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Christian Klinger

Marco Martin ermittelt in Wien

30 Rätsel-Krimis

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Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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1. Auflage 2016

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © endrust/Fotolia.com

ISBN 978-3-8392-5196-6

1. Die Asche meines Mannes

Der gellende Schrei der Gräfin hallte durch die großzügigen Räume der Villa in der Braungasse am Fuße des Heubergs. Sofort stürmte Anni, das Dienstmädchen, herbei. Sie fand die Gräfin im Salon ausgestreckt auf dem Sofa liegend. Sie stöhnte und fächelte sich mit der flachen Hand Luft zu. »Einen Cognac«, verlangte sie. Dann ließ sie nach Marco Martin, dem Detektiv, der das Vertrauen der Familie genoss, schicken. In den Kreisen der Gräfin Valerie Waldorf-Biarits setzte man seit jeher auf Diskretion. Vor allem ließ man die Polizei nicht freiwillig in sein Heim, solange es nicht unbedingt sein musste. In delikaten Angelegenheiten setzte man auf private Investigation.

Marco Martin, Ermittler, wie er sich auf seiner Visitkarte bezeichnete, machte der Gräfin sofort seine Aufwartung. Martinec, wie in seiner Taufurkunde stand, war nach seinem Dafürhalten bei seinem Kundenstock nicht förderlich, also ließ er die »geschäftsschädigende« Endung einfach weg. Aus Markus Marco zu machen war weniger auf eine italophile Ader zurückzuführen, sondern auf die nervende Frage nach dem Nachnamen.

Er fuhr unter der Rundbrücke der von Otto Wagner, jenem Architekten, der der Stadt mit seinen Jugendstilbauten einen unverkennbaren Stempel aufgedrückt hatte, geplanten »Vorortelinie« hindurch. Die ehemalige Stadtbahn wurde nun als S-Bahnverbindung zwischen der Station Handelskai an der Donau und Hütteldorf im Westen Wiens genutzt. Zur Linken lag das Kongressbad, ein Freibad, dessen Holztrakte, in rot und weiß gestrichen, unter Denkmalschutz standen.

Es war Aschermittwoch, entsprechend gezeichnet erschien er im hochherrschaftlichen Haus. Aber auch dort schien gefeiert worden zu sein.

Worum es sich handle, fragte er höflich. Die Gräfin deutete auf den Kaminsims, der durchgehend von Konfetti bedeckt war, und erläuterte ihm, dass von dort diese Nacht die Urne mit der Asche ihres verstorbenen Mannes gestohlen worden wäre. Sie habe gestern Abend Gäste zu einem Faschingsempfang geladen. Da sei die Urne noch an ihrem Platz gestanden. Heute, nach dem Aufstehen gegen elf Uhr, habe sie sofort den Diebstahl entdeckt.

Martin stellte daraufhin die einzig mögliche Frage, die es zu Beginn jeder Untersuchung gab: »Haben Sie einen Verdacht?«

»Ob ich einen Verdacht habe?«, wiederholte die Gräfin auf ihre aristokratisch schnippische Art. »Natürlich habe ich einen Verdacht. Fragen Sie doch Max Hiedler, diesen Erbschleicher! Seit über einem Jahr versucht er, mit allen Mitteln zu beweisen, dass er der uneheliche Sohn von meinem Carl-Gustav ist. Dabei hat er so was nicht gemacht, … also das mit anderen Frauen. Er hat ja mich gehabt.«

Sie warf ihren molligen Körper in Positur. Martin blickte betreten zu Boden.

»Aber warum sollte jemand die …«, setzte er an, doch die Geste der Gräfin ließ ihn verstummen. An ihrem Blick erkannte er, dass es nichts mehr zu besprechen gab und er sich an die Arbeit machen solle.

