Wenn sie Vampire berührt, kann sie deren Erinnerungen sehen. Als Toni diese Gabe an sich entdeckt, ändert sich ihr Leben schlagartig. Bis dahin lief es alles andere als geplant: Ihr Freund hat sie verlassen, sie hat ihr Studium geschmissen und kommt mit ihrem Job als Barkeeperin gerade so über die Runden.
Doch nun begibt sie sich gemeinsam mit dem amerikanischen Vampirjäger Brent auf die Jagd nach Vampiren durch ganz Europa. Und während sie versucht, hinter das Geheimnis ihrer Kräfte zu kommen, kann sie nicht aufhören an den ersten Vampir zu denken, der ihr je begegnet ist – Finn Mathesson.
Endlich – eine Pause von der Vampirjagd: Toni reist mit Brent nach Spanien, denn ihre Schwester Celia wird heiraten. Doch ihr Bruder Nicolás lässt auf sich warten. Sie erfahren, dass er sich in den letzten Monaten sehr verändert hat und in Madrid in merkwürdiger Gesellschaft aufhält. Toni ahnt Schreckliches. Sie schickt Brent in die spanische Hauptstadt, um Nick zu holen. Wird sich Tonis böse Vorahnung bestätigen?
J.T. Sheridan ist das Pseudonym der Autorin Jessica Bernett. Sie wurde 1978 als Enkelin eines Buchdruckers in Wiesbaden geboren. Umgeben von Büchern und Geschichten entdeckte sie schon früh ihre Begeisterung für das Schreiben. Der Liebe wegen wechselte sie die Rheinseite und lebt heute mit ihrem Mann und ihren Kindern in Mainz. Sheridan hat schon immer davon geträumt, einen Roadtrip durch Europa zu unternehmen und kann dies nun in mit ihrer Heldin Toni in Shadow Hearts ausleben.
Folge 5: Die Wandlung
Toni
Mein Partner schnarchte leise, während ich den VW-Bus über die Landstraße lenkte. Wir hatten Barcelona gerade hinter uns gelassen. Bis zu meinen Eltern war es nun nicht mehr weit. Ich hatte nicht die Autobahn genommen, weil ich möglichst nah am Wasser entlangfahren wollte. Meine Entscheidung wurde mit dem Anblick des blau glitzernden Mittelmeeres bei schönstem Sonnenschein belohnt.
Seufzend konzentrierte ich mich auf die Straße vor mir. Ich war viel zu lange nicht hier gewesen. Nach Venedig hatten wir einen weiteren Notruf erhalten, diesmal aus Wien, dem wir gefolgt waren. Das war auch gut so gewesen, denn ich brauchte Abstand von Venedig und dem, was dort passiert war.
Die Erinnerung an die kleine Jane hallte immer noch in mir nach, doch der Schmerz war nun etwas erträglicher geworden. Dafür war ich nun wütend auf Finn Mathesson. Er war spurlos mit der Kleinen verschwunden, ohne jede Erklärung.
An das Kommen und Gehen des Vampirs hatte ich mich fast schon gewöhnt. Und ich fragte mich, ob wir uns nun öfter sehen würden, da er sogar seine Handynummer hinterlassen hatte. Aber auch über Finn wollte ich in diesen Tagen nicht nachdenken. Ich wollte mich ganz auf meine Familie konzentrieren und freute mich auf eine vampirfreie Zeit.
Schlussendlich war es eine E-Mail meiner Schwester gewesen, die mich nun nach Spanien und zu meiner Familie zurückbrachte. Celia würde heiraten. Der Gedanke erfüllte mich mit Wärme und zauberte mir ein Lächeln auf die Lippen. Wenigstens sie konnte ein normales Leben führen, und ich freute mich ungemein, ein paar Tage ebenfalls ein normales Leben zu führen.
Das Radio rauschte und lenkte meine Aufmerksamkeit kurz auf sich. Ich suchte einen neuen Sender und landete bei Blue Hotel von Chris Isaak, herrlich entspannend zum Autofahren. Leise sang ich mit und genoss die Vorfreude, bald wieder meine Familie in die Arme zu schließen.
Brent gähnte und streckte sich im Beifahrersitz. »Wow, wie lange habe ich geschlafen?«
»So lange, dass wir nun am Meer sind«, erklärte ich grinsend und sang noch etwas lauter mit.
Mein Partner brummte und lockerte seine Schultern.
»Was denn, findest du nicht, dass ich Gesangstalent habe?« Ich wusste, dass ich keine gute Sängerin war, aber ich liebte es, beim Autofahren mitzusingen.
