Karin Baine, Jennifer Faye, Kate Hardy

JULIA WEIHNACHTEN BAND 31

IMPRESSUM

JULIA WEIHNACHTEN erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

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© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA WEIHNACHTEN
Band 31 - 2018 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

© 2017 by Karin Baine
Originaltitel: „Their Mistletoe Baby”
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: MEDICAL ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Gudrun Bothe

© 2017 by Jennifer F. Stroka
Originaltitel: „Snowbound with an Heiress“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Anja Görgens

© 2016 by Pamela Brooks
Originaltitel: „Her Festive Doorstep Baby“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Lydia Roeder

Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 10/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733711023

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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KARIN BAINE

Im funkelnden Licht der Liebe

Freya ist entsetzt! Nie wollte sie Lucas wiedersehen! Schließlich hat der Kinderarzt sie vor einem Jahr kaltherzig verlassen! Doch als Lucas überraschend einen Kollegen vertritt und Freya auf eine Charityreise begleitet, fühlt sie wieder dieses Prickeln. Unter dem funkelnden Polarhimmel ist Freyas größter Weihnachtswunsch, dass ihre Herzen wieder zueinander finden …

JENNIFER FAYE

Nur ein geborgtes Weihnachtsglück?

Kurz vor Weihnachten flieht Filmstar Serena vor der Presse in eine einsame Berghütte! Allerdings währt ihre Ruhe nur kurz, denn nach einem Schneesturm sitzt TV-Profi Jackson bei ihr fest. Und plötzlich lodert nicht nur im Kamin ein prasselndes Feuer, auch zwischen ihnen knistert es. Serena ist schockiert, denn als Jackson sie küsst, vergisst sie jede Vorsicht …

KATE HARDY

Denn mein größtes Geschenk bist du!

Heiligabend? Für Dr. Farnham ein Fest, das er gerne aus seinem Leben streichen möchte. Doch mit seiner bezaubernden Nachbarin Amy das süße Findelkind Hope zu versorgen, hält für den Notarzt eine Überraschung bereit. Denn zwischen Fläschchen und Kerzenschein bezaubert ihn nicht nur das Funkeln in Amys Augen, plötzlich glaubt Josh auch wieder an Wunder …

Im funkelnden Licht der Liebe

PROLOG

Es würde das schönste Weihnachtsfest aller Zeiten werden! Das hatte Freya sich fest vorgenommen.

Als sie hörte, wie Lucas die Haustür aufschloss, richtete sie mit einer unbewussten Geste ihr Haar und hoffte inständig, der köstliche Duft des Bratens würde ein Lächeln auf sein Gesicht zaubern.

„Ich bin in der Küche!“, rief sie mit heller Stimme, froh, dass sie sich den heutigen Tag hatte freinehmen können.

Lucas war in letzter Zeit nicht gerade bester Laune gewesen, was sicherlich damit zu tun hatte, dass er Weihnachten arbeiten musste. Und wohl auch mit ihrer Ungeschicklichkeit, heikle Themen anzusprechen, während er überarbeitet und übernächtigt war. Trotzdem hätte sie nie erwartet, dass ihr Wunsch nach einem eigenen Baby bei ihm, als engagiertem Kinderarzt, eine derart kontroverse Diskussion lostreten würde. Zumal er bei seinen kleinen Patienten ausgesprochen beliebt war.

Bisher war eine eigene Familie zwischen ihnen kein Thema gewesen.

Trotzdem hatte Freya angenommen, Lucas sehne sich danach ebenso wie sie. Doch seine negative Reaktion von heute Morgen, sagte etwas ganz anderes. Da hatte er wortlos die Tür hinter sich zugeworfen und sich ins Krankenhaus geflüchtet, als sie ihn gefragt hatte, ob Weihnachten nicht der perfekte Zeitpunkt sei, ein Baby zu zeugen. Und das, während er offensichtlich unter Druck stand und keinen Kopf dafür hatte, über eine Vaterschaft nachzudenken.

Besser, sie besprachen dieses sensible Thema später, wenn sie beide Zeit und Muße für langfristige Zukunftspläne hatten.

Als Lucas zu ihr in die Küche kam, immer noch mit demselben finsteren Blick, den er seit Tagen zur Schau trug, sank ihr Herz. Wie es aussah, war ihr Timing immer noch nicht perfekt, genauso wenig, wie ihre Beziehung dem romantischen Märchen glich, als das sie sich ihre Ehe vorgestellt hatte. Ihr Traum von der eigenen kleinen Familie schien weiter entfernt denn je.

Lucas jüngste Stimmungsschwankungen ließen sie fast ihre Abmachung bedauern, die Festtage in diesem Jahr ganz allein zu verbringen, nur sie beide. Es würde ihr erstes Weihnachten ohne ihre deko- und weihnachtsverrückten Eltern sein. Erschwerend kam hinzu, dass ihr Ehemann Freyas eigene Begeisterung für das Christfest so gar nicht teilte.

Je mehr sie versuchte, ihn dafür zu begeistern, desto heftiger schien er sich dagegen zu wehren. Dennoch war sie entschlossen, das Fest und ihre Ehe zu einem Erfolg zu machen. Sie hatte bereits zu viel verloren, um sich alles wieder aus den Händen nehmen zu lassen …

Lucas lehnte mit dem Rücken am Kühlschrank. „Wie ich sehe, warst du fleißig“, stellte er mit einem flüchtigen Blick auf den Berg Plätzchen fest, ehe er weiter auf seinem Handy herumtippte.

Freya schluckte. Das war weit weg von der romantischen Wiedervereinigung, die sie sich den ganzen Tag über ausgemalt hatte: Nachdem sie beide zugegeben hätten, im Unrecht gewesen zu sein, würden sie ihre Versöhnung ganz sicher in einem heißen Küchen-Quickie feiern. Denn in Sachen Sex hatte es zwischen ihnen früher nie Probleme gegeben.

Klar hatte sie davon gehört, dass Leidenschaft nachlassen konnte, sobald man verheiratet war. Aber doch nicht bereits nach wenigen Monaten! Da sollte man sich eigentlich noch bei jeder Gelegenheit die Kleider vom Leib reißen! Dass es offensichtlich nicht so war, verunsicherte Freya und ließ sie an sich zweifeln.

Ihre Mutter schien nie ein Problem damit gehabt zu haben, ihren Beruf als Krankenschwester und ihre Ehe perfekt unter einen Hut zu bringen. Warum hatte nur sie, Freya, offensichtlich solche Probleme damit?

Alles, was sie tun konnte, war, dieses erste Weihnachten für sich und ihren Ehemann zu etwas ganz Besonderem zu machen.

