Für meine Tochter
in Liebe
Burg Thanenfeld, Februar 1410
Der Himmel glich einem grauen Dunstschleier, hinter dem die farblose Wintersonne nur schwach auszumachen war. In halsbrecherischem Galopp jagte Helena Maria von Thanen über die von Raureif bedeckten Wiesen dahin. Die kahlen Zweige der knorrigen Obstbäume flogen schnell an dem Mädchen vorüber. Tief gebeugt hielt Helena ihren Kopf neben dem Hals des prachtvollen Rappen. Eisig stichelte der Wind mit Nadelspitzen auf ihre Wangen ein und das dumpfe Donnern der Hufe vibrierte mit kraftvollem Dröhnen durch ihren Körper.
Die kalte Luft brannte in ihren Lungen. Doch für Helena war es ein gutes Brennen, denn es gab ihr das Gefühl von Freiheit und Unbekümmertheit. Es vertrieb die düsteren Gedanken an die ungewisse Zukunft, die ihr bevorstand.
Nur auf dem Rücken ihres Pferdes konnte die junge Frau alles hinter sich lassen, alles vergessen. Sogar der schmerzliche Verlust ihres Vaters, Schultheis von Thanen, trat für diese wenigen Momente in den Hintergrund. Erst als ihre Zehenspitzen taub, ihre Oberschenkel gefühllos waren und ihre Finger vor Kälte schmerzten, beschloss Helena zur Burg Thanenfeld zurückzureiten.
Wilhelm von Bräuningen, der älteste ihrer Garderitter, wartete schon vor dem Stall auf sie. Mit sorgenvoller Stirn beobachtete er, wie seine junge Herrin behände von ihrem Pferd glitt. »Erzherzogin, er ist da.«
Entsetzt schaute Helena den grauhaarigen Mann an, dem sie blind ihr Leben anvertrauen würde. »Ihr meint Syxt von Dietzlin?«
Ein stummes Nicken war Wilhelms Antwort.
»Aber … der Bote brachte doch die Nachricht, dass er erst morgen bei uns eintreffen würde.« Unwillen breitete sich auf dem hübschen Gesicht der jungen Erzherzogin aus.
»Uns bleiben nur Mutmaßungen, warum Euer Vormund früher als erwartet hier eintraf. Es scheint jedoch, als wolle er dem Befehl König Heinrichs ohne Zögern Folge leisten. Herzog Dietzlin ist nicht umsonst ein enger Vertrauter des Königs.«
Helena reichte dem Stallburschen die Zügel und wandte sich mit ihrer Frage wieder an Wilhelm, der ihr in den Stall gefolgt war. »Wartet er schon lange auf meine Rückkehr?«
Ein verkniffenes Schmunzeln erschien im grauen Spitzbart des Ritters. »Seit ein bis zwei Stunden harrt er im Rittersaal aus.«
»Großer Gott! Warum sagt Ihr das nicht gleich? Hat Baronin Genefe sich seiner angenommen?«
Wilhelm lachte. »Natürlich, Eure Hoheit. War es nicht die Baronin, die Euch die Haushaltsführung lehrte? Wenn nicht sie daran denkt, wer sonst?«
Helenas Augen wurden schmal, als sie mit eiligen Schritten davonlief und Wilhelm über ihre Schulter anzischte. »Anscheinend mögt Ihr Eure Ohren nicht besonders, denn Eure frechen Worte verlangen danach, dass ich sie Euch abschneiden lasse. Ihr habt mich auch den Umgang mit dem Dolch gelehrt und dennoch vergesst Ihr manchmal im Eifer des Gefechts die selbstverständlichsten Dinge, Graf Wilhelm.«
Helenas Drohung ließ Wilhelm noch lauter lachen als zuvor, denn der Ritter wusste, dass sie ihn mit ihrer spitzen Zunge lediglich necken wollte.
Kaum hatte Helena die Treppe des Burgturms erreicht, wo sie keine Blicke fürchten musste, raffte sie ihre Röcke und stieg in Eile die Stufen zu ihrem Zimmer empor. Duretta, ihre Zofe, begrüßte sie mit einem missbilligenden Zungenschnalzen.
»Kind, Euer Haar. Seid Ihr wieder geritten, als sei der Leibhaftige hinter Euch her?«, rief die betagte Frau und half Helena die Verschnürung ihrer Kleider zu lösen.
»Schimpf nicht mit mir, altes Weib. Du weißt, dass es das Einzige ist, was mich in dieser schwermütigen Zeit nicht verzagen lässt. Hast du das violette Kleid bereitgelegt und auch den goldenen Gürtel nicht vergessen?«
»Alles so, wie Ihr es wolltet, Erzherzogin«, antwortete Duretta geduldig.
Hastig zog Helena das grüne Überkleid aus und fragte mit schmollender Unschuld in der Stimme: »Willst du mir nicht wenigstens jetzt verraten, was du über meinen Vormund, Syxt von Dietzlin, weißt, jetzt, wo er unten im Saal weilt?«
»Nein. Wie die Tage zuvor sage ich Euch: Es ist besser, wenn Ihr Euch eine eigene Meinung von ihm bildet.«
Mit einem herzhaften Ruck befreite Duretta die junge Frau von dem hellen Unterkleid, dessen Saum von braunen Flecken verunreinigt war. Helena duldete den vorwurfsvollen Ton ihrer Zofe, weil sie ihr mehr Mutter als Dienerin war. Sie liebte die alte Frau, denn diese hatte bereits für sie gesorgt, als sie ein Säugling gewesen war, und stand ihr immer mit Rat und Tat zur Seite.
Nachdem Helena ihre saubere Kleidung angelegt hatte, setzte sie sich auf einen Schemel und Duretta zog Helena die Haarnadeln aus der zerzausten Frisur.
Der alten Frau blutete das Herz. Das arme Kind, dachte Duretta, selbst jetzt würde sie Helena nicht sagen können, was sie über Syxt wusste. Sie hatte sich mit Graf Wilhelm und Baronin Genefe darüber beraten und sie waren sich einig, dass sie die junge Erzherzogin nicht mit den Gerüchten beunruhigen wollten. Gerüchte, die ungeheuerlich und nicht für die Ohren eines unschuldigen Mädchens bestimmt waren.
Es wurde gemunkelt, dass Syxt von Dietzlin mehr Frauen im Bett gehabt hätte, als Bienen in einem Bienenstock wohnen, und es einem Wunder gleichkäme, dass man noch von keinem illegitimen Kind gehört habe. Außerdem, so hieß es, würde sein blendendes Aussehen nur von seiner Geldgier und Verschlagenheit übertroffen werden. Die alte Frau hoffte für Helena, dass dieser Klatsch, den die Dienstboten von Herrenhaus zu Herrenhaus trugen, schlichtweg übertrieben war. Ihre Erfahrung jedoch sagte Duretta, dass oft ein Fünkchen Wahrheit im Gerede der Leute lag. Wie sonst könnte ein mittelloser Herzog, der als drittes männliches Kind ohne nennenswertes Erbe dastand, in eine solch begehrenswerte Position bei Hofe gelangt sein?
