusammenarbeit souveräner Staaten, wobei es den Partnern überlassen blieb, sich an einzelnen Kooperationen und Operationen zu beteiligen oder nicht. An diesem Modell orientierte sich der frühe BND. Es verstand sich dabei von selbst, dass seine Zusammenarbeit mit den angelsächsischen Staaten nicht »auf Augenhöhe« erfolgen konnte, zumal es noch vielerlei militärische Technologien und geheimdienstliche Methoden und Operationen gab, die man mit den Deutschen nicht teilen wollte. Dazu gehörten vor allem die Atomtechnologie sowie die Verschlüsselung und Entschlüsselung von Texten und elektronischen Signalen. Bei der Zusammenarbeit mit dem BND handelte es sich also zunächst nur um eine geheimdienstliche Zuarbeit der deutschen Seite. Eine gewisse Ausnahme machten die Franzosen. Sie hatten nur wenig an geheimer Militärtechnik über die Kriegszeit hinweg gerettet und fühlten sich deshalb gegenüber den Angelsachsen zurückgesetzt. Allerdings blieben auch bei ihnen die überseeischen geheimdienstlichen Verbindungen ein nach allen Seiten streng gehütetes nationales Geheimnis.
Genau genommen gab es bis zur Gründung des BND am 1. April 1956 keinen deutschen Auslandsgeheimdienst, denn die Org unterstand bis 1949 dem amerikanischen Militär, danach der CIA. Allerdings gab es seit 1951 eine, wenn auch unverbindliche, Absprache, daraus alsbald einen Geheimdienst der westdeutschen Bundesrepublik zu machen. Der französische Geheimdienst Service de Documentation Extérieure et de Contre-Espionnage (Dienst für externe Dokumentation und Spionageabwehr – SDECE) ergriff frühzeitig die Initiative zur Zusammenarbeit mit der Org, obgleich es dafür einer amerikanischen Genehmigung bedurfte.11 Die Briten zogen 1954 nach, hatten jedoch davor bereits allerlei Kontakte aufgebaut und über ihre Geheimdienstallianz mit den Amerikanern eine Fülle von Meldungen und Analysen der Org bezogen.
Was sich im Fall der Franzosen und Briten als eine schrittweise entstandene Zusammenarbeit beschreiben lässt, war gegenüber den USA etwas völlig anderes. Die Org wurde von den Amerikanern aus deutschem Personal aufgebaut, gesteuert und finanziert. Deshalb hatte sie den USA zu dienen. Allerdings kam im US-Militär sowie nachfolgend in der CIA bald der Gedanke auf, die Org nicht nur als Apparat zur Beschaffung von Informationen zu sehen, sondern auch als Instrument, mit dem man künftig auf die westdeutsche Politik und insbesondere auf die seit 1951 in der Planung befindlichen westdeutschen Streitkräfte einwirken konnte. Denn auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik würde die Bundesrepublik von den Amerikanern auf unbestimmte Zeit abhängig bleiben, jedenfalls solange es eine massive sowjetische Bedrohung gab.
Im historischen Rückblick sehen wir eine militärisch hochgerüstete Konfrontation in Europa, die vier Jahrzehnte währte. Bis Ende der 1950er Jahre hielten viele jedoch eine »europäische Gesamtlösung« samt Abzug der amerikanischen Truppen aus Europa immer noch für möglich. Aus der Perspektive dieser »vergangenen Zukunft« (Reinhart Koselleck) bemühte sich die amerikanische Seite, ihre Beziehungen zur Org und danach zum BND schrittweise in ein Verhältnis der partnerschaftlichen Zusammenarbeit zu überführen. Das war allerdings über lange Jahre hinweg keine Zusammenarbeit, wie sie zwischen den Geheimdiensten souveräner Staaten praktiziert wurde. Dafür war die junge Bundesrepublik zu sehr abhängig von den westlichen Siegermächten. Vor allem aber war der BND für die amerikanischen »Partner« vollkommen transparent und damit leicht zu beeinflussen. Die Amerikaner kannten das gesamte Org-Personal und seine Arbeitsweise, was umgekehrt nicht einmal ansatzweise der Fall war. Die Bezeichnung »Freunde« für die amerikanischen Vorgesetzten in den Org- und BND-Akten ließ sich allenfalls ironisch verstehen, auch wenn sich in der späten Ära Gehlen mehr und mehr partnerschaftliche Elemente entwickelten.
