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© eBook: GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, München, 2018
© Printausgabe: GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, München, 2018
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Projektleitung: Maria Hellstern
Lektorat: Dorothea Steinbacher
Bildredaktion: Esther Herr
Covergestaltung: kral&kral, München
eBook-Herstellung: Simone Sauerbeck
ISBN 978-3-8338-6574-9
1. Auflage 2018
Bildnachweis
Fotos: Alle Fotos in diesem Buch
stammen von Ingo und Ingrid Lisa Storl, mit Ausnahme von: Alamy Stock Foto; Rolf Brenner; Flora Press; Fotolia; GAP Photos; Bernhard Haselbeck; iStock; mauritius images; Jörn Rynio; shutterstock; Martin Staffler; Stock-Food; Stocksy; Friedrich Strauss
Syndication: www.seasons.agency
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Lerne deine pflanzlichen Verbündeten kennen
»Unkraut wächst immer« (Mauvaise herbe pousse toujours), sagt ein französisches Sprichwort. Nicht nur im Garten, unter der Hecke oder auf dem Feld findet man es, sondern auch überall in der Großstadt. Egal in welcher Stadt ich unterwegs bin, aus den Mauerritzen leuchten mir Ruprechtskraut oder Schöllkraut entgegen, deren Samen irgendeine Ameise dort deponiert hat; zwischen den Gehwegplatten und Pflasterritzen zwängt sich ein Wegerich hervor, eine Gänsedistel oder ein Vogelknöterich. Und mitten in München sehe ich, wie ein frecher kleiner Löwenzahn die harte Betonplatte direkt vor einer Feuerwehreinfahrt sprengt und seine zarten Blätter und Blüten der Sonne entgegenstreckt. Für mich ist das ein Wunder, ein Zeichen der Hoffnung, dass sich das Leben nicht unterkriegen lässt, dass die Natur das letzte Wort hat und dass – wie es der weise Lao-Tse im Tao Te Ching verkündet – das Weiche, Lebendige stärker ist als das Tote, Verhärtete. In diesem Sinn sind Wildkräuter meine Lehrer und Gurus. Sie nehmen mir meine Depressionen und vertreiben den Pessimismus.
Es gibt Abertausende sogenannte Unkräuter. Gerne hätte ich noch mehr in dieses Buch aufgenommen, denn alle sind interessant und haben – wenn man ihnen mit dem Herzen zuhört – viele Geschichten zu erzählen und Geheimnisse zu verraten. Aber wenn ich darüber noch weiter schreiben würde, dann würde das viele Jahre dauern. Und wer weiß, wie viele Bände es am Ende wären?
Anhand der kurzen Beschreibungen einiger ausgewählter einheimischer Garten- und Ackerbegleitpflanzen werden wir erkennen, dass die sogenannten »Unkräuter« eine wichtige ökologische wie auch kulturelle Rolle spielen.
Für die Landwirte sind die hartnäckigen Begleitkräuter lediglich Pflanzen, die sich zur falschen Zeit am falschen Ort befinden. Sie stören. Dennoch: Ohne sie wäre die Natur nicht denkbar. Ohne sie wären wir viel ärmer.
Wir sollten uns Zeit nehmen, sie besser kennenzulernen. Wenn wir unsere Sinne und Herzen öffnen, werden sie uns neue Dimensionen unseres Seins offenbaren. Und umgekehrt sind unser bewusstes Interesse und unsere Bewunderung eine Kraft, die der Natur zugutekommt.
Für den Gärtner und Landwirt noch ein Rat: Du solltest alle Pflanzen rund ums Haus, im Garten und auf deinem Acker kennen! Und für den Wildpflanzenkoch: Du solltest auch die giftigen und eher unbekömmlichen Kräuter gut kennen!
WIE WERDE ICH IHN LOS?
Da der Wegerich, vor allem der Breitwegerich, häufig in hartem, festgetretenem Untergrund wächst, lässt er sich nicht so einfach aus der Erde ziehen. Man muss jede einzelne Blattrosette heraushacken oder -stechen – und zwar am besten vor der Samenreife. Denn die Samen kleben an Tierhufen und Schuhsohlen und bleiben jahrzehntelang keimfähig.