Erneut versuchte Helena ihrer Zofe etwas Wissenswertes über Syxt zu entlocken. »Duretta, du bist der einzige mich liebende Mensch, der mir überblieb. Meine Mutter, Gott hab sie selig, starb bei meiner Geburt und mein geliebter Vater vor drei Wochen. An wen sollte ich mich wenden in meiner Neugier, wenn nicht an dich?«
Mit langen Strichen bürstete die alte Frau Helenas hüftlange Locken und flocht sie anschließend zu einem Zopf. Es stimmte, lediglich durch Durettas wohlgewählte und beherzte Worte hatte Helena ihre Trauer überwunden, die sich zu einer tiefen Depression gesteigert hatte. Zwei Wochen hatte das Mädchen weinend und teilnahmslos in ihrem Zimmer verbracht, wollte von nichts und niemandem etwas wissen. Nur mit Mühe hatte man sie dazu überreden können, ein wenig Nahrung aufzunehmen. Letztendlich war es der Leitspruch der Familie von Thanen gewesen, der die Erzherzogin wieder zum Leben erweckt hatte – einen Satz, den sie von Kindesbeinen an vorgelebt bekommen hatte: Ein von Thanen gibt niemals auf.
»Aua, sei doch vorsichtig, Duretta. Aber spute dich und leg mir noch das Stirnband an. Sei jedoch behutsam! Hörst du?«
Liebevoll betrachtete Duretta das Mädchen. Helenas volles Haar, welches wie die frischen Kastanien im Herbst glänzte, war das Erbe ihrer Mutter Krista, der sie schon als junge Magd ergeben gedient hatte. Krista war hübsch gewesen, mit ihren sanften braunen Augen und den unzähligen Sommersprossen. Doch Helena, die die außergewöhnlichen Augen ihres Vaters hatte, war schon jetzt mit ihren fünfzehn Lenzen eine erlesene Schönheit. Nicht nur das Grau, das wie blankes Silber schimmerte, sondern auch die schmale Form und die Stellung ihrer Augen gaben ihren Zügen etwas Exotisches. In Zusammenspiel mit der zierlichen Nase und dem kleinen, aber vollen Mund war Helenas Gesicht geradezu betörend für jeden Mann. Ihre Figur, die in ihrer Weiblichkeit noch nicht vollkommen ausgereift war, wirkte zerbrechlich. Helenas einzige Makel waren ihre Eitelkeit und ihre Launenhaftigkeit. Selbst das Aprilwetter war besser einzuschätzen als die junge Erzherzogin von Thanen, was jedoch die Schuld ihres Vaters war, der sein einziges Kind nach Strich und Faden verhätschelt hatte, um den Verlust der Mutter wettzumachen.
»Was ich Euch mit Bestimmtheit sagen kann, ist, dass er ein riesenhafter Mann ist und ein gewinnendes Äußeres hat.«
Das Stirnband war verknotet und Helena stand auf. Während sie den Samt ihres Rockes glatt strich, fragte sie verwundert: »Ein hübsches Mannsbild? Hast du ihn schon mal gesehen?«
»Nur aus der Ferne. Ich begleitete damals Eure Eltern an den Hof. Syxt muss damals um die zwanzig gewesen sein. Genug getratscht, eilt Euch oder wollt Ihr Euren Vormund gleich am ersten Tag erzürnen?«
Widerwillig schnaubend entfernte sich Helena mit pikierter Miene – ohne ein Wort, um Duretta zu zeigen, was sie von ihrem Tadel hielt. Kurz bevor sie die Tür schloss, drehte sie sich nochmals um. »Heute Abend reibe ich dir wieder die Schultern ein. Denk an die Kräuterlösung, sonst jammerst du morgen wieder über deine Schmerzen.«
Duretta lächelte zufrieden. Ja, Helena war furchtbar anstrengend, allerdings auch furchtbar gütig. Welche Herrin würde sich schon um die Schmerzen einer gebrechlichen Zofe kümmern?
Auf dem langen Gang hob Helena die Röcke an und hetzte die Stufen hinunter bis vor die Tür des Rittersaals. Obwohl die Burgmauern eine frostige Kälte ausstrahlten, spürte Helena, wie ihr der Schweiß ausbrach. Sie richtete ihre Kleider, straffte die Schultern und atmete zweimal tief durch, bevor sie den Saal betrat. Die vielen Kerzen der Kronleuchter und der Kandelaber erhellten den Raum. Im Kamin, der der einzige in der ganzen Burg war, brannte ein Feuer, das angenehme Wärme verströmte. Der Rittersaal war der übliche Aufenthaltsort des anwesenden Adels. Hier nahm man gemeinsam die Mahlzeiten ein, spielte und sang abends zur Unterhaltung. Da es an der Zeit für das Mittagsmahl war, saß die Großzahl der Ritter und Edelfrauen bereits an ihren Tafeln.
Eine Gruppe von sieben wohlhabend gekleideten Männern stand abseits vor einem Fenster. Die Edelleute, die Helena allesamt unbekannt waren, sprachen miteinander in leisem Ton und verstummten, als sie sie bemerkten.
Wilhelm kam Helena entgegen und begrüßte sie mit ungewöhnlich lauter Stimme, um den Neuankömmlingen jeden Zweifel an ihrer Identität zu nehmen.
»Erzherzogin Helena, darf ich Euch Euren Vormund, Herzog Syxt von Dietzlin, vorstellen?«
Erleichtert, dass Wilhelm ihr nicht von der Seite weichen würde, nickte Helena und folgte ihm zu den fremden Männern. Der Größte von ihnen, der die Erzherzogin um fast zwei Köpfe überragte, trat vor und deutete eine Verbeugung an.
»Königliche Hoheit, Eure Schönheit ist nicht in Worte zu fassen und ich kann mich glücklich schätzen Euch mein Mündel nennen zu dürfen.«
Syxt hatte seine blonden Haare mit einem blauen Band im Nacken zu einem Zopf gebunden. Sein Rock, der sich um seine breiten Schultern spannte, hatte denselben Farbton wie die Haarschleife. Die engen Kniehosen zeigten kräftige Männerbeine, die wegen seiner Körpergröße endlos erschienen. Neugierig betrachtete Helena das formvollendete Gesicht des Herzogs. Die lange Nase und die Kerbe in seinem Kinn unterstrichen seine beeindruckend männliche Aura.
Obwohl seine schmalen Lippen freundlich lächelten, musterten seine braunen Augen sie auf unverschämte und zugleich abschätzende Weise. Es schien, als saugten sie jede Einzelheit von Helenas Antlitz auf, um weiter an ihrem Hals entlangzugleiten und dann ihre Figur abzutasten. Angesichts dieses Gebarens verschlug es Helena den Atem, denn noch nie hatte ein Mann es gewagt, sie auf diese dreiste Art zu begutachten. Wäre ihr Vater noch am Leben, hätte sich der Herzog dies niemals erlaubt. Nein, das stimmte so nicht ganz, denn wäre ihr Vater noch hier, bestände überhaupt kein Grund für Syxts Anwesenheit.
Übelkeit stieg in Helena auf, als sie Syxt mit einer unguten Vorahnung ihre Hand reichte. Ohne den Blickkontakt abreißen zu lassen, küsste dieser ihren Handrücken und voller stummem Entsetzen spürte Helena für den Bruchteil einer Sekunde seine Zungenspitze auf ihrer Haut. Ein teuflisches Blitzen und ein schief verzogener Mundwinkel in Syxts überheblichem Mienenspiel offenbarten, dass er den Schrecken durchaus beabsichtigt hatte.
»Als ich am Fenster stand, durfte ich beobachten, dass Ihr eine ausgezeichnete Reiterin seid.«
Mit einer zynischen Bewegung seiner hellen Braue gab der Herzog dem Kompliment einen zweifelhaften Beigeschmack, den Helena nicht ganz durchschaute. Dennoch nahm sie ihn wahr und traute sich deswegen nur zu nicken.
