Als sie gegangen waren, brachte man zu Jesus einen
Stummen, der von einem Dämon besessen war. Er trieb
den Dämon aus, und der Stumme konnte reden. Alle
Leute staunten und sagten: So etwas ist in Israel noch
nie geschehen. Die Pharisäer aber sagten: Mit Hilfe des
Anführers der Dämonen treibt er die Dämonen aus.
Matthäus 9:32-34
Welch wüste Bestie, deren Stunde nun gekommen,
Schlurft gen Bethlehem, um geboren zu werden?
Yeats
Der Herbst hatte jedenfalls ein stürmisches Ende genommen. In Hampstead Heath fegte ein heftiger Wind innerhalb weniger Stunden die herrliche Farbenpracht von Kenwood bis Parliament Hill von den Bäumen und ließ etliche alte Eichen und Buchen tot zurück. Nebel und Stille folgten, und ein paar Tage später war da nur noch der Geruch von Fäulnis und Feuer.
Eines Nachmittags blieb ich so lange dort und trug alles Gefallene in mein Notizbuch ein, dass ich meinen Termin bei Doctor Baxter verpasste. Er meinte, ich solle mir keine Sorgen machen. Weder über den Termin noch über die Bäume. Sowohl er als auch die Natur würden es überleben. Es sei niemals so schlimm, wie es aussah.
In gewisser Weise hatte er wohl recht. Wir waren noch glimpflich davongekommen. Im Norden waren Bahnlinien überflutet und ganze Dörfer von braunem Flusswasser überschwemmt worden. Sie hatten Bilder von Menschen gezeigt, die Wasser aus ihren Wohnzimmern schöpften, von toten Rindern, die eine Fernstraße entlangtrieben. Und neuerdings die Nachrichten über den plötzlichen Erdrutsch auf Coldbarrow und das Baby, das man am Fuß der Klippen gefunden hatte, wo es zusammen mit dem alten Haus in die Tiefe gestürzt war.
Coldbarrow. Ein Name, den ich schon lange nicht mehr gehört hatte. Seit dreißig Jahren nicht. Keiner, den ich kannte, erwähnte ihn mehr, und ich selbst hatte mir größte Mühe gegeben, ihn zu vergessen. Doch wahrscheinlich hatte ich stets geahnt, dass das, was dort geschehen war, nicht für immer verborgen bleiben würde, sosehr ich es mir auch wünschte.
Ich ließ mich aufs Bett sinken und überlegte, ob ich Hanny anrufen sollte, fragte mich, ob auch er die Nachrichten gesehen hatte und ob er irgendetwas damit anfangen konnte. Ich hatte ihn im Grunde nie gefragt, was er von diesem Ort in Erinnerung behalten hatte. Allerdings wusste ich auch nicht, was ich sagen, womit ich beginnen sollte. Abgesehen davon war es nicht leicht, ihn überhaupt zu erreichen. Die Kirche nahm ihn so sehr in Beschlag, dass er stets unterwegs war, um für die Alten und Kranken zu sorgen oder seine Pflichten gegenüber diesem oder jenem Ausschuss zu erfüllen. Ich konnte ja schlecht einfach eine Nachricht hinterlassen, nicht über diese Angelegenheit.
Sein Buch stand auf dem Regal neben den alten Taschenbüchern, die ich seit Jahren dem Charity Shop spenden wollte. Ich nahm es herunter, fuhr mit dem Finger über die geprägten Lettern und betrachtete dann die Rückseite. Hanny und Caroline im Partnerlook in weißen Hemden, die Arme um ihre grinsenden sommersprossigen Söhne Michael und Peter geschlungen. Die glückliche Familie von Pastor Andrew Smith.
Das Buch war vor nun beinahe zehn Jahren erschienen, und die Jungs waren mittlerweile groß geworden – Michael besuchte die Oberstufe der Cardinal Hume School und Peter war in seinem letzten Jahr auf dem Corpus Christi College –, doch Hanny und Caroline sahen fast genauso aus wie heute. Jugendlich, zufrieden, verliebt.
Ich wollte das Buch gerade zurück ins Regal stellen, da fiel mir auf, dass hinter dem Schutzumschlag ein paar Zeitungsausschnitte steckten. Hannys Besuch in einem Hospiz in Guildford. Eine Rezension seines Buchs im Evening Standard. Das Interview im Guardian, das ihn endgültig ins Rampenlicht befördert hatte. Und der Ausschnitt aus einer amerikanischen evangelikalischen Zeitschrift, als er hinübergeflogen war, um eine Vortragsreihe an den Universitäten im Süden des Landes zu halten.
Der Erfolg von Mein zweites Leben mit Gott hatte alle überrascht, nicht zuletzt Hanny selbst. Es war eins dieser Bücher, die – wie hatte es noch in der Zeitung gestanden? – den Leser in ihren Bann zogen und den Zeitgeist widerspiegelten. So oder so ähnlich. Irgendetwas daran muss den Leuten wohl gefallen haben. Monatelang war es unter den zwanzig meistverkauften Büchern gewesen und hatte seinem Verlag ein kleines Vermögen eingebracht.
Von Pastor Smith hatte jeder schon gehört, auch diejenigen, die sein Buch nicht gelesen hatten. Und jetzt, nach den Nachrichten aus Coldbarrow, schien es wahrscheinlich, dass sie erneut von ihm hören würden, sofern ich nicht alles zu Papier brachte und sozusagen zum ersten Schlag ausholte.
Ich weiß nicht, ob es noch einen anderen Namen hatte, aber die Einheimischen nannten es The Loney – dieses seltsame Nirgendwo zwischen den Flüssen Wyre und Lune, wohin Hanny und ich jedes Jahr an Ostern gemeinsam mit Mummer, Farther, Mr und Mrs Belderboss und unserem Gemeindepfarrer Father Wilfred fuhren. Es war unsere Woche der Buße und des Gebets, in der wir die Beichte ablegten, den Schrein der heiligen Anna aufsuchten und nach Gott Ausschau hielten im aufkeimenden Frühling, der dann jedoch kaum ein echter Frühling war, weder lebhaft noch überschwenglich. Es war eher die feuchte Nachgeburt des Winters.
Doch so öde und nichtssagend The Loney auch wirken mochte, es war ein gefährlicher Ort. Ein rauher, nutzloser englischer Küstenstreifen. Die tote Mündung einer Bucht, die sich zweimal täglich füllte und leerte und dabei Coldbarrow – eine einsame Landzunge, die eine Meile ins Meer ragte – in eine Insel verwandelte. Die Flut konnte schneller hereinströmen, als ein Pferd zu rennen vermochte, und Jahr für Jahr ertranken ein paar Menschen. Glücklose Fischer wurden vom Kurs abgebracht und liefen auf Grund. Glücksuchende Muschelsammler, die nicht wussten, worauf sie sich einließen, fuhren bei Ebbe mit ihren Wagen auf den Sand und wurden Wochen später mit grünen Gesichtern und Haut wie aus Mull wieder angeschwemmt.