WAS KANN MAN ESSEN?
Die ölreichen Samen sind nahrhaft und lassen sich für den Winter trocknen und aufbewahren. Die Blätter kann man roh oder gekocht verzehren, in besonders große, breite Exemplare wickeln Feinschmecker gern gewürzte Schafskäsewürfel ein oder pikante Füllungen auf der Basis von Reis oder Getreide.
Die unreifen Samen, also die ganzen Blütenstände, kann man kleingehackt in den Kräuterquark rühren, in die Wildkräuterbutter kneten oder einfach aufs Brot streuen.
WEGERICHTEE
Die Blätter des Breit- und des Spitzwegerichs ergeben einen hervorragenden Hustentee für den Winter. Dafür die Blätter im Schatten trocknen und an einem dunklen, trockenen Ort aufbewahren. Für einen Hustentee 2 TL getrocknete Blätter mit 250 ml kochendem Wasser überbrühen, 10 Minuten zugedeckt ziehen lassen und abseihen. Etwas abkühlen lassen und schluckweise trinken.
1 Gottfried Honegger: Was uns das Un-Kraut lehrt. Steinhausen, Schweiz: Verlag Victor Holz, 2009
2 Felicia Molenkamp: Kräuter-Biotika. Aarau und München: AT-Verlag, 2015
3 Tabelle: AID Infodienst, 1992, »Wildkräuter«, und https://zentrum-der-gesundheit.de/wildkraeuter.html
4 Prof. Dr. Monika Krüger; Veterinärmedizinische Fakultät, Universität Leipzig
5 Zu den Neophyten siehe Wolf-Dieter Storl: Wandernde Pflanzen. Neophyten, die stillen Eroberer. Ethnobotanik, Heilkunde und Anwendungen. Aarau und München: AT-Verlag, 2012
6 Mechthild Scheffer und Wolf-Dieter Storl: Die Seelenpflanzen des Edward Bach. Aurum: Bielefeld, 2012, Seite 215
7 Steffen G. Fleischhauer et al.: Essbare Wildpflanzen. Baden und München: AT, 2007, Seite 9
8 Noch besser geeignet als Zinnputzmittel, auch als Schmirgel für feine Tischlerarbeit, ist der Winterschachtelhalm (Equisetum hyemale), der an feuchten, schattigen Standorten, aber nicht auf Äckern wächst.
9 Jürgen Dahl: Zeit im Garten. München: DTV, 1994, Seite 44
10 Edward Rollin Spencer: All About Weeds. New York: Dover, 1968, Seite 196
11 Sara Stein: My Weeds. Boston/New York: Houghton Mifflin Co., 1994, Seite 46
12 Früher als Rachenblütler, heute offiziell als Wegerichgewächs klassifiziert.
13 Hieronymus Bock: Kräuterbuch. Straßburg, 1551
14 Mellie Uyldert: Verborgene Kräfte der Pflanzen. München: Hugendubel, 1984, Seite 148
15 Plinius, nat. hist. XX 252 (hg. und übersetzt von R. König und G. Winkler)
16 H. K. Bakhru: Foods that Heal. New Delhi: Orient Paperbacks, 1995, Seiten 87-88.
17 Die Gattungen Gänsefuß (Chenopodium) und Melde (Atriplex) sind sich sehr ähnlich und werden von Laien leicht verwechselt. Die Unterschiede sind eigentlich nur für den Botaniker interessant. Gänsefüße sind zweigeschlechtlich, Melden sind eingeschlechtlich. Bei den Gänsefüßen fehlen die für die Melden typischen Hüllblätter der Frucht.