»Habt Ihr noch andere Talente, die einen Ehemann beglücken könnten?«
Wilhelms Gesichtsfarbe wechselte von Weiß zu Rot, was Helena die Gewissheit gab, dass sie sich nicht getäuscht hatte – in der unterschwelligen Unverschämtheit, die in den Sätzen des Herzogs verborgen lag.
Als gut behütetes Edelfräulein hatte sie nie ein Ritter bedrängt. Zwar hatte es oft Feste gegeben, wo Gäste oder die Ritter ihres Vaters sich betranken und ausgelassen feierten, doch niemals hätte sich einer der Männer getraut sie auf diese Weise anzusprechen.
Wilhelm versuchte mit einem Räuspern das Gespräch in gesittete Bahnen zu lenken. »Die Erzherzogin verfügt über vielerlei Wissen. Es reicht von der Haushaltsführung über Handarbeit bis zur Arithmetik, Rhetorik und Philosophie.«
Syxts Blick verdüsterte sich, als er sich Wilhelm zuwandte. »Was Ihr nicht sagt? Recht ungewöhnlich für eine Frau, findet Ihr nicht?«
Helena schnaufte ungehalten. Unter keinen Umständen würde sie dulden, dass die Erziehung ihres Vaters infrage gestellt wurde. Dieser hatte ihr sowohl das Wissen einer Edelfrau zuteilwerden lassen als auch das Studium, welches gewöhnlich nur einem Edelmann zustand. Es war wohl notwendig, ihren Vormund in die Schranken zu weisen.
»Mein Vater vertrat die Meinung, dass Wissen nie von Nachteil sein könne, besonders nicht für seine Tochter. Oder würdet Ihr in einer dummen Ehefrau eine Bereicherung sehen?«
Schnell wie eine Schlange drehte Syxt seinen Kopf in ihre Richtung. »Was ich als Bereicherung empfinde, unterscheidet sich offensichtlich in höchstem Maße von Euren Ansprüchen. Aber eines seid Euch gewiss: Kein Mann will ein vorlautes Eheweib. Gehorsamkeit und Demut sind wünschenswerte Tugenden einer Ehefrau. Es scheint, dass Eure Erziehung diesbezüglich vernachlässigt wurde. Ich wäre untröstlich, wenn ich zu Strafen greifen müsste, um Euch diese zu lehren.«
Unnachgiebige Härte spiegelte sich in Syxts Augen wider, der Helena nur zu gern getrotzt hätte. Allein Wilhelms unauffälliges Kopfschütteln und sein warnender Blick ließen sie verdrießlich schweigen.
»Wie ich sehe, seid Ihr vernünftig. Lasst uns mit dem Mahl beginnen.«
Syxt bot Helena den Arm dar, doch sie schenkte ihm lediglich einen bissigen Blick und stolzierte an ihm vorbei.
Syxt war berauscht. Dieses kleine Mädchen war eine Kostbarkeit ohnegleichen. Die Frechheiten würde er ihr noch austreiben. Als der König ihm die Vormundschaft überlassen hatte und er von ihrem Reichtum in Kenntnis gesetzt worden war, war er bereits Feuer und Flamme gewesen über so viel Macht verfügen zu dürfen. Bei der Durchreise hatte er mehrere ihrer Ländereien und Besitztümer gesehen, auch Burg Thanenfeld hatte er in Augenschein genommen. Ihr Vermögen überstieg seine Vorstellungen bei Weitem, was seine ursprüngliche Idee zu einem sicheren Entschluss reifen ließ. Dass die junge Erzherzogin eine angehende Schönheit war, war das Sahnehäubchen für sein Vorhaben. Jeder Mann würde sie mit diesem Erbe zur Frau nehmen, selbst wenn sie bucklig und entstellt wäre. Ja, er würde sie selbst heiraten, so oder so. Er durfte nur keine Zeit verlieren, denn Heinrich würde sie sonst bestimmt im Hinblick auf politische Zwecke verheiraten wollen. Aber wenn er sich Helena gefügig machte, sie von ihm ein Kind erwarten würde, dann könnte Heinrich sie keinem anderen Mann mehr zur Frau geben.
Wie selbstverständlich nahm Syxt an der herrschaftlichen Tafel Platz und wählte bewusst den Stuhl, der bisher dem Erzherzog vorbehalten gewesen war. Mit abfälligem Gesichtsausdruck starrte Helena Syxt an.
Wie konnte er es wagen, schoss es der jungen Frau durch den Kopf, als sie Syxt dabei beobachtete.
Ganz nah beugte der Herzog seinen Kopf an die Seite der jungen Erzherzogin, die daraufhin stur geradeaus schaute und ihn hochmütig ignorierte.
Syxts Atem streifte ihr Ohr, was in Helena Schauder des Widerwillens auslöste. »Der Tod Eures Vaters ist bestimmt eine schwere Bürde für Euch«, sprach er und dabei umklammerte seine große Hand Helenas kalte Finger. Diese versuchte sie ihm unauffällig zu entwinden, was Syxt jedoch nicht zuließ. »Es wird mir ein vorrangiges Bestreben sein, Euch in der Trauerzeit beizustehen. Sicherlich werdet Ihr um jegliche männliche Zuwendung froh sein, die Euch Schutz und Trost spendet.«
Helenas Magen protestierte mit einem unangenehmen Drücken gegen sein angekündigtes Bemühen. Wo sie zuvor ein leichtes Hungergefühl verspürt hatte, war schlagartig Brechreiz eingetreten. Syxt vorzuwerfen, dass er sie bedrängte, war lächerlich, denn er wählte gängige Worte, die in einem Beileidsfalle angebracht waren. Und dennoch ließen die Betonung und seine kleinen versteckten Gesten eine unmoralische Aussage vermuten.
Mit viel zu süßlicher Mimik hielt Helena dagegen, um Syxt zu verdeutlichen, dass er sich nichts Unangebrachtes mit ihr erlauben konnte. »Oh, wie fürsorglich Ihr seid, Eure Hoheit. Obwohl mir doch die treu ergebenen Ritter meines Vaters eine Stütze sind, weiß ich Euer Angebot sehr zu schätzen.«
Ein durchdringendes Lächeln machte sich auf Syxts Zügen breit. »Ihr meint die Ritter, die nun mir unterstellt sind und meinen Befehlen Folge leisten müssen?«
Widerstrebend sah Helena ein, dass er recht hatte. Nicht einer ihrer Ritter konnte ihr helfen, sie war Syxt auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Selbst wenn er sie zur Strafe schlagen ließ, würde keiner der Männer einschreiten und nichts konnte Helena dagegen unternehmen. Denn es war sein Recht und seine Pflicht als Vormund, sie zu erziehen, auch mit Schlägen, wenn er es als nötig erachtete.
Eingeschüchtert von seiner Macht über sie, antwortete sie ihm leise: »Ja, diese meinte ich.«
Befriedigt grinsend ließ Syxt ihre Finger los und lehnte sich entspannt in seinem Stuhl zurück. Voller prahlerischem Stolz bediente er sich als Erster an der Fleischplatte, um sich die besten Stücke auszusuchen, was das Vorrecht des Burgherrn war.
Das Mahl ging schweigend zu Ende und sobald es die Etikette zuließ, flüchtete Helena in ihr Zimmer, wo sie sich bei Duretta den Frust von der Seele redete.