Manchmal schafften es diese Tragödien in die Nachrichten, doch die Grausamkeit von The Loney schien so unvermeidlich, dass diese Seelen sich meist unbeachtet zu zahlreichen anderen gesellten, die im Laufe der Jahrhunderte bei dem Versuch, den Ort zu zähmen, ums Leben gekommen waren. Überall fanden sich noch Spuren der alten Industrie: Wellenbrecher waren durch Stürme zu Kies zermahlen worden, Hafenmolen im Schlamm versunken, und von dem alten Dammweg nach Coldbarrow war nur eine Reihe verrotteter schwarzer Pfosten übrig, die nach und nach im Schlick verschwanden. Dann gab es da noch andere, mysteriösere Bauwerke – Überreste von schlampig errichteten Bretterbuden, in denen einst Makrelen für die Märkte im Landesinneren ausgenommen worden waren, rostende Baken, den Stumpf eines hölzernen Leuchtturms auf der Landspitze, der einst Seeleute und Schäfer durch die launenhaften Sandverschiebungen geführt hatte.
Aber The Loney wirklich zu kennen war unmöglich. Es verwandelte sich mit jedem Einströmen und Zurückweichen des Wassers, und die Nipptiden brachten die Gerippe derjenigen zum Vorschein, die glaubten, sie hätten den Ort gut genug verstanden, um seinen heimtückischen Strömungen zu entkommen. Dabei handelte es sich um Tiere, manchmal um Menschen, einmal um die sterblichen Überreste von beiden – eines Viehtreibers und seiner Schafe, die auf dem alten Übergang von Cumbria abgeschnitten worden und ertrunken waren. Seit ihrem Tod vor über einem Jahrhundert hatte The Loney ihre Knochen immer weiter landeinwärts geschoben, als ob es damit etwas beweisen wollte.
Niemand, der auch nur das Geringste über diesen Ort wusste, näherte sich je dem Wasser. Das heißt, niemand außer uns und Billy Tapper.
Billy war ein ortsbekannter Trinker. Sein tiefer Absturz gehörte wie das Wetter fest zur Mythologie der Gegend, und er war ein gefundenes Fressen für Menschen wie Mummer und Father Wilfred, die ihn als Kürzel dafür verwendeten, was der Alkohol mit einem anstellen konnte. Billy Tapper war keine Person, er war eine Strafe.
Der Legende zufolge war er Musiklehrer an einem Jungengymnasium gewesen oder Direktor einer Mädchenschule in Schottland oder unten im Süden oder in Hull, irgendwo, überall. Seine Geschichte variierte je nach Erzähler, doch es war allgemein anerkannt, dass der Alkohol ihm den Verstand geraubt hatte, und es gab unzählige Anekdoten über seine Verschrobenheiten. Er lebte in einer Höhle. Er hatte in Whitehaven jemanden mit einem Hammer erschlagen. Er hatte irgendwo eine Tochter. Er glaubte, dass eine bestimmte Kombination aufgelesener Steine und Muscheln ihn unsichtbar machte, torkelte oft mit vor Kieseln klimpernden Taschen ins Bell and Anchor in Little Hagby und versuchte, aus den Gläsern anderer Leute zu trinken, weil er dachte, sie könnten ihn nicht sehen. Daher die verbeulte Nase.
Ich wusste nicht, wie viel davon der Wahrheit entsprach, aber das war auch nicht weiter wichtig. Wenn man Billy Tapper einmal gesehen hatte, schien alles möglich, was die Leute über ihn sagten.
Wir begegneten ihm zum ersten Mal an der Bushaltestelle aus mit Kieselrauhputz versehenem Beton an der einzigen Straße, die entlang der Küste von Morecambe nach Knott End führte. Es muss 1973 gewesen sein, als ich zwölf und Hanny sechzehn Jahre alt war. Farther war nicht bei uns. Er war früh mit Father Wilfred und Mr und Mrs Belderboss aufgebrochen, um sich die Glasmalerei in einer zwanzig Meilen entfernten Dorfkirche anzusehen, wo es anscheinend ein herrliches neogotisches Fenster gab, auf dem Jesus die Wellen besänftigt. Also hatte Mummer beschlossen, Hanny und mich nach Lancaster mitzunehmen, um Lebensmittel einzukaufen und eine Ausstellung antiquarischer Psalter in der Bibliothek zu besuchen – denn Mummer ließ sich nie eine Gelegenheit entgehen, uns über die Geschichte unseres Glaubens zu unterrichten. Dem Pappschild zufolge, das Billy sich um den Hals gehängt hatte – eines von mehreren Dutzend, mit denen er den Busfahrern zu erkennen gab, wohin er wollte –, war er in dieselbe Richtung unterwegs.
Die anderen Orte, an denen er gewesen war oder die er womöglich würde aufsuchen müssen, offenbarten sich, als er sich im Schlaf regte. Kendal. Preston. Manchester. Hull. In letzterem lebte seine Schwester, wie sich von dem leuchtend roten Pappquadrat ablesen ließ, das an einer separaten Schnürsenkelkette hing und Informationen enthielt, die sich in einem Notfall als wertvoll erweisen mochten, darunter seinen Namen, die Telefonnummer seiner Schwester und den in Blockbuchstaben vermerkten Hinweis, dass er allergisch gegen Penizillin war.
Diese spezielle Tatsache faszinierte mich als Kind, und ich fragte mich, was wohl geschehen würde, wenn man ihm trotzdem Penizillin gäbe, ob ihm das überhaupt noch größeren Schaden zufügen könnte, als er sich selbst bereits zugefügt hatte. Ich hatte noch nie einen Mann gesehen, der so lieblos mit seinem eigenen Körper umging. Seine Finger und Handflächen starrten vor Dreck. Jede Linie und Falte war braun. Zu beiden Seiten seiner gebrochenen Nase lagen seine Augen tief in den Schädel gedrückt. Sein Haar wucherte ihm über die Ohren und den Hals hinab, der von Dutzenden Tätowierungen die Farbe des Meeres angenommen hatte. Seine Weigerung, sich zu waschen, hatte in meinen Augen etwas beinahe Heroisches, wenn man bedachte, wie regelmäßig Hanny und ich von Mummer geschrubbt und frottiert wurden.
Er war auf der Bank in sich zusammengesackt, eine umgekippte leere Flasche von irgendetwas Üblem neben sich auf dem Boden und eine kleine, verschimmelt aussehende Kartoffel im Schoß, die ich auf seltsame Weise als tröstlich empfand. Es erschien mir angemessen, dass er nur eine rohe Kartoffel besaß. Diese entsprach meiner Vorstellung von dem, was Penner zu sich nahmen, wovon sie über Wochen kleine Stückchen abknabberten, während sie auf der Suche nach der nächsten die Straßen und Gassen durchstreiften. Per Anhalter fuhren. Klauten, was sie in die Finger bekamen. Züge als blinder Passagier bestiegen. Wie gesagt, die Landstreicherei hatte für mich in diesem Alter noch etwas Romantisches.
Er sprach im Schlaf mit sich selbst, schloss die Hände um seine Taschen – die klangen, als wären sie voller Steine, genau wie alle sagten – und beschwerte sich bitterlich über jemanden namens O’Leary, der ihm Geld schuldete, das er ihm nie zurückgegeben hatte, obwohl er ein Pferd besaß. Als er aufwachte und unsere Anwesenheit bemerkte, tat er sein Bestes, um höflich und nüchtern zu wirken, zeigte ein aus drei bis vier schiefen schwarzen Zähnen bestehendes Grinsen und zog seine Tellermütze vor Mummer, die kurz lächelte, ihn jedoch sofort durchschaute, was sie bei Fremden stets vermochte, und in halb angewidertem, halb ängstlichem Schweigen dasaß und den Bus durch reine Willenskraft herbeizurufen versuchte, indem sie die leere Straße hinaufstarrte.