»Babe, du hast viele Talente.« Er grinste schief und verzog entschuldigend den Mund.
»Schon klar, Singen gehört nicht dazu.« Mit Absicht sang ich noch etwas lauter, und Brent stimmte mit ein.
Dass seine Stimme der von Chris Isaak ähnelte, ließ mich gesanglich nicht unbedingt besser dastehen, aber zu zweit zu singen war noch spaßiger.
»Oh, hier müssen wir abfahren.« Es war mir noch rechtzeitig eingefallen. Beinahe hatte ich das Schild übersehen, das zu dem Anwesen meiner Eltern führte.
Die schmale Straße schlängelte sich einen Berg hinauf, und dann führte eine Einfahrt rechts zu dem Haus, das meine Eltern vor ein paar Jahren gekauft hatten, um daraus eine Pension zu machen.
»Wow!« Brent staunte, als ich das Auto auf einem der Parkplätze abstellte. »Du hast mir nicht gesagt, dass deine Familie in einem Schloss wohnt!«
»Das ist doch kein Schloss.« Ich lachte. »Das ist nur eine Finca.«
Wobei die runden Türmchen rechts und links des Gebäudes schon ein wenig an ein kleines Schloss erinnerten. Ich stieg aus und streckte meine von der Fahrt verspannten Glieder, wobei ich mich umdrehte und die Aussicht genoss. Der Parkplatz selbst wurde von mehreren Büschen eingegrenzt, doch dahinter blitzte das Blau des Mittelmeeres hervor. Ein Lufthauch fegte über uns hinweg und spielte mit einer meiner Haarlocken, die ich mir mit beiden Händen aus dem Gesicht hielt, damit ich noch etwas sehen konnte.
»Meine Güte, ist das etwa mein Kind?«
Mein Herz raste, als ich die Stimme meiner Mutter vernahm. Sie stand auf der Veranda vor dem Haupteingang und hatte die Hände in die Hüften gestemmt. Ihre blauen Augen blitzten vergnügt, und ihre braunen Locken wurden ebenso durcheinandergewirbelt wie mein Haar eben. Ihre Kurven waren etwas kurviger geworden, doch ihr Gesicht sah genauso weich und zart aus, wie ich es in Erinnerung hatte.
»Mama«, rief ich seufzend, rannte auf sie zu und landete in ihrer warmen Umarmung.
Für einen Moment war es wie früher – wenn ich vom Spielen heimkam und mir das Knie aufgeschlagen hatte. Nur hatte ich mir diesmal nicht das Knie aufgeschlagen, sondern steckte in einer brutalen Welt voller Blut und Tod. Am liebsten hätte ich geweint. Selbst ihr Duft erinnerte mich an meine unbeschwerte Kindheit. Sie benutzte noch immer L’heure bleue von Guerlain.
»Toni«, flüsterte sie und schmiegte ihre Wange an meinen Schopf. Sie war ein wenig kleiner als ich, aber ich hatte mich an sie gekuschelt wie ein Kleinkind. »Es tut so gut, dich wiederzuhaben.«
Ich nickte, schniefte und richtete mich auf, damit ich meine Mama genauer ansehen konnte. An ihren Augen und Mundwinkeln entdeckte ich zarte Fältchen, die ihr gut standen. Meine Mama liebte es zu lachen.
Dann fiel ihr Blick über meine Schulter zu meinem Begleiter.
Dieser war ausgestiegen und stand etwas verlegen neben unserem VW Bus.
»Und du bist dann wohl Brent«, bemerkte meine Mutter und löste sich von mir, um auf ihn zuzugehen. In ihrer warmen, mütterlichen Art zog sie ihn sofort in ihre Arme. »Freut mich, dich kennenzulernen.«
»Freut mich ebenso, Frau Martinez.« Er hatte Deutsch gesprochen, was meine Mum freudig auflachen ließ. »Nenn mich doch bitte Caro, sonst komme ich mir so alt vor.«
Mein Vater trat durch die Tür und wischte seine Finger an der geblümten Schürze ab. Er hatte also gerade in der Küche gekocht. »Dios mío! Meine Tochter!«
»Mein Papa!«, rief ich erfreut und flog auch in seine Arme.