Im Vergleich dazu sind die seit den späten 1940er Jahren entstehenden Beziehungen der Org und des BND zu den französischen und britischen Geheimdiensten eher als partnerschaftlich zu bezeichnen. Gewiss war man sich auch hier stets bewusst, welche Vorrechte die westlichen Siegermächte gegenüber Deutschland genossen. Doch wurde immerhin auf die äußere Form einer geheimdienstlichen Partnerschaft zwischen souveränen Staaten geachtet; im Unterschied zu den Amerikanern hatten Briten und Franzosen allerdings auch nicht den vollständigen Einblick in Personal und Organisation des deutschen Dienstes.
7Die historische Entwicklung von staatlichen Geheimdiensten wird beschrieben und analysiert in Wolfgang Krieger, Geschichte der Geheimdienste. Von den Pharaonen bis zur NSA, München 32014; Michael Warner, The Rise and Fall of Intelligence. An International Security History, Washington DC 2014; Christopher Andrew, A Secret World. A History of Intelligence, London 2018.
8Einen Überblick vermittelten Lukasz Kaminski und Jens Gieseke (Hg.), Handbuch der kommunistischen Geheimdienste in Osteuropa 1944–1991, Göttingen 2009; Bob de Graaff und James M. Nyce (Hg.), The Handbook of European Intelligence Cultures, Lanham 2016; Bernd Kaufmann, Der Nachrichtendienst der KPD 1919–1937, Berlin 1993.
9Der Sonderfall Jugoslawiens blieb durch eine starke sowjetische Unterwanderung des dortigen Geheimdienstes gekennzeichnet. Zur sowjetischen Geheimdienstpolitik in der »Dritten Welt« siehe Christopher Andrew und Vasili Mitrokhin, The World Was Going Our Way. The KGB and the Battle for the Third World, New York 2005.
10Das britisch-amerikanische Abkommen von 1946 wurde erst im Jahr 2010 öffentlich gemacht.
11Der SDECE wurde 1982 in Direction Générale de la Sécurité Extérieure (DGSE) umbenannt.
Kehren wir noch einmal zurück zur Frage, warum internationale geheimdienstliche Kooperationen so spät entstanden, während andere institutionelle Formen der zwischenstaatlichen Kooperation bis in die Entstehungsgeschichte der modernen Staatlichkeit zurückreichen. Man denke an Bündnisverträge, diplomatische Gesandtschaften oder an die dynastische Heiratspolitik. Für das Militär gab es seit der klassischen Antike allerlei Kriegsbündnisse. Trotz Verrat, Intrige, mangelndem Engagement oder anderen Formen der Bündnisverletzung sahen sich politische und militärische Führer immer wieder genötigt, derartige Allianzen einzugehen, wenn sie selbst nicht stark genug waren, einen Gegner zu bezwingen oder wenigstens abzuschrecken. Militärische Bündnisse konnten sehr unterschiedliche Formen annehmen. Sie reichten vom bloßen Stillhalten oder von der finanziellen und materiellen Unterstützung bis zur Waffenbrüderschaft auf dem Schlachtfeld und schließlich zur Teilung der Kriegsbeute.
Selbst die internationale polizeiliche Zusammenarbeit datiert erheblich früher, obgleich moderne Polizeikräfte, wie wir sie heute kennen, erst seit den 1830er Jahren entstanden. Davor hatte das Militär quasi-polizeiliche Aufgaben bei der Bekämpfung von Regimegegnern, von »Staatsfeinden« und der organisierten Kriminalität (»Bandenunwesen«). Kriminelle Einzeltäter wurden durch Gerichtsbüttel verhaftet und der Justiz überstellt. Auch Bürgerwehren, revolutionäre »Ausschüsse« und Religionswächter übernahmen Aufgaben zur Bewahrung oder zur Wiederherstellung der »öffentlichen Ordnung« – selbstredend nach dem jeweiligen Verständnis der Akteure und ihres historischen Umfeldes. Diese Ordnungskräfte waren zudem lokal und regional zersplittert. Jede freie Stadt hatte ihre eigene Bürgerwehr, jedes Gericht seine eigenen Büttel. Schon aus diesem Grund war eine durchorganisierte zwischenstaatliche Kooperation kaum möglich.