18 Joseph A. Cocannouer: Weeds. Guardians of the Soil. New York: Devin-Adair, 1964
19 John Gerard: The Herball or Generall Historie of Plantes. London: John Norton, 1597
20
http://idiome.deacademic.com/2497/Schabab
http://bewohnerinderwaelder.blogspot.com.es/2008/09/welche-blumen-gehören-in-den-korb.html
21 Hermann Löns: Der kleine Rosengarten. Jena, 1910
22 Heinrich Marzell: Wörterbuch der deutschen Pflanzennamen. Stuttgart: S. Hirzel Verlag, 1979, S. 600-655
23 Volker Fintelmann und Rudolf Fritz Weiss: Lehrbuch der Phytotherapie. Stuttgart: Hippokrates, 2002
24 Hildegard von Bingen: Liber simplicis medicinae; Kap. LIII
25 Edwin Rollin Spencer: All about Weeds. New York: Dover, 1968, Seite 110
Der Autor
Dr. Wolf-Dieter Storl, geboren 1942 in Sachsen, ist Kulturanthropologe, Ethnobotaniker und Autor. Als er elf Jahre alt war, wanderten seine Eltern nach Ohio aus, wo er seine Freizeit größtenteils in der Wildnis der Wälder verbrachte. Er studierte Botanik und später Anthropologie. Nach dem Studienabschluss wurde er Vollzeitdozent für Soziologie und Anthropologie. Er promovierte in Bern zum Doktor der Ethnologie. Es folgten Lehraufträge an internationalen Universitäten. Wolf-Dieter Storl unternahm viele Reisen in ferne Länder und betrieb ethnografische und ethnobotanische Feldforschungen. Das Gärtnern, aber auch die ursprüngliche Natur, Wildpflanzen und Tiere, waren immer schon seine Quelle der Inspiration. Seit 1988 lebt er mit seiner Familie im Allgäu.
Wichtiger Hinweis
Manche der in diesem Buch vorgestellten Pflanzen sind regional geschützt. Bitte informieren Sie sich bei den Behörden Ihres (Bundes-)Landes über die geltenden Vorschriften. Wild wachsende Pflanzen, die nicht unter Naturschutz stehen, dürfen in der Regel genutzt werden; sammeln Sie jedoch nur einzelne Pflanzen, sodass der Bestand geschont wird. Die Informationen in diesem Buch wurden von Autor und Verlag sorgfältig geprüft. Dennoch kann bei Schäden, die durch die gegebenen Tipps, Hinweise und Rezepte entstehen, keine Haftung übernommen werden.
»Unkraut! Nein, wie kannst du das Unwort überhaupt in den Mund nehmen? Du hast doch immer davon geredet, dass Pflanzen besondere Wesen sind, dass das Leben auf der Erde ohne sie gar nicht möglich wäre; sie nähren uns, heilen uns und geben uns sogar die Luft, den Sauerstoff, zum Atmen. Du hast ja geschrieben, dass man sogar mit ihnen reden und kommunizieren kann, dass sie so etwas wie einen Geist oder eine Seele haben und nicht auf bloße Botanik reduziert werden können. Unkräuter! Das ist doch regelrecht diskriminierend – Ackerbegleitkräuter, Beikräuter, Beigrün, Spontanvegetation oder zumindest unerwünschte Wildkräuter sind das!«
♦ Unkräuter gibt es in Wirklichkeit nicht, nur in der Vorstellung des Menschen.
