Fantasy-Thriller
Irgendwo in Dresden:
Eva erwacht in einem strahlend weißen Raum.
Sie ist nackt, gefesselt, hat keine Erinnerung an das, was passiert ist.
Sie weiß nur, dass sie sich in der Gewalt des Babymachers befindet – einem Psychopathen, der Frauen entführt und auf brutale Weise schwängert. Auch Eva spürt, dass in ihrem Bauch etwas heranwächst. Etwas Böses, das kein Mensch ist und zu ihrem Todesurteil werden wird, wenn sie es nicht bekämpft.
Zur gleichen Zeit erfährt die Ärztin Julia Reinhardt, dass ihr Freund ermordet wurde. Durch Zufall entdeckt sie, dass er einer geheimen Forschungsreihe auf der Spur war. Dem Fantom-Projekt, bei dem Kinder mit übermenschlichen Fähigkeiten gezüchtet werden. Julia beginnt ihre eigenen Ermittlungen und stößt dabei auf immer mysteriösere Hinweise. Sie kann nicht ahnen, dass sie längst selbst in das Visier des Babymachers geraten ist – und ebenfalls seine teuflische Brut austragen soll.
Schon bald finden sich Eva und Julia in einem Albtraum wieder, ohne zu wissen, wer noch ihr Freund und wer Feind ist. Denn der Babymacher besitzt hundert Gesichter. Und er ist nicht allein ...
Thomas Paul, Jahrgang 1980, lebt und arbeitet in der Nähe von Stuttgart. Er schreibt nicht nur Fantasy-Romane und Thriller für Erwachsene, sondern auch Jugendbücher.
Mehr Infos über seine neuesten Projekte finden Sie auf seiner Homepage.
E-Mail: thomaspaul-autor@web.de
Internet: thomaspaul-autor.de
Weiß.
Als sie aus ihrem traumlosen Schlaf erwachte, war die Welt so farblos, als wäre sie eben erst erschaffen worden. Der Boden. Die Wände. Die Decke. Ja selbst ihr Bewusstsein ... alles erstrahlte in einem solch lupenreinen Weiß, dass es nahezu in den Augen schmerzte. Wo bin ich?, fragte sie sich. Der Gedanke sickerte wie ein Öltropfen durch ihren Kopf und schmierte das rostige Uhrwerk darin, das während ihres Schlafs zum Stillstand gekommen war. Denn nach und nach setzten sich all die vielen Zahnrädchen in Bewegung und förderten weitere Fragen aus den Untiefen ihres Gedächtnisses herauf. Was ist passiert?, lautete eine davon. Warum habe ich geschlafen? WER ZUM TEUFEL BIN ICH ÜBERHAUPT? So unglaublich es klang: Sie konnte sich tatsächlich nicht an ihren eigenen Namen erinnern. Ihr gesamtes Bewusstsein war und blieb so leer wie ein unbeschriebenes Blatt Papier. Da gab es nicht die kleinste Erinnerung, ja noch nicht mal ein Gefühl in ihrem Kopf. Nur dieses strahlende, fast schon lästige Weiß.
Mühsam richtete sie sich auf.
Das hieß: Sie gab zumindest ihr Bestes, aber sie musste den Versuch noch im Ansatz abbrechen. Aus ihren Armen und Beinen war jegliche Kraft gewichen, und der Rest ihres Körpers schien sich in einen Zementklotz verwandelt zu haben. Mit viel Anstrengung gelang es ihr jedoch, den Kopf ein winziges Stück zu bewegen, auch wenn er sich ebenfalls so schwer und taub wie eine Bleikugel anfühlte.
Langsam streunte ihr Blick durch die Umgebung.
Vor ihren Augen hing ein zäher Tränenschleier, sodass sie mehrmals blinzeln musste, um ihn zu vertreiben. Aber selbst danach blieb ihre Welt, was sie war: eine weiße Wüste ohne einen einzigen Farbtupfer, ohne Identität, ohne Anhaltspunkt darauf, was geschehen war. Oder wie ihr gottverdammter Name lautete!
Immerhin klarte ihre Sicht so weit auf, dass sie zumindest erkennen konnte, wo sie sich befand. Über ihr wölbte sich eine fünf oder sechs Meter hohe Decke von einer Seite zur anderen. Sowohl sie als auch der Boden und die Wände waren mit weißen Kacheln gefliest. Einige davon hatten ihren Glanz verloren oder einen Sprung bekommen, und die Fugen bröselten wie Sand auseinander. Am höchsten Punkt der Decke brannten überdies ein Dutzend Neonlampen. Ihr grelles Licht ätzte genauso in den Augen, wie es dieses unerträgliche Weiß tat.
Ein Keller, dämmerte es ihr. Wer immer sie auch war. Ist das ein Keller?
Die Zahnrädchen in ihrem Kopf ratterten einen Takt schneller und suchten bereits nach einer Erklärung für die nächste Frage, die aus ihrem Gedächtnis emporsprudelte: Was mache ich in einem Keller?
Sie wusste es nicht.
Sie war noch viel zu erschöpft, um es auch nur zu raten.
Aber die Entdeckung ermutigte sie dazu, sich noch weiter umzuschauen und neue Puzzlestücke für ihre Erinnerungen zu sammeln. Allzu weit kam ihr Blick jedoch nicht. Er wurde links und rechts von zwei Vorhängen begrenzt. Und auch vor ihr gab es einen ähnlichen Sichtschutz aus dünnem, weißem Stoff, der von einer Gardinenstange herunterhing.
Sie war eingesperrt.
In eine kaum neun Quadratmeter kleine Zelle.
Vielleicht hätte sie sich darüber gewundert ... wenn da nicht etwas anderes gewesen wäre, das sie noch viel mehr irritierte. Denn sie lag nicht etwa in einem Bett, sondern auf einem Gynäkologenstuhl, wie beim Frauenarzt. Ihre Beine ruhten in Plastikschienen und waren so weit gespreizt, dass sich in ihrem Becken ein leichter Muskelkater eingenistet hatte. Mit ihren Armen verhielt es sich ähnlich. Auch sie lagen auf zwei Lehnen, die wie bei einer Kreuzigung seitlich von dem Stuhl abstanden. Seltsamerweise waren alle ihre Gliedmaßen fixiert. Mit breiten Lederriemen, die so fest um ihre Arme und Beine gezurrt waren, dass jeder Pulsschlag darunter schmerzhaft in den Adern pochte.
Und sie war nackt.
Splitterfasernackt.
Warum bin ich nackt?, fragte sie sich mit aufkeimender Besorgnis. Sie winkelte ihren Kopf noch ein Stückchen höher und betrachtete ihren Körper. Nirgendwo konnte sie eine Verletzung entdecken; nirgendwo gab es eine Schnittwunde, eine Beule oder gar Blut. Ganz im Gegenteil, ihre Haut hatte sich wie die eines Chamäleons an die Umgebung angepasst und war so blass geworden, dass sie beinahe unsichtbar wirkte. Ihre Brüste sahen ein bisschen abgemagert aus und wabbelten bei jedem Atemzug wie Eidotter auf ihrem Oberkörper umher. Das Piercing an ihrem Bauchnabel glänzte verführerisch und ihre Vagina stand einladend offen (aber sie fühlte sich schrecklich trocken an). Die einzigen Farbtupfer auf ihrer Haut waren lediglich die Druckstellen, die von den Lederriemen stammten. Manche davon schimmerten zartrosa. Einige hatten sich jedoch auch schon blau oder grün verfärbt. Und wenn sich diese Fesseln nicht bald lockerten, würde die Haut darunter noch schwarz werden. Oder absterben.