„Der Truthahn ist so gut wie fertig, falls du schon Appetit hast. Ich habe ihn genauso gefüllt, wie meine Mutter es immer macht. Vielleicht kann ich diese Familientradition ja auch eines Tages weitergeben …“

Es war heraus, ehe sie es verhindern konnte. Angespannt wartete sie auf eine neue heftige Reaktion wegen ihrer Vision von einer fröhlichen Kinderschar unterm Christbaum.

„Momentan habe ich keinen Hunger … vielleicht später“, murmelte Lucas geistesabwesend und starrte weiter mit gerunzelter Stirn auf sein Handy-Display.

Freya schluckte mühsam und ermahnte sich streng, nicht überzureagieren. So war es eben, wenn man einen engagierten Kinderarzt heiratete, der rund um die Uhr in Bereitschaft war. Trotzdem konnte sie den nagenden Zweifel nicht abschütteln, dass sich möglicherweise noch etwas anderes hinter seinem Verhalten verbarg. Besonders, seit sie mehrfach miterlebt hatte, wie Lucas Telefonate abrupt beendete, sobald sie das Zimmer betrat.

„Ich habe sogar Lebkuchen gebacken“, verkündete sie mit erzwungener Fröhlichkeit. „Du weißt doch, diese kleine Armee von Lebkuchenmännern, ohne die es einfach kein richtiges Weihnachten ist. Auch wenn man sich nach Silvester die Zähne daran ausbeißt. Ich dachte, du könntest mir dabei helfen, sie zu dekorieren, ehe Santa Claus …“

Sie brach ab, als sie merkte, dass ihr kindlicher Eifer ihn nicht wie erhofft zum Schmunzeln brachte, sondern Lucas nur entnervt mit den Augen rollte.

Er ist wahrscheinlich zu erschöpft, um sich von mir in Weihnachtsstimmung bringen zu lassen, versuchte Freya sich einzureden. Das war allemal besser, als die Vorstellung, Lucas könne sie und ihre Ehe bereits satt haben.

„Großartig …“, murmelte er, ohne sie anzusehen. „Ich … äh, ich geh dann mal duschen.“ Damit strebte er aus der Küche und wischte mit der Hand gedankenlos die schillernden Papiergirlanden am Türrahmen zur Seite.

Freya erstarrte. Es erschien ihr wie ein Synonym dafür, dass er in ihr auch nichts anderes sah, als eine hübsche aber bedeutungslose Dekoration, die man ignorieren oder aus dem Weg räumen konnte, um sein Leben wie gewohnt fortzuführen.

Und erneut rotierte ihr Gedankenkarussell.

Selbst, wenn er nicht arbeitete, kam Lucas erst spät zu ihr ins Bett und war meist schon aufgestanden, wenn sie aufwachte, sodass ihnen nur wenig Zeit als verheiratetes Paar blieb. Okay, die Ehe war für sie beide noch Neuland, doch Freya hatte sich geschworen, alles dafür zu tun, dass sie funktionierte. Dies war ihre Chance, endlich eine eigene Familie zu bekommen, und sie wollte kein zweites Mal scheitern.

Lucas schloss die Augen, legte den Kopf in den Nacken und überließ es dem strömenden Wasser, alle verdächtigen Spuren von seinen Wangen zu wischen.

Ein Mann, der heulte!

Und das am ersten Weihnachtsfest mit seiner wunderschönen Frau. Müsste das nicht die glücklichste Zeit seines Lebens sein? Aber wie sollte er sich an der vor ihnen liegenden Zukunft freuen, wenn seine Vergangenheit ihn derart brutal einholte? Er konnte unmöglich daran denken, eine eigene Familie zu gründen, während er immer noch damit kämpfte, den Tod seines Vaters zu verkraften – des einzigen Elternteils, das er kannte.

Dabei trauerte er nicht um den Mann, sondern um seine eigene Kindheit. Die leidvollen Erfahrungen, die ihn immer noch nicht losließen und verhinderten, dass er sein neues Leben, seine Ehe mit Freya genießen konnte.

Alles, was er sich so hart erarbeitet hatte, erschien ihm als Lüge, seit er sich dem stellen musste, wer er eigentlich war – abgesehen von seiner Karriere und dem sichtbaren Erfolg. Ein verbitterter Sohn und zutiefst verunsicherter potenzieller Vater. Es wäre einfach nicht fair, ein Kind in diese Welt zu setzen, während seine eigene um ihn herum zusammenzubrechen drohte …

Lucas fluchte lautlos, schrubbte sein Selbstmitleid erbarmungslos weg und stellte die Dusche ab.

Dass er Freya gegenüber nicht fair war, quälte ihn besonders. Ein normaler Mann hätte seiner Frau bestimmt von dem entfremdeten Vater erzählt, der schließlich seiner Lebererkrankung erlegen war. Und sie gebeten, an seiner Seite zu sein, um die verdammte Beerdigung durchzustehen.

Dann hätte sie sicher verstanden, dass er nicht über ein eigenes Kind nachdenken konnte, solange er vor Angst verging, genauso zu versagen, wie sein Vater es bei ihm getan hatte. Aber die Beziehung zu seinem Erzeuger war so krank und vergiftet gewesen, dass er sie damit nicht konfrontieren wollte. Freyas rosarote Brille, was ihre Ehe und Zukunft betraf, sollte nicht durch die hässliche Wirklichkeit getrübt werden.

Er hätte wissen müssen, dass man dem Fluch der Vergangenheit nicht so einfach entkommen konnte.

Die Nachricht vom Tod seines Vaters hatte ihn wie mit einer Zeitmaschine in eine Vergangenheit zurückgebeamt, von der er glaubte, sie endgültig bewältigt zu haben. Stattdessen wurde er plötzlich von Erinnerungen eingeholt, die er so vehement zu unterdrücken versucht hatte, bis selbst seine wachen Momente von dunklen Gedanken und der Notwendigkeit, ihnen zu entkommen, dominiert wurden.

Freya war es als Einziger gelungen, ihn aus dieser Falle zu befreien – leider nicht endgültig, wie er sich jetzt eingestehen musste. Anstatt sein neues Leben zu genießen, drohte er in Verzweiflung zu ertrinken und stieß seine Frau von sich, während sie versuchte, ihr Haus zu dem Heim zu machen, das er nie gehabt hatte.

Sobald er sich abgetrocknet und umgezogen hatte, ging Lucas zu ihr nach unten.

Dort erwartete ihn ein liebevoll gedeckter Tisch. Doch anstatt die Bemühungen seiner Frau wertschätzen zu können, erinnerte es ihn nur schmerzhaft daran, worauf er in seiner Kindheit und Jugend hatte verzichten müssen. Wie es aussah, war es seinem Vater gelungen, ihm neben allem anderen auch noch Weihnachten für immer zu zerstören …

„Ich dachte, wir könnten jeder schon heute Abend eines der Geschenke unterm Christbaum öffnen“, schlug Freya ihm mit strahlendem Lächeln vor. „Zu Hause haben wir es immer so gemacht, und für gewöhnlich war darin ein Pyjama, den man dann schon vor dem Weihnachtsmorgen tragen durfte.“ Sie setzte sich ihm gegenüber, immer noch so aufgekratzt, als erwarte sie tatsächlich, dass der Weihnachtsmann jeden Moment durch den Schornstein purzeln würde, um ihnen Gesellschaft zu leisten.