So wies mich eine gute Bekannte, die gerne Engelbücher liest und sich Mühe gab, ihre Umwelt mit positiven Gedanken zu beglücken, enttäuscht zurecht. Ich vermochte ihr auch nicht zu widersprechen. Es stimmte, was sie sagte. Und dennoch bleibe ich dabei, einige der kraftstrotzenden Gewächse, die mir im Gemüsegarten die Reihen mit den frisch gekeimten Möhren, Pastinaken oder Roten Beten überwuchern und bedrängen, mit dem Unwort zu bezeichnen. Die Zaunwinde etwa, deren Triebe sich im Frühling so zart und elfenhaft aus dem Boden erheben, um sich dann kurz darauf in würgende Schlangen zu verwandeln, die meine Blumen und Stauden gnadenlos strangulieren. Oder die kleine Kartoffel und die Topinambur- Knolle, die bei der Ernte im Herbst übersehen wurden, im Beet blieben und nun im Frühling mit überbordender Vitalität aus der Erde hervorbrechen und dabei den jungen Salat und die Radieschen-Sämlinge gnadenlos beiseitedrücken. Ein weiteres »Unkraut« in meinem Gemüsegarten ist sogar die Kamille. Ein besseres Heilkraut gibt es zwar kaum, aber bei mir tritt sie massenhaft auf. Vielleicht, weil ich diesen sonnigen Korbblütler so sehr mag; meine Oma konnte ja fast alles mit Kamillen heilen: »Kamillen statt Pillen« war ihre Devise. Besonders die Wege zwischen den Gemüsezeilen mag das schmucke Kräutlein, obwohl man da ständig auf ihm herumtrampelt. Ein pflanzlicher Masochist? Nein, ganz im Gegenteil. Das ständige Getreten- und Getrampeltwerden durch emsige Gärtnerfüße gibt der Kamille einen Überlebensvorteil gegenüber Konkurrenzvegetation. Im Gegensatz zu empfindlicheren Pflanzen kann dieser kleine Korbblütler das wegstecken. Die Kamille ist, wie auch der Vogelknöterich, der Breitwegerich und die Knopfkamille, Teil der sogenannten »Trittgesellschaft«, deren reife Samen – wenn es feucht ist – klebrig werden und an den Fußsohlen haften. Auf diese Weise finden viele solche Pflanzen Verbreitung.
Eigentlich ist mir das Jäten, Hacken und brutale Herausrupfen der Spontanvegetation zuwider. Die Pflänzchen sind einfach zu schön, und im Vergleich zu konventionellen Gemüsegärtnern lasse ich viel zu viele davon stehen. Aber wenn man auf das Jäten verzichtet, kann man das Gärtnern vergessen.
Jede Pflanze, die dort im Garten wächst, wo der Gärtner sie nicht haben will, ist also ein potentielles »Unkraut«. Wir sehen, Unkräuter an sich gibt es in Wirklichkeit nicht, außer in der Vorstellung des Menschen.
»Was gibt uns das Recht, einen Pflanzenreichtum als Unkraut abzuwerten?
...
Täglich, wo ich gehe, wo ich stehe, gibt es grüne Naturflecken. Ich staune und habe gelernt, die Formen- und Farbenvielfalt zu erkennen, zu schätzen. Heute ist für mich das Un-Kraut ein Gut-Kraut.«
Gottfried Honegger1
Wenn sie sich nicht vordrängeln und mir die Aussicht auf Erntefreuden vermiesen, dann stören mich die Begleitpflanzen überhaupt nicht. Im Gegenteil, ich mag sie – nein, besser gesagt, ich liebe sie geradezu, liebe ihre oft unerkannte Schönheit, liebe ihre potentielle Heilkraft, ihren Geschmack als Wildgemüse oder Würze, liebe die Geschichten, die sie umranken und die sie erzählen können. Man muss sich nur auf sie einlassen.
»Pflanzen verraten dir alle ihre Geheimnisse ... vorausgesetzt, du liebst sie genug!« Das sagte einmal der Pflanzenfreund George Washington Carver (1860-1943), der als schwarzer Sklave in Missouri geboren wurde und schon als kleiner Junge ein »Hospital« für seine grünen Lieblinge unterhielt. Nachbarn brachten ihm ihre »kranken« Topfpflanzen, damit er sie heile. Später wurde er zu einem bedeutenden Wissenschaftler und es gelang ihm, die von der einseitigen Baumwollmonokultur ausgelaugten Böden der Südstaaten durch den Anbau von Erdnüssen, Süßkartoffeln, Augenbohnen, Soja und anderen Leguminosen zu sanieren. Auch die Erdnussbutter soll er erfunden haben. »Ein Unkraut«, sagte er, »ist nichts anderes als eine Blume, die am falschen Ort wächst«.