Trotzdem beschäftigte sie sich mit alledem nur am Rande. Denn da gab es eine Frage, die immer lauter durch ihren Verstand trommelte:
WARUM BIN ICH NACKT?
Wobei ... genau betrachtet war sie gar nicht komplett nackt.
Ein winziger Teil ihres Körpers war durchaus bedeckt. An ihrem rechten Fuß hing nämlich ein Zettel, der mit einem Bindfaden an ihren großen Zeh geknotet worden war. EVA-86, stand mit einer Schablonenschrift darauf.
Eva-86?, stutzte sie. Ist das mein Name?
Sie lauschte in sich hinein, doch ihr Gedächtnis war noch viel zu weiß, um eine befriedigende Antwort darauf zu finden. Sie spürte allerdings intuitiv, dass dieser Name nicht ihr gehörte. Kein Mensch hieß Eva-86! Was sollte die 86 auch bedeuten? Eine Personalnummer? Oder ihr Geburtsjahr? Wenn das stimmte; wenn sie 1986 geboren wurde, dann müsste sie jetzt ... wie alt sein? Achtundzwanzig? Dreißig? Fünfunddreißig? Herrgott, welches Datum war heute? Welches Jahr? Wie lange hatte sie geschlafen? Und was war in dieser Zeit geschehen? Mit ihr und der Welt?
Sie spürte, wie sie unter der Flut dieser Fragen langsam ertrank.
Bleib ruhig. Du darfst dich jetzt nicht unter Druck setzen. Musst dich schonen, deine Sinne ordnen, deine Kräfte sparen. Wer weiß, wozu du sie noch brauchen wirst ...?
Ihr Blick verharrte auf dem Zettel.
Nun gut, seufzte sie in Gedanken. Ich heiße Eva.
Sie beschloss, dieses Pseudonym anzunehmen, bis sie sich wieder an ihren wahren Namen erinnern konnte. Auch wenn das vielleicht nie der Fall sein würde. Denn je länger sie auf dem unbequemen Stuhl lag und sich umsah, desto weißer schien ihr Gedächtnis zu werden. Als würde ein Radiergummi alle Erkenntnisse sofort wieder aus ihrem Kopf löschen, die Eva gerade so mühselig zusammengestochert hatte. Sie fühlte sich seltsam benommen, fast wie betrunken, und wäre vermutlich gleich wieder eingeschlafen. Doch plötzlich hallte ein Geräusch durch den Raum.
Ein unheilvolles Zischen.
Achrrr!
Eva stockte und richtete sich so weit auf, dass ein scharfer Schmerz durch ihre Gelenke peitschte. Sie nahm darauf jedoch keine Rücksicht. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt diesem Zischen, das von allen Seiten widerhallte.
Achrrr!
Es kam und ging in regelmäßigen Abständen. Wie ein Atmen.
Ein überaus schweres Atmen, wohl bemerkt. Nicht von jemandem, der nur außer Puste geraten war oder an einer Bronchitis litt. Nein, dieses Atmen hatte beinahe mechanische Züge, wie das von einer Maschine.
Achrrr! Achrrr! Achrrr!
Das Echo machte es Eva unmöglich zu bestimmen, aus welcher Richtung diese Atemgeräusche kamen. Doch sie waren nahe. Sehr nahe. Und sie klangen keineswegs freundlich, sondern irgendwie ... brutal, kalt, vielleicht auch hungrig.
Achrrr!
Das Atmen ertönte noch einmal.
Links von dir!
Dann brach es schlagartig ab.
Eva fuhr so hektisch herum, dass der Gynäkologenstuhl ächzte. Ihr Blick erfasste für einen Sekundenbruchteil einen Schatten, der sich hinter der Stoffwand bewegte ... und sich wie ein Tintenfleck darin auflöste. Trotzdem starrte Eva den Vorhang auch weiterhin an und versuchte, ihn mit all ihren Sinnen zu durchleuchten. Sie konnte natürlich nicht das Geringste sehen, aber sehr wohl hören. Denn die Welt um sie herum gewann immer mehr an Tiefe und Profil. Irgendwo jenseits der Stoffwand raschelte eine Hose. Das Ziepen eines Reißverschlusses erklang. Jemand wimmerte. Stöhnte verhalten. Wehrte sich. Hatte Schmerzen. Und schließlich hallte ein Quietschen durch den Raum. Ein schrilles Quiep-Quiep-Quiep; ähnlich wie jenes, das Eva soeben mit ihrem Stuhl verursacht hatte. Es kam und ging in ruckartigen Stößen.
Eva wusste nicht wieso, aber dieses Quietschen beunruhigte sie.
Quiep-Quiep-Quiep.
Weil es wie der Takt eines Verbrechens klang.
Quiep-Quiep-Quiep.
Eva konnte dieses Geräusch nicht mehr länger ertragen. Es bohrte sich mit seinen spitzen Tönen bis in ihren Kopf, sägte an ihren Knochen, folterte sie mit der Gewissheit, dass gerade irgendwas Abscheuliches hinter der Stoffwand geschah. Etwas, das vielleicht auch ihr bald zustoßen würde ...
Sie hätte gerne die Hände vor die Ohren geschlagen, damit sie dieses nervtötende Quietschen (und das Wimmern) nicht mehr mit anhören musste. Doch sie konnte nur den Kopf auf die andere Seite drehen, die Augen schließen und sich mit einem schönen Gedanken ablenken. Wenn Eva nur einen gehabt hätte! In ihrem Gedächtnis gab es nun mal nichts, außer dieses kahle Weiß ... und das Quietschen.
Quiep-Quiep-Quiep.
Es hielt noch eine ganze Weile an; steigerte sich immer schneller seinem Höhepunkt entgegen.
Quiepquiepquiep.
Dann brach es ebenfalls ab. So wie das Atmen.
Eine drückende Stille breitete sich in dem Raum aus und bäumte sich wie ein gläsernes Monster immer weiter über Eva auf. Nur das Wimmern quälte sich noch manchmal bis zu ihr herüber. Leise und abgehackt, aber unendlich schmerzvoll.
Eva presste ihre Augen noch fester zusammen, um endlich einzuschlafen. Doch sie konnte es nicht, trotz ihrer Müdigkeit. Und so musste sie sich irgendwann wieder jenen Dingen stellen, die da rings um sie herum lauerten.
Weiß.
Als sie ihre Augen zaghaft öffnete, war die Welt noch immer schrecklich weiß.
Doch plötzlich gab es da etwas, dem Eva noch gar keine Beachtung geschenkt hatte: Neben ihr stand ein Infusionsständer, wie man ihn in einem Krankenhaus verwendete. An seinen Haken hingen mehrere Plastikbeutel. Zwei davon waren mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt; der dritte beinhaltete jedoch eine grüne Substanz, die nicht nur giftig aussah, sondern es sicherlich auch war. Denn bei jedem Tropfen, der aus diesem Beutel sickerte, nahm die Leere in Evas Kopf merklich zu, als wäre diese Substanz das pure Vergessen. Alle drei Beutel waren mit einem Schlauch verbunden, der abwärts zu Eva führte. In ihrem rechten Handrücken steckte eine Infusionsnadel. Sie war mit einem Pflaster fixiert worden, damit sie nicht herausrutschen konnte, und brannte höllisch in der Vene. Offenbar pumpte diese Nadel schon seit geraumer Zeit all diese Flüssigkeiten in ihren Körper. Um ihn mit Nährstoffen zu versorgen. Um sie zu heilen oder ruhigzustellen.