Also sah er sich im Salon um. Auf dem Boden lag ebenfalls Konfetti verstreut, ebenso zertretene Papierschlangen. Die Tür zur Terrasse war angelehnt, ein Glas war eingeschlagen worden, einzelne Splitter lagen auf dem Boden. Auf dem Teppich waren noch feuchte Fußabdrücke zu erkennen. Martin nahm noch einmal den Kaminsims in Augenschein und wandte sich grübelnd ab. Er ließ sich die Adresse des von der Gräfin Belasteten geben und verabschiedete sich einstweilen.

Die Fahrt dauerte nicht lange, da Hiedler in Neuwaldegg ein Appartement bewohnte. Er fuhr den Straßenbahnschienen der Linie 43 entlang, querte dabei den teilweise mit seinen niedrigen und unterschiedlich zurückversetzten Häusern dörflich erscheinenden Bezirksteil namens Dornbach, welches als Doringinpach bereits 1115 urkundlich erwähnt sein soll. Er parkte den Wagen und kam zur Hausanlage, wo er den Knopf der Gegensprechanlage beim Namen Hiedler drückte. Dieser öffnete nach dem zweiten Läuten. Martin fiel der Verband an dessen rechter Hand auf. Er stellte sich vor und sagte dem jungen Mann den gegen ihn geäußerten Verdacht auf den Kopf zu.

»Wie bitte?«, erboste sich dieser. »Diese Schlange! Warum hätte ich das tun sollen? Mein Anwalt hätte ohnehin bald einen Ausfolgungsbeschluss erwirkt. Das weiß sie doch. Nur …«

Hiedler wurde bleich. Martin sprach aus, was dieser gedacht haben musste: »Wenn es keine Urne gibt, dann auch keinen Test, obwohl ich glaube … naja egal, ist nicht so wichtig. Was ist übrigens mit Ihrer Hand passiert?«

»Den falschen Hund gestreichelt.« Hiedler lächelte gequält.

Martin nickte. Er machte sich noch eine kurze Notiz, dann verabschiedete er sich. Er steuerte wieder die Waldorf’sche Residenz an.

Das Stubenmädchen hatte bereits sauber gemacht. Die Reste der Feier vom Vortag waren ebenso beseitigt wie sämtliche Spuren. Doch die Gräfin, die ihn mit einem süffisanten Lächeln begrüßte, hatte nicht mit Martins fotografischem Gedächtnis, das sich jedes Detail im Raum eingeprägt hatte, gerechnet. Er sagte:

»Ich glaube, wir sollten uns darüber unterhalten, warum Sie einem jungen Menschen möglicherweise sein Erbe vorenthalten möchten!«

Es war keine noble Blässe, mit der die Gräfin auf diese direkte Frage reagierte.

Wodurch ist Martin der Gräfin auf die Schliche gekommen?

Welchem Irrtum sind die beiden Kontrahenten aufgesessen?

Lösung

Die Gräfin hat insoweit gelogen, als sie behauptet hat, dass am Faschingsdienstag die Urne noch auf dem Kaminsims gestanden wäre. Dann wäre dieser Platz aber nicht voll von Konfetti gewesen. Sie muss sie also selbst zuvor verschwinden haben lassen, damit sie nicht gefunden wird.

Das war aber insoweit ohnehin vergebene Liebesmüh, weil nach derzeitigem Stand der Wissenschaft aus Asche keine DNA gewonnen werden kann.

2. Ein Sohn aus gutem Haus

Martin erhob sich und schaltete das Radio aus. Die letzte Meldung in den Nachrichten hallte in seinem morgendlich leeren Schädel nach. Ganz in Gedanken leerte er den Rest seines Kräutertees in die Spüle. Ein eklig grünes Gebräu flüchtete durch den Ausguss. Die Fastenzeit verlangte auch von ihm Opfer. Kein Kaffee, kein Alkohol. Dabei war er ohnehin das Jahr über enthaltsam, zumindest was seinen Drang nach Bewegung betraf. Aber der Verzicht auf seine Lieblingsgetränke war ihm vom Arzt als Kur gegen seine chronische Gastritis nahegelegt worden. Ostern war eine gute Ausrede dafür, es anzugehen. Der Verzicht schmerzte genauso wie sein Magen. Draußen reckten die Zweige ihre ersten grünen Knospen der Sonne entgegen.