Einige berüchtigte Unkräuter habe ich mir sogar absichtlich in den Garten gepflanzt, etwa den Japanischen Staudenknöterich, den man überall als aggressiven Neophyten mit Flamme, Machete und Gift bekämpft. Warum habe ich das getan? Weil die zarten, saftigen Frühjahrssprossen – sie wachsen in lauen Nächten 30 bis 40 Zentimeter pro Nacht – so lecker sind. Die angenehm säuerlichen Sprossen kommen bei uns mit in die Gemüsepfanne; auch einen »Rhabarber«kuchen kann man aus ihnen backen.
Letztes Jahr entdeckte ich im Spätherbst auf dem Bahnhofsplatz in Kempten das Franzosenkraut (>) – in einer schmalen Gehsteigritze. Der kleine Korbblütler bringt bis zu 30 000 Samen pro Pflanze hervor, die ungefähr zehn Jahre lang keimfähig bleiben. Schon vier Wochen nach der Keimung erscheinen die ersten Blütenknospen, die bald darauf wiederum eine neue Generation hervorbringen. Es ist ein wahrlich gefürchtetes Garten- und Feldunkraut!
Ich zog einige Pflänzchen samt Wurzeln aus der Spalte heraus und setzte sie in meinen Gemüsegarten. Sie waren schon verwelkt und ich glaubte, sie würden wahrscheinlich nicht anwachsen; aber schon am nächsten Morgen sahen sie wieder frisch aus. Welcher vernünftige Gärtner würde ein dermaßen gefährliches Unkraut in seine Beete setzen? Wahrscheinlich keiner. Aber für mich ist auch diese Beipflanze ein hervorragendes, schmackhaftes Wildgemüse. Man könnte das Pflänzchen auch als Bodendecker verstehen, der den Boden unter hoch wachsenden Gemüsen, wie etwa dem Zuckermais, feucht hält und schützt. Wo es zum Problem wird, muss man es einfach hacken und jäten; dann wird es zum wertvollen Futter für Regenwürmer und Bodenkleinlebewesen.
Ringelblumen und bunte Sommerblumen gedeihen zwischen den Gemüsen im Garten.
»Ein Unkraut ist nichts anderes als
eine Blume, die am falschen Ort wächst.«
George Washington Carver
Als die Menschen noch Jäger und Sammlerinnen waren – und das waren sie schon vor über einer Million Jahren, noch ehe sie sich zum Homo sapiens entwickelten – gab es noch keine Unkräuter, da waren alle Pflanzen Wildpflanzen. Und praktisch alle diese Wildpflanzen, viele, die heute als Unkräuter gelten, hatten irgendeinen Nutzen. Sie waren:
IN RESONANZ MIT DEN PFLANZEN
Als ich mit Bill Tallbull, dem bekannten Medizinmann der Cheyenne, in den Rocky Mountains unterwegs war, kostete er immer wieder von dieser und jener Pflanze. »Jede Pflanzenart hat ihren bevorzugten Standort, ihren arteigenen Wachstums- und Fortpflanzungsrhythmus, jede hat ihr eigenes Bewusstsein. Indem wir sie essen, lässt sie uns teilhaben an ihrem Bewusstsein, wir treten in Resonanz mit ihr und sie schenkt uns eine Botschaft«, erklärte er, »wenn man nur Supermarktgemüse isst, bleibt unser Bewusstsein beschränkt.« Ein breit gefächertes, differenziertes Nahrungsangebot lässt uns wacher, aufmerksamer, lebendiger und gesünder werden. Aus diesem Grund essen viele Schamanen und Medizinmänner ganz bewusst »breit gefächert«, indem sie eine Vielfalt von Wildpflanzen in ihre Diät aufnehmen.
Wer jeden Tag eine Handvoll Wildkräuter unter seinen Salat mischt, nimmt viele wertvolle Bioaktivstoffe auf.
Wertvolle Inhaltsstoffe
Wildkräuter, unter ihnen echte »Unkräuter«, sind voller bioaktiver Pflanzenstoffe2.
So enthalten sie:
Noch immer haben Jäger- und Sammlervölker eine ganze Palette wild wachsender Pflanzen auf ihrem täglichen Speiseplan. Wenn man – zum Beispiel als Völkerkundler – mit einer Gruppe der wenigen noch verbliebenen Wildbeuter bei ihren Streifzügen unterwegs ist, dann sieht man, wie sie ständig links und rechts einige Blätter, Kräuter oder Wildfrüchte abzupfen und essen.
