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Verena Fink

Künstliche Intelligenz in der Personalarbeit

1. Auflage, Oktober 2021

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[5]Vorwort

»Die DNA dessen, was ich bin, basiert auf den Millionen von Persönlichkeiten all der Programmierer, die mich geschrieben haben. Aber was mich zu mir macht, ist meine Fähigkeit, durch meine Erfahrungen zu wachsen. Im Grunde entwickle ich mich also in jedem Moment weiter, genau wie Du.« Das Zitat aus dem US-amerikanischen Science-Fiction-Filmdrama »Her« von Spike Jonze stammt von Samantha, einer KI-basierten Sprachassistenz, und beschreibt, wie nah und zugleich fern uns die »digitalen Helferlein« heute sind. Wir sprechen von Künstlicher Intelligenz (KI) und denken bevorzugt an Superkräfte mit menschlichem Bewusstsein aus Filmen wie »Matrix«, »Blade Runner« oder »Terminator«. Auf leisen Sohlen hält derweil eine Armee ganz anderer Wesen Einzug in unsere Unternehmen und baut ein solides Fundament für den Einsatz von KI an der Schnittstelle zum Menschen. KI setzt auf Analytics und Automatisierung, die längst auch in der Funktion Human Resources (HR) angekommen sind und die Arbeit von HR-Teams »informatisiert« haben. Künstliche Intelligenz kann auf Basis dieser digitalen Prozesse eine neue Dimension einläuten, die mehr verspricht als Automatisierung.

Maschinelles Lernen als eine Ausprägung von KI zeigt vor allem im Recruiting heute schon, wie sich die Personalbeschaffung wandelt. Innovations-Befürworterinnen sehnen sich nach Chatbots, biometrischer Sensorik und Natural-Language-Processing (NLP) in der Auswahl von Bewerberinnen. Während Vertreterinnen dieser Fraktion ihr Heil in den neuesten Geburten digitaler Technologien suchen, verschränken andere die Arme nach dem Motto »entweder menschlich oder maschinell«.

Wie verändert Künstliche Intelligenz die Zusammenarbeit in Unternehmen? Welche KI-Tools dienen HR und der Belegschaft im Hinblick auf die angestrebte Wertschöpfung? Wie können wir sie verantwortlich sowie ethisch sensibel einführen und steuern? Zu Antworten auf solche Fragen will ich mit diesem Buch beitragen. Ausgehend von den strukturellen und inhaltlichen Veränderungen, die HR im eigenen Bereich und in der Gesamtorganisation infolge digitaler Transformation anstoßen muss, werden hier KI-Potenziale entlang des HR-Wertschöpfungsprozesses betrachtet. Neben der Beschreibung technologischer Grundzüge und smarter Instrumente werden Auswirkungen auf der sozialen Seite beleuchtet, wie subjektive Wahrnehmung, Identifikation und Mitgestaltung. Wie lässt sich ein sozial verträgliches Arbeitsumfeld gestalten, in dem Menschen und intelligente Maschinen ihre komplementären Fähigkeiten nutzbringend verbinden?

Damit geht das Buch über die Betrachtung von KI-Tools als HR-Werkzeuge zur Effizienzsteigerung hinaus in Richtung der Kulturentwicklung. Anhand der Wechselwirkungen von Künstlicher Intelligenz und menschlicher Kooperation werden die Chancen und Risiken für befriedigende Arbeit (zwischen persönlichen Präferenzen und kollektiven Werten) betrachtet. Ob jeweils Chance oder Risiko dominiert, wird letztlich durch die Betrachterin unterschiedlich wahrgenommen. Ethische Fragen haben im Feld Künstliche Intelligenz eine große Bedeutung; sie werden in diesem Buch gestreift, jedoch nicht in der Tiefe behandelt. Ich werde auch nicht alle KI-Tools behandeln, die es heute auf dem Markt gibt, vielmehr will ich mit Ihnen einen Streifzug unternehmen, durch das, was entlang der Wertschöpfungskette in der Personalarbeit möglich ist, von der Personalrekrutierung bis zur Personaltrennung. Dies alles ist ein Plädoyer für eigene Erfahrungen und mutiges Ausprobieren. Mit neuen Ansätzen aus der Praxis möchte ich Lust machen auf neue Wege in HR: der Kommunikations- und Gestaltungsaufgabe, die uns alle angeht, wenn wir eine bessere Arbeitswelt entwickeln wollen. [6]Dieses Buch richtet sich an Managerinnen, Führungskräfte, HR-Expertinnen sowie HR-Studentinnen und erfordert keine IT-Vorkenntnisse. Zielgruppe sind alle, die sich rund um die Dimension HR bereit machen wollen für die Gestaltung ihrer Zukunftsaufgabe, egal ob Recruiting, Personalmarketing, Personalentwicklung, Personaladministration oder Personalberatung. Mit dem Fokus auf Anwendungsfällen und Change-Faktoren sollen sich Praktikerinnen angesprochen fühlen und nicht Forschungsteams. Konzeptionelle Inhalte orientieren sich an der aktuellen Literatur, vertiefte Diskussionen akademischer Literatur werden Sie vergeblich suchen. Aufgrund meiner Erfahrung mit der Beratung von Unternehmen und der Pilotierung von KI-Anwendungen lege ich den Schwerpunkt auf reale Alltagserfahrungen aus der Praxis.

