Wenn sie Vampire berührt, kann sie deren Erinnerungen sehen. Als Toni diese Gabe an sich entdeckt, ändert sich ihr Leben schlagartig. Bis dahin lief es alles andere als geplant: Ihr Freund hat sie verlassen, sie hat ihr Studium geschmissen und kommt mit ihrem Job als Barkeeperin gerade so über die Runden.
Doch nun begibt sie sich gemeinsam mit dem amerikanischen Vampirjäger Brent auf die Jagd nach Vampiren durch ganz Europa. Und während sie versucht, hinter das Geheimnis ihrer Kräfte zu kommen, kann sie nicht aufhören an den ersten Vampir zu denken, der ihr je begegnet ist – Finn Mathesson.
Toni und Brent werden von befreundeten Vampirjägern nach Venedig gerufen. Dort sollen sie einen Vampir jagen, der schon vor über hundert Jahren in London für Angst und Schrecken sorgte. Toni muss an ihre Grenzen gehen, um das Monster zu stellen – und ihre Freundschaft zu Brent wird auf eine harte Probe gestellt. Ausgerechnet jetzt begegnet sie auch noch dem Vampir wieder, mit dem alles begann: Finn Mathesson. Um Toni und ihre Fähigkeiten vor dem Vampirrat zu beschützen, ist er zu allem bereit.
J.T. Sheridan ist das Pseudonym der Autorin Jessica Bernett. Sie wurde 1978 als Enkelin eines Buchdruckers in Wiesbaden geboren. Umgeben von Büchern und Geschichten entdeckte sie schon früh ihre Begeisterung für das Schreiben. Der Liebe wegen wechselte sie die Rheinseite und lebt heute mit ihrem Mann und ihren Kindern in Mainz. Sheridan hat schon immer davon geträumt, einen Roadtrip durch Europa zu unternehmen und kann dies nun in mit ihrer Heldin Toni in Shadow Hearts ausleben.
Folge 4: Verdammt
Seine Zunge kitzelte in meinem Bauchnabel.
»Hey, lass das.« Ich kicherte.
»Hmm, okay.«
Er sah mich mit diesen wunderbaren graublauen Augen verschmitzt an und schob sich weiter nach unten. Seine Zunge strich nun an der Innenseite meiner Oberschenkel entlang.
Ich zerfloss in freudiger Erwartung dessen, was nun kommen sollte, hob leicht mein Becken, wollte ihn dazu bringen, seine geschickte Zunge genau dort hineinzustecken, wo ich bereits heiß und feucht für ihn war.
Mit den Lippen liebkoste er die zarte Haut meiner Innenschenkel, als er sich ganz langsam seinen Weg nach oben bahnte.
»Toni …«
»Nein, hör jetzt nicht auf …«
»Toni?«
»Mach einfach weiter so …«
»Toni!«
Das Bild von Finn verschwamm vor meinen Augen. Stirnrunzelnd öffnete ich sie und sah jemand ganz anderen vor mir.
Belustigung lag in Brents attraktivem Gesicht. Seine grünen Augen leuchteten, und wenn er mir so nah war wie jetzt, konnte ich ein paar Sommersprossen ausmachen.
Er kniete neben mir im trockenen Gras und musterte mich ganz genau. »Muss ein schöner Traum gewesen sein. Du hast sehr süß gestöhnt.«
Ich wurde rot, setzte mich abrupt auf und rückte auf meiner Luftmatratze etwas weiter von ihm weg.
»Hättest mich ruhig schlafen lassen können«, meinte ich kleinlaut.
»Warum? Hast du wieder von ihm geträumt?« Er seufzte und rückte etwas von mir ab. Der Schalk in seinen Augen war verschwunden. »Sorry, Babe, aber die Sonne geht in zwei Stunden unter. Es ist Zeit, dass wir uns auf den Weg machen.«
Also packten wir unser Zelt, die Luftmatratzen und Schlafsäcke ein. Glücklicherweise waren die letzten Nächte mild geblieben, und so hatten wir draußen schlafen können. Aber ich musste dringend aufs Klo und musste nun mit einer Stelle hinter einer Kiefer vorliebnehmen.
Mit Wasser aus einem Kanister im Kofferraum machte ich mich so frisch, wie es eben ging. Ich kramte Klamotten aus meiner Reisetasche: eine Jeans und einen schwarz-weiß gestreiften Pulli. Meine Locken wuschelte ich einmal durch und stemmte dann die Hände in die Hüfte, während ich tief einatmete.
Das Mittelmeer war nicht weit.
»Warum noch mal haben wir nicht diesen tollen Campingplatz aufgesucht?«, wollte ich übel gelaunt von meinem Partner wissen.