Vielleicht aber auch, um mich sukzessive zu töten.
Evas Herz trommelte ein bisschen heftiger.
Heftig genug, dass es hinter ihr, an der Wand, einen Alarm gab.
Biep! Biepbiep!
Vermutlich war es ein EKG-Gerät, das ihre Vitalfunktionen überwachte. Das würde auch erklären, weshalb an ihrem Zeigefinger ein Pulsoximeter hing, das jede noch so winzige Unregelmäßigkeit bei ihrer Herzfrequenz sofort an das Gerät meldete. Biep! Biepbiep! Wieder so ein Geräusch, das Eva den letzten Nerv raubte. Und ihr wenige Sekunden später zum Verhängnis wurde. Denn es irrte weit in den Kellerraum hinaus ... und alarmierte irgendwo diesen Schatten.
Achrrr!, ertönte sein schweres Atmen.
Eva wurde heiß und kalt zugleich.
Halt die Klappe!, beschwor sie das EKG. Doch es piepte munter weiter. Natürlich piepte es, denn Evas Herz schlug jetzt immer hektischer; witterte eine Gefahr, die genau auf sie zukam. So, wie dieses Atmen. Es streifte hinter der Stoffwand entlang; war keine vier, fünf Meter mehr von ihr entfernt.
Achrrr!
Hinter dem Vorhang tauchte wieder der Schatten auf. Er besaß zwei Arme und Beine sowie einen athletischen Körper. Aber sein Kopf war seltsam deformiert. Mit Beulen, Runzeln und riesigen Augen, wie die eines Insekts.
Wer ist das?, fragte sich Eva. WAS ist das?
Im selben Moment kam sie jedoch zu der Überzeugung, dass sie es gar nicht wissen wollte. Wer immer dieser Schatten auch war, er strahlte etwas durch und durch Böses aus, dem sie nicht begegnen wollte. Deshalb versuchte sie jetzt umso verzweifelter, ihr Herz irgendwie zu beruhigen. Sie hielt den Atem an und verkrampfte die Brustmuskeln, aber ihr Puls hämmerte unablässig weiter mit Hochdruck durch ihre Adern. Und das Oximeter verpetzte jeden einzelnen Schlag sofort an das EKG.
Biep! Biepbiep!, sang es in den hellsten Tönen.
Sei ruhig! Bitte sei endlich ...
Eva würgte den Rest des Gedankens einfach ab.
Der Schatten hob nämlich seine Hand und streifte den Vorhang an ihrer Zelle einen Spaltbreit zur Seite. Dahinter tauchte ebenfalls etwas Weißes auf. Etwas, womit Eva am allerwenigsten gerechnet hätte: ein Arztkittel!
Durch den Spalt trat tatsächlich ein Doktor herein.
Er wirkte etwas kleiner, als es sein riesenhafter Schatten vermuten ließ, aber er war immer noch groß genug, um die meisten Menschen zu überragen. Seine Schuhe, die Hose und der Kittel waren lupenrein sauber; fast steril. Aus der Brusttasche ragte das obligatorische Stethoskop, wie es die meisten Männer seiner Zunft bei sich trugen. Und aus den beiden Ärmeln blitzten die sehnigen Hände eines Mannes hervor, der wahrscheinlich schon mehr Knochen gebrochen als vergipst hatte.
Doch mit alledem befasste sich Eva nur am Rande.
Ihr Blick fraß sich förmlich an dem Kopf des Doktors fest.
Der Mann war nicht deformiert, so wie gedacht. Er trug nur eine schwarze Wollmaske, die etwas verrutscht war und dadurch die vielen Beulen und Runzeln an seinem Kopf schuf. Und mit jedem weiteren Atemzug kamen neue hinzu. Denn die Maske blähte sich stets ein bisschen auf, sobald der Doktor die Luft aus seinem Rachen stieß, und erzeugte dabei dieses bedrohliche Zischen. Achrrr! Als würde er nicht durch einen Mund oder eine Nase atmen, sondern durch irgendwas ... anderes. Mittelpunkt seines Gesichtes war jedoch eine Skibrille. Ihre großen Sichtfenster waren getönt und glänzten so sehr im Licht der Neonlampen, dass Eva die Augen des Mannes nicht erkennen konnte. Doch sie spürte seinen Blick. Er war hart und scharf wie ein Skalpell, das langsam über ihren Körper strich.
Besonders über ihre Vagina.
Eva überkam ein leichtes Schamgefühl, während sie breitbeinig auf dem Stuhl lag und dem Doktor ihr kleines Paradies entgegenstreckte. Auch wenn dieses Gefühl absolut unsinnig war. Der Doktor hatte bestimmt schon mehr Muschis gesehen, als Eva in irgendwelchen Pornofilmen. Trotzdem schob sie ihre Oberschenkel so weit zusammen, wie sie konnte, um sich nicht ganz so nackt und hilflos zu fühlen.
Der Doktor begrapschte sie derweil eine letzte Sekunde mit seinem Blick. Dann gab er sich einen Ruck, trat vollends in ihre Zelle und zog den Vorhang pedantisch hinter sich zu.
»Bitte«, krächzte Eva. Ihre Kehle war heiser geworden. Sie musste einmal kräftig schlucken, ehe sie mit brüchiger Stimme fortfahren konnte: »Bitte ... helfen Sie mir.«
Der Doktor wandte sich von dem Vorhang um und vollführte mit der Hand eine Geste, die beinahe die Schlagkraft einer Ohrfeige besaß.
Eva verstand die Warnung, aber sie konnte jetzt beim besten Willen nicht schweigen. Die Angst kribbelte mittlerweile wie Starkstrom in ihrem Körper und trieb die Worte aus ihr heraus, die unbedingt gesagt werden mussten. »Was ... was ist passiert? Warum bin ich hier? Wo bin ich überhaupt?«
Die einzige Antwort des Doktors bestand aus einem weiteren inbrünstigen Achrrr. Im selben Moment gab er sich einen Ruck und stapfte zu ihr. Er tastete über die Lederriemen an ihren Armen und Beinen, um sich zu vergewissern, dass sie fest genug saßen. Anschließend überprüfte er die Infusionsbeutel und tippte mit dem Finger auf das EKG-Gerät hinter Evas Kopf, damit das Piepen endlich verstummte.
»Hatte ich einen Unfall?« Die Worte kratzten noch immer wie Reißnägel in Evas Hals, aber sie war fest entschlossen, so lange weiterzufragen, bis sie dem Doktor eine Antwort abgerungen hatte. Leider ohne Erfolg.
Stattdessen nahm der Doktor das Stethoskop aus seiner Tasche und setzte sich die Ohrstöpsel auf. Dazu hatte er links und rechts zwei Löcher in seine Maske geschnitten. Das Bruststück presste er hingegen auf Evas Oberkörper. Es war so kühl, dass sie fröstelte und sich ihr linker Nippel ein wenig versteifte.
»Warum bin ich festgeschnallt?«, wollte sie wissen.
Der Doktor fuhr abermals mit der Hand herrisch durch die Luft, als wollte er ihr jetzt wirklich eine Ohrfeige geben. Halt die Klappe!, bedeutete die Geste.