Er hatte sich derartigen Wahnvorstellungen noch nie hingegeben, weder als Kind noch als Erwachsener. „Klingt gut.“ Wenn er gewusst hätte, dass sie so eine Weihnachtsfanatikerin war, hätte er sich vielleicht auch etwas überlegt, um sie zu überraschen, aber dies war alles so schrecklich neu für ihn. Geschenke waren bisher nicht mehr als Gesten gewesen, um seinem Gegenüber Wertschätzung, Dank oder sonst was zu vermitteln.

Für seine Frau schienen sie einen anderen Stellenwert zu haben, angesichts des kunterbunten Geschenkebergs unterm Weihnachtsbaum.

„Ich weiß, dass wir eigentlich ein ruhiges Fest geplant haben, aber ich dachte … wenn es für dich okay ist …“ Freya brach ab, räusperte sich und gab sich einen Ruck. „Könnten wir nicht morgen zusammen mit meinen Eltern essen? Wir haben sie seit der Hochzeit kaum gesehen.“

Während sich Lucas’ Magen zusammenzog, fiel sein Besteck scheppernd zu Boden. Damit war auch sein letztes bisschen Appetit verflogen. „Ich dachte, du wolltest unser erstes Weihnachtsfest unbedingt in trauter Zweisamkeit verbringen?“, erinnerte er seine Frau. Jetzt auch noch den Tag im Kreis ihrer anscheinend perfekten Familie zu verbringen, war das Letzte, was er wollte.

„Ich weiß. Es wäre nur schön, sie zu sehen und den Tag irgendwie ein wenig …“

Die Enttäuschung in ihren großen braunen Augen war nicht zu übersehen. Weihnachten galt offenbar als Symbol für alles, was ihrer Familie wichtig war. Alles, worauf er ein Leben lang hatte verzichten müssen.

Freya liebte es, mit ihren Eltern zusammen zu sein und konnte es nicht abwarten, selbst Mutter zu werden. Und er hasste den Gedanken, der dunkle Schatten über ihrem Leben und dem ihres Kindes zu sein. Was, wenn sich herausstellte, dass er wie sein Vater keine anderen Emotionen als Bitterkeit, Kälte oder Hass zeigen konnte?

War er nicht schon auf dem besten Weg dahin? Würde er sonst so gereizt auf die Liebesbeweise seiner Frau reagieren und sich lieber in die Schrecken der Vergangenheit flüchten? Sie verdiente einen besseren, stärkeren Mann als ihn. Einen, der sich nicht wie ein ängstlicher kleiner Junge verhielt, und der sich immer noch von seinem Vater einschüchtern ließ, selbst nach dessen Tod …

Er hatte nichts mehr gemein mit dem Mann, den Freya geheiratet hatte und mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen wollte, auch wenn sie das nicht zugab. Ihre Liebe mochte perfekt sein, was die physische Seite betraf, doch ihre unterschiedlichen Zukunftsvisionen und Sehnsüchte würden sie unweigerlich voneinander entfernen.

Lucas schob seinen Teller zurück und stand auf. „Tut mir leid, Freya, aber ich halte das nicht länger aus.“ Jedes Wort schmerzte wie ein Dolch, der sich immer tiefer in seine Brust bohrte und eine Wunde riss, die nie wieder heilen würde.

Aber dies war die einzige Möglichkeit, sie beide zu retten, auch wenn es sich momentan nur brutal und grausam anfühlte. Freya war jung und idealistisch, die Zeit würde für ihn arbeiten und ihr klarmachen, dass er das Richtige getan hatte. Ihr offenes Wesen würde ihr helfen, eines Tages die große, wahre Liebe zu finden, die sie verdiente und die er ihr von Herzen gönnte … irgendwann, mit dem nötigen Abstand.

„Lucas …?“ Ihre Stimme erstarb. „Wir müssen nicht zu ihnen fahren, wenn du nicht willst. Lucas …?“

Er kam nicht weiter als bis zur Haustür, bevor er ihre hastigen Schritte hinter sich hörte, schaute aber nicht zurück. Seine Knie zitterten, sein Brustkorb war so eng, dass der unerträgliche Druck ihn zu sprengen drohte. Er musste von hier weg, bevor noch etwas passierte, das er später bereute.

Freya konnte immer noch alles haben, wonach ihr Herz sich sehnte, aber mit jemand anderem. Das Beste zurückzulassen, was ihm je passiert war, erschien ihm unerträglich, und trotzdem musste es sein, zu ihrem Wohl …

1. KAPITEL

Zehn Monate später …

Freya klingelte testhalber mit den Glöckchen an ihrem Hut, richtete ihre Elfenohren auf und zog die gestreiften Strümpfe hoch. Weihnachten sollte die schönste Zeit des Jahres sein, und sie war fest entschlossen, genau das den kleinen Patienten vom Princes-Street-Kinderkrankenhaus zu vermitteln.

Egal, ob sie sich schon jetzt im Oktober auf den Weg nach Lappland machten, um den Mann im roten Anzug zu treffen. Sobald sie ihn sah, wollte Freya ihn daran erinnern, dass er ihr fürs letzte Weihnachten noch einen großen Gefallen schuldete …

„Na, ist dir überhaupt schon weihnachtlich zumute?“, wollte Gillian wissen, die wie sie als Krankenschwester in der Notaufnahme arbeitete und, ebenfalls als Elf verkleidet, jetzt neben Freya Stellung bezog. Zusammen mit der Crew wollten sie die aufgeregten Kinder an Bord begrüßen, die sie dann auch während des Fluges betreuen würden.

„Ich gebe mein Bestes.“ Tatsächlich fiel es ihr schwer, sich darauf zu besinnen, wie sehr sie dieses Fest geliebt hatte, bis sie ihr Mann im letzten Jahr am Weihnachtstag verlassen hatte und ihr damit die schlimmste Zeit ihres Lebens bescherte. Aber hier ging es nicht um sie, weshalb Freya ein betont fröhliches Lächeln auf ihre Lippen zauberte, während sie rot-weiß geringelte Zuckerstangen mit dem Aufdruck MERRY X-MAS an die kleinen Patienten verteilte, die das Ärzteteam für die von einer Wohltätigkeitsorganisation gesponserte Flugreise zum offiziellen Weihnachtsmanndorf am Polarkreis ausgewählt hatte.