»Vorsicht, mi corazón, ich bin voller Tomatensauce.«
»Ich liebe Tomatensauce!« Jetzt fühlte ich mich wirklich wie das kleine Mädchen, das ich einst gewesen war, als ich meinem Papa in der Küche beim Kochen zugesehen hatte. »Was kochst du Feines?«
Er war nur wenig größer als ich, doch wenn sich seine starken Arme um mich legten, fühlte ich mich herrlich beschützt. »Batatas com tomate. Hast du Hunger?«
»Jaaa.« Ich freute mich schon auf den herrlichen Geschmack der Kartoffeln, die in Tomatensauce gekocht wurden. Ein einfaches Rezept, aber mein Papa schaffte es, dass es himmlisch schmeckte. Ich erinnerte mich an meinen Partner und löste mich aus der Umarmung. »Papa, das ist Brent. Brent, das ist mein Papa, Carlos Castillo Martinez.«
Brent trat an meine Seite und reichte meinem Vater die Hand. Doch der ließ es sich nicht nehmen, meinen Freund kurz zu umarmen.
»Willkommen in der Familie, mein Sohn.«
Ich lief rötlich an, weil mir die Hitze ins Gesicht stieg. »Papa, wir sind nur Freunde.« Ich hatte während des Telefonats, in dem ich unser Kommen ankündigte, ziemlich deutlich gemacht, dass Brent und ich kein Liebespaar, sondern quasi Arbeitskollegen waren.
»Na und? Einen Freund, der so tüchtig auf meine Tochter aufgepasst hat, werde ich doch wohl ›Sohn‹ nennen dürfen?« Papas Stimme klang ein wenig vorwurfsvoll, und ich hob entschuldigend die Schultern und sah in Brents Richtung.
»Vielen Dank, Señor.«
»Kommt rein«, bat meine Mutter. »Lasst euch verwöhnen, erzählt, was ihr erlebt habt. Euer Gepäck könnt ihr auch noch später holen.«
»Wo sind denn die anderen?« Ich wunderte mich, als wir das große Haus betraten.
Die Wände des Eingangsbereichs waren weiß getüncht, die Rattanmöbel verbreiteten Gemütlichkeit. Es roch ein wenig nach dem Essen aus der Küche und den Lieblingsduftkerzen meiner Mutter.
»Am Strand«, erklärte sie. »Sie wollten noch ein wenig die Sonne genießen, wenn das Wasser natürlich auch noch zu kalt ist, um darin zu schwimmen.«
»Nicht alle«, fügte mein Vater hinzu. »Deine Nana ist im Salon. Möchtet ihr sie begrüßen?«
»Nana ist hier?« Sofort schlug mein Herz schneller. Ich hatte gehofft, meine spanische Omi auf der Hochzeit meiner Schwester zu treffen. Dass ich ihr jetzt schon begegnen durfte, freute mich sehr.
Papa nickte. »Sie wird wohl auch eine Weile bleiben. Das Alleinsein behagt ihr nicht mehr, und sie hat endlich auf mich gehört, sodass sie bei uns wohnen wird. Platz genug haben wir allemal, auch wenn bald die ersten Feriengäste kommen.«
Nana hatte weiterhin an der Nordküste Spaniens gelebt, wie auch ihre Vorfahren schon seit Ewigkeiten. Mein Vater war dort geboren worden. Doch er hatte sich bei seiner Rückkehr aus Deutschland für das Mittelmeer und gegen die Atlantikküste entschieden.
Rasch nahm ich Brent bei der Hand. Es hatte einen besonderen Grund, weshalb ich mich so über Nanas Anwesenheit freute. In erster Linie natürlich, weil ich meine Großmutter seit langer Zeit nicht gesehen hatte. Doch ich hoffte auch, dass sie mir mehr über unsere Familiengeschichte erzählen konnte … und dass ich somit dem Geheimnis meiner besonderen Fähigkeiten weiter auf die Spur kam.
Der Salon befand sich auf der Meerseite gelegen, und von ihm aus konnte man den Wintergarten sowie eine weitere Terrasse und den großen Garten betreten.
»Und das hast du mir die ganze Zeit vorenthalten?«, raunte Brent mir zu, während er den terrakottafarben getünchten Raum und die Aussicht bewunderte.
»Hmm, ja.« Ich ging nicht weiter auf seine Stichelei ein.
Auf einem Schaukelstuhl aus Holz saß meine Großmutter, eine Brille weit vorn auf der Nasenspitze und ein Rätselheft auf dem Schoß, das sie stirnrunzelnd betrachtete.