Der hatte sich ebenfalls hinter der Kiefer erleichtert und wusch sich die Hände bei unserem Kanister. »Zu viel los. Glaub mir, da hocken die Menschen wie die Karnickel in einem Erdloch aufeinander.«
»Da gibt’s aber wenigstens Duschen.«
Er legte den Arm um mich und drückte mir einen Kuss auf das verstrubbelte Haar. »Brauchst keine Dusche. Du müffelst nur ganz dezent.«
Gegen die Logik dieses Mannes anzukommen, war schier unmöglich.
Ich rollte mit den Augen und boxte ihm gegen die Schulter.
»Autsch, wofür war das denn?« Er rieb sich grinsend die Stelle, an der ich ihn getroffen hatte.
»Idiot«, murmelte ich.
Er zog mich warmherzig lachend in die Arme und stützte sein Kinn auf meinem Scheitel ab. »War nur ein Scherz. Das weißt du doch. Du müffelst nicht.«
Für einen Moment genoss ich seine Wärme und den angenehmen Duft seines Aftershaves. Dann schob ich ihn von mir. »Wollen wir jetzt los, oder was?«
»Aye, aye, Ma’am.« Er zwinkerte mir zu, bevor er sich ans Steuer unseres VW-Busses setzte.
Wir fuhren zu einem öffentlichen Parkplatz am Bootssteg. Das Vaporetto war schon da, die ersten Fahrgäste stiegen ein. Wir beeilten uns, die Parkgebühr zu zahlen und Tickets für das Boot zu lösen. Glücklicherweise war die Schlange am Schalter nicht sehr lang. Die meisten Touristen waren längst wieder auf dem Rückweg.
Das Wetter war angenehm, die letzten Sonnenstrahlen wärmten mein Gesicht, als wir einen der Plätze oben an Deck des Bootes einnahmen. Schon jetzt spürte ich die Magie. Golden glitzerten die Sonnenstrahlen auf den zahmen Wellen der Lagune.
Vorbei an der kleinen Insel San Giorgia in Alga, die mit einer malerischen Ruine selbst schon eine Sehenswürdigkeit war, brachte uns der Wasserbus zu der Serenessima … Venedig.
»Wow.« Ich staunte, als ich das befestigte Ufer und die alten Häuser der Stadt sah, beleuchtet vom unwirklich wirkenden Licht der untergehenden Sonne.
Brent legte mir einen Arm um die Schultern. »Unglaublich, nicht wahr?«
Ich konnte nur nicken. All die Legenden, die sich um diese Stadt rankten. Kein Wunder, dass Horden von Touristen jeden Tag über sie herfielen, selbst in den Wintermonaten. Und wir gehörten nun dazu – auf der Suche nach einem Vampir.
Den Rest der Fahrt sagte ich nichts mehr, genoss den Anblick und die Atmosphäre. Eine Stadt in Gold getaucht, wie aus einem anderen Jahrtausend.
Das Boot hielt an dem Steg mit dem Namen Zattere. Ob der Markusplatz noch weit weg war? Zu gerne hätte ich ihn mir angesehen! Aber wir hatten keine Zeit für eine Städtetour.
Schon nahm Brent mich an der Hand und zog mich mit sich. Wir hatten eine Verabredung. Denn wir waren nicht die einzigen Jäger auf der Spur jenes mysteriösen Vampirs.
Brent hatte mittlerweile über das Internet einen beachtlichen »Freundeskreis« an Jägern in Europa aufgebaut. Wie sich herausstellte war man hier über Twitter und Co recht gut vernetzt. Es gab besondere Kürzel und Hashtags, mit denen sich die Jäger ganz spezielle Nachrichten zukommen ließen.
Brent war absolut begeistert von dieser Vernetzung, während ich eigentlich nur Bahnhof verstand. Scheinbar handelten die Vampirjäger in den USA mehr wie einsame Cowboys, während man sich hier in Europa organisiert hatte.
Mit zwei dieser Kollegen waren wir in einem kleinen Bistro verabredet, das sich in einer Seitengasse befand. Es blieb kaum Zeit, die umliegenden Gebäude, die alten Gemäuer mit dem abblätternden Putz und den kleinen Balkonen zu betrachten.
Diese Stadt verbreitete eine romantische Stimmung, der man sich nicht entziehen konnte. Selbst die kleinen Kanäle waren hinreißend, die wir über Brücken überqueren mussten, um an unser Ziel zu gelangen.
Nun gut, ich wollte nicht anspruchsvoll sein, wir waren hier schließlich nicht zum Sightseeing. Wenigstens lag das Bistro an einem Platz, an dem sich auch eine kleinere Kirche befand.
Unsere Kollegen saßen wenig unauffällig draußen an einem Tisch. Sie trugen große schwarze Sonnenbrillen. Einer war dicker, der andere größer. Fans der Blues Brothers? Fehlten nur doch die schwarzen Anzüge. Aber soweit ich erkennen konnte, waren sie in Jeans und blaue Hemden gekleidet. Bei unserem Herannahen schob der Größere seine Sonnenbrille nach unten und sah uns über den schwarzen Rand hinweg an.