Aber Eva konnte nicht die Klappe halten. Ihr Herz trommelte so sehr, dass sich der Doktor wie bei einem Rockkonzert fühlen musste, während er sie mit dem Stethoskop abhörte. Und die Angst machte sie vollkommen blind für jegliche Vorsicht. »In welchem Krankenhaus bin ich denn?«, erkundigte sie sich. Ihr Blick raste über die Stoffwände. »Gab es einen Terroranschlag? Oder einen Atomunfall?«
Der Doktor stoppte und kräuselte so heftig die Stirn, dass sich noch mehr Falten in dem Wollstoff bildeten.
Eva verstand natürlich die Frage, die dahintersteckte. »Wegen Ihrer Maske«, erklärte sie. »Müssen Sie sich damit schützen, weil ich verstrahlt bin? Oder mit einem Virus infiziert wurde?«
Es wäre so einfach gewesen, zu nicken oder mit dem Kopf zu schütteln. Doch der Doktor starrte sie nur an. Er schien keinen Menschen in ihr zu sehen; keine junge Frau, die vor Angst zitterte und deren Augen voller Tränen standen. Für ihn war sie offenbar nur ein Versuchskaninchen. Ein Stück Fleisch mit einem Puls und einer Vagina, die sich immer mehr nach einem Slip sehnte.
Langsam steckte er das Stethoskop wieder ein und umrundete den Gynäkologenstuhl. Eva ließ ihn für keinen Moment aus den Augen. Sie setzte alles daran, endlich eine Antwort von ihm zu bekommen, oder wenigstens einen Blick hinter diese Maske zu werfen. Doch ihr gelang weder das eine noch das andere. Als der Doktor die andere Seite des Stuhls erreicht hatte, machte er sich offenbar an einem Sideboard zu schaffen, das außerhalb von Evas Sichtbereich lag. Eine Schublade knarrte. Etwas Metallisches klimperte darin und blitzte im Licht der Neonlampen silberfarben auf.
Was tut er da?
Evas Angst loderte immer stärker durch ihren Magen und wanderte von dort wie an einer Lunte Stück für Stück bis zu ihrem Kopf hinauf.
Gott, er will mich doch nicht operieren, oder? OHNE NARKOSE?
»Bitte, Doktor. Reden Sie mit mir! Warum bin ich hier?«
Schweigen. Nur dieses metallische Klimpern.
»Haben Sie meine Eltern verständigt?«, winselte Eva. Dabei wusste sie gar nicht, ob sie überhaupt noch Eltern hatte.
Der Doktor knallte die Schublade zu und trat wieder neben sie.
Eva starrte unwillkürlich auf seine Hände. Ein Messer! Ein Skalpell! Eine Knochensäge! Sie konnte nichts dergleichen in seinen Fingern entdecken. Aber was sie stattdessen sah, verstörte sie maßlos. Und machte ihr noch viel mehr Angst, als es eine Klinge je hätte tun können, obwohl sie anfangs gar nicht genau wusste, weshalb.
Es war eine Tube Gleitgel.
Glitty, stand in pinkfarbenen Buchstaben auf dem Etikett. Für mehr Spaß beim Sex.
Sex. Sex. Sex.
Evas Blick stolperte wieder und immer wieder über diese drei Buchstaben.
SEX?
Ihre Augen wurden groß. Genauso wie die Verwirrung darin.
»Doktor?«, sagte sie nervös. »Was ... was hat das zu bedeuten?«
Zumindest diese Frage sollte nicht lange unbeantwortet bleiben.
Der Doktor umrundete abermals den Stuhl und postierte sich genau zwischen Evas Beinen. Dort öffnete er den Plastikdeckel der Tube und presste einen dicken Tropfen aus der Öffnung. Er seilte sich bis zu Evas Vagina ab und floss über ihre Schamlippen. Glitty fühlte sich überraschend warm an, doch Eva wurde es dafür umso kälter.
»Verdammt, Doktor!« Sie wollte ärgerlich klingen, aber ihre Stimme flatterte immer mehr und bekam einen weinerlichen Akzent. »Was haben Sie vor?«
Der Doktor drückte einen weiteren Tropfen Gleitgel aus der Tube und bombardierte damit Evas Klitoris. Sie zuckte unter dem Aufprall zusammen, auch wenn sie in ihren Fesseln nicht besonders viel Spielraum hatte. Danach klappte der Doktor den Deckel zu, schob die Tube in seine Kitteltasche und begann damit, Evas Vagina einzuölen. Sein Daumen strich in groben Zügen über ihre Schamlippen und drang bei jeder Bewegung ein bisschen tiefer in sie ein. Eva verbat es sich, ein erregendes Gefühl dabei zu empfinden, denn ihr war inzwischen bewusst geworden, dass diese Berührung nur der Auftakt einer furchtbaren Tat darstellte. Trotzdem konnte sie nicht anders. Ihr Körper reagierte nun mal ganz automatisch auf diese Reize, und das warme Glitty tat sein Übriges, damit sich Evas Vagina fast wie von selbst entspannte.
Das spürte auch der Doktor.
Er wischte sich seinen schmierigen Daumen am Arztkittel ab und öffnete danach seinen Hosenladen. Sein Penis sprang wie ein Klappmesser daraus hervor. Er war noch halbsteif. Immerhin hatte er bis vor einigen Minuten in einer anderen Frau gesteckt – irgendwo hinter der Trennwand –, und sie zum Wimmern gebracht. So, wie er Eva gleich zum Wimmern bringen würde. Denn es war ein verdammt großer Penis; über zwanzig Zentimeter lang und so dick wie drei Finger nebeneinander.
Evas Unterleib zog sich panisch zusammen. »Doktor ... bitte ... Sie können doch nicht ...«
Achrrr!
Der Doktor funkelte sie durch seine Brille an und amüsierte sich eine kleine Ewigkeit über ihre Furcht. Nebenbei rieb er noch einmal mit dem Finger über ihre Schamlippen. Das musste als Vorspiel genügen.
Dann rammte er seine gesamte Männlichkeit in sie hinein.
Eva hatte das Gefühl, als würde sie in zwei Teile geschnitten werden. Ihre Vagina war trotz des Gleitgels noch viel zu trocken und konnte sich gar nicht schnell genug um diesen Fleischpflock dehnen, der sich da mit Lichtgeschwindigkeit durch ihren Unterleib bohrte. Brennende, ziehende und reißende Schmerzen gellten in einer fortwährenden Explosion durch ihren Körper. Eva schrie vor Schmerz und heulte vor Erniedrigung. Sie verkrampfte jeden Muskel in sich, um den Doktor irgendwie aus sich herauszupressen. Aber er war um ein Vielfaches stärker und wütete wie ein Raubtier in ihrem Becken, indem er mit brutalen Stößen immer tiefer in sie eindrang.
Vor und zurück, vor und zurück, vor und zurück.
Der Gynäkologenstuhl begann zu wackeln und quietschen ... und erzeugte dabei dieselbe Melodie, die Eva vorhin schon einmal hinter der Trennwand gehört hatte.
Quiep-Quiep-Quiep.
Sie schloss die Augen und versuchte erneut, sich mit irgendwas abzulenken. Glitty, dachte sie. Für mehr Spaß beim Sex. Sie wiederholte diesen Werbespruch in einem endlosen Refrain, während ihr gesamter Unterleib immer stärker brannte und schmerzte. Glitty. Für mehr Spaß beim Sex. Irgendwo am Rande ihres Bewusstseins hörte sie wieder das EKG piepen. Hörte, wie das Gleitgel zwischen ihren Beinen schmatzte. Und natürlich, wie der Doktor über ihr stöhnte.