Der Ermittler schlurfte zurück ins Schlafzimmer und kleidete sich an.

Wie er es erwartet hatte, läutete bald danach sein Mobiltelefon. Kaum war die Schlagzeile gekommen, dass man den Sohn eines bekannten Stadtpolitikers in der Nacht verhaftet hatte, war ihm klar gewesen, dass man ihn, Marco Martin, den Detektiv des Vertrauens der »Upperclass« einschalten würde.

Er holte den Wagen und fuhr los. Wenig später hatte er die Villa in Gersthof erreicht. Sobald er die gleichnamige Straße überquert hatte, rückten die Häuser hinter Vorgärten und von der Straße weg, und der Himmel über dem Kopf wurde weiter. Nicht ohne Grund zählte das Grätzel um die Semmelweis- Klinik zu den teuersten Wohngegenden. Mehr Luft und mehr Parkplätze musste man sich etwas kosten lassen. Er hatte sein Ziel erreicht, polterte über die geschotterte Einfahrt und parkte den Wagen vor dem Haus, das wohl Anfang des vorigen Jahrhunderts erbaut worden war. In Jagdhaus-Optik. Dunkles Holz dominierte über die sonst weiße Fassade. Einige an die Wände der überdachten Veranda genagelte Geweihe waren der fragwürdige Ausritt in die Welt der mit diesem Stil assoziierten Jägerei.

Der Stadtrat empfing ihn persönlich und führte ihn in eine Art Wintergarten. Die Ringe unter seinen Augen kündeten davon, dass er letzte Nacht kaum geschlafen hatte. Sie nahmen auf einer Korbgarnitur Platz.

»Ich weiß nicht, ob Sie es schon gehört haben«, setzte der Stadtrat ohne lange Begrüßung an, »aber letzte Nacht ist mein Sohn verhaftet worden, wegen Drogenhandels!« Beim letzten Wort klang die aufrichtige Erschütterung des Mannes, der sich in seiner politischen Arbeit gegen diese Art von Verbrechen besonders stark gemacht hatte, durch. Martin nickte nur und ließ den Stadtrat weitersprechen »Können Sie sich vorstellen, was das in meiner Position bedeutet?«

Martin konnte. Ruhig antwortete er: »Nun, in den Nachrichten ist Ihr Name noch nicht gefallen.«

»Was glauben Sie, wie schwierig es für mich war, beim Landespolizeikommandanten so etwas wie eine Nachrichtensperre zu erwirken. Angeblich sickert die nächsten 24 Stunden vorläufig nichts durch, das hat er mir versprochen. Trotzdem glaubt die Polizei, dass mein Sohn ein Dealer ist.« Der Politiker stockte. »Verzeihen Sie meine Unhöflichkeit«, wechselte er plötzlich den Tonfall, »ich habe Ihnen gar nichts angeboten, wollen Sie vielleicht einen Kaffee?«

Martin holte tief Luft, kniff die Augen zusammen und schüttelte nur den Kopf. Dann fragte er: »Und was meinen Sie? War er es?«

Der Stadtrat ließ sich in die geflochtene Lehne fallen und seufzte. »Ich weiß nicht, aber ich glaube es nicht. Mein Bub ist ein Trottel, der kann nicht einmal auf ebay was verkaufen. Nein, das Ecstasy muss ihm jemand zugesteckt haben, vielleicht, um mir zu schaden, Ja, man will mir etwas in die Schuhe schieben!«, ereiferte er sich zunächst, lieferte dann aber den ersten brauchbaren Anhaltpunkt: »Mit Freunden hat er gefeiert, fragen Sie doch die! Warten Sie, ich gebe Ihnen die Adressen.«

Martin machte sich unverzüglich auf, die beiden Freunde des Inhaftierten zu besuchen. Der Schilderung nach beides Studenten, einer davon langhaarig, Heavy-Metal-Freak, der andere eher der Sportlertyp mit einem Hang zu teuren Hobbys.