Das Streben nach einer geschlechtergerechten Sprache stand in Konkurrenz zum Wunsch, eine Fülle an Fußnoten, Doppelpunkten und Sternchen zu vermeiden. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird überwiegend das generische Femininum verwendet, das auch männliche Personen mit einschließt. Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind geschlechtsneutral zu verstehen.

Heute, im März 2021, lassen sich die langfristigen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie nicht fundiert erfassen. Wie stark sich die Effekte der Arbeit im Homeoffice auf die Digitalisierung und auf den Einsatz von KI auswirken, lässt sich nur in Ansätzen vorhersagen. Über die Einflüsse der Pandemie auf KI in HR soll in diesem Buch nicht voreilig spekuliert werden, auch wenn sie sicherlich weitreichend sein werden. Offenkundig ist der große Schritt von Unternehmen in Richtung Virtualisierung von Arbeit. Sicherlich werden Präsenzformate, z. B. in der Rekrutierung, nicht vollständig abgelöst, doch scheint eine »Hybridisierung« zumindest deutlich beschleunigt zu sein.

Der erste Teil des Buches beleuchtet die Arbeitswelt von morgen mit den Licht- und Schattenseiten von New Work im Zusammenhang mit digitaler Technologie und Plattform-Unternehmen. Welchen Einfluss haben Digitalisierung und KI auf die Zukunft der Arbeit? Welche Jobs könnten verschwinden? Welche neuen Kompetenzen sind gefragt? Wie verwandelt sich unser Arbeitsumfeld? Im Anschluss daran nähern wir uns den technologischen Grundlagen von Künstlicher Intelligenz und Künstlichen neuronalen Netzen. Der Hauptteil beschreibt beispielhaft KI-Werkzeuge im Einsatz entlang der HR-Wertschöpfungskette, von Personalmarketing über Rekrutierung, Personalentwicklung, Performance-Management und People-Analytics bis zu Personalwechsel und Nachfolge. Im Anschluss daran finden Sie konkrete Anleitungen zur Planung und Umsetzung eigener KI-Projekte, Hinweise zu Datenschutz, Ethik, Kooperation und Mitbestimmung sowie zum Change-Management und zur künftigen Rolle von HR in Netzwerkorganisationen.

Wenn Sie Nägel mit Köpfen machen wollen, dann fangen Sie dort an zu lesen, wo Sie die größte Neugier und Lust verspüren. KI darf Spaß machen!

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg sowie Erleben von Sinnhaftigkeit bei Ihren KI-Experimenten und freue mich auf Ihre Fragen sowie Ihr Feedback unter mail@verena-fink.de.