In Deutschland wurde die polizeiliche Zusammenarbeit erstmals in den »Karlsbader Beschlüssen« von 1819 festgeschrieben: Die Mitglieder des Deutschen Bundes verpflichteten sich damals zur Kooperation bei der Beobachtung und Verfolgung von mutmaßlich staatsgefährdenden Personen.12 Eine Barriere der Zusammenarbeit stellten allerdings die Friedensverträge von Münster und Osnabrück (1648) am Ende des Dreißigjährigen Krieges dar. Diese erklärten die »innere Sicherheit« zum ausschließlichen Zuständigkeitsbereich der Einzelstaaten des Heiligen Römischen Reichs. Damit war eine Zusammenarbeit zwischen den Staaten zwar nicht verboten, aber doch erschwert – man fürchtete um die eigene Souveränität. 300 Jahre später entwickelte sich daraus das im Artikel 2 der UN-Charta festgeschriebene Prinzip der »Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten« anderer Staaten.
Eine Zusammenarbeit bei Fragen der inneren Sicherheit bestand zwischen ideologisch verwandten Regimen oder hegemonialen Verbünden, die unter der Führung Frankreichs zur Zeit der Französischen Revolution und des ersten Napoleonischen Kaiserreiches von 1792 bis 1815 existierten. Die Verbündeten des damaligen Frankreich mussten nicht nur Truppen stellen, sondern auch ihre Verfassungen und politisch-gesellschaftlichen Ordnungen nach den Pariser Vorgaben ausrichten. Dafür mussten sie die inneren Gegner dieses politischen Kurses polizeilich verfolgen, festsetzen und bestrafen. Dieses Modell wiederholte sich in den Jahrzehnten der sowjetischen Herrschaft über Osteuropa, die sich wesentlich auf die Arbeit der Sicherheitsbehörden der jeweiligen Satellitenstaaten stützte.
Ein anderes Modell entstand aus der freiwilligen Zusammenarbeit gegen international organisierte – oder zumindest inspirierte – Gefährder der staatlichen Ordnung, wie sie seit dem späten 19. Jahrhundert die »Revolutionäre« und »Anarchisten«, oder dann im 20. Jahrhundert die verschiedenen Varianten von »Terroristen« darstellten. Beispielsweise kooperierte die französische Polizei mit der Geheimpolizei des zarischen Russland, der berüchtigten Ochrana, die 1881 zur Verhinderung anarchistischer Attentate gegründet worden war.
Warum ließ dann ausgerechnet die Zusammenarbeit der Geheimdienste so lang auf sich warten, wenn sie bei anderen Sicherheitsbehörden, einschließlich dem Militär, seit Langem existierte? Vordergründig könnte man darauf hinweisen, dass die geheimdienstliche Tätigkeit, vor allem die Spionage, zwar zu Recht als eines der ältesten »Gewerbe« bezeichnet wird und seit etwa 3500 Jahren schriftlich nachweisbar ist, moderne bürokratisierte Geheimdienste aber erst vor etwas mehr als 100 Jahren entstanden.
Eine tiefergreifende Erklärung findet sich aber auch im Selbstverständnis der Fürsten und militärischen Führer in der Vor- und Frühmoderne. In Kriegszeiten war es ihnen durchaus erlaubt, sich durch Späher, Verräter der anderen Seite oder durch die Befragung von Kriegsgefangenen über den Gegner zu informieren. Doch nützte es dem eigenen Ansehen mehr, wenn militärische Erfolge der »Kriegskunst« des Heerführers, seinem Charisma oder gar der göttlichen Lenkung zugeschrieben wurden, nicht aber seinen Informationsbeschaffern und Überläufern. (Ein Stück davon lebte noch in der von Adolf Hitler bemühten »Vorsehung« weiter und in seiner Geringschätzung von Geheimdiensten.) In Friedenszeiten galt die Spionage zudem generell als »unmoralisch«, einem »christlichen Fürsten« nicht geziemend und in den offiziellen Beziehungen zwischen Staaten als unangemessen. Deshalb wurde sie verleugnet und hatte unter der allerstrengsten Geheimhaltung zu erfolgen.