Wie die meisten Betrunkenen verzichtete Billy auf Höflichkeitsfloskeln und klatschte mir sein blutendes, gebrochenes Herz gleich wie einen Brocken rohes Fleisch in die Hand.
»Fallt nicht auf das Teufelszeug rein, Jungs. Ich hab alles verloren deshalb«, sagte er, während er die Flasche hob und die letzten Tropfen hinunterkippte. »Seht ihr die Narbe?«
Er hielt seine Hand hoch und schüttelte den Ärmel hinunter. Eine rote Naht führte vom Handgelenk bis zum Ellbogen, wand sich durch tätowierte Dolche und Mädchen mit Melonenbrüsten.
»Wisst ihr, wie ich die gekriegt hab?«
Ich schüttelte den Kopf. Hanny starrte ihn an.
»Bin vom Dach gefallen. Der Knochen ist direkt hier durchgegangen«, erklärte er und demonstrierte mit seinem Finger den Winkel, in dem sein Unterarmknochen hervorgestanden hatte.
»Habt ihr vielleicht ’ne Kippe?«
Ich schüttelte erneut den Kopf, und er seufzte.
»Mist! Wusste doch, ich hätte in Catterick bleiben sollen«, kam es erneut völlig unvermittelt.
Es war schwer zu sagen – und er hatte überhaupt keine Ähnlichkeit mit den auf robuste Weise gutaussehenden Veteranen, die ständig in meinen Commando-Comics auftauchten –, aber ich nahm an, dass er vom Alter her im Krieg gekämpft haben musste. Und tatsächlich, als er sich in einem Hustenanfall krümmte und seine Tellermütze abnahm, um sich den Mund abzuwischen, blitzten an deren Vorderseite ein paar verbogene metallene Militärabzeichen auf.
Ich fragte mich, ob er wegen des Krieges trank. Dieser hatte mit manchen Menschen seltsame Dinge angestellt, sagte Farther. Hatte ihnen sozusagen den Kompass durcheinandergebracht.
Aus welchem Grund auch immer, Hanny und ich konnten unseren Blick nicht von ihm abwenden. Wir weideten uns an seiner Schmutzigkeit, seinem bestialischen Gestank. Es war dieselbe ängstliche Erregung, die wir verspürten, wenn wir durch einen Teil Londons fuhren, den Mummer als schlecht bezeichnete, und uns dort in einem Labyrinth aus Häuserreihen verloren, die sich gleich neben Industrieanlagen und Schrottplätzen befanden. Dann drehten wir uns in unseren Sitzen um und gafften den schmuddeligen Kindern nach, die wiederum uns anstarrten und dabei anstelle von Spielsachen Holz- und Metallstücke in den Händen hielten, die aus den kaputten Möbeln in ihren Vorgärten stammten, wo Frauen in Schürzen herumstanden und aus Eck-Pubs stolpernden Männern Obszönitäten zukreischten. Es war ein Safaripark der Schande. Das Bild einer Welt ohne Gott.
Billy spähte in Mummers Richtung und langte, den Blick unverwandt auf sie geheftet, in die Plastiktüte zu seinen Füßen, zog ein paar zerfledderte Seiten heraus und drückte sie mir in die Hand. Sie waren aus einem Schmuddelheft herausgerissen worden.
Er zwinkerte mir zu und ließ sich wieder gegen die Wand sinken. Der Bus erschien, und Mummer stand auf und hob einen Arm, um ihn anzuhalten, während ich die Bilder rasch einsteckte.
»Was machst du da?«, fragte Mummer.
»Nichts.«
»Dann albere nicht herum, und sieh zu, dass Andrew bereit ist.«
Ich versuchte, Hanny zum Aufstehen zu bewegen, damit wir einsteigen konnten, doch er rührte sich nicht vom Fleck. Er grinste und schaute an mir vorbei auf Billy, der unterdessen wieder eingeschlafen war.
»Was ist denn, Hanny?«
Er sah mich und dann wieder Billy an. Da verstand ich endlich, worauf er starrte: Billy hatte keine Kartoffel in der Hand, sondern seinen Penis.
Der Bus hielt an, und wir stiegen ein. Der Fahrer blickte an uns vorbei und pfiff Billy zu, der jedoch nicht aufwachte. Nach einem zweiten Versuch schüttelte der Busfahrer den Kopf und drückte auf den Knopf, um die Tür zu schließen. Wir setzten uns und beobachteten, wie sich auf Billys Hose ein dunkler Fleck ausbreitete. Mummer schnalzte mit der Zunge und zog unsere Gesichter vom Fenster weg, damit wir stattdessen sie ansahen.
»Lasst es euch gesagt sein«, warnte sie uns, als der Bus losfuhr. »Dieser Mann steckt bereits in euch. Es braucht nichts weiter als ein paar falsche Entscheidungen, um ihn zum Vorschein zu bringen, glaubt mir.«
Sie hielt ihre Handtasche auf dem Schoß fest und blickte geradeaus. Ich umklammerte mit der einen Hand die schmutzigen Bilder und steckte mir die andere unter den Mantel, wo ich mir die Fingerspitzen in den Bauch presste, um dort den Kern des Bösen ausfindig zu machen, der lediglich die richtigen Bedingungen aus Gottlosigkeit und Verderbtheit benötigte, um zu keimen und sich wie Unkraut auszubreiten.
Es ging so schnell. Der Alkohol ergriff von einem Menschen Besitz und verwandelte ihn in seinen Diener. Das sagte Father Wilfred immer.
Als Mummer ihm an jenem Abend von Billy erzählte, schüttelte er nur den Kopf und seufzte.
»Was kann man von einem Mann wie diesem schon erwarten, Mrs Smith? Einem, der sich so weit von Gott entfernt hat.«
»Ich habe den Jungs gesagt, dass sie es sich gut einprägen sollen«, sagte Mummer.
»Und das zu Recht«, versicherte er, nahm seine Brille ab und blickte Hanny und mich an, während er sie an seinem Ärmel putzte. »Sie sollten es sich zur Aufgabe machen, über all die Gifte Bescheid zu wissen, die der Satan verbreitet.«
»Mir tut er ja ein bisschen leid«, sagte Mrs Belderboss.
»Mir auch«, stimmte Farther zu.
Father Wilfred setzte seine Brille wieder auf und lächelte kurz herablassend.
»Dann geben Sie ihm nur, wovon er bereits im Überfluss besitzt. Mitleid ist das Einzige, woran es einem Trinker niemals mangelt.«
»Aber sein Leben muss doch schrecklich hart gewesen sein, dass er sich in solch einen Zustand gebracht hat«, wandte Mrs Belderboss ein.