Martin wollte Letzterem zunächst seinen Besuch abstatten. Er wohnte noch im Haus seiner Eltern, in der Nähe vom Türkenschanzpark, dessen Name auf die zweite Türkenbelagerung im Jahr 1683 hinwies. In dem hügeligen Gelände hatte sich die Truppe der Muselmanen vor dem anrückenden Entsatzheer verschanzt.

Martin kurvte das kurze Stück in die Weimarer Straße, ins sogenannte Cottageviertel, wo man zum Ausklang des 19. Jahrhunderts nach dem Vorbild englischer Herrschaftssiedlungen Häuser und Bäume im Karree hingepflanzt hatte.

Der junge Mann lud gerade seine Golfausrüstung in den engen Kofferraum seines Sportwagens. Martin sah sich einem Dandy gegenüber, der lächelnd seine Fragen beantwortete.

»Ja, in dem Gedränge ist mir so eine Dunkelhaarige aufgefallen, die sich an meinen Freund geschmissen hat. Durchaus möglich, dass die was damit zu tun hat. Ich stand ja neben ihm.«

Im Großen und Ganzen passte seine Aussage zu dem bisher Gehörten.

»Das wär’s dann eigentlich«, sagte Martin und schickte sich zum Gehen an. »Eine Frage noch: Hatten Sie an dem Abend auch Ecstasy konsumiert? Es kommt ohnehin beim Test raus, den die Polizei mit Ihnen allen machen wird.«

Für einen Moment Schweigen. Dann wieder das bekannte Lächeln: »Was soll’s. Ja, hab ich, aber mit so viel Amphetamin hab ich sonst nichts am Hut. Ist mir zu tough. Das war nur ein Ausrutscher.«

Martin befand sich auf dem Weg zur zweiten Adresse, als ihn ein Anruf erreichte. Das Ergebnis der Laboruntersuchung war soeben eingelangt. Martin wechselte sein Ziel und steuerte das Polizeigefangenenhaus an. Dort fragte er sich nach dem Zimmer des ermittelnden Polizisten durch. Der vorherige Anruf des Stadtrats beim Kommandanten sicherte ihm volle Kooperationsbereitschaft. Schnell fündig geworden, stellte er sich dem Polizisten vor.

»Wieso hatten Sie die Laborergebnisse so schnell?«, kam Martin mit seiner ersten Frage.

»Erstens sind wir dem Zeug schon lange auf der Spur, kommt alles aus der gleichen Fabrik. Außerdem hat der Stadtrat einige wichtige Freunde in unserem Verein. Was glauben Sie, wie die Druck gemacht haben!«

»In der Politik können Freunde gefährlicher als Feinde sein.« Martin schloss es nicht mehr aus, dass sein Klient Opfer einer geschickt eingefädelten Intrige geworden war.

Zum Abschluss fragte er den Beamten, warum Drogenhandel angezeigt worden war.

»Sehen Sie«, erklärte dieser bereitwillig, »das Problem ist der ungewöhnlich hohe Amphetamingehalt in dem Zeug. Damit ist die Bagatellgrenze eindeutig überschritten.«

Martin bedankte sich und kehrte zu seinem Auto zurück. Dort rief er den Stadtrat an und berichtete ihm, dass sich die Angelegenheit bald in Wohlgefallen auflösen werde. Den zweiten Besuch sparte er sich.

Was macht Martin so sicher?

Lösung

Der sportliche Student, den Martin sprach, wusste zu genau über die Zusammensetzung der Extasytabletten Bescheid, was den Verdacht nahelegt, dass er mehr damit zu schaffen hatte, als er zugeben will.