Achrrr! Achrrr! Achrrr!
Er hatte sich weit nach vorne gelehnt und sich mit den Händen links und rechts auf dem Stuhl abgestützt, sodass sein Kopf nur wenige Zentimeter von Eva entfernt war. Achrrr! Sein Atem puffte ihr ins Gesicht, und selbst die Wollmaske konnte den ekelhaften Geruch darin nicht herausfiltern. Ein Geruch nach Tod und Verwesung, der Eva schon bald eine latente Übelkeit in die Magengrube pflanzte und ihr nach und nach die Sinne vernebelte. Sie konnte sich nicht mehr wehren oder ihren Unterleib zusammenpressen. Stattdessen erschlaffte sie vollständig in dem Stuhl und ließ diese Folter einfach nur noch über sich ergehen.
Die Stöße des Doktors wurden schneller, sodass Eva sie gar nicht mehr einzeln wahrnehmen konnte. Die Schmerzen feuerten jedoch unablässig neue Flammenspeere durch ihren Leib und verzehrten alles darin, was früher mal ihr Lustzentrum gewesen war.
Glitty. Eva klammerte sich jetzt bloß noch an diesen ulkigen Namen und versuchte, sich damit irgendwie zu betäuben. Glitty. Glitty. Glitty.
Plötzlich hielt der Doktor inne. Er schob seinen Penis besonders weit in sie hinein, bis er gegen ihren Muttermund stieß, und verkrampfte sich ebenfalls. Doch anders als Eva empfand er dabei keine Schmerzen. Im Gegenteil. Seine Atemzüge wurden zu einem ekstatischen Röcheln. Gleichzeitig spürte Eva eine klebrige Feuchtigkeit in ihrem Inneren. Sie wusste, was das hieß. Ein neues Gefühl kroch durch ihren Körper. Eines, das noch viel schlimmer war als alle anderen davor. Es war das Gefühl, von diesem Monster befleckt worden zu sein.
Der Doktor verharrte noch eine ganze Weile in ihr und pumpte sie mit jedem Liebestropfen voll, den er besaß. Erst als sein Penis allmählich erschlaffte, zog er sich aus Eva zurück und ging auf Abstand, um sein Werk zu bewundern. Ihm schien es zu gefallen, was er zwischen ihren Beinen sah.
Eva bekam von alledem nur wenig mit. Sie kauerte auf dem Stuhl und zitterte, als hätte sie Schüttelfrost. Alles in ihr bettelte danach, aufzuspringen, sich zu waschen oder gar ihren Körper gegen einen neuen einzutauschen. Doch die traurige Wahrheit lautete, dass sie nicht mal mehr heulen oder schreien konnte. Ihre ganze Kraft war einfach versiegt und ihre Sinne eierten bloß noch wie ein defektes Karussell in ihrem Kopf umher.
Lange musste sie jedoch nicht mehr leiden.
Der Doktor hatte endlich Erbarmen mit ihr. Er schob seinen Penis zurück in die Hose und trat abermals an den Infusionsständer heran. Dort machte er sich an dem Ventil zu schaffen. Er drehte das Plastikrädchen bis zum Anschlag auf. Die Flüssigkeiten tropften nun nicht mehr gemächlich aus den Beuteln, sondern schossen nahezu wie ein Sturzbach durch den Schlauch in Evas Vene. Besonders die grüne Substanz entfaltete recht schnell ihre Wirkung und spannte eine bleierne Müdigkeit durch ihren Körper. Die Trennwände, die Kacheln und der Doktor zerflossen vor Evas Augen zu einer einzigen weißen Hölle. Sie wehrte sich nicht dagegen. Von allen Gefühlen, die sie in den letzten Minuten hatte erdulden müssen, erschien ihr diese Müdigkeit fast schon wie ein Orgasmus. Denn sie strömte immer tiefer in ihr Bewusstsein und trug sie langsam davon.
Glitty, dachte Eva ein letztes Mal. Für mehr Spaß beim ... beim ...
Weiter kam sie nicht. Vor ihren Augen senkte sich nämlich eine ganz andere Farbe herab. Es war kein Weiß mehr, sondern ein samtiges Schwarz, das sie für eine unbestimmte Zeit wieder in eine friedliche Ohnmacht hüllte.
Es gab drei Dinge, die Julia hasste.
Erstens, die Nachtschicht in der Notaufnahme. Zweitens, ein Wartezimmer voller quengelnder Patienten. Und drittens Ehemänner, die ihre schwangere Frau verprügelten. Genau ein solches Exemplar wartete im Behandlungsraum 4 auf sie – und entsprechend geladen trat Julia durch die Tür. Dabei sah dieses Exemplar eigentlich recht harmlos aus. Klein, pummelig, mit Dackelblick und einer wächsernen Haut, fast wie bei einer Weihnachtskerze. Es war der Typ Mann, dem man niemals zutrauen würde, dass er ein böses Wort verlor, geschweige denn zum Boxer im Ehebett mutierte. Aber Julia ließ sich von dieser Fassade nicht täuschen. Sie hatte Typen wie ihn schon oft genug in ihrer Notaufnahme gesehen, um zu wissen, wie scheinheilig sie waren. Und was sie bei einem Wutausbruch anrichten konnten. Seine Frau war das beste Beispiel dafür.
Sie saß auf der Behandlungsliege und hielt sich ein Taschentuch vor die Nase. Es hatte sich dunkelrot verfärbt. Ebenso wie ihre Wangen, die mit all den vielen Prellungen wie eine Frühlingswiese blühten. Wenn Julia genau hinsah, konnte sie sogar teilweise noch die Abdrücke erkennen, die der Ehering ihres Mannes beim Zuschlagen in die Haut gestempelt hatte. Natürlich versuchte die Frau, ihre Blessuren so gut es ging zu verbergen. Sie hatte sich ihre Haare weit ins Gesicht gekämmt und den Kopf so tief zwischen die Schultern gezogen, dass er kaum noch auffiel. Ihren Babybauch konnte sie jedoch nicht so leicht kaschieren. Er wölbte sich wie ein Fußball unter ihrem T-Shirt hervor. Achter Monat, wusste Julia mit einem fachmännischen Blick. Sie seufzte innerlich. Ich hoffe, du genießt deine Ruhe in Mamas Paradies, Kleines. In wenigen Wochen wirst du deinen Papa kennenlernen ...