Father Wilfred verzog spöttisch den Mund. »Meiner Ansicht nach weiß er nicht einmal, was ein hartes Leben überhaupt ist. Mein Bruder könnte Ihnen mit Sicherheit ebenso viele Geschichten über wahre Armut und wahre Not erzählen wie ich, nicht wahr, Reginald?«
Mr Belderboss nickte. »In Whitechapel hatten es damals alle schwer«, sagte er. »Keine Arbeit. Die Kinder verhungerten.«
Mrs Belderboss legte ihrem Ehemann mitfühlend eine Hand auf den Arm. Father Wilfred lehnte sich zurück und wischte sich den Mund mit einer Serviette ab.
»Nein, ein Mann wie dieser ist ein Narr der schlimmsten Sorte«, urteilte er. »Er hat alles weggeworfen. All seine Privilegien und Möglichkeiten. Soweit ich weiß, war er einst berufstätig. Als Lehrer. Was für eine furchtbare Verschwendung!«
Es klingt seltsam, aber als Kind erschienen mir manche Dinge so klar und ihr Ausgang so unausweichlich, dass ich glaubte, über eine Art sechsten Sinn zu verfügen. Die Gabe, in die Zukunft zu sehen, wie Elijah oder Ezekiel sie besaßen, die Dürre und Zerstörung mit solch beunruhigender Genauigkeit vorhersagten.
Ich erinnere mich daran, wie Hanny einmal über einen Teich in Hampstead Heath schaukelte und ich wusste, wirklich wusste, dass das Seil reißen würde, was es dann auch tat; so wie ich auch wusste, dass die streunende Katze, die er aus dem Park mitbrachte, zerhackt auf den U-Bahn-Gleisen enden würde und dass er das Goldfischglas, das er auf dem Jahrmarkt gewonnen hatte, auf den Küchenboden fallen lassen würde, sobald wir zu Hause angelangt wären.
Ebenso wusste ich nach jenem Gespräch am Abendbrottisch, dass Billy bald sterben würde. Der Gedanke kam mir wie eine feststehende Tatsache, als hätte es sich bereits ereignet. Niemand konnte lange auf solche Weise leben. Dermaßen schmutzig zu sein erforderte so viel Mühe, dass ich mir sicher war, derselbe barmherzige Gott, der einen Wal geschickt hatte, um Jonas zu retten, und Noah ein Zeichen gegeben, dass das Wetter sich ändern würde, werde ihn von seinen Qualen erlösen.
An jenem Ostern suchten wir The Loney für viele Jahre zum letzten Mal auf.
Nach dem Abend, an dem er uns am Esstisch im Hinblick auf Billy Tapper den Kopf zurechtgerückt hatte, veränderte sich Father Wilfred auf eine Weise, die niemand recht erklären oder begreifen konnte. Man führte es darauf zurück, dass er für die ganze Angelegenheit zu alt wurde – immerhin war es eine lange Reise von London herauf, und der Druck, seiner Gemeinde während einer solch intensiven Woche des Gebets und der Einkehr ein Hirte zu sein, mochte wohl an einem halb so alten Mann zehren. Er war müde. Das war alles.
Doch da ich die unheimliche Gabe besaß, die Wahrheit hinter den Dingen zu spüren, wusste ich, dass viel mehr dahintersteckte. Irgendetwas stimmte ganz grundlegend nicht.
Nachdem das Gespräch über Billy versandet war und alle es sich im Wohnzimmer bequem gemacht hatten, war er hinunter an den Strand gegangen und als ein anderer zurückgekehrt. Verstört. Durch irgendetwas aus der Bahn geworfen. Er beklagte sich wenig überzeugend über eine Magenverstimmung und sagte, er wolle sich hinlegen, woraufhin er seine Tür mit Nachdruck verriegelte. Ein wenig später vernahm ich Geräusche aus dem Zimmer und begriff, dass er weinte. Ich hatte noch nie zuvor einen Mann weinen hören, außer vielleicht einen der geistig Behinderten, die alle zwei Wochen ins Gemeindehaus kamen, um mit Mummer und einigen der anderen Damen zu basteln. Es war ein Laut der Angst und Verzweiflung.
Als er am nächsten Morgen endlich wieder zum Vorschein kam, zerzaust und noch immer aufgewühlt, murmelte er irgendetwas über das Meer und zog mit seinem Fotoapparat davon, ehe ihn irgendjemand fragen konnte, was los war. Es sah ihm nicht ähnlich, so kurz angebunden zu sein. Auch nicht, so lange zu schlafen. Er war wie ausgewechselt.
Alle sahen ihm nach, wie er den Weg hinunter verschwand, und entschieden, am besten so bald wie möglich aufzubrechen, überzeugt davon, er würde sich schon rasch erholen, wenn er erst einmal wieder in Saint Jude’s wäre.
Doch nach unserer Rückkehr verbesserte sich seine verdrießliche Stimmung kaum. In seinen Predigten schien er sich mehr denn je zuvor über das allgegenwärtige Übel in der Welt zu erzürnen, und bei jeder Erwähnung der Pilgerreise verdüsterte sich sein Gesicht, und er wurde in eine Art verschreckten Tagtraum versetzt. Nach einer Weile sprach niemand mehr davon, dorthin zu fahren. Es war einfach etwas, das wir früher einmal getan hatten.
Das Leben zog uns mit sich fort, und wir dachten nicht mehr an The Loney, bis Father Wilfred Anfang 1976 plötzlich starb und daraufhin Father Bernard McGill aus irgendeiner gewalttätigen Gemeinde in New Cross zu uns versetzt wurde, um Saint Jude’s zu übernehmen.
Nach seiner Antrittsmesse, bei der ihn der Bischof der Kirchengemeinde vorstellte, gab es auf dem Rasen des Pfarrhauses Tee und Kuchen, damit Father Bernard seinen Gemeindemitgliedern in einem weniger formellen Umfeld begegnen konnte.
Er machte sich sofort beliebt und wirkte im Umgang mit allen entspannt. Er hatte einfach diese gewisse Ausstrahlung. Einen ungezwungenen Charme, der die alten Kerle zum Lachen brachte und die Frauen dazu verleitete, sich unbewusst von ihrer besten Seite zu präsentieren.
Während er so von Gruppe zu Gruppe ging, schlenderte der Bischof zu Mummer und mir herüber und versuchte dabei, so würdevoll wie möglich ein großes Stück Dundee Cake zu verspeisen. Er hatte seinen Ornat und sein Chorhemd abgelegt, jedoch das pflaumenfarbene Priestergewand anbehalten, so dass er inmitten der Braun- und Grautöne der normalen Bürger als Mann von Bedeutung herausstach.
»Er scheint nett zu sein, Eure Exzellenz«, sagte Mummer.
»In der Tat«, antwortete der Bischof in seinem aus dem schottischen Midlothian stammenden Akzent, der mich aus irgendeinem Grund stets an feuchtes Moos denken ließ.
Er betrachtete Father Bernard, der gerade Mr Belderboss herzhaft zum Lachen brachte.
»In seiner letzten Gemeinde hat er wahre Wunder bewirkt.«
»Ach, tatsächlich?«, fragte Mummer.
»Er war sehr gut darin, die jungen Leute einzubinden«, erläuterte der Bischof, wobei er mich mit dem verlogenen Grinsen eines Lehrers ansah, der in gleichem Maße bestrafen wie befreundet sein möchte und am Ende keins von beidem erreicht.
»Oh, mein Junge ist Messdiener, Eure Exzellenz«, erwiderte Mummer.