Für einen Moment dachte ich, sie hätte unser Erscheinen gar nicht bemerkt. Doch dann brummte sie etwas auf Spanisch, das sich anhörte wie auf Deutsch: »Wer denkt sich solche Rätsel nur aus? Das kann doch keiner lösen!«
Sie hob den Blick und winkte mich herbei. »Antonia, mein Kind, komm her und sag mir, welches Wort da hineingehört.«
Ich hob amüsiert die Brauen und blickte in Brents Richtung, bevor ich mich an Nanas Seite kniete und das Heft anschaute. Fahrgerät mit zwei Rädern, zweiter Buchstabe war ein i, der letzte ein a. »Bicicleta.«
»Ganz sicher?« Sie zählte die Kästchen ab, wobei sich ihre Lippen bewegten. »Oje, dass mir so was nicht selbst einfällt. Ich werde wirklich alt.« Rasch kritzelte sie die Buchstaben in die Kästchen, und ihre Schrift war klar und deutlich wie eh und je.
»Du bist doch nicht alt, Nana.«
Sie tätschelte meine Hand, und erst jetzt lächelte sie und setzte die Brille ab. »Endlich bist du hier.«
Ich nickte. »Und sieh doch, ich habe einen Freund mitgebracht.«
Ihre braunen Augen leuchteten auf. »Oh, ein wirklich hübscher Mann. Ich hoffe, er ist dein Freund. Bitte enttäusch mich nicht.«
Meine Wangen glühten, und ich hoffte, dass Brents Spanischkenntnisse nicht ausreichten, um alles zu verstehen, was sie gesagt hatte. »Ein Freund, Nana. Ein sehr guter.«
Sie schürzte die Lippen und musterte ihn von oben bis unten. »Schade, ein wenig zu jung für mich.«
Ich lachte leise. »Aber nur ganz wenig.«
Brent stand etwas verlegen im Salon, und ich winkte ihn herbei.
»Meine Oma freut sich sehr, dich kennenzulernen«, übersetzte ich frei.
Nana streckte die Hand nach ihm aus und ließ es sich nicht nehmen, seinen muskulösen Oberarm zu tätscheln. »Ein guter Junge. Ich sehe es in seinen Augen.«
»Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen«, erklärte Brent auf Englisch.
Nana legte den Kopf schief. »Wir müssen ihm nur noch Spanisch beibringen.«
»Das bekommen wir hin«, versprach ich amüsiert.
Vater rief uns zum Essen. Brent und ich stützten meine Großmutter rechts und links, damit sie aufstehen konnte. Sie schien es zu genießen, von uns beiden so umsorgt zu werden, denn sie sah strahlend von Brent zu mir und wieder zurück.
Ich versuchte indes, mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr mich ihre Gebrechlichkeit bekümmerte. Sie war eine stolze Frau gewesen, die in einem Dorf nahe Santiago de Compostela in ihrem eigenen Haus lebte, zwei Kinder großzog und von allen Bewohnern geachtet wurde. Wenn jemand Rat brauchte, ging er zu meiner Nana. Sie war die gute Seele des Dorfes gewesen.
Jetzt war es Zeit, dass sie sich zurücklehnte und umsorgen ließ, wie sie früher alle anderen umsorgt hatte. Und wo ging das besser als unter dem Dach ihres Sohnes am sonnigen Mittelmeer?
Der große Küchentisch war bereits gedeckt, und Mama half Papa, das Essen zu servieren. »Möchte jemand Wein oder lieber Bier?«, fragte sie in die Runde.
»Sehr gerne ein Bier, du auch, Brent? Wir müssen heute ja nicht mehr fahren.« Wir würden sehr lange nicht mehr fahren. Und das fühlte sich gut an.
»Wer ist denn schon alles angereist?«, erkundigte ich mich beim Essen.
Tatsächlich waren noch nicht viele Verwandte hier, denn die Hochzeit sollte erst in zwei Wochen stattfinden. Außer meiner Schwester und ihrem Zukünftigen war lediglich Celias Trauzeugin hier.
»Und Nick?«, hakte ich überrascht nach. Ich hätte gedacht, mein Bruder würde ebenfalls ein wenig früher kommen. Für ihn war die Anreise ein Katzensprung, da er in Barcelona studierte.
Meine Mutter winkte ab. »Er hat noch so viel für die Uni zu tun. Aber er kommt in etwa drei Tagen.« Doch ein Schatten hatte sich auf ihr Gesicht gestohlen, und ich runzelte die Stirn. Machte sie sich Sorgen um meinen kleinen Bruder?
Ich beschloss, sie später noch mal zu fragen, wenn wir unter uns waren.