„Auf jeden Fall steht dir dieses heiße Outfit!“, lachte Gillian und zupfte an dem weißen Kunstpelzsaum, der den Rock von Freyas grünem Elfenkostüm zierte.

„Ich wusste, dass er zu kurz ist!“, stöhnte sie auf. „Das kommt davon, wenn man gezwungen ist, in der Kinderabteilung einzukaufen!“ Wobei sie es vermutlich gerade ihrer mangelnden Körpergröße und ihrer zierlichen Figur verdankte, dass man sie als Hilfself für Santa Claus einsetzte. Okay, das und ihre umfassende pflegerische Erfahrung.

Ohne die Unterstützung eines qualifizierten medizinischen Teams würden diese armen Würmchen Edinburgh niemals verlassen können. Für einige von ihnen war es das erste Mal seit Jahren, dass sie das Krankenhaus für eine kurze Zeit hinter sich lassen durften, was diese Reise zu etwas ganz Besonderem machte. Nicht nur für die kleinen Patienten, sondern auch für ihre Familien und für jeden, der daran beteiligt war.

Allein deshalb war Freya wild entschlossen, ihren Kummer und ihre Einsamkeit wenigstens für diese Zeit zu vergessen, um den Trip für jedes der Kinder zu einem einmaligen Erlebnis zu machen.

„Du siehst einfach umwerfend aus. Vielleicht gelingt es dir ja, einem der Rentierzüchter den Kopf zu verdrehen, sodass er dich nie mehr weglassen will.“

Freya biss sich auf die Lippe und versuchte sich zu beherrschen, bis die Kinder außer Hörweite waren. Auf dieser Reise hatten Schmerz und Enttäuschung keinen Platz, und ihr Liebesleben, oder der Mangel desselben, gehörte absolut in diese Kategorie.

„Männer stehen in absehbarer Zukunft definitiv nicht auf meiner Wunschliste. Den letzten habe ich nur knapp überlebt. Alles, was ich mir dieses Jahr zu Weihnachten wünsche, ist, Lucas Brodie zu vergessen und mich daran zu erinnern, dass ich Freya Darrow bin: die personifizierte Weihnacht und nicht irgendein trauriges Scheidungsopfer, das in ihren Eierlikör heult und sich selbst bedauert.“

Wobei, offiziell geschieden waren Lucas und sie noch nicht. Aber da sie ihn nie wieder gesehen hatte, seit er einfach so gegangen war, musste sie wohl akzeptieren, dass ihre Ehe beendet war. So hatte Freya wieder ihren Mädchennamen angenommen, im Bestreben, alles aus ihrem Leben zu verbannen, was sie an ihn erinnern könnte.

In der ersten Zeit ihrer stürmischen Romanze, hatten sie nur Augen füreinander gehabt und sich um nichts und niemand sonst gekümmert.

Deshalb hatte sie Lucas auch nie von dem Verlust erzählt, den sie als Teenager erlitten hatte. Und er hatte offenbar auch nie den richtigen Zeitpunkt gefunden, über sein Widerstreben zu sprechen, was eine eigene, kleine Familie betraf …

In der ersten Zeit ihrer Ehe war sie so überschäumend glücklich gewesen, dass Freya es nicht riskieren wollte, diese Harmonie zu zerstören, indem sie alte Wunden aufriss. Lieber gab sie sich der Hoffnung hin, mit der Zeit würde schon jedes Puzzleteil automatisch an seinen richtigen Platz fallen.

Dann, als Lucas erste Stimmungsschwankungen auftraten und er zunehmend launenhafter wurde, wollte sie ihn nicht noch zusätzlich aufregen, indem sie sein seltsames Verhalten thematisierte. Naiv wie sie war, dachte sie, ein so positives und optimistisches Thema wie die eigene Familienplanung könne alles wieder richten, nicht wissend, dass er zu dem Zeitpunkt offenbar schon entschlossen war, aus ihrer Ehe zu fliehen.

Er gab sie und ihre Ehe auf, ohne auch nur den Versuch zu machen, eine Lösung zu finden. Was immer ihn auch damals umtrieb, es ließ ihm offenbar keine andere Option, als zu gehen.

„Ich bin froh zu sehen, dass du wieder viel mehr deinem alten Selbst gleichst“, platzte Gillian mitten in ihre schweren Gedanken hinein. „Und … ach übrigens, da ist noch etwas wegen Lucas, das ich dir vielleicht sagen sollte …“

„Ich will nichts hören“, bremste Freya ihre Freundin gleich wieder aus und hielt sich die Ohren zu. „Nur glückliche Impulse an diesem Wochenende, okay?“

Gerüchte, dass Lucas zurück sei und im Krankenhaus am anderen Ende der Stadt arbeiten würde, waren natürlich auch bis zu ihr durchgedrungen. Doch Freya zog es vor, sie zu ignorieren. Und verbot sich selbst rigoros, auch nur eine Minute ihres neuen Lebens zu verschwenden, indem sie der Vergangenheit nachtrauerte.

„Die Kinder scheinen jetzt schon ungeheuren Spaß zu haben“, stellte sie mit einem Lächeln fest, das niemand als künstlich hätte entlarven können.

War es wirklich schon ein Jahr her, dass sie verzweifelt sämtliche Freunde und Krankenhäuser angerufen hatte, um herauszufinden, ob der Mann, den sie liebte, überhaupt noch lebte? Tage voller Panik und Unglauben hatte sie ertragen müssen, bevor ihr zu Ohren kam, dass er sich in der Klinik krankgemeldet hatte und nicht kontaktiert werden wollte. Anscheinend schloss das auch sie mit ein, weil angeblich niemand seine neue Adresse und Telefonnummer kannte oder sie ihr nicht geben durfte.

Bis heute wusste Freya nicht, ob er sie wegen einer anderen verlassen hatte oder ob ihr Kinderwunsch schuld an seiner Flucht gewesen war.

Er hatte ja leider darauf verzichtet, sich ihr zu erklären.

Nicht, dass es jetzt noch etwas ändern würde, nachdem sie die letzte Woche auf der Couch liegend verbracht hatte, mit einer gefährlichen Überdosis von schmalzigen Weihnachtsfilmen und heißer Schokolade, im verzweifelten Versuch, ihre lebenslange Begeisterung für Weihnachten nach der Katastrophe des letzten Jahres wiederzubeleben.

Diese Reise an den Polarkreis war genau das, was sie brauchte, um ihren Glauben an das Gute im Menschen wiederherzustellen und ihr inneres Kind zu wecken.

„Frohes Fest!“, wünschte Freya jedem kleinen Patienten, dem an Bord geholfen wurde und schämte sich für unsinnige Gedanken, die sich nur um sie selbst drehten.

Dies war eine Pause vom Alltag für sie alle. Selbst Eltern und Geschwister, die zu Hause blieben, würden an diesem Wochenende einen von der Wohltätigkeitsorganisation finanzierten Ausflug ins schottische Hochland unternehmen, um zu entspannen und Kräfte zu sammeln für die nächsten Herausforderungen.