»Ach ja?«, meinte der Bischof. »Na, das ist sehr schön. Father Bernard pflegt sowohl mit den Jugendlichen als auch mit den reiferen Mitgliedern der Gemeinde einen vertrauten Umgang.«
»Nun, wenn er auf Ihre Empfehlung hin kommt, Eure Exzellenz, dann bin ich mir sicher, dass er seine Sache gut machen wird«, sagte Mummer.
»Oh, daran habe ich keinen Zweifel«, erwiderte der Bischof und wischte sich mit dem Handrücken ein paar Krümel vom Bauch. »Er wird Sie alle durch sicheres Fahrwasser führen, Sie gewissermaßen um jedes Kap herumsteuern. In der Tat ist meine Segel-Analogie ziemlich passend«, fügte er hinzu, während er in die Ferne blickte und sich selbst ein kleines Lächeln schenkte. »Sehen Sie, ich wünsche mir sehr, dass Father Bernard die Gemeinde ein wenig in die Welt hinausführt. Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber ich bin der Ansicht, dass der Glaube stagniert, wenn man sich zu behaglich im Gewohnten einrichtet.«
»Nun, wenn Sie meinen, Eure Exzellenz«, sagte Mummer.
Der Bischof wandte sich ihr zu und lächelte erneut selbstzufrieden.
»Höre ich da etwa einen gewissen Widerstand gegen diesen Gedanken heraus, Mrs …?«
»Smith«, sagte sie, und als sie merkte, dass der Bischof auf eine Antwort wartete, fügte sie hinzu: »Den mag es unter den älteren Mitgliedern geben, Eure Exzellenz. Sie möchten nicht unbedingt, dass die Dinge sich ändern.«
»Und das sollten sie auch nicht, Mrs Smith, das sollten sie auch nicht«, entgegnete er. »Seien Sie versichert, dass ich die Ernennung eines neuen Amtsinhabers mehr als organischen Prozess verstehe, einen neuen Trieb einer alten Weinpflanze, wenn Sie so wollen, eher Kontinuum als Revolution. Und ich habe ja auch nicht gemeint, dass Sie sich ans andere Ende der Welt aufmachen sollen. Ich dachte mir, Father Bernard könnte vielleicht um Ostern herum gemeinsam mit einer Gruppe in Klausur gehen. Ich weiß, dass diese Tradition Father Wilfred sehr am Herzen lag, und auch ich habe sie immer als lohnenswert empfunden. Außerdem wäre es eine schöne Art, an ihn zu erinnern«, fügte er hinzu. »Und zugleich eine Gelegenheit, in die Zukunft zu blicken. Ein Kontinuum, Mrs Smith, wie ich bereits sagte.«
Der Klang eines Messers, das gegen Glas geschlagen wurde, übertönte das Stimmengewirr im Garten.
»Ah, ich fürchte, Sie müssen mich entschuldigen«, sagte der Bischof und tupfte sich die Krümel von den Lippen. »Die Pflicht ruft.«
Er eilte zu dem aufgebockten Tisch, der vor den Rosenbüschen aufgestellt worden war, wobei sein Priestergewand ihm um die Knöchel flatterte und nass wurde.
Als er fort war, erschien Mrs Belderboss an Mummers Seite.
»Sie haben sich ja lange mit Seiner Exzellenz unterhalten«, sagte sie und stupste Mummer scherzhaft mit dem Ellbogen an. »Worüber haben Sie gesprochen?«
Mummer lächelte. »Ich habe wunderbare Neuigkeiten«, sagte sie.
Wenige Wochen später organisierte Mummer ein Treffen für alle Interessenten, um den Stein ins Rollen zu bringen, bevor der Bischof es sich wieder anders überlegen konnte, was nicht selten vorkam. Sie lud alle zu uns nach Hause ein, um zu besprechen, wohin sie fahren könnten, auch wenn Mummer nur einen einzigen Ort im Sinn hatte.
An dem von ihr festgesetzten Abend traten die Gäste aus dem Regen ins Haus und brachten den Geruch von Feuchtigkeit und ihren Abendmahlzeiten mit herein: Mr und Mrs Belderboss, Miss Bunce, die Haushälterin des Pfarrhauses, und ihr Verlobter David Hobbs. Sie hängten ihre Mäntel in den kleinen Vorbau mit den gesprungenen Fliesen und dem hartnäckigen Fußgeruch und versammelten sich in unserem Wohnzimmer, wo sie nervös die Uhr auf dem Kaminsims im Auge behielten und das Teegeschirr unberührt auf dem Tisch stehen ließen, da sie sich nicht entspannen konnten, ehe Father Bernard erschienen war.
Endlich klingelte es an der Tür, alle sprangen auf, und Mummer ging öffnen. Father Bernard stand mit hochgezogenen Schultern im Regen.
»Treten Sie ein, treten Sie ein«, bat Mummer ihn.
»Danke, Mrs Smith.«
»Sind Sie wohlauf, Father?«, fragte Mummer. »Sie sind doch hoffentlich nicht zu nass geworden?«
»Nein, nein, Mrs Smith«, wiegelte Father Bernard ab, dessen Füße in den Schuhen schmatzende Geräusche von sich gaben. »Ich mag Regen.«
Unsicher darüber, ob er es sarkastisch meinte, geriet Mummers Lächeln ein wenig ins Wanken. Es war keine Eigenschaft, die sie von Priestern gewohnt war. Father Wilfred hatte immer alles todernst gemeint.
»Gut für die Blumen«, war alles, was sie zu erwidern wusste.
»Gewiss«, sagte Father Bernard.
Er warf einen Blick zurück auf sein Auto.
»Mrs Smith, ich fragte mich, was Sie wohl davon halten, dass ich Monro mit hereinbringe. Er ist nicht gern allein, und der Regen auf dem Dach macht ihn ehrlich gesagt ein kleines bisschen verrückt.«
»Monro?«, fragte Mummer und spähte an ihm vorbei.
»Nach Matt.«
»Matt?«
»Matt Monro«, sagte Father Bernard. »Mein einziges Laster, Mrs Smith, da kann ich Sie beruhigen. Ich habe darüber lange Rücksprache mit dem Herrgott gehalten, aber ich glaube, er hat mich als hoffnungslosen Fall aufgegeben.«
»Tut mir leid«, erwiderte Mummer. »Aber von wem reden Sie?«
»Von dem albernen Kerl, der dort hinter dem Fenster herumlungert.«
»Ihrem Hund?«
»Genau.«
»Aha«, meinte Mummer. »Nun, ich schätze, das lässt sich machen. Er wird doch nicht, Sie wissen schon, oder?«
»Oh nein, Mrs Smith, er ist ganz stubenrein. Er wird einfach wegdösen.«
»Ist schon in Ordnung, Esther«, mischte sich Farther ein, und Father Bernard lief hinaus zum Wagen und kehrte mit einem schwarzen Labrador zurück, der auf den Fußabtreter nieste, sich schüttelte und sich dann vor dem Kamin ausstreckte, als hätte er schon immer in unserem Haus gelebt.
Mummer bot Father Bernard den Sessel neben dem Fernsehapparat an, ein abgewetztes Möbelstück zwischen Olivgrün und Beige, das Mummer mit einem spitzengesäumten Stoffüberzug aufzuhübschen versucht hatte, den sie in unbeobachteten Momenten mit Hilfe von Farthers Wasserwaage geradezog.