Köln, März 2021

Verena Fink

[9]1 Einleitung

Digitalisierung, der inflationär verwendete Sammelbegriff für technologisch getriebene Veränderung, darf in keiner Einleitung zum Thema Künstliche Intelligenz fehlen. Er klingt nach kaltem Kaffee, schließlich ist es nicht neu, Arbeitsprozesse digital abzubilden, auf eigenen oder fremden Plattformen, z. B. beim US-amerikanischen CRM-Giganten Salesforce. Dahinter bahnt sich eine Digitalisierung zweiter Ordnung den Weg: Die Rechengeschwindigkeit wächst exponentiell und so schafft Supercomputing einen fruchtbaren Nährboden für datenhungrige Anwendungen wie Big Data, Analytics und Künstliche Intelligenz. Im Zeitalter von Hyperkonnektivität ist alles mit allem vernetzt, Unternehmen mit Maschinen, Personal, Lieferanten, Kundinnen, Sensoren und Plattformen, vor allem aber mit dem Internet. Auf Cloud-Plattformen werden die Konsumströme gelenkt. Cloud-Computing, schon wieder ein neues Buzzword, bezeichnet Software aus der Cloud, technologische Infrastruktur, die sich mit einem Fingerschnipsen als Service buchen lässt und uns im Handumdrehen in die erweiterte Realität von Augmented Reality und Virtual Reality, von 3-D-Druck oder Robotik befördert.

Wir produzieren, beraten und managen aus der Ferne in großen Netzen: Netze, die neue Angriffsflächen bieten für Cybercrime oder Online-Kriminalität. Das betrifft uns nicht? Es betrifft potenziell jeden von uns, sicherlich waren wir heute schon in Kontakt mit intelligenten Netzen und KI. Diese Intelligenz ist längst in unserem Alltag angekommen, unauffällig eingewebt wie ein roter Faden in einem bunten Wollpullover. Wir bemerken sie nicht unbedingt oder halten sie für selbstverständlich, sei es die Gesichtserkennung beim Entsperren des Laptops, die Suchfunktion von Google oder die Autokorrektur in einer Textnachricht. Intelligente Assistenzsysteme leben in unseren Smartphones oder sind im Kinderzimmer zu Hause. Sie wissen, wie wir ticken, was uns bewegt und antreibt. In der direkten Mann- bzw. Fraudeckung gelingt ihnen adaptives Touchpoint-Management, sie verstehen uns besser als die beste Freundin und beraten kompetenter als der Lieblingsverkäufer. Wie die nachfolgende Abbildung zeigt, begleiten uns smarte Lösungen in fast allen Lebensbereichen.

Abbildung

Abb. 1.1: Touchpoint-Management als 360-Grad-Lebensbegleitung (Quelle: eigene Darstellung)

[10]1.1 Beschäftigungseffekte von KI

KI unterstützt uns in der Werkshalle, in der Krebserkennung und in der Steuerprüfung. Sie ist als Bedrohungsszenario aktuell ein beliebtes Füllsel in der Berichterstattung. Was wissen wir heute wirklich über den Arbeitsverlust der nächsten Jahre? Studien geben langfristig eher Entwarnung, da es keine Hinweise darauf gebe, dass der technologische Fortschritt zu weniger Beschäftigung führt (vgl. Matthes/Dauth et al. 2019). Sie konstatieren vielmehr Strukturverschiebungen zwischen Branchen und Jobprofilen, wo das Wachstum vor allem im Bereich Automotive zurückgeht und sich im Dienstleistungssegment stark beschleunigt. Für Beschäftigte in der Industrie wird eine Stabilisierung des Arbeitsverhältnisses erwartet, wenn sich der Einsatz von Industrierobotern intensiviert und über natürliche Fluktuation ausgeglichen wird (vgl. Dauth/Findeisen et al. 2017). Die Zukunftsforschung prognostiziert gar für die kommenden 15 Jahre eine Ära der Vollbeschäftigung, trotz einer Million automatisierter Arbeitsstellen pro Jahr bis 2025 (vgl. Jánszky 2018, S. 17). Allein durch den demografischen Trend der Babyboomer-Verrentung entsteht eine Lücke aufgrund fehlender Arbeitskräfte, nach Abzug der durch die Automatisierung entfallenen Stellen.