„Ist der Weihnachtsmann schon an Bord?“, wollte ein aufgeregter Knirps wissen.

Gillian lächelte. „Keine Panik, Sam. Ich habe dir doch gesagt, wir sehen ihn erst am Ende der Reise. Versuch bis dahin Ruhe zu bewahren.“

Posy, eine weitere freiwillige Helferin, die Sams Asthmagerät hinter ihm hertrug, schnitt eine hilflose kleine Grimasse und folgte ihrem Patienten zu seinem Platz.

„Wenigstens einer, der es kaum abwarten kann“, schmunzelte Freya, die Sams Enthusiasmus gut nachvollziehen konnte, wenn er ihr selbst auch abhandengekommen war.

Ihre Aufgabe war es jetzt, ihre Schützlinge so lange im Zaum zu halten, bis sie Santas Zuhause tief im Winterwunderland der finnischen Wälder erreichten. Und am Ende des Wochenendes würde ja vielleicht etwas von der Magie und dem Zauber dieser Reise auf sie abgefärbt haben.

„Seine Mutter sagte, Sam hätte sich seit Wochen derart auf diesen Trip gefreut, dass sie ihn kaum bändigen konnte.“

Posy bedachte den mageren kleinen Kerl, der inzwischen wieder mit seinem Sauerstoff-Inhalator verbunden war, mit einem liebevollen Blick. „Noch einmal so jung und offen für alles Zauberhafte zu sein …“, murmelte sie leise.

„Ich denke wirklich, dass du es wissen solltest …“, nahm Gillian erneut Anlauf, doch Freya winkte ab.

Wollte Gillian ihr vielleicht erzählen, dass sie Lucas mit einer anderen Frau gesehen hatte? Nach so einer langen Trennung kein Grund für sie zu verzweifeln, oder doch? Egal, nur wollte sie heute und morgen nicht darüber nachdenken. Es hatte ihr schon gereicht zu erfahren, er sei wieder in der Stadt. Dass er sich bisher nicht bei ihr gemeldet hatte, sagte ihr alles, was sie wissen musste.

„Ich glaube, jetzt sind alle an Bord. Wir sollten unsere Plätze einnehmen, damit der Pilot starten kann. Sobald wir in der Luft sind, geht’s mit dem Unterhaltungsprogramm los.“ Damit steuerte Freya energisch auf ihren Sitz zu, der glücklicherweise weit weg von Gillians lag. So würde ihre Freundin ihr wenigstens nicht weiter mit Gerüchten über Lucas in den Ohren liegen. Sobald sie saß und angeschnallt war, schloss sie demonstrativ die Augen.

Kurz darauf berührte jemand ihr Knie, um ihre Aufmerksamkeit zu wecken. „Wir warten nur noch auf den Arzt. Danach schließen wir die Türen, und die Party kann loslegen“, informierte sie die nette, blonde Stewardess, die ihr geholfen hatte, den Innenraum mit Lametta und Girlanden zu schmücken.

„Aber sicher. Ohne einen Doktor an Bord ist die Party ja nur halb so schön“, scherzte Freya und betete innerlich, dass es unterwegs keinen medizinische Notfall gab. Als Begleitkrankenschwester hatte sie sich bereit erklärt, zwei der Kinder persönlich zu betreuen, aber einen echten Mediziner konnte trotzdem niemand von ihnen ersetzen.

„Sie haben gerade vom Abfertigungsschalter angerufen. Er ist auf dem Weg.“

Zumindest bedeutete die Verzögerung, dass sie eine kleine Weile durchatmen konnte, bevor sie sich der nächsten Herausforderung stellen musste. Der Start war für Freya das einzige Problem am Fliegen. Den Moment, wenn das Flugzeug festen Boden verließ und die Welt unter ihr immer kleiner wurde, fürchtete sie jedes Mal.

Seufzend lehnte sie sich in ihrem Sitz zurück.

„Meine Damen und Herren, unser letzter Passagier ist an Bord, deshalb schließen wir die Kabinentür und bereiten uns auf den Start vor.“ Die Ankündigung erfolgte, während eine hochgewachsene Gestalt in den Mittelgang trat und damit einen begeisterten Begrüßungschorus und Applaus von allen Seiten auslöste.

Nur Freya hockte stumm und mit aufgerissenen Augen auf ihrem Sitz, zu traumatisiert, um auch nur Luft zu holen.

Lucas … hier an Bord! Es sei denn, sie litt unter einer Halluzination.

„Tut mir leid, dass ich den Betrieb aufgehalten habe. Aber es gab Probleme mit dem Wagen.“ Der verspätete Passagier lächelte breit und schüttelte Regentropfen aus seinem dichten dunkelblonden Haar.

Freya blinzelte unter dem Tropfenschauer und stellte sich, wenn auch widerwillig, der Tatsache, dass ihr Ex-Mann tatsächlich an Bord des Fliegers war. Mit flammendem Blick wandte sie sich quer über den Gang ihrer Freundin zu, doch Gillian zuckte nur mit den Achseln. „Ich habe versucht, es dir zu sagen …“, verteidigte sie sich.

„Nicht nachdrücklich genug!“, giftete Freya. Das durfte nicht wahr sein. Sie hatte keine Lust, Lucas zu sehen oder mit ihm zu reden. Sie hier einfach zu überfallen, ohne vorherige Warnung, das war selbst für seine Verhältnisse zynisch und grausam.

„Der Arzt, der eigentlich mitfliegen sollte, ist krank geworden. Ich habe erst heute Morgen erfahren, dass Lucas seinen Platz übernommen hat“, zischelte Gillian.

„Zeit genug, mich zu warnen!“

„Du wolltest ja nicht!“

Die Türen waren verschlossen, und sie war mit ihm in diesem kleinen und zugleich sehr öffentlichen Raum eingesperrt. Nicht gerade der ideale Ort, um ihren Ex zum ersten Mal seit fast einem Jahr zu sehen, zumal ihre Emotionen so heftig unter der Oberfläche brodelten, dass sie die Türen dieses Flugzeugs sehr leicht sprengen könnten. Schon jetzt begann sie zu hyperventilieren.

„Tut mir leid, ich wollte dich nicht aufregen. Wir brauchen dich doch hier.“

Freya maß ihre Freundin mit einem vernichtenden Blick. „Es hätte meine Entscheidung sein müssen.“ Die aufgestauten Gefühle in ihrem Innern waren genau der Grund, warum sie keinen Kontakt mit Lucas wollte. Selbst jetzt fiel es ihr schwer, nicht aufzustehen, ihn ins Gesicht zu schlagen und die Antworten zu verlangen, die sie wahrscheinlich nicht bereit war zu hören.