Er bedankte sich, wischte sich mit einem Taschentuch über die Stirn und nahm Platz. Erst als er saß, taten es ihm alle anderen nach. Mummer schnipste mit den Fingern und warf mir einen Blick zu, der einem Tritt in den Hintern glich. Wie bei allen gesellschaftlichen Anlässen in unserem Haus war es meine Aufgabe, die erste Runde Tee und Kekse zu servieren, also kniete ich mich neben den Tisch, schenkte Father Bernard eine Tasse ein und stellte sie auf den Fernseher, der mit einem gestärkten Tuch verdeckt worden war – wie es zur Fastenzeit gerade auch alle Kruzifixe und Statuen in der Kirche waren.
»Danke, Tonto«, sagte Father Bernard und lächelte mir verschwörerisch zu.
Diesen Spitznamen hatte er mir gleich bei seiner Ankunft in Saint Jude’s verliehen. Er war der Lone Ranger, und ich war Tonto. Ich weiß, dass es kindisch war, aber ich schätze, mir gefiel die Idee, dass wir beide Seite an Seite kämpften, genau wie die Kameraden in den Commando-Geschichten. Auch wenn ich mir nicht sicher war, wogegen wir kämpften. Vielleicht gegen den Teufel. Ungläubige. Vielfraße. Verschwender. Die Art von Menschen, die Father Wilfred uns zu verachten gelehrt hatte.
Der Sessel ächzte, als Father Bernard versuchte, eine bequemere Position einzunehmen, und mir fiel erneut auf, wie riesig er war. Ein Bauernsohn aus Antrim, kaum älter als dreißig, auch wenn er nach Jahren harter Schufterei wie ein Mann mittleren Alters aussah. Sein Gesicht war robust und massiv, seine Nase eingeschlagen, und über seinen Kragen wölbte sich ein Fettpolster. Das gepflegte Haar trug er stets mit Öl über den Kopf zurückgekämmt, so dass es einen festen Helm formte. Doch insbesondere seine Hände waren es, die nicht zu Kelch und Pyxis zu passen schienen. Sie waren groß, rot und ledrig, nachdem er seine Jugend damit verbracht hatte, Trockenmauern zu errichten und Ochsen festzuhalten, um ihnen das Ohr einzukerben. Ohne seinen Priesterkragen und seine samtweiche Stimme hätte man ihn für einen Türsteher oder auch einen Bankräuber halten können.
Aber wie gesagt, allen in Saint Jude’s war er auf Anhieb sympathisch. Er war diese Art von Mensch. Unkompliziert, ehrlich, einfach im Umgang. Ein Mann für andere Männer, väterlich gegenüber Frauen, die doppelt so alt waren wie er. Ich merkte jedoch, dass Mummer ihm gegenüber Vorbehalte hatte. Natürlich respektierte sie ihn, weil er ein Priester war, aber nur, solange er mehr oder weniger Father Wilfred kopierte. Unterlief ihm ein Ausrutscher, lächelte Mummer freundlich und berührte ihn leicht am Arm.
»Father Wilfred hätte das Glaubensbekenntnis normalerweise auf Lateinisch vorgetragen, aber das macht nichts«, sagte sie nach seiner ersten allein gehaltenen Messe in Saint Jude’s. Und: »Father Wilfred hätte das Tischgebet normalerweise selbst gesprochen«, als er mir diese Aufgabe bei einem sonntäglichen Mittagessen anbot, das Mummer allem Anschein nach nur arrangiert hatte, um ihn in solchen Details zu testen.
Wir Messdiener mochten Father Bernard, der uns allen Spitznamen gab und uns nach der Messe ins Pfarrhaus einlud. Father Wilfred hatte uns natürlich nie dorthin gebeten, und selbst für die meisten Erwachsenen in der Gemeinde war es ein geheimnisvoller Ort, beinahe so sakrosankt wie das Tabernakel. Aber Father Bernard schien sich über Gesellschaft zu freuen, und nachdem das Silberzeug gereinigt und weggeräumt und unsere Gewänder in den Wandschrank gehängt waren, nahm er uns mit hinüber in seine Wohnung und ließ uns bei Tee und Keksen um den Esstisch sitzen, wo wir uns zu Matt Monros Gesang Geschichten und Witze erzählten. Nun, ich selbst tat nichts dergleichen. Das überließ ich den anderen Jungen. Ich hörte lieber zu. Oder gab zumindest vor zuzuhören, während ich den Blick durchs Zimmer wandern ließ und mir Father Bernards Leben vorzustellen versuchte, was er wohl tat, wenn er allein war, wenn niemand von ihm erwartete, ein Priester zu sein. Ich wusste nicht, ob Priester jemals Feierabend hatten. Ich meine, Farther verbrachte seine Freizeit nicht damit, den Mörtel am Schornstein zu überprüfen oder im Garten einen Theodolit aufzustellen, daher erschien es mir unfair, dass ein Priester die ganze Zeit über heilig sein sollte. Aber vielleicht konnte man das nicht so sehen. Vielleicht lebte man als Priester so ähnlich wie ein Fisch im Wasser. Man tauchte niemals daraus auf.
Nachdem Father Bernard bedient worden war, durften auch alle anderen ihren Tee bekommen. Ich schenkte jedem eine Tasse ein, leerte eine Kanne und brach die nächste an, bis noch eine Tasse übrig war. Hannys Tasse. Die mit dem Londoner Bus darauf. Er bekam immer eine eigene Tasse, auch wenn er in Pinelands war.
»Wie geht es Andrew?«, fragte Father Bernard, während er mich beobachtete.
»Gut, Father«, antwortete Mummer.
Father Bernard nickte und verzog sein Gesicht zu einem Lächeln, das zur Kenntnis nahm, was sie eigentlich sagte, ohne es auszusprechen.
»Er kommt Ostern nach Hause, nicht wahr?«, fuhr Father Bernard fort.
»Ja«, erwiderte Mummer.
»Ich bin mir sicher, Sie werden sich freuen, ihn dazuhaben.«
»Ja«, sagte Mummer. »Sehr.«
Ein betretenes Schweigen folgte. Father Bernard wurde bewusst, dass er sich auf privates Terrain begeben hatte, und wechselte das Thema, indem er seine Tasse anhob.
»Der Tee ist ganz köstlich, Mrs Smith«, sagte er, und Mummer lächelte.
Es war nicht so, dass Mummer Hanny nicht zu Hause haben wollte – sie liebte ihn in einem Ausmaß, das manchmal den Anschein erweckte, Farther und ich seien lediglich entfernte Bekannte von ihr –, doch er erinnerte sie auch an die Prüfung, die sie noch immer nicht bestanden hatte. Und während sie sich an jedem kleinen Fortschritt erfreute, den Hanny gemacht zu haben schien – etwa, dass es ihm gelang, den ersten Buchstaben seines Namens zu schreiben oder sich die Schuhe selbst zuzubinden –, waren es doch so kleine Schritte, dass es sie nach wie vor schmerzte, an den langen Weg zu denken, der noch zurückgelegt werden musste.