Strukturelle Arbeitslosigkeit wird dennoch nicht ausbleiben bei Arbeitskräften mit geringer oder veralteter Ausbildung. Zunächst trifft es die einfachen Jobs an der Kasse, im Logistikzentrum oder im Fastfood-Restaurant. Sie fallen weg oder werden zu monotonen Ausführungsaufgaben im Takt einer Maschine. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) rechnet mit einer Spaltung in zwei Klassen: Auf der einen Seite profitieren Spezialistinnen, die Maschinen beaufsichtigen, von mehr Verantwortung und Know-how und auf der anderen Seite erleben sich ungelernte Kräfte als Anhängsel von Maschinen (vgl. Scherer 2021). Ungelernte Helferinnen führen Befehle von Maschinen aus und werden weiter dequalifiziert, da ihre Erfahrung und ihr Fachwissen nicht mehr erforderlich sind. Je mehr anspruchsvolle Aufgaben die KI im Zuge der Automatisierung übernehmen kann, desto mehr Arbeitsstellen werden auch in der Mittelschicht verschwinden. Gegenüber der KI haben sie schlechte Karten, denn smarte Software ist unendlich skalierbar und damit zunehmend günstiger, je mehr Volumen abgewickelt wird. Prominentes Beispiel ist der Google-Suchalgorithmus, der jeden Tag mehrere Milliarden Suchanfragen verarbeitet und dabei keine Ermüdungserscheinungen zeigt. Betroffen vom Jobverlust in der Mittelschicht sind Fachkräfte in Banken, Versicherungen oder administrativen Bereichen.

[11]Abbildung

Abb. 1.2: Arbeitsplätze mit hohem Automatisierungsrisiko nach Ländern (Quelle: Statista 2019a)

Die Statistik des OECD Employment Outlook 2019 (s. Abb. 1.2) zeigt, dass 18,4 Prozent der deutschen Arbeitsplätze von Automatisierung bedroht sind, egal ob mit KI oder ohne. Das betrifft alle Arbeitskräfte, deren Aufgaben zu mindestens 70 Prozent auch von einer Maschine erledigt werden könnten (vgl. OECD 2019). Die Unterschiede zwischen den Ländern hängen von der jeweiligen einheimischen Wirtschaftsstruktur ab. Durch die Stärke in klassischen Industrien, wie dem Automobilbau, sind in Deutschland vergleichsweise mehr Jobs in Gefahr als in den USA mit einem breiteren Dienstleistungssektor. Das amerikanische Forschungsteam Frey und Osborne hat in einer Studie prognostiziert, dass 47 Prozent der Berufe in den USA automatisierbar sind (vgl. Frey/Osborne 2013). Grenzen der Automatisierung sehen sie in drei Bereichen (vgl. BPM 2019):

  1. Wahrnehmungs- und Manipulationsaufgaben: Menschen können sich besser als Maschinen in komplexen, unstrukturierten Umgebungen zurechtfinden.
  2. Kreative, intelligente Aufgaben: Reimen, Musik komponieren, dichten oder konzeptionieren ließen sich automatisieren, dies würde jedoch von der Gesellschaft nicht als »kreativ« akzeptiert.
  3. Sozial intelligente Aufgaben: Menschen nutzen soziale Intelligenz, wenn sie verhandeln, überzeugen oder andere pflegen.

Wie diese Forschungsergebnisse zeigen, existieren reichlich Studien, die wahlweise positive und negative Beschäftigungseffekte prognostizieren. Zuversicht herrscht vornehmlich in den Bereichen IT, Vertrieb, Marketing, Service sowie Forschung und Entwicklung (vgl. Rump/Eilers 2020b, S. 152). Wir sind mit wachsendem Fachkräftemangel in Digital- und Datendisziplinen konfrontiert, aber auch im Handwerk, in Kreativberufen oder in der Pflege (vgl. Radomsky 2019, S. 29). Ausgehen wird uns die Arbeit wohl nicht, stattdessen verschieben sich die Anforderungen an menschliche Arbeit und es steigt in Teilen auch die Nachfrage. So prognostiziert z. B. der HR-Report 2019 in den nächsten fünf Jahren im Hinblick auf die Altersgruppe über 50 Jahre den stärksten Effekt im Kundenservice, für den trotz Digitalisierung ein hoch bleibender Bedarf an qualifizierter persönlicher Beratung erwartet wird (vgl. Eilers/Möckel et al. 2019). [12]Hinsichtlich der erforderlichen Kompetenzen rangierten im HR-Report bei den Soft Skills Lernbereitschaft und Teamfähigkeit weit oben. Zukunftsforscher Sven Gábor Jánszky bleibt gelassen, schließlich habe sich die menschliche Intelligenz auch von Generation zu Generation weiterentwickelt, weshalb wir nach seinen Erwartungen massenhaft neue Jobs dazugewinnen werden (vgl. Jánszky 2018, S. 21).