3. Der alte Bankkapitän und sein Ärger

»Jetzt reicht es mir aber wirklich, Sie kommen sofort her«, brüllte der pensionierte Bankdirektor Franz-Josef Leiningen Martin am Telefon an. Normalerweise hätte der erfolgsverwöhnte Privatinvestigator einer solch rüden Aufforderung nicht Folge geleistet, aber er kannte den alten Herrn von früheren Aufträgen und wusste, dass in der rauen Schale ein durchaus feiner Kern steckte. Wahrscheinlich war dies der Ton, den er sich als Leiter eines privaten Kreditinstituts, dem er fast 30 Jahre vorgestanden war, angewöhnt hatte, um sich gegen die jüngere Konkurrenz zu behaupten. Seinem Sohn, mittlerweile auch beinahe 60 Lenze zählend, war erst vor Kurzem die Führung übertragen worden. Auch er würde wohl bis ins hohe Alter aktiv sein müssen, wollte er das Familienunternehmen nicht sprichwörtlich den Bach runtergehen lassen. Denn dessen Sohn wiederum hatte sich bislang eher in den Klatschspalten als in den Wirtschaftsnachrichten einen Namen gemacht. Der Jüngste aus dem Clan, Franz-Xaver, war in seinem Studium der Handelswissenschaften stecken geblieben wie ein Klumpen in einer Sanduhr.

Martin parkte den Wagen in der Agnesgasse in Sievering, einem der Döblinger Weinorte, aus dessen Steinbruch bereits die Römer erste Steine für ihr Oppidum geholt hatten, und ging die paar 100 Meter zur Villa seines Auftraggebers zu Fuß. Zum Glück hatte es zu regnen aufgehört. Der Asphalt dampfte, und vom nahen Weingarten roch es nach feuchter Erde. Er erreichte die Einfahrt der imposanten Villa, zu deren Areal neben einem eigenen Tennisplatz noch Schwimmhalle und eine Indoor-Golfanlage gehörten. Das Eisentor war verschlossen. Martin läutete. Das Licht der Kamera ging an, und er schob seinen Kopf in deren Fokus. Wenig später stapfte der rüstige Finanzpensionist resolut über den knirschenden Kies. Mit Schnauzbart, Tweedsakko und Filzkappe auf seinem Kopf erinnerte er Martin an einen englischen Lord auf Entenjagd.

»Da sind Sie ja endlich! Ich dachte, Sie wissen, wo ich wohne, wieso hat das so lange gedauert?«

Martin schluckte seinen Ärger hinunter und lächelte. »Jetzt bin ich ja da. Was steht an?«

Leiningen öffnete das Tor. Kaum hatte Martin das Grundstück betreten, sperrte er hinter diesem umgehend wieder ab.

»Mir entkommt keiner. Ich hab sofort alle Ausgänge blockiert. Der Täter muss also noch hier sein, und Sie sollen ihn entlarven.«

Martin musste nachfragen. Er bemühte sich um einen devoten Ton, wollte er doch den aufgebrachten alten Mann nicht unnötig reizen. »Verzeihung, Könnten Sie ein wenig konkreter werden. Worum geht es genau?«

Leiningen zog Martin an seinem Ärmel hinter die Villa, wo die Garagen waren. Vor den Stufen, die zur Veranda führten, parkte ein Traum von Oldtimer, mit glänzend rotem Lack und blank poliertem Chrom.

»Jaguar XK 140, Baujahr 1957«, sagte Leiningen nicht ohne Stolz. Das Verdeck des Cabriolets war geschlossen. Martin strich sanft mit der Handfläche über den trockenen Lack. Leiningen kniff das rechte Auge zusammen, und Martin zog schnell seine Hand zurück. Er beugte sich unter den Wagen und sah im feuchten Kies vor den Hinterrädern zwei kurze Bremsspuren.