»Er ist ein Scheusal, Duretta. Er hat das Gesicht eines Unschuldsengels, aber die Gedanken eines Teufels.«
Hastig bekreuzigte sich die Zofe. »Kind, sagt so was nicht. Ihr seid solche Männer nicht gewohnt. Euer Vater ließ Euch zu viele Freiheiten. Durch seinen Reichtum und ohne jegliche Verwandtschaft war er ungebunden. Niemandem musste er Rechenschaft ablegen, außer dem König. Er gewährte Euch sogar die freie Wahl, wen und wann es Euch beliebte zu heiraten. Allerdings ist das ganz und gar unüblich. Viele Töchter werden schon mit zwölf Jahren verheiratet und so gut wie immer aus finanziellen oder politischen Gründen. Es heißt zwar, die Mädchen könnten nicht ohne ihre Zustimmung verheiratet werden, aber Schläge und Hunger tun ihr Werk. Im Grunde hat keine von ihnen ein Mitspracherecht bei der Erwählung ihres Bräutigams.«
Helena schaute bedrückt aus dem Fenster und stimmte ihrer Zofe ernüchtert zu. »Der Reichtum und die Ungebundenheit, die zu meines Vaters Lebzeiten ein Segen waren, werden mir nun zum Verhängnis. Ich werde verschachert und für Machtspiele missbraucht werden. Großer Gott, Duretta, was werden sie mit mir anstellen?«
April 1410
»Tut mir leid, Erzherzogin, Euer Vormund besteht darauf. Ich darf Euch nur noch den Damensattel zur Verfügung stellen.«
Der Stallbursche schaute unglücklich zu Boden, denn es war ihm peinlich, seiner Herrin den Wunsch nach ihrem üblichen Sattel zu verweigern. Er wusste, wenn er Herzog Dietzlin zuwiderhandelte, bekäme er zehn Peitschenhiebe und könnte sich eine neue Stellung suchen. So war es nämlich Batti ergangen, dem Gehilfen des Gerbers.
Wutschnaubend kehrte Helena auf ihren Fersen um. Genug war genug. Nicht nur, dass Syxt ihren Hauslehrer entlassen und fortgeschickt hatte, der sie in »Männerangelegenheiten«, wie der Herzog es nannte, unterrichtete, jetzt verbot er ihr auch das Reiten. Denn ein schnelles Reiten oder Springreiten, wie sie es liebte, war im Damensattel nicht möglich. Lediglich »lahmes Dahertraben« könnte man es nennen, was ihr ein Gräuel war. Genauso gut könnte sie spazieren gehen, was er wahrscheinlich demnächst auch noch als unschicklich deklarieren würde. Dieser falschzüngige Heuchler. Dabei war das Reiten das Einzige, was sie aufrecht hielt in ihrer Lage, die sie mehr und mehr an ein Gefängnis erinnerte. Jede Woche kamen von Syxt weitere Verbote und Anordnungen, welche sie zu befolgen hatte.
Angefangen hatte es damit, dass sie ihre Mahlzeiten auf dem Zimmer eingenommen hatte, um Syxt aus dem Weg zu gehen. Er gebot ihr jedoch, bei jeder Tafel anwesend zu sein, weil er sie persönlich auf die Pflichten einer Ehefrau bei Tisch vorbereiten wolle. Natürlich war das nur eine Ausrede gewesen, um ihr diese Rückzugsmöglichkeit zu nehmen, denn Baronin Genefe hatte sie bereits in den Aufgaben einer Ehefrau unterwiesen. Ihr war sehr wohl bekannt, dass sie sich mit ihrem Ehemann eine Brotscheibe teilen würde, auf der sie ihm die Fleischstücke in mundgerechte Portionen zu schneiden hatte, und nebenher dafür Sorge tragen müsste, dass sein Becher und die Schüssel stets gefüllt waren. All das wusste sie, was sie Syxt mehr als einmal gesagt und bewiesen hatte, aber dennoch beharrte er auf seiner Forderung – aus einem ganz bestimmten Grund.
Jede Mahlzeit wurde für Helena zu einer Tortur, weil sie schon allein Syxts Gegenwart nicht ertrug. Abgesehen davon zwang er sie dazu, eine Haube oder einen Schleier zu tragen, worauf Helena bisher immer verzichtet hatte, weil sie die Kopfbedeckungen als einengend empfand. Ihr Vater hatte ihr wegen des unbedeckten Haares nie einen Vorwurf gemacht und doch trug sie nun einen Schleier, weil Syxt es befahl. Lesen und Studieren durfte sie auf Geheiß des Herzogs ebenfalls nicht mehr, sie sollte ihre Zeit im Handarbeitszimmer mit den anderen Edelfrauen und einem Webstuhl verbringen, was ihr mittlerweile bis zum Halse stand. All das wäre für Helena zu ertragen gewesen und sie hätte es hingenommen, wenn er ihr nicht noch auf ekelhafteste Weise nachgestellt hätte.
Anfangs waren es lediglich Bemerkungen gewesen, ab und zu kleine Berührungen, was sich von Mal zu Mal gesteigert hatte. Was erst ein unbedachtes Halten ihrer Hände war, wurde zu einem aufdringlichen Betatschen ihres Beines unter dem Tisch, das immer dreister wurde. Aus einem versehentlichen Streifen ihres Rückens wurde ein unverwechselbares Grapschen nach ihrem Busen.
Syxt schaffte es immer wieder, sie allein anzutreffen und einen Grund zu finden, sie anzufassen. Eine lose Haarsträhne hier, ein Fleck da, ein Strohhalm, eine Fliege, alles war für ihn ein Anlass mit einem schmierigen Lächeln seine groben Pranken auf sie zu legen. Helena fürchtete sich vor jeder weiteren Begegnung und rang jedes Mal mit einem Würgereiz, wenn er sie wieder anfasste.
Den schnellen Ritt auf ihrem Rappen hatte Syxt ihr bisher nicht verwehrt, doch wenn er ihr jetzt noch dies nähme … Nur über ihre Leiche.
Mit rot gefleckten Wangen und bebender Brust rauschte Helena in das Schreibzimmer hinein, wo sich Syxt zu dieser Tageszeit gewöhnlich aufhielt.
»Herzog, auf ein Wort!«, rief sie Syxt aufgebracht entgegen, der hinter dem prunkvollen Schreibtisch saß, der einst ihrem Vater gehört hatte.
Die anderen anwesenden Ritter schauten erstaunt auf, ließen aber keinen Ton verlauten über Helenas resolutes Auftreten, welches diese lange Zeit unterdrückt hatte.
Syxts Brauen zogen sich ärgerlich zusammen, was Helena jedoch nicht davon abhielt ihn mit einem stechenden Blick zu traktieren.
»Wenn die Herrn Ritter mich mit meinem Mündel allein lassen würden, kann ich das Problem möglicherweise beseitigen, das die Erzherzogin quält.«
Nach und nach verließen die Männer den Raum, während Helena händeringend wartete. Die Wut und der Frust, die sich wochenlang in ihr angestaut hatten, schnürten ihr den Hals zu. Kaum war sie mit Syxt allein, stützte sie ihre Hände auf dem Schreibtisch ab und lehnte sich zu ihm hinüber. Mit zusammengebissenen Zähnen zischte sie los: »Wie könnt Ihr es wagen, Euch derart in mein Leben einzumischen! Lange genug habe ich stillgehalten, doch diesmal habt Ihr den Bogen überspannt, Herzog. Ich werde so reiten, wie ich es will, und niemand wird mich davon abhalten. Ihr nicht und nicht einmal der König persönlich.«
Bei jeder ihrer Silben verfinsterte sich Syxts Miene mehr und als sie geendet hatte, erhob er sich. Langsam richtete er sich zur vollen Größe auf. Helena brachte dies in eine unterlegene Position. Obwohl sie sich ebenfalls gerade hinstellte, musste sie ihren Kopf in den Nacken legen, um ihm ins Gesicht sehen zu können.