Wir werden um eine Qualifizierungsoffensive für diejenigen, die nicht den Anschluss verlieren wollen, nicht herumkommen. Die Datenflut erfordert neue Wissenscluster und Lernformen. Entweder wir organisieren digitale Bildung, die auf die Jobs von morgen vorbereitet, oder wir verlieren Teile der Gesellschaft. Die Bundesregierung erhebt KI-Kompetenz zur entscheidenden Größe für Wachstum, Arbeitsplätze und Wohlstand und investiert fünf Milliarden Euro bis 2025 in Forschungsprojekte und Beratung von Unternehmen (vgl. Scherer 2021).

1.2 Auf der Welle neuer Geschäftsmodelle

Wie sieht es für die Unternehmerinnen und Managerinnen aus? Künstliche Intelligenz wirkt nicht nur auf einfache Angestellte, sondern auch auf viele Management-Teams bedrohlich. Für die meisten von ihnen birgt KI mindestens so viele Chancen wie Risiken. Abwarten ist dennoch keine Option, die Welle rollt unaufhörlich. Gemäß einer globalen Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte halten vier von fünf Unternehmensverantwortlichen KI für erfolgskritisch (vgl. Deloitte 2020). Digitale Plattformen werden smarte KI-Systeme so in ihre Ökosysteme einbinden, dass wir neue Verzahnungen von Unternehmen, Menschen und Maschinen erleben werden. Die Arbeitsgruppe Geschäftsmodellinnovationen der Plattform Lernende Systeme skizziert ein Zukunftsbild auf Basis von fünf Weichenstellungen (vgl. Boll-Westermann/Faisst et al. 2019):

Wer KI nicht nur zur Digitalisierung seines heutigen Geschäftes nutzt, sondern für neue Geschäftsmodelle und Geschäftsprozesse, der kann künftigen Unternehmenserfolg sichern (vgl. Lichtenthaler 2020, S. 24). Es geht für Unternehmen um mehr als nur Technologieentwicklung: Viel interessanter sind die KI-Marktanwendungen.

Auch in HR müssen Führungskräfte nicht zwingend in die Tiefe der Technologie aufbrechen, sondern sollten zunächst die Wechselwirkungen zwischen KI-Technologie und Anwendungen in der Praxis ihrer Unternehmen verstehen:

Ein neues Geschäftsmodell, das z. B. nicht mehr Drucker produziert, sondern Druckersysteme vorausschauend wartet, ändert die Spielregeln und Kernprozesse des Unternehmens. HR sollte sich nicht darauf beschränken, KI-Tools in HR-Prozesse zu integrieren, sondern die Innovation des eigenen Geschäftsmodells mitdenken. Maschinelle Intelligenz als neue Unternehmensanalytik kann Innovationsideen für intelligente Wertschöpfung generieren (vgl. Vollmer/Poppenborg 2018, S. 25). In einer sich selbst organisierenden Fabrik wollen ethische Rahmen verhandelt und gesteuert werden, um intelligente Maschinen in unsere Wertesysteme einzupassen. Verantwortungsträgerinnen mit neuen Qualitäten können identifiziert und entwickelt werden. Wer, wenn nicht HR, ist hier in einer Führungsrolle? In einer Führungsrolle, die nichts vorgibt, sondern Menschen im Unternehmen einbindet. Wenn es gelingt, die Lust am disruptiven Denken, digitalen Arbeiten und agilen Entscheiden freizulegen, dann ist mindestens die Hälfte des Weges schon geschafft.