Diese Einstellung kennzeichnete sogar noch den Ersten Weltkrieg, als zu den menschlichen Quellen wie Spionen, Informanten und Überläufern bereits die technische Informationsbeschaffung aus abgefangenen Funksprüchen, abgehörten Telefongesprächen, mitgelesenen Telegrammen und sogar von Luftaufnahmen hinzutrat. Nach Kriegsende wurde in der offiziellen Geschichtsschreibung der beteiligten Staaten zwar auf die Abwehr der gegnerischen Spionage sowie, weitaus spärlicher, auf die eigene Aufklärung der feindlichen Truppen hingewiesen.13 Doch zugleich pflegte man die Fiktion, in Friedenszeiten würden die »zivilisierten Staaten« keine Spionage betreiben, sondern nur einen völkerrechtlich vorgesehenen diplomatischen Umgang untereinander pflegen.14 Selbstredend durfte es dann auch keine Kooperationen zwischen den Geheimdiensten dieser Staaten geben. Im Übrigen hielt man sich für künftige Kriege alle Koalitionsmöglichkeiten offen und erstellte noch in den 1920er Jahren sogenannte farbkodierte Kriegspläne gegen alle potentiell gefährlichen Staaten.15 Für dieses militärstrategische Denken wären Geheimdienstallianzen in Friedenszeiten gewiss hinderlich gewesen.
Erst im Zweiten Weltkrieg entwickelte sich das Narrativ, Demokratien bräuchten Geheimdienste, um undemokratische Feindstaaten besiegen zu können. Damit wurden die Geheimdienste der westlichen Aliierten zu patriotischen Akteuren, deren Taten nach Kriegsende zumindest teilweise offengelegt wurden, als in den befreiten Staaten, vor allem in Süd- und Westeuropa sowie in Nordeuropa, die Widerstandskämpfer und ihre Netzwerke gefeiert wurden. Nun erschienen die westlichen Geheimdienste in einem völlig anderen Licht als zuvor. Ihre Tätigkeit war nicht länger »ein schmutziges Geschäft«, sondern galt nunmehr als heroischer Beitrag zur Befreiung von Nationalsozialismus und Faschismus sowie von den Strukturen der »Kollaboration« in den vormals besetzten Staaten.16 Das war der Grund, warum man fortan die Geheimdienste in der ideologischen und machtpolitischen Auseinandersetzung mit dem Sowjetkommunismus nicht mehr verleugnen wollte, obgleich ihre Operationen weiterhin unter strenger Geheimhaltung erfolgten. Nur Großbritannien hielt bis zum Beginn der 1990er Jahre an der offiziellen Legende fest, es gebe keinen britischen Auslandsgeheimdienst, während sich alle Welt an der Roman- und Filmfigur des James Bond ergötzte. Die amerikanische CIA war medial überaus präsent. Die französischen und niederländischen Auslandsdienste waren Gegenstände von Presseberichten und Parlamentsdebatten. Der BND war in zweifacher Hinsicht ein Sonderfall. Erstens konnte er sich nicht auf eine Heldenrolle im Zweiten Weltkrieg berufen, und zweitens gelang es den Diensten der UdSSR sowie der DDR, erhebliche Teile seines Personals und seiner Tätigkeit zu enttarnen und dies propagandistisch auszuschlachten. Die so enthüllten Interna wurden auch in der bundesdeutschen Presse genüsslich ausgebreitet, was in den übrigen westlichen Demokratien keine Parallele hatte.17
Von der Fiktion, es gebe in Friedenszeiten zwischen »zivilisierten Staaten« keine Spionage, ist bis zum heutigen Tag wenig übriggeblieben, wenngleich in einigen westlichen Staaten, darunter in Deutschland, immer wieder gefordert wird, zumindest Verbündete sollten sich nicht gegenseitig ausspionieren. Im Übrigen hat das Völkerrecht bislang kaum Regelungen hervorgebracht, welche Formen von Spionage zulässig sind und welche nicht oder unter welchen Bedingungen sie gegebenenfalls durchgeführt werden darf. Zwischen den Prinzipien der »Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten« souveräner Staaten und dem Recht auf Selbstverteidigung (Art. 51 UN-Charta), das zumindest die Spionage gegen sicherheitsrelevante Bedrohungen erlaubt, besteht eine große Regelungslücke. Deren Schließung werden sich die meisten Staaten widersetzen, insbesondere die Großmächte. Dazu trägt auch der rasend schnelle technische Fortschritt bei. Er bringt immer wieder neue Hindernisse und Chancen der technischen Aufklärung hervor, mit denen sich eventuelle Regelungen unterlaufen ließen.18
Seit den 1990er Jahren lässt sich ein grundlegender Wandel im Umgang mit Geheimdiensten beobachten, jedenfalls in den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaaten. Geheimdienste wollen heute öffentlich präsent sein und anerkannt werden. Sie gewähren, wenn auch sehr restriktiv gehaltene, Einblicke in ihre Tätigkeit, rekrutieren ihr Personal auf dem offenen Arbeitsmarkt und werden einer strengen parlamentarischen Kontrolle unterworfen. Zugleich werden sie zur internationalen Kooperation gedrängt, um Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus, durch die Proliferation von Massenvernichtungswaffen und das organisierte Verbrechen besser begegnen zu können. Eine Nicht-Kooperation ist heute in den meisten Fällen und für die meisten Geheimdienste keine Option mehr. Deshalb ist es von heute aus gesehen schwierig, sich in die Lage der 1940er bis 1960er Jahre zurückzuversetzen, als die nationale Souveränität der Staaten noch das Maß aller Dinge war, als internationale Behörden allenfalls in der Entstehung begriffen und Geheimdienste noch weitestgehend geheim waren.