Als Syxt bedächtig schweigend den Tisch umrundete, versuchte Helena, ihre Nervosität hinunterzuschlucken. Obwohl sich Syxt ihr unangemessen dicht näherte, wich sie vor ihm nicht einen Millimeter zurück. Seine Augen blitzten zornig und seine Nase senkte sich an ihre, als er drohend flüsterte: »Ihr fragt, wie ich es wagen kann?«
Er wirkte wie ein Raubtier, das zum Angriff ansetzte, was prompt folgte. Syxt packte Helena brutal an den Oberarmen, hob sie in die Luft und schüttelte sie, während er auf sie einbrüllte. »Ich bin Euer Vormund! Ich bin Euer Herr und ich bestimme über Euch!«
Dann setzte er Helena wieder ab, ohne seinen eisernen Griff zu lockern, der ihr Schmerzen bereitete. Ängstlich schaute sie Syxt an, aber dieser setzte sein heiseres Schreien fort: »Ob es Euch gefällt oder nicht, Erzherzogin. Ihr werdet tun, was immer ich Euch befehle!«
Doch mit dem, was dann geschah, hatte Helena nicht gerechnet. Mit ganzer Kraft drückte er das Mädchen an sich und presste gierig seine feuchten Lippen auf ihren Mund, den er schier verschlang. Gewaltsam bohrte sich seine übergroße Zunge in ihre Mundhöhle, wobei seine Zähne ihre Lippen aufrissen.
Helena versuchte, sich von ihm abzustoßen, was ihr allerdings misslang. Mit ihren kleinen Fäusten trommelte sie auf seinen riesigen Körper ein. Doch Syxt war eine Wand aus Stein.
Plötzlich ließ er sie frei und Helena verabreichte ihm reflexartig eine schallende Ohrfeige. Ohne Zögern erhielt sie sofort die Quittung. Syxt holte aus und sein Handrücken traf mit voller Wucht Helenas Wange. Der Schlag schleuderte sie zu Boden und gegen ein Schreibpult, an dem sie sich schwer den Kopf stieß. Ein Schmerz brannte sich durch Helenas Schädeldecke und nahm ihr für einen Augenblick die Sicht.
Mit zwei Schritten war Syxt bei ihr und schaute hämisch auf sie herab. Eine seiner Hände krallte sich unbarmherzig in ihren Haarschopf und zog ihren Kopf brutal nach hinten in den Nacken. Tränen traten in Helenas Augen, denn der Schmerz wurde durch das Zerren an ihren Haaren unerträglich. Abermals kam Syxts Gesicht näher. Sie versuchte sich abzuwenden, doch sein Griff war zu fest. Ihr Schockzustand ließ sie keine Furcht spüren, nur enorme Abneigung.
»Ihr werdet meine Frau werden, also gewöhnt Euch daran mir zu gehorchen.«
In voller Absicht schmetterte Syxt ihren Schädel ein weiteres Mal gegen das Pult und wandte ihr den Rücken zu.
Erneut trieb sich die Pein durch Helenas Kopf, welcher noch vom vorigen Zusammenstoß und der groben Behandlung dumpf wummerte. Benommen blieb Helena am Boden liegen, während Syxt den Raum verließ. Etliche Minuten vergingen, bis die Erzherzogin sich erheben und die Treppe zu ihrem Zimmer hochwanken konnte.
Sie war froh keinem ihrer Ritter zu begegnen, denn sie schämte sich für ihr zerrupftes Aussehen. Nach dem Brennen ihrer Wange zu urteilen, war diese wahrscheinlich feuerrot und so, wie ihr einzelne Haarsträhnen die Sicht versperrten, musste ihre Frisur mal wieder hinüber sein. Sofort würde man sehen, dass Syxt sie für ihr aufsässiges Verhalten gezüchtigt hatte. Sie wollte nicht, dass dies irgendjemand erfuhr. Niemand sollte sie für schwach oder unterlegen halten, denn schließlich war sie Schultheis von Thanens Tochter, der stolz allem und jedem getrotzt hatte. Stets hatte ihr Vater betont, wie wichtig es sei seinen eigenen Grundsätzen unter allen Umständen treu zu bleiben, um sich jederzeit im Spiegel in Würde betrachten zu können.
Als Duretta Helena hereinkommen sah, rief sie erschüttert: »Himmel, was ist passiert? Ihr seid vom Pferd gestürzt. Ich rufe sofort einen Arzt.«
Sie wollte in großen Schritten an Helena vorbeieilen, doch diese hielt sie am Arm fest und wisperte gebrochen: »Nein. Warte … Ich war nicht reiten.«
Perplex blieb Duretta stehen und runzelte ihre Stirn. »Aber wie …?«
»Nicht jetzt, Duretta. Bring mir Tücher und kaltes Wasser zum Kühlen. Auch die Arnikatinktur kann nicht schaden«, flüsterte Helena und torkelte durch den Raum.
Während Duretta hastig davonstürzte, setzte Helena sich auf das Bett und entfernte den Schleier aus ihrem Haar, den sie mutwillig auf die Dielen warf. Leider machte das keinen Krach, was Helena noch mehr frustrierte, weswegen sie zu einem Kissen von ihrem Bett griff und es hinterherpfefferte. Es rumpelte leise gegen eine Truhe, was ihr Gemüt ein wenig beruhigte.
Helena atmete tief aus und befühlte ihren Hinterkopf, wo eine eigroße Schwellung prangte, die beim Betasten schmerzte.
Zumindest blutete es nicht, was aber nicht Syxts Verdienst war, dachte sie mürrisch. Wäre sie mit dem Kopf auf der Ecke des Pults gelandet, hätte es wesentlich schlechter für sie ausgehen können. Was würde Syxt ihr noch verbieten? Warum tat er es überhaupt? Konnte es ihm nicht egal sein, was für eine Ehefrau sie abgeben würde?
Verzweifelt schüttelte Helena den Kopf, doch eine Sekunde später hielt sie erschrocken den Atem an, denn die Erkenntnis traf sie wie ein Blitz. Es war Syxt nicht egal, weil er sie als Ehefrau wollte, was er mit seinem letzten Satz behauptet hatte. Hatte er sie nicht gleich bei ihrer ersten Begegnung auf die Tugenden einer Ehefrau hingewiesen? Demut und Gehorsamkeit waren es, die er sie nun wirklich lehren wollte.
Duretta kam mit den aufgetragenen Dingen ins Gemach zurück und begann gleich Helenas Wange mit den kalt getränkten Tüchern zu kühlen.
»Er hat Euch geschlagen, nicht wahr?«
Betrübt schaute Helena zu ihrer Zofe auf. Sollte sie Duretta von dem brutalen Kuss erzählen? Nein, der ekelhafte Kuss war das kleinere Problem. Sicherlich würde Syxt es nicht noch mal wagen, schließlich musste er doch eingesehen haben, dass sie seine Annäherungen nicht länger duldete. Was die Schläge und die Verbote anging … das war jedoch etwas anderes.