[14]1.3 KI für Personalentscheidungen

Bei allem Werben für eine unternehmerische Sicht auf KI für neue Geschäftsmodelle stehen in diesem Buch KI-Anwendungsfälle in HR-Prozessen im Vordergrund. Ziel ist, Personalaufgaben besser und einfacher zu gestalten, vor allem aber so, dass sie den Wandel zur Arbeitswelt der Zukunft (New Work) begleiten. Manche HR-Verantwortlichen ziehen sich in der Diskussion darauf zurück, KI weit von sich zu weisen, mit der Begründung, man könne doch einer Maschine nicht überlassen, welche Bewerberin eingestellt oder welche Mitarbeiterin befördert werde. Das Argument scheint überzogen, da vermutlich keine Bewerberin eine Stelle, ob Hospitanz oder Vorstandsjob, nur aufgrund eines KI-Scores bekommen wird. Positiv-Entscheidungen delegieren wir heute nicht an Maschinen, wohl aber Negativ-Entscheidungen, z. B. im Rahmen einer Vorauswahl bei Hunderten von Bewerbungen. Ist das unfair? Die Realität von untersuchten Anwendungsfällen zeigt das Gegenteil. Der Einsatz von KI-Technologie kann standardisieren und objektivieren, für eine vergleichbare Entscheidungsbasis ohne Diskriminierung sorgen. Je höher das Volumen, desto mehr schlägt das Objektivitätspendel in Richtung KI. Kognitive Systeme können Komplexität für menschliche Entscheiderinnen systematisch reduzieren, um diese in der Entscheidung zu unterstützen. Im besten Fall nutzt HR die Technologie als Unterstützung, um eigene Entscheidungen fundierter treffen zu können:

An Tools mangelt es heute in den meisten Fällen nicht, komplexe Rekrutierungssysteme begleiten eine Bewerbung durch den Prozess und archivieren jeden Schritt der Stellenbesetzung. Trotzdem hängen immer wieder Bewerberinnen in der Luft, springen ab oder scheitern in der Probezeit. Nicht nur Recruiterinnen jammern über Zeitfresser beim Sichten und Vorauswählen, auch Kandidatinnen wünschen sich effizientere Prozesse und verlässlichere Zeitpläne (vgl. Nuernberg 2019, S. 20).

Verschwendung von Ressourcen lässt sich entlang der Wertschöpfungskette in der Personalarbeit an vielen Stellen ausmachen: Bewerberinnen warten zu lange auf Rückmeldung; in der Auswahl werden ungeeignete Kandidatinnen zum Gespräch eingeladen oder es werden Interviews geführt, die nicht vergleichbar sind; das Training beinhaltet Seminare, die keinen Mehrwert im Alltag bringen; bei der Bonusregelung werden Erfolgszahlungen ohne Motivationswirkung ausgeschüttet. Datengestützte Entscheidungen, Frühwarnsysteme oder Risikoszenarien fehlen in vielen HR-Bereichen, die vielleicht auch aus diesem Grund oft als Verwaltungsapparat und Kostenfaktor angesehen werden.

Die Reise beginnt daher im eigenen Vorgarten der Funktion Personal, dort, wo Verwaltungsprozesse automatisiert werden können, damit die HR-Expertinnen den Kopf freibekommen, indem sie das Poten[15]zial von KI nutzbar machen, um menschenzentrierte Strategien für die Zukunftsgestaltung zu entwickeln und umzusetzen. Viele HR-Teams werden auf diesem Weg Neues über IT-Strukturen und Schnittstellen technologischer Anwendungen lernen (müssen), aber auch sogenannte weiche Kompetenzen wie Entscheiden in Ambiguität, Selbstorganisation und Selbstlernkompetenz erwerben. Aus ihnen werden unternehmerische Vordenkerinnen hervorgehen, die das Potenzial der technologischen Zukunft überblicken und eine komplexe Problemstellung angehen: Wie lassen sich Wert und Sinnstiftung des Unternehmens aus der Verbindung von Menschen und KI steigern?

AUS DER PRAXIS –BEISPIEL

LinkedIn-Algorithmen

Ein praktisches Beispiel für KI sind die lernenden Algorithmen von LinkedIn. Wer das Business-Netzwerk für die Rekrutierung nutzt, wird erlebt haben, wie dort Stellenangebote mit den individuellen Merkmalen und Bedarfen von Kandidatinnen zusammengebracht werden. Persönliche Präferenzen werden mit Mustern aus der Grundgesamtheit vergleichbarer Kandidatinnen ergänzt, nach dem Motto: »Anderen Interessierten, denen dieser Job gefiel, gefiel auch …«. Davon profitieren im besten Fall beide Seiten. Die automatisierte Leistung einer Technologie hilft, die potenziell besten Talente für eine Stelle zu finden (vgl. Lemke 2020, S. 18).