12Wolfram Siemann, »Deutschlands Ruhe, Sicherheit und Ordnung«. Die Anfänge der politischen Polizei 1806–1866, Tübingen 1985; Wolfram Siemann, Metternich. Stratege und Visionär – eine Biografie, München 2016, S. 689–712.
13Drei Beispiele mögen an dieser Stelle genügen: Max Ronge, Kriegs- und Industriespionage. Zwölf Jahre Kundschafterdienst, Zürich 1930; Paul von Lettow-Vorbeck (Hg.), Die Weltkriegsspionage, München 1931; Walter Nicolai, Geheime Mächte. Internationale Spionage und ihre Bekämpfung im Weltkrieg und heute, Leipzig 1923.
14Die oft zitierte Bemerkung des amerikanischen Außenministers Henry L. Stimson »gentlemen do not read each other’s mail«, mit der die Schließung des Chiffrierbüros im State Department im Jahr 1929 begründet wurde, war eine gezielte Irreführung, weil das Abhören ausländischer Botschaften und Konferenzdelegationen schlichtweg unter dem Dach der US Army fortgeführt wurde. Allenfalls Verbündete wurden davon (teilweise) ausgenommen.
15Steven T. Ross, American War Plans. 1890–1939, London 2002, dokumentiert diese Praxis für die Kriegsplanung der USA.
16Dieser mentale Umschwung von der »anrüchigen« Spionage zu den für Demokratie und Freiheit »unentbehrlichen« Geheimdiensten wurde in Deutschland nie vollzogen, was nach meiner Überzeugung die Unterschiede im Umgang mit den eigenen Geheimdiensten zwischen Deutschland und der übrigen westlichen Welt erklärt.
17Beispielsweise in Heinz Felfe, Im Dienst des Gegners. 10 Jahre Moskaus Mann im BND, Berlin 1986; Julius Mader und Albrecht Charisius, Nicht länger geheim. Entwicklung, System und Arbeitsweise des imperialistischen deutschen Geheimdienstes, Berlin 1969 (4. überarbeite Auflage 1980); einzelne Presseberichte dieser Art lassen sich seit 1946/47 nachweisen.
18Siehe dazu aus aktueller Perspektive: Oliver Rüß, Internationale nachrichtendienstliche Zusammenarbeit, in: Jan-Hendrik Dietrich und Sven-R. Eiffler (Hg.), Handbuch des Rechts der Nachrichtendienste, Stuttgart 2017, S. 453–505, hier S. 498–505.
Aus einer Reihe von Gründen kann in diesem Buch die Entwicklung der Kooperationsbeziehungen des BND zu den Geheimdiensten der drei westlichen Siegermächte nicht allumfassend dargestellt werden. Zum einen sind die einschlägigen französischen und britischen Akten für die Forschung nicht zugänglich, und die amerikanischen sind es nur in beschränktem Umfang. Deshalb bleibt an manchen Stellen unklar, wie bestimmte Personen und Vorgänge seitens der westalliierten Dienste eingeschätzt wurden und wie Entscheidungen zustandekamen. Zum anderen musste das Buchmanuskript, das im Rahmen der 2011 vom BND eingesetzten Unabhängigen Historikerkommission (UHK) entstand, eine sicherheitliche Überprüfung durchlaufen, bei der neben diversen Persönlichkeitsrechten auch »schutzwürdige Belange« nicht nur der deutschen Seite, sondern auch der Partnerstaaten zu berücksichtigen waren. Es darf aus BND-Dokumenten nichts offengelegt werden, was in den befreundeten Staaten gegenüber der Öffentlichkeit und vielleicht sogar gegenüber dem Parlament geheimgehalten wird. Eine Genehmigung der deutschen Behörden allein reicht nicht aus.