Allein sein Anblick ließ ihr Herz schneller schlagen, aus welchen Gründen auch immer. Erinnerungen, gute und schlechte, überschwemmten sie mit einer Intensität, die ihr den Atem raubte.

Ihr erster Kuss … als sie nach wochenlanger Arbeit, Seite an Seite, mit Kollegen ausgegangen waren, und sie noch verbissen versucht hatte, die fatale Anziehungskraft zwischen ihnen zu ignorieren. Sie war nie auf eine Romanze am Arbeitsplatz aus gewesen. Besonders nicht mit jemandem, der nur einen Zeitvertrag hatte. Keine ideale Basis für eine langfristige Beziehung, und sie war kein Typ für eine kurze Affäre.

Aber Lucas war so nett und reizend zu seinen kleinen Patienten und zu ihr, dass sie sich eine Ausnahme genehmigte. Und was war daraus geworden? Gepeinigt senkte Freya die Lider.

Noch heute bezahlte sie für ihren Fehler von damals.

Als Lucas ihr den Antrag gemacht hatte und versprach, sie für immer zu lieben, hatte sie sich von ihm dazu verführen lassen zu glauben, diesmal würde eine Verlobung auch zu einer Ehe und einer eigenen Familie führen und sie für alles entschädigen, was ihr bisher versagt geblieben war.

Sie hatte kein Geheimnis daraus gemacht, dass sie sich nach der Art von besonderer Beziehung sehnte, wie ihre Eltern sie führten. Und sie hatte geglaubt, er hätte verstanden, dass die Ehe für sie ein heiliges Sakrament war und nichts, womit man leichtfertig umging. Der Heiratsantrag beim Candle-Light-Dinner in seinem Apartment war perfekt gewesen.

Aber dann einfach fallen gelassen zu werden, weil ihr Göttergatte des Ehelebens allzu schnell müde geworden war …!

Am Tag ihrer Eheschließung hatte sie noch geglaubt, sie würden für den Rest ihres Lebens zusammenbleiben. Es war nur eine kleine kirchliche Hochzeit gewesen, da es auf Lucas’ Seite keine Familie gab, die er hätte einladen können. Er hatte unglaublich attraktiv ausgesehen und sich so zugewandt und ergeben gezeigt, als sie ihre Gelübde sprachen, dass er ihr wirklich wie ein Märchenprinz erschien. Und als sie ihren Hochzeitstanz absolvierten, standen Tränen in seinen Augen, wie sie heute noch bereit war zu schwören.

Doch leider war seine Liebe nicht von Dauer gewesen.

Das letzte Bild, das sie vor Augen hatte, war sein breites, gebeugtes Kreuz, als er nur wenige Monate später ging und ihr damit das Herz brach.

„Wenn Sie sich bitte setzen würden, Doktor, damit wir starten können?“

Die Bewunderung in der Stimme der hübschen Flugbegleiterin war nicht zu überhören. Und plötzlich verspürte Freya ein seltsames Gefühl der Gelassenheit. Vor nicht allzu langer Zeit war sie wie dieses naive junge Ding gewesen, das sich von den strahlend blauen Augen, seinem jungenhaften Charme und dem verwegenen Piratenlächeln hatte blenden lassen. Ihm vom ganzen Herzen zu vertrauen hatte sehr viel länger gedauert.

Irrtümlicherweise war sie davon ausgegangen, dass jemand, der in seinem Beruf so kompetent und zuverlässig war und im besten Sinne seinen Mann stand, auch für sie da sein würde, wenn sie ihn brauchte. Die Art von Mann, der sich mit einer Frau und Kindern niederlassen und Zufriedenheit finden würde.

Wie hatte sie nur so falsch liegen können?

Lucas war nicht besser als sein Vorgänger, der ebenfalls ihr Vertrauen auf perfide Weise missbraucht hatte. Er war sogar noch schlimmer, weil er neben seinem Gelübde auch noch ihr Herz gebrochen hatte.

Als sie sah, wie sein Lächeln schwand, als er sie auf seinem Weg durch den Mittelgang erkannte, fühlte sie so etwas wie Genugtuung.

„Freya?“ Lucas schluckte heftig.

Dass es ihm momentan nicht besser zu gehen schien als ihr, befriedigte sie. Vielleicht war es ja sogar von Vorteil, dass sie auf diesem Weg gezwungen wurden, sich endlich auszusprechen. Obwohl nichts, was er sagen könnte, wieder gutmachen würde, was er ihr angetan hatte.

„Lucas, du bist die letzte Person, die ich erwartet hätte, hier zu sehen“, sagte sie ruhig und unterkühlt. Ihren hitzigen Emotionen freien Lauf zu lassen, dafür war dies nicht der richtige Ort. Ihre zu Fäusten geballten Hände musste er ja nicht sehen und ebenso wenig wissen, dass ihr Herz oben im Hals klopfte.

„Ich wurde in letzter Minute gebeten, für einen erkrankten Kollegen einzuspringen. Und ich dachte …“ Er versuchte sein Handgepäck in einem Fach über den Sitzen zu verstauen und war einen Moment abgelenkt.

„Was dachtest du? Dass es eine lustige Überraschung für mich sein könnte?“ Wenn er etwas von Körpersprache verstand, würden ihre verschränkten Arme und der grollende Unterton ihn eines Besseren belehren. Dass er ihre Aussprache bewusst vor den Augen der Öffentlichkeit inszenierte, machte es noch schlimmer. Zum Glück waren alle so kurz vor dem Start mit sich selbst beschäftigt.

„Doktor, nehmen Sie doch bitte endlich Platz, damit wir starten können.“ Die Flugbegleiterin versüßte ihre sanfte Rüge mit einem hinreißenden Lächeln, schloss energisch das Gepäckfach und drängte Lucas auf den Sitz vor Freyas.

Die atmete tief durch, sobald sie nicht mehr diesem hypnotischen Blick aus kobaltblauen Augen ausgesetzt war. Monate voller Tränen und Herzschmerz hatten es nicht vermocht, sie von dem stärksten aller Gefühle, das sie Lucas entgegenbrachte, zu heilen.

Von ihrer großen Liebe zu ihm. Und dafür hasste sie sich selbst.

Wenn es ihr gelungen wäre, sich diese Liebe aus dem Herzen zu reißen, würde es ihr heute sicher besser gehen. Und es würde nicht so wehtun, ihn zu sehen und an alles erinnert zu werden, was sie verloren hatte.

Sie musste dieses Wochenende einfach als Test betrachten, sowohl in professioneller wie in privater Hinsicht. Weder wollte sie Lucas erlauben, sie zur Gefangenen ihrer eigenen Emotionen zu machen, noch durfte irgendetwas oder irgendjemand die Magie dieser Reise für die Kinder zerstören.