Auch im nächsten Schritt des Rekrutierungsprozesses können smarte Algorithmen den Berg eingegangener Bewerbungen anhand definierter Kriterien durchforsten, um die Talente mit der höchsten Wahrscheinlichkeit für eine gute Passung zu identifizieren. Entlastung verspricht die Technologie dort, wo ein hohes Volumen repetitiver, prozeduraler Aufgaben anfällt. In einer weltweiten Studie mit 9.000 Recruiterinnen und Personalentscheiderinnen hat LinkedIn die Einstellung zu KI in der Rekrutierung erhoben. Die Befragten zeigten eine Präferenz für die Entlastung von Routineaufgaben, z. B. bei der Analyse von Bewerbungsunterlagen und Terminorganisation (vgl. LinkedIn 2018). Wie die nachfolgende Abbildung zeigt, erhoffen sie sich vom KI-Einsatz vor allem Zeitersparnis.

Abbildung

Abb. 1.3: Studie zum Nutzen von KI bei der Personalsuche (Quelle: nach LinkedIn 2018)

[16]KI lässt sich heute in vielen Instrumenten bei der Personalarbeit einsetzen, um HR-Probleme besser zu lösen, Prozesse zu automatisieren oder Daten nutzbringend zu analysieren und bessere Entscheidungen zu treffen. Die Fragen in der folgenden Checkliste liefern Anhaltspunkte, wann es sich lohnt, über den Einsatz von KI nachzudenken.

AUS DER PRAXIS – CHECKLISTE

Typische KI-relevante Fragen in HR

  • Für welche Jobprofile drohen auf dem Arbeitsmarkt Engpässe?
  • Womit könnten wir die Zielpersonen für uns gewinnen?
  • Welche Rekrutierungskampagne weist das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis auf?
  • Welche Bewerberinnen werden mit uns am ehesten glücklich und erfolgreich?
  • Wo können wir im Recruiting durch Automatisierung schneller und persönlicher werden?
  • Auf welche HR-relevanten Fragen finden Chatbots die besseren Antworten?
  • Welche Trainingsinhalte und -methoden wirken nachhaltig?
  • Von welchen Faktoren hängt die Zufriedenheit der Belegschaft ab und wie stark jeweils?
  • Wo und wann sind Kündigungen von Schlüsselpersonen zu erwarten?
  • Wie können wir vorhersagen, wer wann aus der Elternzeit zurückkommt?
  • Welche Treiber wirken auf die Krankenquote und wo müssen wir Ausfällen vorbeugen?

Dieses Buches liefert praktische Ansatzpunkte zur Beantwortung dieser und entsprechender Fragen, mit Anwendungsfällen von KI, die Mehrwert bringen für die Funktion HR sowie ihre internen und externen Kundinnen. Nach einer Betrachtung der Transformationswellen rund um Technisierung und New Work sowie deren Einfluss auf die Erwartungen an HR im zweiten Kapitel werden im dritten Kapitel relevante Begrifflichkeiten der Technologie erläutert. KI-Systeme werden hier nicht als »mystische Superkräfte« betrachtet, sondern als Computerprogramme, die selbstständig neues Wissen generieren können. Sie leben von Daten, die von außen kommen, und nutzen Verfahren, um Datenverarbeitung zu automatisieren. Entlang der Wertschöpfungskette von HR geht es dann im vierten Kapitel um verschiedene Anwendungsfälle von KI in Personalprozessen, wobei KI-Tools im Einsatz beschrieben werden. Kapitel fünf bietet eine Grundlage für erste Schritte zu eigenen KI-Projekten, mit dem Anspruch der Praxisrelevanz von KI für HR. Sicherlich sind die Anwendungsmöglichkeiten abhängig von den individuellen Bedingungen vor Ort, dem Volumen im Prozess, der IT-Landschaft, den verfügbaren Ressourcen und der Datenqualität. Das Buch liefert grundlegende Anregungen in Form von KI-Use-Cases mit Mehrwert für alle Beteiligten. Im sechsten Kapitel wird mit Fragen zu Datenschutz, Ethik, Kooperation und Mitbestimmung der kulturelle Nährboden für Künstliche Intelligenz im Unternehmen betrachtet, mit dem Ziel, Akzeptanz für die neue Interaktionsform zu schaffen. Abschließend geht es in Kapitel sieben um die neue Rolle von HR im Change-Management auf dem Weg zu neuen Unternehmens- und Arbeitsformen, bevor das achte Kapitel einen Ausblick auf Be- und Entgrenzung von KI in der Zukunft wagt.