Ein licher Dank an Smilla und Ralf Junkerjürgen, Christine Stadler, Wolfgang Ullrich und Annekathrin Kohout.
E-Book-Ausgabe 2021
© 2020 Verlag Klaus Wagenbach, Emser Straße 40/41, 10719 Berlin
Covergestaltung: Studio Jung, Berlin.
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ISBN: 9783803143198
Auch in gedruckter Form erhältlich: 978 3 8031 3709 8
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Durch die Digitalisierung haben Bilder einen enormen Bedeutungszuwachs erfahren. Dass sie sich einfacher und variabler denn je herstellen und so schnell wie nie verbreiten und teilen lassen, führt nicht nur zur vielbeschworenen »Bilderflut«, sondern verleiht Bildern auch zusätzliche Funktionen. Erstmals können sich Menschen mit Bildern genauso selbstverständlich austauschen wie mit gesprochener oder geschriebener Sprache. Der schon vor Jahren proklamierte »Iconic Turn« ist Realität geworden.
Die Reihe Digitale Bildkulturen widmet sich den wichtigsten neuen Formen und Verwendungsweisen von Bildern und ordnet sie kulturgeschichtlich ein. Selfies, Meme, Fake-Bilder oder Bildproteste haben Vorläufer in der analogen Welt. Doch konnten sie nur aus der Logik und Infrastruktur der digitalen Medien heraus entstehen. Nun geht es darum, Kriterien für den Umgang mit diesen Bildphänomenen zu finden und ästhetische, kulturelle sowie soziopolitische Zusammenhänge herzustellen.
Die Bände der Reihe werden ergänzt durch die Website www.digitale-bildkulturen.de. Dort wird weiterführendes und jeweils aktualisiertes Material zu den einzelnen Bildphänomenen gesammelt und ein Glossar zu den Schlüsselbegriffen der DIGITALEN BILDKULTUREN bereitgestellt.
Herausgegeben von
Annekathrin Kohout und Wolfgang Ullrich
Emojis sind allgegenwärtig. Allein auf Facebook werden heutzutage täglich mehr als fünf Milliarden der Bildzeichen verschickt,1 und auch im Twitter- sowie iOS-Emoji-Echtzeit-Tracker sind die Zahlen schwindelerregend.2 Inzwischen kommen sie nicht nur in privaten Nachrichten zum Einsatz, sondern werden auch auf Webseiten und in Werbekampagnen von Firmen und Organisationen benutzt, in Therapie und Beratungsgesprächen verwendet, von Regierungen, wie der finnischen, zum Zweck des Nation Branding eigens entworfen3 und darüber hinaus in popkulturelle Performances, Künste und Literatur eingebunden, wo sich der »Emoji-Code« mit anderen analogen und digitalen Formaten sowohl sprachlicher als auch visueller Sinnproduktion mischt.4
Wann und wie sind Emojis zu dieser weltweiten Popularität gelangt? Vor zehn Jahren noch waren sie kaum jemandem ein Begriff, heute sprechen wir auf Gedeih und Verderb alle Emoji – so der Linguist Vyvyan Evans.5 Welche Entwicklungen stehen hinter ihrer viralen Verbreitung, welche vermögen Emojis selbst herbeizuführen? Haben die nun omnipräsenten bunten Bildzeichen das Potenzial, den lange gehegten Traum einer globalen Sprache zu verwirklichen, oder sind sie doch eher eine ephemere Modeerscheinung, wie es im digitalen All bereits unzählige gab?