»Was kann ich gegen seine Züchtigungen unternehmen?«
Die Durettas Lippen bildeten einen Strich, bevor sie laut seufzte. »Nichts, mein Kind. Ihr könnt ihm nur keinen Anlass für die Schläge bieten. Als Euer Vormund hat Syxt so gut wie jedes Recht auf seiner Seite, weil er seine Handlungen als Erziehung rechtfertigen kann.«
***
Von Tag zu Tag beunruhigte Helena mehr, was Syxt im Schreibzimmer zu ihr gesagt hatte. Die blauen Flecken an den Armen, ihre wunden Lippen und die Beule an ihrem Hinterkopf wogen nichts im Vergleich zu Helenas angeknackstem Stolz und der Angst, die sie befiel. Die starre Überzeugung, die in Syxts Worten mitgeschwungen hatte, als er beschwor, dass sie seine Frau werden würde, offenbarte eine feste Absicht. Warum war er sich dermaßen sicher, sie als Eheweib zu bekommen? Ohne Zweifel wusste er, dass sie ihn nicht ausstehen konnte, ihn verabscheute, weswegen sie ihm nie ihre Zustimmung zu einer Heirat geben würde.
Da Syxt als Bewerber galt, wenn er um ihre Hand anhielt, und nicht mehr als Vormund, müsste er sich mit dem Antrag direkt an den König wenden. Syxt musste davon ausgehen, dass Heinrich sie fragen würde, ob es ihr Wille sei Syxt zu ehelichen. Was also führte der Herzog im Schilde, das ihm die Gewissheit verlieh, dass sie in eine Ehe einwilligen würde?
Helena plagte sich mit ihren Befürchtungen. Selbst Duretta, der sie einen Teil von ihrem Leid erzählte, konnte ihre Ängste nicht zerstreuen. Eine andere Person zu fragen, brachte Helena einerseits aus Schmach nicht fertig und andererseits, weil es nichts an ihrer Lage geändert hätte. Da sie keine Familie mehr hatte, war keiner da, der für ihr Wohl sorgte oder für sie einstand. König Heinrich zu unterrichten, traute sie sich nicht. Die Schande über Syxts Annäherungen würde am Hof über Nacht die Runde machen und ihre Aussichten auf einen guten Ehemann, der es nicht bloß auf ihr Vermögen abgesehen hatte, in ungeheurem Maße schmälern. Helena hielt es für möglich, dass ihre Beschwerde bei Heinrich das Gegenteil bewirken könnte und Syxt erst recht in Zugzwang versetzte. Weiß der Himmel, auf welche schrecklichen Ideen Herzog Dietzlin kommen würde. Nein, auch dies schien Helena keine Option zu sein.
Indessen war Syxt immer darauf bedacht, bei seinen liederlichen Annäherungsversuchen keine Zeugen zu haben. Selbst starke Verletzungen fügte er ihr lediglich an gewissen Körperteilen zu, die außer Duretta keiner zu Gesicht bekam. Die restlichen Spuren von seinen Schlägen, die auf keine übermäßige Gewalt hinwiesen, waren kein Beweis für seine Gräueltaten, sondern bloß für gängige Erziehungsmaßnahmen.
Warum Syxt sie heiraten wollte, stellte für Helena kein Rätsel dar. Es war viel zu offensichtlich, wie sehr er seine neue Macht genoss, die seine Stellung als Verwalter ihres Vermögens mit sich brachte und die mit der Vormundschaft einherging. Unverkennbar aalte sich Dietzlin im Luxus und im Glanz von Burg Thanenfeld und den dazugehörigen Ländereien und Gütern. Es war ihr Reichtum, den er heiraten wollte, und nicht sie. Einzig die Frage, wie er sie dazu bringen wollte und was sie erwarten würde, wenn ihm das je glücken sollte, ließ sie keine Ruhe finden.
Helenas Ahnungen sollten sich bewahrheiten, auf vielerlei Weise und schneller, als gut für sie war.
Lautlos schlich Syxt durch die kalten, dunklen Gänge. Die kleine Flamme der Kerze, die er trug, flackerte leicht in der Zugluft, die dort herrschte, und warf gerade genug Licht vor seine Füße. Da die Uhr bereits weit nach Mitternacht zeigte, war keine Menschenseele mehr in der Burg unterwegs. Er wusste genau, wo das Zimmer lag, und als sich die Tür ohne Probleme öffnen ließ, klopfte sein Herz wild vor stiller Freude.
Die kleine Erzherzogin war so naiv und so unschuldig, was ihn fast noch mehr erregte als der Gedanke daran, was er nun mit ihr tun würde.
Schnell und leise huschte Syxt in ihr Gemach und schloss die Tür hinter sich. Ein Blick zu ihrem Bett sagte ihm, dass Helena schlief und nichts von seinem Eintreten bemerkt hatte. Vorsichtig stellte er den Kerzenhalter auf einer Truhe ab, die in der Nähe des Bettes platziert war. So würde er ausreichend Licht haben, um ihre Angst sehen zu können.
Einen Moment verharrte er vor Helenas Lager und betrachtete ihre Gestalt. Ihr schönes Haar war zu einem Zopf geflochten und ihr kleines Gesicht wirkte vollkommen entspannt und friedlich.
Die letzten Tage hatten ihre Züge mehr und mehr an Abneigung gewonnen, wenn sie ihm begegnete. Ja, er hatte sich in ihr getäuscht.
Normalerweise waren die Frauen von seinem Anblick begeistert, denn sein Gesicht und sein Körper waren wohlgestaltet, zweifelsohne. Oftmals reichte eine kleine Geste und wenn die nicht half, waren die Weiber spätestens nach ein paar Komplimenten so weit, dass sie schier darum bettelten, unter ihm liegen zu dürfen. Im Grunde war er dieses Spiel müde gewesen, was ihm jedoch erst klar wurde, als er Helenas Widerwillen zu spüren bekam.
So gut wie nie hatte sich ihm ein Weib verweigert oder sich von ihm angeekelt abgewendet, wie es Helena tat. Das hatte ihn noch mehr angespornt in seiner Absicht, sie zu erobern, was allerdings ohne Erfolg blieb. Viel eher hatte er damit das Gegenteil erreicht. Selten war einer seiner Pläne mit so viel Vergnügen verbunden gewesen wie dieser, den er nun wahr werden lassen würde. Natürlich war er hier um sie zu schwängern, aber … es war noch mehr.
Als Helena ihm nach dem Kuss eine Ohrfeige verpasst hatte, hatte zum ersten Mal sein Verstand ausgesetzt und es war … fantastisch gewesen. Dieses Gefühl, bar jeglicher Kontrolle agieren zu können, war herrlicher als alles, was er je erlebt hatte. Und dieses Klicken in seinem Kopf konnte nur Helena hervorrufen. Es war wie Fliegen in einem Raum ohne Grenzen und Zwänge. Narren würden dieses Gefühl für Liebe halten, doch er wusste es besser: Es war die Macht, über einen Menschen verfügen zu können. Er wollte sie wieder fühlen, diese Macht. Er wollte wieder fliegen.