»Das ist nicht dein Ernst?«, raunte ich Brent zu. »Nicht die beiden, oder?«
»Hmm, doch, ich befürchte schon.«
Der Dicke zog einladend einen Stuhl zur Seite und winkte uns herbei. Sobald wir in Hörweite waren, wurden wir in feinstem Britisch begrüßt.
»Brent? Toni? Wie schön, euch kennenzulernen!« sprach der Kleinere.
Der Große erhob sich sogar und beugte sich galant über meine Hand, um einen Kuss daraufzuhauchen. »Enchanté. Mein Name ist Louis, und dieser feine Herr ist mein Kollege Charles.«
»Hi!« Brent begrüßte die beiden locker mit Handschlag und setzte sich auf den Platz neben dem kleineren Mann, Charles.
Wir warteten, bis der Kellner unsere Bestellungen aufgenommen hatte. Brent orderte Pizza, und ich entschied mich für Pasta, wohingegen die anderen beiden Herren wohl schon gegessen hatten und Cappuccino bestellten.
Brent eröffnete das Gespräch: »Sind wir zu spät? Verzeiht bitte.« Der Einfachheit halber unterhielten wir uns auf Englisch.
Louis – der große Franzose – sprach mit einem charmanten Akzent: »Nein, nein, ihr seid kaum zu spät. Wir waren nur etwas früher hier. Weil wir …« Er warf seinem Kumpel einen fragenden Blick zu.
Charles half ihm weiter: »… Erkundigungen eingeholt haben. Wir sind bereits seit zwei Tagen in Venedig.«
»Sorry, könnte mich einer mal bitte aufklären?«, fragte ich etwas verwirrt in die Runde. Ich wusste nur, dass hier in Venedig ein besonders übles Exemplar von Vampir sein Unwesen treiben sollte und dass Brent über Kirk Kontakt zu den beiden Vampirjägern hergestellt hatte, die ebenfalls auf der Spur des Monsters waren.
Brent atmete tief ein. »Okay, also … Charles und Louis waren vor ein paar Wochen in London einem Vampir auf der Spur. Fünf Opfer gehen auf dessen Konto. Scotland Yard war dem Kerl ebenfalls auf den Fersen. Dann verschwand das Monster plötzlich. Bis vor zwei Wochen hier in Venedig der Vampir offenbar wieder aufgetaucht ist.«
Nun war meine Verwirrung komplett. »Derselbe Vampir? Woher wollt ihr das wissen? Es wurden doch bestimmt keine DNA-Spuren an den Leichen gefunden?« Ich lachte gekünstelt, weil mir die Sache komisch vorkam.
Die Männer wechselten beunruhigte Blicke.
»Ähm, nein«, fuhr Charles fort und nahm einen Schluck von seinem Cappuccino. »Aber die Art, in der die Opfer … hinterlassen wurden, lässt darauf schließen, dass es derselbe Blutsauger ist.«
Mit hochgezogenen Brauen wartete ich auf weitere Erklärungen.
Charles sprach nun leiser und beugte sich über den kleinen Bistro-Tisch in meine Richtung. »Fünf Opfer in London. Frauen. Völlig ausgesaugt. Die Bauchdecke aufgeschlitzt und die Geschlechtsteile herausgerissen beziehungsweise verstümmelt. In Venedig zwei Opfer – genau dasselbe.«
Ich presste fest die Lippen aufeinander und versuchte, das beginnende Kopfkino zu stoppen. In den letzten Monaten hatte ich so viele schreckliche Bilder gesehen … Tote, lebendig Verstümmelte, Blut. Ich konnte mich sehr genau an die Opfer erinnern: nackte Frauen … eben noch mitten im Leben … nun tot, ihrer Weiblichkeit beraubt … ihr Lebenssaft ausgesaugt. Ihre Eingeweide zur Schau gestellt für den Betrachter.
Just in diesem Moment wurde die Pasta Napoli serviert. O Gott! Nun presste ich die Augen zusammen und summte leise vor mich hin. Nein, nein, alles war gut. Keine Leichen, kein Blut. Nicht jetzt.
Der Kellner erkundigte sich besorgt, ob alles in Ordnung sei, und wurde von Brent beruhigt.
»Kein Problem, ist alles in Ordnung, Signore. Meine Frau leidet nur ein wenig unter Übelkeit.«
Der Italiener machte eine verstehende Miene und bedachte mich mit ausholenden Entschuldigungen. Vermutlich ging er davon aus, dass ich schwanger sei. Freundlicherweise nahm er meine Pasta gleich wieder mit. Wäre ja Verschwendung gewesen, wenn ich als Nächstes direkt auf den Teller gekübelt hätte.