Sie nahmen auf der Veranda Platz. Ein Hausangestellter servierte Tee samt Cognac, und Leiningen begann, sein Leid zu klagen. Er habe schon seit drei Wochen den Verdacht, dass sich jemand aus dem Haus seinen Oldtimer ungefragt für Spritztouren ausborge. Letzte Woche hätte er sogar eine Schramme am rechten hinteren Kotflügel feststellen müssen. Die hat Leopold, sein Chauffeur, zwar auspolieren können, aber dennoch sei er wegen dieser Sache sehr in Rage. »Wissen Sie, vorhin, ich war im Badezimmer beim Rasieren, hör ich den Motor meiner Katze schnurren. Der Wagen hat einen ganz eigenen Klang, den erkenne ich sofort. Ich stürze hinunter, nehme den Schürhaken vom Kamin, und genau, als ich zur Veranda komm, seh ich noch, wie der Kerl aus dem Auto springt und hinter der Hecke verschwindet. Ich bin sofort nach, aber …«

»Sie sind also sicher, dass es ein Mann war?«

»Absolut!«

»Gut«, sagte Martin, »dann beschränken wir uns auf die männlichen Mitbewohner und Angestellten.«

Dann die übliche Frage nach einem Verdacht.

»Natürlich, Franz-Xaver, dieser Angeber. Sie kennen ja das schwarze Schaf der Familie, aber der leugnet natürlich.«

Martin begab sich in den obersten Stock, wo das Zimmer des Enkels lag. Er klopfte an und sah sich einem jungen Gecken gegenüber, der von einem Tommy-Hilfiger-Plakat hätte stammen können. Aus dessen Zimmer hatte man einen wunderbaren Blick auf die dampfenden Hügel der Umgebung, über die sich die Weinstöcke wie Perlenschnüre zogen.

»Ich hab es schon meinem Großvater gesagt und ich sage es Ihnen auch noch einmal. Mich interessiert des alte Kreibel nicht. Ich bin eher für modernen Komfort.« Er hielt Martin einen Schlüsselbund hin, auf dem das Porsche-Logo prangte. Er betätigte eine Fernbedienung, und durch das Fenster sah Martin ein Garagentor sich wie von Geisterhand öffnen. Martin konnte das bullige Heck eines Cayenne erkennen. Franz-Xavers Blick wanderte zur Tür, und Martin verstand diesen Wink.

Er kehrte zu Leiningen auf die Veranda zurück. Martin bat, dass man die männlichen Angestellten auf die Terrasse rief. Nach und nach kamen der Gärtner, der Butler und der Sporttrainer. Zum Schluss der Chauffeur.

»Gonzales, was machen Sie denn heute hier?«, fragte Leiningen erstaunt den Sportler. Dieser blickte verlegen zu Boden und druckste herum, dass er etwas geholt habe.

Leiningen wandte sich an Martin. »Gonzales hat heute seinen freien Tag, verdächtig, nicht? Aber hören Sie sich an, was mein Chauffeur gesehen hat.«

Der Bedienstete, ein älterer Mann mit Schnauzer, wie ihn Leiningen trug, berichtete, dass er gesehen habe, wie der Wagen mit hoher Geschwindigkeit die Einfahrt heraufgebraust und dann, so wie es der Herr Direktor geschildert hatte, vor der Veranda stehen geblieben sei. Er habe das deswegen beobachten können, weil er am Weg zur Garage war, um den Lack des Landrovers zu polieren.

Der Gärtner verwies als Alibi auf den Heckenschnitt, den er zur Deponie gebracht hatte und daher zur fraglichen Zeit gar nicht hier gewesen war.

»Für meinen Butler Alphonse lege ich die Hand ins Feuer«, meldete sich Leiningen zu Wort. Dessen Befragung erübrigte sich ohnehin.

»Ich denke, wir werden bei Ihrem Chauffeur auch eine Rechnung über die Reparatur des Kotflügels finden, wenn wir danach suchen«, sagte Martin im Brustton der Überzeugung.

Wodurch hat sich der Chauffeur verraten?

Lösung

So wie er den Hergang schildert, kann es nicht gewesen sein. Wäre der Wagen die Einfahrt herauf gefahren, hätten die Bremsspuren am Kies hinter den Rädern sein müssen. Der Chauffeur hat wohl den Wagen aus der Garage gefahren und auf das Gebrüll seines Chefs hin abrupt abgebremst und sofort das Weite gesucht.