Mit einem Schmunzeln öffnete Syxt seine Hose und zog sie aus. Einzig sein langes Hemd bedeckte seine Blöße. Langsam entfernte er die Decke von Helenas Körper, worauf sie sich sogleich auf die Seite rollte. Um der Kälte zu entgehen, krümmte sich das Mädchen zu einer Kugel, hob die Beine an und kreuzte ihre Arme vor der Brust. Leise murmelte sie im Schlaf, was Syxt das Zeichen gab, nicht mehr länger warten zu dürfen.
Eine seiner Hände presste er auf ihren Mund und mit der anderen hielt er ihre Handgelenke fest. Sofort öffnete Helena in Panik ihre Augen und begann sich vehement zu wehren. Von ihrem Schreien blieb wegen seiner großen Hand nur ein leises Wimmern übrig.
Syxt grinste dreckig. Bei ihren Versuchen sich zu befreien, rutschte ihr Nachthemd Stück für Stück nach oben und legte nicht nur ihre schlanken Beine frei, sondern auch das rotbraun gelockte Dreieck zwischen ihren hellen Schenkeln, welches er lüstern anstarrte. Im selben Augenblick spürte er das erwartungsvolle Ziehen in seiner Männlichkeit, die stramm angeschwollen auf ihren Einsatz wartete.
Syxt kniete sich auf das Bett und keuchte in Helenas Ohr. »Ja, vielleicht sollte ich meine Hand entfernen, damit Ihr laut nach den Männern rufen könnt, die Euch dann nackt unter mir finden, während ich Euch besteige.«
Die Erkenntnis seiner Worte ließ Helena kurz innehalten, was Syxt nutzte, um sich zwischen ihre Beine zu schieben und sie mit seinem Gewicht festzunageln. Seine Erektion bedrohte sofort ihre weibliche Pforte.
Mit ruhelosen Augen verfolgte er gebannt jede ihrer Gesichtsregungen, als er weiter flüsterte: »Was, glaubt Ihr, wird geschehen, wenn man uns so findet? Selbst wenn man Euch, was ich stark bezweifle, glauben sollte, dass ich Euch vergewaltigen wollte, würde ich nicht wie ein Bauer erhängt werden. Ihr solltet bedenken, dass ich ein Herzog bin, der nicht nur einen einflussreichen Bruder hat, sondern zahlreiche Onkel und Cousins, die mit König Heinrich verwandt sind. Glaubt Ihr, Heinrich wird mich hängen – wegen der waghalsigen Behauptung einer kleinen Erzherzogin – und somit sein Heer um mehrere Tausend Soldaten verkleinern? Wenn es ihn doch momentan stark nach Frankreichs Boden gelüstet? Meine ganze Sippe würde ihm den Gehorsam und den Wehrdienst verweigern und das ist das Letzte, was Heinrich brauchen kann. Er würde mich lediglich mit der Zahlung einer Geldsumme an Euern Vater bestrafen. Oh, verzeiht, ich vergaß, Euer Vater ist ja tot.«
Helenas Lider schlossen sich bei seiner zynischen Bemerkung und ihre Atmung wurde stetig hastiger, als Syxt fortfuhr.
»Letztendlich würde Heinrich mich sogar zwingen Euch zu heiraten, um Eurer Ehre Genüge zu tun.«
Schlagartig öffneten sich Helenas Augen und ungläubig betrachtete sie Syxts Gesicht.
Heuchelnd krächzte er in widerlich-süßem Ton: »Ihr seht, Hoheit, wenn Ihr schreit, spielt Ihr mir in die Hände. Also tut mir den Gefallen …« Er verharrte kurz, um sie dann böse zischend wie eine Schlange aufzufordern: »… und schreit!«
Helena verstummte abrupt und Syxt musterte ihre Züge mit einem satanischen Lächeln. »Oh, wie schade. Dennoch werde ich Euch den Mund zuhalten müssen, weil Ihr ausgesprochen schmal gebaut seid, mein Täubchen, und mein Schweif gewaltig ist. Für Euch wird es … schmerzhaft sein, doch für mich … ein besonderes Vergnügen.«
Und noch während sich Helenas Augen vor Schreck weiteten, rammte sich Syxt ohne jegliche Rücksicht in ihren jungfräulichen Körper und riss ihren Unterleib entzwei.
Der Schmerz sprengte alle Gedanken in Helenas Kopf hinweg und sie schrie in Syxts Handinnenfläche. Tränen strömten über Helenas Schläfen und tropften auf ihr Kissen. Ein höllisches Feuer schmorte sich mit jeder seiner brutalen Bewegungen quer durch ihren Schoß. Helena wimmerte unter den brennenden Qualen, die Syxts Treiben verursachte.
Die schwarzen Augen Dietzlins ergötzten sich an der Pein, die er dem Mädchen zufügte, bis er nach einer Weile ächzte und zum Ende kam.
Als er von ihr abgestiegen war und Helena wieder richtig Luft bekam, zog sie gleich die Decke über ihren geschundenen Körper.
Mit einem selbstgefälligen Lächeln schnürte Syxt seine Hose zu. »Beim nächsten Mal wird es nicht mehr schmerzhaft für dich sein, möglicherweise findest du sogar Gefallen daran.«
Helenas tränennasse Miene verzog sich vor Leid, als sie in die äußerste Ecke ihres Bettes rutschte und Syxt beobachtete. »Niemals!«, wisperte sie.
Nach einem unerwarteten Sprung lag Syxt erneut auf ihr und zerrte erbarmungslos an ihrem Zopf, bis ihr Gesicht vor seinem ruhte. »Glaubst du, es interessiert mich, ob du Vergnügen daran findest? Die Hauptsache ist, dass mein Samen Früchte trägt, dummes Weib.«
Ein letzter gemeiner Ruck an ihrem Haar, dann ließ er von ihr ab, stand auf und ging mit der Kerze aus ihrem Zimmer, als wäre nichts geschehen.
***
Helena saß mit angezogenen Beinen im Erker ihres Schlafgemachs und hatte sich in einen Wollumhang eingehüllt. Mit leerem Gesichtsausdruck starrte sie vor sich hin, als Duretta am darauffolgenden Morgen mit zwei Mägden hereinkam.
Die alte Zofe wusste auf der Stelle, dass etwas Schreckliches vorgefallen war. Allein Helenas bleiches Gesicht, ihre umschatteten Augen und die Tatsache, dass sie nicht mehr schlafend im Bett lag, sondern geistesabwesend vor sich hinstierte, wie nach dem Tod ihres Vaters, ließen der Zofe das Herz schwer werden.
Die Mädchen wollten die Decke des Bettes zurückziehen, als Helena aus ihrer Lethargie erwachte und laut ausrief: »Halt! Lasst das Duretta machen. Ihr geht den Badezuber holen und schafft mir reichlich kochend heißes Wasser bei. Und vergesst, um Himmels willen, Seife und Bürste nicht.«
Die Mägde tauschten untereinander fragende Blicke, nickten dann jedoch und verließen eilig das Zimmer. Die Tür fiel ins Schloss und Helena wandte sich an Duretta. Ihr Ton duldete keinen Widerspruch. »Du wirst die Kissen und die Decke, aber vor allen Dingen das Laken mitnehmen und verbrennen. Keiner darf es sehen. Hörst du, Duretta? Du wirst keinem Menschen ein Wort davon erzählen, was du in diesem Bett findest.«
Durettas Kopf wackelte unschlüssig hin und her, denn sie wusste nicht, ob sie heulen, verneinen oder nicken sollte. Zögernd ging sie zu Helenas Nachtlager und schlug die Bettdecke zurück. Entsetzt schrie Duretta auf, als sie den riesigen angetrockneten Blutfleck sah.