Brents Pizza mit reichlich Thunfisch aber blieb. Als ich die Augen wieder öffnete, konnte ich sehen, wie er herzhaft hineinbiss und mir zuzwinkerte. Blödmann.
Louis beugte sich sehr besorgt zu mir herüber und tätschelte meine Hand. »Ist wirklich alles in Ordnung? Wir hatten ja keine Ahnung … also, dass du … äh …« Ihm fehlten offensichtlich die Worte, und so tat es ein einfaches »Merde!«.
»Nein, ich bin nicht schwanger«, knurrte ich ihn an und warf Brent einen bitterbösen Blick zu. »Und wir sind auch nicht verheiratet.«
Louis und Charles atmeten gleichzeitig erleichtert aus. Dann konnte es ja weitergehen.
»Jedenfalls ist Interpol an der Sache dran«, erklärte Charles.
Brent war in ein tiefes Grübeln verfallen.
Meine Fragen waren aber längst noch nicht alle beantwortet. »Woher habt ihr die Infos aus Venedig? Aus der Zeitung? Oder gibt es hier auch einen Jäger?«
Der englische Vampirjäger schüttelte sein Haupt. »Nein, wir haben einen Kontakt bei der ortsansässigen Polizei.«
»Ah.«
»Ja, von dort haben wir Fotos der Tatorte erhalten. Die Gemeinsamkeiten sind unübersehbar. Es muss derselbe Vampir sein. Ein brutaler Kerl. Vielleicht durchgedreht und absolut süchtig nach Blut. Aber auch gerissen. Wir waren ihm in London so dicht auf den Fersen. Aber er ist uns immer wieder entwischt.« Charles sah mich eindringlich aus blässlich grauen Augen an. »Als wir die anderen Jäger um Hilfe riefen, war es für uns ein großes Glück, dass ihr beide in der Nähe wart.«
Das überraschte mich. »Tatsächlich?« Wir hatten uns in Glasgow aufgehalten und waren dort zufällig auf Detective Inspector Kirk Adams getroffen, der sich ebenfalls als Vampirjäger erwiesen hatte.
Charles beugte sich noch weiter nach vorn. Gleich würde der Tisch umkippen. »Die Gerüchte über deine Fähigkeiten … sind die wahr?«
Ich räusperte mich und warf Brent einen vorwurfsvollen Blick zu. Welche Gerüchte hatte er denn unter den Vampirjägern über mich gestreut?
»Kommt darauf an … Ich kann nicht fliegen, falls du das meinst.«
Charles lehnte sich lachend wieder zurück. »Nein, nein. Aber du hast doch einen Spürsinn für Vampire, oder nicht?«
Mir wurde etwas unwohl in meiner Haut. Ja, ich konnte Vampire erspüren – seit Halloween und unserer Begegnung mit der Vampirprinzessin Aneta in Prag.
Eine weitere Welle der Übelkeit überkam mich.
»Leute«, brachte ich leise hervor. »Wen jagen wir hier? Wie alt ist der Vampir?«
Die drei Herren an meinem Tisch tauschten befangene Blicke. Sie wussten es alle drei!
Ich packte Brent an seinem Oberarm und kniff mit meinen Fingernägeln in seine Haut. »Sag – es – mir!«
»Aua! Lass das!« Er schob meine Hand fort.
Charles kam ihm zu Hilfe: »Er ist mindestens hundertsechsundzwanzig Jahre alt. Wir haben die Fälle verglichen in den Archiven von Scotland Yard. Er muss es sein.«
»Jack the Ripper?«, fragte ich, und meine Stimme drohte zu versagen.
Charles nickte, Louis schürzte offensichtlich beklommen die Lippen, und Brent rückte von mir ab. Gut so, denn ich hatte große Lust, ihn zu schlagen, weil er mir nicht vorher gesagt hatte, auf was wir uns hier einließen.
»Jack the Ripper also.« Ich seufzte. Der berühmteste Killer aller Zeiten … ein Vampir. Und ich sollte ihn finden. Jackpot.
23:33 Uhr.
Die Sonne war bereits vor Stunden untergangen, und kein Vampir weit und breit. Gelangweilt rührte ich mit dem Olivenspieß in meinem Martini. Für eine solch opulente Stadt wie Venedig trieben hier erstaunlich wenige Vampire ihr Unwesen.
Hätte die prächtige Kulisse mit den zahlreichen Touristen nicht ein wahres Paradies für Vampire sein müssen? Oder hatten sie einfach nur vor uns das Weite gesucht? Wie eine Meute Hyänen, wenn sich der Löwe ihrer Beute nähert. Bei diesem Gedanken bekam ich einen trockenen Hals und nahm rasch einen Schluck meines bitteren Cocktails.