Papa jedenfalls war gerade in ein intensives Gespräch mit Brent vertieft, in dem es – wenig überraschend – um das Thema Bier ging.
Wenig später hörten wir Geräusche von draußen, und meine Schwester kam in Begleitung eines Mannes und einer jungen Frau hereingestürmt.
Celia war schon immer voller Elan und Lebensfreude gewesen, daran hatte auch die bevorstehende Hochzeit offenbar nichts geändert.
»Toooniii!«, rief sie begeistert aus und ließ ihre Strandtasche auf den Boden der Küche fallen. Ich befand mich sofort in einer heftigen Umarmung. Ihre nassen Locken kitzelten meine Wangen.
»O Gott«, keuchte ich. »Warst du etwa schwimmen?«
»Ich konnte nicht widerstehen! Es war ein wenig kalt, aber herrlich! Zumindest für fünf Minuten, danach habe ich mir fast den Hintern abgefroren.« Ihre blauen Augen blitzten vergnügt.
Sie trat einen Schritt zurück und betrachtete mich grinsend. »Gut siehst du aus. Das Leben auf der Straße tut dir überraschend gut. Ist das dein Bus da draußen? Gefällt mir. Hat was vom Hippie-Leben, von dem wir als Kinder träumten. Oh, Papa, tut mir leid, dass wir zu spät zum Essen kommen.« Erst jetzt holte sie Luft, und ihr Blick fiel auf den Mann, der neben unserem Vater saß. »Oh, là, là, das ist dann wohl der geheimnisvolle Brent, der meine Schwester zu einem Abenteuer durch ganz Europa überreden konnte?«
Er erhob sich lächelnd und nickte. »So ist es. Du bist dann wohl Celia?«
Meine Schwester warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu. »Du hast nicht erwähnt, wie heiß dein Kumpel aussieht.«
Ihr Verlobter, der in der Tür zur Küche stehen geblieben war, räusperte sich. Auf seinem dunklen Gesicht jedoch zeigte sich ein amüsierter Ausdruck. »Liebling, möchtest du uns nicht vorstellen?«
Und so begann eine neue Vorstellungsrunde. Celias baldiger Ehemann Leon kam aus Cadíz, seine Eltern waren vor seiner Geburt aus Namibia eingewandert, er hatte in Madrid Medizin studiert und nun an der Uni von Barcelona einen Forschungsauftrag erhalten. Papa schwoll vor Stolz die Brust, als er noch betonte, dass sein zukünftiger Schwiegersohn ein echter Doktor werden würde. Meine Schwester rollte dabei mit den Augen, denn sie selbst schrieb ebenfalls an ihrer Doktorarbeit, aber eben in Kunstgeschichte, und das ließ Papa nicht gelten.
Die Frau, die die beiden zum Strand begleitet hatte, war Celias Trauzeugin und beste Freundin aus Studientagen, eine zarte Engländerin namens Mary. Ihr rotes Haar leuchtete im Licht der untergehenden Sonne, das durch das Fenster fiel.
Sie war eher still, doch sobald Brent etwas sagte, leuchteten ihre Augen, und ihre Wangen färbten sich rosa. Sie schien wirklich nett zu sein, sonst wäre sie auch nicht die beste Freundin meiner Schwester geworden.
Bald schwang Papa wieder den Kochlöffel, beziehungsweise tobte sich mit Gewürzen und Gemüse an zwei Brathähnchen aus, die er für das Abendessen in den Ofen schieben wollte, weshalb wir aus der Küche gescheucht wurden.
Später am Abend, wir hatten gut gegessen und waren nun zu einem kräftigen Rotwein übergegangen, nahm mich meine Schwester zur Seite. »Komm, Kleine, ich zeig dir die neueste Anschaffung unserer Eltern.«
»Jetzt bin ich gespannt.« Ich gluckste und ließ mich auf die Terrasse führen. Da die Sonne untergegangen war, frischte es nun auf.
Celia hakte sich bei mir unter und schlenderte mit mir durch den Garten. Ich vernahm den Duft der Kräuter, die mein Papa angepflanzt hatte, und über uns breitete sich der Sternenhimmel aus.
»Du und Brent, ihr seid also wirklich nicht zusammen?«, hakte sie nochmals nach.
»Wieso fragt uns das dauernd jeder?« Ich nippte an dem Rotweinglas, das ich mit nach draußen genommen hatte.
»Weil ihr sehr vertraut wirkt.«
»Wir kennen uns seit über einem Jahr«, erklärte ich etwas pikiert.