Im Moment ist der Siegeszug der Emojis ungebrochen und ihr Verschwinden auf absehbare Zeit höchst unwahrscheinlich. Seit das Unicode-Konsortium – die für die digitale Kodierung von Schriftzeichen und Textelementen zuständige Organisation – 2010 auf Antrag von Google 722 Emojis in die neu erschaffenen Blöcke »Smileys« sowie »Verschiedene piktographische Symbole« aufnahm6 und damit in so gut wie allen Betriebssystemen verfügbar machte, stiegen ihre Sichtbarkeit und Beliebtheit stetig an. Jedes Jahr werden von dem Entscheidungsgremium neue Bildzeichen zugelassen. Im September 2020 waren es bereits 3521 Emojis, von denen 3304 durch alle Standard-Plattformen unterstützt werden.7
Ursprünglich waren Emojis ein Phänomen vor allem jugendlicher Online-Kommunikationskulturen. Ins intellektuelle Bewusstsein gelangten sie 2015, als das Lexikon Oxford Dictionaries, eine weltweite Autorität zu Fragen der englischen Sprache, erstmalig ein Piktogramm – – zum »Wort« des Jahres kürte, auch wenn seine Wahl etwas verlegen in Anführungszeichen stand. In der engeren Auswahl der Jury hatten sich unter anderem noch »Brexit«, »refugee« und »Dark Web« befunden,8 doch entschloss sich die Kommission schließlich, ein positiveres Zeichen zu setzen. Aus ihrer Sicht verkörperte das beliebte Emoji mit Freudentränen9 »das Ethos, die Stimmung und die Sorgen des Jahres 2015« am besten.10 Wie der Präsident der Oxford Dictionaries, Caspar Grathwohl, im Pressegespräch erklärte, stehen Emojis für einen Kernaspekt des Lebens in einer digitalen Welt, die visuell getrieben, ausdrücklich emotional und zwanghaft unmittelbar sei.11
Diese Entscheidung sorgte national wie international für Furore. Selten wurde ein Wort des Jahres so rege diskutiert wie dieses. Wie man darauf reagierte, verriet viel über die persönliche Grundhaltung: »Sie halten es für frevelhaft? – Eindeutig altmodisch. Sie bleiben optimistisch? – Dann verstehen Sie, dass es eine Zeiterscheinung ist. Beschwingt? – Drücken Sie dieses Gefühl doch am besten durch ein oder mehrere Emojis aus – *insert smiley face/halo/heart/etc*«, schrieb das Mode- und Lifestyle-Magazin Vogue.12 Obwohl der Artikel selbst von Emojis keinen Gebrauch machte, ging er dennoch augenzwinkernd von einer nun universellen Übersetzbarkeit des letzten Satzes in aus – was die Legitimität des Oxford Dictionaries-Urteils wiederum hintergründig bestätigte.
Nicht alle reagierten auf diese Nachricht so gelassen wie Vogue. In dem von Oxford Dictionaries gekrönten Emoji sahen viele ein düsteres Warnzeichen für nichts weniger als den Untergang der Zivilisation. »Emojis zerren uns zurück ins finstere Mittelalter«, mahnte beispielsweise der Kunstkritiker Jonathan Jones in The Guardian.13 An sich war diese Polarisierung wenig überraschend. Das Aufkommen und die globale Verbreitung neuartiger Kommunikationsformen und -praktiken spaltet die Welt seit gut zwei Jahrzehnten in »digitale Evangelisten«, die in ihnen ein emanzipatorisches und demokratisches Versprechen für die globale Zukunft sehen, und »digitale Apokalyptiker«, die ihr Augenmerk vor allem auf ihre negativen Auswirkungen richten. Doch im Vergleich zu vielen anderen kontroversen Entwicklungen schien der Siegeszug der Emojis über einzelne Milieu-, Medien- und Ländergrenzen hinweg zudem an einer der Grundfesten der Zivilisation zu rütteln, und zwar an der Schriftlichkeit. In Jones’ Prophezeiung: »nach Jahrtausenden mühsamen Fortschritts vom Analphabetismus zu Shakespeare und darüber hinaus kann die Menschheit es nicht erwarten, sich nun all dessen zu entledigen. Mit einem großen gelben Grinsen in unserem Gesicht steuern wir zurück in die Zeiten des Alten Ägypten, nächste Station: Steinzeit.«14
Diese Polemik ist naturgemäß überspitzt, doch weist sie auf die interessante Frage nach der Einordnung der Emojis innerhalb der Entwicklungsgeschichte menschlicher Kommunikation. Sprache ist angeborener Instinkt und universelles Bedürfnis des Menschen. Einige Forscher*innen gehen sogar davon aus, dass sich Sprache im Sinne der kognitiven Fähigkeit, Realität durch Symbole aufzufassen, früher als das Sprechen selbst entwickelte und ihre ersten Ausdrucksformen neben Gesten und Mimik Piktogramme waren: Zeichen, die Objekte bzw. dingliche Begriffe in vereinfachter graphischer Form darstellen. Die ersten bekannten Schriftsysteme entstanden unabhängig voneinander in mehreren Teilen der Welt und waren ursprünglich alle piktographisch (# 1).