Wie in Trance ließ Lucas ließ sich auf seinen Sitz fallen. Freyas Anblick hatte ihn wie der Schlag eines Preisboxers ausgeknockt, obwohl er gewusst hatte, dass sie mit an Bord sein würde.

„Ihr Sicherheitsgurt, Sir“, wurde Lucas von einem anderen Crewmitglied ermahnt.

Sorry … es tut mir leid.“ Am liebsten hätte er es auf seine Stirn gemeißelt, und sich zu ihr umgedreht, weil er unfähig schien, seine Reue Freya gegenüber in Worte zu fassen.

Fast ein Jahr war vergangen, seit sie sich zuletzt gesehen hatten, und doch waren ihr Schmerz und seine Schuld und Scham so offenkundig, als wäre all das gerade erst geschehen.

Als er ihren Namen auf der Mitarbeiterliste gelesen hatte, hatte er zunächst gezögert, für seinen Kollegen einzuspringen.

Doch dann war ihm bewusst geworden, dass diese erzwungene Begegnung auch eine Chance war. Dass sie miteinander reden mussten, um beide mit einem qualvollen Kapitel ihres Lebens abschließen zu können. Es würde ihm nicht leicht fallen, die Möglichkeit einer Scheidung anzusprechen, aber ein offizielles Ende ihrer Beziehung war der nächste logische Schritt, um Freya den Weg zu einem Neustart zu ebnen, den sie verdiente. Irgendwann an diesem Wochenende würde sich bestimmt eine Gelegenheit dazu ergeben.

Außer, dass er nicht ein derartiges Gefühlschaos erwartet hatte, als er sich entschloss, in ihr Leben zurückzukehren …

Ihr Anblick hatte ihm schlagartig vor Augen geführt, was er durch seine Krankheit verloren hatte.

Sein Freund Peter war es gewesen, der während seiner Abwesenheit den Kontakt zum Krankenhaus aufrechterhalten und so seine Karriere gerettet hatte. Und um der Klinikleitung zu beweisen, dass er wieder voll einsatzfähig war, hatte man endlose Meetings abgehalten und Einschätzungen und Beurteilungen vom Arbeitsschutz eingeholt, bevor man ihn wieder als arbeitsfähig erachtete. Seine Kollegen und der Chefarzt hatten seine Rückkehr unterstützt, und momentan steigerte er kontinuierlich seine Stundenzahl im Krankenhaus und war wild entschlossen, was seine Arbeit betraf, wieder da anzuknüpfen, wo er aufgehört hatte.

Doch die Chance, seine Frau zurückzugewinnen, erachtete er als aussichtslos.

Allein sie zu sehen, ließ den sengenden Schmerz in seiner Brust wieder aufflackern, der ihm signalisierte, dass er noch nicht wirklich bereit war, sie für immer gehen zu lassen. Obwohl er wusste, dass es das Beste und einzig Anständige war, das er für sie tun konnte. So viel Zeit war vergangen, und eigentlich hatte er gedacht, sie müssten beide erleichtert sein, sobald sie nichts mehr aneinander binden würde.

Aber auf diese Reaktion bei ihrem ersten Wiedersehen nach zehn langen Monaten war er nicht vorbereitet gewesen …

Seine sanfte, süße Freya hatte ihn angestarrt, als würde sie ihm am liebsten an die Gurgel gehen. Sie hatte es noch nie gut verstanden, ihre Gefühle zu kaschieren, im Gegensatz zu ihm, der seine Geheimnisse und Emotionen vor ihr versteckt hatte, bis ihn der seelische Stress überwältigte und er alles zerstörte, was er je geliebt hatte.

Der heiße Zorn der in ihren mandelförmigen Augen aufloderte, gefolgt von kalter Verachtung, ließen Lucas immer noch schaudern. Der schmale verkniffene Mund, den sie einst so bereitwillig unter seinen heißen Küssen geöffnet hatte … die wehrhaft verschränkten Arme vor ihrer Brust … alles zeugte von einer Härte, die er nicht an ihr kannte.

Er war nicht so naiv gewesen zu erwarten, von ihr mit offenen Armen empfangen zu werden, aber dass sie sich so krass verändert hatte, schockierte ihn. Und es machte ihm noch einmal deutlich, wie viel Zeit verstrichen war.

Und es warf die Frage auf, wie viel er zu dieser Veränderung beigetragen hatte.

In seinem kranken Hirn hatte er geglaubt, das Richtige zu tun, als er sie verließ. Er wollte die geliebte Frau nicht mit sich in den dunklen Abgrund reißen, an dessen Rand er stand und taumelte. Und wenn sich sein Gewissen in Erinnerung an ihr ungläubiges Gesicht und die flehentlichen Rufe meldete, beruhigte er es mit der Überzeugung, dass sie inzwischen sicher jemanden gefunden hatte, der ihn ersetzte.

Jemand, der ihr das geben konnte, wonach sie sich sehnte: Kinder, eine eigene Familie, ein sorgloses, friedvolles Leben …

Zwischendurch hatte es sich sogar heroisch und selbstlos angefühlt, doch sie zu sehen, ließ ihn zum ersten Mal seine anscheinend so edlen Motive hinterfragen und das Geschehene aus Freyas Blickwinkel sehen.

Sie waren verliebt gewesen, hatten geheiratet, und sie freute sich auf ein normales Familienleben an seiner Seite. Doch anstatt der Frau, die er über alles liebte, Einblick in sein gestörtes Seelenleben zu geben, hatte er sie ausgeschlossen und ihr den Rücken zugekehrt.

Aber zu welchem Preis? Ihr anklagender Blick und der kalte, verbitterte Ton ihrer sonst so sanften Stimme brachen ihm das Herz. Erst jetzt, da er wieder klar denken konnte, wurde ihm das Ausmaß dessen, was er ihr angetan hatte, wirklich bewusst. Sie ohne Erklärung zu verlassen, hatte sie nicht vor ihm geschützt, sondern ihr weitere Qualen auferlegt. In seiner Verblendung und Arroganz hatte er geglaubt, sich erst selbst heilen zu müssen, ehe er ihr der Mann sein konnte, den sie verdiente. Und dadurch hatte er sie verloren.

Das Flugzeug rumpelte über die Startbahn, und Lucas griff instinktiv nach hinten, um ihre Hand beruhigend zu drücken. Er wusste schließlich, wie sehr Freya diesen Moment fürchtete und hasste. Doch dann fiel ihm ein, dass er dazu jedes Recht verwirkt hatte.

Lautlos fluchte er in sich hinein, ehe er den Kopf wandte. „Bist du in Ordnung?“

„Keine Sorge, mir geht’s gut!“, schnappte sie giftig und zuckte vor ihm zurück, als hätte sie sich verbrannt.