»Und es wird ein langer Weg sein«, hatte Father Wilfred einst zu ihr gesagt. »Er wird voller Enttäuschungen und Hindernisse sein. Doch Sie sollten frohlocken, dass Gott Sie auserwählt hat, ihn zu gehen, dass er Ihnen Andrew als Prüfung und auch als Wegweiser Ihrer Seele gesandt hat. Er wird Sie an Ihre eigene Stummheit vor Gott erinnern. Und wenn er schließlich fähig ist zu sprechen, werden auch Sie sprechen und den Herrn um alles bitten können, was Sie sich wünschen. Nicht jeder bekommt eine solche Chance, Mrs Smith. Vergessen Sie das nicht.«
Die Tasse Tee, die wir Hanny einschenkten und die kalt wurde und eine faltige Milchhaut bekam, war der Beweis dafür, dass sie es nicht vergessen hatte. Sie war auf seltsame Weise eine Art von Gebet.
»Also«, sagte Father Bernard, stellte seine halbleere Teetasse ab und ließ sich von Mummer nicht nachschenken. »Hat irgendjemand einen Vorschlag, wohin wir Ostern fahren könnten?«
»Nun«, meldete sich Miss Bunce rasch zu Wort und sah David an, der ihr ermutigend zunickte. »Da ist dieser Ort namens Glasfynydd.«
»Wo?«, fragte Mummer und warf den anderen einen skeptischen Blick zu, den Mr und Mrs Belderboss mit einem Grinsen erwiderten. Auch sie hatten noch nie etwas von diesem Ort gehört. Es handelte sich bloß um den Versuch Miss Bunce’, anders zu sein. Sie war jung. Sie konnte nichts dafür.
»Glasfynydd. Das ist ein Rückzugsort am Rand der Brecon Beacons«, erklärte sie. »Es ist wunderschön. Ich war schon oft dort. Im Wald gibt es eine Freiluftkirche. Alle sitzen auf Baumstämmen.«
Nur David reagierte darauf mit »Das hört sich nett an«, bevor er erneut an seinem Tee nippte.
»In Ordnung«, meinte Father Bernard nach einer kurzen Pause. »Das ist eine Idee. Irgendwelche anderen?«
»Nun, es ist doch ganz offensichtlich«, sagte Mummer.
»Wir sollten wieder nach Moorings fahren und den Schrein besuchen.« Und angespornt durch Mr und Mrs Belderboss’ aufgeregtes Gemurmel bei der Erinnerung an diesen Ort fügte sie hinzu: »Wir wissen, wie wir hinkommen und uns dort zurechtfinden, und es ist ruhig. Wir könnten wie früher in der Karwoche fahren, Andrew zum Schrein bringen und bis zu den Bitttagen bleiben und beim Abschreiten der Gemeindegrenzen zusehen. Das wird ganz wundervoll. Die alte Gruppe wiedervereint.«
»Ich bin aber noch nie dort gewesen«, stellte Miss Bunce richtig. »Und David auch nicht.«
»Nun, Sie wissen, was ich meine«, sagte Mummer.
Father Bernard blickte sich im Zimmer um.
»Gibt es noch weitere Vorschläge?«, fragte er. Während er auf eine Antwort wartete, griff er nach einem mit Vanillecreme gefüllten Keks und biss eine Hälfte davon ab.
Niemand sagte etwas.
»Dann sollten wir wohl demokratisch abstimmen«, entschied er. »Alle, die nach Südwales fahren möchten …«
Miss Bunce und ihr Verlobter hoben die Arme.
»Alle, die dafür sind, nach Moorings zurückzukehren …«
Alle anderen reagierten mit deutlich mehr Nachdruck.
»Damit hätten wir das geklärt«, meinte Father Bernard. »Wir fahren also nach Moorings.«
»Aber Sie haben nicht mitgestimmt, Father«, sagte Miss Bunce.
Father Bernard lächelte. »Ich habe es mir gestattet, mich dieses Mal zu enthalten, Miss Bunce. Ich gehe gern, wohin man mich auch führt.«
Er lächelte erneut und verspeiste den Rest seines Kekses.
Miss Bunce sah enttäuscht aus und blickte in der Hoffnung auf Mitgefühl David an. Dieser zuckte jedoch nur die Achseln und trat an den Tisch, um sich Tee nachschenken zu lassen, was Mummer auch mit schwungvoller Geste tat, beglückt von der Aussicht, zu The Loney zurückzukehren.
Mr und Mrs Belderboss waren bereits dabei, Father Bernard den Ort bis ins Detail zu beschreiben, der dazu nickte und sich einen weiteren Keks von seinem Teller nahm.
»Und der Schrein, Father«, sagte Mrs Belderboss. »Er ist einfach wunderschön, nicht wahr, Reg?«
»Oh ja«, bestätigte Mr Belderboss. »Ein wahres kleines Paradies.«
»So viele Blumen«, fuhr Mrs Belderboss fort.
»Und das Wasser ist so sauber«, fügte Mr Belderboss hinzu. »Nicht wahr, Esther?«
»Kristallklar«, sagte Mummer, die gerade am Sofa vorbeiging.
Sie lächelte Father Bernard zu und bot Miss Bunce einen Keks an, den diese mit einem eiskalten Dankeschön entgegennahm. Mummer nickte und ging weiter. Sie wusste, dass sie Miss Bunce und ihr Glasfynydd in Moorings mühelos würde schlagen können, da es für sie gewissermaßen ein Heimspiel war.
Sie war an der Nordwestküste aufgewachsen, ganz in der Nähe von The Loney, und ihre Aussprache hatte immer noch eine leichte Färbung von dort, obwohl sie die Gegend vor langer Zeit verlassen hatte und seit über zwanzig Jahren in London lebte. Sie nannte Spatzen immer noch Spaddies und Stare Sheppies, und als wir jünger waren, hatte sie uns Kinderlieder vorgesungen, die niemand außerhalb ihres Dorfes je gehört hatte.
Sie tischte uns Lammeintopf und Kuttelsalat auf und versuchte sehnsüchtig, dieselbe Art Käsekuchen ausfindig zu machen, die sie als Kind gegessen hatte, ein arterienverstopfendes Backwerk aus der ersten Milch, die eine Kuh nach dem Kalben gab.
Wo sie aufgewachsen war, schien fast jeder zweite Tag ein Festtag zu Ehren irgendeines Heiligen gewesen zu sein. Und auch wenn kaum einer von ihnen noch begangen wurde, nicht einmal von den eifrigsten Gemeindemitgliedern von Saint Jude’s, erinnerte sich Mummer an jeden einzelnen und an all die verschiedenen damit einhergehenden Rituale und bestand darauf, dass wir diese zu Hause durchführten.
Am Tag des heiligen Johannes wurde ein metallenes Kreuz dreimal durch die Flamme einer Kerze geführt, um den Schutz Gottes zu symbolisieren, unter dem Johannes gestanden hatte, als er zur Rettung der dort wohnenden Gelähmten und Aussätzigen in sein brennendes Haus zurückkehrte.
Im Oktober sammelten wir am Festtag des heiligen Franz von Assisi im Park Herbstlaub und Zweige, aus denen wir Kreuze für den Altar von Saint Jude’s fertigten.