»Na endlich!«, tobte der Mann, kaum dass Julia die Tür geöffnet hatte. »Wo zum Teufel steckt ihr Quacksalber denn alle? Wir warten schon seit einer Viertelstunde!«
»Sorry, dass es etwas länger gedauert hat«, antwortete Julia, während sie die Tür hinter sich zufallen ließ. »Ich musste noch einen Patienten im Nebenzimmer kastrieren. Er konnte einfach nicht damit aufhören, sich zu beschweren.«
Dem Mann wich schlagartig die Farbe aus dem Gesicht, als hätte auch er seine edelsten Teile verloren. Aber anstatt etwas pflegeleichter zu werden, benahm er sich jetzt noch ein bisschen mehr wie ein Pitbullterrier. »Kastriert? Wollen Sie mich auf den Arm nehmen, Frau ...?«
»Reinhardt. Doktor Julia Reinhardt.« Sie tippte auf das Namensschild an ihrer Brust. »Und nein, ich will Sie nicht auf den Arm nehmen. Aber haben Sie mal einen Blick ins Wartezimmer geworfen? Sie sind heute nicht die einzigen Patienten hier.«
»Ich bin privatversichert«, erklärte der Mann. »Da habe ich Anspruch auf ...«
»Sie können sich gerne bei unserer Klinikleitung beschweren«, fiel ihm Julia ins Wort. »Doch zunächst sollten wir uns um wichtigere Dinge kümmern.«
Der Mann konnte sich gerade offensichtlich aber nichts Wichtigeres vorstellen. Denn er nahm sofort Anlauf zum nächsten Tobsuchtsanfall. »Sie haben einen lausigen Service in diesem Krankenhaus, das muss ich schon sagen!«, maulte er. »Hier gibt es nicht mal einen Kaffee.«
»Ist das Ihre einzige Sorge, Herr ...«, Juli spähte auf die Patientenakte, die sie in der Hand hielt, »... Wagner, nehme ich an?«
Der Mann war sichtlich damit überfordert, dass Julia zwei Fragen in einen Satz packte. Er starrte zuerst sie, dann die Akte an, und machte dabei ganz den Eindruck, als wollte er beide mit seinem zornigen Blick einäschern. Was ihm natürlich nicht gelang. Er schaffte es ja noch nicht mal, Julia zu antworten.
Die junge Stationsärztin gab sich ohnehin nicht weiter mit ihm ab. Sie löste sich von der Tür und kam näher. »So«, sagte sie im Plauderton, »dann erzählen Sie mal, was passiert ist.«
»Meine Frau ...«
»Ich habe nicht Sie gefragt, Herr Wagner«, verdeutlichte Julia. Sie klatschte die Akte auf die Liege und angelte mit derselben Bewegung einen Rollhocker herbei, um sich darauf niederzulassen.
Wagners Gesicht zerknitterte abermals zu einer bösen Grimasse. Er schien Widerworte nicht gewohnt zu sein. Schon gar nicht von einer Frau. »Ich lasse mir doch von Ihnen nicht das Maul verbieten!«, schimpfte er. »Was für eine Ärztin sind Sie eigentlich?«
»Die Einzige, die Sie heute Nacht hier bekommen.« Julia taxierte ihn mit einem herausfordernden Blick. »Und wenn Sie sich nicht gleich beruhigen, werde ich dafür sorgen, dass sich unser Pathologe nachher ausführlich mit Ihnen beschäftigen muss.«
Wagners Augen quollen aus den Höhlen. »Wie können Sie es wagen, so mit mir zu reden?«
»Ich rede immer so mit Leuten, die ihr Testosteron nicht zügeln können.«
»Ich muss mir Ihr dummes Geschwafel nicht länger anhören!«
»Sehr gut. Gehen Sie raus ins Wartezimmer. Da finden Sie übrigens auch einen Kaffeeautomaten.« Julia rollte mit dem Hocker zur Behandlungsliege. »In der Zwischenzeit kann ich mich ungestört mit Ihrer Frau unterhalten.«
So weit wollte es Wagner nicht kommen lassen. Er wurde fast wie auf Knopfdruck doch ein bisschen zahm und ließ seinen restlichen Zorn mit einem einzigen Atemzug aus seiner Brust entweichen. »Ich ... sollte meine Frau besser nicht allein lassen«, meinte er.
Julia musste innerlich grinsen. Ihre Strategie funktionierte jedes Mal, wenn sie auf gewalttätige Ehemänner traf. Trotzdem ließ sie die Zügel nicht locker, sondern meinte im unverändert bissigen Ton: »Dann setzen Sie sich auf den Stuhl dort drüben in der Ecke und lassen mich meine Arbeit machen!«
Wagner dachte nicht daran, ihrem Befehl zu folgen. Wo käme er denn hin, wenn er auf diese schlanke Brünette hören würde? Stattdessen blieb er trotzig neben der Liege stehen und verschränkte die Arme vor seiner Brust. Aber immerhin hielt er vorübergehend die Klappe – und das war mehr, als Julia von ihm erwarten konnte.
Sie hatte sich sowieso schon viel zu lange mit diesem Mistkerl beschäftigt.
Jetzt widmete sie ihre gesamte Aufmerksamkeit und Fürsorge ihrer Patientin, die still vor sich hinblutete. Das ist das Schlimmste an misshandelten Frauen, fand Julia. Sie weinen nicht. Sie schreien nicht. Sie zittern nicht mal. Wenn man sie lange genug gequält hat, sitzen sie nur apathisch da und starren Löcher in die Luft, als wären sie Puppen. Umso wichtiger war es jetzt, die Frau aus ihrer Schockstarre zu locken. Und wie hätte Julia das besser tun können, als mit einem Lächeln?
»Hallo, Frau Wagner«, sagte sie mit einer sehr viel sanftmütigeren Stimme. Sie schielte auf die Akte und erhaschte dort den vollen Namen ihrer Patientin. »Darf ich Sie Melanie nennen? Wie geht es Ihnen?«
Es dauerte mehrere Sekunden, bis ihre Worte zu Melanie durchgedrungen waren. Ihre Augen rollten träge herum. Sie waren rehbraun und bildschön, aber so leblos wie Glasmurmeln. Ihr Blick lastete eine ganze Weile auf Julias Gesicht, als hätte sie keinen blassen Schimmer, wo die Ärztin auf einmal hergekommen war. »Mir geht es ... gut«, antwortete sie leise. Auch wenn gut natürlich keineswegs der Wahrheit entsprach. Es war lediglich die Antwort, die Wagner ihr mit seiner brutalen Zärtlichkeit eingeimpft hatte.
»Ich werde mir jetzt Ihre Verletzungen ansehen, in Ordnung?« Julia legte Melanie die Hand auf den Unterarm und zog ihn mitsamt dem Taschentuch vorsichtig von ihrem Gesicht fort. Was darunter zum Vorschein kam, trieb Julia die Galle in den Mund. Wagner hatte wie ein Presslufthammer im Gesicht seiner Frau gewütet. Ihre Nase war zertrümmert. Das Jochbein gebrochen. Und ihr rechtes Auge mit so vielen Farbtönen umrandet, dass sich Melanie vorerst die Schminke sparen konnte. Mit ein bisschen Glück würde all das wieder heilen, ohne bleibende Schäden zu hinterlassen. Aber wenn Melanie bald mit ihrem neugeborenen Kind fürs erste Foto in die Kamera lächelte, würde sie noch immer so zerfleddert aussehen, als hätte sie mit einem Grizzlybären gekuschelt. Und das würden dann richtig schöne Erinnerungen fürs Familienalbum werden ...
Dieses verdammte Dreckschwein.
Julia musste sich auf die Unterlippe beißen, um nicht die Beherrschung zu verlieren. »Wie ist das passiert?«, fragte sie.