Sie stotterte mit runden Augen. »Das … Ihr habt doch im Moment … keine Monatsblutung.«
Und als Durettas Verstand die Teile nach und nach zusammensetzte, schlug sie beide Hände vor den Mund. Fassungslos schaute sie zu Helena. »Er hat Euch vergewaltigt?!«
Wasser trat in Durettas Augen, das Helena jedoch noch wütender machte. »Nein!« Unter Qualen erhob sich die junge Frau, denn ihr Unterleib schmerzte nach wie vor stechend. »Ich bin immer noch Jungfrau. Unter gar keinen Umständen darf etwas anderes bekannt oder gar vermutet werden, hörst du? Sonst bin ich diesem Mann auf Gedeih und Verderb ausgeliefert – mit dem Segen des Königs. Sorge dafür, dass von Syxts Tat keine Beweise bleiben, Duretta.«
Helena schleifte sich zum Hocker und ließ sich vorsichtig darauf nieder. »Der Herr sei mir gnädig und versage Syxt das Kind, das er mir einpflanzen wollte.«
Duretta griff sich an die Brust und seufzte. »Ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal zu Euch sagen muss, aber … es gibt Kräuter, die, frühzeitig eingenommen, die Leibesfrucht absterben lassen.«
Helena suchte Durettas Augen. Zaghaft sagte sie: »Ich weiß nicht, ob ich … Wie kann ich mein Leben über das meines Kindes stellen?«
»Aber es wäre sein Kind.«
»Und ich wäre seine Mutter, was kann das Kind dafür, welchen Vater es hat?«, fauchte Helena aufgebracht.
Duretta holte tief Luft. »Darüber denken wir nach, wenn es so weit ist. Jetzt müssen wir erst einmal diesem Teufel das Handwerk legen.«
Helena nickte betrübt. »Ja. Wenn du die Arbeit erledigt hast, geh zum Schlosser. Er soll einen zusätzlichen Riegel für meine Tür anfertigen. Zuvor legst du mir das rote Kleid heraus, ich muss zum Morgenmahl erscheinen, wie immer. Danach besorgst du mir Kamillenblüten fürs Badewasser, sie werden den Heilungsprozess beschleunigen.«
Duretta tat alles wie ihr geheißen, bis auf eines. Das Laken rollte die alte Zofe zusammen und versteckte es zwischen ihren eigenen Kleidern. Denn sie ahnte, irgendwann würde die Erzherzogin den Beweis ihrer Jungfräulichkeit brauchen.
Nachdem Duretta dem Schlosser den Arbeitsauftrag erteilt hatte, ging sie mit der Kamille wieder zu Helena zurück. Der Badezuber war gefüllt mit heißem Wasser und setzte das gesamte Zimmer unter Dampf. Kritisch beäugte die Alte den Zuber und steckte einen Finger hinein.
»Ihr könnt nicht ins Wasser steigen, es ist viel zu heiß, Ihr werdet Euch verbrühen.«
Da die beiden Mägde gegangen waren, ließ Helena den Umhang von ihren Schultern fallen und zog auch das blutverschmierte Nachthemd aus, das sie Duretta wütend zuwarf. »Papperlapapp. Diesen ekligen Putzlappen verbrennst du ebenfalls.«
Schockiert bemerkte Duretta die getrockneten und frischen Blutspuren, die auf der Innenseite von Helenas Beinen verliefen. Langsam stieg Helena in das heiße Wasser und begann sich einzuseifen. Wie eine Wilde schäumte sie sich ein, schrubbte und wusch sich von Kopf bis Fuß, immer und immer wieder. Helena rubbelte wie von Sinnen ihren Körper wund. Ihre zarte Haut, die vom brühenden Wasser schon gerötet war, wurde durch das stetige Bürsten noch roter. Duretta befürchtete, dass sie sich noch die Haut abschaben würde.
»Es reicht!«, polterte die alte Zofe schließlich und griff nach Helenas Hand, in der sie die Bürste hielt. »Ihr seid sauber genug, Kind. Oder wollt Ihr Euch die Haut in Streifen herunterschälen?«
Mit fiebrig glänzenden Augen schaute Helena wirr zu Duretta auf. Wie besessen flüsterte sie mit heiserer Stimme: »Nein, ich kann nicht aufhören. Noch immer spüre ich ihn auf mir, rieche ihn an meiner Haut. Dieser Schmutz und Dreck, den er über mich gebracht hat, muss weg. Er ist nach wie vor da, ich fühle ihn.«
Von dem Wahn getrieben sich zu reinigen, fing Helena erneut an sich mit starkem Druck abzuschrubben, bis Duretta sie an den Schultern packte und kräftig schüttelte. »Ihr seid vollkommen sauber. Da ist nichts.«
Weinend zog die Zofe das Mädchen an ihre Brust und streichelte über ihren Kopf. »Es ist vorbei, Helena. Alles wird gut, mein Schatz. Alles wird gut.«
Mit einem herzzerreißenden Aufschrei klammerte sich Helena an Duretta und brach in bittere Tränen aus.
***
Nach dem Bad hatte Helena ihre Schmerzen und sich selbst wieder einigermaßen im Griff, sodass sie stolz wie eine Königin in den Rittersaal hinabstieg und ihr Mahl neben Syxt einnahm.
Syxt, der die Ausgeburt der Hölle sein musste, grinste sie mit unheimlichen Augen an und besaß die Frechheit sie zu fragen, ob sie gut geschlafen habe.
Mit vorgerecktem Kinn blickte die Erzherzogin ihren Peiniger an. »Nicht besser oder schlechter als sonst. Ich träumte heute Nacht nur von einer dreckigen Ratte, die ihre ekligen Krallen auf mich legte.«
Ein mörderischer Zug wanderte über Syxts Antlitz. »Vielleicht sollte ich Euch nachts einmal einen Besuch abstatten, um nach dem Rechten zu sehen, wenn Ihr von solch furchtbaren Albträumen geplagt werdet?«
Helenas Finger zitterten, als sie sich den Trinkbecher an die Lippen führte und eine kleinen Schluck nahm. »Nein, Herzog, das ist sicherlich nicht nötig.«
»Wie Ihr meint«, erwiderte Syxt finster, entfernte sich vom Tisch und ließ Helena mit rot gefleckten Wangen zurück.
Am Nachmittag des darauffolgenden Tages kam der Schlosser und wollte den Riegel an Helenas Tür anbringen. Und als hätte Syxt Helena den ganzen Tag lang beobachtet, stand er plötzlich in ihrem Zimmer. Mit Argusaugen fuhr er den Mann ungehalten an: »Was machst du da?«
Der Schlosser war verunsichert, dachte er doch, der Befehl der Erzherzogin entspräche den Wünschen ihres Vormundes. »Ich bringe den Türriegel an, Euer Durchlaucht, wie mir befohlen wurde.«
Helena kratzte ihren ganzen Mut zusammen, denn sie glaubte, Syxt könnte ihr diesen Wunsch sicher nicht verwehren, wenn sie ihn plausibel vor Zeugen erklärte. Schnell trug sie ihre Argumente vor. »Ich gab den Riegel in Auftrag, damit kein Fremder des Nachts in mein Zimmer gelangen und mir Gewalt antun kann, wovor ich mich fürchte.«
Duretta, die ebenfalls im Raum war, blickte beschämt zu Boden, denn sie wollte Syxt ihren Groll nicht zeigen.