Und am ersten Sonntag im Mai gingen wir, wie die Leute in Mummers Dorf es von jeher getan hatten, vor dem Gottesdienst hinaus in den Garten und benetzten uns die Gesichter mit Tau.
The Loney war ein besonderer Ort. Für Mummer kam der Schrein von Saint Anne gleich nach Lourdes, die zwei Meilen Fußweg von Moorings über die Felder dorthin waren ihr Jakobsweg. Sie war überzeugt davon, dass Hanny dort, und nur dort, eine Chance hätte, geheilt zu werden.
Hanny kam Anfang der Osterferien aus Pinelands nach Hause und bebte geradezu vor Aufregung.
Noch bevor Farther den Motor ausgestellt hatte, rannte er schon die Auffahrt hoch, um mir die neue Armbanduhr zu zeigen, die Mummer ihm geschenkt hatte. Ich hatte sie bereits im Fenster des Ladens gesehen, in dem Mummer arbeitete. Ein schweres, goldfarbenes Teil mit einer Abbildung von Golgatha auf dem Ziffernblatt und einer Inschrift aus dem Matthäusevangelium auf der Rückseite: Seid also wachsam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.
»Wie hübsch, Hanny«, sagte ich und gab sie ihm zurück.
Er riss sie an sich und zog sie sich übers Handgelenk, bevor er mir die Zeichnungen und Bilder eines ganzen Trimesters überreichte. Sie waren alle für mich. Wie immer. Mummer und Farther bekamen nie welche.
»Er ist sehr froh, wieder zu Hause zu sein, nicht wahr, Andrew?«, fragte Mummer, die Farther die Tür aufhielt, damit dieser Hannys Koffer durch den Vorbau bugsieren konnte.
Sie strich Hanny das Haar mit den Fingern glatt und hielt ihn dann an den Schultern fest.
»Wir haben ihm erzählt, dass wir wieder nach Moorings fahren«, sagte sie. »Er freut sich schon darauf. Nicht wahr?«
Doch Hanny war mehr daran interessiert, mich zu vermessen. Er legte mir die Hand auf den Scheitel und ließ sie zu seinem Adamsapfel gleiten. Er war erneut gewachsen.
Zufrieden damit, nach wie vor der Größere von uns beiden zu sein, trampelte er laut wie immer die Treppe hinauf, wobei er das Geländer, an dem er sich von Stufe zu Stufe zog, zum Knarren brachte.
Ich ging in die Küche, um ihm in seiner Tasse mit dem roten Doppeldeckerbus einen Tee zuzubereiten, und als ich ihn in seinem Zimmer aufsuchte, trug er noch immer Farthers alten Regenmantel, den er vor Jahren ins Herz geschlossen hatte und nun unbedingt bei jedem Wetter anziehen wollte. Er stand mit dem Rücken zu mir am Fenster und betrachtete die Häuser auf der anderen Straßenseite und den vorbeirollenden Verkehr.
»Alles in Ordnung, Hanny?«
Er rührte sich nicht.
»Gib mir deinen Mantel«, sagte ich. »Ich hänge ihn für dich auf.«
Er drehte sich um und blickte mich an.
»Deinen Mantel, Hanny«, wiederholte ich und zog an seinem Ärmel.
Er sah dabei zu, wie ich den Mantel für ihn aufknöpfte und ihn an einen Haken an der Tür hängte. Er war tonnenschwer von all den Dingen, die Hanny in seinen Taschen aufbewahrte, um mit mir zu kommunizieren. Ein Kaninchenzahn bedeutete, dass er Hunger hatte. Ein Konservenglas voller Nägel zeigte Kopfschmerzen an. Er entschuldigte sich mit einem Plastikdinosaurier und zog eine Gorillamaske aus Gummi über, wenn er sich fürchtete. Manchmal kombinierte er diese Gegenstände miteinander, und auch wenn Mummer und Farther vorgaben, sie wüssten, was all das zu bedeuten habe, verstand doch nur ich ihn wirklich. Wir hatten unsere eigene Welt, und Mummer und Farther hatten ihre. Sie konnten nichts dafür. Wir auch nicht. So war es eben. Und so ist es noch immer. Wir stehen uns näher, als die Leute sich vorstellen können. Niemand, nicht einmal Doctor Baxter, begreift das wirklich.
Hanny klopfte leicht aufs Bett, und ich setzte mich, während er seine Bilder von Tieren und Blumen und Häusern durchging. Von seinen Lehrern. Anderen Heimbewohnern.
Das letzte Bild war jedoch anders. Darauf standen zwei Strichmännchen an einem Strand voller Seesterne und Muscheln. Das Meer hinter ihnen war eine leuchtend blaue Wand, die sich wie ein Tsunami auftürmte. Auf der linken Seite erhoben sich gelbe Hügel, auf denen grüne Grasbüschel wie Irokesenhaarschnitte wuchsen.
»Das ist The Loney, oder?«, fragte ich voller Überraschung, dass er sich überhaupt daran erinnerte. Wir waren seit Jahren nicht dort gewesen, und normalerweise malte Hanny nur, was sich direkt vor seinen Augen befand.
Er berührte das Wasser und fuhr dann mit dem Finger zu den Kamelhöckerdünen, über denen ein großer Schwarm Vögel schwebte. Hanny liebte die Vögel. Ich hatte ihm alles über sie beigebracht. Wie man an der Marmorierung ihres Gefieders erkennen konnte, ob sich eine Möwe in ihrem ersten, zweiten oder dritten Winter befand, und wie sich die Rufe der Habichte, Seeschwalben und Singvögel voneinander unterschieden. Wie man, wenn man ganz stillhielt, am Wasser sitzen konnte, während sich ein Schwarm von Knutts so dicht um einen herumbewegte, dass man den Hauch ihrer Flügel auf der Haut spürte.
Ich ahmte die Schreie der Brachvögel, Rotschenkel und Silbermöwen für ihn nach, und wir legten uns nebeneinander auf den Rücken und beobachteten die Gänse, die hoch über uns in V-Formation flogen, und fragten uns, wie es wohl wäre, eine Meile über der Erde die Luft mit einem knochenharten Schnabel zu durchschneiden.
Hanny lächelte und tippte auf die Figuren auf dem Bild.
»Das bist du«, sagte ich. »Das ist Hanny.«
Hanny nickte und legte sich die Hand auf die Brust.
»Das bin ich?«, fragte ich, während ich auf die kleinere der beiden wies, und Hanny fasste mich an der Schulter.
»Ich bin froh, dass du zu Hause bist«, sagte ich und meinte es auch so.
Pinelands nützte ihm nicht viel. Sie kannten ihn dort nicht. Sie kümmerten sich nicht um ihn, wie ich es tat. Sie fragten ihn nie, was er brauchte. Er war bloß der große Typ, der mit seinen Farben und Buntstiften im Fernsehzimmer saß.
Er drückte mich an seine Brust und strich mir durchs Haar. Er wurde stärker. Bei jedem Wiedersehen hatte er sich erneut verändert. Der Babyspeck, der Weihnachten noch da gewesen war, war aus seinem Gesicht verschwunden, und inzwischen brauchte er sich keinen falschen Schnurrbart mehr mit einem Stück angekokeltem Korken aufzumalen, wie wir es als Kinder immer getan hatten. Es schien unvorstellbar, aber Hanny wurde zu einem Erwachsenen.