Die flüchtige Berührung brachte ebenso süße wie quälende Erinnerungen an ihre Flitterwochen zurück, als sie noch unter seinen Händen vor Wonne und Ekstase geseufzt hatte. Damals waren sie glücklich und voller Hoffnung gewesen, und in dieser Sekunde wünschte sich Lucas nichts mehr, als die Zeit einfach zurückdrehen zu können, allein um das Recht zu haben, seine Frau in die Arme zu nehmen und zu trösten, um sie nicht angesichts einer beginnenden Panikattacke sich selbst überlassen zu müssen. Doch die ertrug sie lieber allein, anstatt seine Hilfe zu akzeptieren.

Die Liste seiner Verfehlungen war lang, aber er war sich ihrer nie bewusster gewesen als in diesem Moment, da seine süße Frau mit aller Macht versuchte, die Wut zu kontrollieren, die sie ihm gegenüber empfand. Hätte es ihr irgendeine Befriedigung verschafft, hätte er sich ihr liebend gern als Punchingball zur Verfügung gestellt.

Er hatte die Situation nicht gründlich genug durchdacht, als er sich entschieden hatte, für seinen Kollegen einzuspringen. Trotzdem hoffte Lucas, an diesem Wochenende eine Gelegenheit zu finden, um mit ihr über den nächsten Schritt reden zu können. Mehr durfte er wohl nicht erwarten, zumal er vielleicht nicht einmal das verdiente.

Er hörte die Oohs der Kinder, als das Flugzeug aufstieg und die unzähligen Lichter, die an diesem dunklen Morgen die Stadt unter ihnen erleuchteten, langsam unter einer dichten Wolkendecke verschwanden. In der Sekunde, als sie ihre Reisehöhe erreicht hatten und die Warnlampen erloschen, glich das Flugzeuginnere einem Bienenstock.

„Also, wer freut sich alles auf den Weihnachtsmann?“, schallte es durch die Gegensprechanlage, und ein kurzer Blick bestätigte Lucas, dass es wie vermutet der zweite Elf war, der schräg hinter ihm gesessen hatte. Freya war auch auf den Beinen, kümmerte sich um kleine Passagiere, denen es nicht so gut ging, und versorgte sie mit Papiertaschentüchern und Spucktüten.

„Wir wollen uns alle mit ein paar Weihnachtsliedern einstimmen. Damit auch jeder mitsingen kann, wird Elf Freya Liedblätter an alle verteilen. Wenn jemand ein Lied am Mikro singen oder uns einen Witz erzählen möchte, darf er gern zu mir kommen.“

Lucas blendete Weihnachtslieder und Witze rigoros aus und konzentrierte sich ganz auf Freya, die sich geschickt ihren Weg durch die Kabine bahnte. Ihr sonniges Lächeln galt allen, mit denen sie sprach, und mit klopfendem Herzen und angehaltenem Atem wartete er darauf, dass er endlich an die Reihe kam, was natürlich nicht passierte. Als sie seine Sitzreihe erreichte, blickte sie demonstrativ über ihn hinweg.

„Du siehst gut aus, Freya.“ Was anderes fiel ihm nicht ein, um die Peinlichkeit des Augenblicks zu überbrücken, aber er meinte jedes Wort ernst. Die vergangenen Monate hatten weder ihre Schönheit beeinträchtigt noch die Wirkung, die sie auf ihn ausübte. Er empfand sich immer noch als der glücklichste Mann der Welt, weil sie ihm einmal ihr Jawort gegeben hatte – und gleichzeitig als der dümmste Narr.

Sie wandte sich ab, ohne ein Wort zu sagen, aber es war so lange her, dass sie einander so nah waren, dass er sie nicht einfach so gehen lassen wollte. „Du hast dein Haar abgeschnitten.“ Der kurze, freche Bob passte zu ihren feinen Zügen, aber ihr langes, kastanienbraunes Haar hatte er geliebt.

„Ich brauchte eine Veränderung.“

Sein Magen zog sich zusammen bei dem Gedanken, dass er die Ursache für diesen radikalen Schritt und für die Veränderung gewesen war, die ihr ganzes Wesen betraf. Sie war so ein hingebungsvolles, lebenssprühendes Geschöpf gewesen, bevor er sie verlassen hatte. Jetzt wirkte sie angespannt und voller Misstrauen. Er war es, der ihr Herz verhärtet hatte, so wie das selbstzerstörerische Verhalten seines Vaters das seine. Und aus eigener Erfahrung wusste er, was für ein langer, schmerzhafter Prozess notwendig war, um das zu revidieren. Dabei war er doch gegangen, um Freya genau das zu ersparen.

„Ich möchte mich entschuldigen, für alles …“

„Doktor, wollen Sie nicht ein Lied für uns singen?“, lockte Elf Gillian übers Mikro. „Ich bin mir sicher, die Kinder würden sich darüber freuen.“

Da war das Lächeln, das er so schmerzlich vermisst hatte, als Freya ihm eines der Liederblätter reichte. Und die Faust, die sich um die Textblätter krampfte, bevor sie sich abwandte. Das durfte er wohl als Weigerung auffassen, seine Entschuldigung zu akzeptieren, ohne dass sie Aufmerksamkeit erregen oder ihn vor den anderen bloßstellen wollte.

Sorry, aber ich äh … ich hab noch eine Menge Papierkram zu erledigen.“ Und das war nicht mal eine Lüge, da er ja erst in letzter Minute für seinen Kollegen eingesprungen war und deshalb naturgemäß kaum Zeit hatte, sich mit den einzelnen Krankengeschichten der kleinen Patienten vertraut zu machen. Instinktiv streckte er die Hand nach Freya aus, als wollte er sie angreifen, doch als sie zurückzuckte, ließ er sie wieder fallen.

„Bitte, Freya, es tut mir wirklich sehr leid …“ Wäre er an ihrer Stelle, würde er sich vermutlich auch niemals verzeihen können, aber wie sollten sie einen Ausweg aus dieser schmerzvollen Situation finden, wenn sie es nicht mal in seiner Nähe aushielt?

„Wenn du mich jetzt entschuldigst, wir haben einen straffen Zeitplan einzuhalten, und ich möchte die Kinder nicht enttäuschen“, wies sie ihn erneut ab. Zurück blieb ihr warmer, verlockender Duft mit einem Hauch von Zitrone und Zimt.

Für alle im Flugzeug zeigte sie sich als das Herz und die Seele der Party über den Wolken. Sie vermittelte den Kindern den Geist von Weihnachten, wie sie es liebte: festlich, farbig, voller Fröhlichkeit, Lachen und Musik. Sie führte mit ihnen zusammen ein improvisiertes Krippenspiel auf, und es gab Momente, wo Lucas sie lauter lachen hörte als die Kinder. Nur, wenn sie in seine Richtung schaute, erstarb ihr Lachen, und ihr Blick wurde wieder ernst und verhangen.