Es blieb allerdings nicht lange bei der Piktographie. Zum einen stießen Bilderschriften bei der Formulierung von komplexen und abstrakten Sachverhalten schnell an ihre Grenzen. Ihr jeweiliges Repertoire musste nach und nach durch Ideogramme erweitert werden, deren Bedeutung im Gegensatz zu Piktogrammen mit dem abgebildeten Objekt nicht identisch ist. Außerdem waren solche Schriftsysteme grundsätzlich wenig ökonomisch, denn jeder Begriff brauchte ein eigenes Bildzeichen. Daher entwickelten sich auf ihrer Basis relativ schnell Silben- und später auch alphabetische Schriften, die nicht mehr dem visuellen, sondern dem phonetischen Prinzip folgten.15 Mithilfe einer vergleichsweise geringen Zahl an Buchstaben – zwischen 11 und 74 in den heutigen alphabetischen Schriftsprachen – konnte nun jede beliebige Äußerung verschriftlicht werden, ganz unabhängig von ihrer semantischen Komplexität oder auch der Sinnhaftigkeit bzw. Realität ihrer Inhalte.
Angesichts der offenkundigen Unzulänglichkeiten piktographischer Schriften erscheint die Emojis entgegengebrachte Skepsis zunächst nachvollziehbar. Da Sprache ihrerseits unser Bewusstsein prägt, wäre der Ersatz von Worten durch diffuse und mehrdeutige Bildzeichen wie nicht bloß zeit- und platzsparend, sondern könnte auch die Motivation zu einer differenzierten Auseinandersetzung mit den eigenen Empfindungen und Gedanken sowie zu ihrer abstrakt-konzeptionellen Präzisierung in Wortform mindern, was zu einem massiven Rückschritt unseres Sprachrepertoires führen und im Umkehrschluss auf eine Verarmung des Selbst- und Weltbezugs des Menschen hinauslaufen würde. »Dummheit war früher eine Panne. Nun ist sie eine Absicht«, echauffierte sich diesbezüglich der Journalist Kyle Smith. »Wie komplex etwas auch sein mag, man reduziert es zu einem winzigen Cartoon«.16
Grundsätzlich sind solche Einwände, die mitunter an die sprachpolitische Newspeak-Dystopie George Orwells denken lassen, nicht von der Hand zu weisen. Dennoch ist es keineswegs so klar, ob die etablierte Schriftsprache den kommunikativen Inhalt bei jedem Sachverhalt wirklich besser zu transportieren vermag. Ein Beispiel führt Smith paradoxerweise selbst an, wenn er gegen die in Schweden entstandenen »abuse emojis« wettert, die Kindern Kommunikation über die erlittene häusliche Gewalt erleichtern sollen. In solchen Situationen können Bildzeichen statt Worte bei der Überwindung der innerpsychologischen Barrieren tatsächlich helfen. Und auch beim Umgehen einer externen Zensur gelangen sie zum Einsatz: So bekennen sich beispielsweise die Nutzer*innen der chinesischen Netzwerke Weibo und WeChat zu der im Land verpönten #MeToo-Bewegung mit der Emoji-Chiffre » « (Reis heißt auf Mandarin mi und Hase tu).17
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