»Wie das passiert ist?«, polterte Wagner. »Die blöde Kuh ...«
»Können Sie nicht mal für fünf Minuten den Rand halten?«, unterbrach ihn Julia. »Ich rede mit Ihrer Frau.«
»Meine Frau war bewusstlos«, erwiderte Wagner. »Sie kann sich an nichts erinnern.«
»Oh, ich denke schon, dass Ihre Frau das kann. Vorausgesetzt, Sie funken nicht andauernd dazwischen.« Julia wechselte abrupt wieder von ihrer gereizten Stimme zu einer einfühlsamen, als sie sich abermals an die Schwangere wandte. »Also, wie ist das passiert?«
Melanie sah unterwürfig zu Wagner herum und zuckte zusammen, als hätte sie einen Hieb in den Nacken bekommen. »Es ... es ist so, wie mein Mann ... sagte«, stotterte sie. »Mir war übel ... ich musste aufs Klo ... und hab nicht aufgepasst ...«
»Die blöde Kuh hat den Teppich im Schlafzimmer verkotzt!«, ergänzte Wagner. »Sie hätten sich die Sauerei mal ansehen müssen! Wie kann man nur so bescheuert sein und nicht rechtzeitig merken, dass einem übel wird? So etwas bekommt jeder betrunkene Idiot hin.«
»Lassen Sie mich raten«, sagte Julia zynisch. »Ihre Frau ist in der Dunkelheit gegen die Tür gelaufen? Oder gegen die Wand? Vielleicht ist sie auch aus dem Bett gefallen und hat dabei einen doppelten Salto über den Boden geschlagen?«
Wagner zuckte mit den Schultern. »So ähnlich wird’s wohl gewesen sein. Warum interessiert Sie das überhaupt? Kleben Sie meiner Frau endlich ein Pflaster ins Gesicht oder verschreiben Sie ihr ein paar Tabletten. Ich will nach Hause. Ich muss morgen zu einem wichtigen Meeting und ...«
»Sind Sie wirklich so skrupellos – oder tun Sie nur so?«, fauchte Julia. Sie schnellte von dem Hocker hoch. »Ihre Frau hat eine Gesichtsfraktur und vermutlich auch ein Hirntrauma erlitten. Sie können von Glück reden, dass sie überhaupt noch lebt.«
»Glück?« Wagner lachte wie über einen schlechten Scherz. »Wenn Sie mit meiner Frau verheiratet wären, würden Sie nicht mehr von Glück reden. Dauernd muss ich ihr hinterherwischen oder ihr sagen, was sie tun soll. Sie ist sogar zu dämlich, ihre Pille zu nehmen. Oder was denken Sie, warum sie jetzt diesen fetten Bauch hat?«
Julia hätte Lust und Laune gehabt, ihm die Augen auszukratzen. Zuerst das linke, dann das rechte, damit es richtig schön wehtat. Aber sie musste sich auch jetzt beherrschen und sich auf die Dinge konzentrieren, die wirklich wichtig waren. Sie drehte sich um, zog zwei Latexhandschuhe aus einem Spender – Ratsch, Ratsch –, und stülpte sie über ihre Finger. Danach begann sie damit, Melanies Kopf abzutasten. Julia ging extra behutsam vor und mied alle Stellen, die schmerzhaft aussahen, um die Frau nicht unnötig zu quälen. Dabei hätte sie ihren Finger mitten in die blutige Nase bohren können – und Melanie hätte keinen Mucks von sich gegeben. Ganz einfach deshalb, weil sie in ihrem jahrelangen Martyrium gelernt hatte, alle Schmerzen stillschweigend zu erdulden. Und zwar sowohl die körperlichen als auch die seelischen.
Das brachte Julia nur noch mehr in Rage. »Wie oft haben Sie es getan?«, wollte sie beiläufig wissen.
»Wie oft habe ich was getan?«, bellte Wagner.
»Sie geschlagen.«
Wagner stemmte entrüstet seine Fäuste in die Taille. »Wie kommen Sie darauf, dass ich meine Frau geschlagen hätte?«
»Ich arbeite jetzt seit fünf Jahren in der Notaufnahme«, erklärte Julia sachlich. »Glauben Sie mir, ich kenne den Unterschied zwischen einer Tür und einer Faust. Und das«, Julia zeigte auf eine kreisrunde Delle in Melanies Gesicht, »sieht eindeutig nicht nach einer Tür aus. Und nun seien Sie endlich mal ein mutiger Mann und verraten mir, wie oft Sie zugeschlagen haben!«
Wagner starrte sie an, als würde er auch in ihrem Gesicht nach einem Platz für ein Veilchen suchen. Julia hoffte sogar, dass er sie jetzt angreifen würde. Dann hätte sie immerhin einen triftigen Grund, ihm doch die Augen auszukratzen. Aber Wagner zügelte sich. Noch. »Ich glaube nicht, dass ich Ihnen das verraten muss«, knirschte er stattdessen zwischen seinen Zähnen hervor.
»Wie oft?«, hakte Julia nach.
»Siebenunddreißig Mal.«
Es war nicht Wagner, der das sagte, sondern Melanie. Und gerade deshalb fanden diese Worte sofort Gehör.
Julia und Wagner wandten sich zu ihr um. Melanies Blick war etwas lebendiger geworden – und auch ein wenig kühner, jetzt da Julia in der Nähe war. Trotzdem schielte sie nur einmal kurz zu ihrem Mann, ehe sie wieder demütig zu Boden sah. »Er hat mich siebenunddreißig Mal geschlagen, als ich mich im Schlafzimmer übergeben musste«, sagte sie.
Wagner hob drohend die Hand. »Wenn du nicht gleich still bist, wird es noch einmal mehr sein ...«
»Schluss damit!« Julia packte Wagners Arm und hielt ihn fest, bevor er seiner Frau sprichwörtlich einen Nachschlag servieren konnte. Und damit schockierte sie ihn maßlos. Denn Wagner hatte sie bis zu diesem Moment nie ernst genommen und in Julia nur das gesehen, was jeder Mann in ihr sah: eine zierliche Frau, die mit ihrem Arztkittel wie ein Mädchen beim Fasching wirkte. Doch darunter schwelten Kräfte, denen Wagner nicht gewachsen war.
Er riss seinen Arm perplex aus Julias Griff und massierte sich die Druckstelle.
Julia genoss ihren Sieg, indem sie Wagner kampflustig anfunkelte. »Sie wissen, dass Sie Ihren Mann anzeigen können?«, sagte sie zu Melanie.
»Meine Frau wird gar nichts«, warf Wagner ein, bevor sich diese dazu äußern konnte. »Sie werden sie jetzt verarzten – und dann werden wir nach Hause fahren. Damit sie die Sauerei aufputzen kann, die sie im Schlafzimmer angerichtet hat.«
»Ihr Frau wird nirgendwo hinfahren«, stellte Julia klar. Sie nahm einen Wattetupfer von einem Sideboard, träufelte einen Schuss Kochsalzlösung darauf und wischte damit vorsichtig das Blut von Melanies Wangen. »Sie muss operiert werden.«
»Operiert?«
»Natürlich operiert. Oder glauben Sie, dass so etwas wieder von selbst zusammenwächst?« Julia zeigte anklagend auf Melanies Nase, die krumm und schief aus dem Gesicht ragte, als wäre sie ein eitriger Pickel. »Und wer weiß, was wir noch alles geradebiegen müssen?« Julias Blick wanderte an der Frau abwärts; suchte nach weiteren Spuren, die ihre Misshandlung in aller Grausamkeit dokumentierten. Sie wurde recht schnell fündig. Melanies Hals war von Würgemalen gerötet. An ihren Unterarmen prangerten die Überreste zahlloser Hämatome. Und ihr Bauch ...
Julia scheute sich davor, das T-Shirt nach oben zu krempeln, doch es ließ sich nun mal nicht vermeiden. Stück für Stück offenbarte sie noch mehr blaue und grüne Flecken, die sich über Melanies gesamten Bauch erstreckten. Als wäre sie nicht mit einem Baby, sondern mit einem Osterei schwanger. Doch diese Flecken stammten nicht von Fäusten. Sie waren erheblich größer und wiesen manchmal sogar das Muster einer Schuhsohle auf.