So machen es auch die Khoi-San, die in der unwirtlichen Kalahari-Wüste im südlichen Afrika leben. Sie ernähren sich von rund 200 verschiedenen Wildpflanzen. Das ist eine vollkommenere Diät als die, von der der Großteil der Weltbevölkerung abhängig ist. Die vier wichtigsten Kohlenhydratspender – Weizen, Reis, Mais und Kartoffeln – ergänzt durch diverse Arten von Gemüse und Leguminosen ernähren heute 90 Prozent der Weltbevölkerung.
Die Tabelle zeigt den Vergleich im Mineralstoffgehalt. Beim Vitamingehalt und den Proteinen ist der Unterschied noch gravierender, da schneiden die Wildgemüse besser ab. So liefert die Brennnessel dreimal so viel Vitamin C wie der Grünkohl und der Giersch doppelt so viel Eiweiß. Zudem enthalten sie die für die Verdauung und eine gesunde Darmflora so wichtigen Bitterstoffe.
MINERALSTOFFGEHALT VON WILDKRÄUTERN UND KULTURGEMÜSE
Angaben in mg pro 100 g
Wasser (g pro 100 g) |
Kalium |
Phosphor |
Magnesium |
Kalzium |
|
Wildgemüse |
|||||
Bärenklau |
79,8 |
540 |
125 |
75 |
320 |
Brennnessel |
84,8 |
410 |
105 |
71 |
630 |
Gänseblümchen |
87,5 |
600 |
88 |
33 |
190 |
Guter Heinrich |
81,7 |
730 |
95 |
66 |
110 |
Huflattich |
84,8 |
670 |
51 |
58 |
320 |
Knopfkraut |
87,8 |
390 |
56 |
56 |
410 |
Löwenzahn |
89,9 |
590 |
68 |
23 |
50 |
Schlangenknöterich |
84,0 |
580 |
74 |
69 |
100 |
Schmalblättriges Weidenröschen |
75,0 |
450 |
94 |
81 |
150 |
Vogelmiere |
91,5 |
680 |
54 |
39 |
80 |
Weißer Gänsefuß |
86,9 |
920 |
80 |
93 |
310 |
Wilde Malve |
82,0 |
450 |
95 |
58 |
200 |
Kulturgemüse |
|||||
Blumenkohl |
91,6 |
328 |
54 |
17 |
20 |
Chicorée |
94,4 |
192 |
26 |
13 |
26 |
Chinakohl |
95,4 |
202 |
30 |
11 |
40 |
Endiviensalat |
94,3 |
346 |
54 |
10 |
54 |
Feldsalat |
93,4 |
421 |
49 |
13 |
35 |
Grünkohl |
86,3 |
490 |
87 |
31 |
212 |
Kopfsalat |
95,0 |
224 |
33 |
11 |
37 |
Mangold |
92,2 |
376 |
39 |
80 |
103 |
Rosenkohl |
85,0 |
411 |
83 |
22 |
31 |
Rotkohl |
91,8 |
266 |
30 |
18 |
35 |
Spinat |
91,6 |
633 |
55 |
58 |
126 |
Weißkohl |
92,1 |
227 |
28 |
23 |
46 |
Wildkräuter suchen sich gern den Platz aus, an dem sie sich wohlfühlen: am liebsten in einer bunten Gemeinschaft – hier eine kecke Echinacea purpurea.
Auch bei vielen der einfachen Gartenbauvölker und Hackbauern in Südamerika, Südasien oder Afrika ist der Begriff »Unkraut« nicht vorhanden.
Oft erkennen westliche Touristen, die in Kerala oder Guatemala unterwegs sind, gar nicht, dass die wilde, dschungelartige Landschaft, durch die sie fahren, in Wirklichkeit intensiv genutzte Gärten sind. Da stehen unbekannte Gemüsepflanzen in bunter Mischung zwischen höherwachsenden Stauden; der Boden ist bedeckt mit allerlei grünen Kräutern und Blütenpflanzen, die als Heilkräuter, Bienenweide, Sakralpflanzen, Gewürze oder Salatgrün geschätzt werden; dazwischen ragen verschiedene Obst- und Nussbäume empor. Überall flattern Schmetterlinge und Vögel. Nirgends findet man eintönige Monokulturen, wo Pflanzen der gleichen Art wie Soldaten in Reih und Glied auf entblößten, von Beikräutern gesäuberten Böden strammstehen müssen. Solche Gärten sind kleine, der wilden Natur nachempfundene Biotope, in denen es kaum zu Schädlingsplagen, zum Verlust der Bodenfruchtbarkeit oder ähnlichen Disharmonien kommt. Die Erosion des Bodens ist wegen der flächigen Verwurzelung auch kein Thema. Diese Mischkultur ist relativ arbeitsintensiv, aber es werden mehr Nahrungsmittel pro Flächeneinheit geerntet als in den energieaufwendigen, ökologisch problematischen Monokulturen. Beim Ernten schließen sich die Lücken durch den Wuchs der Nachbarpflanzen und Beikräuter schnell.
Brennnesselsamen erntet man im September – Empfindliche tragen dabei Handschuhe.
Für die Urvölker, die Jäger und Sammlerinnen, auch für unsere heidnischen Vorfahren hatte jedes Wesen seine guten und weniger guten Seiten. Nichts war ausschließlich gut oder ausschließlich böse. Feuer kann wärmen, aber auch brennen; Schlangen konnten beißen und töten, aber ihr Erscheinen konnte auch Heilung bedeuten. Auch die Götter und Geister waren weder gut noch böse, sie waren ambivalent. Der griechische Sonnengott Apollo wie auch der indische Rudra konnten Segen spenden, aber ihre Pfeile konnten Mensch und Tier ebenso Verderben und Siechtum bringen. Die alte Erdgöttin – wir kennen sie noch aus dem Märchen der Frau Holle – galt als Ernährerin und Heilerin, aber zugleich war sie die Göttin des Todes. Genauso verhielt es sich mit den Pflanzen, auch in ihnen erkannte man sowohl positive als auch weniger angenehme Eigenschaften. Diese althergebrachte Sichtweise sollte sich jedoch dank eines Propheten namens Zarathustra (griechisch: Zoroaster) radikal ändern.
Niemand weiß genau, wann der einflussreiche persische Prophet lebte; es könnte vor mehreren tausend Jahren gewesen sein oder, wie einige Historiker meinen, 500 Jahre vor unserer Zeitrechnung. Eines ist jedoch sicher: Mit seiner Vision, die er als Kamelhüter im östlichen Iran empfing, hat er die Welt verändert. Judentum, Christentum, Islam und auch säkulare Weltanschauungen wie der Marxismus sind Teil seines Erbes. Für ihn war die Schöpfung keine bunt durcheinandergewirbelte Mischung, in der jedes Wesen positive wie auch negative Seiten aufweist. Er teilte alles Existierende in zwei diametral entgegengesetzte Kategorien: in Gut und Böse. Gemäß seiner Kosmologie erschuf der gute Gott, der weise lichtvolle Herr Ahura Mazda – der übrigens keine Göttin an seiner Seite braucht – alles. Seine Schöpfung war gut, die Erde ein Paradies. Doch dann drang ein düsterer Gegengott, der arge Ahriman mit seinen Dämonen – es handelt sich um die alten heidnischen Götter – in dieses Paradies ein, um es zu verwüsten. Ein kompromissloser Kampf zwischen Gut und Böse entbrannte. Der Mensch, lehrte der Prophet, steht in der Mitte und muss sich individuell entscheiden, auf welcher Seite er steht. Am Ende der Zeit, am Jüngsten Tag, würden die Toten auferstehen und gerichtet werden; das Gute würde obsiegen, das verlorene Paradies wiederhergestellt und die Dämonen in den Abgrund gestürzt.