Der Anblick machte Julia stinksauer. »Sie haben Ihrer Frau in den Bauch getreten?«
Wagner rümpfte über die Flecken abfällig die Nase. »Und wenn schon«, antwortete er. »Ich will nun mal kein Kind.«
Julia ließ das T-Shirt wieder sinken. »Sind Sie von allen guten Geistern verlassen?«, sagte sie aufbrausend. »Wissen Sie, wie viele Menschen froh wären, wenn sie ein Kind bekommen könnten?«
»Sparen Sie sich die Moralpredigt, Doktor. Tun Sie Ihren Job, bevor ich meinen tue.« Wagners Augen wurden eisig. »Ich bin Anwalt und werde dieses Krankenhaus wegen unterlassener Hilfeleistung verklagen, wenn Sie nicht sofort meine Frau zusammenflicken.«
»Oh, ich erledige meinen Job, keine Sorge.« Julia zog die Handschuhe aus, warf sie im gestreckten Bogen in einen Mülleimer und nestelte anschließend ein Funktelefon aus ihrem Arztkittel.
»Was soll das werden?«, erkundigte sich Wagner lauernd.
»Wonach sieht es denn aus? Ich rufe die Polizei, damit die Beamten eine Strafanzeige wegen Körperverletzung aufnehmen. Dann können Sie mir ja beweisen, was für ein guter Anwalt Sie sind.« Julia löste die Tastensperre und begann damit, den Notruf zu wählen. Sie konnte jedoch nur die ersten beiden Ziffern in das Tastenfeld eingeben, dann fuhr Wagners Hand wie eine Spaltaxt auf sie herab und schlug ihr das Telefon aus den Fingern. Es schepperte zu Boden. Der Plastikdeckel an der Rückseite sprang ab und die Batterien flogen in sämtliche Richtungen davon.
Julias Finger tippte noch die letzte Ziffer in die Luft, ehe sie verdutzt zu Wagner aufsah.
Seine Backen glühten vor Zorn und in seinen Augen lag der Blick eines tollwütigen Tieres. »Sie werden hier niemanden anrufen, Doktor. Meine Frau wird mich nicht anzeigen. Hab ich recht?«
Melanie nickte. Nickte so gehorsam, als wäre sie tatsächlich eine Puppe.
»Und nun komm!« Wagner winkte auffordernd mit der Hand. »Wir fahren in ein anderes Krankenhaus. Zum Glück gibt es in Dresden noch mehr Ärzte, die eine Wunde zukleben können.«
»Sie werden diesen Raum nicht verlassen«, sagte Julia, gerade als Melanie nach der Hand ihres Mannes greifen wollte. »In Ihrem Zustand könnte jeder Schritt Ihr letzter sein.«
»Jetzt machen Sie es nicht so melodramatisch! An einer gebrochenen Nase ist noch niemand gestorben.« Wagner wollte sich an Julia vorbeischieben, doch die Ärztin klatschte ihre Hand auf seine Brust und hielt ihn zurück.
»Ich meine es ernst«, bekräftigte sie. »Ihre Frau bleibt hier, ob Sie das nun wollen oder nicht.«
»Und was tun Sie, wenn ich es nicht will? Mir einen Einlauf verpassen?«
Nun zogen sich auch Julias Augen zu eisigen Schlitzen zusammen. »Wenn Sie das wünschen, kann ich das arrangieren. Immerhin sind Sie ja privatversichert ...«
Wagner schnaubte ungehalten. »Gehen Sie mir aus dem Weg!« Er stieß Julia grob beiseite und versuchte im selben Zug, seine Frau zu packen. Doch diese Bewegung endete nicht so, wie er das geplant hatte.
Anstatt einfach davonzustolpern, machte Julia nur einen Ausfallschritt nach rechts, ehe sie wieder festen Stand hatte – und zum Angriff überging. Sie krallte ihre Hände in Wagners Arm und drehte ihn so schwungvoll auf den Rücken, dass sein Schultergelenk knackte. Gleichzeitig hebelte sie ihm die Beine unter dem Körper weg. Wagner wusste gar nicht, wie ihm geschah. Er stürzte kopfüber nach vorn. In einem wilden Reflex versuchte er noch, sich mit seinem freien Arm auszubalancieren, doch Julia verlieh ihm noch zusätzlich ein bisschen Schwung mit dem Ellbogen, um seinen Sturz zu beschleunigen.
Wagner wäre der Länge nach zu Boden gedonnert.
Doch das genügte Julia nicht.
Sie wollte ihn leiden sehen, wollte ihm seine eigene Medizin zu kosten geben – und so rempelte sie ihn seitwärts an, damit er gegen die Liege flog. Der Lederbezug dämpfte natürlich seinen Aufprall, aber der Metallrahmen stempelte dennoch einen irren Schmerz in seinen Oberkörper. Die Luft pfiff aus Wagners Lungen und seine Knie wurden so schwammig, dass er keuchend zusammensackte.
»Du beschissene Fotze!«, keifte er. »Ich werde dich ...«
Julia ließ ihn nicht ausreden. Sie rammte ihm die Faust ins Gesicht. Wagners Nase knirschte trocken und ein warmer Blutstrom quoll aus den beiden Löchern hervor, als hätte Julia ein Weinfass angezapft. Doch damit war ihre kleine Schmerzkunde noch nicht vorbei. Sie fiel mit dem Knie auf Wagners Bauch herab, schlang ihre rechte Hand um seinen Hals und bohrte die linke in seinen Schritt. Dann ballte sie langsam ihre Finger um sein Essiggürkchen zusammen und sah dabei zu, wie die Schmerzen in Wagners Blick anwuchsen ... und allmählich in Angst ausarteten.
»Geh runter von mir!«, kreischte er mit überschnappender Stimme. Er zappelte mit den Beinen und schlug mit seinem Arm nach Julia. Doch jedes Mal, wenn er ihr damit zu nahekam, verstärkte sie den Druck in seinem Schritt noch ein bisschen mehr.
»Hör mir gut zu«, zischte Julia. »Du wirst dich in Zukunft benehmen und deine Frau in Ruhe lassen. Denn sonst wird das Kind in ihrem Bauch das letzte sein, das du in diesem Leben gezeugt hast.« Julia ließ ihn nicht lange im Unklaren darüber, was sie damit meinte. Ihre Finger pressten sich jetzt so fest um Wagners Eier zusammen, dass er gequält aufstöhnte.
»Du ... bist ... wahnsinnig!«, quiekte er.
»Dann solltest du mich besser nicht reizen. Wahnsinnige neigen meistens zu wahnsinnigen Taten.«
»Ich werde dich ... verklagen! Dafür wirst du ... deine Approbation verlieren ...«
»Weißt du, wie oft ich solche leeren Drohungen schon zu hören bekommen habe? Und wie du siehst, bin ich immer noch hier.« Julia ließ ihre Finger in Wagners Schritt zucken, damit er ihr auch wirklich seine volle Aufmerksamkeit schenkte. »So, und nun sei ein braver Junge und sag das Zauberwort.«
»Zauberwort?«
»Entschuldigung. Hast du das schon mal gehört?«
Kaum zu glauben, aber Wagner musste tatsächlich eine ganze Weile in seinem Gedächtnis nach diesem Wort kramen. Und als er es schließlich gefunden hatte, schien er keine Ahnung zu haben, wie er es benutzen sollte. »T’schuldigung«, murmelte er hölzern.
»Sag es nicht zu mir, du Arschloch. Sag es zu deiner Frau.«
unangenehm